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Salafismus in Deutschland Missionierung und Jihad

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 5

2 Was ist Salafismus? 6

2.1 Begriffsbestimmung 6

2.2 Spektren des Salafismus 7

3 Gesellschaftliche Probleme hervorgerufen durch Salafismus 9

3.1 Unvereinbarkeit von Salafismus und Demokratie 9

3.2 Salafismus als Nährboden für Gewalt 10

3.3 Radikalisierung 12

3.4 Verhinderung von Integration 14

4 Salafistische Bestrebungen in Deutschland 14

5 Wie der Salafismus seine Anhänger findet und hält 17

5.1 Salafismus als geschlossene Erlebniswelt 17

5.2 Vorschriften und Sprachcodes 19

5.3 Salafistische Propaganda 22

5.4 Isolierung 23

6 Ziel: „Kalifat“ 24

7 Herausforderungen 26

7.1 Rückkehrer aus den Kampfgebietenin Syrien und im Irak 26

7.2 Anschlagsgefahr 28

7.3 Migration aus den Krisengebieten 29

Ansprechpartner 31

Impressum 32

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1 EinleitungDiese Broschüre soll dem Leser ein Grundverständnis für sala-fistische Bestrebungen vermitteln. Der Salafismus ist die derzeitdynamischste islamistische Strömung in Deutschland. Aktuellwerden ihm hierzulande etwa 11.500 Menschen zugerechnet.

Ungefähr 1,8 Milliarden Menschen weltweit bezeichnen sich alsMuslime, etwa 4,4 bis 4,7 Millionen davon leben in Deutsch-land. Wie in anderen Weltreligionen gibt es auch im Islam un-terschiedliche Strömungen. Salafisten stellen sich selbst als die„einzig wahren Muslime“ dar. Unter den in Deutschland leben-den Muslimen bilden sie allerdings nur eine kleine, wenn auchvergleichsweise schnell wachsende, extremistische Minderheit.

Nicht zu verwechseln sind die Begriffe „Islamismus“ und „Is-lam“. Im Gegensatz zur Religion des Islam bezeichnet Islamis-mus eine extremistische Ideologie, in welcher der Islam für po-litische Zwecke instrumentalisiert wird. Islamisten treten dafürein, dass islamische Vorschriften, wie etwa die Scharia1, wort-wörtlich ausgelegt und auch außerhalb der Lebenswelt des ein-zelnen Gläubigen in Staat und Gesellschaft umgesetzt werden.Sie sehen den Islam als ein ganzheitliches, allumfassendes Re-gelwerk an, das alle sozialen, juristischen, wirtschaftlichen undpolitischen Dimensionen umfassen soll und über dem deut-schen Rechtssystem steht. Islamisten sind der Überzeugung, dieeinzige ideale Weltordnung zu erkennen und streben einen„Gottesstaat“ an, der nach ihrer Interpretation des Islam aufge-baut sein soll. Sie verfolgen einen universalen Herrschaftsan-spruch, der mitunter auch Gewalt legitimiert.

Eine besonders radikale Strömung innerhalb des Islamismus istder sogenannte Salafismus. Salafisten sind in Deutschland be-reits seit den späten 1990er Jahren aktiv. Der Begriff wird im all-

1 Unter Scharia versteht man heute das „islamische Gesetz“, das heißt Vorschriften, Pflichten und Verbote, die für denEinzelnen oder die Gemeinschaft der Gläubigen verbindlich sind. Dies reicht von kultischen Vorschriften (zumBeispiel der Waschung vor dem Gebet) bis hin zu straf- und sogar staatsrechtlichen Regelungen. Der EuropäischeGerichtshof für Menschenrechte urteilte, dass die Scharia „inkompatibel mit den fundamentalen Prinzipien derDemokratie“ sei. 5

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gemeinen Sprachgebrauch jedoch erst seit dem Auftreten sala-fistischer Organisationen in der Öffentlichkeit – etwa in Formvon Infoständen oder Koran-Verteilaktionen – verwendet.

2 Was ist Salafismus?Der Begriff „Salafismus“ ist ähnlich wie „Islamismus“ einekünstliche Wortschöpfung. Personen, die von deutschen Si-cherheitsbehörden als Salafisten oder allgemeiner als Islamis-ten bezeichnet werden, würden sich selbst nicht so nennen.

2.1 Begriffsbestimmung

Unter „Salafismus“ ist eine vom in Saudi-Arabien vorherr-schenden konservativ-islamischen Wahhabismus beeinflusste,rückwärtsgewandte Strömung des Islam zu verstehen. Salafis-ten richten sich besonders streng nach der von ihnen idealisier-ten islamischen Frühzeit aus – also vor allem am Leben des Pro-

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SAUDI-ARABIEN

OMAN

JEMEN

SOMALIA

ERITREA

ÄTHIOPIEN

IRAN

ASERBAID.

IRAK

SYRIENAFGHANISTAN

PAKISTAN

INDIEN

TURKMENISTAN

USBEK.

TADSCHIK.TÜRKEIALB.

SUDAN

ÄGYPTENLIB.

V.A.E.

Mittelmeer

ArabischesMeer

1 000 km

Sunniten

Schiiten

Ibaditen

Wahhabiten

Glaubensrichtungen des Islam im Nahen Osten

Quelle: Gulf2000 project, Columbia University Stand 2015/2016 © Globus 10849

JORDANIEN

LIBANON

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pheten Muhammad sowie der ersten drei muslimischen Gene-rationen, den sogenannten „rechtschaffenen Altvorderen“ („al-Salaf al-Salih“, daher der Begriff „Salafismus“). Das Handelnnach dem Vorbild der Altvorderen betrifft nicht nur religiöseFragen, sondern ebenso Politik, Wirtschaft und beinahe alle Be-reiche des Lebens bis hin zur Intimsphäre.

