13
Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr ~12 Minuten Lesezeit Es gibt nichts mehr zu retten Außer uns selbst. von Dirk C. Fleck Foto: NikoNomad/Shutterstock.com Seit Jahrzehnten haben wir uns mit immer neuen Parolen rüsten müssen: Rettet den Regenwald, rettet die Nordsee, rettet das Nashorn, rettet die Bienen und Kröten, rettet den, die, das. Wir haben ein Rückzugsgefecht nach dem anderen austragen müssen. Herausgekommen ist nichts. Heute heißt die Parole: Rette sich, wer kann!

Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr~12 Minuten Lesezeit

Es gibt nichts mehr zurettenAußer uns selbst.

von Dirk C. Fleck Foto: NikoNomad/Shutterstock.com

Seit Jahrzehnten haben wir uns mit immer neuenParolen rüsten müssen: Rettet den Regenwald, rettetdie Nordsee, rettet das Nashorn, rettet die Bienen undKröten, rettet den, die, das. Wir haben einRückzugsgefecht nach dem anderen austragen müssen.Herausgekommen ist nichts. Heute heißt die Parole:Rette sich, wer kann!

Page 2: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Bemerkenswert daran ist nur, dass die meisten Menschenangesichts des bis zum Anschlag betriebenen Raubbaus an derNatur kein Gefühl des Verlustes verspüren. Selbst wenn der Südpolüber Nacht auf 20 Quadratmeter schrumpfen und das letzteDutzend Pinguine sich auf den Köpfen stehend mit den Fächerfüßengegen die stechende Sonne zur Wehr setzen würde – das Gros derMenschen bliebe davon gänzlich unbeeindruckt.

Dabei wird sich unser Leben in absehbarer Zeit dramatischverändern. Im politischen, im sozialen, im medizinischen Bereichebenso wie im kulturellen Leben. Der von den Menschen längsteingeleitete Ökozid geht an den Nerv allen Lebens. Nichts wirdmehr so sein, wie wir es heute vorfinden.

Wir sehen also: Man muss gar nicht radikal denken undhandeln, um sich mit radikalen Ergebnissenauseinander setzen zu müssen. Für gewöhnlich reichtdie pure Ignoranz einer Gefahr, um sich ihr unversehensgegenüberzusehen.

Frank Schirrmacher, der verstorbene Herausgeber der FrankfurterAllgemeinen Zeitung, den ich für mein Buch „Die vierte Macht“interviewt hatte, sagte in unserem Gespräch: „Nehmen wir mal an,der Ökozid wäre heute schon eingetreten. Dann würde es dieTagesschau morgen als Normalität behandeln. Es gibt diesen einenMoment gar nicht, wo man sich fragt: Haltstopp, was ist hiergeschehen? Die Medien schaffen es, aus den größten Brüchenimmer wieder eine Scheinnormalität zu konstruieren.“

Denn der Tsunami der Zerstörung, den das Dauerbeben einesungezügelten Kapitalismus ausgelöst hat, reißt weiterhinungebremst alles aus dem Gleichgewicht: das filigrane ökologischeNetzwerk ebenso wie die sozialen Strukturen unserer globalenZivilgesellschaft.

Page 3: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Ein Nature-Writer gab den Anstoß

Was Frank Schirrmacher nicht erwähnte, ist die Tatsache, dass dieGlaubwürdigkeit der von den Eliten kontrollierten Mainstream-Medien extrem gelitten hat. Die Zahl der Menschen, die dennotorischen Wahnsinn eines kapitalen Giersystems durchschauen,wächst. Und mit ihr wächst die Bereitschaft zum Widerstand. Eswar der US-amerikanische „Nature-Writer“ Edward Abbey („OhneZivilcourage sind alle andere Tugenden nutzlos“), der in seinembereits 1975 erschienenen Roman „The Monkey Wrench Gang“ denBegriff der Ökotage (von Sabotage) prägte. Es war dieser Roman, derden Aktivisten Dave Foreman 1979 dazu inspirierte, dieUmweltschutzorganisation Earth First! zu gründen, welche die sehrmoderat auftretenden anderen Organisationen, beispielsweise dieWilderness Society oder selbst Greenpeace, ziemlich alt aussehenließ. Das Motto von Earth First: No Compromise in Defense ofMother Earth! (Kein Kompromiss bei der Verteidigung von MutterErde). Der verstellbare Schraubenschlüssel (engl. monkey wrench)wurde zum Symbol für Sabotage und zu einem Teil des Logos vonEarth First!

