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MITTEILUNGEN DER GESELLSCHAFT FÜR DIDAKTIK DER MATHEMATIK 97 August 2014 3.14159265358979323846 2643383279502884197169 3993751058209749445923 0781640628620899862803 4825342117067982148086 5132823066470938446095 5058223172535940812848 1117450284102701938521 1055596446229489549303 8196442881097566593344 6128475648233786783165 2712019091456485669234 6034861045432664821339 3607260249141273724587 0066063155881748815209 2096282925409171536436 7892590360011330530548 8204665213841469519415 1160943305727036575959 1953092186117381932611 7931051185480744623799 6274956735188575272489 1227938183011949129833 6733624406566430860213 9494639522473719070217 9860943702770539217176 2931767523846748184676

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MITTEILUNGENDER GESELLSCHAFT FÜR DIDAKTIK DER MATHEMATIK

97August 2014

3.1415926535897932384626433832795028841971693993751058209749445923078164062862089986280348253421170679821480865132823066470938446095505822317253594081284811174502841027019385211055596446229489549303819644288109756659334461284756482337867831652712019091456485669234603486104543266482133936072602491412737245870066063155881748815209209628292540917153643678925903600113305305488204665213841469519415116094330572703657595919530921861173819326117931051185480744623799627495673518857527248912279381830119491298336733624406566430860213949463952247371907021798609437027705392171762931767523846748184676

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 1

Editorial: Two more years

Liebe Lesende,mit der Entscheidung der Mitgliederversamm-lung, mir für zwei weitere Jahre als Schriftfüh-rer das Vertrauen auszusprechen, hat der auf die-ser Veranstaltung anwesende Teil unserer Mitglie-der (so etwa 10–15 %) Ihnen allen nun auch fürzwei weitere Jahre mich als Herausgeber der Mit-teilungen eingebrockt. Da ist zunächst einmal einherzliches Dankeschön angebracht, ob eines ge-wissen Wiederwahlautomatismus und in Erman-gelung von Gegenkandidat(inn)en aber auch dienötige Bescheidenheit, den Vertrauensvorschussnicht allzu hoch zu gewichten oder leichtfertig zuverspielen.

Mit diesem Heft wird zum ersten Mal eine Ru-brik „Diskussion“ in Abgrenzungen vom „Maga-zin“ eingeführt. Die Zuordnung eines Textes zueiner Rubrik ist natürlich immer auch eine will-kürliche – Was ist so kontrovers, dass man es ge-mäß vermutlich eher gediegen-fluffigen Assozia-tion mit dem Terminus „Magazin“ entsprechenddann doch nicht mehr dieser Rubrik zuordnenmöchte? Welche Reaktion auf einen Artikel sollman den „Leserbriefen“ zuordnen, welche ver-dient es, weiter vorne im Heft als „Diskussions-beitrag“ geadelt (oder doch: getadelt) zu werden?

Finden werden Sie in dieser Rubrik im aktu-ellen Heft einige Themen, deren Diskussion nichtnur innerhalb der Mitteilungen der GDM, nichteinmal nur innerhalb der Mathematikdidaktik,z. T. recht heftig geführt wird: Zentrales Abitur,PISA-Testungen, sowie stärker auf unser Fach fo-

kussiert zwei Reaktionen auf die im letzten Heftvon Erich Wittmann begonnene Diskussion überzukünftige Perspektiven der Mathematikdidakik,insbesondere desjenigen Teils, den manche biswei-len als „Stoffdidaktik“ bezeichnen, eine Bezeich-nung, die von Hans Schupp im aktuellen Heftselbst noch einmal kritisch betrachtet wird.

Im Magazin bleibt auch dieses Heft in ge-wisser Weise dem paradoxen Motto „Blick zu-rück nach vorn“ treu. Heinz-Wilhelm Alten wirfteinen Blick zurück auf 20 Jahre Publikationspro-jekt „Vom Zählstein zum Computer“, Hans Hi-scher schlägt eine Neuorientierung des Verständ-nisses von „Vernetzung“ gemäß dem „Kleine-Welt-Phänomen“ vor. Apropos Vernetzung: Ein„Link“ zum letzten Heft wird auch von Hans Wal-ser gesetzt, der uns u. a. einen etwas näheren Ein-blick darin gibt, was sich mathematisch eigentlichhinter der das letzte Cover ziehrenden „Würfel-welt“ verbirgt.

Zu danken habe ich Ihnen abschließend nocheinmal: Wenn Sie dieses Heft erreicht hat, dannist Ihre Postadresse in der GDM-Datenbank kor-rekt. Im Mai diesen Jahres haben wir erstmalseinen personalisierten „Datenbankabzug“ (Ihre inder GDM-Datenbank abgespeicherten Adressda-ten) an alle Mitglieder ausgesandt, was auf ein sehrpositives Echo gestoßen ist und von uns nun zwei-mal jährlich, das nächste Mal voraussichtlich imDezember 2014 durchgeführt werden wird.

Nun aber viel Freude mit dem aktuellen Heft!Ihr Andreas Vohns

It is really confusing (Quelle: bryanridgley.com)

ISSN 0722-7817

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2 GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Inhalt

1 Editorial: Two more years4 Vorwort des 1. Vorsitzenden

Magazin

6 Heinz-Wilhelm AltenVom Zählstein zum Computer – 20 Jahre Projektgruppe „Geschichte der Mathematik“ der StiftungUniversität Hildesheim

14 Horst HischerKleine Welten und Netzwerke – Anregungen für die Didaktik

22 Hans WalserEins zu Eins – Kurzfassung eines Vortrages im Arbeitskreis Geometrie

Diskussion

28 Gabriele Kaiser und Andreas BusseHamburger Mathematikabitur im Kreuzfeuer der Kritik

31 Heinz-Dieter Meyer und Katie ZahediAn Open Letter: To Andreas Schleicher, OECD, Paris

37 Günter GraumannZum Selbstverständnis der Mathematikdidaktik – Ergänzungen zum Beitrag von Erich Ch. Wittmanin den GDM-Mitteilungen 96/2014

38 Hans SchuppZwischenruf: „Stoff“didaktik?

Aktivitäten

39 Protokoll zur Mitgliederversammlung der GDM am 13. 3. 2014 in Koblenz43 Ordnung für Landesverbände der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM)44 Satzung der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V.46 Gründungsversammlung der GDM Schweiz vom 3. 6. 2014

47 Notwendigkeit von wissenschaftlich qualifiziertem Personal für die universitäre gymnasiale Mathe-matiklehrerbildung – Stellungnahme der Gemeinsamen Kommission Lehrerbildung Mathematikder DMV, MNU und GDM

47 „Vielleicht stehen Sie ja auch schon drin?“

Arbeitskreise

49 Gabriele Kaiser und Timo LeudersArbeitskreis Empirische Bildungsforschung in der Mathematikdidaktik

52 Astrid Brinkmann und Thomas BorysArbeitskreis Vernetzungen im Mathematikunterricht

54 Edith SchneiderArbeitskreis Mathematikdidaktik und Mathematikunterricht in Österreich

Tagungen

56 Jahrestagung der GDM in Koblenz64 Tagungseinladungen

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 3

Rezensionen

68 Günter Graumann:Abbildungen der elementaren und analytischen GeometrieRezensiert von Hans Schupp

70 Michael Meyer, Eva Müller-Hill, Ingo Witzke (Hrsg.):Wissenschaftlichkeit und Theorieentwicklung in der MathematikdidaktikRezensiert von Jürgen Maaß

72 Psychoarithmetik und Psychogeometrie: Quellen zu Montessoris Konzept zum Mathematiklernenvon KindernRezensiert von Sandra Thom

79 John Stillwell:Wahrheit, Beweis, Unendlichkeit – Eine mathematische Reise zu den vielseitigen Auswirkungen derUnendlichkeitRezensiert von Helmut Albrecht

Personalia

80 Verleihung des Förderpreises der GDM 2014 in Koblenz82 Selbstvorstellung in diesem Jahr gewählter Beiratsmitglieder84 Grußwort des 1. Vorsitzenden der GDM für Hans-Jürgen Elschenbroich zum 65. Geburtstag

In eigener Sache

86 Leserbriefe88 Die GDM/Impressum

Bildnachweise der Umschlagseite:Linke Spalte (von oben nach unten): Alberto G. (CC BY-2.0), Skip (CC BY-NC-SA 2.0), Takashi Hososhima (CC BY-SA 2.0), JackHynes (CC BY-NC-SA 2.0). Rechte Spalte (von oben nach unten): Hanka Pohontsch (© Universität Koblenz), © IMEI Hildesheim,Hanka Pohontsch (© Universität Koblenz).

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4 GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Vorwort des 1. Vorsitzenden

Liebe GDM-Mitglieder,unsere Gesellschaft ist jung und entwickelt sich

zurzeit durch viele Ideen, Aktivitäten und Initiati-ven weiter. Sie hat aber bereits auch ein gewissesAlter und entwickelt mittlerweile ihre Geschichte.Beide Facetten möchte ich heute thematisieren.

Die Dynamik der GDM spiegelt sich wider imvielfältigen Leben und Wirken unserer Mitgliederund Organe. Dies zeigt sich zum einen in der Ar-beit der Arbeitskreise, die bereits auf eine langeEntwicklung zurückblicken können, zum anderenin Neugründungen. Drei von ihnen gab es inner-halb der ersten Monate dieses Jahres.

Zwei neue Arbeitskreise und ein Landesverband

GDM-Arbeitskreis Interpretative Forschung in derMathematikdidaktikIm Januar 2014 hat sich der GDM-Arbeitskreis In-terpretative Forschung in der Mathematikdidaktik kon-stituiert. Dieser Arbeitskreis knüpft an die Tradi-tion der Arbeitsgruppe Interpretative Unterrichtsfor-schung an, die sich seit Mitte der achtziger Jahredes letzten Jahrhunderts zu regelmäßigen Arbeits-tagungen und zu Interpretationssitzungen traf. Siegeht wesentlich auf die Forschungen der Biele-felder Arbeitsgruppe um Heinrich Bauersfeld zu-rück, die als Anfang der interpretativen Unter-richtsforschung im deutschsprachigen Raum ange-sehen werden kann.

Zentrales Ziel des Arbeitskreises ist es, den wis-senschaftlichen Anspruch empirisch begründeterTheoriebildung zu vertreten. Dabei ist der inter-pretative Ansatz des Arbeitskreises nicht auf be-stimmte mathematische Inhaltsfelder oder Alter-sstufen beschränkt, sondern offen für eine Viel-falt von Themen und Fragen. Wenngleich der Ar-beitskreis primär auf Mathematikdidaktik fokus-siert ist, soll die wissenschaftliche Diskussion inenger Beziehung zum wissenschaftlichen Diskursaußerhalb der mathematikdidaktischen Forschunggeführt werden.

Der neu gegründete Arbeitskreis plant re-gelmäßige Arbeitstagungen mit Interpretations-sitzungen zu Dokumenten mathematischer Lern-und Entwicklungsprozesse mit methodisch kon-trollierten Analyseverfahren. Die Themen könnenaus allen Bereichen stammen, in denen mathema-tisches Denken und Handeln sichtbar wird. Spre-cherin und Sprecher dieses Arbeitskreises sindBirgit Brandt (Halle) und Frank Förster (Braun-schweig).

GDM-Arbeitskreis ProblemlösenObwohl das Problemlösen seit langem ein klassi-sches Arbeitsfeld der Mathematikdidaktik ist, gabes bislang keinen GDM-Arbeitskreis zu diesemThema. Die Idee, einen solchen zu gründen, ent-stand auf einem Symposium zum Problemlösen imSeptember 2013 und wurde auf der Jahrestagung2014 in Koblenz konkretisiert. Seit Mai 2014 hatsich diese Gruppe nun als GDM-Arbeitskreis Pro-blemlösen konstituiert. Eine erste Herbsttagung sollMitte Oktober in Münster stattfinden.

Der neue Arbeitskreis richtet sich an Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Lehre-rinnen und Lehrer, die sich im weiten Sinne mitmathematischem Problemlösen und Heuristik be-schäftigen. Diese Thematik eröffnet ein weitesFeld, das nicht nur klassische und neue Inhal-te in den Sekundarstufen umfasst, sondern auchdie Ausbildung elementarer Problemlösekompe-tenzen bereits in der Grundschule, wie sie seitden 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zuneh-mend in den Fokus der Mathematikdidaktik ge-rückt sind.

Die Reichweite ist dabei nicht auf den deut-schen Sprachbereich beschränkt; so ist es ein Zieldes neuen Arbeitskreises, auch andere Traditionenmiteinzubeziehen, insbesondere die lange Tradi-tion für Problemlösen aus Ungarn. Wissenschaft,Forschung, Lehrerbildung und Praxis sollen dabeiaufeinander bezogen werden, um den Stellenwertdes Problemlösens sowohl in der Weiterentwick-lung der Unterrichtskultur als auch in der Lehrer-bildung zu stärken. Sprecherin und Sprecher desArbeitskreises sind Ana Kuzle (Paderborn) undBenjamin Rott (Essen).

Landesverband GDM SchweizAuf der letzten Mitgliederversammlung in Ko-blenz 2014 wurde mit überwältigender Mehrheiteine Satzungsänderung verabschiedet, in der dieBildung von Landesverbänden ermöglicht wird.Weiterhin wurde eine Ordnung für Landesverbän-de verabschiedet, die es diesen ermöglicht, sich alsVerein nach jeweiligem Landesrecht innerhalb derGDM zu formieren.

Diese Änderungen sind von unseren Schwei-zer Mitgliedern mit Dankbarkeit und Freudeaufgenommen und sogleich in die Tat umge-setzt worden: Bereits im April 2014 bildetesich aus dem ehemaligen Arbeitskreis Schweiz-Liechtenstein der Landesverband GDM Schweiz.Mit einer Gründungsversammlung vom 3. Juni

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konstituierte sich dieser Landesverband als Ver-ein nach Schweizer Vereinsrecht. Die vom Arbeits-kreis Schweiz-Liechtenstein seit langem beklagtenrechtlichen Probleme sind damit geklärt und einerstärkeren und erfolgreicheren Positionierung in-nerhalb der Schweizer Bildungspolitik steht nichtsmehr im Wege. Gleichzeitig bleibt die GDM alsGanzes gewahrt und kann somit nach wie vor dieMathematikdidaktik im deutschsprachigen Raumvertreten.

In der GDM Schweiz sind Wissenschaftlerin-nen und Wissenschaftler sowie Lehrerinnen undLehrer vereinigt. Ihre Tätigkeitsfelder sind traditio-nell stark auf die Verbesserung von Lehrerbildungund Schulpraxis bezogen. Thematisch herrscht ei-ne große Vielfalt, da die Schweizer Gruppe die Di-daktik der Mathematik nicht inhaltlich oder me-thodisch eingrenzt, sondern als Ganzes vertritt.Die Vielfalt ihrer Aktivitäten wird sich u. a. in Vor-trägen und Workshops auf dem Lehrerinnen- undLehrertag der kommenden Jahrestagung in Baselpräsentieren. Eines der neuen Themen sind di-daktische Konzepte zu mathematischen Lernum-gebungen und Unterrichtsszenarien mit Tablets.Vorsitzende der GDM Schweiz sind Esther Brun-ner (Thurgau) und Lis Reusser (Bern).

Die GDM entwickelt ihre Geschichte – Werschreibt sie auf?

Alle wichtigen Ereignisse haben zuerst eine Wirkung,dann eine Wirkungsgeschichte und schließlich eine Ge-schichteErnst Reinhardt (*1932), Schweizer Publizist

Im März 1975 traf sich eine Gruppe von Mathe-matikdidaktikern bei einer Tagung in Saarbrückenund anschießend in Karlsruhe und gründete einenneuen Verband: die Gesellschaft für Didaktik derMathematik. 2025 wird sie, wenn weiterhin allesgut läuft, ihren fünfzigsten Geburtstag feiern kön-nen. In Vergleich zu anderen wissenschaftlichenVerbänden ist dies noch keine lange Zeit. Dennoch:Die Gründungsphase und die ersten Jahrzehnteder GDM haben nicht nur ihre Wirkungen gezei-tigt, sie sind mittlerweile Geschichte.

Die Gründung fiel in eine von bildungspoliti-scher Spannung aufgeladene Zeit: Die Neue Ma-thematik war in ihrer vollen Blüte, Befürworterund Gegner standen sich gegenüber und es warzunächst unklar, wie sich die junge GDM in die-sem Spannungsfeld positionieren würde. Ebensounklar war, welchen Weg die GDM als Verbandeinschlagen sollte und konnte, wie sich das Ver-hältnis zu älteren und einflussreicheren Verbändenwie der DMV gestaltet und inwieweit die GDMbildungspolitischen Einfluss gewinnen kann. Un-klar war zunächst auch, inwieweit es der GDM

gelingt, die Mathematikdidaktik als eigenständigewissenschaftliche Disziplin und sich selbst als wis-senschaftliche Organisation zu etablieren.

Heute sind wir eine stabile Gesellschaft, diesich positioniert und viele der Ziele erreicht hat,die sie sich damals gesteckt hatte. Noch sind vie-le Mitglieder aus der Gründerzeit aktiv, gleich-zeitig haben wir aber zahlreiche neue Mitglieder,die manche – möglicherweise auch für heute in-teressante – Entwicklungen aus den frühen Zeitennicht kennen. Daher wird es Zeit, sich mit der Ge-schichte der GDM zu befassen, diese aufzuarbeitenund auch aufzuschreiben.

Dies kann insbesondere auch deswegen inter-essant und spannend sein, weil die Geschichte derGDM aufs Engste verbunden ist mit der neuerenGeschichte der Mathematikdidaktik im deutsch-sprachigen Raum. Es gab Ideen und Initiativen,die mit Zuversicht und Aufbruchstimmung ver-folgt oder mit Skepsis kritisiert wurden. Es gabReformideen und Reformversuche, die unterstütztoder bekämpft wurden. Es gab Konflikte, Konfron-tationen, Streit um die richtige Richtung.

Dabei ging es zunächst um die Entwicklungdes Wissenschafts- und Forschungsverständnissesder Mathematikdidaktik und damit um einen Pro-zess der Identitätsfindung, der ungeachtet sichtba-rer Fortschritte bis heute andauert. Weitere Wir-kungsfelder liegen in der Entwicklung von Kon-zepten zur Verbesserung der Praxis und im Ge-winnen von Einfluss auf die Wissenschafts- undBildungspolitik.

Bereits das Zusammentragen, Ordnen und Dar-stellen von Fakten ist eine wichtige Aufgabe; eskann den Fluss von Ereignissen rekonstruierenund beispielsweise die Entwicklung von Jahresta-gungen, Arbeitskreisen oder Instituten dokumen-tieren. Die Bewertung von Ereignissen, Strömun-gen und Konflikten ist natürlich nicht unproble-matisch und es wird in manchen Fragen kaum dierichtige Darstellung geben. Denn auch im Nach-hinein können Bewertungen sehr unterschiedlichsein: Was für den einen eine vertane Chance ist,kann für den anderen die Korrektur eines Irrwegssein. Aber gerade hier kann die GDM von ih-rer Vielfalt profitieren und beispielsweise Zeitzeu-gen zu Worte kommen lassen, die unterschiedli-che oder gegensätzliche Strömungen vertreten ha-ben.

Die Idee, dass geschichtliches Bewusstsein imWissenschafts- und Bildungsbereich helfen kann,Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, ist zu-nächst naheliegend, vielleicht aber auch naiv. Ge-schichtliches Bewusstsein kann jedoch dazu beitra-gen, die Probleme oder Erfordernisse der Gegen-wart aus Perspektive vergangener Ereignisse undEntwicklungen zu reflektieren.

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6 Magazin GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Aus allen diesen Gründen wäre es wünschens-wert, Mitglieder zu finden, die sich für die Auf-arbeitung der Geschichte interessieren und bereitsind, sich hierfür zu engagieren. Dies gilt für Mit-glieder, die sich bereits mit der Dokumentation derfrüheren Jahre befasst und möglicherweise Vorar-beiten geleistet haben, genauso wie für neu Inter-essierte. Die Arbeit an dieser Thematik kann von

Einzelpersonen, von Gruppen oder vielleicht auchinnerhalb eines neuen Arbeitskreises erfolgen. Wirfreuen uns daher, wenn sich interessierte Mitglie-der mit Ideen und Vorschlägen an den Vorstandwenden.

Mit freundlichen GrüßenRudolf vom Hofe

(1. Vorsitzender der GDM)

Vom Zählstein zum Computer – 20 Jahre Projektgruppe „Geschichteder Mathematik“ der Stiftung Universität Hildesheim

Heinz-Wilhelm Alten

Auswahl der inzwischen beim Springer Verlag Heidelbergerschienenen Bände der Projektgruppe der Stiftung Univer-sität Hildesheim zur Kulturgeschichte der Mathematik (Fo-to/Grafik: H. Wesemüller-Kock)

Unter dem Titel „Vom Zählstein zum Com-puter“ gibt die Projektgruppe eine Buchreihe mitdem Untertitel Geschichte – Kulturen – Menschenbeim Springer-Verlag Heidelberg heraus.

Wie es dazu kam, welche Ziele damit für dieAusbildung von Lehrern für Mathematik und fä-cherübergreifendem Unterricht verfolgt werden,welche Themen in den bisher erschienenen Bändender „Gelben Reihe“ behandelt wurden und welchein weiteren Bänden noch bearbeitet werden sollen– darüber habe ich bei der Präsentation dieser Bän-de in der Sächsischen Akademie der Wissenschaf-ten zu Leipzig, zur Eröffnung der Wissenschaftsta-ge 2008 in München, in der Urania Berlin, für dieTeleakademie des SWR [2] in der Universität Karls-ruhe 2009 und anderorts oft gesprochen. Hierzuveranstaltete das Institut für Mathematik und An-gewandte Informatik der Universität Hildesheimam 14. Februar dieses Jahres ein ganztägiges Kol-loquium anlässlich des 20-jährigen Bestehens derProjektgruppe. In verkürzter Form wird darüberim Folgenden berichtet.

1 Weshalb und wozu Geschichte derMathematik?

Zu dieser Frage ist bereits oft und viel gesagt undgeschrieben worden (s. z. B. [10]). Mir ist diese Fra-ge bereits im ersten Semester in den Vorlesungenvon Prof. Dr. Conrad Müller an der TH Hannoverbegegnet, der als Kenner des Sanskrit und Leibniz-Forscher den Stoff jeweils mit kulturhistorischenErläuterungen bereicherte (dadurch allerdings mitdem Stoff selbst nicht schnell voran kam). So habeauch ich in meinen Vorlesungen für Studenten des

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Lehramts, in Lehrgängen mit Studienbriefen desDIFF (Deutsches Institut für Fernstudien) und beider Weiterbildung graduierter Ingenieure zu Real-schullehrern versucht, die mathematischen Begrif-fe, Sätze und Methoden durch Bemerkungen überihre Entstehung und den oft mühseligen und lan-gen Weg der Entwicklung zu ihrer heute in Schu-len und Hochschulen üblichen Darstellung leichterverständlich zu machen (siehe dazu auch die Auf-sätze von E. Wittmann über die genetische Metho-de und das Buch von H. Hischer [8]).

Vorschläge zur Behandlung des Themas „Ge-schichte der Mathematik im mathematischen Un-terricht“ für die Ausbildung an Schulen unddie Lehramtsausbildung an Universitäten sindseit Jahrzehnten in zahlreichen Forschungsbeiträ-gen, (eigenständigen) Tagungsbänden, Handbü-chern zum mathematischen Unterricht und mathe-matikdidaktischen Themenheften zu finden (sieheu. a. [1, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11]).

Bei der Präsentation des ersten Buches unsererReihe: Vom Zählstein zum Computer – Mathema-tik in der Geschichte, H. Wußing u. a. (siehe [16])habe ich dazu am 11. 2. 1997 ausgeführt:

Mathematik ist vielen ein Gräuel, für vieleSchüler ein gefürchtetes Fach. Mancher Arzt,mancher Ästhet brüstet sich gar damit, Mathe-matik nie richtig verstanden zu haben (wäh-rend ein Mathematiker, der zugibt, nichts mitLiteratur, Musik und Kunst im Sinne zu haben,Gefahr läuft, als Banause oder gar Fachidiot be-zeichnet zu werden). Woran liegt das?

Ist denn nicht Mathematik diejenige Wissenschaft,deren Inhalte eigentlich am einfachsten zu begrei-fen sein müssten, da ihre Lehrsätze auf klar defi-nierten Begriffen und einem System widerspruchs-freier Axiome beruhen und mit den Schlusswei-sen der Logik bewiesen werden können, währenddie Aussagen in anderen Wissenschaften auf Em-pirie, statistischen Erhebungen und fehlerbehaf-teten Messungen beruhen, von Meinungen, Ein-schätzungen oder gar Geschmack und Glaubenabhängen und deshalb oft revidiert, modifiziertoder gar verworfen werden müssen? Hingegen istein einmal bewiesener Satz der Mathematik auchnoch nach Jahrtausenden gültig: jede Schülergene-ration muss den Satz des Pythagoras lernen, unddie Elemente des Euklid dienten noch im vori-gen Jahrhundert als Lehrbuch in Schulen. Dennochunterliegt die Mathematik sehr unterschiedlichenWerturteilen. Der Philosoph Arthur Schopenhau-er hält sie für die niedrigste aller Wissenschaften,da sie auch von Maschinen verrichtet werden kön-ne, wie solche jüngst in England in Gebrauch ge-nommen wurden. Hingegen sagt der auf unseren

Carl-Friedrich Gauß, geehrt von der Deutschen Bundesbank aufeinem Zehn-Mark-Schein

Zehnmarkscheinen abgebildete Göttinger Mathe-matiker Carl-Friedrich Gauß: „Mathematik ist diehöchste aller Wissenschaften und ihre Krone ist die Zah-lentheorie“, während der scharfsinnige und spötti-sche Göttinger Physiker Georg Christoph Lichten-berg meint, die Mathematiker hätten jenen Geruchvon Heiligkeit an sich, mit dem sich auch die Theo-logen umgeben.

Wie dem auch sei: die Mathematik ist seit ehund je ein unentbehrliches Werkzeug des Men-schen und deshalb seit altersher Hauptfach inden Stundenplänen von Schulen und anderen Bil-dungsanstalten. Doch zurück zur eingangs gestell-ten Frage: „Woran liegt es, dass Mathematik vielenSchülern und Studenten so schwer fällt?“ Sicherliegt es auch daran, dass logisches Denken nichtjedermanns Sache ist, dass gerade die Präzisionund Klarheit der Begriffe und Sätze Hemmschu-he beim Verständnis sind, weil die Tragweite derBegriffe und Theoreme erst im Nachhinein erfasstwird und die Notwendigkeit oder Hinlänglichkeitder Voraussetzungen erst beim oft mühseligen undlangwierigen Beweis sichtbar wird. Die Diskussionüber diese Frage und Überlegungen zur Bewälti-gung dieses Übelstandes beschäftigen Lehrer undDidaktiker der Mathematik, füllen Tagungsbändeund Zeitschriften. Ein Grund für die Schwierig-keiten von Schülern und Studenten mit dem Ver-ständnis von Mathematik ist sicherlich auch dieAnforderung, in wenigen Jahren die Ergebnisse ei-nes Jahrtausende währendes Prozesses in sich auf-zunehmen, zu verarbeiten, zu verstehen. Sie lernendie Ergebnisse der Bemühungen vieler Generatio-nen von Mathematikern, die fertigen Produkte ei-nes langwierigen Prozesses, nicht die Produktion,die Entstehung dieses großartigen Gebäudes.

Die Ursachen und Anlässe für die Entwicklungmathematischer Begriffe und Methoden bleibenden meisten verborgen: das oft Jahrzehnte odergar Jahrtausende währende Ringen um den pas-senden Begriff, Irrwege und Misserfolge des um

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8 Magazin GDM-Mitteilungen 97 · 2014

H.-W. Alten bei der Buchpräsentation zu Band 2: 6000 JahreMathematik – eine kulturgeschichtliche Zeitreise, von Euler bis zurGegenwart am 15. Januar 2009 in der Stiftung Universität Hil-desheim vor dem Hintergrund ausgewählter Bilder, hier eineSeite zur Geometrie des Euklid aus der frühen Neuzeit (Foto:Andreas Schmidt)

„Tempel der Mathematik“, wie er von der Projektgruppe zu Be-ginn geplant wurde. Die Themen von drei der vier Säulen wur-den bereits als Bücher herausgegeben, die „Säule“ Zahlentheorieist in Arbeit (Grafik: H. Wesemüller-Kock).

Erkenntnis ringenden Forschers, die Streitigkeitenmit anderen Wissenschaften, die innige Verschmel-zung mit der kulturellen Entwicklung zwischenGelehrten, die Zusammenhänge in verschiedenenLändern und Kulturkreisen – all dies lernen nurwenige kennen. Ich nenne einige Beispiele.

1. Über zwei Jahrtausende haben Gelehrte ge-braucht, um die Unabhängigkeit des eukli-dischen Parallelenpostulates von den übrigenAxiomen Euklids zu beweisen: erst im vorigenJahrhundert zeigten Riemann, Bolyai und Lo-batschewski die Existenz sog. NichteuklidischerGeometrien.

2. Etwa ebenso lange dauerte es, bis Lindemann1882 durch den Beweis der Transzendenz von πzeigte, dass die Quadratur des Kreises mit Zir-kel und Lineal in endlich vielen Schritten nichtmöglich ist.

3. Weshalb lernen Kinder schon frühzeitig mitBrüchen zu rechnen, während ihnen das Rech-nen mit negativen Zahlen erst viel später zuge-mutet wird? Ein Blick in die Geschichte zeigt:schon die alten Ägypter rechneten vor 4000 Jah-ren mit Brüchen, aber bis in die Neuzeit ha-ben Rechenmeister und Mathematiker negati-ve Zahlen nicht als Zahlen anerkannt und nurGleichungen mit positiven Lösungen betrachtet.

Viele Schüler und Studenten erfahren nichts odernur wenig von der Entstehung mathematischer Be-griffe und Methoden, nichts von den Menschen,die das großartige Gebäude der Mathematik Stückfür Stück geschaffen haben, erleben nicht das in-tellektuelle Abenteuer beim Eindringen in die Ge-schichte der Mathematik. Auch ihre Lehrer habenin ihrer Ausbildung zumeist nichts oder nur we-nig davon gehört. Wird doch Geschichte der Ma-

thematik in den alten Bundesländern nur an we-nigen Universitäten fakultativ angeboten und istkein obligatorisches Studien-oder gar Prüfungs-fach für künftige Mathematik lehrer – im Gegen-satz zur früher in der DDR und heute noch in derSchweiz geübten Praxis.

Dies ist für mich umso erstaunlicher, als Li-teraturgeschichte selbstverständlich zum Studiumder Germanistik und Kunstgeschichte zwangsläu-fig zum Studium der Bildenden Kunst gehört.

Der Gedanke, diesem Mangel ein wenig abzu-helfen, führte zur Geburt des Projektes „Geschich-te der Mathematik“, das seit einiger Zeit an unse-rer Universität von einer kleinen Gruppe betriebenwird und von vielen Seiten kräftige Unterstützungerfahren hat.

2 Die Geburt des Projektes „Geschichte derMathematik“ (GdM)

Schon 1977 war aufgrund meiner Erfahrungen mitden Fernstudienbriefen des DIFF (s. o.) in Hil-desheim ein Fernstudienzentrum für die inzwi-schen gegründete Fernuniversität Hagen einge-richtet worden und wurde 1980 Teil der Zen-tralen Einrichtung für Fernstudium und Weiter-bildung (ZFW) der Hochschule Hildesheim. An-fang 1992 baten mich Dr. A. Djafari, Mathema-tikhistoriker und Mitarbeiter im Fernstudienzen-trum, und dessen Leiter, der Medienwissenschaft-ler Heiko Wesemüller-Kock, die Schirmherrschaftfür ein Projekt „Geschichte der Mathematik“ zuübernehmen, in dem Studienbriefe für das Fern-studium zur Geschichte der Mathematik entwi-ckelt werden sollten. Nach etlichen Besprechun-gen und Verhandlungen wurde für dieses Projekt

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vom Institut für Mathematik (heute mit der Ergän-zung „. . . und Angewandte Informatik“, IMAI)und dem ZFW (heute: center for lifelong learning,cl3) die Projektgruppe „Geschichte der Mathema-tik“ gegründet und deren Arbeit durch eine Ko-operationsvereinbarung im April 1994 – also vor 20

Jahren – geregelt. Als Kurzbeschreibung des Pro-jektes legten wir schon damals fest:

Als Teil der Kulturgeschichte soll die Entwick-lung der Mathematik von den ersten Anfängen ingrauer Vorzeit bis zur kaum noch überschaubarenFülle ihrer Theorien und Anwendungen im 20. Jh.in einer Weise dargestellt werden, die zum Selbst-und Fernstudium geeignet ist. Die Darstellung soll

sich an der kulturellen Entwicklung in den ver-schiedenen Kulturkreisen orientieren und Ein-flüsse, Strömungen und Zusammenhänge auf-zeigen,wissenschaftlich präzise und gleichermaßenverständlich für verschiedene Zielgruppen sein.

Adressaten sind an Weiterbildung interessierteErwachsene, Lehrkräfte in Schulen und Schü-ler(innen) der Sekundarstufe, Lehrpersonen undStudierende an Akademien, Hochschulen undUniversitäten.

Abweichend von der üblichen Darstellung inStandardwerken wird die Entwicklung der wich-tigsten Teilgebiete der Mathematik (Arithmetikund Zahlentheorie, Geometrie, Algebra, Analysis)in getrennten Kursen behandelt. Als Grundlage füralle Nutzer dienen Darstellungen zurA. Einführung in die Kulturgeschichte der Mathe-

matikB. Geschichte der Zahlzeichen und des Zahlbe-

griffs.Soweit die Voraussetzungen geschaffen werdenkönnen, sollen in einem späteren Projektabschnittweitere Teilgebiete integriert werden, insbesonde-re solche, die erst in neuester Zeit entstanden sind,z. B. Mathematische Logik, Wahrscheinlichkeits-rechnung und Statistik, Angewandte Mathematik,Numerische Mathematik und Scientific Compu-ting. Zur lebendigen Ergänzung und Veranschau-lichung ist die Erstellung von Videofilmen vorge-sehen.

Die Projektgruppe bestand zu Beginn ausProf. Dr. Heinz-Wilhelm Alten als Leiter (Insti-tut für Mathematik, heute IMAI), dem Mathema-tikhistoriker Dr. Alireza Djafari Naini (ZFW/cl3),und dem Medienwissenschaftler Dipl. Soz. Hei-ko Wesemüller-Kock, (ZFW/cl3). Sie wurde spä-ter erweitert durch Prof. Dr. Klaus-Jürgen Försterals stellvertretender Leiter (IMAI), Prof. Dr. ErwinWagner (ZFW/cl3), Prof. Dr. Jürgen Sander (IMAI),Dr. habil. Karl-Heinz Schlote (IMAI), Prof. Dr. Bar-bara Schmidt-Thieme (IMAI) und Prof. Dr. Tho-mas Sonar (Institut Computational Mathematics,

Technische Universität Braunschweig). Weitere Ex-perten und die Autoren standen und stehen unsjeweils beratend zur Seite.

3 Der erste Band: Überblick und Biographien

Schon Ende 1992 hatte ich auf Vorschlag vonHerrn Djafari Kontakt mit dem Mathematikhisto-riker Prof. Dr. Hans Wußing in Leipzig aufgenom-men, ihn zum Vortrag Zur Genesis der Infinitesimal-rechnung im Mathematischen Kolloquium am 17.Juni 1993 eingeladen und dabei zur Zusammenar-beit für Studienbriefe bzw. Bücher zur Mathema-tikgeschichte gewinnen können.

Nach vier Arbeitstagungen (1993, 1994, 1995),Filmaufnahmen für Videos und regem Briefwech-sel entstand anstelle der früher geplanten Studien-briefe und eines „Nullheftes“ zur Einführung alserster Band einer geplanten Buchreihe „Vom Zähl-stein zum Computer“ das Buch [16] Hans Wu-ßing u. a.: Überblick und Biographien – Mathematikin der Geschichte. Es wurde am 11. Februar 1997

im Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheimmit dem Vortrag von Herrn Wußing Entstehungund Ausbreitung der Mathematik – ein intellektuellesAbenteuer präsentiert.

Am 3. März 1998 wurde der von A. Gottwaldund H. Wesemüller-Kock produzierte Film [14]Vom Zählstein zum Computer – Mathematik in derGeschichte – Altertum auf der Tagung für Didaktikder Mathematik in München von mir vorgestellt.Der Titel der Reihe „Vom Zählstein zum Compu-ter“ stammt von Frau Dr. Gerlinde Wußing wäh-rend eines „Brainstormings“ im Hause Wußing inLeipzig, in dem wir oft zu Besprechungen zusam-menkamen und von Frau Wußing köstlich bewirtetwurden.

Im Vorwort zu diesem Band schrieb ich:

Mögen dieser Einführungsband und der Be-gleitfilm dazu anregen, tiefer in die Geschich-te der Mathematik einzudringen und dadurcheinen besseren Zugang zur modernen Mathe-matik und ihren Anwendungen zu gewinnen.

Wunderschön sind auch die ersten Worte vonHans Wußing in diesem Buch, die ich Ihnen nichtvorenthalten möchte:

Die Hinwendung zur Geschichte der Mathe-matik kann zu einem intellektuellen Abenteuerder schönsten Art werden. Mathematik allerSchwierigkeitsgrade und all ihrer Teilgebietetritt uns entgegen, eingebettet in die verschie-denartigsten Kulturen der Menschheit auf allenKontinenten, verbunden mit den großen Strö-mungen des menschlichen Denkens in Philo-sophie und Religion, in historischer Wechsel-wirkung stehend zu den Errungenschaften der

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H. Wußing und H.-W. Alten bei der Arbeit. Bei vielen Arbeits-treffen in Hildesheim und in Leipzig entstanden die Bände 6000Jahre Mathematik. (Foto: Gerlinde Wußing)

Menschheit in Naturwissenschaft und Technikals Teil der Geschichte der bildenden Kunstund der Literatur, zur Reflexion verleitend überVergangenheit und Zukunft des Menschenge-schlechtes.

Diese Worte können und sollen als das Credo un-serer Buchreihe verstanden werden!

4 „Vom Zählstein zum Computer“ imSpringer Verlag

War dieser erste Band noch beim HildesheimerVerlag Franzbecker erschienen, suchten wir nunfür die weiteren Bände einen größeren Verlag undfanden ihn im renommierten Springer Verlag Hei-delberg, dessen zuständiger Redakteur ClemensHeine mit der Aufnahme der Buchreihe einen er-folgreichen Weg einschlug und uns seitdem stetsein hilfsbereiter und eng verbundener Partner ist.

Die schon unter 1. und 2. beschriebenen Grün-de, Ziele und Adressaten, sowie die Inhalte undihre Darstellung sind auch für diese Buchreihemaßgeblich. Insbesondere ist es ein Anliegen derProjektgruppe, den Zusammenhang zwischen derEntwicklung der Mathematik, der Entstehung ih-rer Begriffe und Methoden und den kulturellen,historischen und politischen Umständen der Zeit-läufe aufzuzeigen. Dadurch sollen auch mathema-tikferne Bildungsbürger verführt werden, sich nä-her mit der Mathematik als Schlüsselwissenschaftzu befassen. Dazu geben Tabellen am Anfang jedesKapitels Einblick in wichtige politische und kultu-relle Ereignisse der behandelten Epoche und Kul-

Titel zu Kap. 2 aus 5000 Years of Geometry (englische Überset-zung). Euklid, Archimedes, Thales und Pythagoras entwickel-ten die Mathematik zur Wissenschaft. Die Ideen und Methodendieser Gelehrten bilden bis heute wesentliche Grundlagen invielen Disziplinen, vor allem in den sog. MINT-Fächern (Gra-fik: H. Wesemüller-Kock)

Titel zu Kap. 5 der Neuauflage des Bandes 4000 Jahre Algebra.Cardano, Descartes, Euler, Vieta und die ‚Bernoullies‘ prägtenden Aufschwung der Mathematik durch neue Sichtweisen undMethoden vom 16. zum 18. Jahrhundert, insbesondere in Alge-bra, Analysis und Geometrie (Grafik: H. Wesemüller-Kock)

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turkreise, Tabellen am Ende die darin gewonne-nen wesentlichen Ergebnisse und Inhalte der Ma-thematik stichwortartig wieder. Aufgaben am En-de jedes Kapitels sollen zum tieferen Eindringenund Verständnis der behandelten Probleme füh-ren. Diese Aufgaben sind von unterschiedlicherSchwierigkeit: Zur Bearbeitung reichen für man-che die auf der Mittelstufe der Gymnasien erwor-benen Kenntnisse, für andere sind Begriffe undMethoden vonnöten, die erst in der Oberstufe oderim Grundstudium der Mathematik behandelt wer-den.

Schließlich strotzen die Bände von farbigen Ab-bildungen, Landkarten, Photographien und erläu-ternden Skizzen, ja, die Bände illustrieren die Ge-schichte der Mathematik im besten Sinn des Wor-tes. Das ist der phantastischen Arbeit von HeikoWesemüller-Kock zu danken, der sich als graphi-scher „Zauberderwisch“ (Zitat: Th. Sonar) erwies.

Für die Geschichte der Geometrie hatte ich be-reits 1995 auf Vorschlag von Herrn Djafari mit un-serem Kollegen Christoph Scriba Verbindung auf-genommen. Herr Wußing sprach für dieses Themaden Kollegen Peter Schreiber in Stralsund an.

Merkwürdigerweise erfuhr ich an ein unddemselben Tag, am 8. März 1997, dass beide bereitseien, als Autoren für diesen Band zur Verfügungzu stehen. So einigte ich mich in einem Gesprächim Restaurant des Hamburger Bahnhofs Dammtormit beiden, wer über was und wie schreiben soll-te.

Viele Diskussionen in der Projektgruppe undmit den Autoren, Briefwechsel, der einen dickenOrdner füllt – dann war es soweit: am 16. Novem-ber 2000 konnten wir den Band [12] C. J. Scriba/P. Schreiber: 5000 Jahre Geometrie – Geschichte, Kul-turen, Menschen mit einem Vortrag des KollegenSchreiber über Albrecht Dürer als Geometer im Mu-siksaal unserer Universität präsentieren. Das Buchwurde sogar in Russland rezensiert. Ivor Grattan-Guinnes, der große britische Mathematikhistori-ker, hoffte auf eine englische Übersetzung „. . . asthere is not a comparable work“ (wird 2015 beiSpringer Basel erscheinen).

Am 26. Juli 2013 ist unser Kollege ChristophScriba verstorben. Mit ihm haben wir einen lang-jährig für uns tätigen Autor und Berater verloren.Wir gedenken seiner in Dankbarkeit.

Titel zu Kap. 6 der Neuauflage 4000 Jahre Algebra. Gelehrte wieCarl-Friedrich Gauß, Bernard Bolzano, Augustin-Louis Cauchy,Joseph-Louis Lagrange und Niels Hendrik Abel dominiertendie Entwicklung der Algebra vom Ende des 18. Jahrhundertsbis weit in das 19. Jahrhundert hinein (Grafik: H. Wesemüller-Kock)

Titel zu Kap. 11 aus 3000 Jahre Analysis. Nichtstandard-Analysisist Thema von Abraham Robinson, Francis William Lawvere,Edward Nelson und Detlef Laugwitz. Sie greifen mit Fragen zuunendlich kleinen und unendlich großen Größen Probleme auf,die bereits in der Antike (Zenon) diskutiert wurden (Grafik: H.Wesemüller-Kock)

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Bei der Präsentation des Bandes 5000 Jahre Geometrie; v. l. n. r.:P. Schreiber, C. Scriba, H.-W. Alten, C. Heine, A. Djafari-Naini,E. Wagner, H. Wesemüller-Kock (Foto: Kruse, Hildesheimer All-gemeine Zeitung, 23. Nov. 2000)

Der Film Vom Zählstein zum Computer – Mittelalter gliedert sichin die Teile Orient und Okzident (jeweils ca. 32 Min.). Beispieleaus der Mathematik sind ebenso enthalten wie geschichtlich re-levante Entwicklungen aus China, Indien, islamischen Ländernund Europa (eine überarbeitete englische Fassung gibt es seit2014).

Für die von A. Djafari in Angriff genommeneGeschichte der Algebra konnten wir als weitereAutoren wiederum Hans Wußing und seinen lang-jährigen Mitarbeiter Karl-Heinz Schlote sowie dieKollegen Menso Folkerts von der LMU Münchenund Harmut Schlosser von der Universität Greifs-wald gewinnen.

Am 28. April 2003 konnten wir den Band [3]H.-W. Alten, A. Djafrai Naini, M. Folkerts, H.Schlosser, K.-H. Schlote, H. Wußing: 4000 Jahre Al-gebra – Geschichte, Kulturen, Menschen mit den Vor-trägen von A. Djafari: Geschichte der Mathematik imIslam, H. Wußing: Die Coß-Vorstufe der Algebra imEuropa der Neuzeit und meinem Beitrag: 4000 Jah-re Algebra – Genese eines Buches vorstellen. Dazuwurden schon Ausschnitte des von H. Wesemüller-Kock und K. A. Gottwald produzierten Video-films [15] Vom Zählstein zum Computer – Mathema-tik in der Geschichte – Mittelalter gezeigt. Der ganzeFilm wurde mit einem Vortrag am 20. November2003 im Kolloquium der Sächsischen Akademieder Wissenschaften präsentiert. Inzwischen liegt erauch in englischer Fassung vor.

Zum neu erschienenen Band 4000 Jahre Algebraschrieb die Neue Ruhr Zeitung:

Das Buch ist wunderbar, es ist voll von Ge-schichte(n) rund um Zahlen und eröffnet so ei-ne Welt, die oft, zu oft verschlossen bleibt.

Als im Dezember 2001 Herr Heine vom Springer-Verlag vorschlug, eine Gesamtdarstellung der Ge-schichte der Mathematik herauszubringen, warmein erster Gedanke: Hans Wußing! Nach ersterAblehnung des ihn überraschenden Vorschlageserklärte Herr Wußing: „Ich mach’s.“ So entstan-den von 2003 bis 2008 – mit vielen Besprechun-gen in Leipzig und Hildesheim, regem Briefwech-sel und Telefongesprächen – die Manuskripte zur

Kulturgeschichte der Mathematik. Daraus entstan-den unter Mitwirkung von Heinz-Wilhelm Altenund Heiko Wesemüller-Kock und nach kritischerDurchsicht der Kollegen Folkerts und Purkert diebeiden umfangreichen Bände [17], [18] H. Wußing:6000 Jahre Mathematik – eine kulturgeschichtliche Zeit-reise.

Bd. 1, Von den Anfängen bis Leibniz und Newton,wurde am 7. Februar 2008 im Rathaus der StadtHildesheim mit dem Autor präsentiert. Herr Ober-bürgermeister Machens rief dabei das Jahr der Ma-thematik in Hildesheim aus.

Bd. 2, Von Euler bis zur Gegenwart, mit ei-nem Ausblick von Eberhard Zeidler, Max-Planck-Gesellschaft Leipzig, konnte sodann am 15. Januar2009 zu meinem 80. Geburtstag mit dem Vortragvon Thomas Sonar: Richard Dedekind: Auf den Spu-ren von Gauß in die Zukunft und meinem Vortrag:Vom Zählstein zum Computer: Die letzten 300 Jahrevorgestellt werden.

Die Rezensionen dieser Bände füllen einenOrdner.

Das Schöne an diesem Buch ist, dass man es anjeder Stelle aufschlagen kann und sofort in denBann der Geschichte der Mathematik gezogenwird. (Forschung & Lehre 2008, Vol. 15)

Viele der Bilder der Buchreihe wurden in dervom Oberbürgermeister Jung bereits am 9. Juni2008 eröffneten Ausstellung im Rathaus Leipziggezeigt.

Im April 2011 ist Hans Wußing verstorben. Mitihm haben wir nicht nur einen unserer langjährigtätigen Autoren, sondern auch einen Freund ver-loren. Wir gedenken seiner mit Dankbarkeit fürdie tatkräftige Unterstützung in nahezu zwei Jahr-zehnten und seine zahlreichen Anregungen für dieBände dieser Reihe.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 13

Abbildung 1. Präsentation des Bandes 3000 Jahre Analysis,v.l.n.r.: Autor Thomas Sonar, H.-W. Alten, H. Wesemüller-Kock(Foto: Lange, Pressestelle Stiftung Universität Hildesheim, 27.Juni 2011)

Für die Geschichte der Analysis gewann HerrFörster den Kollegen Thomas Sonar von der TUBraunschweig. Nach dem Ausscheiden mehrererder dafür zunächst vorgesehenen weiteren Au-toren schrieb Thomas Sonar in erstaunlich kur-zer Zeit das gesamte Buch allein. Am 27. Juni2011 wurde der Band [13] Thomas Sonar: 3000Jahre Analysis – Geschichte, Kulturen, Menschen mitseinem Vortrag Das mächtige Gebäude der Analy-sis seit Newton und Leibniz präsentiert. Zum neuenBand schreibt Karl-Eugen Kurrer in der Zeitschrift„Stahlbau“ (No. 80, Heft 12, 2011):

Mit 3000 Jahre Analysis ist dem Verfasser ei-ne faszinierende Kulturgeschichte der Analysisgelungen. Thomas Sonar versteht es, durch His-torisierung der Mathematik, reine Freude anmathematischen Erkenntnissen zu vermitteln.