Salafisten orientieren sich zwar an Koran und Sunna2, aller-dings legen sie die Bedeutung der Überlieferungen besonderskonservativ und ihren Zwecken entsprechend aus. Dabei miss-brauchen sie das islamische Konzept der „unerlaubten Neue-rungen“ („bid’a“), indem sie Interpretationen, die ihren extre-mistischen Zwecken widersprechen, als verfälschend ablehnen.Salafisten zählen neben Christen, Juden und Atheisten auch allenicht-salafistischen Muslime zu ihren Gegnern oder Feinden.

2.2 Spektren des Salafismus

Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen politi-schem und jihadistischem Salafismus. Beide Richtungen teilendieselben ideologischen Grundlagen, wählen aber unterschiedli-che Mittel, um einen „salafistischen Gottesstaat“ zu etablieren.Dieser wäre mit der freiheitlichen demokratischen Grundord-nung (fdGo) der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar.

Politische Salafisten versuchen, ihre Ideologie vor allem durch in-tensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten. Sie bezeichnen die-se als „Missionierung“ („dawa“). Sie möchten die Gesellschaft ineinem langfristig angelegten Prozess nach salafistischen Normenverändern. Dabei haben sie in der Regel ein hohes Sendungsbe-wusstsein. Die Mehrzahl der Salafisten in Deutschland und der öf-fentlich auftretenden salafistischen Prediger wird diesem Spek-trum zugerechnet. Der politische Salafismus kann als Fundamentdes jihadistischen Salafismus („Jihadismus“) dienen und den Ein-

2 Sunna ist die Kurzform des arabischen Begriffes „sunnat an-nabī“, was übersetzt „Handlungsweise des Propheten“bedeutet. Das Verhalten Muhammads dient dem gläubigen Muslim als Vorbild für die eigene Lebensführung, ins-besondere in denjenigen Fällen, die nicht durch konkrete Vorschriften innerhalb des Koran geregelt sind. DieSunna ist neben dem Koran die zweite Quelle des islamischen Rechts. 7

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stieg in eine individuelle Radikalisierungsspirale darstellen. Diesekann bis zur Befürwortung, Unterstützung oder gar Ausübungvon Gewalt im Namen des „wahren Islam“ führen – sei es inDeutschland oder im Ausland. Politische Salafisten lehnen Ge-walt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele nicht grundsätzlichab, bezeichnen sie aber häufig als „derzeit nicht zielführend“.

Jihadistische Salafisten („Jihadisten“) streben die Schaffung ei-nes Gottesstaates unter Einsatz von Gewalt an. Sie interpretie-ren den Begriff „Jihad“, der von den meisten Muslimen als (per-sönliche) Anstrengung im Glaubensleben des Einzelnen ver-standen wird, als bewaffneten Kampf gegen die „Ungläubigen“(„kuffar“) und überhöhen ihn zu einer Form des „Gottesdiens-tes“. Für sie ist er die individuelle Pflicht („fard al-ayn“) eines je-den Muslims und damit einer der Grundpfeiler des Islam. DerJihad als „Verteidigung des Islam“ kann dabei nicht nur in Län-dern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, sondern auchin westlich orientierten Ländern geführt werden. Vor allem imjihadistischen Salafismus spielt das Konzept des „takfir“ eineRolle, wonach auch Muslime zu „Ungläubigen“ und somit zuFeinden des Islam erklärt werden können, die es zu bekämpfengilt. Die überwiegende Mehrheit der islamistischen Terroristenwird aktuell dem jihadistischen Salafismus zugerechnet.

8 Umsetzung einer Körperstrafe gemäß der Scharia in Indonesien.

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Zwischen den beiden Strömungen des Salafismus liegt eine großeGrauzone. Einzelne Personen oder Gruppierungen könnennicht immer genau und ausschließlich einer Strömung zuge-ordnet werden. Das liegt auch daran, dass beide Strömungender Gewalt zuneigen. Obwohl politische Salafisten sich öffent-lich gewaltablehnend darstellen, befürworten sie zumindest dieperspektivische Einführung der salafistischen Interpretationder Scharia mit den darin enthaltenen Körperstrafen. Auchwenn die meisten Salafisten in Deutschland nicht davon ausge-hen dürften, ihre rechts- und gesellschaftspolitischen Vorstel-lungen in der Bundesrepublik umfassend durchsetzen zu kön-nen, so versuchen sie doch, diese weitestmöglich anzuwenden.

Körperstrafen

Körperstrafen werden im islamischen Strafrecht für zahlrei-che Delikte verhängt, zum Beispiel für sogenannte Grenzver-gehen (unter anderem Ehebruch, „Unzucht“, Verleumdung,schwerer Diebstahl, Alkoholgenuss) sowie für Religionswech-sel, Mord und Totschlag. Das Strafmaß reicht dabei von Aus-peitschen über das Abtrennen von Hand und/oder Fuß bis hinzur Todesstrafe durch Steinigung oder Enthauptung.

3 Gesellschaftliche Probleme hervorgerufendurch Salafismus

Der Salafismus birgt für die deutsche Gesellschaft viele Probleme.Für die Verfassungsschutzbehörden ist besonders relevant, dasser mit den Grundwerten und Vorstellungen der Demokratieunvereinbar ist.

3.1 Unvereinbarkeit von Salafismus und DemokratieSalafisten lehnen nicht nur demokratische Spielregeln offen ab,sondern beanspruchen darüber hinaus, die persönliche Lebens-führung eines jeden bis ins Detail zu bestimmen. Für individu- 9

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elle Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung ist im Sala-fismus kein Platz.

