12
MNU Journal Ausgabe 1.2016 1 Herausgeber Prof. Dr. BERND RALLE Kebbestraße 29 44267 Dortmund Tel. 0231 4755867 dienstl.: TU Dortmund Fak. Chemie und Chemische Biologie 44221 Dortmund [email protected] Mathematik Prof. Dr. SEBASTIAN KUNTZE PH Ludwigsburg Institut für Mathematik und Informatik Reuteallee 46 71634 Ludwigsburg Tel. 07141 140826 [email protected] StD MICHAEL RÜSING Palmbuschweg 47 45326 Essen Tel. 0201 368827 [email protected] Physik Dr. JÖRN GERDES Annette-Kolb-Straße 19 28215 Bremen Tel. 0421 393080 [email protected] Prof. Dr. HEIKE THEYSSEN Universität Duisburg-Essen Fak. Physik, Didaktik der Physik 45117 Essen Tel. 0201 183-3338 [email protected] Chemie OStR WOLFGANG KIRSCH Irgentalweg 20a 66119 Saarbrücken Tel. 0681 853265 [email protected] Prof. Dr. INSA MELLE TU Dortmund Fak. Chemie und Chemische Biologie 44221 Dortmund Tel. 0231 7552933 [email protected] Biologie Prof. Dr. DITTMAR GRAF Institut für Biologiedidaktik Universität Gießen Karl-Glöckner-Straße 21 c 35394 Gießen [email protected] Dr. CHRISTIANE HÖGERMANN Blumenhaller Weg 26 49078 Osnabrück [email protected] MNU-Standpunkt 03 JÜRGEN LANGLET Von Mitgliedern für Mitglieder! Aus Bildung und Wissenschaft 04 NORBERT PÜTZ NINA STRUSKA ANNA SCHMITTWILKEN »Das ist doch nur ein Nebenfach!« 09 CHRISTINE FLORIAN PHILIPP SCHMIEMANN ANGELA SANDMANN Abituraufgaben in Biologie Schulpraxis 14 GERD RIEHL Ein geometrisches Paradoxon 18 WOLFGANG ALVERMANN Ein Biegeproblem aus der Praxis 21 HEINZ SCHUMANN Polyeder-Metamorphosen konstruieren und animieren 26 ALEXANDER PUSCH Schützensche auf ungewöhnlicher Jagd 30 STEPHAN MATUSSEK Lab in a drop Teil 2 39 MATTHIAS P. MÜLLER Legionellen von Bakterien lernen 43 I NGOLF VÖLKER Zugeogen was tun? Experimentiervorschläge 47 KLAUS G. SCHRÖDER Eintauchen Zur Diskussion gestellt 51 GOTTFRIED MERZYN Das Unterrichtsgespräch Eigenschaften, Probleme, Mängel Aktuelles aus dem Förderverein 57 Zur Dauer der zweiten Phase der Lehramtsausbildung Physik-Bildungsstandards nach elf Jahren im Praxistest Eintritte in MNU 60 Aus den Landesverbänden Informationen/Tagungen 66 Querdenker Roundtable Science on Stage MINT Nachwuchsbarometer 2015 ITAFORUM 2015 in Berlin 68 Aufgaben Besprechungen 70 Zeitschriften Physik 72 Vorschau 125 JAHRE MNU WIR FEIERN. Inhalt

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016 − 1 −

HerausgeberProf. Dr. BERND RALLEKebbestraße 2944267 DortmundTel. 0231 4755867

dienstl.:TU DortmundFak. Chemie und Chemische Biologie44221 [email protected]

MathematikProf. Dr. SEBASTIAN KUNTZEPH LudwigsburgInstitut für Mathematik und InformatikReuteallee 4671634 LudwigsburgTel. 07141 [email protected]

StD MICHAEL RÜSINGPalmbuschweg 4745326 EssenTel. 0201 [email protected]

PhysikDr. JÖRN GERDESAnnette-Kolb-Straße 1928215 BremenTel. 0421 [email protected]

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BiologieProf. Dr. DITTMAR GRAFInstitut für BiologiedidaktikUniversität GießenKarl-Glöckner-Straße 21 c35394 Gieß[email protected]

Dr. CHRISTIANE HÖGERMANNBlumenhaller Weg 2649078 Osnabrü[email protected]

MNU-Standpunkt 03 JÜRGEN LANGLET

Von Mitgliedern für Mitglieder!

Aus Bildung und Wissenschaft 04 NORBERT PÜTZ − NINA STRUSKA − ANNA SCHMITTWILKEN

»Das ist doch nur ein Nebenfach!«

09 CHRISTINE FLORIAN − PHILIPP SCHMIEMANN − ANGELA SANDMANN

Abituraufgaben in Biologie

Schulpraxis 14 GERD RIEHL

Ein geometrisches Paradoxon

18 WOLFGANG ALVERMANN

Ein Biegeproblem aus der Praxis

21 HEINZ SCHUMANN

Polyeder-Metamorphosen konstruieren und animieren

26 ALEXANDER PUSCH

Schützenfi sche auf ungewöhnlicher Jagd

30 STEPHAN MATUSSEK

Lab in a drop − Teil 2

39 MATTHIAS P. MÜLLER

Legionellen − von Bakterien lernen

43 INGOLF VÖLKER

Zugefl ogen − was tun?

Experimentiervorschläge 47 KLAUS G. SCHRÖDER

Eintauchen

Zur Diskussion gestellt 51 GOTTFRIED MERZYN

Das Unterrichtsgespräch − Eigenschaften, Probleme, Mängel

Aktuelles aus dem Förderverein 57 Zur Dauer der zweiten Phase der Lehramtsausbildung −

Physik-Bildungsstandards nach elf Jahren im Praxistest − Eintritte in MNU

60 Aus den Landesverbänden

Informationen/Tagungen 66 Querdenker Roundtable − Science on Stage −

MINT Nachwuchsbarometer 2015 − ITAFORUM 2015 in Berlin

68 Aufgaben

Besprechungen 70 Zeitschriften Physik

72 Vorschau 125 JAHRE MNU − WIR FEIERN.

Inhalt

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016− 4 −

Aus Bildung und Wissenschaft

»Das ist doch nur ein Nebenfach!«

NORBERT PÜTZ − NINA STRUSKA − ANNA SCHMITTWILKEN

Für die Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik sowie die Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik gelten die Bildungsstandards der KMK (Kultusministerkonferenz, 2004a, b, c; 2005a, b, c). Offensichtlich sieht die politische Ebene, neben sprachlichen und mathematischen, auch naturwissenschaftliche Kenntnisse für Schüler/innen als wichtig an. Unser Beitrag zeigt allerdings, dass bei den Schüler/innen selbst eine Hierarchisierung der Schulfächer gemäß der wahrgenomme-nen Wichtigkeit feststellbar ist. Es muss daher diskutiert werden, welche Konsequenzen aus dem »Hauptfach-Nebenfach-Syndrom« resultieren.

1 Einführung

Aus der eigenen Schulzeit, dem eigenen Beruf, aber auch von den eigenen Kindern ist es nicht unbekannt, dass zwischen Haupt- und Nebenfächern differenziert wird (TENORTH, 1999). Was bedeutet Haupt- bzw. Nebenfach? Nach intensiven Recher-chen lautet die ernüchternde Antwort: Es ist keine offi zielle Defi nition zu fi nden! In den verschiedenen Kerncurricula wird lediglich an einigen Stellen von »Kernfächern« gesprochen. Ein-zig im Duden Online wird erwähnt, dass Hauptfächer wichtige Schulfächer (Duden online, o. J.) und Nebenfächer von unter-geordneter Bedeutung (Duden online, o. J.) sind.

