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28 | missio 4/2018 NACHGEFRAGT BEI... Er berichtet seit 20 Jahren aus China, zunächst für das „Wall Street Journal“ und heute vor allem für die „New York Times“. Eines seiner Spezialgebiete ist die Rolle der Religionen im kommunistischen „Reich der Mitte“. Im Interview erklärt Ian Johnson, warum die Zahl der Gläubigen in China so rasant gestiegen ist, und was er von den jüngsten diplomatischen Bemühungen des Vatikans hält. INTERVIEW: CHRISTIAN SELBHERR Ian Johnson, China-Korrespondent „Was die Welt denkt, ist China völlig egal.“ Der chinesische Präsident Xi Jin- ping hat die Verfassung geändert. Er kann nun unbegrenzt im Amt bleiben. Wird sich jetzt auch der Umgang des Regimes mit den religiösen Minderheiten verschärfen? Das ist bereits seit einigen Jahren so. Die Regierung hat erkannt, dass die verschiede- nen Religionsgruppen immensen Zulauf haben. Eine Tatsache, die sie teilweise un- terstützt, teilweise toleriert, aber teilweise auch als Gefahr ansieht. Die Regierung hat Sorge, dass die Religion außer Kontrolle ge- raten könnte. Wovor hat man in Peking Angst? Ganz grundsätzlich möchte die chinesische Regierung keine Zivilgesellschaft im Land haben. Sie sehen zwar ein, dass es einen Be- darf für ein paar Wohltätigkeitsorganisatio- nen gibt. Aber eine unabhängige Zivilgesell- schaft, die sich selbst organisiert, und zu der auch Religionsgemeinschaften zählen – das wollen sie nicht. Ob es um die katholische Untergrundkirche geht, oder um protestan- tische Hauskirchen: Solange die sich fromm auf das Religiöse beschränken, kann die Re- gierung damit leben. Aber sie wird miss- trauisch bei allem, was darüber hinausgeht. Woher rührt dieses Misstrauen? In Peking hat man nach 1989/90 sehr ge- nau studiert, warum die Ostblockstaaten und die Sowjetunion zerfallen sind. Auf keinen Fall will China eine katholische Kir- che, wie es sie in Polen gab. Oder eine evan- gelische Kirche, die eine Rolle spielt wie in der DDR. Die Religionsgruppen sollen sich nicht in die Politik einmischen. Sie sollen Gottesdienste feiern, sonst nichts. Während der „Kulturrevolution“ unter Mao wurden Kirchen zerstört, Priester ins Ge- fängnis oder ins Umerziehungslager ge- steckt. Warum hat es seitdem eine „Rück- kehr der Religion“ gegeben? Ende der 70er, Anfang der 80er-Jahre be- gannen alle Religionen, ihre Kirchen, ihre Tempel, ihre Moscheen wiederaufzubauen

missio magazin 2018-04 - ian-johnson.com · Der chinesische Präsident Xi Jin-ping hat die Verfassung geändert. Er kann nun unbegrenzt im Amt bleiben. Wird sich jetzt auch der Umgang

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NACHGEFRAGT BEI...

Er berichtet seit 20 Jahren aus China, zunächst fürdas „Wall Street Journal“ und heute vor allem für die„New York Times“. Eines seiner Spezialgebiete ist dieRolle der Religionen im kommunistischen „Reich derMitte“. Im Interview erklärt Ian Johnson, warum dieZahl der Gläubigen in China so rasant gestiegen ist,und was er von den jüngsten diplomatischenBemühungen des Vatikans hält.

