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MITTEILUNGEN 2/2011 1 Sehr geehrte Damen und Herren, Säkularisierung, Konfessionalisierung, Modernisierung – zu diesen Begriffen und den mit ihnen verbundenen historischen Großerzählungen pflegt der Münchner Sonderforschungsbereich von jeher ein Verhältnis kriti- scher Reflexion. Insofern trifft es sich gut, dass das vor- liegende letzte Heft unserer Mitteilungen mit einem Beitrag eröffnet wird, der alle drei Entwicklungsnarra- tive aufnimmt, sie aber nicht als einsträngige Verlaufs- muster, sondern als ein komplexes Spiel der Kräfte zur Geltung kommen lässt, bei dem sich teilweise unerwar- tete Analogien und Allianzen ergeben. Ausgangspunkt für Gideon Stienings Überlegungen zu »Francisco de Vitorias Rechtslehre im Kontext« ist die Provokation und sind die Legitimationsdefizite, die von Machiavellis säkularer Herrschaftspragmatik erzeugt wurden. Dass es jenseits der Staatsräson weder Ziel noch Grund gesetz- licher Ordnung geben soll, ist eine für christliche Rechtsdenker beider Konfessionen nicht hinnehmbare Position, auf die sie mit verstärkter Bemühung um eine theologisch fundierte Legitimation von objektiver Gel- tung und subjektiver Verbindlichkeit des Rechts reagie- ren. Der nähere Vergleich zwischen de Vitoria, dem katholischen Rechtsgelehrten aus Salamanca, und dem Wittenberger Reformator Melanchthon lässt weniger die konfessionellen Gräben als vielmehr den gemein- samen Rekurs auf die ›voluntaristische Wende‹ des Spätmittelalters erkennen, wobei de Vitoria diese, anders als Melanchthon, mit einem Rationalismus tho- mistischer Prägung zu vermitteln sucht. Unter dem ge- nauen Blick auf dieses komplexe Geflecht von Paral- lelen und Differenzen relativiert sich schließlich auch die häufig postulierte ›Modernität‹ des Melanchthon- schen Gewissenskonzepts. Exemplarisch zeigt Stienings Beitrag: Nicht im teleologischen Vorgriff auf Späteres werden zentrale Fragestellungen der Frühen Neuzeit verstehbar, sondern im Kontext zeitgenössischer Auto- ritätskonflikte und Geltungskonkurrenzen. Mit dem von Jack Cade angeführten Aufstand im zweiten Teil von Heinrich VI. greift Isabel Karremann eine der seltenen Episoden in Shakespeares Königsdra- men auf, in denen das Volk, nicht verfeindete Adelspar- teien, als politischer Akteur auftritt. Während bislang meist erörtert wurde, ob die Darstellung der Rebellion eine Parteinahme für oder gegen die Aufständischen nahelegt, nutzt Karremann sie als Zugang zu einer früh- neuzeitlichen Auseinandersetzung um Schrift und Mündlichkeit als Konkurrenzmedien historischer Er- innerung. Cades Rebellion könnte mit ihrer Funda- GRUSSWORT

Mitteilungen 2-2011 final - sfb-frueheneuzeit.uni … · mnemonic anxieties zum Ausdruck bringt, die mit der ... »Non est potestas nisi a Deo«. Franciso de Vitorias Rechtslehre

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    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Skularisierung, Konfessionalisierung, Modernisierung zu diesen Begriffen und den mit ihnen verbundenenhistorischen Groerzhlungen pflegt der MnchnerSonderforschungsbereich von jeher ein Verhltnis kriti-scher Reflexion. Insofern trifft es sich gut, dass das vor-liegende letzte Heft unserer Mitteilungen mit einemBeitrag erffnet wird, der alle drei Entwicklungsnarra-tive aufnimmt, sie aber nicht als einstrngige Verlaufs-muster, sondern als ein komplexes Spiel der Krfte zurGeltung kommen lsst, bei dem sich teilweise unerwar-tete Analogien und Allianzen ergeben. Ausgangspunktfr Gideon Stienings berlegungen zu Francisco deVitorias Rechtslehre im Kontext ist die Provokationund sind die Legitimationsdefizite, die von Machiavellisskularer Herrschaftspragmatik erzeugt wurden. Dass esjenseits der Staatsrson weder Ziel noch Grund gesetz-licher Ordnung geben soll, ist eine fr christlicheRechtsdenker beider Konfessionen nicht hinnehmbarePosition, auf die sie mit verstrkter Bemhung um einetheologisch fundierte Legitimation von objektiver Gel-tung und subjektiver Verbindlichkeit des Rechts reagie-ren. Der nhere Vergleich zwischen de Vitoria, demkatholischen Rechtsgelehrten aus Salamanca, und demWittenberger Reformator Melanchthon lsst wenigerdie konfessionellen Grben als vielmehr den gemein-samen Rekurs auf die voluntaristische Wende desSptmittelalters erkennen, wobei de Vitoria diese,anders als Melanchthon, mit einem Rationalismus tho-mistischer Prgung zu vermitteln sucht. Unter dem ge-nauen Blick auf dieses komplexe Geflecht von Paral-lelen und Differenzen relativiert sich schlielich auchdie hufig postulierte Modernitt des Melanchthon-schen Gewissenskonzepts. Exemplarisch zeigt StieningsBeitrag: Nicht im teleologischen Vorgriff auf Sptereswerden zentrale Fragestellungen der Frhen Neuzeitverstehbar, sondern im Kontext zeitgenssischer Auto-rittskonflikte und Geltungskonkurrenzen.

    Mit dem von Jack Cade angefhrten Aufstand imzweiten Teil von Heinrich VI. greift Isabel Karremanneine der seltenen Episoden in Shakespeares Knigsdra-men auf, in denen das Volk, nicht verfeindete Adelspar-teien, als politischer Akteur auftritt. Whrend bislangmeist errtert wurde, ob die Darstellung der Rebellioneine Parteinahme fr oder gegen die Aufstndischennahelegt, nutzt Karremann sie als Zugang zu einer frh-neuzeitlichen Auseinandersetzung um Schrift undMndlichkeit als Konkurrenzmedien historischer Er-innerung. Cades Rebellion knnte mit ihrer Funda-

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    mentalablehnung jeglicher Schriftkultur, in welcherausschlielich ein Unterdrckungsinstrument der Herr-schenden gesehen wird, als Besttigung ex negativo jenesLobpreises der Schrift gedeutet werden, mit demEdward Halls Chronik, eine Hauptquelle von Shake-speares Geschichtsdramen, die ordnungsstiftende Kraftder Historiographie gegen das bestialische Vergessenins Feld fhrt. Doch das Drama widersetzt sich einereindeutigen binren Wertopposition zwischen Mnd-lichkeit und Schriftlichkeit auch der platonischen,welche die Oralitt favorisiert , indem es die Komple-mentaritt der beiden Modi, vor allem aber jenemnemonic anxieties zum Ausdruck bringt, die mit derUnterdrckung oraler Erinnerungskulturen im Zugeder print revolution einhergehen. Die als perfektes Spei-chermedium gepriesene gedruckte Schrift produziertihre eigenen Verdrngungsprozesse, kann nicht alleindem Geschichtsgedchtnis, sondern auch dem Ge-schichtsvergessen dienstbar gemacht werden.

    There is nothing either good or bad, but thinkingmakes it so. (Hamlet 2.2) Um 1600, als Shakespearedem nachdenklichen Prinzen von Dnemark diesenKernsatz pyrrhonischen Denkens in den Mund legt, istdie Philosophie der Skeptiker zum Gemeingut der euro-pischen Renaissance geworden. Christian Kaiser gehtin seinem Beitrag auf die Anfnge der Skeptiker-Rezep-tion im 15. und frhen 16. Jahrhundert zurck undpldiert fr eine Korrektur der bislang vorherrschendenSichtweise, die nahezu ausschlielich auf Sextus Empi-ricus gerichtet war, Pyrrhon von Elis hingegen, denBegrnder der skeptischen Philosophie, weitgehendvernachlssigt hat. Wie Kaiser zeigt, hat aber geradePyrrhon das Bild, das die Renaissance sich vom Skepti-ker machte, entscheidend geprgt und dies vor allemdurch die biographischen Anekdoten, die ber Dio-genes Laertios (bzw. seinen lateinischen bersetzer Tra-versari) und Lukian in Umlauf kamen. Diese liefernExempel zum einen fr die lcherliche Lebensuntch-tigkeit eines Philosophen, der jedwede Erkenntnis-sicherheit leugnet, zum andern aber auch fr eine ausebendieser Haltung gewonnene Seelenruhe, die dem aufstrmischer Seefahrt unerschtterlich bleibenden Skep-tiker auf einem Gemlde aus dem Kloster Ottobeureneine erstaunliche Vorbildrolle zuwachsen lsst. Diehnlichkeit mit Jesus Ruhe im Sturm auf dem SeeGenezareth ist unbersehbar. Fr christliches Ver-stndnis, so argumentiert Kaiser, hat Pyrrhon gegen-ber den dogmatischen Philosophen der Antike immer-hin den Vorteil, sich aus dem Schulenstreit um Gtterund wahre Glckseligkeit herausgehalten zu haben. Sowird er zum Einugigen unter den Blinden.

    Im vierten Beitrag des Hefts stellt Eva Stoll dieNeuedition einer spanischen Soldatenchronik vor, dieim Rahmen des Teilprojektes B 5 Neue und Alte Welt Wissenstraditionen in der Christianisierung Ame-rikas durchgefhrt wurde und in Krze erscheinenwird. Zwar, so Stoll, wird man dem Autor Alonso

    Borregn, einem eher unbedeutenden conquistador derzweiten Welle, kaum den Ehrentitel des ersten Chro-nisten Perus zubilligen wollen dafr weist sein Textzu viele Mngel auf , doch von wissenschaftlichem In-teresse ist sein Werk allemal, nicht nur als historischeQuelle fr die freilich oftmals unklar berichtetenEreignisse, sondern auch und gerade als Sprach-dokument, als der Versuch eines fr seine schriftstelleri-sche Aufgabe nur bedingt kompetenten Autors, den li-terarischen Ansprchen des ambitionierten Formatseiner Crnica zu gengen. Dieser Versuch schlgt indurchaus interessanter Weise immer wieder fehl, etwadann, wenn Borregn die Diskurskonventionen vonChronik und Bittschrift vermengt, wenn ihm die Koh-renz der Erzhlung entgleitet oder auch besonders auf-schlussreich , wenn seine Schrift Anzeichen konzep-tioneller Mndlichkeit erkennen lsst. Die Neueditionbietet weiteren Forschungen eine verlssliche Grund-lage.

    Beschlossen wird das Heft von diesmal dreiBerichten ber Tagungen und Workshops, die im ver-gangenen Jahr von Mitgliedern des SFBs veranstaltetwurden.

    Zum letzten Mal von dieser Stelle wnscht Ihnen eineanregende Lektre!

    Prof. Dr. Andreas HfeleDepartment fr Anglistik und AmerikanistikLudwig-Maximilians-Universitt Mnchen

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    IMPRESSUM

    ISSN 1860-6717

    Die Verwendung der Forschungsbeitrge in den Medien ist frei.Wir bitten jedoch um die Angabe der Quelle und um Zusendungvon zwei Belegexemplaren.