Inzwischen ist der Band 5000 Jahre Geometrie indritter Auflage erschienen, die beiden Bände 6000Jahre Mathematik erschienen bei Springer Spektrumim neuen, leuchtend roten Umschlag als Fortset-zung der traditionellen „Gelben Reihe“, ebenso imHerbst letzten Jahres die aktualisierte und ergänzte2. Auflage von 4000 Jahre Algebra mit einem weite-ren Beitrag zur Computeralgebra von Bettina Eick.

5 Wie geht es weiter? (Kolloquium am14. 2. 2014)

Die Buchreihe ist damit jedoch keineswegs abge-schlossen! Derzeit arbeiten wir an der englischenÜbersetzung von 5000 Jahre Geometrie, welche dieTochter Jana unseres Kollegen Schreiber geleistethat und als 5000 Years of Geometry in diesem Jahrbei Springer Basel erscheinen soll. Ferner ist auchein Band zur Zahlentheorie in Vorbereitung, mitdem wir endlich die noch fehlende Säule als Stützedes „Tempels der Mathematik“ aufrichten wollen.

Dazu und für weitere ausgewählte Themen ausGebieten der Mathematikgeschichte, die aus unse-rer Sicht von Interesse für künftige Publikationenin dieser Buchreihe sind, wurden in dem Kolloqui-um am 14. 2. 2014 vier faszinierende Vorträge ge-halten:

Ulf Hashagen (Deutsches Museum München):Die Entwicklung des wissenschaftlichen Rech-nens in der deutschen Wissenschaftskultur (ca.1870–1945)Karl-Heinz Schlote (Stiftung Universität Hil-desheim): Unentbehrliches Hilfsmittel oder gegen-seitiges Verkennen – Aspekte der Wechselbeziehun-gen zwischen Mathematik und Physik an mittel-deutschen Universitäten (ca. 1830–1945)Catherine Goldstein (CNRS Paris): Zahlentheoriein der Zeit von FermatJörn Steuding (Universität Würzburg): Aspekteanalytischer Zahlentheorie in Arbeiten des Hildes-heimer Mathematikers Adolf Hurwitz

Anschließend würdigte Thomas Sonar (TU Braun-schweig) in seinem Vortrag Die Buchreihe der Pro-jektgruppe „Geschichte der Mathematik“ die Arbeitder Projektgruppe und die von ihr herausgegebe-nen Werke.

Im Blick auf die weitere Entwicklung der Buch-reihe kündigte er neben der in Arbeit befindlichenZahlentheorie unter der Schirmherrschaft unseresKollegen Jürgen Sander und der noch in diesemJahr bei Springer Basel erscheinenden englischenÜbersetzung von 5000 Jahre Geometrie die englischeÜbersetzung seines Bandes 3000 Jahre Analysis an.Als weiterer Band ist die Geschichte des mathemati-schen Unterrichts unter der Schirmherrschaft unse-rer Kollegin Barbara Schmidt-Thieme (UniversitätHildesheim) geplant.

Grußworte des Präsidenten der Stiftung Uni-versität Hildesheim, Prof. Dr. Wolfgang-UweFriedrich, des Leiters des Institutes für Mathema-tik und Angewandte Informatik, Prof. Dr. Klaus-Jürgen Förster, des Leiters des center for lifelonglearrning, Prof. Dr. Erwin Wagner, unseres Part-ners Clemens Heine vom Springer Verlag und mei-ne „Erinnerungen“ als Leiter der Projektgruppeschlossen das Kolloquium ab.

Literatur

[1] Henrike Almendinger, Katja Lengnink, Andreas Vohns,Gabriele Wickel (Hrsg.): Mathematik verständlich unter-richten – Perspektiven für Unterricht und Lehrerbildung.Springer Spektrum Wiesbaden 2013

[2] Heinz-Wilhelm Alten: 6000 Jahre Mathematik, eine kul-turgeschichtliche Zeitreise, DVD; Teleakademie des SWR,©Quartino GmbH, München 2011

[3] H.-W. Alten, A. Djafari Naini, M. Folkerts, H. Schlosser,K.-H. Schlote, H. Wußing: 4000 Jahre Algebra – Geschich-te, Kulturen, Menschen. Springer-Verlag Berlin Heidel-berg New York 2003

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14 Magazin GDM-Mitteilungen 97 · 2014

[4] Gerd Biegel, Karin Reich, Thomas Sonar (Hrsg): Histo-rische Aspekte im Mathematikunterricht an Schule undUni-versität. Termessos Verlag Göttingen/Stuttgart 2008

[5] John Fauvel, J. A. van Maanen (Eds.): History in Mathe-matics Education. New ICMI Study Series (Vol. 6), Klu-wer Publishers Dordrecht 2000

[6] Ernst Hairer, Gerhard Wanner: Analysis by its History, 1st

ed. 1996, 2nd ed. Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2008

[7] Wilfried Herget, Silvia Schöneburg (Hrsg.): Mathematik– Ideen – Geschichte. Anregungen für den Mathematik-unterricht. Verlag Franzbecker, Hildesheim 2011

[8] Horst Hischer: Grundlegende Begriffe der Mathematik:Entstehung und Entwicklung Springer Spektrum, Wies-baden 2012

[9] Hans Niels Jahnke, Norbert Knoche, Michael Otte, Wil-liam Aspray: History of Mathematics and Education:Ideas and Experiencies. Vandenhoek & Ruprecht, 1996

[10] Gregor Nickel: Vom Nutzen und Nachteil der Mathema-tikgeschichte für das Lehramtsstudium. Mitteilungen derGDM 95, Juli 2013

[11] Jürgen Schönbeck, Annette Weber-Förster: BedeutendeMathematikerinnen – Ausnahmen in der historischenEntwicklung der Mathematik? in: mathematik lehren:Historische Quellen für den Mathematikunterricht. Band47, Friedrich Verlag Seelze 1991

[12] C.J. Scriba: P. Schreiber: 5000 Jahre Geometrie-Geschichte:Kulturen, Menschen. Springer-Verlag Berlin HeidelbergNew York 2001, 2. Aufl. 2005, 3. Aufl. 2010

[13] Thomas Sonar: 3000 Jahre Analysis – Geschichte, Kultu-ren, Menschen. Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011

[14] H. Wesemüller-Kock, K. A. Gottwald: Vom Zählstein zumComputer– Mathematik in der Geschichte – Altertum – ©Universität Hildesheim1998

[15] H. Wesemüller-Kock, K. A. Gottwald: Vom Zählstein zumComputer – Mathematik in der Geschichte - Mittelalter.© Universität Hildesheim 2004

[16] Hans Wußing u. a.: vom Zählstein zum Computer – Ma-thematik in der Geschichte, 1. Überblick und Biogra-phien. Verlag Franzbecker, Hildesheim 1997,

[17] H. Wußing: 6000 Jahre Mathematik. Eine kulturgeschicht-liche Zeitreise – 1. Von den Anfängen bis Leibniz undNewton. Unter Mitwirkung von Heinz-Wilhelm Altenund Heiko Wesemüller-Kock. Springer-Verlag Berlin Hei-delberg 2008

[18] H. Wußing: 6000 Jahre Mathematik. Eine kulturgeschicht-liche Zeitreise – 2. Von Euler bis zur Gegenwart. Mit ei-nem Ausblick von Eberhard Zeidler. Unter Mitwirkungvon Heinz-Wilhelm Alten und Heiko Wesemüller-Kock,Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009

Für weitere Informationen siehe www.uni-hildesheim.de/fb4/institute/imai/geschichte-der-mathematik/

Heinz Wilhelm Alten, Stiftung Universität Hildesheim,Institut für Mathematik und Angewandte Informa-tik, Marienburger Platz 22, 31141 Hildesheim, Email:[email protected]

Kleine Welten und Netzwerke – Anregungen für die Didaktik

Horst Hischer

In diesem Diskussionsbeitrag wird ein Vorschlagzur Interpretation von „Vernetzung“ mit Blick aufmögliche konstruktive und analysierende Anwen-dungen in der Mathematikdidaktik und in derPädagogik angedeutet, ergänzt um wenige inhalt-liche Anregungen für den Mathematikunterricht.

1 „Vernetzung“ — was ist das eigentlich?

„Vernetzung“ und „Vernetztheit“ sind derzeit be-liebte Termini in der Presse, aber auch in der Ma-thematikdidaktik und in der Pädagogik: „Alles istvernetzt“. Jedoch scheint kaum Bedarf an einerexpliziten tragfähigen Definition zu bestehen. Sowird in [Brandl & Nordheimer 2011, 144] zu Rechtbezüglich der Lehrpläne der Bundesländer betont:

Was unter Vernetzung jeweils konkret verstan-den wird, ist selten explizit beschrieben und er-schließt sich nur mit Hilfe von Beispielen.

Und man begegnet z. T. der Meinung, dass be-deutende Autoren wie etwa Lietzmann, Witten-berg und Wagenschein bereits Termini wie „Net-ze“ bzw. „Vernetzung“ als Metaphern verwendethätten. Hierzu sei zunächst auf die „Nachdenk-seite“ von Götz Eisenberg mit dem Titel „Ver-netzung“ verwiesen, auf der dieser u. a. schreibt(vgl. den entsprechenden Link im Enzyklopädie-Eintrag zu „Vernetzen“ in madipedia.de):

Ich habe gelernt, bei der Verwendung von Me-taphern Vorsicht walten zu lassen. Man mussimmer darauf achten, in welchen Kontext man

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 15

sich damit begibt und welche Deutungsmusterman übernimmt. Wer herausfinden will, was ei-ne Katze ist, sollte auch die Mäuse fragen, undwer wissen möchte, was Vernetzung ist, sollteauch die Fische fragen.

Auf meiner Suche nach solchen Metaphern beiden o. g. Autoren nannte mir Hans Schupp dan-kenswerterweise Fundstellen bei Wittenberg undWagenschein: Sie verwenden hier zwar nichtdie Metaphern „Netz“ oder „Vernetzung“, son-dern andere wie angeordnete Themenkreise, über-schaubarer gedanklicher Bau, durchgespanntesgeistiges Gebilde, Vektoren (Wittenberg), fernerGewebe, System, Zusammenhang, Knotenpunkt(Wagenschein), die man allerdings nachträglich(auch graphentheoretisch) im Kontext von „Netz-Metaphern“ zu sehen geneigt sein mag. Jedoch istanzumerken, dass solche Gebilde oft eine Baum-struktur aufweisen, wozu mir Anselm Lambert er-gänzend und bekräftigend mitteilte, dass Lietz-mann 1949 im Vorwort von „Das Wesen der Ma-thematik“ Mathematik metaphorisch als Baum be-schreibt, denn für ihn sei das „historisch gewach-sen sein“ immer ein sehr wichtiger Aspekt gewe-sen.

Immerhin wird mit den Umschreibungen die-ser drei Autoren eine „Beziehungshaltigkeit“ ge-mäß [Freudenthal 1972, 143] angedeutet, wobeischon [Wagenschein 1970, 400] sinngemäß von ei-ner „beziehungsreichen Schlüsselstellung im Ge-füge der Mathematik“ spricht. Das passt zur „Ein-bettung der Überlegungen in größere ganzheitli-che Problemkontexte außerhalb oder innerhalb derMathematik“, wie es [Wittmann 1978

2, 125] als ei-nes der Kennzeichen der „genetischen Methode“nennt, ferner auch zur von [Vollrath 1976] so ge-nannten „Verbindung“ (eine der „methodischenVariablen“), wozu auch Verbindungen des jewei-ligen mathematischen Inhalts mit anderen, auchaußermathematischen „Themenkreisen“ (s. o.) ge-hören (vgl. auch die Übersicht in [Hischer 2012,28–31]).

Gleichwohl ist zu fragen: Wenn „Vernetzung“oder „Vernetztheit“ nicht deutlich mehr bedeu-ten sollte als die (selbstredenden?) Bezeichnun-gen „Beziehungshaltigkeit“ oder „Verbindung“ –warum wählt man dann den undefinierten und lei-der vieldeutigen Terminus „Vernetzung“?

Im wissenschaftlichen Diskurs sollten grundle-gende Termini eigentlich nicht einer subjektiv be-liebigen Deutbarkeit überlassen bleiben, sie bedür-fen vielmehr zumindest bereichsbezogener Defi-nitionen (wobei es deren dann oft konkurrieren-de bzw. situativ unterschiedliche geben kann undauch gibt). Da aber „Vernetzung“ mittlerweile so-wohl in der wissenschaftlichen Didaktik als auch

in der Bildungspolitik bei Lehrplänen und auchbeim Strukturieren von Schulbüchern offensicht-lich sogar wesentlich verwendet wird, halte icheine Begriffspräzision für erforderlich. Der nach-folgend unterbreitete Vorschlag beruht nicht aufdem (z. B. im Sinne des ersten Zitats) durchaus be-gehbaren Weg einer abstrahierenden Analyse allder Beispiele und Vorschläge, die in der Didaktikder Mathematik unter „Vernetzung“ bisher subsu-miert worden sind und werden, sondern es wirdwie folgt gefragt:

Welches Potential bieten einerseits Methodenund Ergebnisse der sog. Netzwerktheorie für An-wendungen in der Didaktik und in der Pädago-gik, und was ergibt andererseits eine abstrahieren-de Analyse der Bedeutungsvielfalt, die mit „Netz“(und in der Folge auch mit „Vernetzung“) zu-nächst im Alltagsverständnis (und damit auch imaußerwissenschaftlichen Bereich) assoziiert wird?

2 Das Kleine-Welt-Phänomen

Stößt man als Fremder zu einer Versammlung undstellt nach kurzer Unterhaltung fest, dass man miteinem anderen Teilnehmer einen gemeinsamen Be-kannten hat, so kommentiert man das sinngemäßetwa mit „Ach, wie ist die Welt doch klein!“. Dochwas bedeutet das? Ist es tatsächlich eine „Bin-senweisheit“, dass die Welt immer kleiner wür-de, wie in http://www.taz.de/!82628/ (gültig am2. 5. 2014) zu lesen ist? Wohl kaum – immerhinwird das „Kleine-Welt-Phänomen“ erst seit Endeder 1990er Jahre statistisch und mathematisch mo-dellierend seriös untersucht. Dazu zunächst zweiBeispiele:

2.1 Das Kevin-Bacon-OrakelDer bis in die 1990er Jahrekaum bekannte Film- undFernsehschauspieler KevinBacon trat früher vor al-lem in Nebenrollen auf.1996 war er dann zu inter-nationaler Bekanntheit ge-langt, nachdem im TimeMagazine die „The Oracleof Bacon“ genannte Web-site oracleofbacon.org desInformatikers Brett Tjaden

als eine der „Top Ten“ ausgezeichnet wurde. DieseWebsite basiert auf imdb.com, der Internet MovieData Base, einer ständig aktualisierten und öffent-lich zugänglichen Datenbank, und sie enthält wei-tere aktuelle statistische Daten.

Die Eingabe des Namens eines beliebigen re-gistrierten „Akteurs“ in oracleofbacon.org lieferteine Zahl aus N ∪ {∞} als „Abstand“ zu Bacon,genannt Bacon-Zahl dieses Akteurs (z. B. „3“ als

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Bacon-Zahl von Heinrich George). Das funktio-niert wie folgt: Im (zeitabhängigen) Zusammenar-beitsgraphen, dessen Knoten für die in der Daten-bank erfassten Akteure stehen, verläuft zwischenzwei Knoten genau dann eine Kante, wenn beidein mindestens einem Film gemeinsam mitgewirkthaben. Die Bacon-Zahl eines Akteurs A ist danndie Länge eines kürzesten Weges in diesem Gra-phen zwischen A und Bacon, also d(A, Bacon).

Die größte bisher aufgetretene endliche Bacon-Zahl ist 8 (siehe folgende Tabelle), und die mittle-re Bacon-Zahl ist seit 1999 erstaunlich stabil, unddas trotz nahezu Verachtfachung der Datenbasis.Anfang Mai 2014 gab es weltweit nur sieben inimdb.com registrierte Akteure mit der (größten)Bacon-Zahl 8, und fast 1.150.000 (rund 64 %) derAkteure hatten die extrem niedrige Bacon-Zahl 3.

2.2 Die Erdos-ZahlDie „Erdos-Zahl“ beziehtsich auf den ungarischenMathematiker Pál Erdosund ist ähnlich wie dieBacon-Zahl definiert. Derzeitabhängige Zusammen-arbeitsgraph aller welt-weit sowohl lebenden alsauch nicht mehr lebenden,jeweils publiziert haben-den Mathematiker(innen)

– „Autoren“ genannt – sei nun Mathematiker-Graphgenannt und mit Cm bezeichnet („C“ steht für„collaboration graph“).

Genau dann verläuft zwischen zwei Knoten(den Autoren) von Cm in Analogie zum Akteurs-Graphen eine Kante, wenn sie mindestens einePublikation gemeinsam verfasst haben (wobei auchweitere Autoren beteiligt sein können). Für al-le Autoren M ist dann d(M, Erdos) deren Erdos-Zahl. Cm basiert auf der von der American Mathe-matical Society gepflegten „MathSciNet“ genanntenDatenbank. Die Erdos-Zahlen sind abrufbar unterams.org/mathscinet/collaborationDistance.html.

Die Autoren mit endlicher Erdos-Zahl bildenden Erdos-Graph Ce (ein Untergraph von Cm). ImStand von 2010, bei einer Datenbasis von damalsrund 268.000, war 13 die größte Erdos-Zahl, und4,65 war die mittlere Erdos-Zahl – ein wie bei derBacon-Zahl ebenfalls sehr kleiner Wert (mehr dazuvon Jerry Grossman unter oakland.edu/enp/).

Erdos-Zahl Häufigkeit2010

Erdos-Zahl Häufigkeit2010

1 504 8 3146

2 6593 9 819

3 33605 10 244

4 83642 11 68

5 87760 12 23

6 40014 13 5

7 11591

Mittlere Erdos-Zahl: 4,65

Datenbasis: 268.015

2.3 Kleine WeltenIm Erdos-Graphen existiert zwischen je zwei Au-toren A und B stets ein Weg über Erdos, und weildie Erdos-Zahl maximal 13 ist, folgt d(A, B) ≤ 26.Analog ist im Akteurs-Graphen d(A, B) ≤ 16, dochverschärft gilt sogar d(A, B) ≤ 15. Dieser maxima-le Knotenabstand eines Graphen ist hier also an-gesichts der jeweils großen Datenbasen sehr klein.Damit ist auch der mittlere Knotenabstand jeweils„relativ klein“ (was als „schnelle Durchsuchbar-keit“ des Graphen beschreibbar ist), und darüberhinaus ist er bei beiden Zusammenarbeitsgraphensogar nahezu unabhängig von der Knotenanzahl.

In dieser Sichtweise sind die beiden hier vorge-stellten Graphen Beispiele für Kleine Welten.

2.4 Kleine Welten: „Naben“ und das „Potenzgesetz“In vollständigen Graphen sind je 2 Knoten direktverbunden, d. h., es gilt d(A, B) = 1 für alle KnotenA und B – und damit ist jeder vollständige Graphein trivialer Sonderfall einer Kleinen Welt. Dochwie kann dann bei großen, natürlichen, nicht-vollständigen Graphen wie z. B. den gerade be-trachteten das Kleine-Welt-Phänomen auftreten?

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 17

Die Erklärung findet sich oft in der Existenz „we-niger“ Knoten mit extrem hohem Knotengrad, ge-nannt „Naben“ („hubs“). Deren Auftreten ergibtsich in vielen Wachstumsprozessen sowohl empi-risch als auch modellierend durch “preferentialattachment“: Beim Entstehen neuer Kanten zum„Andocken“ an vorhandenen Knoten werden Kno-ten mit relativ hohem Grad bevorzugt. Dieses Prin-zip heißt “rich get(s) richer“ oder auch (mit Bezugauf das Matthäus-Evangelium 25, 29) „Matthäus-Effekt“: „Denn wer da hat, dem wird gegeben wer-den, und er wird die Fülle haben [. . . ]“

So „sind“ z. B. Bacon und Erdos jeweils Nabenin „ihren“ Graphen (mit jeweils noch weiteren Na-ben). Naben sind für das Ausfallverhalten von rea-len „Netzwerken“ bedeutsam: Unter welchen Be-dingungen bleibt die Funktionsfähigkeit erhalten,wenn gewisse (nicht zu viele) Knoten oder Kantenausfallen? Bei gezieltem Angriff auf Naben (derenZerstörung) kann das Netzwerk Schaden nehmen,im schlimmsten Fall sogar zusammenbrechen. Esist dann in diesem Sinn instabil. Werden aber zuzerstörende Knoten nicht gezielt ausgewählt, son-dern (in nicht zu großer Anzahl) nur stochastischzerstört, so bleibt das Netzwerk funktionsfähig, esist stabil. Das wurde sowohl empirisch als auchin Modellierungen bestätigt (vgl. [Hischer 2014, 29

ff.]).

Die Tabelle links zeigt die Häufigkeits-Vertei-lung der Knotengrade von Ce im Stand von 2010.

Die erste Abbildung unten stellt diese Datengraphisch dar, die zweite zeigt den Anfangsteil indoppelt-logarithmischer Darstellung, und die letz-te zeigt (erkennbar für die Knotengrade von etwa3 bis 16) einen vergrößerten mittleren Ausschnittmit einem nahezu „geradlinigen Verlauf“, was inder Netzwerktheorie „Potenzgesetz“ heißt:

Ist k der Grad eines Knotens und p(k) die re-lative Häufigkeit der Knotenanzahl in dem Gra-phen mit dem Grad k, so gilt mit einer Konstan-ten γ für einen großen Bereich von k die Pro-portionalität p(k) ∼ k−γ („power law tail“). Diedritte Abbildung liefert γErdos ≈ 2,97, und ana-log ist γBacon ≈ 2,3. Für Kleine Welten gilt dieses„Potenzgesetz“ oft sowohl empirisch als auch inSimulationsmodellen als wichtige weitere Eigen-schaft. Die „meisten“ Knoten in solchen Zusam-menarbeitsgraphen haben dann einen sehr kleinenGrad. Das Potenzgesetz gilt aber nicht für alle Klei-nen Welten, z. B. nicht bei vollständigen Graphen,weil hier alle Knoten denselben Grad haben (vgl.die erste Abbildung!).

3 Netz, Netzwerke und Vernetzung

3.1 ProblematisierungDas in vielen Bereichen (wie z. B. Soziologie undBiologie) beobachtete Kleine-Welt-Phänomen wur-de zuerst von Stanley Milgram beschrieben (vgl.[Hischer 2014, 8 f.]) und hat zur Entwicklungder Netzwerktheorie beigetragen (vgl. [Newman2010]). Ende der 1990er Jahre gelang mit Metho-den der Statistischen Physik eine mathematischeModellierung, die ein Verständnis mancher Phäno-mene wie z. B. dem der „Kleinen Welten“ ermög-lichte.

Doch was ist im pädagogisch-didaktischenKontext unter „Netzwerk“ bzw. „Netz“ zu ver-stehen? So verwendet z. B. [Hasemann 1988] (al-so noch vor Etablierung der Netzwerktheorie) imKontext „kognitionstheoretischer Modelle“ syn-onym die Termini „Netzwerk“ und „Netz“ (auch„semantische Netzwerke“ bzw. „semantische Net-ze“ genannt), wobei die Kanten für „semantische

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18 Magazin GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Relationen“ stehen. Strukturell liegen hier (gerich-tete) Graphen vor (wie a. a. O. erwähnt).

Sucht man in der Mathematik nach Defini-tionen für „Netz“ oder „Netzwerk“, so bietetzwar die Graphentheorie mehrere Definitionen für„Netz“ an, die hier jedoch nicht hilfreich sind. Dasgilt auch für die Definition von „Netzwerk“ als„zusammenhängender, gerichteter Graph mit ge-nau einer Quelle, genau einer Senke und mit einerKapazitätsfunktion“ in [Lexikon der Mathematik2000].

Dies war für mich Anlass für einen eigenen An-satz zur Entwicklung begrifflicher Präzisierungenfür „Netz“, „Netzwerk“ und „Vernetzung“.

3.2 „Netz“ im pädagogisch-didaktischen KontextEine Sammlung der vielfältigen Bedeutungen von„Netz“ im Alltagsverständnis führt durch Bünde-lung und Abstraktion zu folgendem Katalog (aus-führliche Darstellung in [Hischer 2010, 49 ff.], an-deutungsweise auch in [Hischer 2014, 15 ff.]):Ein Netz

dient einerseits dem Aufzeigen von Verbindun-gen bzw. Zusammenhängen,dient andererseits dem Herstellen von Verbin-dungen bzw. Zusammenhängen,kann zwar ein Gefangensein bewirken,kann aber zugleich Sicherheit bzw. Schutz bie-ten,enthält dennoch oft Schlupflöcher,vermag über seinen Inhalt zu täuschen.

Eine Interpretation dieses Eigenschaftskatalogsvon „Netz im Alltagsverständnis“ in pädagogisch-didaktischer Sicht lässt drei unterschiedliche Blö-cke erkennen:

Bestandteile: Die ersten beiden Eigenschaften be-ziehen sich auf die Bestandteile eines Netzes(im pädagogisch-didaktischen Kontext sind dasObjekte wie Begriffe, Ideen, Dinge, . . . , ggf. Le-bewesen), die man wie in der GraphentheorieKnoten nennen kann und die durch die obenangesprochenen Verbindungen bzw. Zusammen-hänge als Kanten verbunden sind.Benutzer: Die nächsten drei Eigenschaften be-treffen die Benutzer eines Netzes: Sie bildenwie in einem Gemüsenetz den „Inhalt“ einesNetzes, es sind also hier die mit den Bestand-teilen umgehenden Benutzer gemeint (z. B. dieSchülerinnen und Schüler).Betrachter: Die letzte Eigenschaft (Täuschungüber den Inhalt) betrifft die Betrachter einesNetzes (z. B. Lehrpersonen, die ihre Schülerin-nen und Schüler beobachten).

Aus pädagogischer Sicht ist zu beachten: Wie beieinem Spinnennetz oder einem Fischernetz kön-nen die Benutzer „Opfer“ eines Netzes werden

oder sein, wenn sie sich z. B. in den „Maschen desNetzes“ verfangen, etwa beim Surfen im WWW.

So kann ein materielles Netz für seine Benut-zer zum Gefängnis werden, aus dem es sich zubefreien gilt: Menschliche Benutzer eines Netzeslaufen damit Gefahr, zum Bestandteil dieses Net-zes zu werden – wenn sie etwa bei dessen Benut-zung nicht hinreichend „emotionale Distanz“ wah-ren! Und weiterhin können menschliche Benutzereines Netzes zu Betrachtern dieses Netzes werden(und umgekehrt), wobei das Netz diese (und ggf.andere) Gruppen (möglicherweise „durchlässig“)trennt.

Eine vierte denkbare Gruppe, nämlich die derKonstrukteure eines Netzes, ist verzichtbar – wirkönnen die Aufgabe der Konstruktion bei den Be-trachtern ansiedeln, fallweise auch bei den Benut-zern. Insgesamt zeigt sich: Die begriffliche Unter-scheidung zwischen Bestandteilen, Benutzern undBetrachtern eines Netzes ist weder scharf noch ab-solut, sie ist relativ, sie meint eine zweckbezogeneTendenz, und es ist ein Rollenwechsel möglich.

Ein „greifbares“ materielles Netz (Fischernetz,Spinnennetz, Trapeznetz) wird i. d. R. als einfacher(mehrfachkantenfreier) Graph beschreibbar sein.Das scheint nach dem hier vorliegenden Ansatz fürein „Netz“ im pädagogisch-didaktischen Kontextnicht zu gehen.

Vielmehr liegen zunächst Assoziationen mitdem soziologischen „System“ nahe (bei dem eben-falls die „Betrachter“ eine wichtige Rolle spielen).Dennoch benötigt man den dubiosen Systembe-griff wohl nicht:

Das „Netz im pädagogisch-didaktischen Kon-text“ besteht aus den drei „Trägermengen“ der Be-standteile, der Benutzer und der Betrachter, den(noch näher zu beschreibenden) Beziehungen (Re-lationen, Operationen) innerhalb dieser drei Trä-germengen und schließlich aus strukturellen Be-ziehungen zwischen diesen drei Trägermengen.

Zur strukturellen Beschreibung der Bestand-teile (den „Knoten“ mit ihren Verbindungen als„Kanten“) bieten sich einfache (ggf. gerichtete)Graphen an, die man sich überlagert bzw. kom-biniert denken kann, um auf diese Weise ggf. vor-handene Mehrfachkanten (bei „Multigraphen“) zuerfassen. Die (ebenfalls vielfältig denkbaren) Be-ziehungen der Benutzer zu den Bestandteilen undder Benutzer untereinander lassen sich bei Be-darf durch weitere Graphen beschreiben. Hinzukommen Beziehungen der Betrachter zu den Be-nutzern und zu den Bestandteilen, außerdem Be-ziehungen der Betrachter untereinander, so dassmehrere Graphen vorliegen können, die insgesamtin ihrer Kombination ein Netz im pädagogisch-didaktischen Kontext ausmachen.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 19

3.3 Netzgraph, Netzwerk, VernetzungDazu sei hier zunächst ein kleiner Ausflug in dieWelt der (mathematischen) Graphentheorie voran-gestellt bzw. nachgeholt (vgl. z. B. [Hischer 2010]):In einem ersten Schritt sind spezielle einfache Gra-phen zu charakterisieren, die das graphentheore-tisch „Innerste“ der Netze (nämlich ihre Bestand-teile) axiomatisch beschreiben:

Im idealtypischen Fall soll dies ein Netzgraph(Abbildung unten links) sein, der durch folgen-de Eigenschaften gekennzeichnet ist: (1) ein end-licher, zusammenhängender Graph (ein Graph istgenau dann zusammenhängend, wenn zwischen jezwei Knoten ein „Weg“ existiert), (2) bei dem jedeKante „Teil einer Masche“ ist (eine Masche ist einsehnenfreier Kreis, und ein Kreis ist ein geschlos-sener Weg, bei dem jeder Knoten und jede Kan-te genau einmal vorkommt, also auch ohne Wie-derholungen), (3) ergänzt durch die sinnvolle Zu-satzforderung, dass jeder Knoten mindestens denGrad 3 hat (der Grad eines Knotens gibt die An-zahl der Kanten an, die mit dem Knoten „ando-cken“, „inzidieren“ genannt). In Netzgraphen gibtes dann zwischen je zwei Knoten stets mindestenszwei verschiedene Wege (siehe Abbildung).

Diese ideale Vernetzung würde bedeuten, dass eszu jedem Eingang mindestens zwei Ausgänge gibt,oder anders: dass es stets verschiedene Wege zu einemZiel gibt (was vielleicht als Kennzeichen für einenoffenen Unterricht deutbar ist . . . ).

In der Netzwerktheorie ist „Netzwerk“ oft nurein anderer Name für die dort (in Anwendungs-oder Modellierungssituationen) betrachteten Gra-phen. Hier wird nun stattdessen vorgeschla-gen, „Netzwerk“ als abgrenzenden Namen füreinen (einfachen) zusammenhängenden, maschenhal-tigen Graphen (Abbildung unten rechts) zu neh-men, womit dann ein „Baum“ kein Netzwerk ist.(Ein Graph sei „maschenhaltig“ genannt, wenn ermindestens eine Masche enthält).

Jeder Netzgraph ist damit ein Netzwerk, abernicht umgekehrt. Ferner: Genau Netzwerke sindstets vernetzt, Netzgraphen sind ideal vernetzt, Bäu-me sind aber nicht vernetzt, sondern nur verzweigt:

Während es in einem Netzgraphen zwischenje zwei Knoten stets mindestens zwei verschiedeneWege gibt, liegt bei Bäumen die konträre Situationvor, denn hier gibt es zwischen je zwei Knoten stetsgenau einen Weg. In diesem Sinne sind Mind-Mapsi. d. R. nicht vernetzt, also keine Netzwerke.

Es gibt graduelle Abstufungen von „Vernet-zung“, die qualitativ beschreibbar und auch durchVernetzungsgradmaße quantitativ messbar sind (vgl.[Hischer 2010, 110 ff.; 190 ff.]).

4 Konsequenzen

4.1 „Vernetztes Denken“ vs. „Vernetzendes Denken“Dies ist nur ein kleiner Zwischenruf, dem eigent-lich mehr Platz gebührt:

Vielfach (leider: meistens) wird „vernetztesDenken“ propagiert, jedoch fordert [Klafki 2007,63] in seinem Allgemeinbildungskonzept erfreuli-cherweise „vernetzendes Denken“. So sollte manzwischen „vernetztem Denken“ (einer Nutzungbereits vorhandenen Vernetzseins) und „vernet-zendem Denken“ (der Herstellung neuen Vernetz-seins) unterscheiden (vgl. auch hier die Ausfüh-rungen in [Hischer 2010]).

4.2 Kleine Welten und vernetzender UnterrichtHier sei zunächst an die in der Didaktik bisherbetrachteten „semantischen Netzwerke“ gedacht(siehe z. B. [Hasemann 1988]), die der Beschrei-bung der Struktur von Unterrichtsinhalten dienen(sollen): Knoten sind z. B. Themen, Ideen, Begriffe,Definitionen, Vermutungen, Sätze, . . . , auch Beispieleunter Einschluss von Übungsaufgaben. Kanten sindBeziehungen zwischen diesen Knoten: logische imSinne des Schließens und des Folgerns bzw. desFolgens, aber auch emotionale des Entdeckens, Er-lebens, Irrens, Ratlosseins, . . . , die insgesamt zueiner individuellen lernpsychologischen „Veranke-rung“ der Knoten beitragen (können).

Diese Kanten können sowohl gerichtet als auchungerichtet sein.

Zur Vermeidung von Missverständnissen seibetont, dass diese nur beispielhaft und nicht ab-schließend gemeinte Aspektauflistung für Knotenund Kanten aus der Perspektive der Schülerinnenund Schüler zu sehen ist: Was sind für sie Anker-punkte des Wissens (Entdeckens, Behaltens, . . . ),und wie verknüpfen sie das alles miteinander, wie„konstruieren“ oder „rekonstruieren“ sie das? Essoll also hier nur angedeutet werden, was mög-lich ist – Konkretes muss weiteren Untersuchun-gen und Analysen vorbehalten bleiben.

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Hier sollten nun die erwähnten Naben in denBlick kommen, denn sie ermöglichen kurze Wegezwischen den Knoten, und ihr Ausfallverhalten istwichtig: Wie entstehen solche Naben, wie kannman ihre Entstehung und Stabilisierung fördern,wie Wichtiges gegenüber Unwichtigem betonen?

„Vernetzen“ ist dann ein Prozess, bei dem ausbereits vorliegenden Knoten ein Netzwerk gebildetund erweitert wird – durch Einziehen neuer Kan-ten bei vorhandenen Knoten (durch “preferentialattachment“?) bzw. durch Einfügung neuer Kno-ten, gefolgt vom Einziehen weiterer Kanten –ver-netzendes Denken! Zu Beginn eines solchen Prozes-ses müssen die ersten Knoten und Kanten nochkein Netzwerk im definierten Sinn bilden. Dochmit der ersten auftretenden Masche liegt dann zu-mindest eine teilweise Vernetzung vor. Dieser Pro-zess kann ggf. auf die Entstehung eines Netzgra-phen hinauslaufen. Aber auch ein „Schrumpfen“ist möglich. Aufgrund der unterschiedlichen Kan-tentypen (gerichtet oder ungerichtet) können dieBestandteile ggf. in mehrere Graphen zerlegt ge-dacht werden, die sich überlagern.

Diese Andeutungen bedürfen einer Vertiefungan anderer Stelle: Zum Verstehen solcher Vernet-zungsprozesse sind möglicherweise einschlägigeErkenntnisse und Methoden u. a. auch aus der (so-ziologischen) Netzwerktheorie heranzuziehen.

4.3 Kleine Welten im Mathematikunterricht?Hier seien nur einige inhaltliche Anregungen für ei-ne neuartige, aktuelle Betrachtung von Graphenim Mathematikunterricht skizziert. Diese offene Lis-te ist jedoch nicht als empfohlene Reihenfolge derBehandlung im Unterricht gedacht:

„Renaissance“ der Thematisierung endlicherGraphen im Unterricht durch Experimentierenmit „kleinen“ endlichen Graphen.„Kleine-Welt-Phänomen“: experimentelle An-eignung empirischen Wissens im WWW mit„großen“ endlichen Graphen (Bacon, Erdos).Statistische Datenbankauswertung: Mittelwer-te, zeitliche Entwicklungen, Potenzgesetz, . . .Eigenschaften großer „Netzwerke“: Naben,Ausfallverhalten.Netzwerkstatistiken: mittlerer Knotenabstand,mittlerer Knotengrad, . . .Transfer dieses empirischen Wissens auf anderegroße „Netzwerke“.. . .

4.4 Kleine Welten und soziale NetzwerkeWas ist ein „soziales Netzwerk“? Man denkt hiervermutlich an Facebook, Twitter usw. – jedoch: Wiesieht eigentlich die Struktur dieser Netzwerke aus?Die Abbildung oben rechts visualisiert Wesentli-ches (nach [Newman et al. 2001, 02618-2]):

Der obere Graph ist ein bipartiter Graph, dessenKnotenmenge in zwei Teilmengen zerfällt, derenKnoten jeweils nicht benachbart sind. Wenn bei-spielsweise die Ziffern für Filme und die Buch-staben für Akteure stehen, dann liegt ein Zusam-menarbeitsgraph wie im Abschnitt 2.1 vor, also einAkteurs-Graph.

Der untere Graph ist die unipartite Projektiondes oberen Graphen, sie enthält offenkundig weni-ger Informationen als der obere Graph. Beides sindBeispiele für soziale Netzwerke, wie sie in der Sozio-logie als affiliation networks (also Verwandtschafts-netzwerke oder Freundschaftsnetzwerke) unter-sucht werden:

Die Kanten in der unipartiten Projektion ste-hen für existierende „Gemeinsamkeiten“ der Kno-ten (hier also für gemeinsame Filme der Akteure),während die obere Darstellung (also der bipartiteGraph) auch angibt, welches jeweils die gemeinsa-men Filme sind. Es werden sogar alle gemeinsamenFilme angegeben (so sind 1 und 2 gemeinsame Fil-me von B und D).

Ferner kann man die Abbildungen auch alsDarstellungen des Erdos-Graphen ansehen odersich hierbei Schülerinnen und Schüler mit ihren In-teressen usw. vorstellen.

Insbesondere schließt sich mit dieser Dar-stellung sozialer Netzwerke der Kreis zur bis-her vorgestellten und unabhängig davon entwi-ckelten Konzeption von „Netz im pädagogisch-didaktischen Kontext“: Die Ziffern im oberen Teildes bipartiten Graphen mögen für die Bestandteile(z. B. „Unterrichtsinhalte“) stehen und die Buch-staben für die Benutzer (z. B. Schülerinnen undSchüler). Dann wird deutlich, dass mit diesembipartiten Graphen ein Teilaspekt von „Netz impädagogisch-didaktischen Kontext“ erfasst wird.

Hinzu kommen die Betrachter, für die Ähnli-ches gilt, und man kann dann entsprechend diegraphentheoretische Struktur (im einfachsten Fall)zu „tripartiten Graphen“ erweitern: Beziehungen

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 21

zwischen den Benutzern und gewissen Bestand-teilen, Beziehungen zwischen den Betrachtern unddenselben Bestandteilen und schließlich Beziehun-gen zwischen den Benutzern und den Betrachtern.(Komplexer wird es bei der Berücksichtigung vonBeziehungen unterschiedlichen Typs).

In Abschnitt 3.2 wurde das auf einer Analysedes Alltagsverständnisses von „Netz“ basierendeNetz im pädagogisch-didaktischen Kontext vorge-stellt. Dieses erweist sich nun in neuer Sicht alsein verallgemeinertes dreifach strukturiertes sozia-les Netzwerk, das „Pädagogisches Netz“ genanntsei.

Wegen der komplexen Beziehungen zwischenden Knoten der drei Ebenen (Bestandteile, Benut-zer, Betrachter) wird der entsprechende tripartiteGraph in aller Regel nicht planar sein. Berücksich-tigt man, dass die in den „Bestandteilen“ erfasstenElemente von unterschiedlichem Typ sein könnenund sein werden, so wird die „Bestandteilsebene“in Teilebenen aufzuspalten sein.

Diese (z. T. noch vagen) Andeutungen mögenzu einer ungewöhnlichen, ungewohnten Sichtwei-se anregen: Eine derartige graphentheoretisch ori-entierte Kennzeichnung sozialer Netzwerke bietetim Prinzip ein reichhaltiges Werkzeug zur Erfas-sung kommunikativer und sozialer Strukturen imUnterricht, welches sich für Untersuchungen, Be-schreibungen und Planungen im pädagogischenRahmen eignet. Entsprechende Methoden sind je-doch an anderer Stelle noch auszuarbeiten und zuerproben.

Dabei ist zu prüfen und zu berücksichtigen,inwieweit konkrete Werkzeuge in der mathema-tischen Netzwerktheorie und insbesondere in derSoziologie (oder auch in anderen Disziplinen) be-reits vorliegen, um (in ggf. modifizierter Form)darauf zurückgreifen bzw. darauf aufbauen zukönnen.

Für die Planung, Durchführung und Auswer-tung des Unterrichts spielen sowohl die Schülerin-nen und Schüler als auch die Lehrpersonen (undggf. weitere Betrachter) eine wesentliche Rolle. MitHilfe des beschriebenen „Pädagogischen Netzes“werden diese explizit berücksichtigt. Damit sei eininteressantes Forschungs- und Entwicklungsfeldumrissen.

Ich danke Wilfried Herget, Anselm Lambertund Hans Schupp für wertvolle kritisch-konstruk-tive Rückmeldungen zu diesem Beitrag.

Literatur

Brandl, Mathias & Nordheimer, Swetlana [2011]: Zufälligvernetzt? Vernetzungen mit Stochastik im Lehrplan und dar-über hinaus. In: R. Haug & L. Holzäpfel (Hrsg.): Beiträgezum Mathematikunterricht 2011. Münster: WTM-Verlag, S.143–146.

Freudenthal, Hans [1973]: Mathematik als pädagogische Aufgabe.Band 1. Stuttgart: Klett.

Hasemann, Klaus [1988]: Kognitionstheoretische Modelle undmathematische Lernprozesse, In: Journal für Mathematikdi-daktik, 9 (1988) 2/3, 95–161.

Hischer, Horst [2010]: Was sind und was sollen Medien, Netze undVernetzungen? – Vernetzung als Medium zur Weltaneignung.Hildesheim: Franzbecker.

Hischer, Horst [2012]: Grundlegende Begriffe der Mathematik: Ent-stehung und Entwicklung. Struktur – Funktion – Zahl. Wiesba-den: Springer Spektrum.

Hischer, Horst [2014]: Kleine Welten und Netzwerke und ihr mög-liches Potential für Didaktik, Unterricht und Pädagogik.Erscheint in einem Tagungsband. Vorab als Preprint: www.math.uni-sb.de/service/preprints/preprint342.pdf

Klafki, Wolfgang [2007]: Neue Studien zur Bildungstheorie und Di-daktik – Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktiveDidaktik. Weinheim/Basel: Beltz (6., neu ausgestattete Auf-lage; 1. Auflage 1985).

Lexikon der Mathematik [2000]: Mannheim/Heidelberg: Spek-trum Akademischer Verlag.

Lietzmann, Walter [1949]: Das Wesen der Mathematik. Braun-schweig: Vieweg.

Newman, Mark [2010]: Networks. An Introduction. Oxford: Ox-ford University Press.

Newman, Mark E. J. & Strogatz, Steven H. & Watts, DuncanJ. [2001]: Random graphs with arbitrary degree distributi-ons and their applications. In: Physical Review E, 64(2001),026118, 1–17.

Vollrath, Hans-Joachim [1976]: Die Bedeutung methodischerVariablen für den Analysisunterricht. In: Der Mathematik-unterricht, 22 (1976) 5, 7–24.

Vollrath, Hans-Joachim [2001]: Grundlagen des Mathematikun-terrichts in der Sekundarstufe. Heidelberg/Berlin: SpektrumAkademischer Verlag.

Wagenschein, Martin [1970]: Ursprüngliches Verstehen und exak-tes Denken I. Stuttgart: Klett (2. Auflage; 1. Auflage 1965).

Wittenberg, Alexander Israel [1990]: Bildung und Mathematik –Mathematik als exemplarisches Gymnasialfach. Stuttgart: Klett.(Erstausgabe 1963, geschrieben in Québec, Kanada.)

Wittmann, Erich Christian [1978]: Grundfragen des Mathematik-unterrichts. Braunschweig: Vieweg (fünfte, neu bearbeiteteund erweiterte Auflage; 1. Auflage 1974).

Horst Hischer, Universität des Saarlandes, Fakultätfür Mathematik und Informatik; privat: Roonstraße 7,38102 Braunschweig, Email: [email protected]

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22 Magazin GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Eins zu Eins – Kurzfassung eines Vortrages im Arbeitskreis Geometrie

Hans Walser

Es werden exemplarisch geometrische Beispiele ausder Ausbildung Studierender in Geomatik, Kartografie,Vermessungswesen und Geografie vorgestellt. Viele Bei-spiele mit räumlichen und sphärischen Überlegungensind für den Schulunterricht geeignet.

1 Längen oder Winkel?

Sind geografische Länge und geografische Breite ei-gentlich Längen oder Winkel?

Werden sie als geometrische Längen in einemkartesischen Koordinatensystem abgetragen, er-gibt sich die so genannte Plattkarte (Abb. 1).

In der Parameterdarstellung

x(φ, λ) = cos(φ) cos(λ)y(φ, λ) = cos(φ) sin(λ)z(φ, λ) = sin(φ)

φ ∈ [−π2 , π

2 ],λ ∈ [−π, π]

erscheinen geografische Länge λ und geografischeBreite φ hingegen als Winkel.

Der Parameterbereich φ ∈ [−π2 , π

2 ], λ ∈ [−π, π]entspricht der Plattkarte (Abb. 2).

Für Mathematiker geht der Gedankengang vonlinks nach rechts, vom Parameterbereich zur Ku-gelfläche. Kartografen arbeiten von rechts nachlinks, von der Realität zur Karte. Jede Parametri-sierung der Kugel liefert eine Karte, wenn der Pa-rameterbereich mit Geoinformation gefüllt wird.

2 Plattkarte im Hochformat?

Frage eines Studierenden: Können wir in der Pa-rameterdarstellung die Ausmaße des Parameter-rechteckes vertauschen? Wir arbeiten dann mit derParameterdarstellung:

x(φ, λ) = cos(φ) cos(λ)y(φ, λ) = cos(φ) sin(λ)z(φ, λ) = sin(φ)

φ ∈ [−π, π],λ ∈ [−π

2 , π2 ],

Das Parameterrechteck ist jetzt im Hochformatstatt im Querformat. Die Rückseite (eurozentrischgesehen) der Erdkugel, den Pazifik also, erreichenwir nicht mehr durch geografische Längen über90°W oder 90°E hinaus, sondern indem wir die

Abbildung 1. Plattkarte. Parameterdarstellung

Abbildung 2. Plattkarte als Parameterbereich

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 23

Abbildung 3. Abschneiden und Ansetzen

Meridiane über die Pole hinaus nach hinten ver-längern.

Mit dem neuen Parameterrechteck ändert sichäußerlich gar nichts; der Computer plottet dieselbeKugel.

Jetzt aber stellt sich die Frage: Wie sind die äu-ßeren Teile der üblichen Plattkarte abzuschneidenund neu anzusetzen, damit sich die dem Hochfor-mat entsprechende Karte ergibt (Abb. 3)?

Die vier Teile müssen spiegelbildlich angesetztwerden. Um das einzusehen, überlegen wir uns,wie sich die Meridiane auf der „Vorderseite“ (eu-rozentrisch gedacht) über die Pole hinaus auf die„Rückseite“ fortsetzen. Aus dem Meridian für 30°Ewird der Meridian für 150°W. Die Meridiane über-kreuzen sich in den Polen.

Wenn wir die Karte auf den Kopf stellen undden Pazifik studieren, stellen wir fest, dass sichJapan und Kalifornien je auf der „falschen“ Seitebefinden. Spiegelbildliche Karten sind für uns un-gewohnt; falsch sind sie aber nicht. Das Beispielillustriert vielmehr, wie sehr wir uns an bestimm-te Standards in der Kartendisposition gewöhnt ha-ben.

3 Immer gerade aus

. . . so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Wege ab!

Eine geodätische Linie ist eine Kurve auf einer Ober-fläche, auf der subjektiv immer geradeaus gefah-ren wird. Sie hat also keine Seitenkrümmung nachlinks oder rechts. Auf der Ebene sind die geodäti-schen Linien die Geraden. Wenn wir uns auf derKugel subjektiv „gerade aus“ bewegen, bewegenwir uns auf einem Kreis, welcher denselben Radiusund denselben Mittelpunkt hat wie die Kugel. Sol-che Kreise heißen Großkreise oder Orthodromen. IhreTrägerebene geht durch den Kugelmittelpunkt.

Großkreise spielen eine wichtige Rolle in dersphärischen Geometrie; sie übernehmen die Rol-le der Geraden. Die kürzeste Verbindung zweierPunkte auf der Kugeloberfläche, gemessen auf derKugeloberfläche (also nicht in einem geradlinigenTunnel), ist ein Großkreisbogen.

Der Äquator und alle Meridiane sind Großkrei-se, nicht aber die übrigen Breitenkreise, welche sogenannte Kleinkreise sind.

Wie sieht der kürzeste Bogen mit den End-punkten P(30°S, 60°W) und Q(60°N, 60°E) in derPlattkarte aus?