Ist die Kategorisierung in Haupt- und Nebenfächer vielleicht nur ein subjektives Hirngespinst? Oder unterscheiden Schüler/innen tatsächlich zwischen wichtigen und unwichtigen Fächern, also zwischen Haupt- und Nebenfächern?

Im Juni 2013 führte eine Studentin der Universität Vechta dies-bezüglich eine Pilot-Umfrage in den Städten Wesel, Krefeld und Oldenburg durch. Es sollte herausgefunden werden, ob Schü-ler/innen zwischen Haupt- und Nebenfächern unterscheiden. An der Befragung nahmen insgesamt 100 Schüler/innen der sechsten bis neunten Jahrgangsstufe aus fünf verschiedenen allgemeinbildenden Schulen teil, denen u. a. die Frage gestellt wurde: »Unabhängig von deinen persönlichen Lieblingsfächern: Gibt es in der Schule Fächer, die wichtiger sind als andere?« 82 % der befragten Schüler/innen bejahten diese Frage. Auf die Nachfrage, welche Fächer wichtiger seien (Mehrfachnennungen waren möglich), wurden am häufi gsten die Fächer Mathematik und Englisch (jeweils 71 %) und dann das Fach Deutsch (56 %) genannt. Danach folgte das Fach Französisch (9 %). Weiterhin wurde nachgefragt, warum die genannten Fächer wichtiger sind als andere. Eine der häufi gsten Antworten (31 %) lautete: »Es ist ein Hauptfach!« (PÜTZ, 2015). Diese Antworten scheinen zu bestätigen, dass Schüler/innen ihre Fächer kategorisieren und die so genannten Hauptfächer wichtiger sind.

2 Ergebnisse einer Schülerbefragung

Da eine derartige Kategorisierung der Naturwissenschaften als »unwichtige« Nebenfächer eine grundlegende Bedeutung für

den Schulalltag hätte (siehe Punkt 4), wurden auf der Grund-lage der Pilot-Umfrage Ende 2013 zwei quantitative Studien in Niedersachen und Nordrhein-Westfalen durchgeführt (SCHMITT-WILKEN, 2014; STRUSKA, 2014). Es wurden insgesamt 606 Schüler/innen der Sekundarstufe I (Gymnasium, Haupt- und Realschule) mittels Fragebogen zu ihren Unterrichtsfächern befragt. Der anonymisierte Fragebogen beinhaltete u. a. die Kategorien: Lieblingsfächer, Wichtigkeit der Fächer und investierte Zeit für die Schulfächer. Die Einstellung der Schüler/innen wur-de mithilfe einer vierstufi gen Likert-Skala erfasst, indem die Schüler/innen die 14 vorgegebenen Fächer, die alphabetisch angeordnet waren, in der Kategorie Wichtigkeit beispielswei-se mit »besonders wichtig«, »wichtig«, »weniger wichtig« und »unwichtig« bewerten konnten. Die Beantwortung der Fragen erfolgte nach ihrem subjektiven Empfi nden.

Einleitend haben wir die 606 Schüler/innen nach ihren Lieb-lingsfächern befragt. Uns ging es hierbei nicht darum, eine sta-tistisch abgesicherte Hierarchisierung der Schulfächer entspre-chend der Beliebtheit zu erstellen. Hier sei auf weiterführende Literatur verwiesen, beispielsweise von FRUBÖSE (2010) oder HAAG & GÖTZ (2010). Die einleitende Frage sollte verdeutlichen, dass Schüler/innen zwischen der ›Beliebtheit‹ eines Faches und seiner ›Wichtigkeit‹ unterscheiden können. Die Schüler/innen konnten die aufgelisteten Fächer in Bezug auf das Lieblings-fach wie folgt bewerten: 4 = mag ich sehr gerne, 3 = mag ich, 2 = mag ich nicht, 1 = mag ich gar nicht. Bei den Probanden kristallisierten sich insbesondere drei Lieblingsfächer heraus: Sport (Mittelwert = 3,56), Musik (Mittelwert = 3,09) und Kunst (Mittelwert = 3,07). Alle anderen Fächer fi elen in ihrer Beliebt-heit ab.

Schauen wir auf die Fächer mit Bildungsstandards, also auf die sogenannten Hauptfächer Deutsch (Mittelwert = 2,71), Englisch (Mittelwert = 2,81) und Mathematik (Mittelwert = 2,76), sowie die naturwissenschaftlichen Fächer Biologie (Mittelwert = 2,76), Chemie (Mittelwert = 2,67) und Physik (Mittelwert = 2,40), so sind die Mittelwerte − mit Ausnahme des Faches Physik − un-tereinander relativ ähnlich. Ganz am Rande sei bemerkt, dass uns das Ergebnis für die Biologie überrascht hat. Immerhin wird dem Fach nachgesagt, ein Lieblingsfach bei Schüler/innen zu sein (vgl. BERCK 2005). Die Ergebnisse unserer Befragung kön-nen das für die Sekundarstufe I nicht wirklich bestätigen.

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016 − 9 −

Abituraufgaben in BiologieEinfl uss von Materialmenge und Themenwahl auf die Schwierigkeit

CHRISTINE FLORIAN − PHILIPP SCHMIEMANN − ANGELA SANDMANN

Zentral gestellten Abituraufgaben wird eine besondere Funktion bei der Qualitätsentwicklung des Bildungssystems zuge-schrieben. Schließlich sollen angemessenes Anforderungsniveau, Vergleichbarkeit sowie Transparenz gesichert werden. Zen-tral gestellte Abituraufgaben stehen deswegen häufi g im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses. Ungeklärte Diskurse über die Qualität von Abituraufgaben im Fach Biologie der Vergangenheit beziehen sich unter anderem auf den Umfang des Materials und auf die Vergleichbarkeit der Themenbereiche. Vor diesem Hintergrund wurden Abituraufgaben im Fach Biologie aus NRW bezüglich der Wirkung von Materialien und Themenbereichen auf die Schwierigkeit der Abiturprüfung un-tersucht und mit möglichen Erwartungen verglichen.

1 Einleitung

Abituraufgaben werden im Fach Biologie mittlerweile in den meisten Bundesländern1 zentral gestellt (ACKEREN, 2007). Da-mit ist eine bildungspolitische Steuerungsfunktion verbunden (GILBERT & RICHTER, 2004), da die Anforderungen zentraler Abituraufgaben z. B. einen Orientierungsmaßstab für die Abi-turvorbereitung bereitstellen und für Transparenz, Vergleich-barkeit und Entwicklungsfähigkeit im Hinblick auf erwartete fachspezifi sche Fähigkeiten am Ende der Schullaufbahn sorgen (HELMKE & HOSENFELD, 2004). Transparenz, Vergleichbarkeit und Entwicklungsfähigkeit sind hier insbesondere deshalb von über-geordneter Bedeutung, weil der Erwerb der allgemeinen Hoch-schulreife die wesentliche Zugangsvoraussetzung für bestimm-te Ausbildungs- und Beschäftigungschancen ist (KLEMM, 1998).