    HerausgeberSonderforschungsbereich 573 Pluralisierung und Autoritt in der Frhen Neuzeit an der Ludwig-Maximilians-Universitt (LMU) MnchenSprecher: Prof. Dr. Andreas Hfele

    Online-Version der Mitteilungenhttp://www.sfb-frueheneuzeit.uni-muenchen.de/mitteilungen

    Konzept und RedaktionMartina Heger M.A.Sonderforschungsbereich 573ffentlichkeitsarbeitLudwigstrae 25D-80539 MnchenTelefon: +49 (0)89 2180-3551Fax: +49 (0)89 [email protected]: Lisa Carl

    Wissenschaftlicher BeiratProf. Dr. Andreas HfeleProf. Dr. Claudia MrtlProf. Dr. Friedrich VollhardtDr. Isabel Karremann

    Gestaltung, Layout und DistributionMartina Heger

    Umschlaggestaltungaditive Medienagentur Mnchenmarlene kern graphik design mnchen

    DruckAZ Druck und DatentechnikHeisinger Strae 16D-87437 Kempten (Allgu)

    ErscheinungsortMnchen

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    Gruwort

    Impressum

    Sonderforschungsbereich 573 Pluralisierung und Autoritt in der Frhen Neuzeit ....................................................5

    Der SFB auf einen Blick Strukturbersicht ................................................................................................................6

    TEXTBEITRGE

    Non est potestas nisi a Deo. Franciso de Vitorias Rechtslehre im KontextGideon Stiening ..........................................................................................................................................................7

    Memory by litterature? The mnemonic anxieties of early modern historiographyIsabel Karremann ......................................................................................................................................................17

    Der lateinische Diogenes Laertios und die tragikomische Wiederkehr des Skeptikers Pyrrhon in der Frhen NeuzeitChristian Kaiser ........................................................................................................................................................26

    Alonso Borregn: La Conquista del Per Eva Stoll ...................................................................................................................................................................36

    VERANSTALTUNGEN

    Rckschau .............................................................................................................................................................. .42Vorschau ................................................................................................................................................................ .43

    KURZE NACHRICHTEN

    Personalia ................................................................................................................................................................43

    TAGUNGSBERICHTE

    Forgetting Faith? Negotiating Confessional Conflict in Early Modern EuropeInhalte und Ergebnisse einer internationalen Konferenz, Juli 2010 ...............................................................................44

    The Uses of the Theatrum Mundi Metaphor in Seventeenth-Century Englandber einen Workshop des Teilprojekts C 10, November 2010 .......................................................................................47

    Gelehrtenkultur an der Hohen Schule zu Altdorf: Heterodoxie, Politik, WissenschaftErgebnisse eines Arbeitsgesprchs des Teilprojekts B 7, Mai 2011 ..................................................................................50

    Neueste Publikationen des SFB 573 .........................................................................................................................52Publikationsreihe P & A ...........................................................................................................................................55

    INHALTSVERZEICHNIS

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    Der SFB untersucht Konstitutionsbedingungen undBasisstrukturen der Frhen Neuzeit. Die Kulturwissen-schaften erkennen die Frhe Neuzeit zunehmend alsEpoche, die einerseits noch von den Traditionsvor-gaben des Mittelalters abhngig ist, andererseits aber dieVoraussetzungen fr den bergang Alteuropas zurModerne schafft. Der SFB bndelt entsprechende lite-ratur- und sprachwissenschaftliche, historische, philo-sophische, kunst-, musik- und rechtsgeschichtliche For-schungen unter den Leitbegriffen Pluralisierung undAutoritt. Pluralisierung meint zunchst die Vermeh-rung der in einem Lebens- oder Kulturbereich bekann-ten und relevanten Reprsentationen der Wirklichkeitund bedeutet darber hinaus die Emergenz von neuembzw. alternativem Wissen und das Entstehen konkur-rierender Teilwirklichkeiten. Diese mssen aufeinanderabgestimmt werden; es entstehen Formen des Dialogs,der, ber die Grenzen der Teilwelten hinweg, Un-terscheidungen, Vergleiche und bersetzungen vor-nimmt. Die Felder dieser Dynamik sind bekannt: Kon-fessionalisierung, Ausdifferenzierung von Wissen, Ent-deckung neuer Kontinente, Ausbildung neuer Mustersozialen Verhaltens usw.

    Dabei ist davon auszugehen, dass Pluralitt nochnicht Pluralisierung bedeutet, die sich erst in einem lan-gen, widerspruchsvollen Prozess einspielt. Wahrheits-ansprche werden nicht lediglich demonopolisiert, son-dern auf neue Instanzen und Geltungsbereiche verscho-ben. Hier fordert der Begriff der Pluralisierung denkomplementren der Autoritt. Autoritt meint unter-schiedliche Formen von Normierungsansprchen. Dar-unter fallen Instanzen politischer und religiser Macht,die ihre Setzungen zu exekutieren vermgen, ebenso wieProzesse der Kanonisierung sowie all jene informellenGeltungsansprche, die schon dem lateinischen Begriffauctoritas innewohnen. Autoritt fungiert als Geltungs-macht, die Entscheidungen herbeifhrt und legitimiert.Sie ist nicht nur Gegenhalt zu Prozessen der Plurali-sierung, sondern sie kann Widerspruch hervortreibenund so neue Freiheitsrume erffnen.

    Das Verhltnis von Pluralisierung und Autoritt istalso keineswegs deckungsgleich mit dem von Innova-tion und Beharrung. Die dynamischen Momente der

    Pluralisierung stehen der Statik vorgegebener Autorit-ten nicht einfach antithetisch gegenber, vielmehr sindbeide in vielfltiger Weise miteinander verflochten. Imkonflikthaften Wechselspiel von Pluralisierung und Au-toritt gilt das besondere Interesse des SFB in seinergegenwrtigen, dritten Projektphase insbesondere denjeweils ausgehandelten Auflsungen dieser Spannung.Nachdem im ersten Frderabschnitt das Konzept einerprozessual sich herausbildenden Autoritt, in der zwei-ten Frderphase der Pol der Pluralisierung unter denLeitbegriffen Disparitt und Dissens im Mittelpunktstand, werden nun verstrkt Formen des Sich-Arrangie-rens mit konflikthaltigen Strukturen und Situationen,Formen der Entschrfung, des Ausklammerns oder derVergleichgltigung in den Blick genommen.

    Der hohe Abstraktionsgrad der Leitbegriffe erlaubtes, fr gewhnlich disziplinr isolierte Prozesse in Lite-ratur, Wissenschaft, Kunst, Gesellschaft, Recht in ein-heitlicher Perspektive zu betrachten, dabei aber ihreUngleichzeitigkeiten und Brche untereinander ange-messen zu bercksichtigen. Der zeitliche Rahmen istbewusst weit gespannt, so dass Phnomene des Spt-mittelalters ebenso ins Auge gefasst werden knnen wiesolche der Sattelzeit um 1750. Nur ein historisch soweiter Ansatz kann die regionalen und disziplinenspezi-fischen Verschiebungen und Verwerfungen zwischenden anvisierten Prozessen erfassen.

    Die Teilprojekte des SFB ordnen sich drei Gruppenzu: Der erste Projektbereich A. Ambivalenzen gelehr-ter Diskurse befasst sich mit Theoriediskussionenfrhneuzeitlicher Gelehrtenkultur. Der zweite B. Ord-nungen des Wissens fchert die Untersuchungsper-spektive weiter auf, indem er den Aspekt der Kartierungund medialen Vermittlung von Wissensbestnden allerArt betrachtet. Der dritte C. Pragmatisierung von Au-toritt untersucht, wie autoritative Setzungen instru-mentalisiert oder unterlaufen, und wie Handlungsnor-men an lebensweltliche Bedrfnisse angepasst werden.In allen drei Bereichen sind die einzelnen Forschungs-projekte so angelegt, dass sie auf der einen Seite den An-forderungen disziplinrer Ausdifferenzierung modernerKulturwissenschaften gengen, auf der anderen SeiteAnschlussstellen fr die berlegungen auf benachbartenFeldern bieten.

    SONDERFORSCHUNGSBEREICH 573 PLURALISIERUNG UND AUTORITT IN DER FRHEN NEUZEIT

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    A. AMBIVALENZEN GELEHRTER DISKURSEA 3 Auctoritas und imitatio veterum Jan-Dirk Mller

    Henrike SchaffertGERMANISTIK

    A 8 Sprachenpluralitt im England der Frhen Neuzeit: bersetzung und literarische Kultur im elisabethanischen Zeitalter

    Andreas HfeleSusanne BayerlippIris Oberth

    ANGLISTIK

    A 10 Systematisierung und Flexibilisierung des Rechts. Die Rechtslehre der spanischen Sptscholastik im Spannungsfeld zwischen systematischem Anspruch und praktischer Wirksamkeit

    Norbert Brieskorn Gideon Stiening

    RECHTSPHILOSOPHIE

    A 11 Humanistische Theorie der Musik im Wissenssystem ihrer Zeit: Pluralisierung eines Kunstdiskurses

    Inga Mai GrooteBernhard Klbl

    MUSIKWISSENSCHAFT

    A 12 Diogenes Laertius latinus zwischen ca. 1416 und 1533 Thomas RicklinManuela Kahle Christian Kaiser

    PHILOSOPHIE

    Kooperationsprojekt Im Windschatten Petrarcas. Fixierung und Sprengung von Autoritt in der italienischen Lyrik der Frhen Neuzeit

    Bernhard Huss ITALIANISTIK

    Kooperationsprojekt Hermeneutik und Methode: Zwischen Logik und Philologie

    Denis Thouard PHILOSOPHIE

    Kooperationsprojekt Pluralisierung im Individuum. Spthumanistische Liber-tinage als Reaktion auf den frhneuzeitlichen Ordnungsverlust (16001700)

    Martin Mulsow PHILOSOPHIE

    Kooperationsprojekt Die zweite Sophistik in ihrer frhneuzeitlichen Wirkung

    Ralph Hfner GERMANISTIK

    B. ORDNUNGEN DES WISSENSB 1 Schaupltze des Wissens in der frhneuzeitlichen Expansion Arndt Brendecke

    Susanne FriedrichGESCHICHTE

    B 2 Formen und Funktionen des Bildes in der Frhen Neuzeit novit: Verwandlung des Alten Hervorbringung des Neuen

    Frank BttnerUlrich PfistererSemjon DreilingMaurice Sa

    KUNSTGESCHICHTE

    B 5 Neue und Alte Welt Wissenstraditionen in der Christianisierung Amerikas Wulf OesterreicherClaudia BockUlrike Kolbinger

    ROMANISTIK

    B 6 Autoritt des Nichtigen: Wissensformen und Geltungsansprche niederen Erzhlens im 15. bis 17. Jahrhundert

    Peter StrohschneiderMichael Waltenberger

    GERMANISTIK

    B 7 Gelehrtenkultur und religise Pluralisierung: Praktizierte Toleranz im Umgang mit heterodoxen Positionen um 1600

    Friedrich Vollhardt Martin Schmeisser

    GERMANISTIK

    Kooperationsprojekt Wissen ber das Judentum in der politischen ffentlichkeit des Alten Reiches 16001800