Zunächst ist man versucht, in der Plattkarte ei-ne Strecke von P nach Q einzuzeichnen (Abb. 4).

Das ist aber eine falsche Idee, wie durch Ab-zählen der entsprechenden Netzvierecke auf derKugel plausibel wird. Tatsächlich geht der Groß-kreisbogen „oben durch“.

4 Großkreise als Geraden auf der Karte?

In der Plattkarte erscheinen nur die Meridiane undder Äquator gerade. Die übrigen Großkreise wer-den gekrümmt dargestellt.

Gibt es Karten, in denen alle Großkreise als Ge-raden erscheinen?

Anekdote: Bei der Planung der EisenbahnSt. Petersburg–Moskau (Nikolaibahn, gebaut

Abbildung 4. Welche Lösung ist die richtige?

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24 Magazin GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Abbildung 5. Tangentialebene im Nordpol

Abbildung 6. Tangentialebene im Äquator

1842–1851) wurde lange um die Linienführung ge-stritten. Zar Nikolaus I. (1825–1855) beendete denStreit, indem er auf einer Karte eine gerade Liniezwischen St. Petersburg und Moskau einzeichnete.Ist diese Linienführung optimal?

Die so genannte gnomonische Projektion ist eineZentralprojektion vom Kugelmittelpunkt aus aufeine Tangentialebene. Da Großkreise in einer Ebe-ne durch den Kugelmittelpunkt liegen, ist ihre Pro-jektion die Schnittgerade dieser Kreisebene mit derProjektionsebene. Wir erhalten also Karten, in de-nen jeder Großkreis gerade dargestellt wird.

Das griechische Wort Gnomon heißt eigentlichSchattenzeiger. Gemeint ist ein senkrechter Schat-tenstab auf einer Horizontalsonnenuhr.

In der Abbildung 5 wird auf die Tangentialebe-ne im Nordpol projiziert. Es kann nur die nörd-liche Halbkugel abgebildet werden, das Bild desÄquators ist im Unendlichen. Praktisch brauchbarist die Abbildung nur für eine Polkappe.

In der Abbildung 6 berührt die Projektionsebe-ne in einem Äquatorpunkt.

Die Breitenkreise erscheinen in dieser Karte alsHyperbeln, da die Projektionsstrahlen durch Punk-te auf einem Breitenkreis einen Kegel bilden, des-sen Achse parallel zur Projektionsebene ist. Klassi-sches Kegelschnittbeispiel.

Durch Zentralprojektion vom Kugelmittel-punkt aus auf den Umwürfel der Kugel erhalten

Abbildung 7. Flechtwürfel als Globus

wir sechs gnomonische Karten. Die Website Wür-felwelten gibt eine Bastelvorlage mit drei Streifen,aus denen ein Würfel-Globus (Abb. 7) geflochtenwerden kann.

5 Maßstab eins zu eins

Gibt es eine Karte im Maßstab 1 : 1? — Die Antwortist ein salomonisches Jein.

Wir arbeiten exemplarisch mit einer Plattkar-te von 40 cm Breite und 20 cm Höhe (Abb. 8). Fürdie Erde nehmen wir eine Kugel mit dem Umfang40 000 km an.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 25

Abbildung 8. Maßstäbe

Am Äquator haben wir daher den Maßstab1 : 100 000 000. Auf den Meridianen haben wirebenfalls den Maßstab 1 : 100 000 000, aber das giltnur in der Süd–Nord-Richtung. Weil die Breiten-kreise kürzer sind als der Äquator, haben wirauf den Breitenkreisen in West–Ost-Richtung einengrößeren Maßstab. Für 60°N ist der Breitenkreiswegen cos(60°) = 0.5 genau halb so lang wie derÄquator, somit haben wir auf diesem Breitenkreisin der West–Ost-Richtung einen doppelt so großenMaßstab, also 1 : 50 000 000.

Gegen die Pole hin wird der Maßstab in West–Ost-Richtung immer größer und geht gegen Un-endlich. Somit haben wir zwischen dem Äquatorund den Polen je eine geografische Breite, auf wel-cher der Maßstab in West–Ost-Richtung genau 1 : 1

ist.Das ist allerdings sehr nahe an den Polen. Da

die Bilder der Breitenkreise in unserer Karte dieLänge 40 cm haben, suchen wir also diejenigenBreitenkreise, die auch in Wirklichkeit den Um-fang 40 cm und somit den Radius 6,37 cm ha-ben. Zwischen diesen beiden Breitenkreisen undden Polen mit wächst der Maßstab in West–Ost-Richtung von 1 auf Unendlich.

In Süd–Nord-Richtung haben wir nach wie vorden Maßstab 1 : 100 000 000.

Auf der Plattkarte sind die Maßstäbe also rich-tungsabhängig. Zwischen den Extremen mit dem

Maximum in West–Ost-Richtung und dem Mini-mum in Süd–Nord-Richtung variieren die Maßstä-be stetig.

Leider gibt es keine Karte, welche in allenPunkten und in allen Richtungen immer densel-ben Maßstab hat. Das heißt, es gibt keine verzer-rungsfreie Karte. Dies war den Kartongrafen empi-risch schon immer bekannt. Gauß gab mit seinemTheoerema egregium den Beweis dazu.

6 Flächentreu und winkeltreu

Hingegen gibt es flächentreue Karten (equiva-lent) ohne Verzerrung der Flächenverhältnisse,und winkeltreue Karten (conformal) ohne Win-kelverzerrungen. Die Plattkarte ist weder flächen-noch winkeltreu.

Die Abbildung 9 zeigt die flächentreue Kartevon Archimedes-Lambert.

Das Auseinanderziehen in West–Ost-Richtungin Polnähe wird kompensiert durch ein Zusam-menpressen in Süd–Nord-Richtung. Die Abständezwischen den Breitenkreisen werden gegen die Po-le hin verkürzt dargestellt.

Es gibt aber noch andere flächentreue Karten,zum Beispiel die flächentreue Karte von Mercator-Sanson. Die Idee dabei ist, von der Plattkarteausgehend die zu großen Maßstäbe in der West-Ost-Richtung durch Einbrutzeln zu kompensieren

Abbildung 9. Flächentreue Karte von Archimedes-Lambert

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26 Magazin GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Abbildung 10. Einbrutzeln an den Polen. Karte von Mercator-Sanson

Abbildung 11. Kreis und Kreisfläche

Abbildung 12. Einpassen der Mercator-Sanson-Karte

(Abb. 10). An den Polen wird sogar auf einenPunkt eingebrutzelt. Die Meridiane werden verbo-gen.

Diese flächentreue Karte von Mercator-Sansonführt zu einer Erinnerung an die Schule. DerFlächeninhalt eines Kreises wird bei bekanntemKreisumfang 2rπ gemäß Abbildung 11 hergeleitet(Prinzip von Cavalieri).

Wir denken uns einen Kreis aus 2d-Zwiebelschalen und schneiden von oben her bis indie Mitte ein. Dann fallen die Schalen auseinanderund bilden ein flächengleiches gleichschenkligesDreieck mit der Grundlinie 2rπ und der Höhe r.Daraus ergibt sich der Flächeninhalt r2π.

Wir können die Mercator-Sanson-Karte bündigin das Dreieck einpassen (Abb. 12).

Nun wickeln wir das Dreieck wieder auf underhalten in der Kreisscheibe eine neue flächentreueKarte, die Herzkarte von Stab-Werner (Abb. 13).

Und nun noch die wichtigste aller Karten, diewinkeltreue Karte von Gerhard Mercator.

Abbildung 13. Flächentreue Karte von Stab-Werner

Mercator schuf die winkeltreue Seekarte fürdie aufkommende Hochseeschifffahrt (Abb. 14).Noch heute wird in der Hochseeschifffahrt fastausschließlich die Mercator-Karte verwendet. Sieist auch Grundlage von fast allen offiziellen staat-lichen Karten.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Magazin 27

Abbildung 14. Winkeltreue Mercator-Karte

Die Abstände zwischen den Bildern der Brei-tenkreise werden gegen die Pole hin gespreizt dar-gestellt und zwar so dass die Maßstäbe in Süd-Nord-Richtung jeweils gleich groß werden wie inWest-Ost-Richtung. Wir haben eine lokal isometri-sche Abbildung. Daher die Winkeltreue.

Dieses Spreizen hat allerdings zur Folge dasssich die Pole im Unendlichen befinden. Die realeKarte ist also oben und unten abgeschnitten, wasbei der Darstellung von Grönland sofort auffällt.

7 Die schönste Kugel

Welches ist die schönste Kugel? Welches ist die„rundeste“ Kugel?

Zwei von drei Personen sprechen die mittlereder drei Kugeln (Abb. 15) als die schönste oderauch die „rundeste“ an. Die restlichen Personenbevorzugen die Kugel links.

Der geometrische Hintergrund der drei Ku-geldarstellungen ist folgender.

In der Kugel links haben alle Netzvierecke diegleiche Maschenweite 15°. Sie sind überall gleichhoch. In Äquatornähe sind sie annähernd quadra-tisch, gegen die Pole hin werden sie immer schma-ler.

In der mittleren Kugel sind alle Netzviereckeannähernd quadratisch. Dieses Netz ergibt sich,indem wir auf die Mercator-Karte ein Quadrat-netz legen und auf die Kugel übertragen. Wegender Winkeltreue bleiben die Quadratformen erhal-ten. Gegen die Pole hin haben wir unendlich vieleNetzvierecke.

In der Kugel rechts haben alle Netzviereckedenselben Flächeninhalt. Gegen die Pole hin wer-den sie zwar schmaler, dafür entsprechend höher.Dieses Netz ergibt sich, indem wir auf die flächen-treue Karte von Archimedes-Lambert ein Quadrat-netz legen und auf die Kugel übertragen. — Bisjetzt habe ich einen einzigen Menschen angetroffen(Fachlehrer für bildnerisches Gestalten und Mathe-matik), dem diese Kugel am besten gefiel.

Websites: Würfelwelten (abgerufen 27. 1. 2014)www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/W/Wuerfelwelten/

Wuerfelwelten.htm

www.walser-h-m.ch/hans/Miniaturen/W/Wuerfelwelten/Wuerfelwelten.pdf

Dr. Hans Walser, Mathematisches Institut, Rheinsprung21, 4051 Basel, Schweiz, Email: [email protected]

Abbildung 15. Drei Kugeln

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28 Diskussion GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Hamburger Mathematikabitur im Kreuzfeuer der Kritik

Gabriele Kaiser und Andreas Busse

Das Hamburger Mathematikabitur war in den letz-ten Monaten im Kreuzfeuer der Kritik, insbeson-dere auch auf politischer Ebene. So haben eini-ge Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft un-ter Bezug auf die steigende Abiturientenquote inHamburg am 27. 11. 2013 eine Große Anfrage anden Hamburger Senat zum Niveau des Hambur-ger Abiturs gestellt, in der sie folgendes fragen:

Vor diesem Hintergrund muss man sich dieFrage stellen, ob ein derartiger Anstieg derAbiturientenquote, wie er in Hamburg undanderen Großstädten zu beobachten ist, nurüber eine Veränderung der Leistungsansprü-che erklärbar ist. Ist das Niveau des Abitursin Hamburg in den vergangenen Jahren gesun-ken? (Drucksache 20/10116 der Bürgerschaftder Freien und Hansestadt Hamburg – 20.Wahlperiode)

Konkret wird unter Bezug auf eine frühere Klei-ne Bürgerschaftsanfrage an den Senat die Fragenach der Anzahl der Abituraufgaben in den Fä-chern Mathematik und Biologie gestellt und ge-fragt, worin die angeblich höhere Modellierungs-und Problemlösekompetenz in den Abituraufga-ben seit 2008 bestehe. Die anfragenden Abgeord-neten beziehen sich in ihrer Anfrage auf Dis-kussionen bzgl. der Hamburger Studie „Kompe-tenzen und Einstellungen von Schülerinnen undSchülern“ (KESS-Studie), in denen die Leistungender Hamburger G8- und G9-Abiturientinnen und-Abiturienten verglichen wurden. Diese Ergebnis-se wurden von H. P. Klein in Zweifel gezogenund es wird in Zusammenhang von einer Untersu-chung der Hamburger Zentralabituraufgaben von2005 bis 2012 ein Niveauverlust im Hamburger Ab-itur festgestellt (FAZ, 11. Oktober 2013).

Diese Untersuchung ist nun in den Mittei-lungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung(Band 22/2014, Heft 2, 115–121) erschienen, in ei-nem Artikel von Th. Jahnke, H.P. Klein, W. Kühnel,Th. Sonar und M. Spindler zu „Die HamburgerAbituraufgaben im Fach Mathematik – Entwick-lung von 2005 bis 2013“.1 Bereits lange vor seinemErscheinen wurde der Artikel intensiv in der Pres-se diskutiert, mit Schlagzeilen wie „Mathe-Abitur:Niveau in Hamburg sinkt deutlich“ (HamburgerAbendblatt vom 31. 3. 2014) oder „Klarer Abstieg.

Wissenschaftler haben ermittelt: Abiturklausurenwerden vielerorts immer leichter – für die richtigeLösung reicht es, den Aufgabentext aufmerksamzu lesen“ (Spiegel vom 31. 3. 2014).

Es ist unstrittig, dass sich die Abituraufgabenin Hamburg und auch in anderen Bundesländernin den letzten Jahren verändert haben, aber vie-le der in dem Artikel getroffenen Aussagen sindnicht zutreffend. Wir wollen dies im Folgenden zu-nächst im Detail darstellen, bevor wir uns grund-legend mit dem von den Autoren des Beitrags ver-tretenen Bild von Mathematik und Mathematikun-terricht auseinandersetzen.

Zunächst ist die Berechtigung der bereits imTitel aufgestellten Behauptung „Entwicklung von2005 bis 2013“ in Frage zu stellen, analysierenJahnke et al. doch nur Aufgaben aus den Jahren2005, 2011 und 2013, und aus den Prüfungen indiesen Jahren treffen sie nochmals eine Auswahl.Eine Begründung für diese Auswahl wird von denAutoren nicht gegeben, obwohl alle HamburgerAbituraufgaben im Internet frei verfügbar sind. Esbleibt vollständig offen, inwiefern die getroffeneAuswahl repräsentativ für die zeitliche Entwick-lung der Aufgabenqualität ist und nach welchenKriterien diese Auswahl getroffen wurde. Hinwei-se darauf, dass aus der willkürlich anmutendenAuswahl keine wohlbegründete Aussage über einezeitliche Entwicklung getroffen werden kann, wieder Titel suggeriert, finden sich an keiner Stelle imBeitrag.

Die Autoren behaupten dann weiter, dass inden Jahren 2005, 2011 und 2013 im Hamburger Ab-itur im Wesentlichen vier Aufgabentypen vorkom-men:

Typ 1: Minimax-Aufgaben mit Extrema undSteigung einer gegebenen Funktion, auch Flä-chenberechnungen durch Integrale. [. . . ] Typ2: Aufgaben zur analytischen Geometrie vonGeraden und Ebenen im dreidimensionalenRaum. [. . . ] Typ 3: Aufgaben zu Übergangsma-trizen. Typ 4: Aufgaben zu Wahrscheinlichkei-ten von Ereignissen. (S. 116)

Es ist mitnichten ungewöhnlich, dass in dreiAbiturjahrgängen Schwerpunkte gesetzt werden,noch dazu in dieser Allgemeinheit. Die Autoren

1 Da zum Zeitpunkt der Abfassung des Artikels die DVM Mitteilungen noch nicht erschienen sind, zitieren wir nach den unsvorliegenden Druckfahnen, die von den Autoren zirkuliert wurden.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Diskussion 29

fahren fort, dass sich die Analysisaufgaben „ty-pischerweise mit betriebswirtschaftlichen Fragen“befassen. Diese Aussage ist falsch. So werden inHamburg in allen Fächern zu Beginn der zweijäh-rigen Studienstufe zentrale Schwerpunktsetzun-gen vorgenommen, im untersuchten Jahr 2011 la-gen diese u. a. im Bereich der wirtschaftlichenAnwendungen, im Jahr 2013 war dies aber nichtmehr der Fall. Wie Jahnke et al. zu dieser Behaup-tung kommen, ist nicht nachvollziehbar. Durch ei-ne gründliche Analyse aller fraglichen Aufgabenwäre diese falsche Aussage nicht zustande gekom-men.

Die Autoren stellen dann fest:

Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass dieseo. g. vier Typen von Aufgaben im Unterrichtreichlich geübt werden, weil sie offenbar vonJahr zu Jahr als Typen bestehen bleiben. (S. 116)

Es bleibt völlig unklar, wie die Autoren zu dieserBehauptung kommen, zumal hier ganz geschicktplötzlich eine zeitliche Konstanz der Aufgaben be-hauptet wird, die aus den drei Jahrgängen nunwirklich nicht zu schließen ist. Jahnke et al. fahrenfort:

Normalerweise geschieht das von Januar bisMärz des Prüfungsjahres. Bei G8 wird so diegymnasiale Oberstufe auf die 11. Klasse unddann die Monate August bis Dezember der 12.Klasse reduziert, weil direkt danach die Vorbe-reitung auf das die schriftlichen Aufgaben imAbitur beginnt. (S. 116)

Es stellt sich die Frage, wie die Aufgabenanalysender Autoren mit G8 und mit dem Niveau der Ham-burger Abituraufgaben zusammenhängen, und esdrängt sich der Verdacht auf, dass diese Diskus-sion zum angeblichen Niveauverfall des Hambur-ger Abiturs in eine größere Diskussion eingebet-tet werden soll. Unabhängig davon stimmen dieseAussagen nicht, da bis 2013 das Abitur in Ham-burg jeweils im Februar stattgefunden hat. Die Au-toren stellen aber weitere Mutmaßungen und Be-hauptungen auf, die in keiner Weise wissenschaft-lich gedeckt sind. So schreiben sie weiter:

Zudem können die Lehrer zwei aus sechs (2005:drei aus sieben) Aufgaben für ihre Prüflingeauswählen. Vermutlich ist von einer intensi-ven Vorbereitung und ggf. Spezialisierung aufganz bestimmte Aufgabentypen auszugehen.Wie man hört, sind Aufgaben zur Wahrschein-lichkeitsrechnung nicht beliebt. Es soll routi-nemäßig vorkommen, dass Lehrer die Wahr-scheinlichkeitsrechnung nur kurz streifen unddurchblicken lassen, dass sie dieses Thema imAbitur nicht auswählen werden. (S. 116)

Wir fragen uns, auf welcher empirischen BasisJahnke et al. diese Behauptungen aufstellen. Si-cherlich gibt es überall auf der Welt Lehrerinnenund Lehrer, die für die Prüfung und nur für diePrüfung üben, nur: Ist dies typisch für Hamburgund hat sich dieses in den letzten Jahren geändertund woher weiß man dieses aus Aufgabenanaly-sen? Die Behauptung, dass das Sachgebiet Stochas-tik nur gestreift würde, ist übrigens aus ganz ande-ren Gründen zum Teil zutreffend: In den betrachte-ten Jahren 2005, 2011 und 2013 war entweder dasSachgebiet Stochastik oder das Sachgebiet Linea-re Algebra/Analytische Geometrie je nach Unter-richtsgang nicht Gegenstand der schriftlichen Prü-fung. Das jeweils fehlende Sachgebiet hatte seinenPlatz in der mündlichen Prüfung und war damitdurchaus in den Prüfungen vertreten.

Als weiteren zentralen Indikator dafür, dass dieAufgaben leichter geworden seien, verweisen Jahn-ke et al. beim Vergleich der Kurse auf grundlegen-dem Anforderungsniveau mit denen auf erhöhtemAnforderungsniveau auf die Tatsache, dass zumTeil identische Aufgabenteile verwendet werden.Diese Kritik ist verwunderlich: Selbstverständlichbeinhalten erhöhte Anforderungen auch grund-legende Anforderungen. Gewisse Routinetätigkei-ten werden von Abiturientinnen und Abiturien-ten beider Anforderungsniveaus erwartet. In derRegel ist es aber im Hamburger Abitur so, dassbei identischen Aufgabenteilen in einfacheren Fäl-len die Prüflinge des erhöhten Anforderungsni-veaus weniger Punkte als die des grundlegen-den Anforderungsniveaus erzielen können; Erste-re müssen ihre Punkte schwerpunktmäßig bei denkomplexeren Aufgabenteilen erzielen. Außerdemgibt es eine Reihe weiterer Merkmale, mit denensich die Aufgaben des erhöhten Anforderungsni-veaus von denen des grundlegenden abheben: zu-sätzliche mathematische Inhalte, mehr Teilaufga-ben oder Variation in zentralen Details (die ja be-kanntlich einen sehr großen Effekt auf den Schwie-rigkeitsgrad haben können). Grundsätzlich ist dieVerwendung einer identischen Ausgangssituationmit zum Teil gleichen, zum Teil verschiedenen Tei-laufgaben ein wirksames und anerkanntes Instru-ment, um die Unterschiede in den Anforderungenim Sinne einer Transparenz für alle Beteiligten be-sonders deutlich hervortreten zu lassen. In der di-daktischen Diskussion wird seit Jahrzehnten gefor-dert, dass Grundkurse nicht „ausgedünnte“ Leis-tungskurse sein sollen, sondern dass Leistungskur-se durch Anreicherungen aus Grundkursen entste-hen sollen (W. Blum und G. Törner (1983). Didak-tik der Analysis. Göttingen: Vandenhoeck & Ru-precht, S. 221).

Die oben aufgelisteten Schwerpunktsetzungenund Praktiken beim Hamburger Abitur, die die

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30 Diskussion GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Fehler der Autoren deutlich machen, sind durchRückgriff auf öffentlich verfügbare Informationenleicht erhältlich, u. a. in der bereits erwähnten öf-fentlich zugänglichen Antwort auf eine Große An-frage an den Hamburgischen Senat „Wie stehtes um das Niveau des Hamburger Abiturs“ vom27. 11. 2013 (Bürgerschaftsdrucksache 20/10116).

Unsere zentrale Kritik an den Ausführungender Autoren des Beitrags bezieht sich jedoch aufgrundlegendere Fragen zum Bild von Mathema-tik und vom Mathematikunterricht. Man muss sichdie Frage stellen, mit welcher Legitimation dasFach Mathematik flächendeckend für alle Abitu-rienten und Abiturientinnen unterrichtet werdensoll. Diese Legitimation liegt auch – nicht nur –in dem Beitrag, den die Inhalte des Mathematik-unterrichts zur Allgemeinbildung liefern. Die all-gemeinbildende Funktion des Mathematikunter-richts ist bereits 1975 von Heinrich Winter in sei-nem Beitrag „Allgemeine Lernziele für den Ma-thematikunterricht?“ (in Zentralblatt für Didak-tik der Mathematik, 7(3), 106-116) vertreten wor-den. Die von ihm formulierten drei Grunderfah-rungen, die der Mathematikunterricht allen Schü-lerinnen und Schüler ermöglichen soll, wurden indie Bildungsstandards Mathematik für alle Schul-abschlüsse aufgenommen. Das Verstehen der Artund Weise, wie die Anwendung der Mathematikin zunehmendem Maße die gesellschaftliche Reali-tät formt, ist dabei ein zentraler Bestandteil. Da-bei geht es weniger darum, eine Virtuosität imUmgang mit Algorithmen zu erlangen, sondernvielmehr um ein vertieftes Verständnis mathema-tischer gestützter Argumentationen. Die Einsicht,dass bei Anwendung mathematischer Theorie aufreale Probleme notwendigerweise Vereinfachun-gen vorzunehmen sind und mathematisch gewon-nene Resultate daher immer einen Interpretations-und Beurteilungsschritt nach sich ziehen müssen,um die Tragweite eines Ergebnisses abschätzen zukönnen, ist eine zentrale Komponente einer Erzie-hung zur Mündigkeit, wie dies in allen allgemein-bildenden Schulen angestrebt wird. Diese Kompe-tenzen erlangt man sicherlich nicht mit einem aufmathematische Theorie reduzierten Unterricht. EinRealitätsbezüge und Modellierungen einbeziehen-der Unterricht, wie er in Hamburg seit vielen Jah-ren praktiziert wird, ist in diesem Sinne angemes-sen und zielführend.

Dabei hat in den letzten zehn Jahren – nicht nur– in Hamburg eine Akzentverschiebung in diesemSinne sowohl im Unterricht als auch in den Prü-fungsaufgaben (auch in den Prüfungen der Sekun-darstufe I) stattgefunden. Sind die Anforderungendeshalb gesunken? Jahnke et al. behaupten dasund versuchen dies, anhand der erwähnten Auf-gabenanalysen zu belegen. Dabei bezieht sich ei-

ne mehrfach in den Ausführungen genannte Kritikauf die kontextualisierte Darstellung der Situation.Jahnke et al. schreiben:

Statt mit mathematischen Problemen müssendie Abiturienten mit Formulierungsproblemenkämpfen. Sie müssen umfangreiche, relativschwer verständliche und nicht immer eindeu-tige Texte in Mathematik umsetzen, die dannselbst gar nicht mehr schwierig ist und die vonJahr zu Jahr weiter vereinfacht wird. (S. 120)

Diese Argumentation verkennt vollständig dieKomplexität der kognitiven Prozesse, die zumVerstehen der Situation und zum Heranziehender passenden mathematischen Theorie notwen-dig sind. Bei den aktuellen Hamburger Abitur-aufgaben muss man nicht nur wissen, wie manein mathematisches Verfahren durchführt, sondernes wird vom Prüfling auch verlangt, aus demzur Verfügung stehenden mathematischen „Werk-zeugkasten“ ein zur realen Situation passendesKonzept auszuwählen. Das setzt eine Analyse dertextlich und bildlich geschilderten Situation sowietragfähige Grundvorstellungen verschiedener ma-thematischer Konzepte voraus. Nur so kann einzur Situation passender Begriff oder ein adäquatesVerfahren ausgewählt werden. Die Interpretationund Beurteilung des mathematisch gewonnenenErgebnisses erfordert weitere vernetzte kognitiveAktivitäten. Diese Übersetzungsprozesse sind allesandere als trivial. Es ist sicherlich richtig, dass we-niger mathematische Theorie zur Bewältigung derAufgaben notwendig ist. Jedoch haben sich die An-forderungen in Richtung der Übersetzungs- undInterpretationsprozesse verlagert, die ein vernetz-tes Wissen erfordern.

Diese Aussage soll an zwei Beispielen illustriertwerden, zunächst an einem paradigmatischen Bei-spiel aus der Hamburger Studienstufe: Mithilfe ei-ner Modellgleichung zum Fischwachstum in ei-nem Gewässer soll die Frage beantwortet wer-den, zu welchem Zeitpunkt man im Sinne einerNachhaltigkeit fischen solle. Hier sind verschiede-ne kognitive Schritte vonnöten. Zunächst muss derAspekt der Nachhaltigkeit operationalisiert wer-den. Dies könnte etwa dadurch geschehen, dassman der Zeitpunkt der stärksten Reproduktion er-mittelt. Diese umformulierte Frage führt zu derÜberlegung, dass eine maximale Reproduktions-rate dem maximalen Wert der Ableitungsfunkti-on entspricht. Die Maximalstelle der Ableitung er-mittelt man üblicherweise über die Nullstelle derzweiten Ableitung. Die Interpretation und Beurtei-lung des Ergebnisses führt auf der Ebene des rea-len Problems zu einer Antwort auf die ursprüng-liche Frage nach dem günstigen Zeitpunkt des Fi-schens, die unter Berücksichtigung expliziter und

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Diskussion 31

impliziter Annahmen entsprechend vorsichtig for-muliert werden sollte.

Das zweite Beispiel ist dem Hamburger Ab-itur 2012 (grundlegendes Niveau) entnommen. Esgeht um die Produktion eines teuren und nur be-dingt lagerfähigen Impfstoffes, bei dem sicherge-stellt werden soll, dass er stets in ausreichenderMenge vorhanden ist. Ein funktionaler Zusam-menhang zwischen Zeit und Absatzmenge wirdals Modell vorgegeben. Eine der sechs Teilaufga-ben bezieht sich im Kontext der Kostenreduktionauf die Frage des Zeitpunkts der stärksten Nach-frageabnahme. Hier müssen die Schülerinnen undSchüler Übersetzungsprozesse anstellen, die denAspekt der stärksten Abnahme mit dem Konzeptvon erster und zweiter Ableitung in Verbindungsetzen. Eine weitere Fragestellung bezieht sich aufdie Erlösprognose bei einem Verkauf der Produk-tionsrechte an einen anderen Hersteller. Hier sindmehrere verschiedene kognitive Schritte vonnö-ten. Zunächst muss eine Analyse der Fragestel-lung stattfinden, um die verschiedenen zentralenAspekte zu identifizieren wie produzierte Menge,Verkaufszeitpunkt, Erlös. Dann müssen angemes-sene mathematische Konzepte ausgewählt werden(in diesem Beispiel Stammfunktion und propor-tionaler Zusammenhang), die dann situationsad-äquat anzuwenden sind. Das erzielte mathemati-

sche Ergebnis ist in der Sprache des Sachkontexteszu interpretieren.

Jahnke et al. bezeichnen diese Art von Auf-gaben als „Minimax-Aufgaben“, die sich in derBildung der ersten und zweiten Ableitung sowiein Flächenberechnungen durch Integrationen er-schöpfen. Damit wird das kognitive Anspruchsni-veau solcher Aufgaben völlig unterschätzt.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die inden letzten Jahren im Hamburger Abitur gestelltenAufgaben eine deutlich breitere Palette von Anfor-derungen stellen, die über das hinausgeht, was inden frühen Jahren üblich war. Die Aufgaben sinddadurch nicht nur komplexer, sondern in der Re-gel auch länger geworden. Damit wird das Argu-ment, die reduzierte Anzahl von Aufgaben hättezu einer Verkürzung und Verflachung geführt, adabsurdum geführt. Wir halten es für unabdingbar,dass Abiturientinnen und Abiturienten die Schu-le mit einer Sichtweise von Mathematik und mitmathematischen Kompetenzen verlassen, die sie ineiner immer komplexeren Welt bestehen lassen.

Prof. Dr. Gabriele Kaiser, Dr. Andreas Busse, Universi-tät Hamburg, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Von-Melle-Park 8, 20146 Hamburg, Email:[email protected]@uni-hamburg.de.

An Open Letter: To Andreas Schleicher, OECD, Paris

Heinz-Dieter Meyer und Katie Zahedi

Der im Folgenden abgedruckte offene Brief erschien am6. 5. 2014 parallel im Online Journal „Global Policy“und auf der Internetseite von „The Guardian“1, er wur-de von etwa 120 Erstunterzeichner/innen aus 12 Staa-ten mitgezeichnet, darunter auch einige Mitglieder derGDM. Im Sinne der vollständigen Offenlegung: Auchich habe diesen Brief mitunterzeichnet.

Zwischenzeitlich ist (ohne explizite Angabe einerAutorenschaft) auf den Internetseiten der OECD die imAnschluss an den Brief abgedruckte Reaktion erschie-

nen.2 Auf den Seiten der Gesellschaft für Bildung undWissen finden Sie auch eine deutschsprachige Überset-zung des offenen Briefs.3

Heinz-Dieter Meyer als einem der Autoren des Brie-fes wurde zudem die Möglichkeit einer Rückantwort ge-geben, diese ist im Anschluss an die Antwort der OECDabgedruckt. Da nicht alle Texte in deutscher Spracheverfügbar sind, werden sie hier einheitlich im englisch-sprachigen Original wiedergegeben.

Andreas Vohns

1 Vgl. http://www.globalpolicyjournal.com/blog/05/05/2014/open-letter-andreas-schleicher-oecd-paris bzw.http://www.theguardian.com/education/2014/may/06/oecd-pisa-tests-damaging-education-academics

2 Vgl. http://www.oecd.org/pisa/aboutpisa/OECD-response-to-Heinz-Dieter-Meyer-Open-Letter.pdf3 Vgl. http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2014/05/offener-brief-schleicher-autoriserte-fassung.pdf

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32 Diskussion GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Dear Dr. Schleicher,We write to you in your capacity as OECD’s di-rector of the Programme of International StudentAssessment (PISA). Now in its 13th year, PISAis known around the world as an instrumentto rank OECD and non-OECD countries (60+ atlast count) according to a measure of academicachievement of 15 year old students in mathe-matics, science, and reading. Administered everythree years, PISA results are anxiously awaited bygovernments, education ministers, and the edito-rial boards of newspapers, and are cited authorita-tively in countless policy reports. They have begunto deeply influence educational practices in manycountries. As a result of PISA, countries are over-hauling their education systems in the hopes of im-proving their rankings. Lack of progress on PISAhas led to declarations of crisis and “PISA shock”in many countries, followed by calls for resigna-tions, and far-reaching reforms according to PISAprecepts.

We are frankly concerned about the negativeconsequences of the PISA rankings. These aresome of our concerns:

while standardized testing has been used inmany nations for decades (despite seriousreservations about its validity and reliability),PISA has contributed to an escalation in suchtesting and a dramatically increased relianceon quantitative measures. For example, in theUnited States, PISA has been invoked as a ma-jor justification for the recent “Race to the Top”program, which has increased the use of stan-dardized testing for student-, teacher-, and ad-ministrator evaluations, which rank and labelstudents, as well as teachers and administratorsaccording to the results of tests widely knownto be imperfect (see, for example, Finland’s un-explained decline from the top of the PISA ta-ble);in education policy, PISA, with its three-yearassessment cycle, has caused a shift of atten-tion to short-term fixes designed to help a coun-try quickly climb the rankings, despite researchshowing that enduring changes in educationpractice take decades, not a few years to cometo fruition. For example, we know that the sta-tus of teachers and the prestige of teaching asa profession has a strong influence on the qual-ity of instruction, but that status varies stronglyacross cultures and is not easily influenced byshort-term policy;by emphasizing a narrow range of measurableaspects of education, PISA takes attention awayfrom the less measurable or immeasurable ed-ucational objectives like physical, moral, civic,and artistic development, thereby dangerously

narrowing our collective imagination regardingwhat education is and ought to be about;as an organization of economic development,OECD is naturally biased in favor of the eco-nomic role of public schools. But preparingyoung men and women for gainful employ-ment is not the only, and not even the maingoal of public education, which has to preparestudents for participation in democratic self-government, moral action, and a life of personaldevelopment, growth, and well-being;unlike United Nations (UN) organizations suchas UNESCO or UNICEF that have clear and le-gitimate mandates to improve education andthe lives of children around the world, OECDhas no such mandate. Nor are there, at present,mechanisms of effective democratic participa-tion in its education decision-making process;to carry out PISA and a host of follow-up services, OECD has embraced “public-private partnerships” and entered into al-liances with multi-national for-profit compa-nies, which stand to gain financially from anydeficits – real or perceived – unearthed by PISA.Some of these companies provide educationalservices to American schools and school dis-tricts on a massive, for-profit basis, while alsopursuing plans to develop for-profit elementaryeducation in Africa, where OECD is now plan-ning to introduce the PISA program;finally, and most importantly: the new PISAregime, with its continuous cycle of global test-ing, harms our children and impoverishes ourclassrooms, as it inevitably involves more andlonger batteries of multiple-choice testing, morescripted “vendor”-made lessons, and less au-tonomy for our teachers. In this way PISA hasfurther increased the already high stress-levelin our schools, which endangers the well-beingof our students and teachers.

These developments are in overt conflict withwidely accepted principles of good educationaland democratic practice:

no reform of any consequence should be basedon a single narrow measure of quality;no reform of any consequence should ignorethe important role of non-educational factors,among which a nation’s socio-economic in-equality is paramount. In many countries, in-cluding the United States, inequality has dra-matically increased over the past 15 years, ex-plaining the widening educational gap betweenrich and poor which education reforms, nomatter how sophisticated, are unlikely to re-dress;an organization like OECD, as any organizationthat deeply affects the life of our communities,

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should be open to democratic accountability bymembers of those communities.

We are writing not only to point out deficits andproblems. We would also like to offer construc-tive ideas and suggestions that may help to alle-viate the above mentioned concerns. While in noway complete, they illustrate how learning couldbe improved without the above mentioned nega-tive effects:

develop alternatives to league tables: exploremore meaningful and less easily sensational-ized ways of reporting assessment outcomes.For example, comparing developing countries,where 15-year olds are regularly drafted intochild labor, with first world countries makesneither educational nor political sense andopens OECD up for charges of educationalcolonialism;make room for participation by the full range ofrelevant constituents and scholarship: to date,the groups with greatest influence on whatand how international learning is assessed arepsychometricians, statisticians, and economists.They certainly deserve a seat at the table, but sodo many other groups: parents, educators, ad-ministrators, community leaders, students, aswell as scholars from disciplines like anthropol-ogy, sociology, history, philosophy, linguistics,as well as the arts and humanities. What andhow we assess the education of 15 year old stu-dents should be subject to discussions involv-ing all these groups at local, national, and in-ternational levels;include national and international organiza-tions in the formulation of assessment methodsand standards whose mission goes beyond theeconomic aspect of public education and whichare concerned with the health, human develop-ment, well-being and happiness of students andteachers. This would include the above men-tioned United Nations organizations, as well asteacher, parent, and administrator associations,to name a few;publish the direct and indirect costs of adminis-tering PISA so that taxpayers in member coun-tries can gauge alternative uses of the millionsof dollars spent on these tests and determine ifthey want to continue their participation in it;welcome oversight by independent interna-tional monitoring teams which can observe theadministration of PISA from the conception tothe execution, so that questions about test for-mat and statistical and scoring procedures canbe weighed fairly against charges of bias or un-fair comparisons;provide detailed accounts regarding the role ofprivate, for-profit companies in the preparation,

execution, and follow-up to the tri-annual PISAassessments to avoid the appearance or realityof conflicts of interest;slow down the testing juggernaut. To gaintime to discuss the issues mentioned here at lo-cal, national, and international levels, considerskipping the next PISA cycle. This would givetime to incorporate the collective learning thatwill result from the suggested deliberations ina new and improved assessment model.

We assume that OECD’s PISA experts are moti-vated by a sincere desire to improve education. Butwe fail to understand how your organization hasbecome the global arbiter of the means and endsof education around the world. OECD’s narrowfocus on standardized testing risks turning learn-ing into drudgery and killing the joy of learning.As PISA has led many governments into an inter-national competition for higher test scores, OECDhas assumed the power to shape education pol-icy around the world, with no debate about thenecessity or limitations of OECD’s goals. We aredeeply concerned that measuring a great diversityof educational traditions and cultures using a sin-gle, narrow, biased yardstick could, in the end, doirreparable harm to our schools and our students.

Sincerely,Heinz-Dieter Meyer, State University of New York(SUNY Albany)Katie Zahedi, Principal, Red Hook, New York

Response to points raised in Heinz-Dieter Meyer‘Open Letter’ (OECD)

Their concerns

MEYER: “PISA . . . has caused a shift of attentionto short-term fixes designed to help a country quicklyclimb the rankings, despite research showing that en-during changes in education practice take decades,not a few years to come to fruition.”

There is nothing that suggests that PISA, or othereducational comparisons, have caused a ‘shift toshort-term fixes’ in education policy. On the con-trary, by opening up a perspectives to a widerrange of policy options that arise from inter-national comparisons, PISA has provided manyopportunities for more strategic policy design.It has also created important opportunities forpolicy-makers and other stakeholders to collabo-rate across borders. The annual International Sum-mit of the Teaching Profession, where ministers

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meet with union leaders to discuss ways to raisethe status of the teaching profession, is an example.Not least, while it is undoubtedly true that somereforms take time to bear fruit, a number of coun-tries have in fact shown that rapid progress canbe made in the short term e.g. Poland, Germanyand others making observable steady progress ev-ery three years.

MEYER: “by emphasizing a narrow range of mea-surable aspects of education, PISA takes attentionaway from the less measurable or immeasurable ed-ucational objectives”

Mr. Meyer does not seem to be aware of thefull range of reporting of PISA. PISA assessesan unprecedented range of learning outcomesand their contexts, including student performancemeasures, measures of social and emotional di-mensions, student attitudes and motivations, eq-uity issues, and parental support. Member coun-tries review the measurement domains ever threeyears and extend the breadth of the measures cov-ered continually.

MEYER: “unlike United Nations (UN) organiza-tions such as UNESCO or UNICEF that have clearand legitimate mandates to improve education andthe lives of children around the world, OECD hasno such mandate. Nor are there, at present, mecha-nisms of effective democratic participation in its ed-ucation decision-making process”

OECD’s mandate is provided by the member coun-tries of the OECD, much the same as in UNESCOand UNICEF. Decision-making in PISA (and in allOECD activities) is carried out by member coun-tries. In PISA, the decision-making body is thePISA Governing Board which has representativesfrom all member countries.

MEYER: “to carry out PISA and a host of follow-up services, OECD has embraced “public-privatepartnerships” and entered into alliances with multi-national for-profit companies, which stand to gainfinancially from any deficits – real or perceived –unearthed by PISA. Some of these companies pro-vide educational services to American schools andschool districts on a massive, for-profit basis, whilealso pursuing plans to develop for-profit elementaryeducation in Africa, where OECD is now planningto introduce the PISA program;”

There are no ‘public-private partnerships’ or other‘alliances’ in PISA of the type Mr. Meyer im-plies. All work relating to the development, im-plementation and reporting of PISA is carried outunder the sole responsibility of the OECD, underthe guidance of the PISA Governing Board. The

OECD does, of course, contract specific technicalservices out to individuals, institutions or compa-nies. Where it does, these individuals, institutionsor companies are appointed by the OECD follow-ing an open, transparent and public call for ten-der. This transparent and open process ensuresthat each task is carried out by those entities thatdemonstrate they are best qualified and providethe best value for money. No individual academic,institution or company gains any advantage fromthis since the results of all PISA-related work areplaced in the public domain.

MEYER: “. . . PISA , with its continuous cycle ofglobal testing, harms our children and impoverishesour classrooms, as it inevitably involves more andlonger batteries of multiple-choice testing . . . ”

Mr. Meyer does not seem aware that PISA is onlyadministered to a small fraction of students andthat only around a third of the PISA items are inmultiple-choice format. Moreover, the length ofthe PISA tests has not increased since the first sur-vey in 2000. Measurement is based on a sample ofschools and a sample of 15-year-olds within eachschool; no student would ever be involved in suc-cessive surveys. The claim that a two-hour testcould ‘endanger the well-being’ of students andteachers is thus unfounded.

MEYER: “. . . no reform of any consequence shouldignore the important role of non-educational factors,among which a nation’s socio-economic inequalityis paramount. In many countries, including theUnited States, inequality has dramatically increasedover the past 15 years, explaining the widening edu-cational gap between rich and poor which educationreforms, no matter how sophisticated, are unlikely toredress;”

Rather than taking an ideological stance like Mr.Meyer, who seems to imply that social inequalitiesare immutable to policy intervention, the PISA re-ports devote considerable detail to analysing thelinks between social inequality in the student pop-ulation and learning outcomes empirically. Theseanalyses show that poverty is not destiny and thatthe impact which social background has on learn-ing outcomes varies very significantly across coun-tries and policy contexts. Germany provides an ex-ample where social inequalities have risen between2003 and 2012 while the impact which social back-ground has on learning outcomes has significantlydeclined over the same period, to no small partin the wake of educational reforms introduced inlight of results from PISA 2000.

MEYER: “. . . develop alternatives to league tables:explore more meaningful and less easily sensation-alized ways of reporting assessment outcomes. For

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example, comparing developing countries, where 15-year olds are regularly drafted into child labor, withfirst world countries makes neither educational norpolitical sense and opens OECD up for charges ofeducational colonialism”

Less than 1 % of the PISA reporting is devoted toleague tables. The view of the OECD is that itshould be up to individual countries to decide towhat extent they wish to be compared internation-ally and it rejects the rather patronising view ofMr. Meyer that ‘developing countries’ should beexcluded from such comparisons. Indeed, one ofthe major findings from PISA is that the world isno longer divided between rich and well-educatedcountries, and poor and badly educated ones, asMr. Meyer’s suggestions imply.

Rejoinder (Heinz-Dieter Meyer)

I am happy with the results of the letter so far. Theletter has been widely reported in the internationalpress and, to date, been supported by more than3000 signatories from more than a dozen differ-ent countries. The signatories include leaders ofteacher associations as well as hundreds of widelyrecognized experts in the field of education re-search and policy. It has been translated into fivedifferent languages, with more translations forth-coming.

The letter expresses concern that a single test,measuring a narrow aspect of public education, isused worldwide to create an atmosphere of “crisis”and urgency for action, justifying reforms that arenarrowly based on improving the economic fitnessof public education, often invasive and calculatedto produce short-term gains in the PISA rankings.

In his reply, Dr. Schleicher disputed the claimthat PISA encourages a short-term focus on quickfixes to the detriment of gradual improvementsover the long haul. For evidence he pointed togains achieved by countries like Germany whichimproved from 2006 to 2012 by an average of 10

points on the PISA scale. He did not mention thatin the same six year span three-time PISA leaderFinland lost 22 points!

Nor did he engage our claim that culturaland historical factors play a nearly all-decisiverole rendering between-country comparisons al-most meaningless. For example, it has been largelyoverlooked that all leading PISA countries areConfucian exam system countries. At the pointwhen PISA tests the 15-year-olds in countries like

Korea, Japan, China, Singapore, these students arealready gearing up for an ‘all or nothing’ end-of-high school exam that will, once and for all,determine their future chances. While this prac-tice is quite conducive to stir students into artifi-cially inflated performances through cramming, itis demonstrably not conducive to the optimal de-velopment of a nation’s talent and is coming in-creasingly under criticism in these countries them-selves.

Test Irregularities and Data IntransparencyOne of the most contested aspects of PISA hasbeen Shanghai’s role in the test. Not only didthe OECD allow China to selectively participatein PISA through a district known not to be rep-resentative for the country’s education system as awhole. OECD also allowed Shanghai schools to ex-clude the children of migrant workers. By allowingChina to participate in PISA on such special terms,the OECD knowingly condoned and contributedto generating artificially inflated outcomes whichit then went on to use as proof that Chinese stu-dents were “three years ahead” of countries nearerthe OECD average.

Private Contractor and Conflict-of-InterestTransparencyTo date, OECD has relied extensively on privatecontractors like Pearson Ltd to carry out the ex-tensive data collection involved with PISA. Giventhe volume and extent of these assignments, thesefor-profit-companies stand to sustain significant fi-nancial gains from their role in PISA. One of thesecompanies is Pearson Ltd, which OECD has re-peatedly used to develop, conduct, or evaluatePISA tests and which a few weeks ago again re-ceived the contract to develop the PISA 2015 test-ing framework.

At the same time, however, Pearson plays a ma-jor role in the delivery of testing, test-assessmentand instructional improvement services in PISAnations like the United States where the company,according to its own reports, administered 50 mil-lion online or paper tests in 2013 from which alarge portion of its 500 million profit portfolio de-rived. Many of these services are officially justifiedwith the need to improve the country’s PISA per-formance.

In other words: Pearson designs and evaluatesPISA while also (at least in the case of the US)designing and implementing the instructional andtesting services meant to improve the performanceit previously diagnosed as insufficient – in bothcases earning millions in profit!

Our concerns about conflict-of-interest viola-tions are further heightened by the fact thatDr. Schleicher serves on Pearson’s Advisory Board.

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We thus repeat our call that OECD make avail-able in easily accessible form all relevant informa-tion regarding the private companies that OECDuses in carrying out PISA’s tests (including callsfor tenders and information on the subsequent bid-ding and selection process).

This would also include the reporting of in-stances where OECD officials have official func-tions in said private companies (and vice versa).Dr. Schleicher’s membership on the Pearson Ad-visory Board would constitute a case in point.

Independent Monitoring and OversightThe above problems suggest to us that, at present,PISA lacks proper independent oversight. We call

for the establishment of a commission of represen-tatives of the international education community,made up of individuals from the United Nationsand its affiliate organizations, as well as from or-ganizations of teachers, researchers, and adminis-trators. Members of such an independent bodyshould have access to PISA data at any of its stagesas well as monitor test design and implementation.

Heinz-Dieter Meyer, Department of Educational Admin-istration and Policy Studies, University at Albany, StateUniversity of New York, 1400 Washington Avenue Al-bany, NY 12222, USA, Email: [email protected] Zahedi, Linden Avenue Middle School, 65 WestMarket Street, Red Hook, NY 12571, USA, Email:[email protected]

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Diskussion 37

Zum Selbstverständnis der Mathematikdidaktik – Ergänzungen zumBeitrag von Erich Ch. Wittman in den GDM-Mitteilungen 96/2014

Günter Graumann

Man könnte meinen, dass einige ältere Herrenihrer früheren Zeit nachhängen und die neuenSichtweisen jüngerer Mathematikdidaktikerinnenund Mathematikdidaktiker nicht verstehen. Das istmeines Erachtens aber nicht zutreffend. Ich fürmeinen Teil kann etwa sagen, dass ich als noch jun-ger Didaktiker in den 1970er Jahren der Stoffdidak-tik sehr kritisch gegenübergestanden habe,1 ins-besondere den rein aus fachmathematischer Sichtdiskutierten Erörterungen zur sogenannten „Neu-en Mathematik“ in der Schule. Es fehlten mir da-mals die Orientierungen am Kind und am Alltag.Auch habe ich die Einbindung in Konzepte einergeisteswissenschaftlichen Pädagogik bzw. theore-tischen Didaktik vermisst.