Ein salafistischer Prediger bringt diesen Anspruch unverblümtzum Ausdruck:

„Demokratie gehört den Ungläubigen und kommt von denUngläubigen, liebe Geschwister. [...] Die Politik ist ein Teil vonder Religion. Und alles gehört zur Religion, liebe Geschwister.Wirtschaft gehört zur Religion [...] Das Schulwesen gehört zurReligion, und die Medizin und die Gesundheit [...], sogar wiewir unsere Haare schneiden oder kürzen gehört zur Religion,sogar wie wir die Notdurft verrichten, sogar wie wir essen undtrinken und schlafen gehört zur Religion [...] diese Religion istvollkommen [...] und hat nichts ausgelassen!“

Auch der vorgeblich gewaltfreie Salafismus stellt eine Bedro-hung für die demokratische Gesellschaft dar. Seine Ideologieund Praxis sind mit der fdGo nicht vereinbar.

3.2 Salafismus als Nährboden für Gewalt

Prediger aus dem Spektrum des politischen Salafismus äußernsich in der Regel friedfertig. Dennoch kann die von ihnen be-triebene Verbreitung der salafistischen Ideologie ein Nährbo-den für Gewalt sein, da ein absolutes Schwarz-Weiß-Denkenvermittelt wird: Auf der einen Seite befinden sich die als Elite(„tali’a“, ein vom ägyptischen Ideologen der „Muslimbruder-schaft“ und „Jihadismus“-Vordenker Sayyid Qutb geprägter Be-griff) stilisierten Anhänger des Salafismus, auf der anderen Seitedie vermeintlich „Ungläubigen“.

Ein wichtiges Element in diesem Dualismus bilden Verschwö-rungstheorien und Feindbilder. Weit verbreitete Feindbilder imSalafismus sind beispielsweise die USA bzw. „der Westen“ oderIsrael bzw. „die Juden“. Antisemitismus ist ein integraler Be-standteil des Salafismus. Aber auch Muslime anderer islami-

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Element der freiheitlichen demokratischen

Grundordnung (fdGo)

Wie würde es in einer salafistischen Utopie

aussehen?

• Achtung vor den im Grundgesetzkonkretisierten Menschenrechten

• Verletzung der Menschenrechte

• Unvereinbarkeit von freiemSelbstbestimmungsrecht und derrestriktiven Rolle der Frau imSalafismus

• Züchtigungsrecht des Ehemannsgegenüber seiner Frau

• Verbot von Homosexualität

• Volkssouveränität

• Souveränität gehört im Weltbildder Salafisten allein Gott

• Wahlen wären nach salafistischerInterpretation von Koran undSunna ausgeschlossen, Parlamentenicht existent

• Gewaltenteilung

• Prinzip des „tawhid“ (Einheit undEinzigartigkeit Gottes) im Salafis-mus zeigt sich in Untrennbarkeitvon Gesetzgebung, ausführenderGewalt und Rechtsprechung

• Verantwortlichkeit der Regierunggegenüber der Volksvertretung

• Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

• Verantwortung der Regierung nurgegenüber Gott

• Unabhängigkeit der Gerichte • Sklavische Umsetzung der Schariaals Ausdruck göttlichen Willens

• Mehrparteienprinzip

• Chancengleichheit für alle politi-schen Parteien mit dem Recht aufverfassungsmäßige Ausübungeiner Opposition

• Keine Existenz von mehrerenParteien oder einer Opposition

• Keine sich immer wieder erneu-ernde Gesetzgebung, da es in dersalafistischen Ideologie nur einereine (göttliche) Wahrheit gibt

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scher Glaubensrichtungen – insbesondere Schiiten3 – gehörenzu den von Salafisten bekämpften Gruppierungen. Für alleFeindbilder finden salafistische Akteure scheinbar religiös fun-dierte Begründungen, die sie für Kritik unempfindlich machen.Zugleich stilisieren sie sich selbst zu Opfern des „Kampfes gegenden Islam“. Eine wesentliche Funktion von Feindbildern be-steht in der Entmenschlichung der (politischen) Gegner. Siewerden als minderwertig betrachtet und ihnen werden funda-mentale Rechte bis hin zum Recht auf Leben abgesprochen.

3.3 Radikalisierung

Es existieren verschiedene Indikatoren, die auf eine salafisti-sche Radikalisierung4 bzw. auf den Schweregrad einer solchenRadikalisierung hindeuten können. So kann der häufige Besucheines Islamseminars, welches von salafistischen Predigern ver-anstaltet wird, ein Einstieg in die Szene sein. Allerdings gab es inder Vergangenheit auch sogenannte Selbstradikalisierungspro-zesse, die sehr schnell – auch ohne realweltlichen Bezug zur sa-lafistischen Szene – über das Internet erfolgten. Die Einbindungin salafistische Strukturen ist für eine Radikalisierung also nichtzwangsläufig notwendig.

Radikalisierungsfördernde Faktoren können ebenso im sozia-len oder persönlichen Bereich liegen. Beispiele hierfür sind:

• zerbrechliche Identität

• mangelndes Selbstwertgefühl

• Ausgrenzungserfahrungen

• Perspektivlosigkeit

• Unkenntnis über den Islam

3 Etwa zwölf bis 15 Prozent der Muslime sind Schiiten. Sie erkennen nur Ali, den Cousin und SchwiegersohnMuhammads, und dessen Nachkommen als Nachfolger Muhammads an. Etwa 85 Prozent der Muslime weltweitsind Sunniten. Für sie muss der Nachfolger Muhammads nicht direkt mit ihm verwandt sein, sondern besonderepolitische, religiöse und militärische Fähigkeiten besitzen.