Mittlerweile ist Earth First! nicht nur in den USA vertreten, sondernauch in Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, derTschechischen Republik, Kanada, Australien, Nigeria, Italien,Mexiko, der Slowakischen Republik und auf den Philippinen.

Wir werden in den nächsten Jahren einenQuantensprung der Gewalt erleben, das ist abzusehen.Die Öko-Krieger führen eine Art Guerillakrieg gegen dieMächtigen aus Politik und Wirtschaft. Es ist einGlaubenskrieg, und diejenigen, die ihn führen, sindmoralisch hoch gerüstet. Nach ihrem Verständnis sinddie Aktionen Notwehrmaßnahmen gegen eineblindwütige Konsumgesellschaft, die nichts alsverbrannte Erde hinterlassen wird.

Page 4: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Einer ihrer Helden ist der ehemalige Mathematik-ProfessorTheodore Kaczynski. Kaczynski war Anfang der 1990er-Jahre dermeistgesuchte Terrorist in den USA. Der Anhänger einesnaturzentrierten Anarchismus hatte zwischen 1978 und 1995sechzehn Briefbomben an Universitätsprofessoren undVorstandsmitglieder von Fluggesellschaften verschickt, wodurchdrei Menschen getötet und weitere 23 verletzt wurden. DieÖffentlichkeit kannte ihn unter dem Namen Unabomber (universityand airline bomber), den ihm das FBI verliehen hatte. Im Juni 1995schickte Kaczynski ein 35.000 Wörter langes Manifest mit dem Titel„Industrial Society and Its Future“ (Die industrielle Gesellschaft undihre Zukunft) an die New York Times und die Washington Post mitdem Angebot, die Bombenattentate zu beenden, falls sein Textveröffentlicht würde.

Am 19. September 1995 druckten beide Zeitungen das Manifest,nachdem sich auch Staatsanwälte und FBI dafür ausgesprochenhatten. Das Unabomber-Manifest ist unter folgendem Link imInternet abrufbar: https://www.psychiatrie-erfahrene-schweiz.org/wp-content/uploads/2017/07/Das%20UNA-Bomber%20Manifest%20deutsch.pdf (https://www.psychiatrie-erfahrene-schweiz.org/wp-content/uploads/2017/07/Das%20UNA-Bomber%20Manifest%20deutsch.pdf). Kurz nach derVeröffentlichung verriet Kaczynskis Bruder ihn ans FBI, seitdemsitzt der heute 75-jährige im Gefängnis.

Eine andere Galionsfigur der radikalen Umweltschutzbewegung istPaul Watson, ehemaliges Gründungsmitglied von Greenpeace. DieseUmweltschutzorganisation war ihm aber zu lau, zukompromissbereit. Seit Jahren schippert Watson nun mit seiner„Sea Shephard“ über die Meere und rammt Walfangschiffe. Watson:„Ich vertrete die Menschen, die noch nicht geboren sind und die mitVerachtung auf unsere Generation zurückblicken werden.“

Page 5: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Zu spät. Wir sind nicht zu retten.

In einer Zeit, in der die Erde eher einem Industrie- undVerkehrspark als einem paradiesischen Lebensraum gleicht, könnensolche Botschaften zu Initialzündungen werden. So ist es kein Zufall,dass der ehemalige UN-Mitarbeiter Stéphane Hessel mit seinemTraktat „Empört Euch!“ allein in Frankreich fast drei Millionen Leserfand. Ähnlich erfolgreich war das Buch „10 Milliarden“ von StephenEmmott, Professor in Oxford und Leiter eines von Microsoftaufgebauten Forschungslabors. Zum ersten Mal zeichnete einExperte ein zusammenhängendes, aktuelles und für jedenverständliches Bild unserer Lage. Kein theoretischer Überbau, keinmoralischer Zeigefinger, nur die Fakten, und dieunmissverständliche Botschaft lautete: „Wir sind nicht zu retten“.

Derrick Jensen. Merkt Euch diesen Namen. Jensen – aktuell 57 Jahrealt, ist ein unermüdlicher Prediger des gewaltsamen Widerstands. Inseinem Bestseller „Endgame“ schreibt er: „Gegen die Erde wirdlängst Krieg geführt, und das wir diesen Umstand verleugnen, heißtnicht, dass dieser Krieg nicht stattfindet. In Anbetracht des auf demSpiel stehenden Einsatzes - das Leben auf der Erde - ist es an derZeit, dass auch wir unserem Siegeswillen den Zusatz ‚um jedenPreis’ anhängen. Das ganze kapitalistische System basiert auf Lügen.Solange uns jemand mit Lügen beruhigt, erlauben wir ihm weiterhin,mehr und mehr Land, Luft und Wasser, unser genetisches Materialund alles andere auf diesem Planeten zu kontrollieren. Es istaußerordentlich wichtig, die Zivilisation abzuschaffen. Wenn wirüberhaupt noch etwas retten wollen, dann müssen wir in diesemKampf alles mit einbringen, was wir können.“ Wie das aussehenkönnte, ist in dem Bestseller deutlich nachzulesen.