Obgleich ich die enorme Entwicklung der Dis-ziplin „Mathematikdidaktik“ seit dieser Zeit bisheute außerordentlich begrüße, muss ich wie HerrErich Ch. Wittmann feststellen, dass in den letz-ten zehn bis fünfzehn Jahren wieder eine Einen-gung anerkannter Forschungsstandards stattge-funden hat, und zwar dieses Mal in Hinsicht aufempirische Forschung, die wohl heute zumindestals Schwerpunkt in jeder Dissertation und jedemArtikel des JMD vorkommen muss. Ich kann michdiesbezüglich nur voll und ganz den von Erich Ch.Wittmann genannten Kritikpunkten anschließen.

Nebenbei sei bemerkt: Dass Stoffdidaktik nichtnur aus der Sicht der Mathematik betrachtet wer-den kann, zeigt der nette kleine Beitrag von HorstHischer „Marlene: ‚Ist Null eigentlich eine gera-de Zahl?‘ “ (vgl. auch in den GDM-Mitteilungen96/2014). Neben der mathematisch-sachlichen Fra-ge, ob Null eine gerade Zahl ist, wird in demBeitrag das kindliche Denken berücksichtigt undreflektiert und es wird eine Problemlösemethode

vorgestellt, so dass die Lösung dem Kind offen-sichtlich wird und es darüber mit Anderen argu-mentieren kann.

Ohne auf weitere Einzelheiten des Beitragesvon Erich. Ch. Wittmann einzugehen, sei nur derAppell von Herrn Wittmann, dass die mathe-matikdidaktische Community im deutschsprachi-gen Raum ihr Selbstverständnis überprüfen muss,noch einmal hervorgehoben.

Die Argumentation von Erich Ch. Wittmannmöchte ich allerdings noch wie folgt ergänzen.Physiker wissen, dass blindes Experimentierenzwar möglicherweise ein Suchfeld differenzierenkann, aber echte Experimente setzen immer erst ei-ne Theorie voraus, die durch das Experiment über-prüft werden soll. In den mir bekannten empiri-schen mathematikdidaktischen Forschungen feh-len aber sehr oft solche Theorien. Damit ich nichtfalsch verstanden werde, ziehe ich noch einmalden Vergleich mit der Physik heran. Abgesehenvon den Ausnahmen Newton und Einstein habensich physikalische Theorien (etwa zu Optik, Elek-tromagnetismus, Wärmelehre oder Quantentheo-rie) in einem mehr oder weniger langen Diskussi-onsprozess entwickelt. In diesem Sinne sollten inder Mathematikdidaktik Diskussionen über Kon-zeptionen der Mathematikdidaktik bzw. Teilaspek-ten der Mathematikdidaktik einen wesentlich hö-heren Stellenwert in der gegenwärtigen Didaktikeinnehmen. Als beispielhafte Felder, in denen sol-che theorieorientierten Diskussionen schon statt-finden, möchte ich nur auf die Erörterungen umArt, Rolle und Umfang von Problemorientierungim Mathematikunterricht2 oder die Diskussionenüber Lernziele, Bildung und Allgemeinbildung imMathematikunterricht3 (insbesondere in dem vor

1 Vgl. etwa: Graumann, G. & Graumann, S. (1972). Zur Mengenbehandlung im 1. Schuljahr. In: Westermanns Pädagogische Beiträge,Heft 5/1972, S. 279–282 und Graumann. G. (1976) Praxisorientiertes Sachrechnen. In: Beiträge zum Mathematikunterricht 1976,Hannover 1976, S. 79–83 sowie Graumann, G. (1977), Praxisorientierter Geometrieunterricht. In: Beiträge zum Mathematikunterricht1977, Hannover 1977, S. 98–101.

2 Vgl. etwa die Veröffentlichungen der von E. Pehkonen und mir 1996 gegründeten internationalen ProMath-Gruppe (siehe:http://www.promath.org/) oder den Aufsatz Graumann, G. & Pehkonen, E. (2007), Problemorientierung im Mathematikunterricht– ein Gesichtspunkt der Qualitätssteigerung. In: Teaching Mathematics and Computer Science, Debrecen 2007, S. 251–291.

3 Vgl. etwa: Heymann, H.W. (1989). Allgemeinbildender Mathematikunterricht – was könnte das sein? In: mathematik lehren Heft33, S. 4–9 und Graumann, G. (1993). Die Rolle des Mathematikunterrichts im Bildungsauftrag der Schule. In: Pädagogische WeltHeft 5/1993, S. 194–199 (und 204) und Winter, H. (1995), Mathematikunterricht und Allgemeinbildung. In: Mitteilungen derGesellschaft für Didaktik der Mathematik, Nr. 61, Dez. 95, S. 37–46. (Überarbeitete Fassung in ISTRON Band 8, 2003) oderGraumann, G. (2009), Allgemeine Ziele, die mit Tests schwerlich erfasst werden können – erläutert an vier Beispielen aus demGeometrieunterricht. In: Ludwig, M & Oldenburg, R. & Roth, J. (Hrsg.), Argumentieren, Beweisen und Standards imGeometrieunterricht (AK Geometrie 2007/08), Franzbecker: Hildesheim 2009, S. 65–74 und Graumann, G. (2010), Allgemeine

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25 Jahren gegründeten GDM-Arbeitskreis „Mathe-matik und Bildung“) hinweisen. Auch der Beitragvon Erich Ch. Wittmann in den GDM-Mitteilungen96/2014 und ähnliche Erörterungen sind als sol-che Diskussionen zu konzeptionellen Fragen inder Mathematikdidaktik anzusehen. Wie schon ge-sagt, müssen theoretische, konzeptionelle Erörte-rungen nicht immer eine in sich geschlossene Kon-zeption, wie etwa diejenige von Johannes Kühneloder des Ganzheitlers Johannes Wittmann, betref-fen. Es muss vielmehr eine gewisse Pluralität mög-

lich sein, allerdings muss es sich um eine geklär-te (und nicht undefiniert schwammige) Pluralitäthandeln. Im Rahmen welcher Konzeption von Päd-agogik bzw. Didaktik bestimmte Aussagen oderForderungen gemacht werden, das muss in Veröf-fentlichungen zur Mathematikdidaktik viel deutli-cher werden und der Diskussionsprozess darübersollte einen größeren Raum einnehmen.

Günther Graumann, Deciusstraße 41, 33611 Bielefeld,Email: [email protected]

Zwischenruf: „Stoff“didaktik?

Hans Schupp

Der Begriff „Stoffdidaktik“ wird seit einiger Zeitimmer dann verwandt, wenn gegenwärtig amtie-rende Mathematikdidaktiker sich von der tradi-tionellen Lehr- und Forschungsweise in ihrer Dis-ziplin abheben möchten, da man sie als zu ein-seitig, zu mathematikbezogen ansieht. Eigenarti-gerweise wird er aber auch von denjenigen ge-braucht, die sich dieser Sicht verpflichtet fühlen,die sie verteidigen und meinen, dass die aktuelleÖffnung zu zahlreichen a priori gleichberechtigtenBezugsdisziplinen und deren Methoden problema-tisch ist.

Dass ich zur zweiten Schar zähle (und damitwohl als Stoffdidaktiker gelte) ist kein Geheimnis.Vielleicht aber erstaunt, dass ich nie vom „Stoff“her gedacht habe. Ich nicht und die allermeistendamaligen Kolleginnen und Kollegen auch nicht.Gar nicht selten mussten wir uns gegen zugescho-benen Stoff geradezu wehren, etwa im Zuge derNeuen Mathematik oder gegenüber Überexaktifi-zierungen von Definitionen und Beweisen von Sei-ten mancher Mathematiker.

Ich habe meine Publikationen zwischen 1965

und heute alle noch einmal durchgesehen. Von ei-ner einzigen Ausnahme abgesehen,1 ist in ihnender „Stoff“ nur Mittel zum Zweck. Es ging mirund uns (wieder beziehe ich meine Kolleginnen

und Kollegen ein) vielmehr um eine Steigerungder Qualität des Mathematikunterrichts, auf allenStufen und in allen Zweigen. Sie kann aber nur er-reicht werden, wenn dessen Ziele ernst genommenund kritisch diskutiert werden. Selbstverständlichsind sie nicht unabhängig von den gewählten In-halten, keineswegs aber werden sie durch den blo-ßen „Stoff“ determiniert.

Das ist auch gar nicht möglich. Seit der Me-taphysik des Aristoteles weiß man, dass „Stoff“erst dadurch entsteht und bedeutsam wird, dassman ihm in gestalterischer Absicht eine „Form“aufprägt. Bildend oder sogar allgemeinbildendwird ein Inhalt erst dadurch, wie man ihn lehrt,lernt und im Unterricht gemeinsam über ihn, sei-ne Verflechtungen und seine Hintergründe nach-denkt.

Mit dieser Sicht fühlten wir uns eingebunden indie Pädagogik. Die damalige Unterrichtslehre wiesnicht nur auf die Thematik eines Unterrichtsab-schnittes hin, sondern auch auf anthropogene undsozialkulturelle Voraussetzungen, auf Intensionali-tät, Methodik und Medienwahl.

Ich habe als Fachleiter an der Schule undals Dozent an der Hochschule viele Mathema-tikstunden junger Kollegen gesehen. Recht häu-fig habe ich in der anschließenden Besprechung

Kompetenzen: Alter Wein in neuen Schläuchen? – 40 Jahre Lernziele in der Mathematikdidaktik in Deutschland. In: Beiträge zumMathematikunterricht 2010, WTM-Verlag, S. 349–352.

1 Sie betrifft die ersten Auflagen meiner „Abbildungsgeometrie“ (1967 ff.), die zunächst Klarheit schaffen sollten über den Aufbauder schulrelevanten Abbildungen. Dass und wie sie die Geometrieunterricht bereichern können, habe ich erst später aufzuzeigenversucht, vor allem durch das Zusammenspiel von „Figuren und Abbildungen“ (1998).

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Aktivitäten 39

die Frage gestellt: „Sie haben soeben eine Stundean einer allgemeinbildenden Schule durchgeführt.Was daran war eigentlich allgemeinbildend?“ Dieanschließende Diskussion ergab zwar nicht im-mer, aber häufig ein Bewusstwerden des Unter-schieds zwischen zweifellos wichtigen mathema-tischen Kenntnissen und den durch sie bzw. übersie hinaus ermöglichten wesentlichen Einsichten.

Ich möchte das, woran wir gearbeitet haben,gerne weiterhin „Mathematikdidaktik“ und nicht„Stoffdidaktik“ nennen. Wie verstehen sich, unterwelchem Namen firmieren eigentlich diejenigen,die sich von ihr absetzen möchten?

Hans Schupp, Universität des Saarlandes, Campus E2 4,66123 Saarbrücken, Email: [email protected]

Protokoll zur Mitgliederversammlung der GDMam 13. 3. 2014 in Koblenz

Zeit: 16.30–19.00 UhrOrt: Universität Koblenz-Landau,

Campus Koblenz

Rudolf vom Hofe begrüßt die Mitglieder und bittetum eine Schweigeminute zum Gedenken an die injüngerer Zeit verstorbenen Mitglieder:

Milan Koman (2012, erst 2013 bekannt gewor-den)Gerhard Becker (2013)Arnold Kirsch (2013)Jörn Rasch (2014)

TOP 1: Bestätigung des Protokolls, Beschlussder Tagesordnung

Die in Heft 96 der Mitteilungen veröffentlichte Ta-gesordnung wird ebenso wie das in Heft 95 ver-öffentlichte Protokoll der Mitgliederversammlungvom 7. 3. 2013 in Münster ohne Änderungswün-sche angenommen.

TOP 2: Bericht des Vorstands

2.1 Wahrgenommene Termine im Rahmen derVorstandstätigkeit (wahrnehmende Personenjeweils in Klammern)

24.03. MNU-Tagung in Hamburg: Treffen derbefreundeten Verbände (R. vom Hofe)19.04. Festkolloquium zum 65. Geburtstag vonLisa Hefendehl-Hebeker in Duisburg (H.-G.Weigand, R. vom Hofe – eigene Kosten)07.05. MathEduc in Berlin (Th. Jahnke, U. Kor-tenkamp)16./17.05. GFD-Mitgliederversammlung in Ber-lin (R. vom Hofe)

14.06. Festkolloquium zur Verabschiedung vonWerner Blum in Kassel (R. vom Hofe – eigeneKosten)28.06. Festkolloquium zum 60. Geburtstag vonRolf Biehler (R. vom Hofe – eigene Kosten)27.09. Symposium zum Problemlösen an derTU Braunschweig (S. Ruwisch – eigene Kosten)28.07. PME Kiel (S. Ruwisch – eigene Kosten)14.09. 30. Jubiläum des GDM-ArbeitskreisesGeometrie in Marktbreit (R. vom Hofe – eige-ne Kosten)25.09. Vorstandssitzung in Köln (R. vom Hofe,S. Ruwisch, Chr. Bescherer, A. Vohns)27.09. Bundesfachleitertag der MNU (R. vomHofe – eigene Kosten)25. 10. Vorstands- und Beiratssitzung in Frank-furt (Vorstand und Beirat)

2.2 Vernetzung in fachdidaktischen GesellschaftenRudolf vom Hofe berichtet: Die Beziehun-gen zu MNU, GFD und DMV sind weiterhingut. Auf dem MNU-Bundeskongress in Ham-burg (24.–28. 3. 2013) hat ein gemeinsames Tref-fen dieser drei Verbände stattgefunden. DerMNU-Bundeskongress 2014 wird in Kassel (10.–14. 4. 2014) stattfinden. Die GFD plant weiterhin ei-ne eigene Zeitschrift.

2.3 NachwuchsförderungFür das Nachwuchsprogramm im Rahmen der Jahres-tagung in Koblenz geht Dank an Imke Knievel, Alex-ander Meyer, Christine Plicht, Stefanie Rach, Flori-an Schacht, Susanne Schnell, Sebastian Schorcht.

Andreas Vohns und Sebastian Schorcht berich-ten über die Summerschool 2013 in Ossiach (16.–20. 9.). Dank geht an die Organisator(inn)en (FranzPicher, Sebastian Schorcht, Andreas Vohns) und

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40 Aktivitäten GDM-Mitteilungen 97 · 2014

die Expert(inn)en (Regina Bruder, Willi Dörfler,Stephan Hußmann, Thomas Jahnke, Philipp May-ring).

Stefan Ufer berichtet über das Dokto-rand(innen)kolloquium 2013 in München. Dank gehtan die Organisatoren (Hedwig Gasteiger, KristinaReiss, Stefan Ufer) und die Expert(inn)en (HedwigGasteiger, Leonie Herbartz-Emden, Aiso Heinze,Michael Neubrandt, Stefan Ufer).

Susanne Schnell und Alexander Meyer la-den ein zur Seasonschool 2014 „FachdidaktischeEntwicklungsforschung in der Mathematikdidaktik“vom 28. 9.–2. 10. 2014 in Dortmund/Hagen, nä-here Informationen: https://www.mathematik.tu-dortmund.de/sites/gdm-season-school-2014.

Hans-Georg Weigand lädt ein zum Dokto-rand(inn)enkolloquium vom 17.–19. 9. 2013 in dasKloster Bronnbach, nähere Informationen: http://www.didaktik.mathematik.uni-wuerzburg.de/wissenschaft/dokkolgdm/

2.4 Gemeinsame KommissionenKommission für LehrerbildungSusanne Prediger berichtet: In der Kommissi-on wurde im letzten Jahr eine Stellungnahme„Wider die Nivellierung des gymnasialen undnicht-gymnasialen Sekundarschullehramts“ erar-beitet (abgedruckt in Heft 95 der Mitteilungen),als nächste Aktivität ist eine Tagung zum Thema„Praxisphasen in der Mathematiklehrerbildung anHochschulen“ (21./22. 3. 2014) geplant.

Kommission „Übergang Schule–Hochschule“Gilbert Greefrath berichtet: In der KommissionSchule–Hochschule der drei Fachverbände DMV,MNU und GDM sind als Vertreter der GDM zurZeit Bärbel Barzel, Rolf Biehler und Gilbert Gree-frath tätig. Die Kommission hat im Herbst 2013

Fachexpert(inn)en der Bildungsadministration al-ler 16 Bundesländer zu einer Tagung nach Münstereingeladen. Thema war die Festschreibung von Bil-dungsstandards für die Allgemeine Hochschulrei-fe im Fach Mathematik, ihre Umsetzung in Kern-curricula der Länder, die Entwicklung musterhaf-ter Abituraufgaben sowie die Möglichkeiten einerVereinheitlichung. Die Initiative der Tagung erfuhrhohe Akzeptanz, so dass für 2014 eine Folgeta-gung geplant ist. Daneben hat sich die Kommis-sion mit der Frage des Einsatzes digitaler Mathe-matikwerkzeuge in Unterricht und Prüfungen be-schäftigt und zu diesem Thema eine Stellungnah-me vor dem Hintergrund der neuen Situation inBaden-Württemberg veröffentlicht. Die Kommissi-on sieht mit den in Baden-Württemberg formu-lierten Vorgaben einen Rückschritt in die Aufga-benkultur vor 20 Jahren und den technologischenStand der 1970-er Jahre sowie die Gefahr einergroßen Verunsicherung für Lehrpersonen.

2.5 Kommende TagungenDie nächsten Jahrestagungen der GDM finden stattin2015: Basel-Solothurn 9.–13. 2. 2015

2016: HeidelbergGabriele Kaiser berichtet über den Internatio-

nal Congress on Mathematical Education (ICME-13),der von der GDM als Veranstalterin getragen undvom 24.–31. 7. 2016 in Hamburg stattfinden wird:Im Juni 2013 hat ein Treffen des International Pro-gramme Committee stattgefunden, auf dem u. a.die Entscheidung über die Hauptvorträge getrof-fen wurde. Ferner sind zwei Panels, fünf SurveyTeams, bislang ca. 50 Invited Lectures (früher: Re-gular Lectures), 54 Topic Study Groups, ein the-matischer Nachmittag mit drei Strängen (Euro-pean Didactic Traditions, German-speaking Tra-ditions in Mathematics Education, Legacy of Fe-lix Klein) geplant und die Vorbereitungen für die-se Aktivitäten sind unter reger Beteiligung derdeutschsprachigen Community (u. a. in jeder TopicStudy Group mindestens ein Team Member ausdem deutschsprachigen Raum) angelaufen. Ga-briele Kaiser bedankt sich noch einmal bei alleninvolvierten Personen für deren Mitwirkung undbei der Gesellschaft für Didaktik der Mathematikfür die finanzielle Unterstützung. Nähere Informa-tionen zum ICME-13 unter: http://icme13.org/

2.6 Bericht der SchriftführungAndreas Vohns berichtet über Stand und Entwick-lung der Mitgliederzahlen: In 2013 sind rückwir-kend zum 1. 1. aufgrund des durch die unterjährigerfolgte Beitragserhöhung erwirkten Sonderkündi-gungsrechts 63 Personen ausgetreten, regulär zum31. 12. weitere 39 Personen. Zum 1. 1. 2013 sind 65

Personen neu eingetreten, zum 1. 1. 2014 bislang33 Personen. Damit sind sowohl die Neueintrit-te als auch die Gesamtzahl der Mitglieder gegen-über dem Vorjahr stabil geblieben. Hinsichtlich derAdressverwaltung muss leider berichtet werden,dass es bei jeder Aussendung der MGDM zu et-wa 15–30 Versandrückläufen aufgrund fehlerhaf-ter (veralteter) Adressangaben kommt. Es ist an-gedacht, allen Mitgliedern der GDM halbjährlichihre aktuell in der Datenbank enthaltenen Datenmit der Bitte um allfällige Aktualisierung zuzusen-den.

TOP 3: Bericht der Kassenführerin bzw. desKassenprüfers

Bericht der Kassenführerin.Christine Bescherer berichtet: Dank der letztjähri-gen Erhöhung der Mitgliedsbeiträge hat sich dieKassenlage der GDM gegenüber dem Vorjahr wie

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Aktivitäten 41

erwartet deutlich entspannt. Im Jahr 2013 stan-den Ausgaben in Höhe von € 87.980,88 Einnah-men in Höhe von € 103.171,30 gegenüber, zum2. 3. 2014 befanden sich € 17.364,71 auf dem Kontoder GDM. Sie erläutert ferner detaillierter die Zu-sammensetzung der Ausgabenposten. Für das Jahr2014 sind nach derzeitigem Planungsstand Aus-gaben in Höhe von ca. € 94.500 und Einnahmenin Höhe von € 105.000 zu erwarten. Hinzu kom-men die i. W. aus den Zusatzbeiträgen für den IC-ME 13 gedeckten, für das Jahr 2014 mit € 20.000

€ angesetzten Kosten für die Vorbereitung die-ses Kongresses. Christine Bescherer erinnert auchnoch einmal daran, dass reduzierte Mitgliedsbei-träge für pensionierte Mitglieder rechtzeitig undfür Nachwuchsmitglieder zudem jährlich neu zubeantragen sind.

Bericht des Kassenprüfers.Fritz Hasselbeck berichtet: Die Kasse wurde einge-hend geprüft. Gegenstand der Prüfung waren derAnfangsbestand aus dem Jahr 2012, Einnahmen-und Ausgabenbelege mit den dazu gehörigenRechnungen sowie der Jahresabschluss 2013. Dasdatumsgemäß geordnete Kassenjournal, die Kon-toauszüge der Bank und die Rechnungsbelegestimmen in Termindaten und aufgeführten €-Beträgen voll überein. Buchungsklassen und Wert-stellungen sind im Kassenjournal genau doku-mentiert. Die Rechnungsbeträge sind im Konto-Korrent vom 1. 1.–31. 12. 2013 sachlich korrekt ver-bucht, die Nachweise für Einnahmen und Ausga-ben sind vollständig abgeheftet. Die Bearbeitungdes GDM-Kontos erfolgte gründlich und gewis-senhaft, die Anlage des Kontodepots von Frau Be-scherer zum Rechnungsjahr 2013 liegt übersicht-lich und klar vor.

Fritz Hasselbeck empfiehlt unter diesen Bedin-gungen die Entlastung der Vorstandschaft und derKassenführerin.

TOP 4: Entlastung des Vorstands

Susanne Prediger empfiehlt der Mitgliederver-sammlung die Entlastung. Der Entlastung wirdeinstimmig bei vier Enthaltungen zugestimmt.

TOP 5: Satzungsänderung/Verabschiedung einerneuen Ordnung

Rudolf vom Hofe berichtet: Der ArbeitskreisSchweiz–Liechtenstein hat sich in den letzten Jahr-zehnten sehr erfolgreich entwickelt und machtheute über ein Zehntel der Mitglieder der GDMaus. Von den anderen Arbeitskreisen der GDM,die sich mit speziellen Themen oder Methoden derMathematikdidaktik befassen, unterscheidet sich

dieser Arbeitskreis dadurch, dass er die Mathema-tikdidaktik innerhalb der deutschsprachigen Re-gion Schweiz-Liechtenstein allgemein und umfas-send vertritt und damit auch als Ansprechpartnerfür die dortige Bildungspolitik auftreten möchte.Dies ist für diesen Arbeitskreis aufgrund der beste-henden GDM-internen Regelungen bislang nichtmöglich. Der Arbeitskreis Schweiz-Liechtensteinist daher mit der Bitte an Vorstand und Beirat her-angetreten, zu überprüfen, ob die Strukturen derGDM so geändert werden können, dass dieser Ar-beitskreis (1) bildungspolitische Stellungnahmeninnerhalb der Schweiz abgeben, (2) sich als Ver-ein nach Schweizer Recht formieren und (3) da-bei dennoch weiterhin innerhalb der GDM verblei-ben kann. Die Angelegenheit ist im Vorstand undBeirat unter Hinzuziehung von Vereinsjuristen in-tensiv diskutiert und ein Lösungsvorschlag gefun-den worden, der von Vorstand und Beirat getragenwird.

Rudolf vom Hofe stellt daher zunächst folgen-den Antrag auf Satzungsänderung/-ergänzung:1. In „§ 13. Beirat“ soll die Passage:

„Der Beirat hat höchstens 15 Mitglieder. Sie wer-den von der Mitgliederversammlung für dreiJahre gewählt. Eine Wiederwahl ist höchstenszweimal möglich. Jedes Jahr sind etwa ein Drit-tel der Mitglieder zu wählen.“ersetzt werden durch:„Der Beirat hat höchstens 15 gewählte Mitglie-der. Sie werden von der Mitgliederversamm-lung für drei Jahre gewählt. Eine Wiederwahlist höchstens zweimal möglich. Jedes Jahr sindetwa ein Drittel der Mitglieder zu wählen. An-erkannte Landesverbände können zusätzlich je-weils ein Mitglied in den Beirat entsenden.“

2. Folgende Passage soll als „§ 14. Ordnungen“neu aufgenommen werden:„Die Bestimmungen zu Untergruppen des Ver-eins wie Arbeitskreise, Landesverbände undKommissionen werden durch Ordnungen ge-regelt. Diese Ordnungen sind nicht Teil derSatzung, müssen jedoch mit dieser in Ein-klang stehen. Ordnungen von Arbeitskreisenund Landesverbänden werden von der Mitglie-dersammlung, Ordnungen von Kommissionenvom Vorstand beschlossen.“

Der Antrag wird von der Mitgliederversammlungeinstimmig angenommen.

Der erste Vorsitzende erläutert im Folgenden,dass neben der Satzungsänderung die Verabschie-dung einer „Ordnung für Landesverbände der Ge-sellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM)“nötig ist. Diese Ordnung regelt das Procede-re, wie Untergliederung der GDM (im aktuellenFall: der Arbeitskreis Schweiz/Liechtenstein) denStatus „Landesverband“ beantragen und erhalten

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42 Aktivitäten GDM-Mitteilungen 97 · 2014

können. Er erläutert im Folgenden kurz den Inhaltdieser Ordnung (die Ordnung ist in diesem Heftvollständig abgedruckt auf S. 43).

Er stellt schließlich Antrag auf Verabschiedungder „Ordnung für Landesverbände der Gesell-schaft für Didaktik der Mathematik (GDM)“.

Der Antrag wird von der Mitgliederver-sammlung einstimmig angenommen. EstherBrunner dankt im Namen des ArbeitskreisesSchweiz/Liechtenstein herzlich für die Unter-stützung durch die verabschiedete Satzungsände-rung/Annahme der Ordnung für Landesverbän-de.

TOP 6: Wahlen

2. Vorsitz.Silke Ruwisch wird als zweite Vorsitzende zurWiederwahl vorgeschlagen. Es gibt keine weite-ren Vorschläge (Ja-Stimmen: 116, Nein-Stimmen: 2,Enthaltungen: 3, Ungültige Stimmen: 4). Silke Ru-wisch nimmt die Wahl an.

Schriftführung.Andreas Vohns wird zur Wiederwahl vorgeschla-gen (Ja-Stimmen: 108, Nein-Stimmen: 1, Enthal-tungen: 3, Ungültige Stimmen: 0). Andreas Vohnsnimmt die Wahl an.

Beirat.Es scheiden aus: Roland Keller (keine Wiederwahlmöglich), Ulli Kortenkamp (Wiederwahl möglich),Timo Leuders (keine Wiederwahl möglich) undEdith Schneider (keine Wiederwahl möglich).

Es kandidieren: Gabriella Ambrus, Bärbel Bar-zel, Michael Gaidoschik, Gilbert Greefrath, UlliKortenkamp, Matthias Ludwig, Elisabeth Rathgeb-Schnierer, Jürgen Roth, Anna Susanne Steinweg.

Gewählt werden: Gabriella Ambrus (44 Stim-men), Bärbel Barzel (65 Stimmen), Michael Gaido-schik (49 Stimmen) und Ulli Kortenkamp (76 Stim-men).

Gilbert Greefrath (33 Stimmen), Matthias Lud-wig (34 Stimmen), Elisabeth Rathgeb-Schnierer (32

Stimmen), Jürgen Roth (41 Stimmen) und AnnaSusanne Steinweg (27 Stimmen) werden nicht ge-wählt.

Alle gewählten Personen nehmen die Wahl an.

TOP 7: Madipedia & MathEduc

Ulli Kortenkamp berichtet: MathEduc ist eine Ein-richtung des FIZ-Karlsruhe. MathEduc ist die in-ternational einzige kommentierte Literaturdaten-bank zur spezifischen Erfassung mathematikdi-daktischer Beiträge aus Forschung, Theorie undPraxis im internationalen Rahmen. Sie umfasst

derzeit etwa 150 000 Einträge, wobei mittlerweilezu mehr als 1500 Einträgen Book Reviews vorlie-gen. Editor-in-Chief ist Thomas Jahnke, die GDMist Teil des Coordinating Committees. Mitwirkungim Rahmen von Book Reviews (die parallel in denMitteilungen der GDM erscheinen) ist weiterhindringend erwünscht.

Madipedia ist ein Angebot der GDM in Koope-ration mit FIZ Karlsruhe unterstützt durch dasDZLM. Madipedia ist als Online-Nachschlagewerkzur Mathematikdidaktik konzipiert, es umfasstAngaben zu ca. 400 Personen und ca. 400 Disser-tationen aus dem deutschsprachigen Raum. Madi-pedia ist als Wiki implementiert, daher auf Eintra-gungen aus der Community selbst angewiesen. Ul-li Kortenkamp bittet daher um Mitarbeit an Madi-pedia (s. Beitrag in diesem Heft).

TOP 8: Zeitschriften

8.7 Journal für Mathematik-Didaktik (JMD)Rolf Biehler berichtet: Die Zahl der Institutionen,die weltweit einen Online-Zugang zum JMD ha-ben, hat sich seit 2010 beinahe verdoppelt auf nun-mehr fast 5000 Institutionen, auch die Zahl derOnline-Zugriffe auf das JMD hat sich im selbenZeitraum deutlich positiv entwickelt. Die Retrodi-gitalisierung des JMD ist abgeschlossen, Mitglie-dern der GDM stehen alle Jahrgänge seit 1980 on-line über die Datenbank der GDM zur Verfügung.Bibliotheken, die das JMD abonnieren, erhaltenkostenfrei Zugriff auf alle Jahrgänge ab 1997, einZugriff auf ältere Jahrgänge muss einmalig zu ei-nem Preis von maximal € 850 erworben werden.

Die derzeitige Heftplanung sieht für das Jahr2015 ein Heft mit spezifischem Themenschwer-punkt (2/2015: Lehrerfortbildung/MultiplikatorenMathematik – Konzepte und Wirkungsforschung)vor. Für 2016 sind zwei solche Hefte geplant:1/2016: Didaktisch orientierte Rekonstruktion vonMathematik als Basis von Schulmathematik undLehrerbildung (in memoriam Arnold Kirsch);1a/2016: Subject matter analysis from a didac-tical perspective (Stoffdidaktik). Das zweite Heft(1a/2016) stellt eine Sonderausgabe aus Anlass desICME in Hamburg dar, es ist daran gedacht, die-ses Heft allen Teilnehmer(inne)n des Kongresseszur Verfügung zu stellen. Rolf Biehler weist daraufhin, dass Beiträge in diesen thematisch definiertenHeften dem gleichen Review-Verfahren unterlie-gen wie die weiterhin möglichen und erwünschtenEinzelbeiträge zu thematisch ungebundenen Hef-ten des JMD.

8.8 ZDMGabriele Kaiser informiert über die Entwicklungenbeim ZDM, mit einem Schwerpunkt auf dessen in-

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Aktivitäten 43

ternationaler Wahrnehmung gemessen in Online-Zugriffszahlen/Article Requests. So entfallen etwa80 % der Zugriffe auf Artikel des ZDM auf Artikelaus den Jahren 1997–2012, 20 % auf den aktuellenJahrgang (2013). Die zehn am häufigsten abgerufe-nen Artikel werden zwischen 300- und 600-mal proJahr abgerufen. Zugriffe aus Europa machen mit31 % (darunter 8 % aus Deutschland) den größtenAnteil aus, dicht gefolgt vom asiatisch-pazifischenRaum mit 30 % und dann Nord-Amerika mit 21 %.Die Artikel werden zu etwa 28 % über GoogleScholar gefunden, zu 25 % direkt aufgerufen undzu 19 % über die Google-Suche gefunden.

8.9 mathematica didacticaAndreas Eichler informiert über Herausgabemo-dalitäten sowie Stand und Entwicklung der Bei-tragseinreichungen zu mathematica didactica.

8.10 Der Mathematikunterricht (MU)Stefan Deschauer informiert: Herausgeber sind ne-ben ihm selbst Henning Körner und Jörg Meyer,die Rubrik betreut Gerhard König. MU ist themen-heftorientiert mit Bezug zum Unterricht und hattraditionell eine gymnasiale Ausrichtung.

TOP 10: Verschiedenes

Torsten Linnemann stellt die Jahrestagung 2015

in Basel vor. Nähere Informationen: http://www.gdm2015.ch/.

Der Vorstand bedankt sich bei den Mitgliedernfür die gute Zusammenarbeit.

Protokoll: Andreas Vohns

Ordnung für Landesverbände der Gesellschaft für Didaktikder Mathematik (GDM)

§ 1 GDM-Landesverband

Verfolgt ein GDM-Arbeitskreis das Ziel, die Ma-thematikdidaktik innerhalb eines Landes außer-halb Deutschlands in Wissenschaft und Unterrichtallgemein zu vertreten, so kann er den Status„GDM-Landesverband“ beantragen.

Ein GDM-Arbeitskreis mit dem Status „GDM-Landesverband“ ist berechtigt, in bildungspoliti-schen Fragen als GDM-Landesverband Stellung-nahmen abzugeben.

§ 2 Korporative Mitgliedschaft

Es steht einem GDM-Landesverband frei, einenVerein nach dem jeweiligen Landesrecht zu grün-den. Dieser kann die korporative Mitgliedschaft inder GDM beantragen und ist dann berechtigt, alsVerein unter gleichem Namen aufzutreten.

§ 3 Anerkennung

Die Anerkennung eines Vereins „GDM-Landesverband“ als korporatives Mitglied in derGDM kann erfolgen, wenn:(1) die Zielsetzung des Vereins „GDM-

Landesverband“ mit der Zielsetzung der GDMvereinbar ist;

(2) die Mitgliedschaft im Verein „GDM-Landesverband“ die Mitgliedschaft in derGDM voraussetzt.Die Anerkennung eines Landesverbandes er-

folgt nach dem gleichen Verfahren wie die Aner-kennung eines GDM-Arbeitskreises.

§ 4 Finanzierung

Die GDM stellt einem Verein „GDM-Landesverband“ Mittel zur Vereinsarbeit zurVerfügung. Diese betragen in der Regel 25 %der Mitgliedsbeiträge der Mitglieder des GDM-Landesverbands.“

Diese Ordnung wurde in der Mitgliederversammlung am 13. 3. 2014 an der Universität Koblenz beschlossen.

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44 Aktivitäten GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Satzung der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V.

§ 1. Die Gesellschaft für Didaktik der Mathema-tik (e. V.) mit Sitz in Berlin verfolgt ausschließ-lich und unmittelbar gemeinnützige Zweckeim Sinne des Abschnitts „SteuerbegünstigteZwecke“ der Abgabenverordnung.Zweck des Vereins ist die Förderung von Wis-senschaft und Forschung im Gebiet der Di-daktik der Mathematik und damit verbundendie Förderung von Bildung und Erziehung.Der Satzungszweck wird verwirklicht durchdie Mitwirkung bei und Unterstützungvon wissenschaftlichen Veranstaltungen undForschungsvorhaben, durch finanzielle Un-terstützung wissenschaftlicher Publikationenund durch Zusammenarbeit mit entsprechen-den Institutionen im Inland und im Ausland.

§ 2. Die Gesellschaft ist selbstlos tätig; sie verfolgtnicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwe-cke.

§ 3. Mittel der Gesellschaft dürfen nur für sat-zungsmäßige Zwecke verwendet werden. DieMitglieder erhalten keine Zuwendungen ausMitteln der Gesellschaft.

§ 4. Es darf keine Person durch Ausgaben, diedem Zweck der Gesellschaft fremd sind, oderdurch unverhältnismäßig hohe Vergütungenbegünstigt werden.

§ 5. Bei Auflösung der Gesellschaft oder bei Weg-fall steuerbegünstigter Zwecke fällt das Ver-mögen an die Studienstiftung des DeutschenVolkes (e. V.), die es unmittelbar und aus-schließlich für gemeinnützige Zwecke zu ver-wenden hat.

§ 6. Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr.§ 7. Erwerb der Mitgliedschaft

Die Gesellschaft nimmt persönliche, korpo-rative Mitglieder und Ehrenmitglieder auf.Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt aufschriftlichen Antrag beim Schriftführer durchBeschluss des Vorstandes. Personen, die sichum die Mathematikdidaktik oder um die Ge-sellschaft für Didaktik der Mathematik ver-dient gemacht haben, kann nach Beratung mitdem Beirat durch einstimmigen Beschluss desVorstands die Ehrenmitgliedschaft angetragenwerden.

§ 8. Rechte und Pflichten des MitgliedsJedes Mitglied ist berechtigt(a) zur Teilnahme an den Veranstaltungen der

Gesellschaft und zur Ausübung der Rechtein der Mitgliederversammlung,

(b) zur Inanspruchnahme aller etwa beste-henden oder noch zu errichtenden Einrich-tungen der Gesellschaft nach Maßgabe derdafür geltenden Bestimmungen.

Jedes Mitglied ist verpflichtet, sich für dieZiele der Gesellschaft einzusetzen und denvon der Mitgliederversammlung beschlosse-nen Beitrag zu entrichten.

§ 9. Verlust der MitgliedschaftDie Mitgliedschaft erlischt durch Tod, Kündi-gung oder Ausschluss.Die Kündigung durch das Mitglied ist biszum 31. Dezember eines jeden Jahres zuläs-sig. Die Kündigungserklärung ist nur wirk-sam, wenn sie mindestens drei Monate vorherin schriftlicher Form einem Vorstandsmitgliedzugegangen ist.Der Ausschluss kann nur durch einstimmigenBeschluss des Vorstandes ausgesprochen wer-den. Gegen diese Ausschließung ist innerhalbvon 2 Monaten nach Zustellen des Beschlus-ses Berufung an die Mitgliederversammlungmöglich, die über den Einspruch entscheidet.

§ 10. Organe der Gesellschaft sind:1. Der Vorstand2. die Mitgliederversammlung3. der Beirat

§ 11. VorstandDer Gesamtvorstand besteht aus1. dem Ersten Vorsitzenden2. dem Zweiten Vorsitzenden3. dem Schriftführer4. dem KassenführerDie Vorstandsmitglieder werden regelmäßigdurch die Mitgliederversammlung für zweiJahre gewählt. Jedes Jahr ist die Hälfte derMitglieder des Vorstandes zu wählen. Vor-herige Abberufung durch die Mitgliederver-sammlung ist möglich. Eine Wiederwahl isthöchstens zweimal möglich.Der Erste und der Zweite Vorsitzende vertre-ten die Gesellschaft im Sinne des § 26 BGBund sind Vorstand im Sinne des Gesetzes.Soweit in dieser Satzung vom Vorstand dieRede ist, ist immer der gesamte Vorstand ge-meint.Der Vorstand beschließt mit Stimmenmehr-heit. Bei Stimmengleichheit entscheidet dieStimme des Ersten Vorsitzenden.

§ 12. MitgliederversammlungDie Mitgliederversammlung findet jeweils

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Aktivitäten 45

einmal im Jahr statt. Die Tagesordnung musswenigstens folgende Punkte enthalten:1. Bericht des Vorstandes über das abgelaufe-

ne Geschäftsjahr2. Rechnungslegung des Kassenführers3. Bericht des Kassenprüfers4. Entlastung des Vorstandes5. Wahl des Kassenprüfers, der nicht dem

Vorstand angehören darf, für das nächsteGeschäftsjahr

6. Wahlen zum VorstandAlle Mitgliederversammlungen werdenschriftlich einberufen mit einer Frist von ei-nem Monat unter Angabe der Tagesordnung.Jede ordnungsgemäß einberufene Mitglieder-versammlung ist beschlussfähig. Bei den Ab-stimmungen entscheidet die Mehrheit derStimmen der anwesenden Mitglieder. Für ei-ne Satzungsänderung oder für die Auflösungist eine Dreiviertelmehrheit aller anwesen-den Mitglieder erforderlich. Die Anträge dazumüssen mit der Einladung zur Mitgliederver-sammlung im Wortlaut bekannt gegeben wer-den.Der Erste Vorsitzende, bei dessen Verhinde-rung der Zweite Vorsitzende, leitet die Mit-gliederversammlung.Über die Mitgliederversammlung fertigt derSchriftführer ein Protokoll an, das vom Ver-sammlungsleiter gegenzuzeichnen ist.Der Vorstand kann in besonderen Fällen ei-ne außerordentliche Mitgliederversammlungeinberufen. Der Vorstand muss innerhalb vonzwei Monaten eine außerordentliche Mitglie-derversammlung einberufen, wenn dies vonmindestens 20 % der Mitglieder unter Angabeder Zwecke und Gründe schriftlich verlangtwird.

§ 13. BeiratDer Beirat berät den Vorstand und die Mitglie-derversammlung in den allgemeinen wissen-schaftlichen Leitlinien und Zielsetzungen derGesellschaft.Beiratsmitglieder sollen solche Persönlichkei-ten sein, die in besonderer Weise geeignetsind, die Ziele der Gesellschaft zu fördern.Der Beirat hat höchstens 15 gewählte Mitglie-der. Sie werden von der Mitgliederversamm-lung für drei Jahre gewählt. Eine Wiederwahlist höchstens zweimal möglich. Jedes Jahr sindetwa ein Drittel der Mitglieder zu wählen.Anerkannte Landesverbände können zusätzlich je-weils ein Mitglied in den Beirat entsenden.

§ 14. OrdnungenDie Bestimmungen zu Untergruppen des Vereinswie Arbeitskreise, Landesverbände und Kommis-sionen werden durch Ordnungen geregelt. Die-

se Ordnungen sind nicht Teil der Satzung, müs-sen jedoch mit dieser in Einklang stehen. Ordnun-gen von Arbeitskreisen und Landesverbänden wer-den von der Mitgliedersammlung, Ordnungen vonKommissionen vom Vorstand beschlossen.

§ 15. Auflösung der GesellschaftFür die Beschlussfassung über die Gesell-schaftsauflösung gilt § 12. Für die Verwen-dung des Gesellschaftsvermögens ist § 5 zubeachten.

§ 16. Sollte eine Bestimmung unwirksam sein, sowird dadurch die Gültigkeit der übrigen Be-stimmung nicht berührt.Diese Satzung wurde auf der Mitgliederver-sammlung am 7. März 1996 in Regensburgverabschiedet, gem. Beschluss der Mitglieder-versammlung am 3. März 2005 in Bielefeld in§ 1 und § 7 aktualisiert und ergänzt sowiegem. Beschluss der Mitgliederversammlungam 13. März 2014 in Koblenz in § 13 geändertund um §14 ergänzt. Änderungen/Ergänzungenvom 13. März 2014 sind kursiv hervorgehoben.

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Gründungsversammlung der GDM Schweiz vom 3. 6. 2014

Am 3. 6. 2014 wurde die „GDM Schweiz“ als Lan-desverband der GDM gegründet. Dadurch ist dierechtliche Situation der „GDM Schweiz“ geklärt.Die GDM Schweiz verfügt nun über eigene Sta-tuten nach Schweizer Vereinsrecht, bleibt aber einTeil der GDM, deren Sitz in Deutschland liegt.

An der Gründungsversammlung, die in Räum-lichkeiten der Pädagogischen Hochschule in Zü-rich stattfand, nahmen rund 30 Mitglieder teil.Ebenso viele hatten sich entschuldigt und gleich-zeitig bekräftigt, dass sie das Vorhaben unter-stützen. Die anwesenden Mitglieder wurden vonden beiden Co-Vorsitzenden des ArbeitskreisesSchweiz-Liechtenstein der GDM, Esther Brunnerund Lis Reusser, herzlich willkommen geheissen.

Lis Reusser übernahm für den Vorstand des Ar-beitskreises die Verabschiedung von Roland Kel-ler, der über lange Jahre den Arbeitskreis beinahein Personalunion führte und sowohl als Vorsitzen-der des AKs wie als Mitglied im Beirat der GDMmitarbeitete. Seine Verdienste um den Verein sindimmens. Nicht zuletzt wurden auf seine Initiati-ve hin die Strukturen des bisherigen Arbeitskrei-ses analysiert und die rechtlichen Grundlagen zurGründung der GMD Schweiz geschaffen. Eben-falls herzlich verabschiedet wurde mit Rita Krum-menacher ein zweites langjähriges Vorstandsmit-glied.

Nach der Wahl von zwei Stimmenzählendenfolgten die Vereinsgeschäfte. Die neuen Vereinssta-tuten wurden einstimmig verabschiedet. Diese wa-ren zuvor sowohl von einem Schweizer wie von ei-nem deutschen Juristen geprüft und vom Vorstandder GDM und dem Beirat akzeptiert worden.

Als weiteres Geschäft standen Wahlen – die ers-ten ordentlichen Wahlen überhaupt in der GDMSchweiz – an. Gewählt in den Vorstand wurdenEsther Brunner, Lis Reusser, Gabriela Schürch undChristof Weber (alle bisher) und neu Peter Flury.

Esther Brunner und Lis Reusser wurden ein-stimmig als Co-Präsidentinnen bestätigt.

Für die Vertretung der GDM Schweiz im wis-senschaftlichen Beirat der GDM stellten sich zweiPersonen zur Wahl. Gewählt wurde Esther Brun-ner. Damit ist die GDM Schweiz mit einer der bei-den Co-Präsidentinnen im wissenschaftlichen Bei-rat der GDM vertreten.

Als Rechnungsrevisoren gewählt wurden Al-bert Gächter und Guido Beerli.

Die Kassierin, Gabriela Schürch, informiertekurz, dass der Mitgliederbeitrag für 2014 bereitsauf 140 Fr. festgelegt worden war und dieses Ge-schäft deshalb erst 2015 wieder ansteht. GemässOrdnung für die Landesverbände der GDM wer-den uns in Zukunft ca. 25 % des Mitgliederbeitragsfür die Aktivitäten unseres Landesverbandes zurVerfügung stehen.

Lis Reusser informierte ferner über denLehrerinnen- und Lehrertag an der GDM 2015 inBasel. Die Jahrestagung in Basel wird von derFHNW ausgerichtet und verantwortet. ChristineStreit vom Organisationskomitee hat die GDMSchweiz darum gebeten, ihre Mitglieder dafür zugewinnen, Workshops für den Lehrerinnen- undLehrertag anzubieten. Wir hoffen, dass viele Kolle-ginnen und Kollegen sich zur Verfügung stellen, sodass ein attraktives Programm zu Stande kommt.

Einen Ausblick gab Lis Reusser auch auf dienächste geplante fachdidaktische Diskussion, dieam 8.9.2014, 18.45-20.45h an der PHZH zum The-ma „Fachdidaktisch app-gestützte Unterrichtssze-narien mit Tablets“ von den beiden Kollegen Bern-hard Dittli und Philippe Sasdi angestossen wird.Fernziel des Inputs und der nachfolgenden Dis-kussion ist die Erarbeitung von Qualitätskriterienfür Apps und Co.

Esther Brunner stellte anschliessend kurz dieneue Website – mit einem Logo in SchweizerRot – vor, die gegenwärtig im Aufbau begriffenist und unter www.gdmschweiz.ch oder www.didaktik-der-mathematik.ch demnächst online ge-hen wird. U. a. wird die Site einen passwortge-schützten Mitgliederbereich aufweisen.

Das Traktandum Verschiedenes wurde nichtgenutzt und die Versammlung nach einer knappenStunde geschlossen. Zur Feier der Gründungsver-sammlung wurde anschliessend in einem Restau-rant angestossen.

Wir sind sehr dankbar für die Unterstützungder GDM, insbesondere des Vorsitzenden, Prof.Dr. Rudolf vom Hofe, der Vorstandsmitgliedernund der Mitgliedern des wissenschaftlichen Bei-rats und freuen uns, nun als Landesverband zurGDM zu gehören!

Esther Brunner und Lis ReusserCo-Präsidentinnen der GDM Schweiz

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Aktivitäten 47

Notwendigkeit von wissenschaftlich qualifiziertem Personalfür die universitäre gymnasiale MathematiklehrerbildungStellungnahme der Gemeinsamen Kommission Lehrerbildung Mathematik der DMV, MNU und GDM

Es herrscht große Einigkeit darüber, dass einMathematiklehramtsstudium in allen Schulformendazu dienen soll, den wissenschaftlichen Hinter-grund für das benötigte Professionswissen aufzu-bauen, sowohl im fachwissenschaftlichen als auchim fachdidaktischen Bereich.

Es sollte daher selbstverständlich sein, dass fürdie Ausgestaltung des Studiums jeweils Fachleu-te zur Verfügung stehen, denn nur mit Veranke-rung im wissenschaftlichen Bereich der Fachwis-senschaft bzw. Fachdidaktik können Studierendeadäquat an diesen herangeführt werden:

Für eine erfolgreiche Ausbildung von künfti-gen Lehrkräften für die gymnasiale Oberstufe istes zwingend erforderlich, dass Studierende mitFragestellungen der mathematischen Forschung inKontakt kommen. Hierbei sollte das Fach in seinerBreite abgedeckt sein. Dies kann nur gewährleis-tet werden, wenn die entsprechenden Fachberei-che ausreichend mit wissenschaftlich qualifizier-tem Personal, insbesondere Professuren der ver-schiedenen Teildisziplinen der Mathematik, ausge-stattet sind.

Ebenso kann kein Mathematiklehramtsstu-dium ohne auch in der Forschung erfahren-de Fachdidaktik-Professorinnen und -Professorenauskommen, da nur die intensive, auf For-schung basierende Beschäftigung mit mathemati-schen Lehr-Lernprozessen die wissenschaftlichenHintergründe für eine akademische Ausbildungvon Lehrkräften bietet.