Die Gestaltung von Abituraufgaben ist unabhängig vom je-weiligen Bundesland durch die Vorgaben der Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung im Fach Biologie (EPA-Biologie) geregelt (KMK, 2008). Dort werden beispielswei-se zulässige Aufgabenarten, Themenbereiche oder Vorgaben über die zulässigen Operatoren aufgeführt (KMK, 2004). Die Abituraufgaben verschiedener Bundesländer, die insgesamt den Vorgaben der EPA-Biologie genügen, können sich dennoch stark unterscheiden, z. B. hinsichtlich der Verteilung der Themenbe-reiche oder Art der Materialbezüge in den Aufgabenstellungen (KÜHN, 2011). Unklar ist, inwieweit sich solche Unterschiede auf die Vergleichbarkeit von Abiturprüfungen auswirken. Ein In-dikator hierfür kann zum Beispiel die Schwierigkeit der Aufga-ben sein. Wissen über die Schwierigkeit bestimmter Merkmale von Abituraufgaben ist besonders relevant für die Unterrichts-praxis. Für den Unterricht bedeutet es z. B. eine Rückmeldung darüber, welche Anforderungen besonders intensiv geübt wer-den können. Für Aufgabenentwickler bedeutet es z. B. eine Rückmeldung darüber, welche Eigenschaften genau schwierige bzw. leichte Anforderungen im Abitur charakterisieren und er-möglicht so die gezielte Steuerung der Schwierigkeit bei der

zukünftigen Abituraufgabenentwicklung (vgl. z. B. SCHMIEMANN, 2013). Grundlage einer Schwierigkeitsanalyse ist eine detaillierte Be-trachtung verschiedener Merkmale von Abituraufgaben und der damit verbundenen Schwierigkeit. Im Folgenden werden am Beispiel zentraler Abituraufgaben im Leistungskurs Biologie aus Nordrhein-Westfalen die Aspekte Material und Themenbereiche näher betrachtet.

2 Material, Vorgaben und Erwartungen in NRW

Für die Abiturprüfung im Fach Biologie ist die materialgestütz-te Aufgabenart charakteristisch (KMK, 2004, KÜHN, 2011). Die konkreten Anforderungen ergeben sich im Allgemeinen gemein-sam aus den Aufgabenstellungen und den Materialien (KMK, 2004), wobei auch vereinzelt Anforderungen vorkommen, bei denen die Reproduktion von Fachwissen ohne Material gefragt ist (KÜHN, 2011). In NRW werden Aufgabenstellungen und Mate-rial separat gereicht und der Materialbezug durch explizite Ma-terialverweise in den Aufgabenstellungen hergestellt (BRIXIUS, JANNAN & KUNZE, 2012). Das Material der Abituraufgaben selbst ist aus verschiedenen Darstellungsformen wie Abbildungen, Di-agrammen, Tabellen und Texten zusammengesetzt.

Gerade nach dem Wechsel von der dezentralen zur zentralen Abiturprüfung im Fach Biologie im Jahr 2007 wurde das Materi-al der Abituraufgaben in NRW kontrovers diskutiert. Beispiels-weise antwortet eine Lehrkraft im Interview auf die Frage, was den Abiturienten nach dem Wechsel besonders schwer gefal-len sei: »Die ungewohnte Material-Fülle! Wir waren alle nicht auf so viel verschiedenes Material eingerichtet« (Lehrkraft I, 05.12.2008). Hier stellt sich die Frage, ob die wahrgenomme-ne Materialfülle Auswirkungen auf den Bearbeitungserfolg der Abiturienten in NRW hat. Aus theoretischer Perspektive sind positive wie negative Effekte der Materialmenge begründbar: Werden zu hohe kognitive Anforderungen an die Informations-

Aus Bildung und Wissenschaft

1 Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein prüfen im Fach Biologie dezentral (Stand: Juli 2014).

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016− 14 −

Schulpraxis

FLORIAN, C., SANDMANN, A. & SCHMIEMANN, P. (2014). Modellierung kognitiver Anforderungen schriftlicher Abituraufgaben im Fach Biologie. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 20(1), 175−189. doi:10.1007/s40573-014-0018-0.

FLORIAN, C., SUNDERMANN, L. & SANDMANN, A. (im Druck). Kogni-tive Anforderungsprofi le schriftlicher Abituraufgaben verschie-dener Themenbereiche aus elf Bundesländern. In: M. HAMMANN, J. MAYER & N. WELLNITZ (Hg.): Lehr- und Lernforschung in der Biologiedidaktik. Theorie − Empirie − Praxis, Innsbruck: Studienverlag.

GILBERT, P. & RICHTER, R. (2004). Einheitliche Prüfungsanforde-rungen (EPA) für das Fach Biologie. MNU, 57(3), 173−176.

HELMKE, A. & HOSENFELD, I. (2004). Vergleichsarbeiten − Stan-dards − Kompetenzstufen: Begriffl iche Klärung und Perspekti-ven. In: M. WOSNITZA, A. FREY & R. S. JÄGER (Hg.): Lernprozess, Lernumgebung und Lerndiagnostik, Landau: Empirische Pädagogik, 56−75.

KAUERTZ, A., FISCHER, H. E., MAYER, J., SUMFLETH, E. & WALPUSKI, M. (2010). Standardbezogene Kompetenzmodellierung in den Naturwissenschaften der Sekundarstufe I. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften, 16, 135−153.

KELAVA, A. & MOOSBRUGGER, H. (2007). Deskriptivstatistische Evaluation von Items und Testwertverteilungen. In: H. MOOS-BRUGGER & A. KELAVA (Hg.): Testtheorie und Fragebogenkons-truktion, Berlin: Springer, 74−98.

KLEMM, K. (1998). Steuerung der Schulentwicklung durch zentrale Leistungskontrollen? In: H. G. ROLFF, K.-O. BAUER, K. KLEMM & H. PFEIFFER (Hg.): Jahrbuch der Schulentwicklung. Daten, Beispiele und Perspektiven, Weinheim: Juventa, 271−294.

KLIEME, E. (2000). Fachleistungen im voruniversitären Mathe-matik- und Physikunterricht In: J. BAUMERT, W. BOS & R. H. LEH-MANN (Hg.): TIMSS/III: Band 2. Mathematische und naturwis-senschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn, Opladen: Leske + Budrich, 57−128.

KMK (2004). Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abi-turprüfung − Biologie. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 01.12.1989 i. d. F. vom 05.02.2004.

KMK (2008). Vereinbarung über Einheitliche Prüfungsanforde-rungen in der Abiturprüfung. Beschluss der Kultusministerkon-ferenz vom 01.06.1979 i. d. F. vom 24.10.2008.

KÜHN, S. M. (2011). Weiterentwicklung der Aufgabenkultur im naturwissenschaftlichen Unterricht der gymnasialen Oberstufe und im Abitur. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaf-ten, 17, 35−55; 0,8 MB.

MAYER, J. (2007). Erkenntnisgewinnung als wissenschaftliches Problemlösen. In: D. KRÜGER & H. VOGT (Hg.): Theorien in der biologiedidaktischen Forschung. Berlin: Springer, 177−186.