Anders als noch vor zwanzig Jahren sind viele Menschenheute sehr viel empfänglicher für die radikalenBotschaften, welche die Wortführer des gewaltsamenWiderstands predigen. Das ist einer Entwicklung

Page 6: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

geschuldet, die unseren Kindern und Kindeskindernerkennbar nichts als verbrannte Erde hinterlassen wird.

Der Schriftsteller Michael Ende, Autor von „Die unendlicheGeschichte“, meint dazu: „Immer wieder tauchte nach 1945 dieFrage auf, ob es denkbar sei, dass es je zu einem dritten Weltkriegkommen könne. Ich glaube, wir befinden uns schon mittendrin. Nurbemerkt es offenbar niemand, weil dieser Krieg nicht territorial,sondern zeitlich geführt wird. Wir haben einen erbarmungslosenKrieg gegen unsere eigenen Kinder und Enkel, gegen diekommenden Generationen, entfesselt. Wir werden ihnen eineverwüstete Welt hinterlassen, auf der das Leben für sie sehr schwersein wird. Aber da sie ja nicht zurückschlagen können, fahren wirdamit fort, wir können schon gar nicht mehr anders. UnserGewissen (sofern es nicht ganz zum Schweigen zu bringen ist)beruhigen wir mit der Annahme, dass ihnen schon etwas einfallenwird, um unsere Gemeinheiten wiedergutzumachen.“

Das mag für einen Großteil der „Tätergeneration“ zutreffen, für diewachsende Armee der Empörten und Enttäuschten gilt das nicht.Damit hätte die Politik exakt jenes Problem am Hals, das derZukunftsforscher Robert Jungk 1977 bereits in seinem Buch „DerAtomstaat - Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit“ beschworenhat. Aber die Politik ist vorbereitet. Seit Dezember 1994 liegt derdeutschen Bundesregierung eine interne Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung vor. In ihr heißt es: „Die Kooperation mit denNachrichtendiensten im europäischen oder transatlantischenRahmen muss ausgebaut werden. Außerdem müssen die rechtlichenKompetenzen der Nachrichtendienste und Ermittlungsbehördenneu überdacht werden.“

Demokratien werden zu Diktaturen

Page 7: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Oh ja, und wie sie die rechtlichen Kompetenzen überdacht haben!Um die wirtschaftlichen Interessen zu schützen, sind dieRegierungen der Industriestaaten in einem nicht für möglichgehaltenen Tempo dazu übergegangen, die demokratischenGrundrechte zu beschneiden. In den nächsten Jahren werdenunsere Demokratien schrittweise zu inhaltsleeren Gebildenverkommen, hinter denen sich autoritäre Strukturen verbergen, wiesie so bisher nur in Diktaturen möglich schienen.

Der Physiker, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich vonWeizsäcker (1912-2007) hat das heutige Geschehen auf fastunheimliche Weise vorausgesagt. In seinem Buch „Der bedrohteFriede“ aus dem Jahr 1983 (!) heißt(https://www.youtube.com/watch?v=ws32aV9EHsY) es unteranderem:

1 Die Arbeitslosenzahlen werden weltweit ungeahnte Dimensionenerreichen. Die Löhne werden auf ein noch nie da gewesenesMinimum sinken. Alle Sozialsysteme werden mit dem Bankrott desStaates zusammenbrechen. Rentenzahlungen zuerst. Auslöser isteine globale Wirtschaftskrise ungeheurer Dimension, die vonSpekulanten ausgelöst wird.

2 Circa 20 Jahre nach dem Untergang des Kommunismus werden inDeutschland wieder Menschen verhungern. Einfach so.

3 Die Gefahr von Bürgerkriegen steigt weltweit dramatisch.

4 Um ihre Herrschaft zu sichern, werden diese Eliten frühzeitig dentotalen Überwachungsstaat schaffen, und eine weltweite Diktatureinführen. Die ergebenen Handlanger dieses "Geld-Adels" sindkorrupte Politiker.