Die Gemeinsame Kommission Lehrerbildungbetrachtet daher mit Sorge, dass in einigen Bun-desländern die Anforderungen an die wissen-schaftliche Qualifikation des ausbildenden Perso-nals in der Breite nicht hinreichend berücksich-tigt werden. Die Bundesländer, Universitäten undAkkreditierungs-Agenturen werden aufgefordert,für die Einhaltung der angesprochenen Standardszu sorgen.

Im Namen aller Kommissionsmitglieder:Prof. Dr. Susanne Prediger

Kommissionsvorsitzende, TU [email protected]

„Vielleicht stehen Sie ja auch schon drin?“

Ulrich Kortenkamp

Da gab’s doch diese Dissertation von wie hieß sie nochmal?

So ein interessanter Artikel . . . wer ist das eigentlich,der das geschrieben hat? Was macht der denn noch?

Da möchte jemand eine Stelle haben – mal vorsichts-halber „googeln“? Oder „facebooken“? Oder lieber dochin einem Nachschlagewerk für die Mathematikdidaktiknachschauen?

Wenn Sie schon einmal vor einer solchen Fragestanden, dann werden Sie Madipedia zu schätzenwissen. Schauen Sie doch mal bei diesem besonde-ren Angebot der GDM unter http://madipedia.devorbei!

Madipedia ist ein Wiki1 für die Mathematikdi-daktik, welches von der Gesellschaft für Didak-tik der Mathematik (GDM) betrieben und vomDeutschen Zentrum für Lehrerbildung Mathema-tik (DZLM) unterstützt wird.2

1 Wiki (hawaiisch für „schnell“) bezeichnet ein besonderes System für Webseiten. Benutzer können diese nicht nur lesen, sondernauch direkt im Webbrowser ändern.

2 Kortenkamp, U., Fleckenstein, S. (2013): Madipedia – Das Wiki für die Mathematikdidaktik,http://madipedia.de/wiki/Madipedia_-_Das_Wiki_für_die_Mathematikdidaktik (aufgerufen am 9. 5. 2014).

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48 Aktivitäten GDM-Mitteilungen 97 · 2014

In Madipedia werden Informationen zurdeutschsprachigen mathematikdidaktischen Land-schaft und zu mathematikdidaktischen Inhaltenaufgebaut und entwickelt, und zwar durch koope-ratives Arbeiten im Internet.

Insbesondere werden auch Informationen be-wahrt und gesichert, die sonst nur schwer zugäng-lich wären – z. B. wurden und werden historischeDissertationen gezielt gesucht und verzeichnet. Soentsteht ein wertvolles Archiv, gepaart mit aktuel-len Informationen. Derzeit sind über 450 Personenund ebenso viele mathematikdidaktische Disserta-tionen verzeichnet.

Sie sind gefragt!

Alle in der Mathematikdidaktik aktiven Personen– also gerade die Mitglieder der GDM – können zuMadipedia beitragen.

Sind Sie schon eingetragen? Und Ihre Disserta-tion? Besuchen Sie http://madipedia.de, verwen-den Sie das Suchfeld oben rechts und kontrollierenSie den Eintrag; ist alles richtig und vollständig?Sind die Informationen noch aktuell?

Was können Sie selbst tun?

Sie können Fehler leicht selbst korrigieren, Infor-mationen ergänzen oder ganz neue Einträge er-

stellen wenn Sie angemeldet sind. Die Anmeldunggeht schnell und wird auf den Hilfe-Seiten http://madipedia.de/wiki/Hilfe:Inhaltsverzeichnis er-klärt.

Und wenn Sie mehr Hilfe benötigen? Dann kön-nen Sie sogar telefonisch unter (0345) 55-24614

oder per Mail an [email protected] persön-liche Unterstützung durch das freundliche Madipe-dia-Team bekommen.

Ambitionierte Wiki-Nutzer können noch mehr:Konferenzseiten erstellen, Projektinformationenhinzufügen, Artikel mit Schlagworten verse-hen, Arbeitsgruppen beschreiben, Enzyklopädie-Einträge verfassen und Vieles mehr. Damit helfenSie allen an der Mathematikdidaktik interessiertenMenschen, Fragen, wie z. B. die in der Einführung,noch schneller zu beantworten – Danke!

In den nächsten Mitteilungen der GDM werdenwir wieder berichten: Unter anderem über einenSatzungsvorschlag und die weitere Entwicklungder Enzyklopädie.

Ulrich Kortenkamp, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Mathematik, Didaktik der Ma-thematik, 06099 Halle (Saale)Email: [email protected]

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Arbeitskreise 49

Arbeitskreis Empirische Bildungsforschungin der Mathematikdidaktik(ehemals: Arbeitskreis Vergleichsuntersuchungen)Soest, 21./22. Februar 2014

Gabriele Kaiser und Timo Leuders

Am 21. und 22. Februar 2014 veranstaltete derArbeitskreis sein Frühjahrstreffen im TagungshausSoest. In vier Vorträgen unter dem Rahmenthema„Videogestützte Forschung in der Mathematikdi-daktik“ wurden aktuelle Projekte vorgestellt unddiskutiert.

Analyse der Testaufgaben aus der Studie TEDS-FU.Andreas Busse, Sigrid Blömeke, Martina Döhr-mann, Gabriele Kaiser, Johannes König, JessicaBenthien, Patricia Klein, Ute Suhl

Die Online-Studie TEDS-FU als Follow-Up(FU) der Studie TEDS-M (Teacher Education De-velopment Study in Mathematics) erweitert dieKonzeption von TEDS-M (Blömeke, Kaiser & Leh-mann 2010) um situative Aspekte sowie um denBereich der Erkennung typischer Schülerfehler.TEDS-FU umfasst neben einer Befragung zu Be-liefs, Berufszufriedenheit, Schulerfahrungen etc.auch videobasierte Tests zu situativem mathema-tikdidaktischen und allgemeinpädagogischen Wis-sen, Tests zu mathematischem, mathematikdidak-tischem und allgemeinpädagogischem Wissen ineinem digitalen Papier-und-Bleistift- Format sowieeinen Test zur Erkennung von Schülerfehlern un-ter Zeitdruck.

Die Studie TEDS-FU erfasst in einem längs-schnittlichen Design diejenigen Lehrerinnen undLehrer, die sich als Teilnehmende der Vorgänger-studie TEDS-M am Ende Ihres Referendariats be-fanden und die sich zur Teilnahme an der Folge-studie bereit erklärt hatten. Die Versuchspersonenhatten bei der der Teilnahme an TEDS-FU in derRegel drei bis vier Jahre Berufserfahrung. TEDS-FU wurde strukturgleich sowohl für Lehrkräfteder Primarstufe als auch für solche der Sekundar-stufe I durchgeführt. Dabei wurden die einzelnenTestteile der Schulstufe angepasst. In dem vorlie-genden Papier werden Testaufgaben ausschließlichvon der Sekundarstufenstudie betrachtet.

Die gesamte Erhebung zu TEDS-FU wurde mitUnterstützung des Deutschen Instituts für interna-tionale pädagogische Forschung (DIPF) internet-basiert durchgeführt. Zur Erstellung der digitalenTestumgebung wurde der dort entwickelte CBAItemBuilder (Rölke 2012) eingesetzt. Im Folgendenwerden vier der oben genannten Sekundarstuf-

enteiltests genauer betrachtet. Im Einzelnen han-delt es sich um den videobasierten mathematikdi-daktischen Test MPCK-V, den videobasierten all-gemeinpädagogischen Test GPK-V, den allgemein-pädagogischen Test GPK-PB im digitalen Papier-und-Bleistift-Format sowie den mathematikdidak-tischen Test MPCK-PB im digitalen Papier-und-Bleistift-Format.

Die für die Studie TEDS-FU entwickeltenVideo-Onlinetests zum situativen mathematikdi-daktischen und pädagogischen Wissen umfas-sen drei Videovignetten mit kurzen Unterrichtsse-quenzen, zu denen jeweils nach dem Ansehen ma-thematikdidaktische und allgemeinpädagogischeFragen gestellt werden. Die Domänen Mathema-tikdidaktik und Allgemeinpädagogik werden da-bei in den Fragestellungen nicht explizit getrennt,sondern die Anordnung der Fragen orientiert sichan den in den Videovignetten gezeigten Situatio-nen. Die Videovignetten haben eine Dauer vonjeweils zwei bis dreieinhalb Minuten und stellenSzenen zu zentralen Themenbereichen des Mathe-matikunterrichts der Jahrgangsstufen 8 bis 10 wiefunktionale Zusammenhänge oder Körperberech-nungen dar. Um eine hinreichende Dichte von An-satzpunkten für angemessene Testaufgaben in denVideovignetten zu erzielen, wurden keine authen-tischen Unterrichtssituationen, sondern drehbuch-geleitete Inszenierungen mit Jugendlichen verwen-det. Es kamen 38 geschlossene Items (22 beimTest GPK-V und 16 beim Test MPCK-V) in Formvon Likertskalen (angelehnt an Klieme, Pauli &Reusser 2005) sowie 36 offene Items (jeweils 18 inden beiden Videotests) zum Einsatz. Die Items inihrer Gesamtheit erfordern Wahrnehmung, Ana-lyse und die Nennung von Handlungsoptionen.Die mathematikdidaktischen Anforderungen be-ziehen sich u. a. auf die Nennung von Erklärungs-wegen, auf die fachdidaktische Analyse von Be-arbeitungsprozessen sowie auf die Identifikationvon Aufgabentypen, mathematischen Kompeten-zen und Leitideen. Die allgemeinpädagogischenAnforderungen berühren u. a. die folgenden Berei-che: Classroom Management, pädagogische Ein-schätzung von Situationen, pädagogische Analy-se von Bearbeitungsprozessen sowie Umgang mitHeterogenität.

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50 Arbeitskreise GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Bei dem in der Studie TEDS-FU verwende-ten Onlinetest zum mathematikdidaktischen Wis-sen MPCK-PB handelt es sich um eine digitali-sierte Fassung eines entsprechenden Papier-und-Bleistift- Tests aus der VorgängeruntersuchungTEDS-M. Der Test MPCK-PB besteht aus 12 Aufga-ben mit insgesamt 28 Items. Im Rahmen der TEDS-FU-Studie standen für den Test 20 Minuten Bear-beitungszeit zur Verfügung.

Beim Test GPK-PB handelt es sich um eine re-duzierte und digitalisierte Fassung des allgemein-pädagogischen Papier-und-Bleistift-Tests aus derVorgängeruntersuchung TEDS-M. Der Test GPKPBbesteht aus 13 Aufgaben mit insgesamt 39 Items.Im Rahmen der TEDS-FU-Studie standen auch fürden Test 20 Minuten Bearbeitungszeit zur Verfü-gung.

Für erste Ergebnisse aus dem Projekt sieheu. a.: König, J., Blömeke, S., Klein, P., Suhl, U., Bus-se, A., & Kaiser, G. (2014). Is teachers‘ general pe-dagogical knowledge a premise for noticing andinterpreting classroom situations? A video-basedassessment approach. Teaching and Teacher Edu-cation, 38(2014), 76–88. Weitere Publikationen sindin der Begutachtung.

COACTIV-Video: Eine unterrichtsnahe Erfassungfachdidaktischen Wissens mittels Videovignetten.Georg Bruckmaier, Stefan Krauss, Dominik Leiss,Werner Blum und Michael Neubrand

Es ist ein aktuelles Forschungsdesiderat derMathematikdidaktik, fachdidaktisches Wissenunterrichts- und handlungsnäher als in den be-stehenden Konzeptionen (u. a. in COACTIV undTEDS) zu erfassen. Im Unterschied zur Erhebungder drei bestehenden Facetten fachdidaktischenWissens im Rahmen von COACTIV („Erklärenund Repräsentieren“, „Aufgabenpotential“ und„Schülerfehler und -schwierigkeiten“) wurde da-zu im vorliegenden Fall kein Papier-und-Bleistift-Test, sondern ein computergestütztes und vignet-tenbasiertes Instrument („COACTIV-Video“) ein-gesetzt.

Die Lehrkräfte sollten dazu im Anschluss ankurze inszenierte Unterrichtsvideos angeben (ohneZeitbeschränkung), wie sie den Unterricht weiter-gestalten würden („didaktisch sinnvolle“ Weiter-führung des Unterrichts). Insgesamt wurden dreiVideos zu den Themen „Dreisatz“, „Bruchunglei-chungen“ und „Elementare Statistik“ eingesetzt.Aus den von den Lehrkräften angegebenen Un-terrichtsfortführungen wurde die „situative Unter-richtskompetenz“ als Maß für die fachdidaktischeKompetenz der Lehrkräfte bestimmt. Dazu wur-den pro Video fünf Dimensionen erhoben und je-weils dreistufig (Codes 0–1–2) kodiert. Die Dimen-sionen lauten im Einzelnen:

Dimension 1: Schülerorientierung: Wer wird inden Mittelpunkt der Handlung gestellt – Lehrer(Code 0) oder Schüler (Code 2)?Dimension 2: Methodische Orientierung: Wiegenau wird das weitere methodische Vorge-hen beschrieben (detaillierte Beschreibung: Co-de 2)?Dimension 3: Verständnisorientierung: WelcheKompetenz wird schwerpunktmäßig themati-siert – Kalkül (Code 0) oder Verständnis (Code2)?Dimension 4: Fachliche Präzision Wie genauwird das weitere inhaltliche Vorgehen beschrie-ben (detaillierte Beschreibung: Code 2)?Dimension 5: Ergreifen der didaktischen Chan-ce: Handelt es sich um eine adäquate Interven-tion, die die spezifische didaktische Chance dergegebenen Situation nutzt (Nutzen der Chance:Code 2)?

Aus den einzelnen fünf Dimensionen wurden fürdie situative Unterrichtskompetenz (Summenscoreüber die fünf Dimensionen), die fachübergreifende„methodische Kompetenz“ (bestehend aus Dim. 1

und 2) und die „fachspezifische Kompetenz“ (Dim.3, 4 und 5) Summenwerte gebildet.

Es ergaben sich für die situative Unterrichts-kompetenz dabei folgende zentrale Ergebnisse:1. Mit dem videovignettenbasierten Instrument

gelang eine reliable Erfassung situativer Unter-richtskompetenz.

2. Es bestätigte sich die postulierte zweidimensio-nale Struktur situativer Unterrichtskompetenzmit einer fachübergreifenden methodischen Fa-cette und einer fachspezifischen Facette.

3. Zwischen den Schulformen ergaben sich erwar-tungsgemäß (teilweise deutliche) Unterschiedezugunsten gymnasialer Lehrkräfte (Validierung1).

4. Mit Drittvariablen wie dem fachdidaktischenWissen, dem Fachwissen und lerntheoretischenÜberzeugungen zeigten sich erwartungskonfor-me und signifikante Zusammenhänge (Validie-rung 2).

5. Situative Unterrichtskompetenz erwies sichnicht als signifikanter Prädiktor für die Un-terrichtsqualität (mit den Facetten „kognitiveAktivierung“, „effektive Klassenführung“ und„konstruktive Unterstützung“), jedoch zeigtesich ein signifikanter Einfluss der fachspezifi-schen Kompetenz (bestehend aus den Dim. 3,4 und 5) auf die kognitive Aktivierung (prädik-tive Validität).

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Arbeitskreise 51

Chancen und Grenzen des Videovignetteneinsatzes zurErhebung fachspezifischer Kompetenzen vonLehrkräften.Anke Lindmeier, Imke Knievel, Aiso Heinze

Die fachspezifischen professionellen Kompe-tenzen von Lehrkräften sind die kontextspezifi-schen und erlernbaren kognitiven individuellenDispositionen, die benötigt werden um die An-forderungen des Unterrichtens (Vor-und Nachbe-reitung sowie Unterricht an sich) zu bewältigen.Ausgehend von dieser Definition greifen bekannteTests zur Erfassung des Fachwissens und des fach-didaktischen Wissens zu kurz. Lindmeier (2011)schlägt ein erweitertes dreigliedriges Kompetenz-strukturmodell zur Beschreibung der fachspezifi-schen professionellen Kompetenzen von Lehrkräf-ten vor, das sich aus dem (1) Basiswissen, der(2) reflexiven und der (3) aktionsbezogenen Kom-petenz zusammensetzt. Vor allem zur Erfassungder unterrichtsnahen Konstrukte greifen bekann-te Papier-Bleistift Formate zu kurz, da damit nichtdie charakterisierenden Anforderungen der Kom-petenz implementiert werden können.

In diesem Vortrag wird beispielhaft einevideovignetten-basierte Operationalisierung deraktionsbezogenen Kompetenz für Mathematik-lehrkräfte der Sekundar- und Primarstufe wie imProgramm vACT vorgeschlagen vorgestellt. DieErgebnisse (N = 22+ 85) bestätigen, dass mit Hilfeder videobasierten Erfassung andere Facetten derfachspezifischen professionellen Kompetenz vonLehrkräften, die über das Basiswissen hinausge-hen, erfasst werden können. Allerdings bleibenauch mit diesem Zugang messtheoretische Schwie-rigkeiten bestehen. Der Beitrag diskutiert zudemauf Grundlage unserer Erfahrungen exemplarischdie Chancen und Grenzen der videobasierten Zu-gänge.

Analysieren des Umgangs mit Repräsentationen imMathematikunterricht als Expertisebereich vonMathematiklehrkräften – Video- und textbasierteErhebungsformen.Anika Dreher, Marita Friesen, Julia Ollesch, Sebas-tian Kuntze, Markus Vogel

Vorgestellt werden Forschungsansätze im Rah-men des neu bewilligten Promotionskollegs derPädagogischen Hochschulen Heidelberg und Lud-wigsburg. In zwei Teilprojekten wird der Um-gang mit Repräsentationen im Mathematikunter-richt untersucht. Dabei stehen diesbezügliche Ana-lysekompetenzen von angehenden und praktizie-renden Mathematiklehrkräften im Forschungsfo-kus. Die Expertise in diesem Bereich soll mit Hilfevideobasierter Vignettentests untersucht werden.

Es kann dabei angeknüpft werden an eine ak-tuelle Studie zum Analysieren textbasierter Vi-

gnetten, die vorgestellt und diskutiert wird. Vordem Hintergrund der Rolle von Repräsentations-wechseln in Spannungsfeld zwischen Lernhilfeund Lernhürde für mathematischen Kompetenz-aufbau nimmt diese Studie spezifisches Noticingvon Lehrkräften in den Blick. Da das Fokussierenauf bestimmte Geschehnisse im Mathematikunter-richt und deren Beurteilung durch die Brille ent-sprechender Wissenskomponenten und Sichtwei-sen geschieht, werden außerdem Zusammenhän-ge von solch spezifischem Noticing mit professio-nellem Wissen und Sichtweisen der Lehrkräfte un-tersucht. Das Design der Studie berücksichtigt so-wohl angehende als auch praktizierende Lehrkräf-te (N = 67 + 77), um Einblick in mögliche Un-terschiede zwischen Experten und Novizen zu er-halten. Die Ergebnisse weisen auf deutliche Unter-schiede zwischen dem spezifischen Noticing derbeiden Teilstichproben hin und zeigen außerdem,dass das Erkennen der potentiell hinderlichen Rol-le von inhaltlich nicht notwendigen Repräsentati-onswechseln für das Verständnis von Lernendensowohl von situierten als auch von globalen Wis-senskomponenten und Sichtweisen der Lehrkräftegeprägt sein kann.

Die nächste Sitzung des Arbeitskreises findet am13./14. November 2014 wieder im TagungshausSoest statt. Nähere Informationen und Anmeldungüber die Webseite http://madipedia.de/wiki/Arbeitskreis_Empirische_Bildungsforschung_in_der_Mathematikdidaktik

Gabriele Kaiser, Universität Hamburg, Fakultät EPB,Von-Melle-Park 8, 20146 HamburgEmail: [email protected] Leuders, Pädagogische Hochschule Freiburg,IMBF, Kunzenweg 21, 79117 FreiburgEmail: [email protected]

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52 Arbeitskreise GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Arbeitskreis Vernetzungen im MathematikunterrichtKarlsruhe, 16.–17. Mai 2014

Astrid Brinkmann und Thomas Borys

Die 6. Tagung des Arbeitskreises „Vernetzungenim Mathematikunterricht“ fand an der Pädagogi-schen Hochschule in Karlsruhe am 16. und 17. Mai2014 statt.

Wie in den vergangenen Jahren auch, glieder-te sich das sehr reichhaltige Veranstaltungspro-gramm in einen Lehrerfortbildungstag und einenarbeitskreisinternen Teil.

Am ersten Tag des Veranstaltungsprogrammsfand ein Lehrerfortbildungsnachmittag statt. Ne-ben Lehrer/innen konnten wir auch Mitstreiter/inder Didaktik der Mathematik vom Staatlichen Se-minar für Didaktik und Lehrerbildung (Gymna-sien) Karlsruhe, Karlsruher Institut für Technolo-gie (KIT), Kollegen der Pädagogischen Hochschu-le Karlsruhe und viele Studierende begrüßen. Derzweite Tag war arbeitskreisinternen Themen ge-widmet.

Die Vorträge mit Abstracts des Tagungspro-gramms waren:

Freitag, den 16. Mai (im Rahmen derLehrerfortbildung)

Michael Bürker, Tübingen: Modellierungschrittstabiler ProzesseIm Vortrag soll die Modellierung schrittstabilerProzesse im Mittelpunkt stehen. Dies sind Pro-zesse, die von linearen Funktionen x → mx +b oder additiv erweiterten Exponentialfunktionendes Typs x → cax + d beschrieben werden. Wirwerden zeigen, dass solche Funktionen besondersgute Modelliereigenschaften besitzen. Z. B. werdenwir zeigen, wie man auf sehr elementare Weise oh-ne Benutzung von Differentialrechnung mit Schü-lern der Mittelstufe Spar- und Tilgungsprozessesowie Prozesse modellieren kann, bei denen nichtdie momentane, sondern die diskrete Änderungs-rate eine entscheidende Rolle spielt. Diese Model-lierungen werden dabei mit geometrischen Model-len wie dem so genannten Drei-Säulen-Modell ver-netzt.

Matthias Gercken (Staatliches Seminar für Didaktikund Lehrerbildung (Gymnasien) Karlsruhe):Untersuchungen zur Bevölkerungsentwicklung mitdem Leslie-ModellIm Mai 2013 wurden die neuen statistischen amtli-chen Einwohnerzahlen Baden-Württembergs, sei-ner Städte und Gemeinden auf Basis des Zensus

2011 bekannt gegeben. Der nächste Zensus wirdim Jahr 2021 stattfinden, bis dahin gelten die-se Zahlen zur Fortschreibung der amtlichen Ein-wohnerzahlen. Da die Einwohnerzahl in Deutsch-land für Verwaltung und Politik von großer Bedeu-tung ist, besteht nicht nur Interesse an der gegen-wärtigen Einwohnerzahl, sondern auch an Progno-sen für die Zukunft.

Im Vortrag wird vorgestellt, wie im Rahmen ei-nes Projekts im Unterricht nach Einführung vonMatrizen und dem Leslie-Modell Bevölkerungs-prognosen für die Stadt Karlsruhe entwickelt wur-den. Von einfachen zu komplexen Modellen wur-den Szenarien entwickelt, die einzelne Stadtteilebeleuchten und sogar Demographen der städti-schen Verwaltung zum Staunen brachten. Ein Aus-flug in die Welt von 107× 107-Matrizen, der nichtnur Schülerinnen und Schüler fasziniert hat.

Astrid Brinkmann, Münster; Thomas Borys,Karlsruhe: Mit Maps vernetzend Lernen und LehrenGraphische Darstellungen von Vernetzungen wieMindMaps, ConceptMaps und hiervon abgewan-delte Map-Formen eignen sich in besonderer Wei-se zum strukturierten Lehren und Lernen im Ma-thematikunterricht. Lässt man Schüler/innen aufklassische Weise Maps zu einem Thema erstellen,können individuell sehr unterschiedliche Darstel-lungen entstehen. In Unterrichtsprozessen kannes aber der Lehrperson darauf ankommen, dassganz bestimmte Inhalte mit ihren Vernetzungenbetrachtet werden sollen. Für solch eine inhaltlicheEingrenzung stellen wir verschiedene methodischeVorgehensweisen vor und geben Beispiele für denUnterricht an. Des Weiteren eignen sich einige derhier vorgestellten methodischen Vorgehensweisenauch dazu, dass die Schüler/innen in das Arbei-ten mit Maps im Mathematikunterricht eingeführtwerden.

Samstag, den 17. Mai

Matthias Brandl, Passau: Mathematik und Literatur:Narrative Didaktik als VernetzungsinstrumentLerninhalte und ihre zugehörigen Lehr-Lern-Prozesse fokussieren häufig allein auf deninhaltlich-analytischen Aspekt. Narrative Didaktiksteht dem logisch-diskursiven Prozess gegenüberund ergänzt ihn auf synergetische Art und Weise,

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Arbeitskreise 53

indem sie auch den affektiven Anteil des Lernpro-zesses miteinbezieht. Literaturtheoretische Techni-ken sorgen dabei für eine Vernetzung abstraktermathematischer Lerninhalte mit literarischen Ele-menten. Der Vortrag geht auf die Hintergründe ei-ner narrativen Didaktik ein und illustriert diese anBeispielen.

Mutfried Hartmann, Karlsruhe: Variieren undAnalogisieren als Werkzeuge eines vernetzendenMathematikunterrichtsVernetzen von Inhalten kann einerseits in derRückschau eines bereits erarbeiteten Stoffgebietsgeschehen: Zusammenhänge und gemeinsameStrukturen werden identifiziert, schaffen Übersichtund erleichtern effektives Memorieren. Anderer-seits kann Vernetzen aber auch bedeuten, Wissens-netze aktiv zu erweitern, indem bewusst immerwieder weitere Maschen nach demselben Mustergeknüpft werden. Dieser Aspekt des Vernetzenswird oft unterschätzt. Variieren und Analogisie-ren sind bei diesem Vorgehen zentrale Techniken.Durch diese werden automatisch Inhalte generiert,die nicht nur ähnliche Strukturen wie bereits be-kannte Inhalte aufweisen. Indem Neues an Be-kanntes angeknüpft wird, gewinnt bisher Erarbei-tetes in der subjektiven Wahrnehmung des Lernerseine höhere Bedeutung. Nicht zuletzt wird dabeizusätzlich kreatives Potential der Lernenden frei-gesetzt.

Ana Donevska Todorova, Berlin: Connecting MultipleModes of Description and Thinking of the Concept DotProduct of Vectors in a Dynamic GeometryEnvironmentThere exist many different connections in mathe-matics education and they can be analyzed from awide spectrum of perspectives. This article dis-cusses connections between three modes of de-scription and thinking (Hillel, 2000; Sierpinska,2000) of concepts in linear algebra and analyticgeometry. The concept of dot product of vectorsis in the focus of the analysis. The aim is inves-tigation of how do students recognize, link be-tween, translate one into another and manipulatemultiple modes of description and thinking of dotproduct of vectors in a designed dynamic geome-try environment at upper secondary education. Itseems that utilization of the three modes: geomet-ric, arithmetic and structural, brings the abstrac-tion of the formal linear algebra theory a bit closerto the upper high school students in an adaptedand ‘consumable’ form for this level of education.

Weitere Tagungsordnungspunkte betrafen Infor-melles bzw. Organisatorisches:

Planung der nächsten Tagungen

Michael Bürker wird im Herbst 2014 die 7. Tagungdes Arbeitskreises in Tübingen organisieren. Dieseinterne Tagung wird voraussichtlich am 8. Oktober2014 stattfinden.

Matthias Brandl übernimmt die Organisationder 8. Tagung des Arbeitskreises, die voraussicht-lich im Frühjahr 2015 an der Universität Passaustattfinden wird. Bei dieser Tagung soll wieder einLehrerfortbildungsprogramm angeboten werden.Nähere Infos sind zu finden unter www.math-edu.de/Vernetzungen/Tagungen.html.

Schriftenreihe „Mathe vernetzt – Anregungenund Materialien für einen vernetzendenMathematikunterricht“ des Arbeitskreises,herausgegeben von Astrid Brinkmann

2013 sind Band 3 (Herausgeber: Matthias Brandl,Astrid Brinkmann, Michael Bürker) und der Ma-terialband zu Band 1–3 (Herausgeber: Matthi-as Brandl, Astrid Brinkmann, Jürgen Maaß) beiAulis erschienen, siehe auch www.math-edu.de/Vernetzungen/Schriftenreihe.html.

Band 4 ist in Arbeit und wird von Thomas Bo-rys, Matthias Brandl und Astrid Brinkmann her-ausgegeben. In diesem Band sollen zu den Arti-keln auch Schüler-Arbeitsblätter und Kopiervorla-gen direkt mit veröffentlicht werden.

Autoren, die einen Artikel für die Schriften-reihe anbieten möchten, wenden sich bitte anAstrid Brinkmann: [email protected]. Informationen und Formatvorlage findetman unter: www.math-edu.de/Vernetzungen/Schriftenreihe.html

Das gesamte Tagungsprogramm und weitere In-formationen zu den Tagungen des Arbeitskrei-ses können im Internet unter der Adresse www.math-edu.de/Vernetzungen/Tagungen.html abge-rufen werden. Allgemeine Informationen zumArbeitskreis „Vernetzungen im Mathematikun-terricht“ findet man unter www.math-edu.de/Vernetzungen.html. Interessierte sind als weitereMitglieder herzlich willkommen. Bitte wenden Siesich ggf. an die Sprecherin des Arbeitskreises FrauAstrid Brinkmann.

Astrid Brinkmann, Universität Münster, Institut für Di-daktik der Mathematik und der Informatik, Fliedner-straße 21, 48149 MünsterEmail: [email protected]

Thomas Borys, Pädagogische Hochschule Karlsruhe,Bismarckstraße 10, 76133 KarlsruheEmail: [email protected]

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54 Arbeitskreise GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Arbeitskreis Mathematikdidaktik und Mathematikunterrichtin ÖsterreichWiener Neustadt, 21.–22. November 2013, und Koblenz, 10. März

Edith Schneider

Die Herbsttagung 2013 des AK „Mathematikdi-daktik und Mathematikunterricht in Österreich“fand vom 21.–22. November 2013 in Wiener Neu-stadt statt. Es nahmen ca. 30 Kolleginnen und Kol-legen von verschiedenen österreichischen Univer-sitäten und Pädagogischen Hochschulen teil. Wiebereits bei den beiden vorhergehenden Herbstta-gungen war auch 2013 erfreulicher Weise wiedereine gute Durchmischung von Universitäten undPädagogischen Hochschulen gegeben, sodass dies-bezüglich von einer anhaltenden Entwicklung aus-gegangen werden kann.

Im Rahmen der GDM-Tagung 2014 in Koblenzfand am 10. März ein AK-Treffen statt.

Die Herbsttagung 2014 ist für Septem-ber/Oktober 2014 vorgesehen.

Der erste Teil der Herbsttagung des AK sowiedas jährliche AK-Treffen im Rahmen der GDM-Tagung war der Tradition folgend Berichten ausfür die österreichische Mathematikdidaktik rele-vanten Kommissionen sowie dem Austausch überaktuelle institutionelle Entwicklungen, Besonder-heiten, Probleme an österreichischen Universitätenund Pädagogischen Hochschulen sowie Koopera-tionen gewidmet. Hier ein kurzer Einblick in eini-ge ausgewählte Berichtspunkte:

Von Seiten des AK wurde eine Stellungnahmezum Gesetzesentwurf für die Neuorganisation der Leh-rerInnenbildung („PädagogInnenbildung NEU“) inÖsterreich abgegeben. Dabei wurden insbesonde-re zwei Punkte angesprochen: Zum einen wurdeeine der Eigenständigkeit der Fachdidaktiken ent-sprechende explizite Darstellung und ausreichen-de Verankerung der Fachdidaktiken im Verhältniszu den Fachwissenschaften und Erziehungswis-senschaften für das Sekundarstufenlehramt ein-gefordert, zum anderen eine angemessene Einbe-ziehung schulfachbezogener wie auch fachwissen-schaftlicher Ausbildungsinhalte im Lehramtsstudi-um für den Primar- und Elementarstufenbereich.In beiden Lehrämtern fehlte im Gesetzesentwurfeine entsprechend klare und deutliche expliziteFestlegung.

Die relativ hohe Anzahl an Studienanfänger(inne)nfür das Lehramt Mathematik sowohl an den Uni-versitäten (Gymnasiales Lehramt) wie auch Päd-agogischen Hochschulen (Lehramt für Hauptschu-len und Neue Mittelschulen, Grundschullehramt)ist nach wie vor anhaltend. Zur Zeit gibt es in

Österreich eine große Nachfrage an Mathemati-klehrer(inne)n, insbesondere im Bereich der Se-kundarstufen, vor allem bedingt durch eine ho-he Anzahl an Pensionierungen. Es ist zu erwar-ten, dass diese Situation noch einige Jahre anhält.Dies führt zur (problematischen) Situation, dass anmanchen Standorten Lehramtsstudierende bereitsvor Abschluss ihres Studiums von Schulen einge-stellt werden. Die Situation des Mangels an Ma-thematiklehrer(inne)n könnte durch die Umorga-nisation der Lehrer(innen)bildung und den damitverbundenen Änderungen (siehe unten) zusätzlichverschärft werden.

Das Besetzungsverfahren für die in Österreicherste Professur für Didaktik der Mathematik in derGrundschule konnte zu einem positiven Abschlussgebracht werden. Mit 1. März 2014 wurde HerrProf. Michael Gaidoschik an die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt berufen. Es handelt sich da-bei um eine Verbundprofessur mit der Pädagogi-schen Hochschule Kärnten, da die Ausbildung vonGrundschullehrer(inne)n in Österreich ausschließ-lich an den Pädagogischen Hochschulen angesie-delt ist.

Der jährlich in Klagenfurt stattfindende Fach-didaktiktag Mathematik fand 2013 am 24. Septem-ber statt. Das Programm umfasste Vorträge von R.Fischer zu „PädagogInnenbildung NEU – Die Re-form der LehrerInnenbildung in Österreich“, vonB. Thaller zu „Wie gut oder schlecht sind unse-re Studienanfänger wirklich? Eine Lernstandser-hebung an der Schnittstelle Schule – Universi-tät/Hochschule“ und von E. Schneider zu „Ergeb-nisse der Standards M8 Testung aus fachdidakti-scher Sicht“.

Im Rahmen der Tagung der Österreichischen Ma-thematischen Gesellschaft (ÖMG) wurde auch 2013

wieder ein LehrerInnentag veranstaltet. Die Ver-anstaltung fand in Innsbruck statt. Die 2012 inÖsterreich neu gegründete Österreichische Gesell-schaft für Fachdidaktik (ÖGFD) veranstaltete am 23.September ein Symposium zu „Fachdidaktik zwi-schen Forschung, Lehre und Bildungspolitik“ mitanschließender Mitgliederversammlung. Die GDMist Gründungsmitglied der ÖGFD und wird durchden AK „Mathematikdidaktik und Mathematikun-terricht in Österreich“ vertreten.

Über erste Erfahrungen mit der Umsetzung desneuen Dienstrechts für Mitarbeiter(innen) der Pädago-

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Arbeitskreise 55

gischen Hochschulen wird berichtet. Es zeigt sich,dass die Umsetzung des Dienstrechts an den ein-zelnen PHs sehr unterschiedlich gehandhabt wird,insbesondere sind die Interpretationen der Stellen-beschreibungen von PH zu PH sehr unterschied-lich.

Im zweiten Teil der Herbsttagung wurden ak-tuelle, die österreichische Mathematikdidaktik(mit)betreffende Entwicklungen und Themen prä-sentiert und diskutiert:

LehrerInnenbildung Neu2013 wurden die Richtlinien für eine Leh-

rer(innen)bildung NEU in Österreich gesetz-lich verankert. Es wird künftig zwei „große“Lehramtsstudien geben: ein Lehramststudiumfür den (Elementar- und/oder) Primarstufenbe-reich und ein Lehramtsstudium für (den gesam-ten) Sekundarstufenbereich. Die LA-Ausbildungsetzt sich zusammen aus einem 8-semestrigenBachelor-Studium und einem 1–2-jährigen Master-Studium sowie einer Induktionsphase. (Die Um-setzung letzterer ist abhängig von den Rah-menbedingungen der Novellierung des Leh-rer(innen)dienstrechts und damit von der je-weils zuständigen Schulbehörde). Träger der Leh-rer(innen)bildung neu sollen (regionale) Verbündevon Universitäten und Pädagogischen Hochschu-len sein, die gemeinsam die Lehrer(innen)bildunganbieten; welche Institution dabei die Leader-ship wofür übernimmt, ist in Entwicklungspro-zessen auszuhandeln. Ebenso vorgesehen sindAufnahmeverfahren für beide Lehramtsstudien,die von den jeweiligen verbünden/Institutionenentwickelt werden sollen. Die Vorgaben derLehrer(innen)bildung Neu sollen bis spätestens2016 österreichweit organisatorisch und inhalt-lich/curricular umgesetzt werden.

Zur Begleitung der Umsetzung der gesetzli-chen Vorgaben wurde vom Wissenschaftsministe-rium und vom Unterrichtsministerium gemeinsamein 6-köpfiger Qualitätssicherungsrat (QSR) ein-gesetzt. Andreas Schnider (Religionspädagoge) istVorsitzender, Roland Fischer (Mathematikdidakti-ker) ist Mitglied dieses QSR.

Andreas Schnider, der im QSR auch einerder zwei für den Primarstufenbereich zuständi-gen Mitglieder ist, und Roland Fischer, der einerder zwei für den Bereich Fachdidaktik Zuständi-gen ist, waren Gäste auf der Herbsttagung 2013.R. Fischer und A. Schnider erläutern in einemkurzen Input die Motive und Elemente der Leh-rer(innen)bildung Neu und Veränderungen, diesich in der LB für den Primar- und Sekundarstu-fenbereich ergeben und bitten um Unterstützungdes GDM-AK bei der Prüfung bzw. Beobachtungder wissenschaftlichen und professionsorientierten

Voraussetzungen im Bereich der Mathematikdi-daktik. Wichtig ist dem QSR dabei insbesondereeine Förderung von Qualitätsdiskussionen an deneinzelnen Institutionen bzw. in den einzelnen Ver-bünden; als Voraussetzung für die Durchführungeiner qualitätsvollen Lehrer(innen)ausbildung imjeweiligen Bereich/Fach muss aus Sicht des QSReine Institution im jeweiligen Bereich/Fach ei-ne entsprechend wissenschafts- und professions-orientierte Arbeitseinheit haben (mindestens dreiwissenschaftlich arbeitende Personen, davon min-destens eine Person habilitiert und mindestens ei-ne Person promoviert).

Es werden von R. Fischer und A. Schnider auchTabellen präsentiert, die im Sekundarstufen- undim Primarstufenbereich die Situation der Fach-didaktiken an den österreichischen Universitätenund Pädagogischen Hochschulen nach Fächern ge-gliedert darstellen. Die vorliegenden Zahlen unddie jeweils zugrundeliegenden Kriterien und dieInformationsbasis werden diskutiert und z. T.deutlich in Frage gestellt. Es wird vereinbart, dieDaten in die jeweiligen Institutionen zu tragen unddort hinsichtlich der Korrektheit zu reflektieren.

Der QSR wird die von den einzelnen Verbün-den oder Einzelinstitutionen entwickelten Curricu-la getrennt nach Fächern bzw. Bildungsbereicheneiner Begutachtung durch (ausländische) Gutach-ter(innen) zu unterziehen.

An die Präsentationen von A. Schnider und R.Fischer schließt auf der Herbsttagung eine ange-regte und zum Teil kontroversielle Diskussion ansowie ein Austausch unter den Teilnehmer(inne)nüber den Stand der Diskussionen bzw. Entwick-lungen zur Lehrer(innen)bildung Neu an den ein-zelnen Institutionen. Dies dient der gegenseitigenInformation und Angleichung der Informations-stände, da die Positionen wie auch der Entwick-lungsstand hinsichtlich neuer Curricula innerhalbÖsterreichs sehr unterschiedlich sind. Ebenso he-terogen sind die Entwicklungen bzgl. des Zusam-menschlusses von Institutionen in Entwicklungs-verbünden und die Positionen bzgl. deren Sinnhaf-tigkeit.

Am AK-Treffen im März wurde vereinbart auf derHerbsttagung 2014 einen thematischen Schwer-punkt auf die Präsentation und Diskussion voneinzelnen/ausgewählten bis dorthin entwickeltenCurricula für das Fach Mathematik zu legen.

Projekt „Lernstandserhebung an der SchnittstelleSchule – Universität/Hochschule“.Auf Initiative von B. Thaller hat sich im AKzu o. g. Thema eine Projektgruppe mit Vertre-ter(inne)n von Universitäten und PädagogischenHochschulen (M. Burtscher, Ch. Juen-Kretschmar,

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56 Tagungen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

K.-J. Fuchs, W. Peschek, J. Ranz, S. Reindl, E.Schneider, K. Singer, B. Thaller) gebildet. Es wur-den in einem ersten Schritt ein Testheft undein Fragebogen entwickelt, die genauere Kenntnisbzgl. des Ausgangsniveaus und -einstellungen vonStudienanfänger(innen) des LA-Studiums Mathe-matik (Gymnasiales LA wie auch LA für Haupt-schule/neue Mittelschule sowie das Grundschul-lehramt) ermöglichen sollen. Testheft und Frage-bogen wurden zu Beginn des WS 2013/14 an ei-ner Reihe von Universitäten und PädagogischenHochschulen eingesetzt. Die Ergebnisse wurdenzunächst AK intern präsentiert. Über die weitereVorgehensweise wird innerhalb der Projektgruppediskutiert.

Technologieeinsatz bei der kompetenzorientiertenschriftlichen ReifeprüfungAb 2018 ist in Österreich ein verpflichtender Ein-satz von Technologie im Rahmen der standardi-sierten schriftlichen Reifeprüfung im Fach Ma-thematik („Zentralmatura“) vorgesehen. Im AK

wird über eine Initiative, „KOMMT – Kompe-tenzorientierter Mathematikunterricht mit Tech-nologien“, die den Einsatz von Technologienim Mathematikunterricht in Form von Leh-rer(innen)fortbildungsveranstaltungen unterstüt-zen soll, berichtet und diskutiert. Insbesonderewerden im AK auch Probleme – vor allem im orga-nisatorischen Bereich –, die sich mit der verpflich-tenden Verwendung von Technologie bei der Zen-tralmatura ab 2018 ergeben, besprochen, auch dieFrage der Verwendung welcher Technologie undder Sinnhaftigkeit verbindlicher Vorgaben bzgl.des zu verwendeten Produkts von Seiten des Un-terrichtsministeriums wird andiskutiert. Hier istund wird insbesondere die Schulpraxis gefordertsein.

Edith Schneider, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt,Institut für Didaktik der Mathematik, Sterneckstraße 15,9010 Klagenfurt, ÖsterreichEmail: [email protected]

Jahrestagung der GDM in Koblenz

Ein Rückblick auf die Jahrestagung 2014 inKoblenzEngelbert Niehaus, Renate Rasch, Jürgen Roth,Hans-Stefan Siller, Wolfgang Zillmer

Die diesjährige Jahrestagung der Gesellschaft fürDidaktik der Mathematik fand am Campus Ko-blenz der Universität Koblenz-Landau, vom 10.bis 14. 3. 2014 statt. Durch die Zusammenarbeitder beiden Campi Koblenz und Landau wurdees möglich die Konferenz in Selbstorganisationdurchzuführen. Zur positiven Stimmung währendder Tagung hat insbesondere auch der strahlendeSonnenschein während der gesamten Woche bei-getragen.

Uns als Tagungsleitung war es ein besonde-res Anliegen eine Tagung auf dem aktuellen Standder Konferenztechnik in einer ansprechenden Um-gebung zu gestalten, in der nicht nur der wis-senschaftliche Disput, sondern auch ein intensiverpersönlicher Austausch möglich ist.

Insbesondere die Einführung des Konferenz-managementsystems ConfTool, das an die Struk-

tur der GDM-Jahrestagungen angepasst wurde, er-möglicht eine große Kontinuität, über die nächs-ten Tagungen hinweg. So können sich in Zu-kunft bereits registrierte Benutzer über ein ver-trautes System zu den Jahrestagungen anmelden,Beiträge hochladen und vieles mehr. Darüber hin-aus lieferte die mobile App Conference4me einenschnellen und komfortablen Zugriff auf das ge-samte Tagungsprogramm in ConfTool und die Mög-lichkeit der Zusammenstellung eines individu-ellen Vortragsprogramms. Aktuelle Ankündigun-gen konnten in Koblenz über den Twitter-Kanalder GDM-Tagung, sowie die Tagungs-Homepagejederzeit abgerufen werden. Vortragsverlegungenund Vortragsausfälle wurden zusätzlich auf Info-Bildschirmen am gesamten Campus eingeblendet.

Neben den technischen Innovationen gab esbei der Jahrestagung 2014 auch eine bedeuten-de Neuerung hinsichtlich des inhaltlichen Kon-zepts. Der Tag der Nachwuchsförderung wurdein das Programm der GDM-Jahrestagung auf-genommen. Nachwuchswissenschaftlerinnen und-wissenschaftler konnten in Form eines 15-

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Tagungen 57

minütigen Vortrags Ideen zu einem Dissertations-projekt vorstellen, das sich noch in den Anfängenbefindet. An die Präsentation schloss sich jeweilseine 20-minütige Diskussion an, die von zwei er-fahrenen Chairs moderiert wurde. In dem für denTag der Nachwuchsförderung vorgesehenen Zeit-fenster fanden ausschließlich Vorträge des wissen-schaftlichen Nachwuchses statt. Die von der GDM-Nachwuchsvertretung durchgeführte Evaluationdieses Tags lässt darauf schließen, dass dieser Tagvon der Zielgruppe durchaus positiv erlebt wur-de. Wir hoffen damit auch für zukünftige GDM-Jahrestagungen eine inhaltliche Anregung gege-ben zu haben, die weitergeführt wird.

Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmalbei den Teams der Vorgängertagungen in Weingar-ten und Münster für die wichtigen Informationensowie bei den Sponsoren, die die diesjährige GDM-Tagung finanziell und materiell unterstützt und sozum Gelingen der diesjährigen Tagung beigetra-gen haben, bedanken. Herzlichen Dank auch anall jene, die im Anschluss an die Jahrestagung 2014

und bereits während der Tagungswoche, viele po-sitive Rückmeldungen und Ermunterungen geäu-ßert haben.

Der „Tag der Nachwuchsförderung“ auf derJahrestagung 2014 – ein Modell für dieZukunft!?Nachwuchsvertretung der GDM

Die Nachwuchsvertretung der GDM hat es sichzur Aufgabe gemacht, Angebote für Nachwuchs-wissenschaftlerinnen und Nachwuchswissen-schaftler anzubieten und so zur Förderung desNachwuchses beizutragen. Aufgrund der großenNachfrage wurden bei der diesjährigen Jahres-tagung in Koblenz neben vielfältigen bewähr-ten Angeboten und Aktivitäten (wie der Ex-pert/innensprechstunde, dem Nachwuchstag amSonntagnachmittag und Montagvormittag sowiedem Kneipenabend) eine Reihe von neuen Ange-boten geschaffen, wie ein Postdoc-Workshop odereine Informationsveranstaltung zum Publizierender Dissertation. Diese Veranstaltungen wurdenvon den Mitgliedern der Nachwuchsvertretung or-ganisiert und von Expertinnen und Experten (Prof.Dr. Stephan Hußmann für den Postdoc-Workshopbzw. Verlagsmitarbeiterinnen) gestaltet.

Neben diesem Angebot haben die lokalen Or-ganisatoren auf der diesjährigen Jahrestagung denTag der Nachwuchsförderung eingeführt. Der Tagder Nachwuchsförderung ist ein weiteres Angebot,dass darauf abzielt, den wissenschaftlichen Nach-wuchs zu unterstützen. Im Rahmen dieses Beitra-ges loten wir aus, inwiefern die besondere Struk-

turierung des Tags der Nachwuchsförderung denBedürfnissen des Nachwuchses entgegen kommtund an welchen Stellen wir Optimierungspoten-tial sehen. Als Nachwuchsvertretung haben wireine Evaluation des Tages der Nachwuchsförde-rung aus Sicht von Vortragenden und Zuhörendendurchgeführt, deren Ergebnisse wir hier vorstellen.

Tag der Nachwuchsförderung als neues FormatDie Intention der lokalen Organisatoren der Uni-versität Koblenz-Landau war es, mit dem Tagder Nachwuchsförderung einen neuen Raum fürDoktorandinnen und Doktoranden zu schaffen, indem – ähnlich zu den Doktorandenkolloquien derGDM – Expertinnen und Experten Rückmeldun-gen zu Promotionsprojekten geben sollen, die sichnoch in den Anfängen befinden. Dazu wurden denSlots Chairs zugeordnet, die eine Moderation derSlots übernehmen sollten. Bei diesen Nachwuchss-lots sollte die Vortragszeit im Unterschied zu nor-malen Slots nur 15 Minuten, die Diskussionszeitdafür 20 Minuten betragen, um eine etwas aus-führlichere Diskussion zu ermöglichen. Eine Zu-ordnung zu diesem Format wurde von den Teil-nehmenden bei der Anmeldung selbst vorgenom-men. Insgesamt haben am Tag der Nachwuchs-förderung laut Programmheft 30 Vorträge in zweiZeitslots stattgefunden.