PRENZEL, M., HÄUSSLER, P., ROST, J. & SENKBEIL, M. (2002). Der PISA-Naturwissenschaftstest: Lassen sich die Aufgaben-schwierigkeiten vorhersagen? Unterrichtswissenschaft, 30(1), 120−135.

RENKL, A. (1996). Vorwissen und Schulleistung. In: J. MÖLLER & O. KÖLLER (Hg.): Emotionen, Kognitionen und Schulleistung, Weinheim: Beltz, 175−186.

SCHMIEMANN, P. (2013). Testkonstruktion und Bedingungsfakto-ren der Aufgabenschwierigkeit bei Leistungstests. In: M. WILDE, W. BASTEN, S. FRIES, B. GRÖBEN, I. MEYER-AHRENS & C. KLEINDIENST-CACHAY (Hg.): Forschen für den Unterricht. Baltmannsweiler-Hohengehren: Schneider, 105−119.

SWELLER, J. (1994). Cognitive load theory, learning difficul-ty, and instructional design. Learning and Instruction, 4(4), 295−312.

Dr. CHRISTINE FLORIAN, christine.fl [email protected], Didaktik der Biologie, Universitätsstraße 2, 45141 Essen; Prof. Dr. PHILIPP SCHMIEMANN, Didaktik der Biologie, Universitätsstraße 2, 45141 Es-sen ; Prof. Dr. ANGELA SANDMANN, Didaktik der Biologie, Universi-tätsstraße 2, 45141 Essen gc

Ein geometrisches Paradoxon

GERD RIEHL

Eine scheinbar routinemäßig lösbare Aufgabe aus einem Oberstufen-Lehrbuch und ihre dort angegebene (falsche) Lösung führen zu einem geometrischen Paradoxon. Wir zeigen, wie man dieses mit Mitteln der Geometrie aufl ösen und den im ursprünglichen Lösungsweg aufgetretenen Fehler vermeiden kann. Die Aufgabe gibt darüber hinaus Anlass zu einigen metho-dischen Überlegungen zu Schrägbildern.

S. I + II

S. I S. II

MATHEMATIK

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016− 18 −

Abb. 6. Schrägbild der Pyramide OPQT

5 Schlussbemerkung

Dieser Beitrag möchte dazu anregen, die Vektorgeometrie stär-ker zu betonen als es im Unterricht (und in den Lehrbüchern)

derzeit die Regel ist, wo der geometrische Aspekt gegenüber der Vektorrechnung meist stark in den Hintergrund tritt. Standard-aufgaben wie die Untersuchung von Lagebeziehungen zwischen Geraden werden nach eingeübten Verfahren »blind« gelöst, ohne zeichnerische Überprüfung, wie sie doch mit Grund- und Aufriss des Geradenpaars auf einfachste Weise möglich ist; ge-fordert ist dann auch die korrekte (verbale) Interpretation der Zeichnung und ein Vergleich mit dem rechnerischen Ergebnis.

Im Hinblick auf die in Abschnitt 4 thematisierten Probleme soll-te man im Unterricht auch darauf eingehen, dass die Benutzung von zwei Bildern einen Gewinn an Information mit sich bringt, die senkrechte Projektion aber mit einem Verlust an Anschau-lichkeit verbunden ist.

Literatur

LAMBACHER-SCHWEIZER (2009): Mathematik für Gymnasien, Gesamtband Oberstufe − Ausgabe Niedersachsen. Stuttgart: Klett.

GERD RIEHL,Obere Mark 6, 30890 Barsinghausen;[email protected]. gc

Schulpraxis

Ein Biegeproblem aus der Praxis

WOLFGANG ALVERMANN

Das niedersächsische Kerncurriculum von 2009 sieht vor, dass in der gymnasialen Oberstufe von Berufl ichen Gymnasien be-rufsbezogene Aufgaben behandelt werden müssen. In diesem Aufsatz wird ein reales Problem aus der industriellen Fertigung dargelegt und gezeigt, dass dieses mit Mitteln der Schulmathematik lösbar ist. Benötigt werden räumliches Vorstellungsver-mögen und Methoden der Vektorgeometrie.

1 Der betriebliche Auftrag

Der Behälterbau eines Metall verarbeitenden kleinen Industrie-betriebes hat die Aufgabe, einen »Hohlkörper« in Form eines halben Pyramidenstumpfes zu fertigen.

Dieses Teil soll aus Starkblech (Abb. 1) mit einer Dicke von t = 50 mm hergestellt werden. Dabei soll das Blech entlang der Kanten BG bzw. CF so gebogen werden, dass die Kanten AB und BC bzw. BC und CD senkrecht zueinander stehen. Um Metall vor Korrosion zu schützen, wird es vielfach verzinkt. Dieses Teil dient als Aufsatz für Zinkwannen, da das Metall beim Eintau-chen in ein Zinkbad zu schäumen beginnt; diesen Schaum fan-gen die Schrägen des Bauteils auf.

2 Das Problem

Die Fachschule Technik in Teilzeitform der BBS II Emden be-schult Studierende neben ihrer berufl ichen Tätigkeit an zwei Abenden in der Woche und am Samstagvormittag, insgesamt 14 h/Woche. Ein Studierender brachte das Problem mit in den Unterricht, weil seine Firma schon mehrere Fehlversuche pro-duziert hatte. Kantet man nämlich mit 90°, so entsteht das Ergebnis aus Abbildung 2.Das Ergebnis wird nur unwesentlich besser, wenn man den Win-kel schrittweise verkleinert, also nur probiert. Ein Fehlversuch wird den Betrieb bei der Größe des Bauteils (Breite ≈ 2,7 m, Masse ≈ 500 kg) und den erforderlichen Vorarbeiten ca. 2000 € kosten.

S. I + II

S. I S. II

MATHEMATIK

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016 − 21 −

Schulpraxis

Polyeder-Metamorphosen konstruierenund animieren

HEINZ SCHUMANN

Der Beitrag beschäftigt sich mit besonderen Körper-Metamorphosen, nämlich denen von Polyedern. Neben der erkenntnis-bildenden Bedeutung haben die Polyeder-Metamorphosen eine attraktive ästhetische Wirkung, die in ihren Animationen zur Entfaltung kommt. Darüber hinaus fördert das Beobachten, Analysieren und Erstellen solcher Animationen das räumliche Vorstellungsvermögen. − Als eine Anwendung raumgeometrischen Konstruierens und Animierens mittels Dynamischer Raum-geometrie-Systeme, welche zugelassene Unterrichtssoftware sind, bietet das formenkundliche Thema »Polyeder-Metamor-phosen« ein interessantes und herausforderndes Arbeitsfeld für Schüler und Schülerinnen der oberen Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II. Das außerunterrichtliche Thema eignet sich u. a. für die Projektarbeit, für Arbeitsgemeinschaften und für individuelle Schülerarbeiten.

1 Didaktische Analyse

Der Raumgeometrie-Unterricht an allgemeinbildenden Schu-len ist vor allem geprägt von Berechnungen an geometrischen Körpern als eine Anwendung von Formelwissen und numerisch-algebraischen Verfahren. Die Formenkunde stellt dafür einen bescheidenen Vorrat an solchen Körpern zur Verfügung. Sie hat dabei eher die Funktion einer »dienenden Magd« als die der Entwicklung einer Formen-Systematik raumgeometrischer Fi-guren (u. a. SCHUMANN, 2009).Ein Aspekt einer solchen Entwicklung sind die Verwandlungen bzw. Metamorphosen und die damit verbundenen Verwandt-schaften geometrischer Körper. Hier wird unter der Metamor-phose einer geometrischen Figur eine ihre Form variierende, nicht nur stetig verlaufende Verwandlung dieser Figur in eine neue Figur verstanden.