5 Zum Zweck der Machterhaltung wird man die Weltbevölkerung aufein Minimum reduzieren. Dies geschieht mittels künstlich erzeugterKrankheiten. Hierbei werden Bio-Waffen als Seuchen deklariert,aber auch mittels gezielten Hungersnöten und Kriegen.

6 Um Rohstoffbesitz und dem eigenen Machterhalt dienend, werdenGroßmächte Kriege mit Atomwaffen und anderenMassenvernichtungswaffen führen.Die Menschheit wird nach dem Niedergang des Kommunismus das

Page 8: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

7 skrupelloseste und menschenverachtendste System erleben, wie esdie Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon"(„Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechenverantwortlich ist, heißt "unkontrollierter Kapitalismus".

Die Betreiber dieses unkontrollierten Kapitalismusbauen seit Jahren an einem gigantischenVerteidigungsbollwerk. Bereits Anfang der 1990er-Jahrewurden in einem von der NATO gebildetentransatlantischen Think Tank neue Militärstrategienentwickelt, um für die Zukunft ordnungspolitischgerüstet zu sein.

Vor dem Hintergrund der klimatischen Umwälzungen undRessourcenkonflikte waren die USA und andere westliche Staatendaran interessiert, sich eine unangreifbare Position zu sichern, nachinnen wie nach außen. Eine der Hauptgefahren, welche dieRegierungen der Industriestaaten ausgemacht hatten, waren die zuerwartenden, dem Klimawandel geschuldetenBevölkerungswanderungen. Auch im Inneren eines Landes.Wasserknappheit, Dürre, Naturkatastrophen – das alles, sovermutete man schon damals, könnte zu chaotischen, jaanarchistischen Zuständen führen, denen nur mit militärischenMitteln begegnet werden kann, wenn ein Rest an Ordnung undsozialer Sicherheit aufrecht erhalten werden soll.

Und da man gerade dabei war, seine Feinde zu verorten, hat derThink Tank den „angeschlossenen“ Regierungen empfohlen, Klima-und Umweltschützer in Zukunft als Terroristen, als sogenannteungesetzliche Kämpfer zu behandeln. Das sollte auch fürMenschenrechtsorganisationen wie Amnesty International gelten.

Wie gesagt, das war nur ein Vorschlag, noch kein Gesetz. ZumGesetz ist es jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, geworden. Dennvor Kurzem hat das EU-Parlament eine „Anti-Terror-Richtlinie“beschlossen. Das im Eilverfahren durchgewunkene Gesetzespaket

Page 9: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

führt neue Tatbestände ein, die terroristische Akte im Keimersticken sollen. Die Richtlinie kann problemlos auf Bereicheausgedehnt werden, die gemeinhin nicht als Terrorismus gelten –etwa öffentlichkeitswirksame Proteste von Polit- und Ökoaktivistenoder Reisen, die als „zu terroristischen Zwecken“ fehlinterpretiertwerden könnten. Zudem räumt die Richtlinie den EU-Mitgliedstaaten unter anderem die Möglichkeit ein, Netzsperren zuerrichten. Selbst die zeitweilige Lahmlegung einer Webseite mittelseiner DDoS-Attacke steht künftig unter Terrorverdacht.

Der Drops ist gelutscht

Wie lange können und wollen wir diese Art von Staatsterrorismus(Helmut Schmidt!) noch hinnehmen? Vermutlich noch sehr lange.Der Drops, liebe Freunde, ist eigentlich längst gelutscht. Dennunsere Begrenzungen haben wir von klein auf an eingetrichtertbekommen, wie der vor zwei Jahren verstorbene Physiker ErnstSenkowski schrieb: „Dieses System hat eine maßlose Trägheit insich, weil wir es immer wieder reproduzieren, wir erziehen unsereKinder immer wieder in dieses System hinein. Die Ansätze, die wirmachen, um unser System an den Grenzen zu erweitern, kranken anfolgendem: Ich kann aus einem begrenzten System nur sehr schwerin ein breiteres oder weiteres System wechseln. Man muss sich daswie einen Trichter vorstellen. Oben ist das erweiterte System undunten sitzen wir. Jetzt wird oben ein Bündel Heu hinein geworfenund bei uns landet allenfalls ein dünner Strohhalm. Ein großerErkenntnisgewinn ist das nicht. Damit werden wir noch eine Weileleben müssen.“ So viel zu den Gründen der allgemeinenBewusstlosigkeit.

Sie werden siegen. Sie werden siegen, bis sie alles vordie Wand gefahren haben. Der gewaltsame Kampfgegen ihr System wird daran nichts ändern. Also solltenwir uns auf das besinnen, was wir steuern können: uns

Page 10: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

selbst.