    Stefan Ehrenpreis GESCHICHTE

    Kooperationsprojekt Paratexte im Spannungsfeld von Pluralisierung und Autoritt

    Herfried Vgel GERMANISTIK

    C. PRAGMATISIERUNG DER AUTORITTC 10 Saints and Sinners: Theater und Puritanismus in England 16251700 Andreas Hfele

    Bjrn QuiringFreya Sierhuis

    ANGLISTIK

    C 11 Autoritt und politische Kontingenz an der Kurie des 15. Jahrhunderts Claudia Mrtl Duane Henderson

    GESCHICHTE

    C 14 Oblivio: Zur Semiotik und Pragmatik des Vergessens in England um 1600 Tobias DringIsabel Karremann

    ANGLISTIK

    C 15 Pluralitt und Autorisierung: Mehrsprachigkeit im Knigreich Neapel (16. und 17. Jahrhundert)

    Thomas KrefeldWulf OesterreicherVerena Schwgerl-M.Thomas Hiltensperger

    ROMANISTIK

    C 16 Verlegerische Strategie und humanistische Gelehrsamkeit: Vorsokratiker-Fragmente im spten 16. Jahrhundert

    Oliver PrimavesiPatrizia Marzillo

    GRZISTIK

    Kooperationsprojekt Risikozhmung in der Vormoderne Cornel Zwierlein GESCHICHTEKooperationsprojekt Pragmatisierung des kanonischen Rechts bei der Kolonisation Amerikas

    Thomas Duve RECHTSGESCHICHTE

    DER SFB AUF EINEN BLICK

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    Non est potestas nisi a DeoFranciso de Vitorias Rechtslehre im Kontext

    GIDEON STIENING

    Gideon Stiening ist Mitarbeiter des Teilprojekts A 10 Sys-tematisierung und Flexibilisierung des Rechts. Die Rechts-lehre der spanischen Sptscholastik im Spannungsfeld zwi-schen systematischem Anspruch und praktischer Wirk-samkeit, welches die rechtsphilosophischen Konzeptionen,die im Iberischen Raum zwischen 1500 und 1640 ent-standen, im europischen Kontext untersucht.

    Der auerordentliche Skularisierungsdruck, der durchdie moralische und theologische Indifferenz der ma-chiavellistischen Theorie des Staates und der politischenHerrschaft ausgelst wurde, kann kaum berschtztwerden. Seine prudentielle Staatsrsonlehre,1 die in derSorge um eine mglichst umfassende Stabilitt undBefriedung des staatlichen Gemeinwesens durch denHerrscher ihr Telos hatte, schuf im Feld der Politik ei-ne grundlegend neue Welt der Profanitt.2 DiesenTendenzen suchten die philosophischen und theologi-schen Wissenschaften des 16. Jahrhunderts mit wten-den, lang anhaltenden und durchaus erfolgreichen Re-sakralisierungen zu entgegnen. Machiavelli bewies, dassdie politische Theorie eines der bedeutendsten Kampf-felder dieser Kontroverse ausmachte. Ob die Konfessio-nalisierung der europischen Religion dabei Motor derResakralisierung oder der Skularisierung war, ist wiebekannt hchst umstritten.3

    Sicher dagegen ist, dass die rein pragmatische Re-gierungslehre Niccol Machiavellis begrndungs- undlegitimationstheoretische Leerstellen zurcklie, die esim Zeitalter sich entwickelnder absolutistischer Staaten-gebilde und ihres Zuwachses an zentralisierter Autorittsowie der diesen Prozess befrdernden konfessionellenPluralisierung zu fllen galt: Was garantierte die objek-tive Geltung von juridischen und moralischen Normen,was ihre subjektive Verbindlichkeit? Hatte wie HansBlumenberg nachwies4 der Plural seiner konfes-sionellen Ausprgungen dem absoluten Anspruch desChristentums in seiner politisch fassbaren Realittdeutlich Abbruch getan und somit Tendenzen einer

    Trennung zwischen Religion und Staat befrdert, soverschrfte sich innerhalb der Konfessionen die theo-nome Legitimation staatlicher Ordnung, und zwar so-wohl in der Theorie als auch in der Praxis.5 Dem Herr-schaftspragmatismus Machiavellis antworteten sowohlder Protestantismus als auch die Gegenreformation mitgediegener Legitimationstheorie.

    Zwei bedeutende Erscheinungen dieser innertheo-logischen Reaktionen auf das Erodieren des theologi-schen Absolutismus des Sptmittelalters im Feld der po-litischen Theorie bilden die Rechtslehren Philipp Me-lanchthons und Francisco de Vitorias. Diese politischenTheorien sollen im Folgenden betrachtet werden.

    1. Zum Verhltnis von Theologie und Philosophie

    Alle Versuche, die philosophischen Positionen Vitoriasoder Melanchthons zu rekonstruieren, haben zu berck-sichtigen, dass sowohl der Rechtstheoretiker Vitoria alsauch der Rechtslehrer Melanchthon in ihrem diszipli-nren und systematischen Selbstverstndnis zeitlebens alsTheologen argumentierten.6 Das gilt cum grano salis auch fr alle anderen Wissens- und Reflexionsbereiche,in denen sich beide Wissenschaftler realisierten. Dietheologische Fundierung ihres Denkens und Handelnsist aus keinem ihrer Axiome, keiner ihrer Demonstra-tionen oder Erluterungen wegzudenken. Ihr Umgangmit der Philosophie ist und bleibt bei allen werkge-schichtlichen Modifikationen insbesondere des Wit-tenbergers insofern ein funktionaler, als er im Hinblicktheologischer Problem- und Interessenlagen erfolgt.

    Francisco de Vitoria hlt schon zu Beginn seinerRelectio De potestate civili7 in Bezug auf dieses Selbstver-stndnis und die disziplinre Kontur des nachfolgendenTextes unmissverstndlich fest:

    Officium ac mundus theologi tam late patet, ut nul-lum argumentum, nulla disputatio, nullus locusalienus videatur a theologica professione et institu-to. [] Est autem theologia omnium disciplinarumstudiorumque orbis prima, quam Graeci theologanvocant.8

    In diesem Sinne ist fr Vitoria im Hinblick auf den ar-gumentationslogischen Status und den systematischenGehalt des jeweils an den Beginn der Relectiones ge-stellten und in der Folge zu kommentierenden Bibelzi-tats das Primat der Theologie schlicht vorausgesetzt.Wenn der Salmantiner Theologe als locus relegendus derRelectio De potestate civili angibt:

    1. Zur Auswirkung dieser staatsrsonablen Perspektive auf Staats-zwecke bis weit ins 17. Jahrhundert vgl. Stolleis 1990.

    2. So Flasch 1986, 575.3. Vgl. hierzu Stolleis 1997.4. Vgl. Blumenberg 21988, 100.

    5. Vgl. hierzu Schorn-Schtte 2004.6. Zum grundlegend theologischen Selbstverstndnis der Rechts-

    lehre der Schule von Salamanca: Seelmann 1997; zur substan-ziell theologischen Fundierung des Naturrechts bei Melanch-thon vgl. Frank 1995, 140 ff.

    7. Zum Entstehungshintergrund und der Chronologie derRelectiones vgl. Horst 1995, 34 ff.

    8. Vitoria 1995a, 116.

    TEXTBEITRGE AUS DER ARBEIT DER TEILPROJEKTE

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    Non est potestas nisi a Deo(Rm 13,1),1

    dann steht der nachfolgende Textunter der Voraussetzung, den un-bezweifelbaren Gehalt dieses Zi-tats aus dem Rmerbrief auszule-gen, d.h. in seiner Wahrheit alsPrmisse zu setzen und als Beweiszu rekonstruieren. Dafr ist aller-dings im Unterschied zum Vo-luntaristen Melanchthon beiVitoria stets als thomistische Vor-aussetzung gedacht,2 dass dieseAuslegung mit den Mitteln derVernunft wenn nicht voll-stndig, so doch weitgehend er-folgen kann. Nun handelt dieRelectio De potestate civili in ih-rem systematischen Zentrum vonder Potestas, die vom und im po-litischen Gemeinwesen ausgebtwird. Durch die Verknpfung die-ses Themas mit dem Gehalt desauszulegenden Zitats aus Rm 13,1 macht Vitoriaschon zu Beginn der Vorlesungen kenntlich, dass ernicht nur einen rhetorischen Bezug zur Heiligen Schriftherstellt, sondern mithilfe der paulinischen Festlegungeine theonome Fundierung jedes funktionierendenGemeinwesens als Grund und Zweck der nachfol-genden Errterungen beabsichtigt. Damit ist wieNorbert Brieskorn zu Recht hervorhebt3 keineswegsein theokratisches Staatsmodell intendiert, weil in derFolge zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaftstreng geschieden wird. Wohl aber wird ersichtlich, dassalle auch und gerade die skularen Formen der po-litischen Gewalt ihre vis aus der Gottesinstanz und nuraus dieser beziehen. Es sind die theologischen und philo-sophischen Prmissen, Axiome und Demonstrationen,die Vitorias Ausfhrungen ber das Wesen des politi-schen Gemeinwesens zu einem Moment der Theologiewerden lassen.4

    Melanchthon, der sich ebenfalls ausfhrlich mitRm 13,1 befasste,5 hat gleichwohl das Verhltnis vonTheologie und Philosophie allgemeiner und somit auchmethodisch und systematisch prziser gefasst. Unber-sehbar steht diese Notwendigkeit ausfhrlicher Reflexi-onen auf das Verhltnis von Theologie und Philoso-phie, Glaube und Vernunft im Zusammenhang zumhchst ambivalenten Verhltnis der frhen Reforma-tion zur Vernunft und den Wissenschaften berhaupt.

    Dennoch gewinnt Melanchthonsptestens in De philosophia oratio(1536) eine klare Einsicht in dieKontur dieser Problemlage undihre Lsungen. Ausdrcklich hlter zunchst fest, dass seine ber-legungen dem Nutzen des Staats-wesens wie auch dem Heil seinerZuhrer dienten und dies deshalb,weil die Wissenschaft der Philo-sophie dabei helfen knne, eineungebildete Theologie, die eineIlias der bel produziere, zu ver-hindern.6 Dies leiste sie genaudann, wenn sie als Methodologie,Rhetorik, Dialektik, aber auch alsAnthropologie und Ethik ver-standen werde. Sie knne Be-griffe klren, methodisches Den-ken lehren und Kategorien derSystembildungen begrndet er-mglichen; dennoch sei darauf zuachten, den Status der philosophiaals ancilla theologiae nicht zuverkennen:

    Nec ego ignoro aliud doctrinae genus esse Philo-sophiam, aliud Theologiam. Nec ego illa ita miscerivolo, ut confundit multa iura coquus, sed adiuvariTheologum volo in oeconomia methodi. Multaetiam mutare eum ex Philosophia necesse erit.7

    Um eine Vermischung beider Reflexionsformen undDisziplinen zu verhindern, sucht Melanchthon nacheiner przisen Grenzziehung fr die Kompetenzen derPhilosophie. In den Scholia in Epistulam Pauli ad Colos-senses findet er bei aller Verteidigung der Philosophiegegen die Trumer und Weisheitsverchter deutlicheArgumente fr die Grenzen der Anwendbarkeit philo-sophischer Reflexion:

    Quando autem ratio seu philosophia de Dei volun-tate iudicat, tum fere errat. [] Illa itaque naturahominis potest de voluntate Dei affirmare, quaetantum discitur ex verbo Dei, sicut Esaias ait: Adlegem et ad testimonium, qui non dixerit secundumverbum hoc, non erit eis matutina lux.8

    Kommt der Philosophie fr Melanchthon in bestimm-ten Fragen die Rolle zu, der Theologie durch Argu-mentationslogik, Methodik und Beredsamkeit ntzlichzu sein, so stt sie in ebendieser ihrer theologischenFunktion dort an Grenzen, wo wie bei den genuintheologischen Problemlagen des Gotteswillens, derRechtfertigung oder der Sndenbehandlung aus-schlielich theologische Kategorien wirksam werden1. Vitoria 1995a, 114.