Das Lernen von Geometrie vollzieht sich an und mit adäquaten Realisaten geometrischer Figuren in physischer, handzeichne-rischer, printmedialer und computergrafi scher Darstellung. Mit der Verfügbarkeit von Dynamischen Geometrie-Systemen (DGS) und − seit etwa zehn Jahren − von Dynamischen Raumgeome-trie-Systemen (DRGS) für den Geometrie-Unterricht besteht die Möglichkeit der interaktiven computergrafi schen Konstruk-tion und dynamischen Variation geometrischer Figuren. Diese Darstellung geometrischer Figuren ist besonders für ihre Meta-morphosen geeignet. Dabei kann das Primat physischer Primär-erfahrung beim Raumgeometrie-Lernen nicht mehr aufrechter-halten werden. Viele Themen der Raumgeometrie und auch das Thema »Polyeder-Metamorphosen« (u. a. ZIEGLER, 2012), kön-nen überhaupt erst durch die Verwendung von DRGS, also ohne Grafi kprogrammierung, zugänglich gemacht werden (SCHUMANN, 2007 u. 2008). Dabei sind die Erfahrungen beim Agieren in den virtuellen Räumen der 3D-Computerspiele, welche von vielen Schülern und Schülerinnen heute gespielt werden, bei der Nut-zung eines DRGS von Vorteil.

Es existieren bereits ihren Verlauf wiedergebende Polyeder-Metamorphosen in Gestalt von fertigen Animationsvideos:

• als Export aus spezifi schen Polyeder-Tools (z. B. GreatStella, http://great-stella.en.softonic.com/, auch als App MoStella),

• als YouTube-Videos (z. B. https://www.youtube.com/watch?v=tzBN0Kr1Xes),

• auf Websites (z. B. http://www.math.uni-augsburg.de/~bernt/Archimedes/Stumpf-Stutz-Morph/index.html#imago),

• auf DVDs (Lernmaterial, z. B. SCHUMANN, 2006).

Diese Videos zeigen als »Black-Box-Videos« zwar den Verwand-lungsverlauf, aber nicht den Herstellungsprozess der Generie-rung einer Metamorphose. Eine eigene Herstellung im Kontext der Schulgeometrie wäre realisierbar mittels computergrafi scher Programmierung, z. B. mit POV-Ray. Nachdem das Programmier-Paradigma im Mathematikunterricht allgemeinbildender Schulen aber kaum noch eine Rolle spielt, wird hier die einfachere, auf das synthetisch-geometrische Verstehen zielende Erzeugung mittels interaktiver Konstruktion und Animation in DRGS gewählt. Der Erwerb der DRGS-Konstruktionsfähigkeit und -fertigkeiten kann durch geeignete Instruktionsvideos unterstützt werden (KNAPP, 2011). Folgende Formvariationen an Polyedern, welche über die bloße Deformation in der »Zug-Modus-Geometrie« hinausgehen, sind u. a. mit einem solchen DRGS herstellbar: Ecken- und Kan-tenstumpfen, Sternen und Zelten, Durchdringen (Verbund-Polye-der), Kantenknicken usw. Besondere reichhaltige Metamorphosen sind jene mit Invarianz der Ecken-Äquivalenz (isogonale Meta-morphosen, »isogonal« bedeutet »gleicheckig«) und Flächen-Äquivalenz (isoedrische Metamorphosen, »isoedrisch« bedeutet »gleichfl ächig«). − Die betreffenden Animationen können mit aus dem Internet kostenlos herunter geladenen Video-Programmen erfasst und auf YouTube veröffentlicht werden.

2 Die interaktive Konstruktions- undAnimationsmethode an Beispielen

Verwendet wird das prototypische dynamischen Raumgeome-trie-System Cabri 3D mit seinen Konstruktions- und Animations-

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MATHEMATIK

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016− 26 −

Schulpraxis

Schützenfi sche auf ungewöhnlicher JagdEine Modellierung der Jagdmethode aus physikalischer Perspektive

ALEXANDER PUSCH

Die Jagdmethode von Schützenfi schen ist ungewöhnlich: Die Fische schießen mit Wasser auf ihre Beute (Abb. 1), die sich außerhalb des Wassers auf Pfl anzen oder in der Luft befi ndet. Im Folgenden wird die physikalische Modellierung der Jagd-methode des Schützenfi sches beschrieben. Diese kann im Physikunterricht der Sekundarstufe II oder fachübergreifend im Physik- und Biologieunterricht eingesetzt werden. Auf Grundlage der Modellierung können verschiedene physikalische Fra-gestellungen behandelt werden, von denen exemplarisch einige thematisiert werden.

1 Einleitung

Schützenfi sche (Toxotidae) sind seit langer Zeit (SMITH, 1936) Forschungsgegenstand in der Verhaltensbiologie und Biotech-nologie. Aktuelle Fragestellungen sind beispielsweise die ener-getische Betrachtung des Schussvorganges und der beteiligten Muskeln (VAILATI, ZINNATO & CERBINO, 2012).Die Physik der Jagdmethode des Schützenfi sches (Toxotes jacu-latrix) wurde in populärwissenschaftlichen Büchern (z. B. VOSS-DE HAAN, 2009; INGRAM, 2004) oder Übungsaufgaben/Klausuren verschiedener Universitäten bereits betrachtet. Die physikali-schen Inhalte der nachfolgend dargestellten Jagdmethode sind die Überlagerung gleichförmiger und gleichmäßig beschleunig-ter Bewegungen (schiefer Wurf), Impulsübertragung sowie die Brechung an Grenzfl ächen.

2 Die Jagdmethode des Schützenfi sches

Schützenfi sche schießen mit Wasser von unterhalb der Wasser-oberfl äche auf ihre Beute, wie z. B. Fliegen, Spinnen oder klei-ne Echsen, damit diese anschließend zu ihnen ins Wasser fällt. Die Beute kann auf über den Gewässern ragenden Pfl anzen sit-zen oder sogar in der Luft in Bewegung sein (SCHUSTER, 2007). Auf den ersten Blick betrachtet erscheint die Jagmethode des Schützenfi sches beeindruckend aber doch physikalisch re-lativ simpel: Die Flugbahn der in Richtung Beute verschosse-nen Wasserportion verläuft auf Grund der Erdbeschleunigung parabelförmig. In Laborversuchen erreichen Schützenfi sche Schusshöhen von bis zu 0,8 m über der Wasseroberfl äche, al-lerdings sinkt mit steigender Beutehöhe ihre Treffsicherheit (DILL, 1977). Für höhere Trefferwahrscheinlichkeiten (gerade bei bewegten Zielen) müssen die Fische diese Jagdmethode trainieren (SCHUSTER, 2007).Mit Hilfe von Videoanalysen werden Schussgeschwindigkeiten von bis zu 4 m/s gemessen (DILL, 1977; VAILATI et al., 2012). Der Schuss ist bei genauerer Betrachtung kein durchgehender Wasserstrahl. Durch die Modulation der Geschwindigkeit des verschossenen Wasserstrahls formt sich ein Tropfen mit großem »Kopf« und dünnen »Schweif«. Der eigentliche Schuss nimmt dadurch an Masse und Geschwindigkeit zu (z. B. von 2 m/s auf 4 m/s; VAILATI et al., 2012).