Als Nachwuchsvertretung betrachten wir dieEinführung des Tags der Nachwuchsförderungauch als einen Beitrag zu einer grundsätzlichenDiskussion um Struktur und Durchführungsmo-di der Jahrestagung an sich. Bei einer derartigenDiskussion werden häufig die steigende Anzahlder Vorträge und die damit verbundene Auslas-tung von Raum- und Zeitkapazitäten sowie diefrühe Präsentation neubegonnener Dissertations-projekte zum Teil kontrovers gesehen. Die Beur-teilung einer solchen Neugestaltung des Tagungs-modus kann aus unterschiedlichen Perspektivenjeweils sehr unterschiedlich ausfallen je nachdem,ob aus organisatorischer Sicht von Seiten der Ta-gungsleitung, aus inhaltlicher Sicht von Seiten desNachwuchses oder aus systematischer Sicht mitBlick auf die grundsätzliche strukturelle Ausrich-tung der Tagung argumentiert wird.

Evaluation des Tags der NachwuchsförderungUm den Tag der Nachwuchsförderung zu evaluie-ren, hat die Nachwuchsvertretung Fragebögen fürVortragende und Zuhörende konzipiert.

Insgesamt haben 23 Vortragende die Fragebögenzur Einschätzung des Tages der Nachwuchsförde-rung abgegeben. Der eingesetzte Fragebogen be-stand aus einer Abfrage über die Motivation, sichfür einen Slot des Tages der Nachwuchsförderunganzumelden sowie diverser Wahrnehmungen des

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58 Tagungen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

eigenen Vortragsslots, z. B. der Konstruktivität derDiskussion. Insgesamt hatten die meisten der vor-tragenden Doktorandinnen und Doktoranden ihrDissertationsprojekt in den Jahren 2012 (acht Per-sonen) und 2013 (neun Personen) begonnen. ZweiPersonen gaben an, seit dem Jahr 2011 in ihremProjekt zu arbeiten. Zu vier Personen liegt keineeindeutige Angabe vor. Eine Person war zum Zeit-punkt des Vortrags promoviert und stellte ein neu-es Projekt vor.

Die Fragebögen für das Auditorium wurden beijedem Vortrag auf dem Tag der Nachwuchsförde-rung über die Chairs durch die Tagungsleitungverteilt. An dieser Stelle möchten wir allen Betei-ligten danken, die diese Evaluation möglich ge-macht haben. Entsprechend konnten Personen, diemehrere dieser Slots besucht haben, mehrere Fra-gebögen ausfüllen. Insgesamt sind 429 Fragebögenaus dem Auditorium in die Auswertung eingeflos-sen.

Neben den Fragebögen wurden von den Mit-gliedern der Nachwuchsvertretung einige Vorträ-ge anhand eines Beobachtungsbogens aus Zuhö-rersicht evaluiert.

Ausgewählte EvaluationsergebnissePerspektive der VortragendenTabelle 1 fasst die Ergebnisse der Frage nach derMotivation der Vortragenden zusammen, einenVortrag zum Tag der Nachwuchsförderung anzu-melden. Die Antworten waren vorgegeben (ein of-fenes Feld wurde nicht genutzt), Mehrfachnennun-gen waren möglich. Die Hauptmotivation scheintdemnach in der Diskussion mit Fachpublikum zubestehen, wobei nicht zu rekonstruieren ist, ob undinwiefern sich diese Vortragenden andere Rück-meldungen als bei normalen Vorträgen erhofften.

In Abbildung 1 sind die Ergebnisse zur Wahr-nehmung des eigenen Vortragsslots zusammen-gefasst. Die Frage zum Zeitkontingent fällt ver-gleichsweise negativ aus: So halten 39 % (9 von 23

Personen) der Befragten die Länge der Vortrags-zeit von 15 Minuten für (eher) nicht ausreichend.Die Rückmeldequalität, die Besucheranzahl unddie Atmosphäre wurden von der Mehrheit der Re-ferentinnen und Referenten positiv eingeschätzt.

Die sehr positiven Wahrnehmungen führten ver-mutlich auch zur Zustimmung der Frage, ob die-ses Format auf der Jahrestagung 2015 in Basel er-neut angeboten werden soll. Insgesamt scheinendie Vortragenden mit der Konzeption und Durch-führung des Tages zufrieden zu sein.

Perspektive des AuditoriumsEs gab insgesamt eine relativ große Beteiligungder Zuhörerinnen und Zuhörer an der Evalua-tion (durchschnittlich etwa 14 ausgefüllte Bögenpro Vortrag). In Summe konnten 429 Fragebögendurch die tatkräftige Unterstützung der Mitgliederder GDM in die Evaluation einfließen und ein re-lativ aussagekräftiges Bild nachzeichnen.

In den Ergebnissen zeigt sich, dass das Zeit-kontingent für die Vorträge auch vom Auditoriumvergleichsweise schlecht eingeschätzt wird (sieheAbbildung 2). Auf 17,5 % der Fragebögen wur-de die Vortragszeit von 15 Minuten als eher nichtoder nicht ausreichend für einen Einblick ins For-schungsprojekt eingeschätzt. Die Qualität der Vor-träge wurde von 11 % eher negativ bewertet; al-lerdings fehlen bei diesen Angaben Vergleichswer-te zu normalen Vorträgen. Alle weiteren Einschät-zungen fielen genauso positiv aus wie die Ein-schätzungen der Vortragenden. Die positive Wahr-nehmung spiegelt sich auch im Wunsch einer Wie-derholung des Konzepts wieder.

Die Ergebnisse zeigen insgesamt eine großeZufriedenheit des Auditoriums mit dem Tag derNachwuchsförderung. Hervorzuheben ist auchhier die Frage nach der ausreichenden Länge derVortragszeit.

Ausblicke und Einschätzungen aus Sicht derNachwuchsvertretungDie Nachwuchsvertretung ist sich natürlich dar-über bewusst, dass eine solche Evaluation keineabschließenden Aussagen über Qualität, Durch-führbarkeit und Innovationspotential des Tagesder Nachwuchsförderung im Allgemeinen zu-lässt. Gleichzeitig ermöglicht die Evaluation einigewichtige Einblicke in Rückmeldungen und Akzep-tanz sowohl aus Sicht des Auditoriums als auchaus Sicht der Vortragenden.

Tabelle 1. Erhebung der Motivation, am Tag der Nachwuchsförderung vorzutragen

Warum hast Du Dich dazu entschlossen, Deinen Vortrag im Rahmen des Tages der Nachwuchsförderung zuhalten?

Ich habe mir Rückmeldung von erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gewünscht. 21

Ich habe noch keine Ergebnisse, die ich vorstellen kann. 8

Ich wollte in einem „geschützten Rahmen“ vortragen. 3

Ich wollte einen kürzeren Vortrag halten. 3

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Tagungen 59

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Der „Tag der Nachwuchsförderung“ soll aufder nächsten GDM-Tagung wieder stattfinden.

Die Atmosphäre war angenehm.

Mein Vortrag war gut besucht.

Die Diskussionszeit war ausreichend.

Die Kritik und Hinweise waren hilf-reich für mein weiteres Vorgehen.

Ich habe konstruktive Kritik erhalten.

Die Vortragszeit war mit 15 min ausrei-chend, um mein Projekt vorzustellen.

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Abbildung 1: Allgemeine Einschätzungen der Vortragenden (N = 23) zum eigenen Vortrag und dessenorganisatorischer Einbettung auf dem Tag der Nachwuchsförderung

0 100 200 300 400

Der „Tag der Nachwuchsförderung“ soll aufder nächsten GDM-Tagung wieder stattfinden.

Die Atmosphäre war angenehm.

Die Kritik war konstruktiv und weiterführend.

Die Zeit für Diskussionen war ausreichend.

Die Vortragszeit war ausreichend, um einenguten Einblick in das Projekt zu bekommen.

Die Qualität des Vortrags war gut.

Der Vortrag war genauso gut besucht wieandere Vorträge auf der GDM-Tagung.

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Abbildung 2: Allgemeine Einschätzungen des Auditoriums (N = 429) zum Vortrag und dessen organisa-torischer Einbettung am Tag der Nachwuchsförderung

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Abbildung 1. Allgemeine Einschätzungen der Vortragenden (N = 23) zum eigenen Vortrag und dessen organisatorischer Einbettungauf dem Tag der Nachwuchsförderung

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Der „Tag der Nachwuchsförderung“ soll aufder nächsten GDM-Tagung wieder stattfinden.

Die Atmosphäre war angenehm.

Mein Vortrag war gut besucht.

Die Diskussionszeit war ausreichend.

Die Kritik und Hinweise waren hilf-reich für mein weiteres Vorgehen.

Ich habe konstruktive Kritik erhalten.

Die Vortragszeit war mit 15 min ausrei-chend, um mein Projekt vorzustellen.

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Der „Tag der Nachwuchsförderung“ soll aufder nächsten GDM-Tagung wieder stattfinden.

Die Atmosphäre war angenehm.

Die Kritik war konstruktiv und weiterführend.

Die Zeit für Diskussionen war ausreichend.

Die Vortragszeit war ausreichend, um einenguten Einblick in das Projekt zu bekommen.

Die Qualität des Vortrags war gut.

Der Vortrag war genauso gut besucht wieandere Vorträge auf der GDM-Tagung.

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Abbildung 2. Allgemeine Einschätzungen des Auditoriums (N = 429) zum Vortrag und dessen organisatorischer Einbettung am Tagder Nachwuchsförderung

Wir möchten hier abschließend einige Anre-gungen formulieren, die aus Sicht der Nachwuchs-vertretung einen Beitrag zur Beurteilung und Wei-terentwicklung des Tages der Nachwuchsförde-rung leisten könnten.

Anforderungen an Vorträge im Rahmen des neuenFormatsIm Rahmen vielfältiger Diskussionen um die ehergrundsätzliche Ausrichtung der Tagungsstrukturwird häufig die wissenschaftliche Qualität der Vor-

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60 Tagungen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

träge angesprochen. Die wissenschaftliche Quali-tät der Jahrestagung insgesamt lebt natürlich zueinem ganz wesentlichen Teil von der Qualitätder einzelnen Vorträge. Wenn in der GDM Kon-sens darüber besteht, die Jahrestagung weiterhinohne ein Review-Verfahren durchzuführen, unter-stützt die Nachwuchsvertretung die Formulierungvon Anforderungen für Vortragsinhalte im Rah-men des hier diskutierten Formats.

Die folgenden Anforderungen erachten wir alszentral:

Notwendigerweise muss bereits eine For-schungsfrage, ein konkretes Forschungsinter-esse oder eine Grundfragestellung zu inhaltli-chen (Teil-)Aspekten vorliegen. Dies sollte aufGrundlage von Literaturrecherche und ggf. ei-genen Vorarbeiten entwickelt worden sein.Für einen möglichst guten Einblick in die For-schung oder das Forschungsvorhaben des Vor-tragenden sollten fundierte Ideen oder Ansätzezur Beantwortung der Forschungsfrage vorge-stellt werden, die auch das eigene Forschungs-paradigma deutlich machen.Ziel des Vortrags soll es sein, den Zuhörerinnenund Zuhörern konkrete, konstruktive Rückmel-dung zum geplanten oder begonnenen For-schungsprojekt zu ermöglichen. Eine expliziteSchwerpunktsetzung durch den Vortragendenauf konkrete Inhaltsbereiche (z. B. Forschungs-fragen, geeignete Instrumente, Theorierahmenetc.) zur Fokussierung des Feedbacks wäre des-halb wünschenswert. In jedem Fall sollte dieMöglichkeit bestehen, Rückmeldungen des Au-ditoriums im weiteren Forschungsprozess nochumsetzen zu können. Es soll demnach keinabgeschlossenes Forschungsprojekt präsentiertwerden, sondern ein Projekt im Stadium „Workin Progress“.

Orientierung an der Sache: Umbenennung des FormatsAus unserer Sicht sind vielfältige Elemente des Ta-ges der Nachwuchsförderung sehr gelungen undwerden sowohl vom Auditorium als auch von denVortragenden so wahrgenommen. Dieses Ergebnisscheint nahe zu legen, das grundsätzliche Konzeptdes Tages der Nachwuchsförderung auch auf dernächsten Jahrestagung zu wiederholen.

In diesem Zusammenhang erscheint es uns je-doch sinnvoll, eher von der Sache aus zu denkenund weniger einen genauen Personenkreis zu de-finieren. Im Fokus sollte unseres Erachtens stehen,dass in einem offenen Forum „Work in Progress“präsentiert wird. Das Format der kürzeren Vorträ-ge mit längerer Diskussionszeit zu neueren Pro-jekten könnte so für alle Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler eine konstruktive Plattform bieten.Statt der Bezeichnung „Tag der Nachwuchsförde-

rung“, der zudem dem seit drei Jahren existie-renden Angebot des „Nachwuchstags“ ähnelt, wä-re ein Name wie „Werkstattvortrag“ oder „Work-in-Progress“ aus Sicht der Nachwuchsvertretungsinnvoller. Dieser Name würde die zuvor genann-ten Kriterien unterstützen.

Potenzial des Formats und Verantwortung derBetreuendenDie vielfältigen Rückmeldungen sowie die Aus-wertung der Evaluation geben zum Teil bestär-kende Signale, die traditionelle Tagungsstrukturzu flexibilisieren und Elemente wie den diesjäh-rigen Tag der Nachwuchsförderung im Tagungs-programm zu integrieren. Insbesondere die Frei-willigkeit der Entscheidung darüber, einen Vortragim Rahmen des oben skizzierten Konzepts zu hal-ten, bietet die Gelegenheit, Ergebnisse von fort-geschrittenen Dissertationsprojekten auch im Rah-men der „normalen“ Vortragsformate zu präsen-tieren. In der Schaffung eines Forums zum kon-struktiven Austausch über neue Forschungsprojek-te liegt aus Sicht der Nachwuchsvertretung das be-sondere Potential dieses neuen Tagungselementes.

Allerdings sollte die Entscheidung darüber,wann ein Dissertationsprojekt genügend inhaltli-che Substanz für einen Vortag besitzt, vor allemauch von den Betreuenden getroffen werden. ImGegensatz zu weniger erfahrenen Doktorandinnenund Doktoranden besitzen sie den nötigen Ein-blick in die Forschungslandschaft und die (expli-ziten bzw. impliziten) Qualitätskriterien einer Prä-sentation vor der Community, die auch bei „Workin Progress“-Vorträgen eingehalten werden sollten.Gemeinsame Absprachen über Inhalt und Struk-tur vor allem des ersten (kurzen oder langen) Vor-trags sehen wir als einen wichtigen Bestandteil desBetreuungsprozesses an, durch den ein maßgebli-cher Beitrag zur Qualitätssicherung des Vortrags-programms bei der Jahrestagung geleistet wird.

Die Nachwuchsvertretung besteht aus einer Grup-pe ehrenamtlich engagierter Mitglieder, die es sichzum Ziel gesetzt hat, die Interessen des wissen-schaftlichen Nachwuchses der GDM im Blick zubehalten. Sie fungiert als Ansprechpartner in Fra-gen des Nachwuchses (Summerschool, Doktoranden-kolloquium, Beirat) und organisiert Angebote zurFörderung des wissenschaftlichen Nachwuchses aufder GDM-Jahrestagung (Nachwuchstag, Nachwuchs-forum, Postdoc-Workshop, Talkrunde etc.).Die derzeitigen Mitglieder sind: Georg Bruckmaier,Christine Gärtner, Alexander Meyer, Angel Mizzi,Christine Plicht, Stefanie Rach, Florian Schacht, Susan-ne Schnell, Sebastian Schorcht, Ulrike Siebert.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Tagungen 61

Eröffnungsrede des 1. VorsitzendenRudolf vom Hofe

Sehr geehrte Ehrengäste, liebe Kolleginnen undKollegen, liebe Mitglieder der GDM,ich freue mich, hier in Koblenz die 48. Jahresta-gung der GDM offiziell eröffnen zu dürfen. Ichmöchte bereits jetzt den Veranstaltern dafür dan-ken, dass wir in dieser schönen Stadt zu Gast seindürfen. Zu Beginn dieser Tagung möchte ich eini-ge Worte zu einem Thema sagen, das alle von unszurzeit in irgendeiner Weise betrifft, das Thema In-klusion. Dabei möchte ich insbesondere auf einigeBeispiele zur aktuellen Entwicklung in Deutsch-land eingehen.

(1) Inklusion in DeutschlandAm 13. Dezember 2006 wurde von den VereintenNationen ein Übereinkommen über die Rechte vonMenschen mit Behinderungen verabschiedet. Be-denkt man, wie in der Vergangenheit in manchenLändern und in manchen Zeiten mit behindertenMenschen umgegangen wurde, ist dies ohne Frageein wichtiger Schritt im Zuge einer umfassendenUmsetzung der Menschenrechte. Am 21. Dezem-ber 2008 stimmte der Deutsche Bundestag diesemVertrag zu.

Das zentrale Anliegen dieser Konvention imBereich Bildung ist die Einbeziehung von Kindernund Jugendlichen mit Behinderungen in das allge-meine Schulsystem. Je nach Art der Behinderungsoll dieses gemeinsame Lernen zielgleich oder ziel-differenziert erfolgen. Inklusive Bildung soll zumRegelfall werden; Eltern sollen grundsätzlich dasRecht haben, dass ihr Kind mit Behinderung eineallgemeine Schule besucht.

Für Deutschland bedeutet dies erhebliche Än-derungen der bisherigen Praxis. Hier gibt es etwaeine halbe Million Kinder und Jugendliche mit Be-hinderungen, nur 18 Prozent von ihnen besuchtenim Jahr 2009 eine reguläre Schule. Die anderen gin-

gen auf Sonder- oder Förderschulen und verließendiese meist ohne Abschluss und Berufsperspekti-ven. Im internationalen Vergleich sind laut einerStudie der Bertelsmann-Stiftung durchschnittlich85 Prozent der behinderten Kinder und Jugend-lichen ins allgemeine Bildungssystem integriert.Wohl kaum einer widerspricht der Idee eines auchfür behinderte Menschen gerechten Bildungssys-tems. Und auch der Idee, dass es bei Inklusionnicht nur um die Integration der sonderpädago-gischen Förderung geht, sondern darum, die indi-viduelle Verschiedenheit der Lernenden zum Aus-gangspunkt für die Gestaltung des Unterrichts zumachen, wird kaum jemand widersprechen.

Doch wie ist inklusives Lernen konkret zu ver-wirklichen? An welchen Konzepten kann man sichorientieren? Und wer trägt die Kosten? Hier sindzurzeit sehr viele Fragen offen.

(2) Offene Fragen und ProblemeDa ist zunächst die Frage der Ausstattung derSchulen mit Lehrkräften zu nennen: Viele Leh-rer und Wissenschaftler fordern eine Doppelbeset-zung für Inklusions-Klassen. Doch dies will keinBundesland bezahlen. So stellt die Stadt Hamburg,die als eines der ersten Bundesländer die UN-Konvention einer umfassenden Inklusion umsetz-te, zurzeit 3,5 Stunden pro Kind und pro Wochefür eine Tandembesetzung bereit. Nach Einschät-zung vieler betroffener Lehrerinnen und Lehrer istdies völlig unzureichend.

Anders sieht das die KMK. So erklärt etwa Pe-ter Wachtel, bei der KMK für Inklusion zustän-dig, im Januar 2013, dass eine Doppelbesetzungnicht in allen Fällen pädagogisch erstrebenswertsei. Die Kinder sollten ja wirklich gemeinsam ler-nen – durch zwei Lehrer könnten sie ja wieder auf-geteilt werden.

Ein weiteres Problem ist der Umgang mitder Vielfalt der Behinderungen und Lernproble-me: Am klarsten ist, wie die Integration bei kör-

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62 Tagungen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

perlich Behinderten zu realisieren ist, hier mussdurch bauliche Veränderung für einen entspre-chenden Standard gesorgt werden. Doch dieseGruppe macht nur einen kleinen Teil der Förder-schüler aus. Etwa 75 Prozent von ihnen haben viel-mehr Probleme beim Lernen, beim Sprechen oderin ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung.Hinzu kommen die manifesten Lernbehinderun-gen, die sich als Folge allgemeiner geistiger Behin-derungen ergeben. Selbst für gut ausgebildete Son-derpädagogen ist dies ein außerordentlich weitesund schwieriges Feld.

Damit stellt sich die Frage nach der Lehreraus-bildung: Das Arbeiten mit behinderten Schülerin-nen und Schülern haben die Lehrkräfte staatlicherRegelschulen nicht gelernt – und es ist fraglich, in-wieweit sie dies durch Fortbildungskurse lernenkönnen. Was in den Ländern hierzu geboten wird,sind – wie beispielweise in Niedersachsen – Kurz-Fortbildungen von 5 Tagen. Nach Berichten sinddiese jedoch nicht immer zielführend und endenhäufig mit Enttäuschungen: Es werde nicht genü-gend differenziert, weder nach Fächern noch nachBehinderungen, dabei brauchten Autisten doch ei-ne ganz andere Ansprache als ADHS-Kinder.

Und natürlich stellt sich auch die Frage, in-wieweit die für inklusiven Unterricht erforderli-chen Kompetenzen in der universitären Lehreraus-bildung vermittelt werden können. Hier hat dieKMK in einer Rahmenvereinbarung vom Dezem-ber 2012 vorgegeben, dass in der Ausbildung füralle Lehrämter, den „pädagogischen und didak-tischen Basisqualifikationen in den Themenberei-chen Umgang mit Heterogenität und Inklusion so-wie Grundlagen der Förderdiagnostik“ eine beson-dere Bedeutung zukommt.

Unklar ist jedoch bislang, wie diese neue Auf-gabe konkret in universitären Veranstaltungen derErziehungswissenschaften und Fachdidaktik um-gesetzt werden soll und inwieweit bisherige Aus-bildungsinhalte dafür gestrichen werden sollen.Bedenkt man die Komplexität der unterschiedli-chen Behinderungen und Förderschwerpunkte, sowird leicht klar, dass die Universitäten die hiererforderlichen Kompetenzen in der Lehrerausbil-dung nur begrenzt vermitteln können und dass invielen Fällen eine seriöse Betreuung nur durch diegemeinsame Arbeit von Lehrern und zusätzlichenFachkräften möglich sein wird.

(3) Entwicklung der Schülerzahlen mit FörderbedarfIch möchte noch auf einen anderen Aspekt ein-gehen, nämlich auf die Entwicklung der als mit„sonderpädagogischem Förderbedarf“ eingestuf-ten Schülerzahlen.

Die Bertelsmann-Studie Inklusion in Deutsch-land stellt fest, dass im Schuljahr 2012, also einige

Jahre nach Beginn der Umsetzung der Inklusionin Deutschland, der Anteil der behinderten Kin-der, die eine Regelschule besuchen, von 18 % auf25 % gestiegen ist. Dieser positiven Entwicklungsteht eine andere gegenüber, die eher nachdenk-lich macht: Die Schülerzahl an den Sonderschulennahm in diesem Zeitraum kaum ab, denn immermehr Schüler wurden mit „sonderpädagogischemFörderbedarf“ eingestuft.

Diese Entwicklung zeigt sich besonders deut-lich in Hamburg, wo mittlerweile der größte Anteilbehinderter Kinder auf die Stadtteilschulen geht.Schaut man sich hier die Zahlen der Kinder an,die mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“ ein-gestuft werden, so stellt man fest, dass diese sich inden letzten sechs Jahren nahezu verdoppelt haben.

In manchen Bereichen haben sich diese Zah-len sogar vervierfacht. Dies betrifft die Gruppe derMädchen und Jungen, bei denen Defizite in denBereichen Lernen, Sprache sowie emotionale undsoziale Entwicklung attestiert werden. Für die-se Gruppe hat sich bereits die Bezeichnung LSE-Schüler etabliert.

Man kann diese Zahlen sehr unterschiedlichinterpretieren. So gibt es die Ansicht, dass die-se Entwicklung zu einer besseren Betreuung vonLernenden führt, deren Lernprobleme man bis-lang nicht ausreichend beachtet hat. Es gibt aberauch Befürchtungen, dass dies zu einer Separie-rung einer neuen Schülergruppe von den allge-meinen Bildungs- und Benotungsstandards führenkann, mit der Gefahr, dass der Anteil der Schulab-gänge ohne Abschluss nicht sinkt, sondern steigt.

(4) Ideen und ihre MissverständnisseDer Kulturphilosoph Siegfried Kracauer schrieb1973 folgende Worte „Jegliche Idee wird plump,platt und verzerrt auf ihrem Weg durch die Welt.Die Welt vereinnahmt sie nur nach der Maßgabeihres eigenen Verstandes und Bedarfs [. . . ] Die Ge-schichte der Ideen ist eine Geschichte von Missver-ständnissen“ (Siegfried Kracauer: Geschichte – Vorden letzten Dingen, 1973, S. 19).

Hierin liegt wohl etwas Wahrheit, gerade wennman an die Umsetzung so mancher Bildungsideedenkt. Und auch in der kurzen Geschichte der In-klusion in Deutschland deuten sich bereits eineReihe solcher Missverständnisse an; Missverständ-nisse wie:

„Die Umsetzung der Inklusion in den Schulenist kostenneutral möglich“. Oder:„Die Kompetenzen für inklusiven Unterrichtkönnen in der Universität zeitneutral vermit-telt werden“. Ein Missverständnis ist es auch,zu denken:„Die Änderungen im Mathematikunterrichtkönnen konzeptionsneutral erfolgen“; konzep-

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Tagungen 63

Tagungsimpressionen (Foto: Hanka Pohontsch, © Universität Koblenz)

tionsneutral in dem Sinne, dass bestehendeKonzepte zur inneren Differenzierung einfachnur konsequenter als bisher umgesetzt werden.

Auch wenn wir von den bisherigen Bildungsrefor-men so manche Missverständnisse gewöhnt sind,ist es in diesem Falle doch etwas anderes als bei„G8“ oder der „neuen Mathematik“. Es gibt vorallem zwei große Unterschiede: Zum einen han-delt es sich bei „Inklusion“ nicht um eine in-haltliche oder methodische Bildungsidee, sondernum ein allgemeines Menschenrecht. Und zum an-deren geht es hier nicht um eine Gruppe, dieauch gescheiterte Bildungsreformen halbwegs ro-bust übersteht, sondern um eine, die in ganz be-sonderer Weise auf gesellschaftliche Hilfe und Ver-antwortung angewiesen ist.

Unsere Aufgabe ist es nun, den Prozess derInklusion – so gut wir es können – aus der Per-

spektive des Mathematikunterrichts mitzugestal-ten. Hierzu gehört die Entwicklung neuer Kon-zepte für Schule und Lehrerbildung. Es gehörtaber auch dazu, die Grenzen unserer Möglichkei-ten klar zu benennen. Und es gehört ebenfallsdazu, gegenüber den bildungspolitischen Hand-lungsträgern auf Entwicklungen hinzuweisen, dieden mit Inklusion verbunden Ideen zuwiderlau-fen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir habennun eine Woche Zeit über diese und viele ande-re Dinge zu diskutieren. Ich wünsche uns allen ei-ne erfolgreiche Tagung mit viel Information, Dis-kussion und Austausch und zwischendurch viel-leicht auch ein wenig Entspannung in dieser wun-derschönen Stadt.

Herzlichen Dank.

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64 Tagungen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Tagungseinladungen

9th Conference of European Research inMathematics Education (CERME 9)

Dear colleagues,we cordially invite you to attend the 9th Con-ference of European Research in Mathematics Educa-tion (CERME 9) which will be held in Prague,the Czech Republic, 4.–8. 2. 2015 (see the websitewww.cerme9.org).

Following the successful CERME conferencesin Germany, Czech Republic, Italy, Spain, Cyprus,France, Poland, and most recently in Turkey,this conference will provide another intellectuallychallenging and culturally enriching experiencefor mathematics teachers, teacher educators, re-searchers, and administrators from all educationlevels around the world.

CERME 9 is going to take place at the Facultyof Education, Charles University in Prague, in thevery heart of Prague.

We invite you to attend CERME 9 and submitproposals for papers and posters. There will be19 Thematic Working Groups covering the wholerange of topics in mathematics education research.Please, consult the calls of papers for the groupsin order to choose the one which suits you best:www.cerme9.org/scientific-activities/twg-teams/

Important deadlines01.08.2014 Pre-registration form available

on-line15.09.2014 Deadline for submission of papers15.09.2014 Pre-registration for the conference15.09.2014 Deadline for request for financial

support01.10.2014 Deadline for submission of poster

proposals25.11.2014 Deadline for reviewers to submit

their reviews05.12.2014 Decisions about paper or poster

acceptance20.12.2014 Reduced fee registration deadline10.01.2015 Deadline for revisions of papers20.01.2015 Papers for presentation at the

congress available on the congresswebsite

On behalf of the Local Organizing Committee, theInternational Programme Committe and the ERMEBoard

Assoc. Prof. Nada Vondrová

Arbeitskreis „Mathematik und Bildung“

Wir freuen uns Sie auch in diesem Jahr erneutzu einer Herbsttagung des Arbeitskreises „Mathe-matik und Bildung“ herzlich einladen zu können,und zwar am 14./15. 11. 2014 an der Universitätzu Köln am Seminar für Mathematik und ihre Di-daktik im Repräsentationsraum der Universität zuKöln, Klosterstraße 79b.

Ein Schwerpunkt der Herbsttagung wird indiesem Jahr darauf liegen, aus einer didak-tischen Perspektive auf naturwissenschaftlicheErkenntnis- und Wissensgenese und -aneignung,wie sie in sog. „Teaching the Nature of Science(NOS)“-Ansätzen beschrieben wird, auch auf Ma-thematik und Bildung zu schauen. Dabei wird esunter anderem um die Frage gehen, was man unterNature of Mathematics verstehen und welche Be-deutung diese für mathematische Bildung spielenkann und soll.

Als Hauptvortragende wird Frau Prof. Dr.Christiane S. Reiners (Institut für Chemie und ih-re Didaktik, Universität zu Köln) in ihrem Beitrag„Die Natur der Naturwissenschaften lehren undlernen“ in das Konzept der Nature of Science ein-führen. Der zweite Hauptvortrag von Herrn Prof.Dr. Thomas Jahnke (Institut für Didaktik der Ma-thematik, Universität Potsdam) reagiert aus Sichtder Mathematik und ihrer Didaktik mit einem Ver-such, den Terminus „Nature of Mathematics“ zusubstantiieren.

Daneben soll wie in den letzten Jahren die Dis-kussionen um Bildung im und durch den Mathe-matikunterricht weiter geführt werden, um denAustausch über gemeinsame Forschungsinteressenund die Planung gemeinsamer Forschungsvorha-ben im Arbeitskreis voran zu bringen. Dazu wirdes auch wieder zwei Formen der aktiven Beteili-gung geben:

Sie können einen Vortrag (20–25 Minuten) hal-ten, dem sich eine Diskussion (15–20 Minuten)anschließt (bitte bis 15. 9. 2014 Titel und Ab-stract einreichen), oderSie reichen vorab über die Diskussionsplatt-form des AK einen ausgearbeiteten Beitrag inschriftlicher Form ein (bis 15. 9. 2014) und kön-nen Ihre gesamte Beitragszeit (40 Minuten)auf der Herbsttagung für die Besprechung/Diskussion dieses Beitrages nutzen (inklusiveein bis zwei kurzen Impulsreferaten und Reak-tionen von AK-Mitgliedern auf Ihren Beitrag).

Es werden keine Tagungsgebühren erhoben. Für

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Tagungen 65

die Kosten der Mahlzeiten und der Unterkunftmuss jeder individuell aufkommen. Die Unter-künfte müssen auch selbst gebucht werden, eineListe mit Hotels ist auf der Anmeldeseite ersicht-lich.

Über eine Anmeldung zur Herbsttagung wür-den wir uns freuen bis 15. 9. 2014. Für die Anmel-dung nutzen Sie bitte folgenden Link: wwwu.aau.at/avohns/akmub/anmeldung2014.phpFür den Arbeitskreis

Markus Helmerich, Andreas Vohns(Sprecher des Arbeitskreises)

Lokale Tagungsleitung in Köln: Eva Müller-Hill

Arbeitskreis Mathematikunterricht undInformatik

Die diesjährige Herbsttagung des ArbeitskreisesMathematikunterricht und Informatik zum The-ma „Werkzeuge nutzen! – Nutzen Werkzeuge?“ findetvon Freitag, 26. 9. 2014, bis Sonntag, 28. 9. 2014, ander Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inHalle an der Saale statt. Die Herbsttagung findetparallel zur CADGME, der Fifth Central- and Eas-tern European Conference on Computer Algebra-and Dynamic Geometry Systems in MathematicsEducation (http://cadgme2014.cermat.org), statt.Der Arbeitskreis kann durch die internationalenTeilnehmer der CADGME profitieren: Nicht nurdie Hauptvorträge (siehe unten) sind gemeinsa-mer Bestandteil der Tagungen, sondern es könnenauch wechselseitig Vorträge im nationalen (AK-MUI) und internationalen Teil (CADGME) besuchtwerden. Die CADGME dauert einen Tag länger alsdie AKMUI-Tagung.

Das Tagungsthema spricht ein zentrales Themades Einsatzes digitaler Werkzeuge im Mathematik-unterricht an. Viele Arbeitskreismitglieder nutzendiese Werkzeuge seit Jahrzehnten und sind subjek-tiv vom Nutzen der Werkzeuge überzeugt – dochwie kann diese Überzeugung intersubjektiv mitFakten untermauert werden? Nutzen Werkzeugetatsächlich? Und wenn ja, wem, wie, wann, wo undwarum? Wie kann man andere davon überzeugen,auch Werkzeuge zu nutzen? Oder sollte man daslieber nicht tun? Und in welche Richtung solltendigitale Werkzeuge ggf. weiterentwickelt werden –zum breiteren(?) und tieferen(?) Nutzen.

Das Tagungsthema bietet Raum für die Vorstel-lung alter und neuer Werkzeuge, für (empirische)Studien und für theoretische Überlegungen. Sozio-kulturelle Kritik am Werkzeugeinsatz oder Nicht-Werkzeugeinsatz ist ebenso erwünscht wie Vor-schläge für weiterzuentwickelnde oder gar neue

Werkzeuge und deren Einbindung in den schuli-schen und außerschulischen Alltag.

Der Arbeitskreis sollte in der Lage sein, sich aufgut Gründe für einen Werkzeugeinsatz zu verstän-digen – ausgehend von der im Arbeitskreis 2009

erarbeiteten Stellungnahme zum Werkzeugeinsatzim Mathematikunterricht. Ohne überzeugende Ar-gumente und konkrete Handlungsvorschläge kön-nen man nicht darauf hoffen, dass der Mathema-tikunterricht – und damit die Schülerinnen undSchüler – von den vorhandenen und zukünfti-gen computertechnischen Errungenschaften profi-tieren . . . falls das überhaupt gewollt ist.

Die Leiter des Arbeitskreis würden sich freu-en, Sie Ende September 2014 in Halle begrüßenzu dürfen – entweder zur Arbeitskreistagung oderauch sehr gerne zur gesamten CADGME!

Weitere Details zur Tagung finden Sie auch aufder Homepage des Arbeitskreises unter http://didaktik-der-mathematik.de/ak/mui und auf derCADGME-Homepage http://cadgme2014.cermat.org.

TagungsprogrammDie AKMUI-Tagung beginnt am Freitag, 26. 9. 2014

um 14 Uhr und endet am Sonntag um 13 Uhr. DieVorträge finden auf dem Campus Heide-Süd derMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg statt.Am Samstagabend findet ein gemeinsames Confe-rence Dinner statt. Am Freitag wird ein speziellesProgramm für Lehrerinnen und Lehrer angeboten.

HauptvorträgeDank der Kooperation mit der CADGME konn-ten drei hervorragende internationale Hauptvor-tragende gewonnen werden, die das Werkzeug-Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuch-ten (siehe auch http://cadgme2014.cermat.org/keynote-speakers):

Freitag nachmittag: Ralph-Johan Back (AboAkademi University Turku, Finnland) – „Struc-tured derivations in practice: experiences fromthe E-math project“Samstag morgen: Tomás Recio (Universidadde Cantabria, Santander, Spanien) – „DynamicGeometry and Mathematics: few trains on atwo-way track“Sonntag morgen: Marcelo de Carvalho Borba(UNESP/Brasilien) – „Math Problem, Facebookand Emergent Classrooms“Bereits am Freitagmorgen spricht Jürgen

Richter-Gebert (TU München) auf der CADG-ME zu „Mathematics on electronic media ina changing world“. Diesen Vortrag können Sieals AKMUI-Teilnehmer ebenfalls hören, wenn Sierechtzeitig kommen. Am Montag spricht dannnoch Predrag Janicic von der Universität Belgrad

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66 Tagungen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

zu „Challenges for the Next Generation Mathema-tics Education Software“, dieser Vortrag ist alleinfür Teilnehmer der CADGME-Konferenz.

BeitragseinreichungenNeben den Hauptvorträgen gibt es für den AK-MUI 18 halbstündige Vortragsslots. Am Sams-tagnachmittag können wir zudem Arbeitsgruppenfür bis zu 3 Stunden einrichten. Ihren Vortrags-vorschlag schicken Sie bitte bis zum 31. 7. 2014 [email protected]. Sollten zu vieleVorträge eingereicht werden, so müssen wir leidereine Auswahl treffen oder versuchen, doch nochVorträge parallel zu legen. Bei der Auswahl wer-den Vorträge zum Thema der Tagung bevorzugt.

UnterkunftWir konnten für die Nächte von Freitag auf Sams-tag sowie Samstag auf Sonntag ein spezielles Ho-telkontingent (insgesamt 34 Zimmer) im Hotel amSteintor (http://www.am-steintor.de) reservieren.Dort werden alle Teilnehmerinnen und Teilneh-mer des AKMUI auf Wunsch untergebracht. UnserKontingent wird ab August wieder freigegeben, sodass Sie sich bitte bis spätestens 31. 7. 2014 anmel-den müssen.

Arbeitskreis Problemlösen

Gründung des ArbeitskreisesIm Rahmen der GDM-Tagung im März 2014 inKoblenz wurde der Arbeitskreis Problemlösen ge-gründet. Er richtet sich an Wissenschaftlerinnenund Wissenschaftler ebenso wie Lehrerinnen undLehrer sowie alle weiteren Interessierten, die sichmit Forschung zum (mathematischen) Problemlö-sen und zur Heuristik im weiteren Sinne beschäf-tigen. Ziele des Arbeitskreises sind u.a. die Ver-besserung des Mathematikunterrichts hinsichtlichdes problemorientierten Lehrens und Lernens, dieFörderung der zahlreichen Diskussionen und derAustauschs sowie der Aufbau möglicher Koopera-tionen, um diesen Bereich gezielt weiter zu ent-wickeln. Mathematikdidaktische Forschung undLehrerbildung werden im Arbeitskreis aufeinan-der bezogen, um sowohl der Entwicklung einerneuen Unterrichtskultur als auch der Entwicklungder Kultur der Lehrerbildung und -fortbildung zudienen.

Als Sprecher wurden (gleichberechtigt) AnaKuzle und Benjamin Rott gewählt.

HerbsttagungAm Freitag und Samstag, 17./18. 10. 2014, findet inMünster die erste Herbsttagung des AK Problem-lösen statt.

Es gibt die Möglichkeit, zwei Arten von Vorträ-gen anzumelden: Lang- oder Kurzvortrag.

Die Planung sieht vor, dass am Freitagabendzwei Langvorträge (60 min + 15 min Diskussion)stattfinden. Zu diesen Vorträgen gehört die Gestal-tung eines Workshops von 90 Minuten Dauer amSamstagnachmittag. Im Rahmen dieses Workshopskann der Vortrag ausgiebig diskutiert werden, eskönnen Daten gemeinsam analysiert oder Koope-rationen organisiert werden. Die Gestaltung bleibtdem Vortragenden überlassen.

Zusätzlich zu diesen beiden Langvorträgenwird es die Möglichkeit geben, am Samstagvor-mittag mehrere Kurzvorträge (30 min Vortrag inkl.Diskussion, Aufteilung individuell) zu halten. Esbesteht die Möglichkeit, Ausarbeitungen für denTagungsband zu beiden Arten von Vorträgen zuerstellen. Werden zu viele Wünsche für (bestimm-te) Vorträge geäußert, entscheidet die Tagungslei-tung über die Vergabe der Plätze nach Anmel-dungseingang und auf Basis der eingereichten Ab-stracts.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bit-te an Benjamin Rott ([email protected])oder Ana Kuzle ([email protected]). DieAnmeldegebühr beträgt 10 Euro ohne bzw. 30 Eu-ro inklusive des geplanten Tagungsbands. Hotel-zimmer in Münster sind für 78 Euro pro Nacht(inkl. Frühstück) reserviert und können – wie dieAnmeldung zur Tagung – über folgende Websitegebucht werden: https://lama.uni-paderborn.de/index.php?id=17617

Landesverband: GDM Schweiz

Einladung zur Fachdidaktischen Diskussion vom8. 9. 2014 an der PH Zürich

Philippe Sasdi, PH Bern und Bernhard Dittli,PH Schwyz werden uns ins Thema Fachdidaktischapp-gestützte Unterrichtsszenarien mit Tablets einfüh-ren:

„Neue Medien wie Smartphones, Handheldsund Tablets ermöglichen die Umsetzung von inter-essanten, neuen Ideen im Mathematikunterricht.Durch den Einsatz von Apps werden medienspe-zifische Vorteile genutzt. Apps werden als Lern-spiele, zum Üben, als Tutorials und in weiterenFunktionen eingesetzt. In der Schweiz laufen ak-tuell 24 Projekte, die sich auf der Primar- und Se-kundarstufe 1 mit neuen Medien und Apps inten-siv auseinandersetzen (http://www.1to1learning.ch/One2One/Schweiz). Im iTunes- und Google-Play-Store ist eine unüberschaubare Fülle anMathematik-Apps verfügbar.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Tagungen 67

Im Rahmen dieser fachdidaktischen Diskussi-on setzen wir uns mit Chancen, Risiken und Gren-zen von Tablets und Apps im Mathematikunter-richt auseinander. Verschiedene Apps werden wirausprobieren und diskutieren. Dabei stehen diefolgenden Fragen im Zentrum: Welche medien-spezifischen Vorteile bieten Tablets? Welche Ap-ps stehen zur Verfügung und wie lassen sich die-se kategorisieren? Wie werden Tablets und Appsin Projektschulen eingesetzt? Wie zeigen sich app-gestützte Unterrichtsszenarien mit Tablets, die einekonsequent fachdidaktische Betrachtungsweise insZentrum setzten?

Die Beantwortung der oben genannten Fragendürfen wir nicht (nur) der Medienpädagogik über-lassen. Wir sind in der Fachdidaktik gefordert, unsmit dem Einsatz von mobilen Geräten und Ap-ps auseinanderzusetzen, um qualitativ gute Unter-richtsszenarien zu beschreiben.“

Interessierte sind herzliche willkommen. An-meldungen bitte an: [email protected]. Zeitund Ort: 8. September 2014, 18:45–20:45 Uhr, PHZürich, LAB-K010

Editorischer Hinweis: Wir haben alle Arbeitskreislei-tungen um Einladungen zu Herbsttagungen/Nennungder Termine gebeten. Für die Arbeitskreistermine wei-terer Arbeitskreise konsultieren Sie bitte ggf. http://madipedia.de/wiki/Arbeitskreise_der_GDM.

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68 Rezensionen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Günter Graumann:Abbildungen der elementaren und analytischen Geometrie

Rezensiert von Hans Schupp

Ziel des Autors istdie „systematische Un-tersuchung der Ab-bildungen der Ele-mentaren Geometrie“.Die „grundlegendenKenntnisse der Elemen-taren Geometrie unddie Definitionen derüblichen geometrischenAbbildungen“ setzt erdabei als bekannt vor-

aus. Für diese verweist er auf sein Buch „Grund-begriffe der Elementaren Geometrie“.

Jetzt orientiert er sich an Felix Kleins ErlangerProgramm, d.h. er versteht Geometrie als Invarian-tentheorie von Abbildungsgruppen und führt kon-sequent erst Kongruenz-, dann Ähnlichkeits- undschließlich affine Abbildungen über ihre Invarian-ten ein. Das hat den Vorteil, dass sich die zugehöri-gen Kapitel im Aufbau gleichen und nicht wenigeStrukturuntersuchungen analogisiert werden kön-nen.

Weiter ist es so recht einfach möglich, nach denebenen die entsprechenden räumlichen Abbildun-gen zu betrachten (was meist viel zu selten ge-schieht). Die zugehörigen Abbildungsgleichungender Analytischen Geometrie, ihre Synthese undAnalyse schließen sich jeweils an.

Ein solcher Lehrgang verbietet sich für den Un-terricht aus Zeit- und Anspruchsgründen. Der Au-tor stellt sich indessen vor, dass er Studierendenund Lehrenden der Mathematik bei der „Vorberei-tung und Vertiefung des Kenntnishintergrundes“nützlich sein kann. Er denkt dabei sogar an „in-teressierte Schülerinnen und Schüler“, was der Re-zensent angesichts der durchziehenden Satz- undBeweisfülle des Werkes sowie des Schwierigkeits-grades vieler Beweise für wenig realistisch hält.

Es verbleibt stets und vollständig im Bereichder Abbildungen. Die bekannte „Abbildungsalge-bra“ dominiert. Wenn der Autor in seinem Vorwortdavon spricht, dass Abbildungen „vielfach bei derGewinnung von Erkenntnissen und dem Beweisenvon Sätzen verwendet“ werden, so ist nachfolgenddavon nicht mehr die Rede.

Das gilt leider auch schon für das Vorgänger-werk. Dort treten Kongruenzabbildungen unver-

mittelt auf und sind erstaunlicherweise sofort überihre Invarianten definiert. Sodann werden die vierTypen dieser Abbildungen vorgestellt, aber ledig-lich als Konstruktionen und ohne Bezug auf dieseInvarianten. Ihre Eigenschaften werden vielmehrder Anschauung entnommen. Ganz analog sinddie Kongruenzabbildungen des Raumes behan-delt. Die Arbeit mit Abbildungen beschränkt sichbeide Male auf Symmetrien einfacher Punktmen-gen; regelmäßige Vielecke und Platonische Kör-per treten auf, werden aber nicht dynamisiert. Be-zeichnenderweise erscheinen die Kongruenzsätzeals bloße Erfahrungen bei der Dreieckskonstrukti-on. Die mathematische und die didaktische Basisfür einen späteren, systematisch angelegten Abbil-dungslehrgang sind demnach recht schmal.

Das offenbart sich gleich in seinem ersten Ka-pitel. Nach Wiederholen der Definition einer kon-gruenten Abbildung mittels Invarianten (s. o) wirdgezeigt, dass sie überbestimmt ist, d.h. dass alleanderen Invarianten aus Bijektivität und Längen-treue folgen. Aber dazu und später beim Nach-weis, dass die bekannten Kongruenzabbildungenwirklich solche sind, benutzt der Autor die un-bewiesenen Dreieckskongruenzsätze. Das könnteman zwar vermeiden, macht aber diese ohnehinschon nicht trivialen Überlegungen noch umfang-reicher. Erst bei der Festlegung der Bestimmungs-stücke einer kongruenten Abbildung wird unterder Hand der Kongruenzsatz sss bewiesen.

Wenn es dann um Zweifach-, Dreifach- undallgemein um n-fach-Spiegelungen geht, ist derAutor in seinem Element. Die Spiegelungsalge-bra führt er sorgfältig durch; er erhält damit al-le vier Abbildungstypen und verkettet (diese Be-zeichnung fehlt leider) sie dann in zahlreichen Bei-spielen.

Die analytische Behandlung der Kongruenzab-bildungen folgt zunächst gewohnten Spuren (s. et-wa Jehle; Möller; Zeitler), scheut aber auch nichtdie teilweise komplizierten Gleichungen bei all-gemeiner Lage von Spiegelachsen, Drehzentrenund Verschiebungsvektoren. Dass die Gleichun-gen dann auch mit Vektoren und Matrizen dar-gestellt werden, führt nicht wirklich weiter. Hierwäre die Herleitung von Abbildungseigenschaftennun auch auf analytischem Wege aufschlußreichergewesen.

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Rezensionen 69

Die kongruenten Abbildungen des Raumesschließen sich an. Sie werden in enger Analogiezur ebenen Kongruenz aufgebaut und vorgestellt.Die eindeutige Bestimmtheit einer solchen Abbil-dung durch ein Paar kongruenter Dreieckspyra-miden leidet darunter, dass nicht deutlich gesagtwird, wie man diese Körperkongruenz de facto er-kennt.

Die Analogie erfasst dann auch die analytischeDarstellung. Obwohl dort nur noch ausgezeichne-te Lagen der Ebenenspiegelungen, Achsendrehun-gen und Verschiebungen betrachtet werden, lesensich diese Abschnitte recht mühsam. Das liegt we-niger an den Inhalten als an der drucktechnischenDarstellung. Der Text ist dicht gedrängt, obwohlnur etwa ¾ jeder Seite genutzt werden. Die dreidi-mensionalen Figuren sind (jetzt und später) kaumnachzuvollziehen.

Die nächsten vier Kapitel sind den Ähnlich-keitsabbildungen gewidmet; es folgen vier Kapitelüber affine Abbildungen. Da sie den geschilder-ten Aufbau der Kongruenzabbildungen großen-teils übernehmen, sollen sie hier nur zusammen-fassend vorgestellt werden.

Am Anfang steht jeweils die Definition per In-variantenangabe sowie die zugehörige Figurenver-wandschaft (im Unterschied zur Kongruenz jetztüber die Abbildung). Dann wird die Gruppen-struktur hergeleitet. Es folgt eine herausgehobeneAbbildung (die zentrische Streckung bzw. die axia-le Streckung (Achsenaffinität oder Scherung)).