4 Radikalisierung ist ein individueller Prozess, der die sich radikalisierende Person und die radikalisierungsförderndePersonen und/oder Ereignisse umfasst. Der Beginn einer Radikalisierung ist schwer feststellbar, ihr Ende nicht vor-hersehbar. Eine Radikalisierung kann in allen Ideologien stattfinden.12

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• Abenteuerlust

• finanzielle Schieflage

Solche Faktoren müssen selbstverständlich nicht zwangsläufigzur Radikalisierung führen. Ebenso existieren auch Radikalisie-rungsverläufe ohne derartige Faktoren.

Hinweise auf eine salafistische Radikalisierung

• Verweigerung des Handschlags gegenüber Menschenanderen Geschlechts

• Aufgabe des bisherigen sozialen und beruflichen Um-felds, Versuch der Missionierung von Familie, Freun-den und Kollegen

• Konsum und Verbreitung von problematischen Videosbzw. „nashids“ (Sprechgesängen)

• Verherrlichung von extremistischer Gewalt sowie Dro-hungen gegenüber Andersdenkenden durch aggressiveArgumentation

• Schwarz-Weiß-Denken/Verbreitung von Feindbildernund Verschwörungstheorien

• Veränderung des Erscheinungsbildes hin zu salafisti-scher Kleidung und ggf. Barttracht

• Verwendung salafistischer Sprachcodes

• Benutzung salafistischer Symbole

Die oben genannten Elemente können erste Anzeichen einerRadikalisierung sein. Diese zeigt sich aufgrund des allumfassen-den Geltungsanspruches der salafistischen Ideologie oft ganzzwangsläufig am Verhalten der betroffenen Person. Ein einzel-ner Indikator ist fast nie ausreichend.

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3.4 Verhinderung von Integration

Zwischen salafistischer Ideologie und westlichen Werten gibtes eine deutliche Diskrepanz. Muslime, die sich nicht im Sinnedes Salafismus verhalten, werden von Salafisten entweder ver-spottet oder es wird versucht, sie auf den „richtigen“ Pfad zulenken. Salafismus verhindert Integration, stellt ein Gegenmo-dell zur westlichen Wertegemeinschaft dar und fördert darüberhinaus die Entstehung von Parallelgesellschaften, die den deut-schen Staat und staatliche Autoritäten ablehnen.

Dies ist insbesondere im Zusammenhang mit starker Zuwande-rung von Bedeutung. Seit dem Jahr 2015 versuchen salafistischeAkteure verstärkt, bundesweit Einfluss auf – vor allem musli-mische – Flüchtlinge auszuüben und dadurch eine von ihnenbefürchtete „Vereinnahmung“ solcher Personen durch diewestliche Gesellschaft zu verhindern. Salafistische Moscheenwerden verstärkt auch von Flüchtlingen besucht. Dies hängt je-doch nicht immer mit einer breiten Akzeptanz der salafisti-schen Ideologie zusammen, sondern ebenso mit der jeweiligenVerfügbarkeit bzw. der räumlichen Nähe entsprechender Mo-scheen oder Gebetsräume.

4 Salafistische Bestrebungen inDeutschland

In Deutschland existieren kaum feste, überregionale Struktu-ren des Salafismus, wie beispielsweise salafistische Dachver-bände. Stattdessen gibt es salafistische Moscheegemeinden undVereine sowie lose organisierte Schüler-Lehrer-Netzwerke.Prominente Repräsentanten der Szene haben in den letztenJahren an Einfluss verloren. Stattdessen ist die Bedeutung sala-fistischer Führungsfiguren und relevanter Strukturen der Sze-ne zunehmend auf eine Region begrenzt.

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Entwicklung des salafistischen Personenpotenzials5

155 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet.

Altersverteilung Geschlechterverteilung

Anteil der KonvertitenAnteil der Personen mitMigrationshintergrund

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Ein Grund für die wenigen festen Strukturen innerhalb der sa-lafistischen Szene kann sein, dass es bei einer derartig detaillier-ten Umsetzung der Religion viele Meinungsverschiedenheitenzwischen salafistischen Autoritäten gibt.

Aktuell ist zu beobachten, dass die salafistische Szene immerweniger in der Öffentlichkeit aktiv ist. Öffentlich sichtbareStraßenmissionierung oder öffentliche Kundgebungen findennur noch selten statt. Dies ist wahrscheinlich auf die staatlichenErmittlungserfolge der letzten Jahre zurückzuführen, wie bei-spielsweise dem Verbot der salafistischen Koran-Verteilaktion„Lies!“ oder der Schließung mehrerer prominenter salafisti-scher Moscheen. Zugleich wird durch den Rückzug aus der Öf-fentlichkeit allerdings auch die Aufklärungsarbeit der Sicher-heitsbehörden erschwert.

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In unterschiedlichen Erscheinungsformen existieren salafisti-sche Strukturen in allen Bundesländern. Mit ihren relativ starkausgeprägten muslimischen Infrastrukturen stellen die Regio-nen Köln/Bonn, das Rhein-Main-Gebiet und Berlin lokaleSchwerpunkte dar.

Salafisten in der Bundesrepublik erfahren – wie auch andere is-lamistische Gruppen – immer wieder Unterstützung aus demAusland. Zum einen kommen sogenannte Reiseprediger meistauf Einladung lokaler Moscheegemeinden nach Deutschland.Zum anderen werden salafistische Publikationen im Auslandins Deutsche übersetzt, veröffentlicht und hierher versandt.Zudem gibt es zahlreiche, im Ausland gehostete deutsch- oderfremdsprachige Internetangebote, die sich an Personen hierzu-lande richten. Eine große Rolle spielen auch – zum Teil ge-schlossene – Gruppen in sozialen Netzwerken.