Damit die Artgenossen des Schützenfi sches nicht vor ihm an die Beute gelangen, setzt sich der Fisch unmittelbar (inner-halb 0,1 s) nach dem Schuss zu der von ihm geschätzten Auf-treffstelle in Bewegung (SCHUSTER, 2007).

Schützenfi sche müssen neben der Position der Beute auch ihre Abmessung berücksichtigen. Da sich der Fisch bei der Erfassung dieser Größen im Wasser befi ndet (SCHUSTER, 2007; DILL, 1977), ist die Erfassung durch Effekte der Brechung zwischen der Was-ser- und der Luftschicht beeinfl usst.

3 Physikalische Modellierung der Jagdmethode des Schützenfi sches

Bei der dargestellten Modellierung der Jagd des Schützenfi sches wird auf Grundlage gegebener Größen (Schussgeschwindigkeit und -winkel zur Wasseroberfl äche) den folgenden Fragestellun-gen nachgegangen:

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PHYSIK

Abb. 1. Schuss eines Schützenfi sches (mit freundlicher Genehmigung von S. SCHUSTER)

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016− 30 −

INGRAM, J. (2004). Die Geschwindigkeit des Honigs: ungewöhn-liche Erkenntnisse aus der Physik. München: Piper.

SCHLEGEL, S., SCHMID, C. J. & SCHUSTER, S. (2006). Archerfish shots are evolutionarily matched to prey adhesion. Current Biology, 16(19), 836.

SCHUSTER, S. (2007). Archerfish. Current biology, 17(13), 494.

SCHUSTER, S., WÖHL, S., GRIEBSCH, M. & KLOSTERMEIER, I. (2006). Animal Cognition: How Archer Fish Learn to Down Rapidly Moving Targets. Current Biology, 16(4), 378−383.

SMITH, H. M. (1936). The Archer Fish. Natural History, 38(1), 2−11.

VAILATI, A., ZINNATO, L. & CERBINO, R. (2012). How Archer Fish Achieve a Powerful Impact: Hydrodynamic Instability of a Pulsed Jet in Toxotes jaculatrix. PLoS ONE, 7(10). e47867. doi:10.1371/journal.pone.0047867.

VOSS-DE HAAN, P. (2009). Physik auf der Spur: Kriminaltechnik heute. Berlin: Wiley-VCH.

WODZINSKI, R. (2013). Lernen mit gestuften Hilfen. Physik Journal, 12, 45−49.

Dr. ALEXANDER PUSCH arbeitet am Institut für Didaktik der Physik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Wilhelm-Klemm-Straße 10, 48149 Münster, [email protected] gc

Schulpraxis

Lab in a dropExperimente im Mikromaßstab − Teil 2

STEPHAN MATUSSEK

Für die Durchführung chemischer Schülerversuche im Anfangsunterricht steht eine Reihe von Experimenten im Reagenzglas zur Verfügung. In den »Lab in a drop«-Versuchen wird der Raum eines Reagenzglases in den Reaktionsraum eines Wasser-tropfens verlagert. Der Wassertropfen dient als Reaktionsgefäß. (MATUSSEK, 2013). Im ersten Teil (MATUSSEK, 2015) wurde eine Einführung in den Anfangsunterricht Chemie mit 40 Experimenten im Mikromaß-stab gegeben. Sie umfasst didaktische und methodische Überlegungen zu diesem Unterrichtskonzept. Es sind Erfahrungen der Lernenden mit den »Lab in a drop«-Experimenten sowie die Anforderungen und Erkennbarkeit der Versuche dargestellt und diskutiert worden. Schließlich ist der Umgang mit den Geräten, Tropfenobjektträger, Mikrobrenner und Kapillarröhrchen beschrieben. Ein Schülerexperimentierkasten erleichtert das Durchführen von Schülerversuchen in Klassenstärke. Der nun vorliegende zweite Teil dieses Konzeptes kann mit dem Titel »Von der Wasser- und Luft-Analyse zur Synthese von Salzen und zu Reaktionen von Säuren und chemischen Elementen« umschrieben werden.

1 Einführung

Im ersten Teil (MATUSSEK, 2015) wurden Experimente eines Un-terrichtsgangs präsentiert:

• Reaktion von Eisen und Schwefel• Aggregatzustände, Sublimation, Gefrieren, Sieden und

Destillation• Brennbarkeit von Schwefel • Brennbarkeit von Phosphor• Brennbarkeit weiterer Stoffe• Werden Stoffe beim Verbrennen schwerer?• Welcher Stoff ist für die Verbrennung eines Brennstoffes

verantwortlich?• Umkehrbarkeit einer Oxidation• Kupferbriefversuch

Dieser zweite Teil mit dem Titel »Von der Wasser- und Luft-Analyse zur Synthese von Salzen und zu Reaktionen von Säuren und chemischen Elementen« umfasst folgende Versuche:

• Verbrennungen in reinem Sauerstoff• Analyse der Luft• Analyse von Wasser• Elektrolyse von Wasser• Herstellen von Salzsäure• Reaktion von Salzsäure mit Metallen• Reaktion von Salzsäure mit Metalloxiden• Nachweis von Salzsäure und ihren Salzen• Verbrennen von Lithium/Natrium• Lithium/Natrium und Wasser• Reaktion einer Säure mit einer Base• Salzbildung, Metalloxid und Säure• Elementarsynthese von Lithiumchlorid/Kochsalz• Salzbildung, Metall und Säure• Salzbildung, Säure und Base• Reaktion von verdünnter Schwefelsäure mit Metallen und

Metalloxiden• Nachweis von Schwefelsäure und ihren Salzen• Konzentrierte Schwefelsäure

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CHEMIE

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016 − 39 −

methodisches Unterrichtskonzept, verringert das Gefah-renpotential, die Kosten für die Chemikalien und ihre Entsorgung signifi kant. Dies spricht für die Sicherheit, die Nachhaltigkeit und Effi zienz dieser Versuche.

• Hilfsmittel in den »Lab in a drop« Versuchen wie die Kapillarröhrchen werden nicht als »Gefäße« gedacht, sondern sollen die natürlichen physikalischen Eigenschaf-ten des Tropfens, die Kapillarkräfte des Lösungsmittels, experimentell nutzbar machen. Kapillarröhrchen werden bei den Syntheseversuchen nicht als ein Glasrohr-Gefäß gedacht, sondern dienen dazu, die natürliche Ausbreitung der Gase in eine Richtung zu bringen um weitere Experi-mente anzuschließen.

• In diesem Sinne dienen die Ösen dazu, die natürliche Ge-stalt der im Wassertropfen entstehenden Gase durch die Ausnutzung der inneren Oberfl ächenspannung zu stabili-sieren. So werden im Wassertropfen Gasblasen fi xiert, die man entzünden kann.

• Die Versuchsgestaltung eröffnet eine interessante Blick- und Denkweise auf die Experimentiergestaltung im schulischen Unterricht. Dies gilt sicher nicht nur für Wassertropfenexperimente, sondern stellt einen Gewinn für die Experimentiertechnik im Allgemeinen dar.