INTERVIEW: CHRISTIAN SELBHERR

Ian Johnson, China-Korrespondent

„Was die Weltdenkt, ist China

völlig egal.“Der chinesische Präsident Xi Jin-

ping hat die Verfassung geändert. Er kannnun unbegrenzt im Amt bleiben. Wird sichjetzt auch der Umgang des Regimes mitden religiösen Minderheiten verschärfen?Das ist bereits seit einigen Jahren so. DieRegierung hat erkannt, dass die verschiede-nen Religionsgruppen immensen Zulaufhaben. Eine Tatsache, die sie teilweise un-terstützt, teilweise toleriert, aber teilweiseauch als Gefahr ansieht. Die Regierung hatSorge, dass die Religion außer Kontrolle ge-raten könnte. Wovor hat man in Peking Angst? Ganz grundsätzlich möchte die chinesischeRegierung keine Zivilgesellschaft im Landhaben. Sie sehen zwar ein, dass es einen Be-darf für ein paar Wohltätigkeitsorganisatio-nen gibt. Aber eine unabhängige Zivilgesell-schaft, die sich selbst organisiert, und zu derauch Religionsgemeinschaften zählen – daswollen sie nicht. Ob es um die katholischeUntergrundkirche geht, oder um protestan-tische Hauskirchen: Solange die sich frommauf das Religiöse beschränken, kann die Re-gierung damit leben. Aber sie wird miss-trauisch bei allem, was darüber hinausgeht.Woher rührt dieses Misstrauen? In Peking hat man nach 1989/90 sehr ge-nau studiert, warum die Ostblockstaatenund die Sowjetunion zerfallen sind. Aufkeinen Fall will China eine katholische Kir-che, wie es sie in Polen gab. Oder eine evan-gelische Kirche, die eine Rolle spielt wie inder DDR. Die Religionsgruppen sollen sichnicht in die Politik einmischen. Sie sollenGottesdienste feiern, sonst nichts.Während der „Kulturrevolution“ unter Maowurden Kirchen zerstört, Priester ins Ge- fängnis oder ins Umerziehungslager ge-steckt. Warum hat es seitdem eine „Rück-kehr der Religion“ gegeben? Ende der 70er, Anfang der 80er-Jahre be-gannen alle Religionen, ihre Kirchen, ihreTempel, ihre Moscheen wiederaufzubauen Fo

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ZUR PERSON

Ian Johnson, geboren 1962 im kanadischen Montreal,studierte zunächst in Peking und Taiwan und kamdann als junger Reporter nach Berlin - kurz bevor dieMauer fiel. Für seine China-Berichterstattung erhielter 2001 den Pulitzer-Preis. Johnson sprach vor kur-zem beim „China-Zentrum“ in SanktAugustin und betonte: Mit ihrer Re-ligionspolitik schaffe die chinesi-sche Regierung bewusst Gewinnerund Verlierer und versuche, die un-terschiedlichen Gruppen gegeneinander auszuspie-len. Das von den Steyler Missionaren gegründeteChina-Zentrum fördert Begegnung und Austauschzwischen den Kulturen und Religionen im Westen undin China. Im April 2018 wurde Monsignore WolfgangHuber, Präsident von missio München, zum Vorsitzen-den des Vorstands gewählt. „Unsere WahrnehmungChinas schwankt oft zwischen Unverständnis undAngst vor der Volksrepublik, die ganz andere wirt-schafts- und gesellschaftspolitische Spielregeln setztals wir“, erklärte Msgr. Huber nach seiner Wahl. Umso wichtiger sei es, Begegnung und Austausch

und dadurch Wissen zu ermöglichen, wie es dasChina-Zentrum tue.

- erst einmal ohne Einfluss der Regie-rung. Ende der 80er folgte dann langsamdie staatliche Anerkennung – zum Bei-spiel, indem Priesterseminare eröffnetwerden durften. Dass es aber seit den90ern diesen Boom gab, hat aus Sichtder Gläubigen einen ganz bestimmtenGrund: Sie sind unzufrieden mit der ra-dikalen, säkularen Gesellschaft, die ihnenim 20. Jahrhundert aufgezwungen wor-den war. Also wandten sich viele Men-schen wieder einer Religion zu. Mit welcher Absicht?Weil sie nach einem Wertesystem suchen,weil sie sich nach Gemeinschaft sehnen,weil sie Antworten wollen auf uralte Fra-gen der Menschheit, die der Kommunis-mus ihnen nicht beantworten kann. Esgibt in China heute eine weit verbreiteteMalaise, es fehlt an gemeinsamen Werten,es fehlt an den einfachsten moralischenStandards. Die Chinesen selbst diskutie-ren darüber fast ununterbrochen, zumBeispiel in den sozialen Medien. Das istalso kein Tabuthema. Auch der Regierungist in den vergangenen fünf oder zehnJahren klar geworden, dass es diese Pro-bleme gibt. Jetzt findet sie, dass Religiondazu nützlich sein könnte, um den Men-schen ein Wertegerüst mitzugeben. Etwas,das die Gesellschaft zusammenhält. Manche Religionen wachsen schnellerals andere. Warum geht es bei den Ka-tholiken in China langsamer? Die katholische Kirche in China war im-mer schon in den ländlichen Gebietenstark. Aber seit einigen Jahren dünnenviele ländliche Regionen aus, weil dieMenschen in die Städte abwandern. Au-ßerdem gibt es die Spaltung in der Hier-archie, mit einer starken sogenannten„Untergrundkirche“, die Rom treu ist,und der staatlich kontrollierten „Patrio-tischen Vereinigung“. Bei den Protestanten ist das anders? Ja, da gibt es sehr, sehr viele „Do-it-yourself“-Pastoren, die sich autodidak-tisch beigebracht haben, was sie denMenschen predigen und ihre eigenen Kir-chen gründen. Dadurch wachsen die pro-testantischen Gemeinden viel schneller.Kann man denn in China von einer Chris -tenver folgung sprechen?