    2. Zur ebenso konzeptionell prgenden wie eigenstndigen Tho-mas-Rezeption Vitorias vgl. jetzt: Spindler (im Druck).

    3. Vgl. hierzu Brieskorn 2008.4. Siehe hierzu auch die exzellente Studie von Schnepf 2007.5. Vgl. hierzu u.a. Melanchthon 1993, 134 ff.

    6. CR XI, 280.7. Ebd., 282.8. CR IV, 230243.

    Abbildung 1Daniel Vzquez Daz: Francisco de Vitoria, l auf Leinwand, 1957,

    Smithsonian American Art Museum, Washington.

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    knnen und drfen. Bleiben diese Grenzen jedoch ge-wahrt, so kann vor allem die Naturrechtslehre []innerhalb der Theologie des spten Melanchthon dieAchse fr eine theologische Anthropologie und fr einetheologische Ethik abgeben und damit zugleich die ra-tionale Komponente seiner Glaubenslehre ausprgen.1

    Fr beide Theologen gilt dabei, dass ihnen insbe-sondere Fragen nach dem politischen Gemeinwesen alsFormen eines philosophischen Selbstvollzugs der Theo-logie galten. Nicht zufllig findet Melanchthons Lehrevon den Gesetzen ihren Ort in den Loci communes theo-logiae, und auch Vitoria beansprucht, die Lsung derIndianer-Frage allein in der Theologie erbringen zuknnen, u.a. weil sie nicht nur reflektierenden, sonderndemonstrativen Charakter habe:

    Non enim semper disputationes theologicae sunt ingenere deliberativo, sed pleraeque in genere demon-strativo, id est non ad consultandum, sed ad docen-dum susceptae.2

    Hier zeigt sich ein wesentlicher Grund fr die Annahmeder eminenten Zustndigkeit der Theologie in politi-schen Fragen: Anders nmlich als fr die Philosophiesowie fr die Einzelwissenschaften prgend und vorallem fr ihre Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundertkonstitutiv, ist fr die Theologie der Theorie-Praxis-Hiatus sowohl innertheoretisch als auch in Bezug aufdas Verhltnis der theologischen Wissenschaften zurempirischen Praxis je schon berwunden. Sie stehtjenseits der Alternative zwischen theoretischer und prak-tischer Vernunft und sie ist sowohl strenge Wissen-schaft als auch handlungsanleitende Klugheitslehre. ZurKonstitution und Aufrechterhaltung dieses Status kannnach Vitoria und Melanchthon die Philosophie durch-aus wertvolle Dienste leisten.

    Die konfessionsbergreifende Analogie im Verhlt-nis von Philosophie und Theologie bei Melanchthonund Vitoria lsst sich noch anschaulicher dokumentie-ren, wirft man einen Blick auf Niccol MachiavellisWissenschaftstheorie seiner Politik. Diese begreift sichnmlich explizit als skulare Klugheitslehre, deren Aus-richtung am Allgemeinwohl3 sich jeder normativenKomponente entschlgt, um herauszufinden, wie dasLeben ist, nicht wie es sein sollte.4 Dieser vorausset-zungslose Empirismus5 der Staatsfhrungslehre kommtweitgehend ohne normative Dimensionen aus und da-mit auch ohne begrndungstheoretischen Bezug zurPhilosophie oder zur Theologie. Einzig der Faktor derStabilitt des Gemeinwesens durch die bedingungsloseAufrechterhaltung von Ordnung und Frieden scheint ei-ne normative Komponente der politischen Argumenta-

    tion Machiavellis auszuprgen; hinsichtlich der erforder-lichen Indifferenz des Frsten gegenber einem Imageder Grausamkeit hlt der Florentiner nmlich fest:

    [D]ico che ciascuno principe debbe desiderare di es-sere tenuto pietoso e non crudele: nondimanco deb-be avvertire di non usare male questa piet. Era te-nuto Cesare Borgia crudelei: nondimanco quella suacrudelt aveva racconcia la Romagna, unitola, ridot-tola in pace e in fede. Il che se si considerr bene, sivedr quello essere stato molto pi pietoso che il po-pulo fiorentino, il quale, per fuggire el nome delcrudele, lasci destruggere Pistoia.6

    Ordnung, Frieden und Einigkeit der Untertanen stabilittsgarantierende Faktoren sucht Machiavellimithin dem Frsten als Telos seines politischen Han-delns aufzuerlegen. Gegenber diesen Staatszweckensind aber die Fragen der Moral und der Religion soweitindifferent, dass sie gar als Instrumente jener politischenStabilitt eingesetzt werden knnen. In den Discorsistellt Machiavelli daher ausdrcklich fest:

    E veramente, mai fu alcuno ordinatore di leggi stra-ordinarie in uno popolo che non ricorresse a Dio;perch altrimente non sarebbero accettate: perchsono molti i beni conosciuti da uno prudente, i qua-li non hanno in s ragioni evidenti da poterli per-suadere a altrui. Per gli uomini savi, che voglionotrre questa difficult, ricorrono a Dio.7

    1532 erstmals publiziert und damit zeitlich parallel zuMelanchthons und Vitorias Bemhungen um allgemeineBegrndungs- und Geltungstheorien ihrer Naturrechts-lehren markiert die streng profane Staatsraisonlehre des IlPrincipe den uersten Widerpart zu den theonomenRechts- und Staatskonzeptionen des Wittenberger unddes Salmantiner Theologen. Die Konturen dieser Theo-rien, deren theologischer Zweck allererst im Kontrast zuMachiavelli sichtbar wird, sind im Folgenden in ihrenGemeinsamkeiten und Differenzen am Beispiel der Gel-tungs- und Obligationstheorien zu rekonstruieren.

    2. Geltungsgrnde des Rechts: Melanchthons Volun-tarismus versus Vitorias Intellektualismus?

    Melanchthon hat wenig Zweifel daran gelassen, dass erden Geltungsgrund des Gesetzes d.h. aller Normativitt,ausschlielich im Willen Gottes fr hinreichend be-grndet erachtete; der entscheidende Begriff, der ab1535 in den Loci communes auftretend diesen Volun-tarismus rechtstheoretisch realisiert, ist der der lex dei:

    Lex Dei est doctrina a Deo tradita, praecipiens,quales non esse et quae facere, quae omittere opor-tet, et requirens perfectam obedientam erga Deumac pronuncians irasci Deum et punire aeterna mortenon praestantes perfectam oboedientiam.8

    1. So Bauer 1951, 67 f.2. Vitoria 1997, 380.3. Machiavelli 21977, 4.4. Ders. 2009, 119.5. So Buck 1985, 61.

    6. Machiavelli 2009, 126.7. Ders. 21977, 44.8. CR XXI, 685.

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    Schon in den Lucubratiuncula von 1520 wird dieser vo-luntaristische Grundzug der melanchthonischen Rechts-theorie sichtbar,1 weil jene zum Gesetz bestimmte Norm,die Gutes gebietet und Bses verbietet als durch einenWillen erwirkte Anordnung einer hheren Instanz, demWillen eines Herrschers, bestimmt wird.2 Tatschlichlassen sich jene beiden Zentraltheoreme eines volunta-ristischen Rechtsbegriffs, die schon fr Duns Scotuskonstitutiv3 und anschlieend von William von Ock-ham systematisiert worden waren,4 in der GesetzeslehreMelanchthons nachweisen: der personale Willen desGesetzgebers und Herrschers sowie eine machtgesttzteHierarchie zwischen diesem Willen und den Empfn-gern der willentlichen Entscheidungen. Fungiert derWille des gttlichen Gesetzgebers als objektiver Gel-tungsgrund, so leistet er erst im Verbund mit der Hier-archie zwischen Herrscher und Untertan eine ange-messene Obligationskraft. Sowohl Vitoria als auch Me-lanchthon werden an diese Konzeption anschlieen allerdings unter gewichtigen Modifikationen.

    Die streng voluntaristische Geltungstheorie bildetdas philosophisch-theologische fundamentum inconcus-sum protestantischer Theologie und Anthropologie; inDe servo arbitrio hlt Luther fest:

    Deus est, cuius voluntatis nulla est causa nec ratio,quae illi regula et mensura praescribatur [] Sienim esset illa aliqua regula vel mensura aut causaaut ratio, iam nec Dei voluntas esse posset. Nonenim quia sic debet vel debuit velle, ideo rectum est,quod vult. Sed contra: Quia ipse sic vult, ideo debetrectum, quod fit.5

    Anders als Duns Scotus und William Ockham aller-dings radikalisiert Luther seinen dezidiert anti-intel-lektualistischen Voluntarismus ganz konsequent um ei-ne weitere Bestimmung: Hatte Ockham betont, dass derallmchtige Wille Gottes durch nichts gebunden alsdurch sich selbst und die Forderung der Widerspruchs-freiheit6 sei, so wendet sich Luther noch von dieser Bin-dung des gttlichen Willens ab. Fr seinen Gott giltselbst das Nicht-Widerspruchsprinzip nicht, weil es einGrundgesetz nur des menschlichen Denkens ist.7

    Bekanntermaen hat sich Melanchthon von diesenDimensionen der lutherischen Theologie behutsam dis-tanziert8 ohne die entscheidenden Kriterien eines vo-luntaristischen Gesetzesbegriffs zu modifizieren; 1520wie 1559 bleiben jene oben benannten Momente derVerursachung der Gesetze durch den Willen Gottes so-wie eine Einbettung ihrer normativen Gehalte in kon-

    krete Hierarchiebedingung Grundlagen seiner Theorieeiner objektiven Geltung der Gesetze.