5 Wie der Salafismus seine Anhängerfindet und hält

In den letzten Jahren hat der Salafismus an Zuwachs gewonnen,obwohl die extrem konservativen Elemente der Ideologie vielePersonen abschrecken. Andererseits wirkt der Salafismus ins-besondere auf solche Menschen anziehend, die sich von derMehrheitsgesellschaft marginalisiert fühlen.

5.1 Salafismus als geschlossene Erlebniswelt

Salafismus ist nicht nur eine politische Ideologie, sondern aucheine sektenähnliche Erlebniswelt mit sozialen Vorschriften. Soexistieren zum Beispiel salafistische Regeln für die „richtige“ Er-ziehung der Kinder oder das „richtige“ Verhalten der Frau ge-genüber dem Ehemann. Der Salafismus bietet aufgrund seinesultimativen Wahrheitsanspruches einfache Antworten auf alleFragen des Lebens. Daher kann er vor allem für Menschen at-traktiv erscheinen, die sich in komplexen oder schwierigen Le- 17

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benslagen befinden und auf der Suche nach Identität und per-sönlicher Anerkennung sind.

Salafistische Regeln

Es gibt kaum einen Aspekt im Leben eines Menschen, für denSalafisten nicht eine passende Regel bereithielten. Dies zeigtsich beispielsweise im Internet, wo salafistische Prediger inzahlreichen Videos Handlungsanweisungen geben, indem sieauf eine Vielzahl scheinbar banaler Alltagsfragen religiös ver-bindliche Antworten geben. So entstehen Video-Titel wie„Was sagt man, wenn man auf die Toilette geht?“ oder „Darfman im Ramadan seine Spucke schlucken?“. Hintergrund die-ser Videos ist die konkrete Angst vieler Salafisten, „Fehler“ inihrer Religionsausübung zu begehen und dadurch in die Höllezu kommen. Daher achten viele von ihnen zum Teil peinlichgenau darauf, auch die kleinteiligsten Handlungsanweisun-gen salafistischer Autoritäten zu befolgen, die sich dabei aller-dings auch widersprechen können. Zugleich geben ihnen die-se Handlungsanweisungen Halt und Struktur im Tagesablauf.

Die Anziehungskraft des Salafismus, vor allem für Zuwandererund deren Kinder, rührt auch daher, dass sich die salafistischeSzene durch eine starke ethnische Heterogenität auszeichnet.Grundsätzlich steht der Salafismus allen Ethnien offen undlehnt Rassismus ab. Er verspricht seinen Anhängern außerdemeine Art „Neustart“. Alle Parameter, die im Leben vor der Hin-wendung zum Salafismus eine Rolle spielten, haben danachkeine Relevanz mehr. Die soziale Herkunft, die Nationalität, derLebenswandel oder die Religionszugehörigkeit vor der Hin-wendung zum Salafismus sind später nichtig. Dieser „Neustart“wird durch die Wahl eines arabischen Rufnamens („kunja“) ver-deutlicht, der die Zugehörigkeit zur salafistischen „Familie“ zu-sätzlich hervorhebt.

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Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zugänglichkeit der Ideolo-gie. Salafistische Prediger halten ihre Vorträge in Deutschlandmeist auf Deutsch und sprechen so gezielt deutschstämmige so-wie jüngere Muslime an. Zudem sind viele der Prediger inDeutschland aufgewachsen und kennen die Probleme von Ju-gendlichen hierzulande. Dadurch erscheinen sie für viele Zuhö-rer attraktiver, als etwa aus der Türkei eingereiste Imame, dienur auf Türkisch predigen. Der Salafismus in Deutschland istkein importierter Extremismus, sondern er wird wesentlichdurch die hier lebenden Salafisten geprägt.

5.2 Vorschriften und Sprachcodes

Die zum Teil sklavische Umsetzung detaillierter Glaubensvor-schriften zeigt sich in der Öffentlichkeit insbesondere an denKleidungsvorschriften. Salafisten versuchen auch in diesem Be-reich, die ihnen vorgegebenen Regeln möglichst genau zu be-folgen und andere dazu zu bringen, dies ebenfalls zu tun. Dabeiorientieren sie sich am Frühislam und am überlieferten Auftre-ten des Propheten und seiner Gefährten. Männer achten in der 19

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Regel darauf, dass ihre Knöchel nicht bedeckt sind. Nach der inder Szene weit verbreiteten Ansicht des salafistischen Gelehr-ten Muhammad N. al-Albani müssen sich Frauen bis auf Händeund Gesicht vollständig verhüllen. Über den häufig als Kopf-tuch verwendeten Hidschab hinaus tragen strengere Salafistin-nen den Nikab – dieser lässt nur einen Spalt für die Augen frei.Aus Gründen der Modernität werden einzelne konservativeKleidungselemente aber durchaus mit modernen Kleidungssti-len und Marken kombiniert.

Das Nacheifern des Propheten geht bei der Zahnpflege weiter.So benutzen Salafisten zum Teil keine Zahnbürsten, sondernausschließlich ein traditionelles Holzstäbchen („miswak“). Mu-sik ist im Salafismus verboten. Eine Alternative ist ein als „nas-hid“ bekannter Sprechgesang. Dieser hat in der Regel einen reinreligiösen Inhalt, wird aber in der salafistischen Szene überwie-gend zur jihadistischen Propaganda und als Aufruf zum Jihadverwendet.