6 Bezugsquellen

Einzelgeräte:Tropfenobjektträger: Thermo Fisher Scientifi c, T-OT Box: Firma Neolab,Mikrobrenner: Voelkner, ConradMikrokapillaren: Firma Carl Roth

Tefl on unterlagen: handelsübliches Tefl on BackpapierTropffl aschen: Thermo Fisher Scientifi c, Analytics shop, Schutzschirm: beim AutorIR-Thermometer: Conrad, VoelknerDritte Hand: ConradKäfi glupen: Lehrmittelfi rmen

Alle Geräte, ein Katalog, sowie fertige Experimentierkästen für den Schulbetrieb können handelsüblich beim Autor bezogen werden.

Zu dem obigen Artikel ist ein Skript »Bewährter Anfangsunter-richt Chemie mit 40 Lab in a drop Versuchen, 120 Seiten, beim Autor erhältlich.

Literatur

MATUSSEK, S. (2013). Lab in a drop − blue drop experience. MNU, 66(6), 352−356.

MATUSSEK, S. (2015) ). Lab in a drop − Experimente im Mikro-maßstab − Teil 1. MNU, 68(4), 206−212.

MATUSSEK, S. (2015) ). 146, Lab in a drop − Elektrochemische Experimente. Unterricht Chemie, 146, 24−27.

STEPHAN MATUSSEK, [email protected], ist Lehrer an der Katholischen Schule Harburg, Bogenstraße 10, 21220 Seevetal. Seine Schule hat mit «Lab in a drop” kürzlich den Hamburger Bil-dungspreis gewonnen. gc

Schulpraxis

Legionellen − von Bakterien lernen

MATTHIAS P. MÜLLER

Legionellen sind gramnegative Bakterien, die Protozoen als Wirtszellen nutzen, um sich zu vermehren. Sie können jedoch auch menschliche Zellen infi zieren und schwere, teils tödlich verlaufende Lungenentzündungen verursachen. In ihrem In-fektionszyklus haben sie faszinierende Möglichkeiten entwickelt, um der Immunantwort durch die befallenen Zellen zu ent-gehen. Die Manipulation von Transportprozessen in den Wirtszellen ist dabei ein essentieller Bestandteil eines erfolgreichen Infektionszyklus. In diesem Artikel soll ein kurzer aktueller Überblick zu bekannten Mechanismen der Wirtszell-Manipulation durch Legionellen und deren Erforschung für ein tiefergehendes Verständnis sowohl pathogener als auch physiologischer Prozesse gegeben werden.

1 Einleitung

Das Bakterium Legionella pneumophila hat in den vergange-nen Jahren immer wieder zweifelhaften Ruhm durch weltweit auftretende Infektionen erlangt. Insbesondere zahlreiche Er-krankungen in Warstein im Landkreis Soest im August 2013 erzeugten in der nahen Vergangenheit großes mediales Inte-

resse in Deutschland (Robert-Koch-Institut, 2013). Bekannt sind Legionellen bereits seit den späten 1970er Jahren nach einer großen Infektionswelle auf einer Kriegsveteranenkonferenz in Philadelphia (USA) im Jahr 1976 (FRASER et al., 1977).Legionellen sind ubiquitär in Gewässern vorhanden und ver-mehren sich insbesondere auch in zivilisatorischen Warmwas-serquellen wie Wasserleitungen und Klimaanlagen (NEWTON et

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BIOLOGIE

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016 − 43 −

Schulpraxis

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BIOLOGIEZugefl ogen − was tun?Eine Fallgeschichte über die Aufzucht von Grauschnäpper-Nestlingen

INGOLF VÖLKER

Im Beitrag wird im Sinne einer für den Biologieunterricht geeigneten Fallgeschichte über Erfahrungen und die Vorgangsweise bei der Aufzucht und der anschließenden Auswilderung von Grauschnäpper-Nestlingen berichtet. Zur Fallgeschichte werden unterrichtliche Überlegungen im Rahmen der Didaktischen Rekonstruktion angestellt.

EinleitungAm 1. Juli 2013 brachte mir eine Kollegin drei Grauschnäpper-Nestlinge (Muscicapa striata), (s. Abb. 1) die im Zuge der Renovierung einer Hausfassade entfernt wurden, zu mir nach Hause. Steinakirchen am Forst liegt im Bundesland Niederösterreich (NÖ) an der Kleinen Erlauf.

Die Tiere machten einen fi tten Eindruck, obwohl mir bewusst war, welcher Aufwand hinter dem Aufziehen junger Vögel steckt, nahm ich die drei in Pfl ege. Die Fütterungszeit wird mit »13−15 Tagen« (BEZZEL, 1989) angegeben, daher sollte der Aufwand überschaubar sein.

Der Grauschnäpper ist ein in Europa weit verbreiteter Brutvogel, dessen Winterquartier im südlichen Afrika bis zu den Tropen liegt. Er baut sein Nest in Baum- oder Gebäudenischen oder in Halbhöhlen. (vgl. SVENSSON, 2009) Als Höchstalter wurden 9 Jahre festgestellt. (vgl. PERRINS, 1987) Beide Geschlechter sind grau gefärbt, eine schmutzig

− weiße, diffus gestrichelte Brust ist erkennbar (s. Abb. 2). Der unauffällige Gesang zeigt ein sehr einfaches Repertoire, der an die Rufe anderer Singvogelarten erinnert. (vgl. SVENSSON, 2009) Zudem ist eine Verwechslung mit dem Warnruf des Hausrotschwanzes (Phoenicurus phoenicurus) möglich.

Grauschnäpper ernähren sich von Fluginsekten, diese werden von einer Sitzwarte in zum Teil akrobatischen Manövern verfolgt. Nach der Jagd kehrt der Vogel oftmals zur Ausgangssitzwarte zurück. (BEZZEL, 1989) Breits beim Jungvogel lässt sich der Rüttelfl ug beobachten.

Abschnitte der AufzuchtDa das Fangen von Fliegen oder anderen Fluginsekten (Bremsen, Schwebfl iegen, …) sehr mühsam und zeitaufwendig war, kamen als Hauptnahrungsquellen Mehlwürmer und Fliegenmaden zum Einsatz. Diese kann

man ausreichender Menge in Fischereigeschäften oder Zoohandlungen erwerben. Bei Maden empfi ehlt sich die Aufbewahrung im Kühlschrank, da sonst sehr bald das Puppenstadium folgt.

Abb. 1. Grauschnäpper-Nestlinge (Aufnahme des Autors)

Abb. 2. Grauschnäpper mit grauer Färbung und schmutzig − weißer diffus gestrichelter Brust (Aufnahme des Autors)

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016 − 47 −

Eintauchen

KLAUS G. SCHRÖDER

Ausgehend von A. M. WORTHINGTONs Buch »A Study of Splashes« (1908) wird eine einfache Methode zur Registrierung der Phasen des Tropfeneinschlags in Flüssigkeitsoberfl ächen vorgestellt.