    Vor dem Hintergrund des philosophiegeschicht-lichen Dogmas, demzufolge es Francisco de Vitoria alsGrnder der Schule von Salamanca gewesen sei, der derPhilosophie des Aquinaten eine neuerliche Aktualittverschaffte,9 mag es prima vista berraschen, dass derSalmantiner Theologe einige dieser melanchthonischenBestimmungen der allgemeinen Geltungstheorie desRechts durchaus teilte. Es ist nicht zu bestreiten, dassVitoria im Unterschied zu Melanchthon und Luthermit Nachdruck auf die Bedeutung des rationalen Ge-halts der Gesetze referierte, mithin den rechtstheologi-schen Intellektualismus des Thomas durchaus aktiv undbegrndet vertrat. So ist die Einbindung der politisch-praktischen Gesetze in eine teleologisch geordnete Kos-mologie, deren Struktur und Notwendigkeit fr denMenschen rational rekonstruierbar ist,10 deutlich dieserTradition verpflichtet. Die restlose Integration des er-kennenden Menschen in einen rational geordnetenKosmos unterscheidet die praktische Anthropologie Vi-torias grundlegend von der Melanchthons, die von demGedanken der durch den Sndenfall gebrochenen In-tegration der menschlichen Erkenntnis in die Schp-fungsordnung geprgt ist.11

    Dennoch ist der streng rationalistische Perseitas-Gedanke der Thomasschen Rechtslehre im Hinblickauf die objektive Geltung der Gesetze auch bei Vitoriadeutlich eingeschrnkt. So legt er im Hinblick auf denUnterschied zwischen dem menschlichen und demgttlichen Gesetz fest:

    Differunt etiam, quia in lege divina ad hoc, quodiusta sit et per hoc obligatoria, sufficit voluntaslegislatoris, cum sit pro ratione voluntas. Ut autemlex humana sit iusta et possit obligare, non sufficitvoluntas legislatoris, sed oportet, quod sit utilis reipublicae et moderata cum ceteris.12

    Ernst-Wolfgang Bckenfrde hat den ersten Teilsatzzum Anlass genommen, eine Nhe der SpanischenSptscholastik zum Scotismus zu behaupten.13 Dieserberzeugenden philosophiegeschichtlichen These kor-respondiert auf systematischer Ebene eine Differenz dergttlichen zu den menschlichen Gesetzen, insofern letz-tere eine spezifische Rationalitt aufweisen mssen. De-ren Kriterien bestehen nach Vitoria in der Ntzlichkeitfr das Gemeinwesen und der Kompossibilitt mit an-deren Gesetzesbestimmungen, d.h. der Widerspruchs-freiheit der Gesetzestafeln.14 Nur die Gesetze Gottesknnen offenbar der Ntzlichkeit entbehren sowie auf

    1. Vgl. hierzu auch die przisen Ausfhrungen bei Scattola 1999b,869 f. sowie ders. 1999a, 37 ff.

    2. Vgl. CR XXI, 24.3. Vgl. hierzu u.a. Bckenfrde 22006, 284 ff.4. Siehe Ockham 1994, 182 ff.5. Luther 1908, 712.6. So zu Recht Bckenfrde 22006, 301.7. Vgl. hierzu insbesondere Luther 1908.8. Vgl. hierzu anschaulich Flasch 1986, 250 f.

    9. Vgl. hierzu einfhrend Campagna 2010, 17 ff.10. So auch Bckenfrde 22006, 346 f.11. Vgl. Frank 1995, 106 ff. und 159 ff.12. Vitoria 1995a, 146.13. Bckenfrde 22006, 351.14. Vitoria 1995a, 146: Ut autem lex humana sit iusta et possit

    obligare, non sufficit voluntas legislatoris, sed oportet, quod situtilis rei publicae et moderata cum ceteris.

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    Widerspruchsfreiheit verzichten gerade mit letztererBestimmung zeigt sich eine auffllige Nhe zum lutheri-schen Voluntarismus.

    Bercksichtigt man zudem Vitorias Ableitungs-reihe, der gem der Geltungsgrund der ffentlichenMacht durch Gesetzgabe und deren Umsetzung letzt-lich dem natrlichen Recht zu verdanken ist, diesesjedoch Gott als einzigen Urheberkennt und somit von diesem un-eingeschrnkt dependiert,1 so lsstsich auch fr die Geltung der legeshumanae die Instanz des gtt-lichen Willens nicht umgehen.2

    Diese sachliche Bindung wird dieObligationstheorie noch deut-licher zeigen. Die voluntas deiaber ist wir sahen es per defini-tionem nicht vollstndig an dieGesetze der Vernunft gebunden:

    Lex humana est a Deo. Er-go eodem modo obligatasicut divina.3

    Nur die allmchtige Gottesin-stanz vermag die objektive Gel-tung juridischer Normen zu be-grnden und zu garantieren. Eszeigt sich also nachdrcklich, dassdie sptmittelalterlichen wie frh-neuzeitlichen Tendenzen einestheologischen Absolutismus zen-tral gesteuert und befrdert wur-den von einer voluntaristischen Theologie, deren an dieGesetze der Vernunft nur noch mig angebundene,frei wollende Gottesinstanz zugleich jene Antinomienausprgte, die nach Hans Blumenberg in Skularisie-rung und strenge Weltlichkeit mndete.4 Beide Konfes-sionen konnten sich der Attraktivitt des absolutenGotteswillens nicht entziehen, und dies insbesondereauf dem Feld der Geltungstheorien des Rechts. Derenstets prekrer Status warum nmlich soll Recht ber-haupt gelten5 bot allerdings die Mglichkeit, plausibleGrnde fr die unauflsliche Notwendigkeit des syste-matischen Bezugs auf eine Gottesinstanz zu entwickeln:ohne sie keine berzeitliche und kulturindifferente Gel-tung des Rechts und damit auch keine a prioribestimmbaren Gehalte. Es sind die Fragen nach derGeltung und wie sich gleich noch zeigen soll derVerbindlichkeitsgarantie des Rechts als Naturrecht, diedie Theologie und den ihr sekundierenden theonomenVoluntarismus als eine leistungsfhige Problemlsungerscheinen lieen: Zur Kompetenz der Theologie6 in

    rechtstheoretischen Fragen trug die spezifische Formder Profanitt, die die utilitaristische Gesetzesvorstel-lung Machiavellis entwarf, deshalb mageblich bei.Denn was oder wer anderes als das ens perfectissimumkonnte eine uneingeschrnkte Geltung des Rechts unddamit den Schutz vor jeglicher Willkr (auch derje-nigen des Herrschers) garantieren? Gegenber dem pro-

    fanen Utilitarismus der Rechts-geltung, dem die Gehalte desRechts gegenber ihrer Funktionder Herrschaftsstabilisation gleich-gltig sein konnten und mussten,ermglichte eine politische Theo-logie des Rechts nicht nur eineschpfungstheologische Legitima-tionstheorie der Rechtsgeltungberhaupt, sondern ber die Ka-tegorie der lex aeterna sowie derlex dei und deren begrndungs-theoretische Funktion fr die ein-zelnen Rechtsformen zugleich denbergang von nur formalen zumaterialen Rechtsbestimmungen:Mit dem Dekalog hatte Gottbewiesen, dass eine Form seinerschpferischen Ordnungshand-lungen in der Gesetzgebung be-stand.

    Vor diesem Hintergrund istein expliziter Rekurs auf Machia-vellis berlegungen zur Geltungs-theorie des Rechts nahezu ber-flssig; dessen pragmatische Re-

    gierungslehre und Herrschaftsstabilittskonzeption ent-behrt jeden Interesses an einer Begrndung fr dieobjektive Essenz von Recht und Gesetz. Seine obenzitierte Gleichsetzung von Militr und Gesetzen alsgleichursprngliche Instrumente der Machterhaltungdes Frsten zeigen, dass es keine allgemeine Legitimittvon Gesetzen und schon gar keine Mglichkeit zu einermaterialen Gerechtigkeitstheorie geben kann.7 Machia-vellis Anthropologie und Staatstheorie verbleiben imModus einer Klugheitslehre ber das Geschft desRegierens,8 hinterlassen damit aber jene oben angedeu-teten Leerstellen, die vor Bodins Souvernitts- undHobbes Vernunftrechtstheorie nur theonome Gel-tungstheorien ausfllen konnten, weil ihnen allein einesystematische Instanz zur Verfgung stand, die einenobjektiven Geltungsanspruch von Normativitt ermg-lichen konnte: Gott.

    Machiavellis historisch erfolgreiche aber systema-tisch keineswegs notwendige Verknpfung von stren-ger Profanitt und rein formeller Staatsrson befrdertemithin die Tendenzen zu einer politischen Theologie

    1. Ebd., 127.2. Vgl. hierzu Stiening 2011.3. Vitoria 1995a, 148.4. Blumenberg 21988, 159233.5. Vgl. hierzu Ebbinghaus 1988.

    6. Vgl. erneut Campagna 2010, 35 ff.7. Vgl. hierzu auch Welzel 41962.8. Siehe hierzu jetzt Maissen 2010.

    Abbildung 2Lucas Cranach der ltere: Philipp Melanchthon, l auf Holz,

    1543, Galerie der Uffizien, Florenz.

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    des Rechts im 16.Jahrhundert, deren geltungstheoreti-sche Konturen die konfessionellen Differenzen ver-ringerten. Dieser Befund kann auch im Hinblick auf dieObligationstheorien besttigt werden.

    3. Obligationstheorien: Obligatio a superiore versusideae innatae

    Francisco de Vitoria setzt sich einigen Mhen aus, umdie vis obligandi derjenigen Gesetzesformen, die er alsnotwendige unterscheidet, zu begrn-den.1 An diesen Anstrengungen zeigtsich wie in ganz anderer Weise auchan denen Melanchthons , dass aller-erst die voluntaristische Volte der in-tellektualistischen Gesetzestheorie desThomas die Notwendigkeit zur eigen-stndigen Begrndung der Obliga-tionsleistungen von Normen hervor-brachte. Erst auf der Grundlage der vo-luntaristischen Wende des thomisti-schen Rationalismus entstand seit demSptmittelalter ein metaphysisches Pro-blem der Verpflichtungswirkung vonGesetzen berhaupt, das nur einer theo-logischen Lsung zugefhrt werdenkonnte. Erst die voluntaristische Meta-physik des Scotismus macht die Ver-pflichtungskraft von Normen zum theo-retischen und praktischen Problem.2

    War auf der Grundlage der thomisti-schen Theologie die Obligationsmachtvon Normen ihrer allgemeinen d.h.zwar gottesinduzierten, aber durch denmenschlichen Verstand rekonstruier-baren Rationalitt zu verdanken, was im Begriff derPerseitas gebndelt wurde, weil sie durch VernnftigkeitGeltung und Verpflichtungskraft enthielten, so bedurf-te es vor dem Hintergrund eines frei wollenden Gottesder gesonderten Begrndung fr die Wirkmacht recht-licher oder moralischer Normen. Wenn nmlich derenRationalitt nicht a priori garantiert war, warum sollteder Mensch sich an sie halten? Duns Scotus lst dieseProblemlage durch eine praktisch verstandene omnipo-tentia dei, d.h. durch die Instanz eines allmchtigenGottes, der zwar aufgrund seines unbegrenzten Willensdas Problem allererst hervorruft, weil seine Gesetzetransrational, deshalb fr den Menschen unverstndlichsein knnen und dennoch uneingeschrnkte Geltungbeanspruchen. Diese Problemlage sollte zugleich jedochnur durch ihn gelst werden knnen, weil er als den Ge-setzen gegenber externe allmchtige Instanz deren visobligandi allererst garantiert.3 So gilt fr Duns ScotusKonzeption der natrlichen Gesetze: Ihre Geltung und

    verpflichtende Kraft haben sie freilich aus der gttlichenAutoritt, seinem anordnenden Willen.4 Seit DunsScotus Kritik der Perseitas rechtlicher Normen war esmithin erforderlich, eine gegenber den Gesetzen selbstund ihren Gehalten externe Instanz fr die Garantieeiner vis obligandi zu formulieren und damit den Begriffder Verpflichtung im Rahmen rechtlicher oder morali-scher Theorien berhaupt bzw. je neu zu bestimmen.Erst der scotistische Angriff auf den thomistischen Ra-tionalismus verunmglicht eine Perseitas der Rechts-

    und Gesetzesgeltung und macht damitihre vis obligandi begrndungsnot-wendig.