Neulich habe ich ein sehr beeindruckendes Statement von PeterHandke gelesen, den ich sehr verehre: „Irgendwann,“ so sagt er,„habe ich beschlossen, dass alles fremd ist und alles neu ist und allesunentdeckt. Und das hilft mir auf die Sprünge. Es ist noch nichtserzählt.“

Genau. Waschen wir uns den Dreck von der Seele, den wir in dieserruhig gestellten Gesellschaft angesammelt haben. Machen wir unsimmer wieder klar, dass wir hier nur zu Gast sind, dass es Millionenvon Parallelwelten auf diesem Globus gibt, sowohl in der Tier- alsauch in der Pflanzenwelt. Und dass jede dieser Welten in einemeigenen Gefühlskosmos lebt und mit einem ureigenenKommunikationssystem ausgestattet ist. Entwickeln wir Respekt fürunsere Mitbewohner auf der Erde. Öffnen wir unsere Herzen fürdas Mysterium der Schöpfung, von denen die Betreiber desseelenlosen Killer-Systems nicht die geringste Ahnung haben.Verschwenden wir unsere Energien nicht in einem aussichtslosenKampf, in dem die Gewalt eine letzte Option ist. Auf diese Weisewerden wir nie gewinnen. Arbeiten wir an uns selbst, seien wir unswichtig, jeder Einzelne, und sehen wir zu, dass wir die Personen inunserem unmittelbaren Umfeld aus ihrer Bewusstlosigkeit reißen,machen wir sie vertraut mit sensiblen, mitfühlenden Menschen. Dasist die einzige Chance, die Gesellschaft von Grund auf zu verändern.Eine andere haben wir nicht.

Die Vision der Donella Meadows

Zum Schluss noch ein Zitat von der wunderbaren US-amerikanischen Umweltwissenschaftlerin und Autorin DonellaMeadows (1941–2001), die die Bewegung für eine nachhaltigeZukunft wie kaum eine andere geprägt hat:

Page 11: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

„Ich habe eine Vision. Es ist die Vision einer Welt, in der die Menschen

langsamer leben und arbeiten und mehr Zeit für die wichtigen Dinge

des Lebens haben: für Kinder, Familie, Natur, für Stille und

Spiritualität. Jeder hat genug, es gibt keine Armut und auch keinen

absurden Überfluss. Ich sehe eine Welt mit Zeit und Raum für

Einfachheit, mit schöner Technologie und elegantem Design. Es wird

viel weniger Reisen geben, weil jeder schon dort ist, wo er sein will. Ich

sehe eine Welt vor mir, in der wir keine hässlichen Orte mehr

erschaffen und wissen, wie man in guter Nachbarschaft

gemeinschaftlich lebt. Es wird eine produktive Welt sein mit guter

Arbeit, die die Menschen seelisch erfüllt, weil sie Qualitätsprodukte

herstellen, die wirklich gebraucht werden statt Kram, den eigentlich

niemand braucht. Ich sehe große Mengen an Wissen. Und ich habe die

Vision von einer echten Demokratie: Menschen, die sich um die Art

und Weise kümmern, wie sie regiert werden und gut informiert sind.“

Page 12: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Dirk C. Fleck, Jahrgang 1943, studierte an der DeutschenJournalistenschule in München, volontierte beimSpandauer Volksblatt in Berlin, kreierte dort mit dem„Magazin“ die erste Wochenendbeilage einer deutschen

Page 13: Mittwoch, 11. Oktober 2017, 12:52 Uhr Es gibt nichts mehr ... · die Menschheit noch niemals zuvorerlebt hat, ihr "Armageddon" („Endkampf"). Das System, welches für diese Verbrechen

Tageszeitung, war Lokalchef der HamburgerMorgenpost, sowie Redakteur bei Tempo, Merian undDie Woche. Er arbeitete als regelmäßiger Kolumnist fürDie Welt und die Berliner Morgenpost und war für denStern, den Spiegel und Geo als Autor tätig. Seit dem Jahr2000 widmet sich Fleck ausschließlich seinerschriftstellerischen Tätigkeit. Für seine Romane „GO! —Die Ökodiktatur “ und „Das Tahiti Projekt“ erhielt er denrenommierten Deutschen Science Fiction Preis. FlecksHauptthema ist der drohende ökologische Kollaps unddie Neuordnung der globalen Zivilgesellschaft. Eine Zeitlang schrieb er darüber hinaus Artikel für den Rubikon.

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung -Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International(https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de)) lizenziert.Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten undvervielfältigen.