Dass Salafismus gelegentlich als Subkultur oder Jugendsubkul-tur bezeichnet wird, hängt neben der Kleidung auch mit denverwendeten Sprachcodes zusammen. Arabische Begrifflich-keiten fließen in den alltäglichen Sprachgebrauch ein. Die Nut-

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Vom Kopftuch bis zum Ganzkörperschleier

Bedeckt die Haareund den Hals.

Zweiteiler. Ein Teilumhüllt den Kopf,der andere wirdüber Kopf undSchulter gelegt.

MantelartigerSchleier, der biszur Taille reicht.

Ganzkörper-schleier. Unterihm wird oft einkleinerer Schleiergetragen.Meist in schwarz.

Ganzkörper-schleier. Eine ArtGitter ermöglichtdas Sehen nurnach vorne.Meist in blau.

Bedecktvollständig dasGesicht. Wirdzusammen miteinem langenKleid („Abaja“)getragen.Meist in schwarz.

HIDSCHAB AL-AMIRA CHIMAR TSCHADOR NIKAB BURKA

28150 Auswahl

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Straßenverkauf von „miswaks“ in Pakistan.

IS-Kämpfer zeigen den sogenannten IS-Finger.

Auch moderne Kleidungsstücke werden gelegentlich von Salafisten getragen.

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zung von Begriffen wie „akhi“ bzw. „ukhti“ (arabisch für „mein(Glaubens-)Bruder“ bzw. „meine Schwester“) erzeugt das Ge-fühl einer Gemeinsamkeit bzw. einer Abgrenzung gegenüberdenjenigen, die diese Begriffe nicht nutzen oder kennen.

Ebenso verhält es sich mit Symbolen. Am bekanntesten dürfteder nach oben gerichtete einzelne Zeigefinger sein, von Medienals „IS-Finger“ betitelt. Dieser symbolisiert die unteilbare Ein-heit Gottes („tawhid“), die sich auch im Diesseits in der Einheitvon Religion und Staat widerspiegeln soll. Er wird nicht nur vonIS-Anhängern, sondern ebenfalls von deren Sympathisantenund Salafisten genutzt.

5.3 Salafistische Propaganda

Obwohl der Salafismus eine extrem rückwärtsgewandte Strö-mung des Islam darstellt, findet er auch unter jungen Leutenimmer mehr Anhänger. Dies lässt sich unter anderem mit einerwirksamen Propagandastrategie erklären. Hierbei spielt das In-ternet eine herausragende Rolle, um die Breitenwirkung des Sa-lafismus voll zu entfalten. Salafistische Ideologieinhalte sindauf einer Vielzahl von Websites, in sozialen Netzwerken sowieauf Videoplattformen abrufbar. Deutschsprachige Websites sa-lafistischer Prägung sind in den vergangenen Jahren weiterstark angewachsen und ihre Aufmachung ist durchaus profes-sionell. Neben salafistischen Vereinen und Moscheegemeindenunterhalten auch einzelne salafistische Prediger eigenständigeAuftritte im Internet.

Aber auch aktions- und erlebnisorientierte Formen der Missio-nierung sind wichtig. Dabei haben Salafisten verschiedene Akti-onsformen etabliert – von Infoständen in Fußgängerzonen bishin zu Islamseminaren. Vor allem letztere, meist mehrtägigeVeranstaltungen haben eine große Bedeutung. Dort treten je-weils populäre salafistische Prediger auf, die zahlreiche Besucheranziehen. Zum Teil reisen die Teilnehmer dazu aus dem gesam-ten Bundesgebiet und dem benachbarten europäischen Ausland22

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an. Daher können derartige Treffen nicht nur der Indoktrinie-rung und Radikalisierung, sondern auch der Vernetzung dienen.

Infostände wurden vor allem im Rahmen der „Lies!“-Kampa-gne der Vereinigung „Die wahre Religion“ (DWR) von Salafistengenutzt. Seit dem Verbot von DWR am 15.  November  2016durch den Bundesminister des Innern hat diese Art der Propa-ganda allerdings stark nachgelassen. DWR/„Lies!“ (einschließ-lich ihrer ebenfalls verbotenen Teilorganisationen) richtete sichgegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Ge-danken der Völkerverständigung. DWR vertrat eine Ideologie,welche die verfassungsmäßige Ordnung ersatzlos verdrängenwollte, und befürwortete den bewaffneten Jihad. Zudem stelltesie ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammel-becken für jihadistische Islamisten sowie für solche Personendar, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrienbeziehungsweise in den Irak ausreisen wollten. Insgesamt ver-ließen mindestens 140 Personen Deutschland, um sich in Sy-rien oder im Irak terroristischen Organisationen anzuschlie-ßen, nachdem sie an „Lies!“-Aktionen teilgenommen hatten.

5.4 Isolierung

Salafisten grenzen sich zu großen Teilen scharf von anderenMuslimen und Nicht-Muslimen ab. Personen, die sich der sala-

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fistischen Szene anschließen, werden im Laufe ihrer Radikali-sierung in der Regel immer stärker dazu genötigt, auf Distanz zunicht-salafistischen Personen aus ihrem bisherigen Umfeld zugehen. Dadurch sollen angeblich schädliche, nicht-islamkon-forme Einflüsse vermieden werden. Für Salafisten ist der Um-gang mit Ungläubigen prinzipiell nur dann erwünscht, wenn erder Missionierung dient. Ist diese nicht erfolgreich, soll derKontakt abgebrochen werden. Hinzu kommt, dass sich Salafis-ten in der Regel allein aufgrund ihres Auftretens und ihrer Ver-haltensweisen von der Mehrheitsgesellschaft isolieren.