    Melanchthon und Vitora vollzo-gen wenngleich in unterschiedlicherWeise und Intensitt diese volun-taristische Volte mit; whrend Me-lanchthon aber mit Luther den Grund-zgen der Ockhamschen praktischenTheologie verpflichtet blieb, zeichnetVitorias Konzeption der Versuch aus,Vermittlungen zwischen den sptmit-telalterlichen Grotheorien zu leisten.Anders als Melanchthon war Vitoriaweder bereit noch gentigt, von denLeistungen der thomistischen Ver-nunftkonzeption abzurcken. Vor al-lem im Hinblick auf die jeweiligenObligationstheorien zeigen sich dieseunterschiedlichen Positionen aufs deut-lichste. Gleichwohl erffnet sich auchim Zusammenhang der Verbindlich-keitstheorien eine spezifische Gemein-samkeit beider Theoretiker: Letztlichgibt es nur eine Instanz, die neben der

    objektiven Geltung auch die subjektive Verpflichtungs-kraft der Gesetze garantieren kann und dies ist inbeiden Fllen die Gottesinstanz. In diesem not-wendigen Bezug auf eine transzendente Garantieinstanzbesteht ein Grund fr das gnzliche Fehlen einer Ob-ligationstheorie bei Machiavelli, weil dessen empiri-scher Pragmatismus ebenso auf immanente wie trans-zendente Apriorismen verzichten musste.

    Vitoria entwirft das folgende System von Ar-gumenten fr die vis obligandi der staatlichen Gesetze:Zum einen liefert er eine enge Vermittlung von Rechtund Moral durch Einsetzung der Instanz des Gewissensfr die Kraft zu verpflichten:

    Principum leges et constitutiones ita obligant, uttransgressores in foro conscientiae culpae rei sint;quam etiam vim parentum in filios et maritorum inuxores habent praecepta.5

    1. Zum Folgenden vgl. ausfhrlicher Stiening 2011.2. Vgl. hierzu Honnefelder 2005, 127 ff.3. Vgl. Duns Scotus 2000, 183 ff.

    4. Bckenfrde 22006, 285.5. Vitoria 1995a, 142.

    Abbildung 3Philipp Melanchthon (1562): Loci Communes

    Theologici. Basel: Johannes Oporinus, Bayerische Staatsbibliothek Mnchen, Dogm. 681, 594.

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    Ohne eine Wirkung auf das Gewissen des Untertanenbleibt nach Vitoria also die Bindungskraft der Gesetzeaus so stark wird Melanchthon die conscientia nichtmachen, auch wenn er auf deren vis obligandi nicht ver-zichten wollte. Zunchst ist allerdings zu betonen, dasssich der hier zitierte Gesetzesbegriff Vitorias auf alle sei-ne Unterformen bezieht, also ebenso menschliche wiegttliche bzw. natrliche Gesetze auch wenn an dieserStelle nur von den menschlichen Gesetzen gesprochenwird. Dass sich diese Verknpfung von Recht und Mo-ral explizit gegen deren Trennung im Hinblick auf eineeigenstndig-weltliche Wirksamkeit rechtlicher Nor-men richtet, entwickelt Vitoria im Folgenden ausfhr-lich:

    [O]mnium sunt, qui putant leges nullam vim habe-re, ut earum transgressores culpa in foro conscien-tiae teneantur, sed hanc solum obligationem indu-cere, ut principes et magistratus legum violatoresiuste punire possint, negantque subditos ad aliquidaliud coram Deo teneri. Sicut plerique religiosi desuis constitutionibus dicunt, quod obligant quidemad poenam, non ad culpam?1

    Der Darstellung von sechs Grnden fr diese Annahmeeiner ausschlielich juridischen Geltung gesetzlicherBestimmungen, die zu einer unumkehrbaren Verwelt-lichung jenes normativen Feldes fhrte, wird von Vito-ria eine minutise Widerlegung entgegengesetzt. Hierzeigt sich, dass es auch ganz unabhngig von Machia-velli Verweltlichungstendenzen (sogar innerhalb derKirche) gab, die es nach Vitoria und Melanchthon zubekmpfen galt. Unter Aufwendung eines paulinischenArguments aus Rm 13,5 (Seid der Gewalt nicht nurum des Zorns, sondern auch um des Gewissens willenuntertan) wird nachgewiesen, dass die Zwangsgewaltder politischen Macht nur ber das Gewissen des ein-zelnen Untertans ausreichende Verbindlichkeit erlange.Vitoria kann mit dieser moralischen Fundierung derObligationskraft juridischer Gesetze zugleich in zweiRichtungen argumentieren: Zum einen ist die Wirk-samkeit rechtlicher Normen ber das Gewissen nurdurch die Fundierung der ffentlichen Macht in derGottesinstanz begrndbar; so garantiert die moralischeWirkung gesetzlicher Normen eine positive, unerlss-liche Funktion Gottes. Zum anderen kann er die Ver-bindlichkeitsproblematik seines voluntaristischen Ge-setzesbegriffs lsen,2 weil mit Hilfe des Gewissens derGraben zwischen der objektiven Geltung und dersubjektiven Verbindlichkeit juridischer Gesetze ber-sprungen werden kann. Die enge Verknpfung vonRecht und Moral ergibt sich aus den zugleich theo-nomen und voluntaristischen Prmissen des Vitoriani-schen Konzepts. Aufgrund dieser Prmissen kommt erzu dem Schluss:

    Sed his rationibus non obstantibus, quas graves doc-tores moverunt, non videtur mihi dubitandum,quin leges civiles obligent in foro conscientiae []Hoc probatur aperte ex dicto Pauli Rom 13,2: Quiautem resistunt, inquit, ipsi sibi damnationemacquirunt. Non autem incurritur damnatio nisipropter culpam. Ergo legum transgressores in-currunt coram Deo veram culpam.3

    Unbersehbar wird aber an diesen Ausfhrungen, dassVitoria nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in for-maler Hinsicht als Theologe argumentiert: Denn denArgumenten gegen eine ausschlielich juridische Wirk-samkeit von Gesetzen wird vor allem die biblische Au-toritt entgegen gehalten und die sich im Gewissen desMenschen realisierende Instanz ist keine andere alsdiejenige Gottes. Rechtsbertretungen sind bei Vitoriaalso zugleich Snden und erst insofern unmoralisch ei-ne argumentative Verknpfung von Recht, Moral undReligion, in der er sich mit Melanchthon durchaus inbereinstimmung zeigt: Das Gewissen, das nach Vito-ria bei jeder Form von Gesetzesbertretung garantiert,dass jenes objektive Unrecht auch als subjektive Schuldempfunden wird, leistet mithin die Bindung der Ver-bindlichkeit von rechtlichen Normen an die Gottesin-stanz und daher der Rechtsgelehrtheit an die Theologie.Kaum deutlicher als an dieser Passage zeigt sich, dassVitoras Rechtstheologie auch als schlagkrftige Abwehrder als Bedrohung empfundenen Skularisierungs-tendenzen intendiert war und fungieren konnte.

    Noch ein weiteres Argument fhrt Vitoria ins Feld,um eine spezifische vis obligandi der Gesetze zu be-grnden: Neben dem Einfluss auf das Gewissen unddamit einer genuin subjektiven Dimension der Geset-zeswirkung betont der Salmantiner Theologe zugleich,dass es zur Garantie der Wirkung von juridischen Nor-men eines Herrschaftsgeflles zwischen dem Gesetz-geber und -garanten und den durch diese Gesetze in ih-ren Handlungen eingeschrnkten Untertanen gebenmsse: Ausdrcklich weist Vitoria auf die Notwen-digkeit der Externalitt der politischen Gewalt gegen-ber der durch sie beherrschten Gemeinschaft bzw. dendiese konstituierenden Einzelnen hin auch dies eindem Scotismus entlehntes Argument. Dass die len-kende Gewalt nicht mit ihnen identisch ist, ja um ih-rer potestas willen nicht sein darf, ist als deutliche Kritikan der Perseitas-These eines thomistischen Rechtsver-stndnisses zu werten.4 In der Relectio De potestate papaeet concilii behauptet Vitoria in diesem Sinne unmissver-stndlich, dass eine Verpflichtung nur von einem H-hergestellten ausgesprochen werden kann,5 d.h. nichtin der Norm selbst erhalten ist. Die vis obligandi ergibtsich fr Vitoria mithin nur aus einer Kombination von

    1. Ebd., 142144.2. Zu den voluntaristischen Elementen der Rechtstheorie Vitorias

    vgl. Bckenfrde 22006, 351 sowie Stiening 2011.

    3. Vitoria 1995a, 144 f.4. Vgl. hierzu erneut Bckenfrde 22006, 350 f.5. Vitoria 1995b, 359.

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    subjektiven und intersubjektiven Wirkungen der Geset-ze, durch die Macht des Gewissens und die Gewalt einesHerrschers. Diese komplexe Theorie juridischer Ver-bindlichkeit zeigt, fr wie wichtig, aber auch fr wieprekr Vitoria diese Frage nach einer begrndeten visobligandi der Gesetze erachtete.

    Das stellt sich bei Melanchthon hnlich und dochin der Beantwortung erneut gnzlich anders dar. Denndie Verbindlichkeit gesetzlicher Normen, wie auch beiVitoria durch den fundierenden Voluntarismus allererstzum Problem geworden, wird fr ihn durch ein schp-fungstheologisches Argument garantiert. War die ob-jektive Geltung der Gesetze dadurch begrndet und ge-sichert, dass diese dem Willen Gottes entsprangen, sogarantiert ihre subjektive Verbindlichkeit die Tatsache,dass die ihr zugrundeliegende Unterscheidung zwischengut und bse der menschlichen Seele von Gott als ideaeinnatae, als angeborene Ideen, eingegeben wurde. Dasden Begriff des Gesetzes ausmachende normative Wis-sen darum, das Gute zu tun und das Schlechte zumeiden, ist in seiner Verbindlichkeit fr den Einzelnendurch die Schpfungsmacht Gottes erwirkt, der demMenschen trotz der Verdunklung seiner Erkenntnis-fhigkeiten durch den Sndenfall jene Einsichtengewhrte und durch die bertragung der notionescommunes garantierte; in den Prolegomena in officiaCiceronis heit es:

    Sunt autem notitiae naturales leges naturae, quaesunt radii sapientiae dei, sparsi in mentes, ut sinttestimonia de Deo, ostendentia, discrimen interiusta et iniusta.1