Dabei verwundert, dass in einem ansonstenstreng abbildungsgeometrisch orientierten Lehr-gang der zentrischen Streckung die Strahlensätzevorangehen. Deren Abbildungseigenschaften wür-den sie vollkommen ersetzen.

Die weiteren Abbildungen derselben Gruppeergeben sich durch Verkettung der herausgehobe-nen mit bereits bekannten Abbildung(en). Speziel-le Verkettungen führen zu weiteren neuen Abbil-dungen und mit ihnen zu einer Typisierung derjeweiligen Gruppenelemente.

Wie zuvor schließt sich eine analytische Be-handlung und sodann eine synthetische und ana-lytische Weiterführung in den Raum an. (Die Be-schreibung von Ähnlichkeitsabbildungen durchkomplexe Zahlen stört zwar nicht, bringt aber auchnicht weiter.)

Das alles ist umsichtig und mit ganz wenigenAusnahmen auch korrekt durchgeführt und wegender durchziehenden Analogien gut zu verstehen,aber eben deswegen auch recht trocken, zuweilenfast langweilig. Die in Werken gleicher Zielsetzung(s. u.) mitunter gezeigte konstruktive und ästheti-sche Wirkung der Abbildungen auf Figuren fehlthier leider völlig. Hat der Autor diesen Mangelselbst gespürt? Die Cover-Figur (s. o.) zeigt als in-

teressante Konfiguration ein Quadrat und seinenInkreis vor und nach einer Drehstreckung. Innenvermisst man solche Beispiele.

Auf projektive Abbildungen in Ebene undRaum geht der Autor nicht ein. Stattdessen bringter (synthetisch und analytisch) Grundzüge der In-version in Ebene und Raum sowie einige wichtigeProjektionen vom Raum auf die Ebene. Er schließtmit der stereographischen Projektion.

Graumann detailliert das Erlanger Programmin den Abbildungsbereichen bis zur affinen Geo-metrie (die Klein 1872 nicht eigentlich interessie-ren). Er tut dies – wie intendiert – auf systemati-sche, strukturbetonende Weise und überzeugt da-mit trotz einiger Schwächen. Warum diese Analyseaber auch den Geometrieunterricht anbetrifft undihn – etwa als eine Hintergrundtheorie – weiter-bringen könnte, wird nicht behandelt und bleibtverborgen.

Graumann, G.: Grundbegriffe der Elementaren Geometrie. Leipzig:Edition am Gutenbergplatz 2004

Jehle,F.; Möller, H.; Zeitler, H.: Analytische Geometrie der Abbil-dungen. München: Bayerischer Schulbuchverlag 1968

Klein,F.: Vergleichende Betrachtungen über neuere geometrische For-schungen. Erlangen: Deichert 1872

Schupp, H.: Abbildungsgeometrie. Weinheim: Beltz 19744

Graumann, Günther: Abbildungen der elementaren undanalytischen Geometrie, Franzbecker Verlag, Hildesheim2013, ISBN 978-3-88120-830-7, € 19,80

Hans Schupp, Universität des Saarlandes, Campus E2 4,66123 Saarbrücken, Email: [email protected]

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Michael Meyer, Eva Müller-Hill, Ingo Witzke (Hrsg.):Wissenschaftlichkeit und Theorieentwicklung inder Mathematikdidaktik

Rezensiert von Jürgen Maaß

Der Sammelband um-fasst außer dem Vor-wort der HerausgeberIn-nen vier Sektionen mitinsgesamt 16 Beiträgen,die in unterschiedlicherIntensität auf den Jubi-lar, seine Interessen undWirkungsfelder bezogensind.

Die Sektion I hatdie Überschrift „Wis-senschaftliches Selbstver-

ständnis, wissenschaftstheoretische und methodo-logische Perspektiven der Mathematikdidaktik“und umfasst drei Beiträge: H. J. Burscheid: Didak-tisch relevante Begründungen elementarmathema-tischer Inhalte (S. 3–18); H. Griesel: Wissenschafts-theorie im Einsatz bei didaktisch orientierten Sach-analysen (S. 19–34); B. Picker: Die dialektische Ent-wicklung der Didaktik der Arithmetik (S. 35–56).

H. Burscheids und H. Griesels Beiträge vermit-teln Erinnerungen an die Anfänge der Mathema-tikdidaktik in der BRD nach dem Zweiten Welt-krieg. Sie lenken den Blick auf den historischenKern der Stoffdidaktik, indem sie im Sinne der di-daktisch orientierten Sachanalyse von der wissen-schaftlichen Mathematik systematisierend auf dieSchulmathematik einzuwirken versuchen. Dabeischeinen aus heutiger Sicht die ehemaligen Kon-troversen innerhalb dieser Richtung weniger wich-tig als die Beobachtung, dass dieser Zweig der Ma-thematikdidaktik vom Zentrum sehr an den Randder Mathematikdidaktik gerückt ist.

B. Picker gelingt es mit seinem historisch undmathematisch wohl fundierten Beitrag über dieEntwicklung der Arithmetik, eben diese Geschich-te als dialektischen Prozess darzustellen – ein-schließlich der Hoffnung, dass nach dem Scheiternvon New Math/moderner Mathematik in den sieb-ziger Jahren des 20. Jahrhunderts vielleicht „einesTages zum dritten Mal ‚das Paradies, das Cantoruns geschaffen hat‘ (so formulierte es D. Hilbert)für die Schule neu entdeckt wird.“ (S. 51)

Sektion II steht unter der Überschrift „Theo-rieentwicklung und Begriffsbildung“ (S. 57–164).M. Meyer thematisiert einen zentralen Punkt desLernens und Verstehens von Mathematik, die „Be-

griffsbildung durch Entdecken und Begründen“(S. 57–88). Nach seiner Ansicht soll dabei der tra-ditionelle Weg von der Definition über Sätze dazuhin zur Anwendung umgekehrt werden.

M. Neubrand und J. Neubrand haben empi-rische Forschungen (COACTIV) für ihren Beitrag„Skizzen zum Lehrerwissen über den Begriff Flä-cheninhalt (eines Rechtecks)“ (S. 89–100) analy-siert. Das Ergebnis der Analyse ist eine „großeSpannweite . . . von Vorstellungen . . . und didak-tischen Prozessen“ (S. 98), die auf große Her-ausforderungen für die Lehrerausbildung und-fortbildung schließen lassen.

E. Ramharter arbeitet in ihrem Beitrageinen historischen Text von Pascal in analy-tischer und didaktischer Absicht auf: „Allesoder dreimal alles? Pascals Wette in historisch-wissenschaftstheoretischem Kontext“ (S. 101–124).Gemeint ist allerdings Pascals didaktische Absicht,über eine wahrscheinlichkeits- und entscheidungs-theoretische Argumentation Ungläubige vom Sinndes Glaubens an Gott zu überzeugen.

K. Reimann und I. Witzke analysieren ebenfallseinen historischen Text: „Eulers Zahlauffassung inder ‚Vollständigen Anleitung zur Algebra‘ (S. 125–144). Es ist für das Verständnis der Schulalgebrahöchst lehrreich, wie Euler in dem seinerzeit sehrpopulären Lehrbuch etwa imaginäre Zahlen erör-tert.

H. Weigand schließt die Sektion ebenfalls histo-risch analysierend: „Die Entwicklung des Grenz-wertbegriffs. Ein Beispiel für die Wechselbezie-hung von Intuition und Strenge“ (S. 145–164) Sei-ne zentrale These ist die „fortwährende notwendi-ge Wechselbeziehung zwischen intuitiven Vorstel-lungen und exakten mathematischen Beschreibun-gen.“ (S. 145)

In Sektion III geht es nach der Überschriftum „Sprache und Semiotik“ (S. 165–274). Gleichder erste Beitrag von W. Dörfler über „Bedeutungund das Operieren mit Zeichen“ (S. 165–182) gehtin seiner Auseinandersetzung mit L. Wittgenstein(„In der Mathematik ist alles Kalkül und nichts Be-deutung“) über den Rahmen der Sektion III hin-aus, indem er hier einen Bogen von Wissenschafts-theorie zur Mathematikdidaktik spannt.

E. Müller-Hill berichtet über empirische For-schungen: „Empirische Auffassungen von Geome-

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trie im Mathematikunterricht unter dem Blickwin-kel der Semiotik“ (S. 183–204). Sie argumentiert

für die These, dass einige der spezifischenHürden durch eine abrupte Veränderung deszeichentheoretischen Status von geometrisch-zeichnerischen Darstellungen beim Übergangvom propädeutischen zum fortgeschrittenenGeometrieunterricht entstehen: vom ikonischenAbbild zum regelhaft verwendeten Diagramm.(S. 183).

S. Schlicht und I. Witzke schreiben in ihrem Beitrag“Zur Problematik der Diagnose des Invarianzbe-griffes im Kindergarten“ (S. 205–232)

Invarianzbegriffe sind für den Unterricht in derPrimarstufe und der Sekundarstufe ein zentra-les Thema. Beispiele für solche Begriffe sind‚Anzahl‘, ‚Länge‘, ‚Fläche‘, ‚Volumen‘ und ‚Ge-wicht‘. (S. 207).

Die zentrale These von S. Schlicht und I. Witzkeist, dass „der Erwerb von Invarianzbegriffen nichtlogisch notwendig ist.“ (S. 205)

H. Rodenhausen möchte mit seinem Beitrag„Empirische Interpretationsansätze im Rahmen ei-ner methodologischen Analyse mathematischerFrage- und Problemstellungen“ (S. 233–254) zei-gen,

dass sich für die Verwendung empirisch-semantischer Methoden im Rahmen einer me-tatheoretischen Problembeschreibung in der Tatvielfältige Anknüpfungspunkte bieten; im Kerngreifen zahllose Aufgabenstellungen auf empi-rische Interpretationen und Bezugsgrößen zu-rück. (S. 234)

S. Schmidt beschäftigt sich in seinem Bei-trag „Vom Rechnen zu ersten Erfahrungen imelementar-algebraischen Denken. Grundschulkin-der unterwegs zu neuen Sprachspielen“ (S. 255–273) ebenfalls mit L. Wittgenstein. Er schlägt vor,

grundlegende Perspektiven der Spätphiloso-phie von Ludwig Wittgenstein (1889–1951)für mathematikdidaktische Untersuchungen zunutzen. (S. 255)

Die Sektion IV umfasst drei Beiträge zu „Histo-rischen, interdisziplinären und fachwissenschaftli-chen Perspektiven“ (S. 275–332)

S. Deschauer eröffnet die Sektion mit einem„Glanzpunkt und einer Kuriosität aus einer spät-byzantinischen ‚Schatztruhe‘, dem Cod. Vind. phil.gr. 65 aus dem Jahre 1436“ (S. 275–294). In derSchatztruhe finden sich „tiefliegende“ Ausführun-gen zu Brüchen und weniger elegante zu Zins-rechnungen. Der anonyme spätbyzantinische Au-tor „gerät bei der ‚Lösung‘ sichtlich in Nöte–zu un-serem Vergnügen.“ (S. 277)

C. S. Reiners bereichert das Buch mit einemBericht aus der Didaktik der Chemie: „Die Naturder Naturwissenschaften lernen zu lehren. ZumPotential eines expliziten Ansatzes.“ (S. 295–316).Dort ist Kontextualisierung das Zauberwort, „einenotwendige Bedingung“ (S. 295) für die Vermitt-lung eines adäquaten Verständnisses der Natur derNaturwissenschaften. Die Autorin berichtet dazuvon einer Studie, die im Jahre 2012 an der Univer-sität Köln durchgeführt wurde.

R. Struve weist auf die nach seiner Sicht zuUnrecht unterschätzte Spiegelungsgeometrie hin:„Anordnung im Aufbau der Geometrie aus demSpiegelungsbegriff“ (S. 317–332). Er will im Arti-kel zeigen,

dass die von Hjelmslev, Bachmann et al. entwi-ckelte Spiegelungsgeometrie eine größere All-gemeinheit hat, als bisher angenommen: Siekann nicht nur metrische Geometrien beschrei-ben, sondern auch angeordnete Strukturen.(S. 317)

Fazit und Anregung zur Diskussion

Das Buch gibt einen lesenswerten Eindruck von In-teressengebieten und persönlichen Kontakten desGeburtstages„kindes“. Auch wenn ich es hier-mit für die mathematikdidaktischen Bibliothekenempfehle, möchte ich doch zur Wahl des Titels Kri-tik anmelden. Das Buch erfüllt den im Titel vor-gegeben Anspruch zu zeigen, in welchem Sinnewelche Bereiche der Mathematikdidaktik „Wissen-schaft“ sind, nur in einem aufzählenden oder ex-emplarischen Sinn, gibt aber keine wissenschaft-liche Erläuterung oder Begründung zur Wissen-schaftlichkeit und Theorieentwicklung in der Ma-thematikdidaktik.

Für Bezugswissenschaften der Mathematikdi-daktik wie Mathematik, Geschichte der Mathema-tik, Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Informa-tik gibt es dazu recht intensive interne Diskus-sionen, die zumindest aus der Sicht bestimmterWissenschaftstheorien oder Wissenschaftssoziolo-gien hinreichend weit gediehen sind, um mit ge-wissem Recht behaupten zu können, dass es sichum Wissenschaften handelt. Einige dieser Diskus-sionen sind mitsamt den Theorien in die Mathe-matikdidaktik importiert worden.

Wie aber steht es mit der Mathematikdidak-tik selbst? Hier fehlt aus meiner Sicht in einemBuch mit diesem Titel mindestens ein Beitrag auswissenschaftssoziologischer Sicht, der reflektiert,in wie weit die Mathematikdidaktik mittlerweilealle üblichen Kriterien erfüllt wie etwa Institutean Universitäten mit ProfessorInnen, AssistentIn-nen, Promotionen und Habilitationen, Zeitschrif-

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ten und Tagungen, nachprüfbaren Forschungsre-sultaten etc. Ebenso vermisse ich einen Beitrag auswissenschaftstheoretischer Sicht, der genauer un-tersucht, in welcher wissenschaftstheoretisch ak-zeptierten Weise (Methodologie) die verschiede-nen Arbeitsbereiche der Mathematikdidaktik ihreWissenschaftlichkeit begründen können und be-gründen. Zum Teil lässt sich diese Begründungvermutlich zusammen mit einer Theorie etwa ausder Pädagogik importieren. Zum Beispiel bei derinterpretativen Unterrichtsforschung haben wir soetwas erlebt.

Wie aber steht es mit jenen Teilen der Mathe-matikdidaktik, die ihr ganz eigenes, spezifisches,nicht importiertes Produkt sind? Hier ist insbeson-dere bei der für uns zentralen Stoffdidaktik nach-zufragen. Solange wie die Stoffdidaktik die mathe-matische Richtigkeit einer vorgeschlagenen Neu-formulierung mathematischen Stoffes behauptet,kann innerhalb der Mathematik mit der mathe-matischen Methodologie und der damit verbun-denen Wissenschaftlichkeit gearbeitet werden. Diezentrale Behauptung der Stoffdidaktik ist das abernicht; ihre Behauptung ist vielmehr eine nicht ma-thematische: Die neu formulierte Sicht auf Mathe-matik sei für das Lernen dieses Stoffes hilfreich.Manchmal wird diese Behauptung nur verstecktgeäußert (dieser Weg, den Satz von X zu bewei-sen, eröffnet den SchülerInnen den Blick für einenschönen Satz aus der Mathematik), manchmal sehrvehement (wenn das Gebiet Y auf diese Weise un-terrichtet wird, sind alle für dieses Gebiet typi-schen Lernschwierigkeiten behoben!). Gerade einBuch aus der Kölner Schule, die ja mit Nachdruckauf Wissenschaftlichkeit hin arbeitet, sollte für die-sen zentralen Arbeitsbereich der Mathematikdi-daktik genauer argumentieren, worin hier die Wis-senschaftlichkeit bestehen kann: geht es mit einer

lernpsychologischen Argumentation, die im Sin-ne einer Methodologie der Psychologie „beweist“,dass die neue Stoffformulierung dem Lernen ent-gegen kommt oder mit empirischen (pädagogi-schen) Untersuchungen?

Insgesamt ist die Frage nach der eigenen Wis-senschaftlichkeit in der Mathematikdidaktik nichtso zentral und schon gar nicht so beliebt wiein anderen Wissenschaften. Die Dissertation vonH. Bölts würde heute vielleicht anders aufge-nommen als damals, und mein Hinweis, dass ei-ne Sammlung einzelner bemerkenswerter Arbei-ten von MathematikdidaktikerInnen wie in diesemBuch nicht hinreicht, um ihre Wissenschaftlichkeitzu definieren oder zu beweisen, wird heute hof-fentlich zum Anlass für eine Diskussion (z. B. inden weiteren Heften der „Mitteilungen“) genom-men. Zu einer solchen Diskussion gehören nachmeiner Ansicht außer wissenschaftstheoretischenauch ethische Aspekte. Man kann den Mathema-tiklehrerInnen nicht vorwerfen, dass sie den allge-meinen Teil der Lehrpläne nicht lesen und beach-ten, sondern nur die Stoffkataloge für die einzel-nen Klassen, wenn die Mathematikdidaktik nichtselbst vorbildhaft und vernehmlich über Ziel, Sinnund Verantwortung der Mathematikdidaktik re-flektiert.

Michael Meyer, Eva Müller-Hill, Ingo Witzke (Hrsg.):Wissenschaftlichkeit und Theorieentwicklung in der Mathe-matikdidaktik. Festschrift zum sechzigsten Geburtstag vonHurst Struve, Verlag Franzbecker, Hildesheim 2013, ISBN978-3-88120-827-7, 342 S., 34,80 Euro

Jürgen Maaß, Universität Linz, Institut für Didaktik derMathematik, Altenberger Straße 69, 4040 Linz, Öster-reich, Email: [email protected]

Psychoarithmetik und Psychogeometrie: Quellen zu Montessoris Kon-zept zum Mathematiklernen von Kindern

Rezensiert von Sandra Thom

Rund 80 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen inSpanien liegen die beiden Hauptschriften MariaMontessoris zu Arithmetik und Geometrie, ihrenIdeen, wie und womit Kinder Mathematik lernen,nun vollständig in deutscher Übersetzung in ei-ner wissenschaftlichen Edition vor. Möglich wurdedies im Rahmen einer bei Herder erscheinendenGesamtausgabe der „Gesammelten Werke“ Mon-

tessoris unter Leitung von Prof. Dr. Harald Lud-wig, dem inzwischen emeritierten Leiter des fürdie Montessori-Forschung seit Mitte des letztenJahrhunderts international bekannten Montessori-Zentrums Münster.

Anfang der 1930er Jahre verfasst, gingen diemeisten Exemplare der in spanischer Sprache ver-fassten Psico Aritmetica (1934) bzw. Psico Geometria

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(1934) in den Wirren des kurz darauf aufziehen-den Spanischen Bürgerkrieges unter und sind heu-te kaum zu beschaffen. Während die Psychoarith-metik immerhin durch eine italienische Überset-zung (1971) und eine als Loseblattsammlung ver-öffentlichte, aber in Deutschland nicht vollständigerhältliche deutschsprachige Ausgabe (1989–2011)für den Forscher zugänglich war, gilt dies nicht fürdie Psychogeometrie: Eine wenig verbreitete nie-derländische Ausgabe von 1988 mit sehr fehler-hafter deutscher Übersetzung war nur Montessori-Kreisen zugänglich. Eine aktuelle nahezu parallelerscheinende englische Ausgabe (2011) mit Über-setzungen ins Italienische und eine französischeAusgabe ermöglichen erst seit kurzem das Stu-dium von Montessoris mathematischen Schriften.Mit den nun in deutscher Sprache vorliegendenSchriften der Pädagogin schließen die Herausge-ber diese Lücke und machen die mathematischenSchriften Montessoris in einer gebundenen Ausga-be mit den originalen farbigen Zeichnungen derspanischen Originalausgabe einer breiten Leser-schaft im deutschsprachigen Raum zugänglich.

Montessoris Konzept der Psycho-Handbücherfür den Mathematikunterricht

Psychoarithmetik und Psychogeometrie bilden zu-sammen mit der zwar geplanten, jedoch nichtabgeschlossenen Psychogrammatik eine Trias vondrei Schriften, in denen sich die Pädagogin mit denGrundlagen dessen beschäftigt, was für sie in ih-rer Dreiheit den „Schlüssel zur Welt“ als Grund-lage der Bildung des Menschen bildet und somit

zentrale Mittel und Inhalte ihrer Methode abbil-det: Zahl, Form und sprachliche Struktur sind uni-versale menschliche Kennzeichen von Kultur undim menschlichen Geist begründet, der ein mathe-matischer ist. Dabei geht Montessoris Verständ-nis von Mathematik weit über das heutige Fachhinaus und ist in historisch-philosophischen Tra-ditionen verwurzelt als „menschlicher Instinkt“,den „die Menschheit überall benutzt hat, um sichauszudrücken“.1 Die originäre Entdeckung bzw.Konstruktion von Kultur wie auch ihre Nachent-deckung und -konstruktion durch das lernendeKind als Teil seiner Einwurzelung in seine Um-gebungskultur sind zutiefst verbunden mit demmenschlich-mathematischen Geist, der zu Ord-nung und Vergleich, Mustererkennung und Ana-logieschluss fähig ist.2 Wenn aber der menschli-che Geist ein mathematischer ist, wenn die Inhalteund Grundlagen von Kultur eigentlich vom mathe-matischen Geist durchzogen sind, weil selbst dasProdukt menschlichen Kulturschaffens aus demmathematischen Geist heraus, wie kann es dannsein, dass das Lernen der mit dem mathemati-schen Geist eng verbundenen Unterrichtsinhaltewie Geometrie oder Arithmetik für Kinder häufigein Schrecken ist, eine Klippe, ein Hindernis?3

Hier setzen die beiden vorliegenden WerkeMontessoris an. Relativ am Ende der Auseinander-setzung Montessoris mit dem schulischem Lernenvon Kindern verfasst – Montessori selbst setzt sichin ihren späteren Jahren vor allem mit dem überge-ordneten Konzept der Kosmischen Erziehung so-wie der Entwicklung im frühen Kindesalter aus-einander – beruhen die beiden Werke auf jahrzehn-telangen Erkenntnissen aus empirischer Forschungund zahlreichen Erprobungen und verbinden überdie Berücksichtigung des mathematischen Geis-tes die Inhalte des Faches und das kindliche Ler-nen. Die Psychoarithmetik bringt dabei auf Basisder für Montessori fundamentalen Idee des Stel-lenwertes auf fachmathematischer Grundlage diezentralen Inhalte des Arithmetikunterrichts mitden psychologischen Erkenntnismöglichkeiten desKindes in Passung und stellt so einen stark struk-turierenden Leitfaden für den genetischen Aufbauvon Unterricht dar. Das Entdecken über den ma-thematischen Geist ist dabei eher eine Art ‚ko-gnitiver Leim‘ des Lehrgangs. Dahingegen stehenim Zentrum der Psychogeometrie die Entdeckun-gen selbst: Die Psychogeometrie soll gerade keine„grundlegende systematische Untersuchung der

1 M. M. Montessori (1959) 6

2 Vgl. vertiefend zum mathematischen Geist: Thom (2010), Kap. 5.3 Vgl. M. Montessori (2012b) 5; M. M. Montessori (1959) 6; M. M. Montessori (1961) 139; M. Montessori (2005) 166.4 M. Montessori (2012a) 68

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Geometrie“4 sein, sondern bietet unter Berücksich-tigung von Interessen und Fähigkeiten der Kin-der auf der einen Seite und fachlicher Strukturie-rung der Inhalte auf der anderen Seite eher eine„Fundgrube [für, S.T.] die didaktische Eigenkreati-vität des Unterrichtenden“5, mit der Kinder zahllo-se geometrische Zusammenhänge entdecken kön-nen.

Die Psychoarithmetik – Arithmetik, Algebraund Sachrechnen in der Grundschule

Harold Baumann nutzte für die vorliegende knappfünfhundertseitige deutsche Ausgabe der Psico-Aritmetica neben der spanischen Erstausgabe auchdie von einem engen Vertrauten Mario Montesso-ris 1971 vorgelegte italienische Ausgabe. Grund-lage der Neuausgabe ist dabei die von Baumannselbst vor rund einem Vierteljahrhundert vorge-legte deutschsprachige Ausgabe, die als Loseblatt-sammlung bis 2011 nur unvollständig vorlag. Be-kannt ist Baumann vor allem durch seine Chronikder Montessori-Pädagogik in der Schweiz, folge-richtig wird die vorliegende Ausgabe im Anhangdurch einen Überblick zum Gesamtwerk der Päd-agogin ergänzt. So ist seine Einführung nicht nurdeshalb von Interesse, weil er die Schrift Montes-soris in den historischen Kontext zu ihren ande-ren Arbeiten stellt oder die Textgeschichte in ge-botener Kürze darlegt, sondern vor allen Dingenwegen seiner Erläuterungen zu den vielen nochwenig bekannten historischen Montessori-Piaget-Beziehungen, die angesichts der trotz aller Kritikimmer noch vorhandenen Bedeutung von Piagetfür aktuelle Ansichten über das Lernen von Mathe-matik seine Forschungen auch bei heutigen Mathe-matikdidaktikern im neuen Licht erscheinen las-sen können. In die Psychoarithmetik leitet ein kur-zes Vorwort der Montessori-Schülerin und späte-ren Ausbilderin Giuliana Sorge ein. Bereits diesesVorwort als Einleitung in den Aufbau des arithme-tischen Lehrgangs bis hin zur Algebra jenseits heu-tiger didaktischer Terminologie, das bereits umfas-send einen Einstieg in den Aufbau von Stellenwert-verständnis und seine Abstraktion bietet, machtdeutlich, dass für ein Durchdringen der vorliegen-den Schrift fundierte Kenntnisse des Arithmeti-klernens bei Montessori und/oder aktueller Arith-metikdidaktik unumgänglich sind.

In ihrem Vorwort zur Psychoarithmetik fasstMontessori ihre „Methode“ zusammen und stellt

sie in den nachfolgenden Allgemeinen Betrachtun-gen der zu ihrer Zeit üblichen Methodik gegen-über, um so Unterschiede und Begründungen ihrerMethode herauszustellen, in der Kinder statt des„üblichen“ mühsamen und langweiligen Durchar-beitens der Arithmetik statt dessen in ihrer Me-thode über systematisches Fortschreiten hin zualgebraischen Entdeckungen jenseits herkömmli-chen Grundschulstoffes gelangen. Sie erläutert zu-nächst die Zahlbegriffsbildung in der Vorschul-zeit bei Kindern von etwa drei Jahren als Grund-lage für die aufbauende Arbeit mit dem Dezi-malsystem. Dazu nutzt Montessori vor allem denZählzahl-, Kardinalzahl- und Maßzahlaspekt undberücksichtigt über die Teil-Ganzes-Relation ähn-lich heutigem Vorgehen im MathematikunterrichtZahlzerlegung und Aufgabenfamilien. Ausführli-che Erklärungen zum mathematischen Inhalt undganz besonders zum bekannten und Studieren-den wie Lehrern in seinen Feinheiten doch häu-fig so fremden Stellenwertsystem dienen dem Auf-bau des Verständnisses beim Lehrer als Basis fürseine Arbeit mit dem Kind; mögliche algebrai-sche Zusammenhänge durchziehen dabei immerwieder die anschaulichen Schilderungen mögli-cher Übungen mit vielen bekanntem wie auch eini-gen inzwischen nicht mehr genutzten Montessori-Materialien wie einer „Quotientenbörse“ (S. 156).Faszinieren können dabei Montessoris Betrachtun-gen mathematischer Konventionen, wenn sie bei-spielsweise auf S. 71 kritische Überlegungen zurGültigkeit des Gleichheitszeichens bzw. der übli-cherweise benutzten sprachsymbolischen Darstel-lung aufstellt, die aus der Handlung mit konkre-tem Material heraus verständlich sind: Gilt wirk-lich 2648 : 2 = 1324?

Im sich anschließenden Primarbereich prägtdie fundamentale Idee des Stellenwertsystems dienächsten Kapitel Montessoris Ausführungen zurArithmetik; dabei gelangt das Kind in einem ge-netischen Lerngang schrittweise zur Abstraktionvor allen Dingen unter Nutzung des intramoda-len Transfers.6 Der Aufbau von Zahl- und Opera-tionsverständnis geht auf Grundlage des Stellen-wertverständnisses Hand in Hand:

„Zählen und Rechnen [. . . ] können mit Hilfeder einfachen Mechanismen, die das Dezimal-system birgt, vollzogen werden. [. . . ] Was alsoeine arithmetische Operation, zum Beispiel dieAddition, charakterisiert, ist nicht das Zusam-menfügen von Quantitäten, sondern die Vertei-

5 Ludwig/Winter (2012) XVI6 Vgl. Thom (2010) Kap. 5 und 6.

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lung der verschiedenen Einheiten gemäß demDezimalsystem. Es gibt demnach nichts zu ler-nen, was die Operation an sich betrifft, wenndem Dezimalsystem die ganze Beachtung ge-schenkt wird, die ihm wirklich zusteht. DieOperationen bestehen darin, gleiche oder un-gleiche Dinge zusammenzufügen oder von ei-nem Ganzen einige seiner Teile wegzunehmenoder es auf gleiche Teile zu verteilen. Dies sindalso Operationen. Was dann innerhalb der Zah-len geschieht, betrifft das Dezimalsystem undnicht die Operationen.7

Operationen sind als Handlungen zu verstehen,Addition und Multiplikation als Hinzufügen vonungleichen oder mehreren gleichen Teilen, ent-sprechend die Gegenoperationen Subtraktion undDivision als Wegnehmen bzw. wegnehmendes Ver-teilen von ungleichen oder mehreren gleichen Tei-len. Nach der Einführung erfolgt bei Montessori ei-ne intensive operative Durcharbeitung der Aufga-ben ähnlich heutigem Vorgehen. Spätestens wennder Leser beim Kapitel über die Multiplikation an-kommt, muss er jedoch erkennen, dass es sich umeine historische Quelle handelt, wenn Montesso-ri in für Italien typischer, aber für Deutschlandbis auf die schriftliche Multiplikation eher unübli-cher Schreibweise den Multiplikator „nach hinten“setzt. Hier ist die Edition in Text, Bild und Bildun-terschriften nicht stringent; in Verbindung mit ei-ner sich wohl eigentlich auf die schriftliche Mul-tiplikation beziehenden Anmerkung (Anm. 233)lässt dies den Leser trotz eines Hinweises aufdie Kommutativität der Multiplikation zunächsteinmal rätselnd zurück und verschenkt Möglich-keiten, mit einem kurzen Kommentar einen sel-ten auf bloßer ikonischer Ebene so transparen-ten räumlich-simultan dargestellten Zusammen-hang zu verdeutlichen: der Zuweisung, was nunder Multiplikator und was der Multiplikand ist –der Multiplikand ist das Perlenstäbchen mit einerbestimmten Länge, der Multiplikator gibt die An-zahl der Stäbchen an.

Ein Kapitel zur Zahlentheorie in der Grund-schule von Teilbarkeit über Primzahlen, Vielfache,Teiler usw. schließt den aus heutiger Sicht „arith-metischen“ Teil der Psychoarithmetik ab, dochauch hier zeigen sich schon Ansätze für die nach-folgenden algebraischen Ausführungen zu Qua-dratzahlen, Kubikzahlen und Potenzschreibweise,die materialgeleitet erarbeitet werden. Faszinierenkönnen ihre deutlich von historisch-griechischen

eher geometrisch abgeleiteten zahlentheoretischenAusführungen zu Analyse der Teilbarkeit in derPrimfaktorzerlegung. Entsprechend wird auch imnachfolgenden eigentlich arithmetischen Kapitelzu Multiplikationsspielen der „Rote Faden“ hinzur Algebra erkennbar, wenn die Rechteckdarstel-lung der Multiplikation distributiv in Binome zer-legt wird. Was zunächst noch konkret mit Zah-len und Material geschieht, verlagert sich in denanschließenden Ausführungen zur Algebra im-mer weiter hin zur Nutzung algebraischer Ter-minologie ohne diskrete Mengen, zunächst ma-terialgebunden, später zunehmend losgelöst hier-von als abstraktes Gedankenspiel, wobei Montes-sori mehrfach auf die Bedeutung der zuvor mate-rialgebunden gewonnenen Vorstellungen des Kin-des hinweist, die sie bereits in früheren Schriftengrundlegender dargelegt hat.8

Die letzten beiden kurzen Kapitel setzen sichdurch ihre Anwendungsorientierung deutlich vonden vorausgehenden ab, die einen durchgängi-gen Aufbau von der Arithmetik bis hin zur Al-gebra erkennen lassen. Montessori stellt in diesenletzten Kapiteln Verhältnisse, Proportionen, Drei-satzrechnung sowie Maße und Gewichte ins Zen-trum ihrer Ausführungen, geht auf das dezimalemetrische System ein, erläutert Geschichte, Vor-teile und zeigt, typisch für die Methode Mon-tessoris, die Beziehungen der Einheiten unterein-ander auf. Wie durchgängig auch in den übri-gen Kapiteln, ist dies zugleich ein Kapitel zur Bil-dung der Lehrer und gibt zahlreiche methodischeHinweise für die Durchführung praktischer Ex-perimente, die Nutzung von Modellen oder fä-cherübergreifende Aspekte von Unterricht betref-fend, ein wenig schon ihrer Kosmischen Erzie-hung vorgreifend. Wie auch zuvor (S. 187f.) fordertsie die Nutzung authentischer Sachrechenaufga-ben unterschiedlichen mathematischen Inhalts wiesogar antiproportionaler Zuordnungen und gehtnebenbei auf unterbestimmte Aufgaben ein, wo-mit wir heute Kinder und Jugendliche zum Mo-dellieren hinführen. Ein Beispiel findet sich aufS. 402: „Ein Elefant frisst in 10 Minuten dreißigBrötchen. Wie viele wird er an einem Tag fres-sen?“ Montessori richtet den Blick auf die Förde-rung kritischen Denkens. Gerade hier macht siedeutlich, inwiefern Mathematik ein Schlüssel zurWelt sein kann – als Möglichkeit der Weltorientie-rung und des kritischen Vernunftgebrauchs. Damitbietet diese Schrift Überlegungen zum Mathemati-klernen jenseits des häufig nur in der Strukturori-

7 M. Montessori (2012a) 16 und 61

8 Z. B. in M. Montessori (2003) 182

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entierung betrachteten Arithmetikcurriculums derMethode Montessoris, die in ihrer Deutlichkeit inkeiner anderen Schrift der Pädagogin aufzufindensind.

Die farbigen Zeichnungen aus der Psico Aritme-tica werden im Anhang durch Abbildungen aktu-eller Materialien ergänzt. Sie sind in der Regel eineMomentaufnahme des Materialgebrauchs und ver-deutlichen die Ausführungen im Text. Bei genau-er Betrachtung erkennt der Leser die unterschied-lichen „Handschriften“ bei der Ausführung derZeichnungen, von denen Giuliana Sorge in ihremVorwort zu berichten weiß, dass Lernende an Mon-tessoris Scuola di Metodo diese angefertigt hatten.Wie auch die Beschreibungen im Text illustrierendie Abbildungen die Historizität der Ausführun-gen, die sich durch z. T. eine etwas andere Handha-bung, Materialauswahl oder Färbung der Materia-lien erkennen lässt. Die Anmerkungen geben Hin-weise auf Unterschiede zur heutigen Handhabungund in den verschiedenen Editionen. Zu wenig be-rücksichtigt der Apparat Hinweise auf bereits inder Sekundärliteratur verfügbare exegetische Be-trachtungen zu kritischen und für das Verständ-nis von Schlüsselbegriffen zentralen Stellen in derÜbersetzung oder Anmerkungen zu Besonderhei-ten in Handhabung oder Sichtweise Montessoris;hier folgt Baumann zu sehr seiner älteren deutsch-sprachigen Ausgabe.

„Die Hand berührt das Offensichtliche, und derGeist entdeckt das Verborgene.“9 – DiePsychogeometrie Montessoris

Analog zur Psychoarithmetik eröffnet Montesso-ri ihre Ausführungen mit einer Beschreibung deszu ihrer Zeit üblichen Geometrieunterrichts mitden hieraus resultierenden negativen Effekten hin-sichtlich des kognitiven Lernprozesses des Kindes,um kontrastierend ihre eigene Methode darzule-gen. Dabei erwartet den Leser in der Psychogeo-metrie kein durchgehender Lehrgang, aber zahlrei-che Übungen, mit denen die Kinder eine Art ‚geis-tiger Gymnastik‘ (S. 72) betreiben und damit alsFernziel einen geometrischen Sinn, also allgemeineKompetenzen (in heutiger Terminologie) und In-teressenskeime für künftige auch analytische Aus-einandersetzungen entwickeln sollen. Montessoribeginnt ihre Ausführungen mit der Geometrie invorschulischer Zeit ab etwa vier Jahren: Die Kin-der sollen in handlungsorientierter Auseinander-setzung mit ebenen Figuren durch Auslegen und

Nachlegen, dekorative geometrische Zeichnungenund später ihren Vergleich und die Differenzie-rung auch mittels „Namen“, also der Objektbegrif-fe und der Eigenschaftsbegriffe, für die Geome-trie in ihrer Umwelt sensibilisiert werden, wobeiauch stets die Motorik des Kindes verfeinert wer-den soll.

Nahtlos und zum Teil parallel vollzieht sich so-dann der Übergang zur Geometrie in der Grund-schule über das Studium und die Benennungder Winkel und Linien, die anschließend definiertwerden, Zeichnenlernen mit verschiedenen Instru-menten wie z.B. einem Zirkel mit Reißfeder für Li-nien mit dickflüssiger Tinte. Relations- und Eigen-schaftsbegriffe werden eingeführt und beispiels-weise über Dekorationen der entsprechenden At-tribute vertieft – so kann eine „Dekoration“ denUmfang besonders hervorheben, eine andere dieMittellinien. Mit ihrer Spezifizierung einiger Vier-ecksformen, des Kreises, von Polygonen nähertsich Montessori bereits in der Vorschulphase bzw.der Eingangsphase der Grundschule der Spezifi-zierung und Hierarchisierung von Begriffen zu,wie sie heute ggf. am Ende der Grundschulzeitin Teilen als „Haus der Vierecke“ visualisiert wer-den können. Dabei finden sich durchgängig fürden Leser, von Montessori avisiert sind Lehrerund Erzieher, Erläuterungen der verwendeten In-halte (Begriffe, Definitionen, Konstruktionsanwei-sungen). Ihre eigene Begrifflichkeit orientiert sichvermutlich am Verständnis ihrer Leser, denn sieverwendet teils unscharfe Begriffe wie z.B. „Linie“statt beispielsweise des an dieser Stelle eigentlichzu erwartenden Begriffs der „Strecke“ (S. 36) oder„Gerade“ (S. 31). Der umfangreiche wissenschaft-liche pädagogische und didaktische Apparat zurPsychogeometrie birgt in den Fußnoten zahlrei-che Anmerkungen zu den Einschränkungen hin-sichtlich der häufig für heutige Lehre zu unspezi-fizierten Montessori‘schen Begriffe. Die Kommen-tare und Ergänzungen tragen dabei nicht nur zumVerständnis bei, sondern unterstützen Montesso-ris ursprüngliche Intention, indem sie heutigen Le-sern die Ideen der Pädagogin für ihren eigenenUnterricht zugänglich machen.

Nach diesem sehr großen Teil zu vorschulischerund früher schulischer Bildung legt die Pädago-gin im zweiten Kapitel „Einführung in die Grund-schulphase“ Grundzüge ihrer Methode dar, die aufder Grundlage entdeckenden Lernens über Hand-lungsorientierung vom Konkreten zum Abstrak-ten fortschreitet und für deren didaktische Einord-nung der Leser von den Herausgebern mit ent-

9 M. Montessori (2012b) 72

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Rezensionen 77

sprechender „moderner“ Terminologie in den An-merkungen unterstützt wird. Dabei spielen dieWörter, also die Fachsprache bzw. Fachterminolo-gie, für Montessori eine bedeutende Rolle, benötigtdas Kind sie doch auch zur Benennung und Erläu-terung eigener Entdeckungen, wie sie auf S. 70 er-läutert. Der Zugang zu den zu erschließenden geo-metrischen Begriffen wie der Winkelhalbierendenerfolgt hauptsächlich über die Materialisierung inhierfür vorgesehenen Materialien oder über Kon-struktionen mit dem Zirkel.

Die Kapitel III bis VII sind mehr fachinhalt-lich strukturiert. Im dritten Kapitel („Vergleichzwischen den Figuren“) werden Figuren hinsicht-lich der Flächengröße bzw. ihrer Form (ähnlich/gleich) verglichen, worauf logische bzw. operativeindirekte Vergleiche über die Bruchteile bzw. ein-beschriebene/umbeschriebene Figuren aufgebautwerden. Pythagoräische Zusammenhänge werdenhier ebenso wie im nachfolgenden Kapitel („Dasgleichseitige Dreieck“) untersucht und zu „Pytha-gorasfiguren“ dekoriert. Ebenfalls durch ‚direk-tes Abmessen oder Überlegen‘ kann das Kind imfünften Kapitel „Der Kreis“ Winkel und Bruch-teile untersuchen. Montessori nutzt die Arbeitmit dem Kreis zur Einführung materialorientier-ter Bruchrechnung und verbindet dann die ge-meine Bruchrechnung mit der Dezimalbruchrech-nung. Im sechsten Kapitel werden „Anwendungender Äquivalenz“, verstanden als Flächeninhalts-gleichheit, der verschiedensten geometrischen Fi-guren von der Berechnung des Flächeninhalts beiRechtecken über Einheitsquadrate hergeleitet; überdie Abwicklung des Umfangs und eine hierdurchmögliche Annäherung an Pi kann auch der Flä-cheninhalt des Kreises approximiert werden. Hete-rogene Probleme geometrischer Art zum „Auftau-chen“ von rechten Winkeln in der ebenen Geome-trie (u. a. in pythagoräischen Zusammenhängen)und zur Quadratur des Kreises beschließen dasWerk mit einem letzten Kapitel („Überlegungen“).

Wie auch in der Psychoarithmetik, ergänzendie Herausgeber die Edition um zusätzliche Tex-te, hier allerdings um Vorträge bzw. Typoskrip-te Montessoris zur „Psychologie der Mathematik“(1935) und „Psychogeometrie und Psychoarithme-tik“ (1935), in denen die Pädagogin mit nur weni-gen Wirkungs- und Erfahrungsberichten die Ent-wicklung und Durchführung ihrer Methode leben-dig werden lässt und aus denen ein didaktischerForscher faszinierende Einblicke in ihre Art derAusbildung und Bildung jungen Menschen zu ge-

winnen vermag. Ein weiterer Anhang mit Abbil-dungen aus der englischen Ausgabe von 2011 run-det ähnlich wie in der Psychoarithmetik neben ei-nem ausführliches und aktuellen Quellen- und Li-teraturverzeichnis zum Thema, einem Personen-verzeichnis und dem Sachregister die vorliegendeEdition ab.

Die hier vorliegende deutschsprachige Ausga-be zieht als Basis neben der spanischen Original-ausgabe auch die niederländische und die aktu-elle englische Ausgabe heran, die auf einem erstkürzlich im Archiv der AMI gefundenen Typo-skript aus dem Besitz Montessoris selbst beruht.Die Übersetzung ist wie auch die Psychoarithmetikgut lesbar und gibt die Gedanken Montessoris zurGeometrie gerade auch durch die Abgleichung mitden anderen Ausgaben verständlich wieder. Den-noch fordern einige der Übersetzungen zur kriti-schen Nachfrage heraus, wenn etwa „Toda mate-ria de cultura“10 in der deutschen Übersetzung als„Jedes Fach der Bildung“11 wiedergegeben wirdund so der hier angesprochene Zusammenhangvon u.a. Arithmetik und Geometrie zur übergeord-neten Kosmischen Theorie auf bloße Schulfächerreduziert wird.

Obgleich in einem vergleichbaren Format wiedie Psychoarithmetik innerhalb der „Gesammel-ten Werke“ erschienen, ist der wissenschaftlicheApparat der Psychogeometrie deutlich umfang-reicher: Neben Hinweisen auf Unterschiede inden anderen Editionen oder zum heutigen Aus-sehen bzw. Gebrauch erhält der Leser Anmerkun-gen quellenexegetischer Art zum Verständnis derSchrift aus dem historischen Kontext heraus, seies zum Auftauchen zentraler Begriffe der MethodeMontessoris in weiteren Schriften oder auch ihrerKlärung. Aus mathematikdidaktischer Sicht sindbesonders die Ergänzungen zu den bei Montesso-ri genutzten Methoden und Begriffen wegweisendfür ein gesichertes Verständnis des Textes für denLeser. Dazu werden gegebenenfalls auch die eben-falls aus der spanischen Originalausgabe über-nommenen farbigen Zeichnungen mit Hinweis aufdie Korrektur um Fehler verbessert. Der verwen-dete Apparat und die adressatengerechte, gut les-bare und zielführende Einführung zeigt überdeut-lich die wissenschaftliche „Herkunft“ der beidenHerausgeber als auf dem Gebiet der Montessori-Forschung und -Anwendung ausgewiesene Ex-perten aus Pädagogik bzw. Mathematikdidaktikund unterstützt damit idealiter die von Montessoriselbst genannte und von den Herausgebern in ih-

10 M. Montessori (1934) 15

11 M. Montessori (2012b) 10

12 Ludwig / Winter (2012) XVI

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78 Rezensionen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

rer Einführung treffend elaborierte Zielsetzung desWerkes als eine Art „Fundgrube“12 für die Handdes Lehrers, um auf der Grundlage der kognitivenund psychischen Entwicklung Ideen für das Ent-decken von Zusammenhängen und Beziehungenzu bieten, die sie selbst in vielen Jahren erprobthat. Dabei gehen die von ihr erprobten Inhalte weitüber die in der heutigen Grundschule erwartetenKompetenzbereiche hinaus und können durch dieder kindlichen Entwicklung angemessenen Metho-den und Ideen zudem die unteren Jahrgänge derSekundarstufe I bereichern.

Montessoris Handbücher – DidaktischeHandreichungen für Lehrer?

Während die Psychoarithmetik insbesonderedurch den hier deutlich werdenden genetischenAufbau beim Lernenden eine zentrale Quelle fürein Verständnis der „Methode“ Montessoris hin-sichtlich des Mathematiklernens von Kindern dar-stellt, vermag die Psychogeometrie das Reper-toire kreativer Ideen zur handlungsorientiertenAuseinandersetzung mit ebener Geometrie bei je-dem Lehrenden zu bereichern, ganz gleich, ob imMontessori-Bereich tätig oder nicht. Beide Werkeunterstützen die Montessori-Forschung ungemein,zumal in den nun in deutscher Sprache vorliegen-den Quellen auch Bereiche involviert sind, derenmangelnde Berücksichtigung in Montessoris Tex-ten dank bislang fehlender Quellen Anlass fürzahlreiche Kritik gegeben hat, sei es die Kreativi-tät, die in der Psychogeometrie sehr deutlich zuTage tritt, oder die Anwendungsorientierung, diesich aus der Psychoarithmetik ergibt: Hier bietensich durch die nun vorliegenden Quellen Mög-lichkeiten für differenziertere Betrachtungen derMethode Montessoris.

Psychogeometrie und Psychoarithmetik bedür-fen als historischer Quelle zum Mathematiklernenvon Kindern wie die übrigen Werke Montesso-ris auch der Interpretation zum Verständnis ih-rer sehr scharfsinnigen Ideen, die sich aber aufGrund der Montessori zu ihrer Zeit noch fehlen-den Terminologie und Begriffe nicht ohne weitereserschließen lassen. Angesichts ihres vielschichti-gen hochkomplexen Konzeptes bzw. ihrer Metho-de bei der gleichzeitigen Problematik fehlender Be-grifflichkeit und der äußerst blumigen Ausdrucks-weise der wortgewandten Italienerin wäre für dieweitere Forschung eine deutsch-spanische Ausga-be wünschenswert gewesen, wenngleich dies dieLesbarkeit der Texte beeinträchtigt hätte. Vielleichtkann eine digitale Auflage der Werke Montessorishier in nicht allzu ferner Zukunft Abhilfe schaf-fen.

Dass die Editionen selbst bereits die Erstellungquantitativer vergleichender Unterrichtsforschungmöglich macht, wie Schneeberger es so enthu-siastisch in seinem Geleitwort zur Psychoarithme-tik formuliert, bleibt somit fraglich, jedoch regendie deutschen Editionen der bislang nur schwerzugänglichen Texte Montessoris hoffentlich künf-tig die weitere mathematikdidaktische Forschungzum Thema an: Die in Psychoarithmetik und Psy-chogeometrie verschriftlichten Erfahrungen Mon-tessoris zeigen überdeutlich das noch nicht an-nähernd ausgereizte didaktische Potenzial ihrerMethode aus einer Zeit, als Didaktik als Wissen-schaft noch nicht geboren war. Dennoch vermoch-te die Methode Montessoris und ihre Elementezahllose Pädagogen und Didaktiker zu begeisternund direkt wie indirekt ihren Teil zur Entwick-lung heutiger Mathematikdidaktik beizutragen –genannt seien hier pars pro toto ihre Ideen zu ei-ner stark strukturorientierten Mathematik, wie sieüber das Programm mathe 2000 in die Didaktikeingeflossen sind, die Vorstellungen des mit ihrerArbeit vertrauten Wagenscheins zum entdeckend-genetischen Lernen oder auch der tiefe Eindruck,den die Ergebnisse ihrer Arbeit und insbesonderedie Ganzheitlichkeit ihrer Methode auf Freuden-thal gemacht haben, einen der Ur-Väter der nochjungen Mathematikdidaktik als Wissenschaft undForschungsgebiet.