Diese Isolierung führt dazu, dass es Anhänger des Salafismusschwer haben, aus ihrem salafistischen Umfeld auszubrechen,da sie ab einem bestimmten Punkt nur noch Umgang mit ande-ren Salafisten pflegen. Nach ihrer Überzeugung verdienenMenschen, die den „wahren Islam“ verlassen und „abtrünnig“werden, den Tod.

6 Ziel: „Kalifat“Ein wesentlicher Fixpunkt des Salafismus war in den letztenJahren Syrien. Der Konflikt und das Leid der Bevölkerung vorOrt hatten eine stark emotionalisierende Wirkung auf die sala-fistische Szene in Deutschland. Salafistische Prediger erinner-ten dabei an die Pflicht ihrer Anhänger, den Kampf der Glau-bensbrüder durch ihre Taten oder zumindest durch Spenden zuunterstützen. So wurde das Thema auch zur Rekrutierung eige-ner Anhänger genutzt.

Inspiriert von jihadistischen Gruppierungen, wie der Terroror-ganisation „Islamischer Staat“ (IS), zogen mehr als 1.050 deut-sche Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland in die Region.Zu etwa der Hälfte der ausgereisten Personen liegen tatsächli-che Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS und der „al-Qaida“ bzw. ihnen nahestehenden Gruppierungen an Kampf-handlungen teilgenommen oder diese Gruppierungen in sons-

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tiger Weise unterstützt haben. Ein wesentliches Element derAnziehungskraft vor allem des IS war das „Kalifat“ und das da-mit verbundene Leben in einem angeblich „wahrhaften“ isla-mischen Land. Dieses „Traumziel“ führte auch zur Ausreise vonPersonen, die bis dato kaum oder gar keine Bezüge zum Salafis-mus hatten. Die Realität vor Ort entsprach allerdings nicht derPropaganda des IS. Grausame Verbrechen und Versorgungs-engpässe in Folge des Bürgerkrieges führten zur raschen Desil-lusionierung vieler Ausgereister.

Rund ein Drittel der ausgereisten Personen befindet sich wiederin Deutschland. Zu mehr als 200 Personen liegen Hinweise vor,dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. ImZusammenhang mit fortschreitenden Gebietsverlusten des ISgibt es außerdem mehr und mehr Erkenntnisse zu Kämpfern,die aus dem Jihad-Gebiet flüchten wollen. Derzeit werden Aus-reisesachverhalte nur noch vereinzelt nachträglich bekannt.Neue Ausreisen in Richtung Syrien bzw. Irak sind aktuell nichtbekannt und sind nur noch in Einzelfällen zu erwarten. Der Ji-had-Schauplatz Syrien hat aufgrund der militärischen Nieder-lagen des IS mittlerweile stark an Attraktivität eingebüßt.

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Aus Sicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ist eineneue Ausreisewelle von Salafisten aus Deutschland weder er-kenn- noch absehbar. Ebenso zeichnet sich derzeit kein neuerJihad-Schauplatz ab, der auch nur annähernd so ansprechendwäre, wie es Syrien und der Irak zu Hochzeiten des IS waren. ImGegensatz zum deutlich weniger populären Jihad-Gebiet Af-ghanistan stand Syrien stärker im medialen Fokus. Außerdemwar das Land von Europa aus wesentlich einfacher zu erreichen,da man zur Einreise in die Türkei – einem wichtigen Transit-land – von Deutschland aus beispielweise nur einen Personal-ausweis benötigt.

7 HerausforderungenDie deutschen Sicherheitsbehörden werden langfristig durchdie Folgen des Konflikts in Syrien und im Irak vor gewichtigeHerausforderungen gestellt sein.

7.1 Rückkehrer aus den Kampfgebietenin Syrien und im Irak

Aufgrund der Erfolge bei der Bekämpfung des IS ist kurz- bismittelfristig mit der weiteren Rückkehr von zuvor Ausgereistenzu rechnen. Vor allem aus den IS-Gebieten zurückkehrendeKinder und Jugendliche stellen deutsche Behörden bereits jetztvor besondere Herausforderungen, da diese im IS-Gebiet be-reits in jungen Jahren manipulierenden Einflüssen ausgesetztwaren. Viele von ihnen haben zudem konkrete Gewalterfah-rungen wie öffentliche Exekutionen erlebt. In einigen IS-Pro-pagandafilmen führen Kinder zum Teil auch selbst Exekutio-nen durch. Des Weiteren wurden zum Teil paramilitärischeAusbildungscamps besucht. Die „Schulbildung“ hatte eine be-wusste „Jihadisierung“ zum Ziel.

Die individuellen Auswirkungen dieser Erfahrungen auf dieEntwicklung von Kindern und Jugendlichen sind derzeit noch26

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nicht absehbar. Besonders problematisch erscheint die Situati-on, wenn Kinder und Jugendliche auch nach ihrer Einreise bzw.Rückkehr nach Deutschland weiterhin einer jihadistischen So-zialisation ausgesetzt sind.

Den Sicherheitsbehörden liegen aktuell zu mehr als 110 zu-rückgekehrten Personen Erkenntnisse vor, wonach sich dieseaktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfüreine Ausbildung absolviert haben. Bei der Mehrzahl der Rück-kehrer ist dies jedoch nicht der Fall.