    Die Lehre von den notiones communes als ideae innatae,die als Licht der Vernunft die postlapsarischen Ver-dunklungen des menschlichen Geistes aufhellen, ist zuden Kernbestnden der melanchthonischen Erkennt-nistheorie und Ethik und damit zur Substanz seinestheologisch fundierten Wissenschaftskonzeptes ber-haupt zu zhlen.2 Diese Lehre garantiert sowohl dieWahrheit allen Erkennens als auch die Wirksamkeitvon Normen. Die angeborenen Begriffe und Grundst-ze, die der zugleich von Melanchthon vertretenen sen-sualistischen Epistemologie scharf umrissene Grenzensetzen, ermglichen neben ihren Funktionen der Wahr-heitsgewissheit und Gesetzesgeltung fr den Menschenzugleich die Grundlegung allen Denkens und Handelnsin der Gottesinstanz: Denn anders als der seit Descartesund noch bis weit ins 18. Jahrhundert vertretene dispo-sitionelle Innatismus, der nur die allgemeine Bef-higung zur Begriffsbildung unabhngig von sinnlichenEindrcken entwickelte, was im Rahmen einer natr-lichen Vermgenspsychologie und Epistemologie erlu-tert werden kann, bedarf der propositionelle Innatismuseiner seelenexternen Instanz, die jene Inhalte, die der

    menschlichen mens als allgemeine angeboren sein sol-len, in sie hineinlegt.3 Der propositionelle Innatismusbietet mithin eine innerwissenschaftliche Konzeption,die auf ihre theologische Fundierung hin angelegt ist.Noch Herbert von Cherbury betont diesen Zusam-menhang und wird deshalb von John Locke zumparadigmatischen Vertreter jenes propositionellen In-natismus erhoben und kritisiert.4 Melanchthons Philo-sophie ist wie die Vitorias nicht nur in formaler,sondern auch in inhaltlicher Hinsicht auf ihre theologi-sche Funktion hin organisiert:

    Leges naturae sunt notitiae principiorum practico-rum, et conclusionem ex his extructarum, de re-gendis moribus, congruentes cum aeterna et im-mota norma mentis divinae, insitae nobis divinitus,ut sint testimonia, quod sit Deus.5

    Die allgemeinen praktischen Prinzipien sind mithinGaranten der Fhigkeit des Menschen zu normativemWissen und zugleich und als solche Beweise der Exis-tenz Gottes; ohne ihn wre der Mensch einer wertorien-tierten Handlung unfhig, er bliebe in ethischer Hin-sicht ein Tier.

    Die Tatsache, dass Melanchthon jene Naturgesetzein ihrem Sein vor allem als notitiae mentis begreift, hatdazu gefhrt, von einer Subjektivierung der tradi-tionellen Rechtslehre durch den Wittenberger Theolo-gen zu sprechen, weil die lex naturae vom erkennendenMenschen her gesehen wrde als dessen Fhigkeit zurErkenntnis der Schpfungsordnung.6 Tatschlich heites noch 1559:

    Est ergo vera definitio legis naturae legem naturaeesse notitiam legis divinae naturae hominis insi-tam.7

    Schon 1521 ist dieses Sein der praktischen Naturgesetzeausschlielich im Geist des Menschen entwickelt. Dassaber solche Anthropologisierung und Subjektivierungdes Naturrechtsgedankens8 in die Richtung eines neu-zeitlichen Bewusstseinskonzepts verwiese, ist abwegig:Die Grnde fr eine Begrenzung des Status der Natur-gesetze auf eine geistige Operation des Menschen liegenerneut in den theologischen und nominalistischenBedingungen dieser Vorstellungen: So hat GnterFrank deutlich herausgearbeitet, dass die notitiae prin-cipiorum practicorum einen verdunkelten Rest jenes ur-sprnglichen Naturrechts in der korrupten mensch-lichen Natur darstellen,9 d.h. ihren rein subjektivenStatus dem Sndenfall verdanken und damit keines-wegs einer modernen profanen Bewusstseinstheorie.

    1. CR XVI, 573.2. Vgl. hierzu u.a. Frank 1995, 112 ff.; Stiening 1999.

    3. Specht 1997.4. Brands 1977.5. CR XVI, 227 f.6. Bauer 1951, 67.7. CR XXI, 712.8. So Strohm 2000, 341 ff.9. Frank 1995, 150.

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    Zudem ist das Fehlen jeglicher Bezge auf scholasti-sche Naturrechtslehren1 dem tendenziellen Nomina-lismus geschuldet, der die bei Vitoria deutlich heraus-gearbeiteten objektiven Dimensionen des Naturrechts-begriffs zurckweisen muss. Melanchthons anti-objek-tivistische, geistphilosophische Kontur seiner Natur-rechtslehre entsteht mithin aus den theologischen undsptmittelalterlich-philosophischen Prmissen seiner Po-sition.

    Nicht zufllig leitet er daher aus diesem Status dernotitiae naturales als ihren ersten und wichtigsten prak-tischen Inhalt die Pflicht zur Verehrung Gottes ab:

    Ideo prima Lex naturae reipsa est agnoscere, quodunus sit Deus, mens aeterna, sapiens, iusta, bona,conditrix, beneficiens iustis et puniens iniustos.2

    Aus diesem ersten Naturrecht als idea innata werden dieweiteren Bestimmungen, wie die Unterscheidung zwi-schen gut und bse sowie die Postulate zur Gter-gemeinschaft abgeleitet; ihre Verbindlichkeit generiertdabei ausschlielich aus ihrer unmittelbar gttlichenAbknftigkeit, d.h. aus ihrem Status, Strahlen der gtt-lichen Weisheit zu sein, die in den menschlichen Geistausgegossen wurden; als gttliche sind sie in ihrer Gel-tung und Verbindlichkeit unhintergehbar.

    Insofern kann Melanchthon eine rechtslogische De-duktion des Naturgesetzes unterlassen ebenso wie einenpsychologischen Nach- oder Beweis der Existenz jenernotitiae naturales, deren nicht-empirischer Status unddamit gttliche Abknftigkeit schlicht gesetzt werden.

    Nach den Errterungen zu den komplexen Ausfh-rungen Vitorias und Melanchthons zu der Art und Wei-se der Verpflichtungsmacht der Gesetze ist es wenigberraschend, dass Machiavelli zu diesen Fragen keiner-lei eigenstndige Theorie entworfen hat. Vielmehr zeigtseine Regierungslehre, dass die subjektive Verbindlich-keit von Gesetzen, denen schon keine objektive Geltungzukam, mit ihrer intersubjektiven Gltigkeit identischist. Gesetze als Instrumente der stabilen Herrschafteines Regenten sind solange verbindlich, wie sie positi-ve, d.h. machtgesttzte Geltung haben. Weil nur sieFunktionen der Stabilitt eines Gemeinwesens sind,bleiben die Bestimmungen der Moral und der juridi-schen Gerechtigkeit inhaltlich unbestimmt bzw. for-melle Funktionselemente staatlicher Ordnung. ber-positives Recht und damit Formen unbedingter Gel-tung und Verbindlichkeit ist im Rahmen diesesUtilitarismus unmglich. 3

    Das berlebenskalkl, das allererst zur Vergemein-schaftung fhrte, wird auch innerhalb ihrer nicht ber-wunden; Recht und Gesetz haben ihre Geltung und

    Verbindlichkeit im Rahmen dieses Kalkls, sind jedochunter vernderten Bedingungen ohne jede Wirkmacht.Es ist dieser Mangel an Reflexion auf eine vis obligandipositiver Gesetze, die die Sehnsucht nach einer ver-bindlichkeitsgarantierenden Instanz nhrte; bei allerWucht der Verweltlichung durch seinen Pragmatismustrug Machiavellis begrndungstheoretische Indifferenzzugleich erheblich zu einer Retheologisierung der poli-tischen Theorie bei.

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    1. Strohm 2000, 341.2. Vgl. CR XXI, 713.3. Vgl. Machiavelli 21977, 1.2.

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    Memory by litterature? The mnemonic anxieties of early modern historiography

    ISABEL KARREMANN

    The author is a member of the SFB-project C 14 Obliv-ion: The Semiotics and Pragmatics of Forgetting in EarlyModern England. The following article provides an in-sight into current research results.

    Burn all the records of the realm!This is the order given by the rebelJack Cade in Shakespeares historyplay The Contention between the twoFamous Houses of Yorke and Lancas-ter, also known as the second part ofKing Henry VI.1 It marks a climacticmoment of the rebels fight againstan unequal distribution of propertyand rights codified in written re-cords. The rebellion is directedagainst literacy and written memoryas the basis of social injustice: doc-uments guarantee the power of thehigher social ranks, while the illit-eracy of the common people ensurestheir continuing subjugation. Thepolitical and mnemonic implicationsof Cades order are spelled out in thechronicle account of the 1381 Peas-ant Rebellion, which served as one ofShakespeares sources: the rustics[] went to further extremes anddeclared that all court rolls and oldmoniments should be burnt so thatonce the memory of ancient customshad been wiped out their lordswould be unable to vindicate theirrights over them.2 This is why the rebels seek to destroythe agents, institutions and material documents ofwritten culture and why they wish to return to a pre-lit-erate state of grace in which the spoken word guaranteestruth and justice. Yet the rebellion fails, order andauthority based on written memory are reinstated.What are we to make of this? Does Shakespeares playsupport Cades vision of an egalitarian, pre-literatesociety? Or does it reject the scenario of a nation with-out order, without writing, and without memory?

    Much critical energy has been spent to determinethe political affiliations of play and playwright, rangingfrom a conservative containment of subversive energiesto a championing of resistance to authority. I would

    suggest, however, that it is more profitable to shift theterms of the debate from the political rebellion to themedial revolution which this play also stages. In thisview, The Contention explores not only the struggle bet-ween aristocracy and commoners, but a contemporaryconcern about literacy and orality as the media of histor-ical memory. This debate was to a certain extent drivenby an anxiety about just how reliable each medium wasfor the purpose of remembering the past. That purposeand its final victory over oblivion was the standard earlymodern argument in favour of historiography. The title

    page of Walter Raleghs History of theWorld, for example, engraved byRenold Elstracke from a design bythe author himself, illustrates thisidea of history triumphing over obliv-ion.

    Following the traditional icono-graphy, the engraving doubles as anillustration of Ciceros definition ofHistory as Lifes Mistress, flankedby Experience and Truth and watchedby the all-seeing eye of divine Provi-dence. The Temple of History is sup-ported by four columns which pointto her other incarnations as TimesWitnesse, Herald of Antiquitie,Light of Truth and Life of Memo-rie. On its roof, the figures of famabona and fama mala pronounce mansglory and shame to posterity. At itsvery base rest the figures of Mors andOblivio. The accompanying poem byBen Jonson acknowledges this foun-dational position when it makesthem the starting point of its praiseof history: From Death and darkeOblivion (neere the same), / The Mis-tress of Mans life, grave Historie, /

    Raising the World to good, or Evill fame, / Doth vindi-cate it to Aeternitie. (l. 14) The poem presents deathand oblivion as the two foes which are overcome byhistory and left behind, thus constructing a straightfor-wardly teleological narrative of submission and victory.3

    Several other engraved frontispieces to historiographicalworks display a similar iconography and meaningfulspatial arrangement (fig. 3 and 4).4

    Yet as we shall see, forgetting was not held at baythat easily it remained part of the historiographicalpicture, as it were, and caused considerable discomfort.This is the mnemonic anxiety my title refers to, and itkeeps resurfacing in historiographical texts of various

    1. 4.7.12, King Henry VI, Part 2. Ed. by Knowles 1999. All furtherquotations are taken from this edition.

    2. The Anonimalle Chronicle, quoted in de Sousa 1996, 186.

    3. For a detailed reading of this frontispiece and its implicationsfor an early modern understanding of memory and oblivion,see Dring 2008.