Literatur

Baumann, Harold (2012): Einführung des Herausgebers. In:Montessori, Maria: Psychoarithmetik. Die Arithmetik dar-gestellt unter Berücksichtigung kinderpsychologischer Er-fahrungen während 25 Jahren. Hg. v. Baumann, HaroldFrank (Maria Montessori – Gesammelte Werke, Bd. 11).Freiburg/Basel/Wien: Herder, XIX–XXV

Ludwig, Harald/Winter, Martin (2012): Einführung der Her-ausgeber. In: Montessori, Maria: Psychogeometrie. Das Stu-dium der Geometrie basierend auf der Psychologie des Kin-des. Hg. v. Ludwig, Harald/Winter, Martin (Maria Montes-sori – Gesammelte Werke, Bd. 12). Freiburg/Basel/Wien:Herder, IX–XXII

Montessori, Maria (1934): Psico-Geometria. El Estudío de laGeometria Basado en la Psicologia Infantil. Ilustrada con265 Figuras en Colores. Barcelona: Araluce

Montessori, Maria (1971): Psicoaritmetica. L’Aritmetica Svilup-pata Secondo le Indicazioni della Psicologia Infantile Du-rante Venticinque Anni di Esperienze. Mit einem Vorwortvon Mario M. Montessori. Hg. v. Grazzini, Camillo. O.O.:Aldo Garzanti

Montessori, Maria (2003): Entwicklungsmaterialien in der Schu-le des Kindes. Dörfles: Renate Götz

Montessori, Maria (2005): Das kreative Kind. Der absorbierendeGeist (16. Auflage). Hg. v. Oswald, Paul/Schulz-Benesch,Günter (Schriften des Willmann-Instituts). Freiburg/Basel/Wien: Herder

Maria Montessori (2012a): Psychoarithmetik. Die Arithmetikdargestellt unter Berücksichtigung kinderpsychologischerErfahrungen während 25 Jahren. Hg. v. Baumann, Harold

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Rezensionen 79

Frank (Maria Montessori – Gesammelte Werke, Bd. 11).Freiburg/Basel/Wien: Herder

Maria Montessori (2012b): Psychogeometrie. Das Studium derGeometrie basierend auf der Psychologie des Kindes. Hg.v. Ludwig, Harald/Winter, Martin (Maria Montessori – Ge-sammelte Werke, Bd. 12). Freiburg/Basel/Wien: Herder

Montessori, Mario M. (1959): Mathematik im Leben des Kin-des in unserer sich verändernden Welt. In: Mitteilungen derdeutschen Montessori-Gesellschaft 7.2 (1959) 5–6

Montessori, Mario M. (1961): Maria Montessori’s Contributionto the Cultivation of the Mathematical Mind. In: Interna-

tionale Zeitschrift für Erziehungswissenschaften 7 (1961)/zugleich Kind und Mathematik. International MontessoriCongress, ‚s-Gravenhage: Martinus Nijhoff, 134–141

Thom, Sandra (2010): Kinder lernen entdeckend. Eine herme-neutische Untersuchung zur Konzeption und Realisierungdes Mathematikunterrichts Maria Montessoris. Dissertati-on, Hildesheim: Franzbecker

Sandra Thom, Alter Postweg 25, 26215 Wiefelstede-Heidkamp, Email: [email protected]

John Stillwell:Wahrheit, Beweis, Unendlichkeit – Eine mathematische Reise zu denvielseitigen Auswirkungen der Unendlichkeit

Rezensiert von Helmut Albrecht

„Eine mathematischeReise an das Ende derGedanken“ hätte derSpringer-Verlag sicherebenso gut als Unterti-tel wählen können fürdie von Roland Gir-gensohn besorgte deut-sche Übersetzung vonStillwells Buch „Roadto Infinity“. In der Tatstoßen wir Menschenbeim Nachdenken über

die Unendlichkeit recht schnell an die geistigenGrenzen unseres endlichen Verstands. Vielleichtmacht dies aber auch den besonderen Reiz derWissenschaften insgesamt und insbesondere derMathematik aus, schrieb doch schon Dedekind:„Für einen mit unbegrenzten Verstande begabtenMenschen, dem die letzten von uns durch eine lan-ge Kette von Schlüssen erhaltenen Konsequenzenunmittelbar evidente Wahrheiten wären, würdeeigentlich keine Wissenschaft mehr existieren . . . “

Stillwell geht es allerdings in seinem Buch nichtdarum, die Unendlichkeit zu erklären, er verfolgtvielmehr einen weitergehenden Ansatz: Es soll ge-zeigt werden, „wie Mengenlehre und Logik sichgegenseitig befruchten und wie sie sich zudemauf die klassische Mathematik auszuwirken begin-nen.“ Er versucht dies auf gut 200 Seiten in siebenKapiteln, denen allesamt ein „Historischer Hinter-grund“ beigefügt ist, um „die Thematik in dengrößeren Zusammenhang der Mathematik und ih-rer Geschichte einzuordnen.“ Der Autor verspricht

zudem, dass für das Nachvollziehen seiner Gedan-ken nur „wenig vorausgesetzt wird, was über dieSchulmathematik hinaus geht.“

Das erste Kapitel steigt ein bei Cantor undseinen Arbeiten über abzählbare und über-abzählbare unendliche Mengen, thematisiert „Hil-berts Hotel“, die beiden Cantorschen Diagonalver-fahren und stellt die Kardinalität des Kontinuumsdar.

Das Konzept der Ordinalzahlen bildet das Ge-rüst für das zweite Kapitel. Die Frage, wie manüber die abzählbaren Ordinalzahlen hinaus weiter-zählen kann, führt an dieser Stelle über das Aus-wahlaxiom, die Cantorsche Normalform und An-merkungen zur Induktion zur Kontinuumshypo-these. Der Berechenbarkeitsbegriff in der Mathe-matik und das Beweisen – insbesondere die da-mit zusammenhängenden Schwierigkeiten – wer-den im dritten Kapitel anhand der Gödelschen Un-vollständigkeitssätze dargestellt. Dies leitet überzur Logik, der das vierte Kapitel gewidmet ist. Dasfünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Arithmetikund das sechste schließlich mit natürlichen unbe-weisbaren Aussagen.

Das siebte Kapitel soll schließlich als Epilog diebisher umrissenen Themen zusammenfassen undaufzeigen, wie die Unendlichkeit den Bereich desBeweisbaren begrenzt und unser Wissen über na-türliche Zahlen beeinflusst.

Am Ende hat der Autor den Leser ein gutesStück auf der „Straße zur Unendlichkeit“ begleitetund sicher so manche Aus- und Einblicke in inter-essante und aktuelle Problemstellungen der Ma-thematik und des menschlichen Denkens gewährt.

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80 Personalia GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Es ist aber bestimmt auch deutlich geworden, dassdiese Straße zur Unendlichkeit – genau wie imrichtigen Leben – noch mit sehr vielen Baustellenversehen ist, von denen man sich fragt, ob sie je-mals vollendet sein werden. Wer diese Diskrepanzaushält, für den mag das vorliegende Buch eine in-teressante Lektüre beinhalten. Keinesfalls täuschenlassen darf man sich allerdings von der im Vor-wort und auf dem hinteren Buchdeckel befindli-chen Anmerkung, wonach der gegenseitigen Be-fruchtung von Mengenlehre und Logik noch nichtviel Raum in allgemein verständlichen Fragestel-lungen gegeben worden ist. Wer daraus leichtgläu-big folgert, dass Stillwells Buch „allgemein ver-ständlich“ sei, wird sich schon nach den ersten

Seiten getäuscht sehen. Auch die Angabe des Au-tors, dass zum Verständnis des Buchs „nur we-nig über die Schulmathematik Hinausgehendes“benötigt werde, kann getrost mit einer gewissenSkepsis begegnet werden – einige Semester Mathe-matikstudium sollten es mindestens sein!

John Stillwell: Wahrheit, Beweis, Unendlichkeit, Sprin-ger Spektrum, Berlin/Heidelberg 2014, 236 Seiten, ISBN978-3-642-37844-7, €24,99

Helmut Albrecht, Pädagogische Hochschule SchwäbischGmünd, Institut für Mathematik/Informatik, Oberbett-ringer Straße 200, 73525 Schwäbisch Gmünd, Email:[email protected]

Verleihung des Förderpreises der GDM 2014 in Koblenz

Edith Schneider

Der GDM Förderpreis wird alle zwei Jahre an eineWissenschaftlerin bzw. einen Wissenschaftler ausdem deutschsprachigen Bereich für eine herausra-gende Dissertation vergeben.

Für den diesjährigen Förderpreis lagen der Jury– Regina Bruder, Tommy Dreyfus, Edith Schneider,Anna Susanne Steinweg, Hans-Georg Weigand –neun ausgezeichnete Dissertationen vor. In einemmehrschrittigen Verfahren bemühte sich die Juryzu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen.Kein leichtes Unterfangen!

Für die Entscheidungsfindung orientierte sichdie Jury wieder an folgenden Kriterien:

Bedeutsamkeit des thematischen Fokus für denKern der MathematikdidaktikTheoretische und methodologische Fundiert-heitEinbettung in den Stand der ForschungSauberkeit und Angemessenheit der MethodenArgumentative Stringenz und Kohärenz, Ge-staltungsintensität, Lesbarkeit

Kriterien, die eine Dissertation aus den ausge-zeichneten Dissertation herausheben:

Innovativität im Sinne des Eröffnens wegwei-sender Perspektiven (methodisch, inhaltlich,theoretisch, . . . )Hoher eigenständiger (Forschungs-)AnteilÜberzeugende Substanz der ErgebnisseHerausragende Bedeutsamkeit der Fragestel-lung

Es ist der Jury bewusst, dass diese Kriterienlistenicht vollständig ist und dass sie auch hätte an-

ders aussehen können. Sie war der Jury jedoch inihrem Bemühen um eine faire, objektive Entschei-dung sehr hilfreich.

Die Entscheidungsfindung war schwierig, dadie – an sich erfreuliche! – Verschiedenheit der inden Arbeiten bearbeiteten Forschungsfragen undeingesetzten Forschungsparadigmen eine Auswahlnicht einfach machte. Für die im Zuge diesesProzesses konstruktiven und stets sachlichen Dis-kussionen möchte ich mich an dieser Stelle beiden Mitgliedern der Jury bedanken. Sie sind dieGrundlage dafür, dass der Liste der bisherigenFörderpreisträgerinnen und Förderpreisträger derGDM ein weiterer Namen hinzugefügt werdenkann:

Der Förderpreis 2014 der GDM ergeht an FrauDr. Kathleen Philipp für ihre Dissertation mit demTitel Experimentelles Denken.Theoretische und empiri-sche Konkretisierung einer mathematischen Kompetenz.Betreuer und Erstgutachter der Dissertation: Prof.Dr. Timo Leuders, Zweitgutachterin: Prof. Dr. Bär-bel Barzel. Die Dissertation ist 2013 in der Reihe„Freiburger Empirische Forschung in der Mathe-matikdidaktik“ erschienen.

Laudatio

Mit ihrer Dissertationsschrift zu ExperimentellemDenken thematisiert Frau Philipp ein für den Kernder Mathematikdidaktik relevantes, hoch aktuel-les und übergreifendes Gebiet, zu dem zwar inden letzten Jahren in der Mathematikdidaktik viel

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Personalia 81

Preisträgerin Kathleen Philipp(Foto: Hanka Pohontsch, ©Universität Koblenz)

gearbeitet wurde – aber nicht im Bereich derGrundlagenforschung, wo ein wesentlicher Teilvon K. Philipps Arbeit eingeordnet werden kann.Der Begriff des Experimentierens wird dabei vonK. Philipp insbesondere hinsichtlich seiner An-wendbarkeit auf innermathematische Situationenreflektiert.

Eine besondere Bedeutsamkeit der Arbeit vonFrau Philipp kommt dem theoretischen Teil zu undliegt in der Schärfung der Theorie des experimen-tellen Denkens, wo sie den Begriff des „innerma-thematischen Experimentierens“ in systematischeBeziehung zu bestehender (nationaler und interna-tionaler) Literatur bringt und Beziehungen unteranderem zwischen mathematischen, erkenntnis-philosophischen, wissenschaftssoziologischen undnaturwissenschaftlichen Ansätzen stiftet bzw. –wo erforderlich - auch Abgrenzungen vornimmt.Die insgesamt stimmige Deskription dieser un-terschiedlichen Ansätze und deren komprimierteZusammenführung und Pointierung wirkt dabeiim nachvollziehbaren und sensiblen Ringen umdie Positionierung des eigenen theoretischen Kon-zepts des Experimentierens überzeugend. Die ko-härente Darstellungsweise von K. Philipp verliertnie die Forschungsfrage aus den Augen. Eben-so unterscheidet sie stets stimmig zwischen Ex-perimentellem Denken als theoretischem Konzeptund dem Prozess des Experimentierens, der sich inKompetenzen beschreiben und empirisch im Kon-text mathematischen Problemlösens untersuchenlässt.

Ebenso bemerkenswert ist der empirische Teilder Dissertationsschrift: In diesem Teil der Ar-beit zeigt Frau Philipp in beachtenswerter Weisewie empirisch fundierte Theoriebildung, hypothe-senprüfende Absicherung des entwickelten Mo-dells sowie eine Evaluation einer (praxisnahen) In-terventionsstudie mit selbst entwickelten Testin-strumenten ineinander greifen können. Qualitati-

ve und quantitative empirische Forschung gehenhier – notwendigerweise – Hand in Hand. Kon-kret erfolgt zunächst mittels qualitativer Metho-dik eine Ausdifferenzierung und Validierung destheoretischen Modells. Die so gewonnenen empiri-schen Erkenntnisse bilden dann die Basis für eineInterventionsstudie zur Förderung experimentel-ler Kompetenzen in innermathematischen Zusam-menhängen, die mit quantitativer Methodik eva-luiert wird. Dass hier die Methoden der quan-titativen Forschung Kathleen Philipp zwangsläu-fig zu Einschränkungen und Neupositionierungenvon Komponenten des Modells führen werden vonihr in großer Klarheit nachvollziehbar und offendargelegt, Schwierigkeiten werden nicht verschlei-ert, sondern konstruktiv genutzt und – wenn mög-lich – inhaltlich erklärt.

Die Arbeit ist konsistent aufgebaut und sehrgut strukturiert. Bemerkenswert ist die Fähigkeitvon Kathleen Philipp Theorien knapp und präzisezusammenzufassen ohne diese zu trivialisieren.

Zusammenfassend kann gesagt werden: DieDissertation von Frau Philipp besticht durch einehohe theoretische wie methodische Qualität. FrauPhilipp gelingt es dabei in ihrer Dissertation inüberzeugender Weise, eine Reihe für die Mathe-matikdidaktik relevanter Faktoren zu bearbeitenund letztendlich in konsistenter Weise zu einemGesamten zu vereinen:

Zum einen substantielle eigene Theoriebildungmit systematischer und solider Verortung undEinbettung in den bisherigen Erkenntnisstand,und qualitativ empirischer Prüfung und Absi-cherung der Theorie – also ein originärer undrelevanter Beitrag zur mathematikdidaktischenGrundlagenforschung;zum anderen eine Interventionsstudie mit ei-nem reflektierten Einsatz quantitativer Metho-den zur Absicherung von Theorieelementen,die den Anforderungen an eine solide Me-thodennutzung und Methodenreflexion gerechtwird.

Dabei wird die Wichtigkeit einer unmittelbare Be-deutsamkeit der Forschungsarbeit für die schuli-sche Praxis von Frau Philipp nicht aus den Augenzu verloren.

Die Jury gratuliert Frau Philipp zu dieser her-ausragenden Leistung, die sie zweifelsfrei als för-derpreiswürdig sieht.

Edith Schneider, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt,Institut für Didaktik der Mathematik, Sterneckstraße 15,9010 Klagenfurt, ÖsterreichEmail: [email protected]

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82 Rezensionen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Selbstvorstellung in diesem Jahr gewählter Beiratsmitglieder

Gabriella Ambrus

Liebe Mitglieder derGDM, ich möchte michherzlich bedanken fürdie Wahl zum Beiratder GDM in Koblenzund möchte mich Ihnenan dieser Stelle kurzvorstellen.

Nach meinem Ab-itur 1978 studierte ichMathematik und Che-mie an der Pädagogi-schen Hochschulfakul-

tät der Universität ELTE (Eötvös Loránd Universi-tät) in Budapest, im Anschluss daran Mathematikfür das Lehramt an Gymnasien an der Universi-tät Debrecen. Vier Jahre lang unterrichtete ich alsLehrerin meine beiden studierten Fächer Mathe-matik und Chemie in einer achtklassigen Schule inBudapest. Im Jahr 1989 wurde mir eine Stelle amLehrstuhl für Mathematik an der PädagogischenHochschulfakultät der ELTE angeboten, an der ichbis 2005 in der Lehrerausbildung tätig war.

In den neunziger Jahren habe ich im Rahmendes TEMPUS Projekts mehrere Monate an der Uni-versität Augsburg und an dem Laboratoire Leibnizin Grenoble verbracht. Die ermöglichte mir, meineDeutsch- sowie Französischsprachkenntnisse wei-ter zu vertiefen. Darüberhinaus erhielt ich Einbli-cke in die deutsche und französische Lehreraus-bildung. Die Grundlagen meiner Kenntnisse überCabri-Geometrie habe ich mir in Grenoble ange-eignet. Diese konnte ich später in der Lehreraus-bildung in Budapest und auch im Rahmen mei-ner Dissertation gut anwenden. Im Jahr 2004 pro-movierte ich an der Universität Salzburg mit demThema : Übung in der Planung des Mathematik-unterrichts. 2005 habe ich ein PhD Diplom an derUniversität Debrecen erhalten.

Seit 2005 bin ich an der Universität ELTE tä-tig als Assistenzprofessor im Mathematikdidakti-schen Zentrum.

Neben meiner Tätigkeit in der Lehrerausbil-dung war ich/bin ich in den letzten Jahren inmehreren ungarischen TÁMOP und internationa-len EU-Projekten (LEMA, Mathbridge) beteiligt.Über fachdidaktische Publikationen hinaus arbeiteich noch als Autor und Lektor ungarischer Lehr-bücher.

Meine aktuellen Forschungsinteressen sind ins-besondere: Die schulische Verwendung von reali-tätsnahen Aufgaben bzw. Modellierungsaufgaben,Möglichkeiten der ungarischen problemlösendenTraditionen, Etablierung einer neuen Aufgaben-kultur in Ungarn, sowie historische Bezüge zu die-sen Themen anhand alter Lehrbücher.

Ich nehme regelmäßig als Vortragende an un-garischen und internationalen mathematikdidakti-schen Konferenzen teil, und habe im Rahmen derZusammenarbeit der Universitäten FSU und ELTEje viermal eine Forschungswoche an der FSU in Je-na verbracht. An der Arbeit der TTOMC (Zentrumfür Didaktik der Naturwissenschaften an der EL-TE) bin ich aktiv beteiligt und engagiere mich inder Ausarbeitung von Materialien für die Lehrer-ausbildung an der ELTE Universität.

Seit 1995 bin ich Mitglied der GDM und seit-dem nehme ich regelmäßig an den Jahrestagungenteil.

Ich bin verheiratet, habe ich zwei Söhne undeine Tochter.

Michael Gaidoschik

Liebe GDM-Mitglieder,gerne nutze ich die vonden GDM-Nachrichtengewährte Möglichkeit,mich als neu gewähl-tes Mitglied des GDM-Beirates (herzlichenDank für die Wahl!)vorzustellen.

Ich wurde 1965 inHainburg an der Do-nau in Niederöster-reich geboren, matu-

rierte 1983 am Bundesoberstufengymnasium Güs-sing im Burgenland und studierte an der Univer-sität Wien zunächst Philosophie, ehe ich (zur Er-leichterung meiner Eltern) auf das vergleichsweisesolide Studium des Lehramts für Gymnasium inden Fächern Philosophie, Psychologie und Päd-agogik sowie Latein umsattelte.

Erst nach der Sponsion Ende 1991 begann mei-ne Hinwendung zur Mathematikdidaktik – im Zu-ge meiner Beschäftigung mit sogenannter „Re-chenschwäche“, deren (in Wien damals verbreite-

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Rezensionen 83

te) Erklärung durch zu Grunde liegende „basaleTeilleistungsschwächen“ mir nie eingeleuchtet hat.Dass Kinder Mathematik treiben müssen, um Ma-thematik lernen zu können, schien mir einleuch-tend, ebenso, dass ich Mathematikdidaktik lernenmuss, um Kinder beim Mathematiklernen unter-stützen zu können. So lernte ich einerseits aus Bü-chern, andererseits und vielleicht noch mehr inder Arbeit mit Kindern, veröffentlichte dazu deneinen oder anderen Text und wurde bald auch vonVolksschullehrkräften und Pädagogischen Institu-ten eingeladen, meine Erfahrungen in der Fortbil-dung von Lehrkräften weiterzugeben.

Dabei betrieb ich nolens volens jahrelang Eti-kettenschwindel: Eingeladen wurde ich hartnäckigals Experte für „Dyskalkulie“, obwohl ich mich,wann immer gefragt und öfter noch ungefragt, fürdiese Krankheit nicht zuständig erkläre. Referierthabe ich dennoch stets darüber, was ich unter ei-nem guten Mathematikunterricht für die Grund-schule verstehe; also über einen Mathematikunter-richt, der im Rahmen des in schulischen Struktu-ren Möglichen Kinder aller Leistungsstufen darinunterstützt, grundlegende mathematische Musterund Strukturen zu erfassen und für sich zu nutzenund damit einen großen Teil der Schwierigkeiten,mit denen ich in meiner Förderarbeit Tag für Tagkonfrontiert war, gar nicht erst aufkommen lässt.

Seit 2004 durfte ich dann als Lehrbeauftrag-ter an der PH Wien, später auch der KPH Wien-Strebersdorf auch in der Ausbildung künftigerVolksschullehrkräfte mitwirken – stets an der Kip-pe zur Verzweiflung über die curricularen Vorga-ben, mit denen wir uns in Österreich immer nochherumzuschlagen haben. 2004 begann auch dieberufsbegleitende Arbeit an meiner Dissertation(„Entwicklung von Lösungsstrategien zu den ad-ditiven Grundaufgaben im Laufe des ersten Schul-jahres“), die ich 2010 endlich abschließen konn-te. Im März 2014 wurde ich dann, zu meiner im-mer noch anhaltenden Überraschung, als Professorfür Didaktik der Mathematik in der Grundschulean die Universität Klagenfurt berufen. Als „Ver-bundprofessor“ bin ich in der Lehre vorwiegendan der Pädagogischen Hochschule Kärnten tätig,an der Universität forsche ich aktuell und will ichin den nächsten drei Jahren forschen zum Lehrenund Lernen des kleinen Einmaleins, des dezima-len Stellenwertsystems und – immer noch und im-mer wieder – zu Möglichkeiten und Grenzen derunterrichtlichen Unterstützung bei der Ablösungvom zählenden Rechnen. Mitglied der GDM binich vermutlich seit 2005, innerhalb der GDM bis-lang im Arbeitskreis Grundschule und natürlichim Arbeitskreis Mathematikunterricht und Mathe-matikdidaktik in Österreich aktiv – und künftigmit großer Freude auch im Beirat!

Ulrich Kortenkamp

Liebe Mitglieder derGDM, ich bedankemich herzlich für dieWiederwahl in den Bei-rat der GDM. Nach2011 darf ich nun fürweitere drei Jahre mit-wirken und möchtedie Gelegenheit nut-zen, mich nun in dieserneu eingeführten Ru-brik der Mitteilungen

der GDM kurz vorzustellen.Ich habe von 1989 bis 1995 an der Westfälischen

Wilhelms-Universität Mathematik mit NebenfachInformatik studiert. Im März 1993 bin ich bereitsnach Berlin gezogen, um dort unter anderem beiEmo Welzl an der FU Berlin zu studieren. Unmit-telbar nach meinem Abschluss als Diplommathe-matiker habe ich im April 1995 als Doktorand beiGünter Ziegler an der TU Berlin begonnen. Alssein Mitarbeiter Jürgen Richter-Gebert 1997 einenRuf an die ETH Zürich erhielt, habe ich die Ge-legenheit genutzt und bin mit dorthin gegangenum schließlich 1999 über „Foundations of Dyna-mic Geometry“ zu promovieren. Mit dieser Arbeithabe ich versucht, die mathematischen und infor-matischen Grundlagen von DGS zu beschreiben– inklusive der Auswirkungen auf die Nutzungsolcher Systeme im Mathematikunterricht. Dabeiflossen die Erfahrungen ein, die ich gemeinsamenmit Jürgen Richter-Gebert seit 1996 bei der Gestal-tung der interaktiven Geometrie-Software Cinde-rella gewonnen hatte.

Nach der Promotion habe ich an der FreienUniversität Berlin als Wissenschaftlicher Assistentim Institut für Informatik in der Arbeitsgruppevon Günter Rote gearbeitet. Nach einem Jahr alsGastprofessor bei Günter Ziegler an der TU Ber-lin wurde ich 2004 auf eine Juniorprofessur für Di-daktik der Mathematik, ebenfalls an der TU Berlin,berufen. Damit vollzog sich auch mein endgültigerSchwenk in die Mathematikdidaktik, und ich nutz-te die Gelegenheit, Unterrichtserfahrung an meh-reren Berliner Schulen zu sammeln. Leider wurdedie Lehramtsausbildung an der TU Berlin einge-stellt (eine politische Entscheidung, die hoffentlichnicht mit meinem Wirken dort zusammenhängt),und 2006 nahm ich dann einen Ruf auf eine Profes-sur für Medieninformatik und ihre Didaktik an derPH Schwäbisch Gmünd an. 2009 konnte ich dannwieder vollständig in die Mathematikdidaktik ander PH Karlsruhe (Nachfolge Ziegenbalg) wech-seln. 2012 erhielt ich einen Ruf auf die Nachfol-ge Herget an der Martin-Luther-Universität Hal-

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84 Rezensionen GDM-Mitteilungen 97 · 2014

le, wo ich bis heute den Lehrstuhl für Didaktikder Mathematik innehabe. Gemeinsam mit vielenanderen Kolleginnen und Kollegen bin ich inzwi-schen für das Deutsche Zentrum für Lehrerbil-dung Mathematik (DZLM) tätig, wo ich die Abtei-lung B „Informations- und Kommunikationsplatt-form” leite.

Neben meiner Arbeit in der Mathematikdidak-tik, die sich vor allem dem Einsatz digitaler Werk-zeuge im Mathematikunterricht widmet, bin ichseit vielen Jahren auch in der GDM engagiert, derich im Jahr 2000 beigetreten bin. Seit dem Jahr2007 bin ich für die Homepage der Gesellschaft zu-ständig, seit dem Herbst desselben Jahres leite ichgemeinsam mit Anselm Lambert den ArbeitskreisMathematikunterricht und Informatik. Neben di-

versen Umstrukturierungen, zum Beispiel für dieMitgliederdatenbank, treibe ich das Nachschlage-werk Madipedia voran, welches seit 2010 stetigwächst. Für die ICME-13 in Hamburg 2016 küm-mere ich mich ebenfalls um die Darstellung derKonferenz im Internet. Dabei werden neue Formender Internetnutzung – soziale Netzwerke wie Face-book und Twitter – immer wichtiger, weshalb ichversuche, auch diese Kommunikationskanäle im-mer mehr zu nutzen, sofern dies sinnvoll ist. Auchdie GDM ist auf Facebook vertreten – wenn sie mö-gen, dann liken Sie sie doch!

Ich bedanke mich für das Vertrauen der Mit-glieder der GDM und werde versuchen, dies durchmeine weitere Arbeit im Beirat nicht zu enttäu-schen!

Grußwort des 1. Vorsitzenden der GDM für Hans-Jürgen Elschenbroichzum 65. Geburtstag – Düsseldorf, am 30. 5. 2014

Rudolf vom Hofe

Lieber Hans-Jürgen Elschenbroich, liebe Festge-sellschaft,da die Zeit kurz ist, komme ich gleich zur Sache.Ich hatte das Glück, Hans-Jürgen Elschenbroichin ganz unterschiedlichen Situationen kennenzu-lernen: als Vortragenden in der Uni Bielefeld so-wie auf vielen Tagungen der MNU und der GDM,als ausgewiesenen Fachmann für dynamische Geo-metriesoftware und als Kollegen im Gespräch amEnde einer Tagung; zum Beispiel im Schlesierhausder Reinhardswaldschule oder im Rostigen Kegelin Soest. Hierbei konnte ich viele seiner positivenFacetten kennenlernen; heute möchte ich mich aufeine beschränken, die ein wichtiges und durch-gehendes Persönlichkeitsmerkmal darstellt: Hans-Jürgen Elschenbroich ist ein Mann der Verbindungund des Ausgleichs, ein Mann der Brücken baut.Und typisch für diese Brücken ist, dass sie (1) be-gehbar und (2) auf einen festen Grund gebaut sind.Ich möchte dies an drei Beispielen deutlich ma-chen:

Erstens: Brücken zwischen den Verbänden. Die Ma-thematikdidaktik hat ihren Stellenwert und Ein-fluss in den letzten Jahren nicht nur in den Schu-len und Universitäten, sondern auch gegenüberden bildungspolitischen Handlungsträgern erfolg-reich weiterentwickelt. Dies liegt wesentlich dar-an, dass es uns gelungen ist, die Kräfte der Ver-bände MNU, DMV und GDM zu bündeln. Ohne

Persönlichkeiten wie Hans-Jürgen Elschenbroich,der maßgeblich an der Arbeit der gemeinsamenKommissionen dieser Verbände beteiligt war, wä-re dieser Erfolg und die gemeinsame Arbeit nichtmöglich gewesen. Aber es ist nicht nur die Arbeitin den Kommissionen und Arbeitskreisen, die dieLeistung Hans-Jürgen Elschenbroichs ausmacht, esist vor allem das Eintreten für Gemeinsamkeit unddie Verbindung von Mathematik, Unterricht undDidaktik, die sich in seiner Person ausdrückt. Da-bei war bei aller Vermittlung und Verbindung im-mer klar, welcher Verband seine Heimat darstellt,es ist die MNU; dies will ich aus Sicht der GDMgerne neidlos anerkennen.

Zweitens: Brücken zwischen Technik und Mathe-matik. Eine besondere Fähigkeit und LeidenschaftHans-Jürgen Elschenbroichs ist das Interesse anTechnik, an neuen Medien und insbesondere andynamischer Geometriesoftware. Dies wird ein-drucksvoll dokumentiert durch eine Fülle vonwissenschaftlichen und praxisorientierten Publi-kationen, wie man sie selten findet. Bei aller Fas-zination für die neuen technischen Möglichkeitenwird der Einsatz der Neuen Medien bei Hans-Jürgen Elschenbroich jedoch nie zum Selbstzweck.Auch hier ist die Basis klar: Es ist die Mathema-tik. Sie wird nicht etwa als sekundäres Anwen-dungsfeld für neue technische Möglichkeiten ver-standen, vielmehr dient die Technik dazu, mathe-

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 Rezensionen 85

Hans-Jürgen Elschenbroich (Foto: © MNU)

matische Probleme auf neue Weise zugänglich zumachen. Dies gilt nicht nur für neue Anwendungs-probleme; es wird ganz besonders da deutlich, woes Hans-Jürgen Elschenbroich gelingt, auch einenklassischen mathematischen Satz – wie etwa denFlächensatz von Pappos – mit Mitteln der DGS soaufzubereiten, dass dieser, unterstützt durch einemedienbasierte zündende Idee, auch heute für Ler-nende als Verallgemeinerung des Satzes des Pytha-goras einsichtig werden kann.

Und schließlich sind es auch Brücken zwischenWissenschaft und Praxis, die zum SpezialgebietHans-Jürgen Elschenbroichs gehören. Dabei ist esihm ein Anliegen, neue Ergebnisse der didakti-schen Forschung an Lehrende und Studierende zuvermitteln. Aber auch hier ist die Basis unmissver-ständlich klar: Es geht nicht um wissenschaftlicheErgebnisse oder didaktische Prinzipien als Selbst-zweck. Ausgangsbasis und Ziel seiner Arbeiten istimmer die Schulpraxis, hier schlägt bei aller Lie-be für die Wissenschaft das Herz des Lehrers. Ver-besserung und Innovation der Praxis sind das kla-re übergeordnete Ziel; der Schlüssel hierzu ist fürHans-Jürgen Elschenbroich die Erhöhung der Ak-tivität der Schüler, um Erklärungs-, Beurteilungs-und Handlungskompetenz zu entwickeln.

Dass Brücken, wie die von Hans-Jürgen El-schenbroich, begehbar sind und einen festenGrund haben ist nicht selbstverständlich. Manch-mal steigen Brücken imposant auf und enden je-doch vor einem diffusen Nichts, manchmal auchvor einem intellektuellen Abgrund. Bei solchen

Konstruktionen kann Hans-Jürgen Elschenbroichein guter Berater für Verbesserungen sein, da ernicht nur Brückenbauer, sondern auch Brücken-kritiker ist. Mit einem Beispiel für eine solcheBrücke, die eigentlich mit großen roten Warnschil-dern gekennzeichnet werden müsste und die den-noch häufig betreten wird, möchte ich schließen:

Es handelt sich im einen Beitrag in der Zeit ausdem Jahr 2010, in dem ein Redakteur zunächst dar-stellt, dass junge Finnen durchschnittlich mit 22,5Jahren von Zuhause ausziehen, Deutsche dagegenerst mit 24,5 Jahren, was ihn im Hinblick auf dasbessere Abschneiden der Finnen bei PISA zu derFolgerung veranlasst: „Es gibt also einen deutli-chen statistischen Zusammenhang zwischen demSchulerfolg und dem Selbstständigwerden.“ DerArtikel hat dem entsprechend den Titel: „Schmeißtsie raus!“.

Hans-Jürgen Elschenbroich schreibt dazu in ei-nem ZEIT-ONLINE-Artikel:

Wäre nicht eher nach Gründen, die in der Zeitvor dem 16. Geburtstag liegen, zu suchen? Dagibt der Artikel einen kleinen aber bemerkens-werten Hinweis, der vom Autor allerdings nichtaufgegriffen wurde. Denn es wird festgestellt,dass die Finnen „ziemlich früh in ihrem Leben,mit etwa 13 Jahren, zum ersten Mal volltrunkensind, ohne dass ihre PISA-Ergebnisse darunterleiden.

Da liegt es doch eigentlich auf der Hand, dasses daran liegen muss! Oder? Wäre der Artikelnicht besser mit ‚Kippis‘ statt mit ‚Schmeißt sieraus‘ überschrieben worden?“ (Für die Gäste ausSüddeutschland: Ein Kippe ist so etwas wie einSchäppsle) „Vollrausch für alle, dann klappt‘s auchmit PISA?!?“

Sehr geehrte Damen und Herren vom Ministe-rium, das ist natürlch keine ernsthafte Empfehlungfür NRW; das Zitat endet mit einem Fragezeichen,einem Ausrufungszeichen und dann noch einemFragezeichen. Im weiteren erklärt Hans-JürgenElschenbroich dem Redakteur in einer bewun-dernswerten Ruhe den Denkfehler seiner falschenSchussfolgerungen und endet mit dem Satz: „Dieeinzige auf der Hand liegende Schlussfolgerungdürfte meines Erachtens sein: Unterrichtet mehr,verständnisorientiert und lebensnah Statistik!“

Diesem Satz ist nichts mehr hinzuzufügen. Lie-ber Hans-Jürgen, ich möchte Dir ganz herzlich fürDeinen Einsatz für die GDM danken und hoffe,dass Du uns als Brückenbauer und Brückenkriti-ker auch weiter erhalten bleibst. In diesem Sinnewünsche ich Dir einen wunderschönen Geburtstagund glückliche und erfolgreiche weitere Jahre.

Herzlichen Dank.

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86 In eigener Sache GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Leserbriefe

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Vohns,das Vorwort des 1. Vorsitzenden, Herrn Prof. Ru-dolf vom Hofe, hat mich als Gründer und ers-ten Vorsitzenden des GDM-Arbeitskreises Geome-trie sehr gefreut. Leider hat sich ein kleiner Feh-ler eingeschlichen: Die erste Herbsttagung des Ar-beitskreises für Geometrie fand 1984 nicht an derTU München, sondern am Gymnasium Neubibergstatt. Man hatte sich damals zwar bemüht, sehrviele Lehrerinnen und Lehrer aus dem MünchnerOsten einzuladen, die Resonanz war aber doch nursehr gering, so dass zukünftig diese Idee nicht wei-ter verfolgt wurde.

Mit freundlichen GrüßenMeyer ([email protected])

Sehr geehrter Herr Vohns,Anlass des Briefes sind die neuesten Mitteilungender GDM Nr. 96.

Eigentlich wollte ich schon früher schreibenund mich einfach einmal für die Arbeit bedan-ken, die (schon früher, aber durch die Zunahmedes Umfangs immer mehr) in der Vorbereitung derHefte steckt. Aber immer wider habe ich es danndoch nicht getan.

Jetzt also, weil mein Name (S. 5 – diese wie al-le folgenden Seitenangaben beziehen sich auf dasgenannte Heft) auftaucht? Die menschliche Eitel-keit gleicht dem mathematischen Epsilon: Beliebig(groß oder klein), aber immer größer als Null. Dasist aber dennoch sicher nicht der Grund.

Schon eher, weil viele Namen auftauchen, diemit persönlichen Erinnerungen verbunden sind.Das sind z. B. die Autoren im Magazin und Wer-ner Blum mit seinem anrührenden Nachruf auf Ar-nold Kirsch. Dennoch hätte das wohl noch nichtausgereicht, „zur Feder“ zu greifen, also dafür denComputer anzufahren.

Schon eher, dass die Stoffdidaktik (endlich)wieder ohne schmähende Adjektive auftaucht – imNachruf von Werner Blum (S. 75 f.) und im Berichtüber den Arbeitskreis Geometrie (S. 34 samt derhinteren inneren Umschlagseite – so hoffentlichAnstoß zu einer Diskussion unter Einbeziehunganderer, „modernerer“ Aspekte der Mathematik-

didaktik und der Bezugswissenschaften) – oderder Hinweis von Lothar Profke auf den Einstiegin den Geometrieunterricht von der Raumgeome-trie aus (S. 32). Aber wahrscheinlich hätte all dasauch das noch nicht gereicht.

Endlich sei es gesagt: Das „Merkel-Deltoid“(S. 1) ist der Grund. Die Formulierung „Merkel-Raute“ kannte ich natürlich. Als ich sie zum ers-ten Mal las, legte ich irritiert meine Hände flachauf den Tisch und formte mit Daumen und Zei-gefinger eine Figur, die man leicht zum Viereckabstrahieren kann – und das Viereck war bei mir(wie wohl bei allen „anatomischen Standardmen-schen“) ein Drachen. Also, so dachte ich, ist daseben wieder einmal eine umgangssprachliche Be-nennung, die mit der mathematischen Begriffsbil-dung nicht zu vereinbaren ist. Das gilt schließ-lich z. B. auch für fast alle Stückchen „Würfel-zucker“, denn wer würde schon „Quadratische-Säulen-Zucker“ sagen wollen.

Aber nun kommt einerseits der Text und an-dererseits das Bild zur „Merkel-Raute“ – und dapasst einiges nicht mehr zusammen. „GeeigneteNeigung der Handflächen erzeugt den gewünsch-ten Rombus“ steht da, und dass es „eben nur aufdie ‚richtige’ Perspektive“ ankäme.

Je nun – eigentlich müsste man das Sehen unddas Fotografieren mit Hilfe einer Zentralprojek-tion „mathematisieren“. Das erkennt jeder Foto-graf, der mit nach oben geneigter Kamera z. B.von der Domplatte in Köln den Dom fotografiert:Die Bilder der Türme neigen sich aufeinander zu– es gibt „stürzende Linien“. Die erwartete Paral-lelentreue ist bei den über 150 m hohen Türmenverletzt. Man vergleiche z. B. www.wackerart.de/Foto/koeln/Dom-Cologne.html. Warum aber er-warten wir die Parallelentreue? Aus Erfahrung. Istnämlich das abzubildende Objekt klein gegen dieAufnahmedistanz, so genügt zur mathematischenBeschreibung die Parallelprojektion. Das gilt auchbeim Kölner Dom, wenn man im gleichen Fotodas oberste (im Raum vertikalen) Fenster in einemTurm anschaut: Das Foto zeigt (nahezu, die Ab-weichung ist auch mit einem Geodreieck nicht er-kennbar) ein Parallelogramm.

Mit der Idee der Parallelentreue zeichnen wirauch (insbesondre im karierten Mathe-Heft) leichtein (Schräg-)Bild eines Würfels, der auf dem Tischvor uns liegt. Dass es sich dabei um eine schie-fe Parallelprojektion handelt, muss man zunächst

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GDM-Mitteilungen 97 · 2014 In eigener Sache 87

nicht wissen. Das (ebene) Bild wird (zumindest inunserem Kulturkreis) problemlos, also auch vonKindern, als (räumlicher) Würfel interpretiert. DieKinder sagen: „Das ist ein Würfel“ (und nicht„Das ist das Bild eines Würfels“ – wie es der am14. 1. 2014 verstorbene Z. P. Dienes einst forder-te – auch ein Beispiel für die auf S. 4 erwähnte„Neue Mathematik“). Es ist allgemeiner Sprachge-brauch, bei Bildern den Gegenstand als Namens-geber zu nehmen: „Das ist der Kölner Dom“ undnicht „Das ist ein Foto des Kölner Doms“ , „Dasist die Merkel-Raute“ und nicht „Das ist ein Fo-to der Merkel-Raute“. Dass das erwähnte „Würfel-Schrägbild“, das jedes Grundschulkind „erkennt“,auch das Schrägbild eines ganz anderen Körpers(nicht einer quadratischen Säule, nein, viel kompli-zierter) sein kann, weil die Parallelprojektion nichtbijektiv ist, sei nur am Rande erwähnt – es ist hierohne Bedeutung, soll aber schon darauf hinweisen,dass „offensichtliche“ Deutungen oft falsch sind.

Nur bei einer Kugel wäre das Abbilden mitdem Schrägriss, einem Schrägbild als Ergebnis, fa-tal. Das Bild einer Kugel wäre eine Ellipse, unddas widerspricht wieder eklatant unserer Erwar-tung. Wir erwarten einen Kreis als Bild einer Ku-gel. Auch das kann man haben: Man muss ebeneine senkrechte Parallelprojektion (Normalprojek-tion) nehmen. Auf jeden Fall ist die (senkrechteund schiefe) Parallelprojektion (im Allgemeinen,die Ausnahme wird gleich erwähnt) parallelen-treu: Das Bild zueinander paralleler Graden sindzueinander parallele Geraden.

Bei einer schiefen Parallelprojektion werdenLängen von Strecken vergrößert oder verkleinert.Für Ersteres soll hier das Diktum „Zwerge müs-sen bis zum Abend warten, um lange Schatten zuwerfen“ als Beleg gelten, für Letzteres, dass derGrundriss (ein Normalriss) eines auf einer hori-zontalen Ebene stehenden Würfels „nur“ ein Qua-drat ist – die Länge der Höhen-Kanten ist auf 0geschrumpft.

Bei einer Normalprojektion werden alle Längenmit dem Kosinus des Neigungswinkels multipli-ziert. Misst der Neigungswinkel 0°, bleibt die Län-ge unverändert, sonst wird sie kleiner. Bei 90° wirddie Länge 0.

In beiden Fällen gilt aber: Lässt man den unin-teressanten Fall der projizierenden Richtung (die,bei der die Länge 0 wird – und das ist der Fall, indem man auch nicht mehr von „Parallelentreue“sprechen kann) weg, dann werden Längen vonStrecken auf einer Geraden immer mit demselbenFaktor multipliziert. Das bedeutet, dass das Teil-verhältnis invariant ist. Und jetzt sind wir wiederbei dem Merkel-Deltoid. Es kann, egal, aus wel-cher Richtung betrachtet, aber normale anatomi-sche Verhältnisse (Daumen kürzer als Zeigefinger,

damit verschieden lange Diagonalen, nur eine da-von wird von der anderen halbiert) vorausgesetzt,niemals eine Raute (jede Diagonale halbiert die an-dere) werden.

Diese Argumentation „passt“ in ein (nicht„das“) „Haus der Vierecke“ (vgl. S. 33), das dieVierecks-Symmetrien als wichtiges Ordnungskri-terium nimmt. Ein anderes, das die Parallelitätvon Seiten stärker betont, könnte scheinbar aufeinen Schlag zum Ziel führen: Eine (echtes) Del-toid hat keine zueinander parallele Gegenseiten.Wo sollten also die zueinander parallelen Gegen-seiten der Raute herkommen. Nur wird hier, über-legt man etwas genauer, nicht (nur) die Parallelen-treue der Parallelprojektion für die Argumentationgebraucht, sonder (zusätzlich) die Bijektivität derParallelprojektion einer ebenen Figur auf eine an-dere (im Nicht-Ausartungsfall, das Bild ist nichtnur eine Strecke) – ein hier zu weiters Feld. Aberda ist auf S. 1 doch auch das Wikipedia-Bild, unddas sieht nun wirklich aus wie eine Raute – dasIST eine Raute. Wie geht das denn dann?

Recht einfach: Das eingangs geschilderte Ex-periment, beide Hände flach auf den Tisch zu le-gen, hat das Problem nicht adäquat nachgebildet.Frau Merkel hält die Hände ja im Raum. Wennman das mit den Händen nachmacht und die Hän-de von der Ausgangslage (beide in einer Ebene)nach und nach in die Lage von Dürers „betendenHänden“ (aus der Sicht der/des Betenden – not-falls bei https://de.wikipedia.org/wiki/Betende_Hände nachschauen) bewegt, hat man verschiede-ne Zwischenlagen. Man kann die Daumen abge-spreizt lassen oder – wie bei Dürer – dann fastan die Zeigefinger anlegen. In allen Fällen (au-ßer den uninteressanten Rand-Fällen, der eingangsbeschriebenen Ausgangslage und der Endlage, inder die Handflächen aufeinander liegen) liegt keinebenes, sondern ein räumliches Viereck vor. Danngibt es keinen Schnittpunkt der beiden Diagona-len – sie liegen auf zueinander windschiefen Ge-raden. Damit gibt es keine zwei festgelegte Teil-strecken auf der zunächst nicht halbierten Diago-nalen der Ausgangslage, die bei der Parallelpro-jektion mit dem gleichen Faktor „gestreckt“ oder„gestaucht“ werden müssten. Die obige Argumen-tation „passt“ also nicht zum realen Problem. Unddamit kann als Bild (!) der Hände von Frau Merkeleine Raute entstehen. Die Finger bilden aber einräumliches Viereck – weder eine Raute noch einDeltoid.

Oder doch etwas anderes? Silke Burmester(nach SPIEGEL ONLINE – 15. 9. 2013) schreibt:

Unsere Kanzlerin ist Naturwissenschaftlerin,nicht Ausdruckstänzerin – also pflegt sie ihreFinger zur „Merkel-Raute“ aneinanderzulegen.

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88 In eigener Sache GDM-Mitteilungen 97 · 2014

Die Wahlkämpfer der CDU erklären das zu ih-rem Markenzeichen. Aber womöglich verbirgtsich hinter dem ominösen Trapez etwas ganzanderes.

Aber das mit dem Trapez wäre eine neue Geschich-te, und sie wäre wohl weder mathematisch nochanatomisch zu retten.

Und nicht vergessen: Ganz am Anfang desBriefes stand der Dank für die Arbeit mit den Mit-teilungen!

Viele GrüßeKurt Peter Müller

Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e. V. (GDM)

Vorstand. 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Rudolf vom Hofe,Fakultät für Mathematik, Institut für Didaktik der Ma-thematik, Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25,33615 Bielefeld. Tel. 0931 . 521106-5063, [email protected]

2. Vorsitzende: Prof. Dr. Silke Ruwisch, UniversitätLüneburg, Institut für Mathematik und ihre Didaktik,Scharnhorststraße 1 21335 Lüneburg. Tel. 04131 . 677-1731, [email protected]

Kassenführer: Prof. Dr. Christine Bescherer, Pädagogi-sche Hochschule Ludwigsburg, Institut für Mathema-tik und Informatik, Reuteallee 46, 71634 Ludwigsburg.

Tel. 07141 . 140-385, Fax. 07141 . 140-435, [email protected]

Schriftführer: Assoz. Prof. Dr. Andreas Vohns, Institutfür Didaktik der Mathematik, Alpen-Adria-UniversitätKlagenfurt, Sterneckstraße 15, 9010 Klagenfurt, Öster-reich. Tel. +43 (0)463 . 2700-6116, Fax. +43 (0)463 . 2700-99 6116, [email protected]

Bankverbindung: Vereinigte Raiffeisenbanken Herolds-berg, Kto-Nr. 305 87 00, BLZ 770 694 61, IBAN DE05

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ImpressumVerleger: GDM Herausgeber: Assoz. Prof. Dr. Andreas Vohns (Anschrift s. o.) Gestaltung und Satz: Christoph

Eyrich, Berlin Umschlagentwurf: Assoz. Prof. Dr. Andreas Vohns Druck: Oktoberdruck AG, BerlinDer Bezugspreis der GDM-Mitteilungen ist im Mitgliedsbeitrag der GDM enthalten.