Es gibt auf jedenFall staatliche Maß-nahmen, die die Freiheit einschränken.Vor kurzem wurde zum Beispiel verbo-ten, im Internet Bibeln zu kaufen oder zuverkaufen. Die Bibel ist so ziemlich dereinzige religiöse Text, der nicht einfach soim Buchladen zu bekommen ist. Mankann sie nur direkt in den Kirchen kau-fen. Aber es gab eben ein Schlupfloch: dasInternet. Das hat die Regierung jetzt ge-schlossen. Der Vatikan verhandelt zur Zeit mit Pe-king über ein Abkommen. Besonders dieWahl von Bischöfen ist seit Jahren einStreitpunkt. Wird es da eine Einigunggeben? Als vor zwei Jahren die ersten Berichteaufkamen, war ich sehr skeptisch. Ich ver-stand nicht, warum China so ein Abkom-men wollen würde. Manche sagen: Siemöchten guten Willen zeigen und ihr öf-fentliches Bild aufpolieren. Aber die Mei-nung der Weltöffentlichkeit ist Chinaziemlich egal. In den 80er- und 90er-Jah-ren mag das anders gewesen sein, aberjetzt? China ist so mächtig geworden. Siehaben letztes Jahr sogar den Friedensno-belpreisträger Liu Xiaobo im Gefängnissterben lassen! Was die Welt darüberdenkt, ist ihnen völlig egal. Also, was vermuten Sie?Wahrscheinlich ist ihr Antrieb eher, dasssie das Problem mit der Untergrundkir-che regeln wollen. Das Ziel des Vatikansscheint mir dagegen genau das Gegenteilzu sein. Der Vatikan denkt: Lasst uns auf-einander zugehen, dann können wir si-cherstellen, dass Peking keine schlechtenBischöfe mehr ernennt. Gute, von Romanerkannte Bischöfe werden die Kirche inChina stabilisieren, sagt der Vatikan.Diese beiden Standpunkte zu vereinen,dürfte sehr schwer werden. Woran hakt es ganz konkret? Das Problem für beide Seiten liegt in derFrage, wer bei einer Bischofsernennungdas letzte Wort hat. Unter Präsident XiJinping ist China nicht gewillt, einer aus-ländischen Organisation das letzte Wortdarüber zuzugestehen, wer in China einezivilgesellschaftliche Struktur aufbaut.Aber damit für den Vatikan ein Ab -

kommen mit der chinesischen Regierungglaubwürdig ist, wird es nötig sein, dassder Papst ein Vetorecht bekommt, und sa-gen kann: Dieser oder jener Kandidat, denuns Peking als Bischof vorschlägt, scheintuns nicht geeignet. Worin läge sonst derWert eines Abkommens? Womit rechnen Sie? Ich persönlich kann mir einfach nicht vor-stellen, dass Xi Jinping so viel Macht andie katholische Kirche abgeben wird. Erwird sich die Kontrolle über Bischofser-nennungen nicht wegnehmen lassen. A

„DIE MENSCHEN SUCHEN NACH WERTEN UND .

SEHNEN SICH NACH GEMEINSCHAFT.“ .

BUCHTIPP:

The Souls of China –The Return of Religion in China after MaoErschienen 2017 bei „Allen Lane/Penguin Books“. Preis: 20,99 Euro (eine deutscheAusgabe liegt noch nicht vor)