    4. I would like to thank Susanne Friedrich for drawing my atten-tion to these two engravings.

    Figure 1Sir Walter Ralegh: The History of the World (1614),

    frontispiece.

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    genres, from chronicle histories to history plays andmetahistorical tracts. In what follows I explore the com-plex relations between remembering and forgetting atwork in early modern historiographical practice on thepage as well as on the stage. At least in regard to prosehistories, this relation usually manifests itself as a ten-sion between an anxious denial of oblivion and for-getting as a constitutive force of memory. This tensioncan be taken as symptomatic of early modern histori-ographical practice. While the in-terplay of remembering and for-getting shapes cultural memory inany epoch, it accrues a specific dy-namic and, what is more, a specificvirulence in Tudor and Stuart Eng-land. This is due to the impact ofthe Reformation, the shift toward amodern nation state as well as tothe rise of print culture.1 While thefirst two developments appropri-ated historiography for their ownpolitical uses,2 the latter changedthe very conditions under whichhistorical memory operated. Underthe influence of these epochal trans-formations, historiographical prac-tice changed considerably from thebeginning of the sixteenth centuryon. Part of this change was an in-creasing awareness of the social andcultural functions of historiogra-phy, an awareness that was articu-lated and negotiated most explicit-ly in the paratextual space of pref-aces, dedications and letters to thereaders as well as in the newly emer-gent genre of meta-historical com-mentary. These reflections shedlight on how forgetting constituted an integral part ofearly modern historiographical practice.

    Edward Halls The Union of the Two Noble Housesof Lancaster and York (1550), another source for Shake-speares play, provides a particularly apt starting pointfor our topic, since it begins with the very word Obliv-ion, highlighted by a beautifully ornate capital (seefig. 2). Halls dedication to Prince Edward presents alengthy, detailed meditation on the relation betweenremembering and forgetting as well as on the media ofhistoriography and its social role. The first sentence al-ready gives us a good idea of this:

    Obliuion the cancard enemye to Fame and renounethe sucking serpt of auncit memory, the dedlydarte to the glory of princes, and the defacer of all

    conquestes and notable actes, so much bare rule inthe firste and secde age of the worlde, that nothingwas set out to mennes knowledge either how yeworld was made either howe man and beastes wercreated, or how ye worlde was destroied by water, tilfather Moses had by deuine inspiracin in the thirdage, inuented letters, the treasure of memorie, andset furth true notable bokes, to the greate comfort ofall people liuing at this daie.3

    From the start, the text sets up anopposition between oblivion andmemory that is aligned with thedistinction between oral report andwritten record. This medial diffe-rence is inscribed into a narrative ofprogress from the people of thefirst and second age of the worlde,whose origins and identity are lostto oblivion because of their in-capability to record history, on tomodern civilizations whose socialhierarchy and moral values are pre-served in and by written memory.Tracing the invention of letters,the treasure of memory to its ori-gin in Judaeo-Christian tradition,Hall invests it and his account with cultural authority.

    More important than the ori-gins of writing and of writinghistory, however, are the socialfunctions attributed to it. In sup-pressing that dedly beast Obliv-ion, Hall argues, historiographydoes no less than uphold social hier-archies and moral values: Forwhat diversitie is between a noble

    prince and a poore begger, ye a reasonable man and abrute beast, if after their death there be left of them noremembrance or token.4 Remembrance of the dead ispresented here as crucial to the society of the living. Thewealth of funerary rituals and rites of remembranceinherited from the Middle Ages testifies to this im-portance. When the Reformation abolished many ofthese practices of ritual remembrance, it left a vacuumwhich to some extent was filled by historiography. TheReformation may indeed have prompted an increasingsense of history by severing the continuity betweenEnglands past and present, thus rendering the past asradically other.5 Elizabeth Mazzola even suggests thatProtestant iconoclasm must also be viewed as an histo-riographical practice, since rejecting Purgatory inspirednew paradigms for human history and new limits for

    1. Pfister 2006. 2. For a wide range of examples, see the excellent collection edited

    by Kewes 2006.

    3. Hall 1550, sig. A.iir.4. Ibid., sig. A.iiir.5. Goodland 2005, 3.

    Figure 2Edward Hall: The Union of the Two Noble Houses (1550),

    dedication.

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    human practice1. This notion of historical conscious-ness as emerging from a sense of rupture can be tracedin a contemporary comment by one of the members ofthe Elizabethan Society of Antiquaries that forges a cau-sal link between Reformation and historiographical prac-tice: when the Popes authority was abolished out ofEngland [] special care [was] had of the search ofancient Books and antiquities for manifestation untothe world of these usurpations of the Pope.2

    A second important functionof historiography, habitually quo-ted in numerous defences, is itsexemplarity. Its ability to providethe living with examples of goodand bad behaviour makes it an in-valuable guide to the right con-duct in private life as well as inaffairs of the state. This moralauthority is again bound up witha medial argument in favour ofwritten history: So that evidentlyit appeareth that Fame is the tri-umph of glory, and memory bylitterature is the verie dilator andsetter forth of Fame.3 Hall stres-ses here the importance of themedium of the written and, byextension, of the printed word forholding up heroic conduct as wellas social hierarchies and values. Indoing so, he manages to deflectsome of its moral authority ontothe historiographer himself: Howmuch therefore, he remarks sug-gestively, are princes, governorsand noble menne bounde tothem which have so lively setforth the lives and actes of their parentes, who, al-though dead and gone, are thus made present andimmortal. Hall winds up his argument triumphantlywith a triple row of conclusions initiated by an anapho-ric thus, with the syntactic parallel suggesting an irre-sistibly logical argumentation: Thus, wryting is thekeye to enduce vertue, and represse vice. Thus memoryemaketh menne ded many a thousand yere still to live asthough thei wer present: Thus fame triumpheth upondeath, and renoune upon Oblivion, and all by reason ofwriting and historie. This line of argument is as teleo-

    logical as its rhetoric is circular: in the beginning therewas the written word, and all comes down again towriting and history.

    From this argument emerges a set of binary opposi-tions in which writing is aligned with memory, fame,moral order and civilization, as opposed to orality, obliv-ion, death, chaos and wilderness. The latter part of theequation is summed up in the image that deadly beastOblivion which expresses the view that forgetting is a

    wild, destructive force of natureagainst which civilization must bedefended by the arts of memory.This is the view which is indeedexpressed in the founding mythof the classic ars memoria as toldby Quintilian: the Greek poetand rhetorician Simonides atten-ded a symposium which was cutshort by the collapse of the build-ing in an earthquake. Only Simo-nides escaped and was able toidentify the mutilated corpses byremembering exactly the order inwhich the guests had been sitting.In this episode, the destruction ofthe building equals the destruc-tive, catastrophic force of obliv-ion, while Simonides mnemotech-nics restituates order and enablesthe proper commemoration ofthe dead. Umberto Eco, in amuch-quoted essay, builds hisrejection of an ars oblivionalis cor-responding to an ars memorativaon precisely this oppositionalview: forgetting, he claims, occursonly through accident, as a natu-

    ral event, because of an illness or old age. Yet to forgetdeliberately, let alone through use of linguistic or mate-rial signs, is utterly impossible. Because signs work byrepresenting what is absent, Eco concludes, they areinherently ill-suited to stimulate forgetfulness andhence a semiotics of forgetting is out of the question.4

    However, the relation between memory and for-getting is more complicated than this dichotomous mo-del of presence and absence, of compensation and loss,of written culture and its lack suggests. In an essaywhich critically engages with Ecos dismissal of an arsoblivionalis, the German philosopher and linguist Sy-bille Krmer has suggested that we move away fromwhat she calls the traditional model of compensationand toward a model which conceives of remembranceand forgetting as complementary forces: they do notwork against each other, but are two complementary

    1. Mazzola 1998, 10. For a detailed account of early modernpractices of remembering the dead, their social functions andhow they were transferred to other cultural arenas after theReformation, see Dring 2006, in particular 2439.

    2. Quoted in Walsh 2009, 18. Jennifer Summit (2004) exploresthis desire to preserve written historical accounts in the wake ofthe dissolution of the monasteries and their libraries and showshow this was an attempt at deflecting oblivion as much as atmanipulating national memory from a Protestant point ofview.

    3. Hall 1550, sig. A.iir. 4. Eco 1988, 255.

    Figure 3Mercator: Historia Mundi, or Mercators Atlas (1637),

    frontispiece.

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    processes through which cultural memory is shaped andorganized. Instead of being outside of culture and op-posed to writing, forgetting should be seen as a culturalforce and writing as one of its techniques.1

    Halls dedication actually bears this out. For whileit emphatically presents itself and the historiographicalwork to follow as an act of remembering, at the sametime this praise of memory performs a double act offorgetting and it does so bymeans of writing. First, it oblit-erates the memory of the richmnemonic culture of the MiddleAges which was predominantly,if not exclusively, oral in nature.The theory and practices of themedieval ars memoria have beenreconstructed by Mary Car-ruthers in her groundbreakingstudy The Book of Memory(1990). While the title of herstudy would seem to suggest asimilar bias toward memory bylitterature as exhibited by Hall,the book of memory is here tobe understood metaphorically: itrefers to the metaphor of wax-tablets as one of the traditionalimages for the neuropsychologi-cal processes of remembering.Since antiquity, memory wasunderstood as a bodily processin which perceptions receivedthrough the senses were im-pressed in the soft material of thebrain. These impressions werelikened to engravings left by astylus in the soft wax on a wri-ting tablet. A quote by ThomasAquinas, highlights the meta-phorical nature of the relation between writing andmemory: A thing is said metaphorically to be writtenon the mind of anyone when it is firmly held in memo-ry.2 Yet when Hall speaks of memory by litterature,he takes this metaphor literally: he reifies the medievalsimile that the process of remembering works like theact of writing into the notion that memory is writing. Indoing so, he narrows the wealth of medieval mnemo-techniques down to only one: memory by the book.

    This reliance on literacy seems to me a distinctlyearly modern attitude. If I am right, then why did thisshift toward literacy and written record as the privilegedmedium of historical memory occur? I would suggestthat one factor that changes the field of mnemonic

    practice considerably in the early modern period is theadvent of print as a technology that facilitates the mul-tiplication and distribution of books and book knowl-edge. This was seen by contemporaries at least thosedirectly involved in the emergent print culture as anenhancement of personal and cultural memory. Wil-liam Caxton, for example, who set up the first printingpress in England, describes the purpose of his 1482 edi-tion of the Polychronicon, a chronicle written by the

    medieval monk Ranulf Higden,as follows: such thynges as haveben don syth the deth or ende ofthe sayd boke of polycronicon[which] shold be had in remem-braunce and not putte in oblyuy-on ne forgetynge.3 Caxton seeshis printing enterprise explicitlyin terms of memory and obliv-ion. Intriguingly, his choice ofphrasing and tense should havebeen had in remembrance suggests that the chronicle doesnot only store historical treasuresbut indeed can restore what hadactually been forgotten. By theearly seventeenth century, theconfident equation of historyand memory by litterature hadbecome a staple of historiogra-phical discourse. Francis Bacon,for example, claims in his magis-terial Advancement of Learning(1623; translated into English1640): Assistant to Memory iswriting; and it must by all meansbe noted, that Memory of it selfe,without this support, would betoo weake for prolixe and accu-rate matters; wherein it could no

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