In der Praxis ist es häufig schwer zu ermitteln, ob Personen, dieaus den Jihad-Gebieten nach Deutschland zurückkehren, wei-terhin der jihadistischen Ideologie anhängen und sich nach wievor dem Kampf des IS verpflichtet fühlen. Aufgrund ihrer mög-licherweise während des Auslandsaufenthaltes erworbenenKenntnisse und Erfahrungen stellen „Jihad-Rückkehrer“ eingenerelles Risiko für die Sicherheit der BundesrepublikDeutschland und ihrer Interessen im Ausland dar. Zu erkennen,inwiefern von einem Rückkehrer eine konkrete Gefahr ausgehtund welche Maßnahmen zu treffen sind, ist eine der spezifi-

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schen Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Kann „Jihad-Rück-kehrern“ beispielsweise eine mitgliedschaftliche Betätigung ineiner Terrororganisation nachgewiesen werden, werden diesestrafrechtlich belangt. Hierbei spielen auch die beim BfV vorlie-genden Erkenntnisse eine wichtige Rolle.

Für die Zivilgesellschaft stellen Reintegration und gegebenenfallsDeradikalisierung umfassende Herausforderungen dar. Ihre er-folgreiche Umsetzung kann einen wichtigen Beitrag zur Sicher-heit in der Bundesrepublik leisten.

7.2 Anschlagsgefahr

Nach wie vor wird die Bundesrepublik Deutschland von ver-schiedenen international ausgerichteten jihadistischen Organi-sationen als Gegner und potentielles Ziel wahrgenommen. DerIS und andere Terrorgruppen rufen weiterhin zu Anschlägenim Westen auf.

28 Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin 2016.

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Bei der Beurteilung der Gefährdungslage sind für die Sicher-heitsbehörden besonders diejenigen Personen von Relevanz,die bereits in Jihad-Gebiete ausgereist sind. Die Motive für eineRückkehr können vielschichtig sein, von einer Abkehr von derterroristischen Gruppierung bis hin zu konkreten Anschlags-vorhaben in Deutschland. Eine Gefahr geht außerdem von„Selbstradikalisierten“ und von solchen Personen aus, die vomIS inspiriert, beauftragt oder unterstützt werden. Durch die He-rausgabe von Anleitungen und Handbüchern durch terroristi-sche Gruppierungen wird die Umsetzung eines Anschlagsvor-habens für radikalisierte Einzelpersonen oder autonom han-delnde (Kleinst-)Gruppen wesentlich vereinfacht.

Jihadistisch motivierte Attentate werden zunehmend mit leichtzu beschaffenden und einzusetzenden Tatmitteln und insge-samt weniger komplex ausgeführt. Angriffe mit Hieb- undStichwaffen sowie der Einsatz von Fahrzeugen als primäres Tat-mittel haben sich dabei für islamistisch motivierte Einzeltäterin der Vergangenheit bewährt. Neben solchen Anschlägen sindaber auch umfassende, von Organisationen konzipierte An-schlagsvorhaben nicht auszuschließen. Bei der Auswahl poten-zieller Ziele für terroristische Aktivitäten setzen islamistischeGruppierungen auf ein breit gefächertes Spektrum. Symbolhaf-te und sogenannte weiche Anschlagsziele rücken dabei immerweiter in den Vordergrund.

7.3 Migration aus den Krisengebieten

Die Auseinandersetzungen in Syrien und dem Irak führten undführen zu einer verstärkten Einreise von Flüchtlingen nachDeutschland. Eine Herausforderung stellt dabei nicht nur dieEinreise eventuell extremistischer Personen dar, sondern eben-so eine Radikalisierung von Migranten in der Bundesrepublik.

Salafisten in Deutschland wenden sich seit 2015 verstärkt anFlüchtlinge. Sie besuchen zu diesem Zweck Flüchtlingsunter-künfte und bieten Unterstützungsleistungen an, zum Beispiel 29

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Seelsorge oder Essens- und Kleiderspenden. Zielgruppe sindnicht nur erwachsene Flüchtlinge, sondern auch minderjährigeSchutzsuchende, die ohne Begleitung ihrer Eltern nachDeutschland eingereist sind.

Die Verfassungsschutzbehörden beobachten, dass islamistischeGruppierungen im Rahmen ihrer Hilfsleistungen versuchen,für ihre extremistische Agenda zu werben, Flüchtlinge dadurchzu radikalisieren und schließlich zu rekrutieren. Die Anspracheunbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge dürfte in dem Be-wusstsein erfolgen, dass dieser Personenkreis aufgrund des feh-lenden familiären Umfelds und geringer Lebenserfahrung in ei-ner zunächst fremden Gesellschaft positiver auf soziale Kon-takt- und Unterstützungsangebote reagiert als erwachseneMigranten. Ob diese Bestrebungen erfolgreich sein werden,wird maßgeblich davon abhängen, dass es gelingt, Flüchtlingedavon zu überzeugen, dass das Leben in der pluralistischen Ge-sellschaft in Deutschland auch für sie lebenswert ist.

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Ansprechpartner

Bei konkreter, unmittelbarer Gefahr oder konkreten Straftaten

• Polizeinotruf:

110

Für Hinweise auf jihadistische/terroristischeBestrebungen

• Hinweistelefon islamistischer Terrorismusbeim BfV:

02 21/792 33 66 www.verfassungsschutz.de

Für Angehörige und Betroffene

• Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge:

09 11/943 43 43 www.bamf.de

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ImpressumHerausgeberBundesamt für VerfassungsschutzÖffentlichkeitsarbeitMerianstraße 10050765 Kö[email protected].: +49 (0) 221/792-0Fax: +49 (0) 221/792-2915

Gestaltung und DruckBundesamt für VerfassungsschutzPrint- und MedienCenter

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StandMai 2019

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Sie wirdkostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch vonWahlwerbern und Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung ver-wandt werden.

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