Experimentiervorschläge

1 Einleitung

In fast jedem Haushalt fi ndet man heute eine Digitalkamera, auf die auch die Schüler/innen Zugriff haben. Da diese Kameras leicht zu bedienen sind, bieten sie sich − auch in Schülerhand − als Mess-, Versuchs- und Dokumentationsgeräte für naturwis-senschaftliche Experimente an. Ist uns Lehrkräften diese Tatsa-che während des alltäglichen Unterrichts erst einmal bewusst geworden, so entdeckt man − auch jenseits der bekannten Video-Analyse − ständig neue Einsatzmöglichkeiten für diese Kameras. Viele Versuche lassen sich dann auch als Schülerver-suche oder sogar zu Hause durchführen. Ein Versuch dieser Art wird hier vorgestellt.

2 Schneller als das Auge

Kurzzeitaufnahmen von den Phasen des Eintauchvorgangs eines Tropfens in eine Wasseroberfl äche können von hohem ästheti-schem Reiz sein und sind auch im Internet sehr verbreitet und beliebt (z. B. MarkusReugels.de/liquidart [11.09.2015]), wo-bei physikalische Aspekte jedoch kaum angesprochen werden. Auch mit der hier beschriebenen Methode gelingen, mit etwas Übung, schöne Bilder z. B. von »TaT«s (»Tropfen auf Tropfen«, Abb. 1), bei denen der von der Wasseroberfl äche refl ektierte Tropfen mit dem von oben kommenden nächsten Tropfen kol-lidiert.

Abb. 1. Kurzzeitaufnahme eines »TaT«s

Pionier bei der fotografi schen Erfassung der Eintauchvorgänge in Flüssigkeitsoberfl ächen war am Ende des 19. Jahrhunderts ARTHUR MASON WORTHINGTON (1852−1916), ein Physikprofessor am Royal Naval Engineering College in Devonport. Ab 1894 machte

er als Erster Kurzzeitaufnahmen zur Untersuchung der Physik schnellablaufender Vorgänge beim Eintauchen.

Seine Hauptidee bestand darin, die kurze Belichtungszeit nicht über einen (damals) relativ trägen Kameraverschluss zu reali-sieren, sondern über einen sehr kurz auffl ammenden, von einer Infl uenzmaschine erzeugten, elektrischen Blitz.

Seine sehr aufwändige Apparatur (Abb. 2) umfasste einen Labor- und einen Dunkelkammerbereich. Eine elektromagne-tische Auslösevorrichtung sorgte dafür, dass ein Tropfen im Dunkelkammerbereich und eine Metallkugel im Laborbereich gleichzeitig zu fallen anfi ngen. Beim Durchfallen einer Indukto-renanordnung löste die Metallkugel dann den Blitz aus, der im Dunkelkammerbereich dafür sorgte, dass die Kamera, die ohne Verschluss betrieben wurde, den Tropfen registrierte.

Abb. 2. WORTHINGTONs Apparatur (WORTHINGTON, 1908, 7)

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PHYSIK

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MNU Journal − Ausgabe 1.2016 − 51 −

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Zur Diskussion gestellt

Das Unterrichtsgespräch −Eigenschaften, Probleme, Mängel

GOTTFRIED MERZYN

Das Unterrichtsgespräch (der fragend-entwickelnde Unterricht) ist eine weitverbreitete, dennoch häufi g kritisierte Methode des Unterrichts in Biologie, Chemie und Physik. Im Aufsatz werden wichtige Einfl üsse auf den Gesprächsablauf und die Kom-munikation erörtert und an Beispielen verdeutlicht: die Offenheit oder Enge der Fragen/Impulse, die Länge der Wartezeiten zwischen den Beiträgen, die Schwierigkeit des Themas und die Funktion des Gesprächs im Gesamtkonzept der Stunde.

1 Potenziale des Unterrichtsgesprächs

Das Gespräch von Lehrer und Schülern im Klassenplenum ist eine der wichtigsten Methoden des naturwissenschaftlichen Unterrichts in vielen Ländern (MERZYN, 2015). Die Methode ver-sucht, sich die vielfach bestätigte enge Verbindung zwischen Denken, Sprechen und Lernen pädagogisch zunutze zu machen. Zusätzliche Vorteile ergeben sich aus der Verbindung des Un-terrichtsgesprächs mit dem Konzept des forschenden Lernens.Im Idealfall leistet das Unterrichtsgespräch Folgendes: Es hilft den Schülern, die Fachsprache der jeweiligen Wissenschaft zu erlernen und Einsicht zu gewinnen in die gedanklichen Konzep-te, die sich in ihr ausdrücken. Die Schüler erhalten im eigenen Sprechen Gelegenheit, die neuen Begriffe und Erkenntnisse in ihre kognitive Struktur einzugliedern und sie sich dauerhaft und fl exibel anzueignen. Sie erwerben Kompetenz in der fachlichen Kommunikation. Das Gespräch geht bevorzugt von einem Pro-blem aus, das die Schüler weitgehend selber zu lösen versu-chen. Dem einzelnen Schüler wird durch seine Beteiligung am Problemlösungsprozess der Lerninhalt wichtig; sein Interesse wächst. Außerdem bekommen die Schüler, indem sie Ideen und Argumente austauschen und diese mit experimentellen Befun-den verknüpfen, einen gewissen Eindruck davon, wie naturwis-senschaftliche Erkenntnisse entstehen.

Der Unterrichtsalltag sieht (wie bei anderen Methoden auch) um einiges bescheidener aus als solch ein Idealbild. Immerhin gibt das Idealbild erste Hinweise, wie ein Gespräch möglichst ablaufen sollte und wie nicht. Zugleich enthält es Orientie-rungshilfen für die Analyse realer Unterrichtsgespräche. Ein positives Gesprächsmerkmal ist demnach eine starke Ak-tivierung vieler Schüler. Die Schüler bringen ihre Ideen und Argumente in zusammenhängender, verständlicher Rede vor. Gesprächsbeiträge nehmen aufeinander Bezug. Schrittweise entwickelt sich ein größerer gedanklicher Zusammenhang. Die Schüler bestimmen den Gang des Gesprächs durch ihre Äuße-rungen mit und tragen wesentlich zur Problemlösung bei. Am Ende eines gelungenen Gesprächs steht ein klares, die Teilneh-mer befriedigendes Ergebnis, eine Lösung des betrachteten Problems.Bisweilen werden die Forderungen an das Unterrichtsgespräch überhöht. Das betrifft insbesondere die Lehrerrolle. Der Lehrer ist kein gleichrangiger Gesprächsteilnehmer. Eine unbestreitba-

re Sonderrolle hat er schon allein durch seine Fachkompetenz. Er ist der einzige, der die Fachsprache gewissermaßen als Mut-tersprache beherrscht. Von wem sollten die Schüler sie lernen, wenn nicht von ihm? Der Lehrer unterstützt durch Fragen und Impulse die schrittweise Entwicklung des Problems (deshalb auch die synonyme Bezeichnung »fragend-entwickelnder Un-terricht«). Er gibt Hilfen beim Prüfen der Hypothesen und bei der Zusammenfassung der Teilergebnisse. Der Lehrer ist also weit mehr als ein bloßer Diskussionsleiter, der die Rednerliste führt und den Schülern dementsprechend das Wort erteilt. Na-türlich hat er sich vor der Stunde Gedanken zum Gesprächsab-lauf gemacht, als Teil seiner Unterrichtsvorbereitung. Derartige Vorüberlegungen sind unverzichtbar, wenn das Gespräch einen roten Faden bekommen und das Ausgangsproblem zu einer Lö-sung gebracht werden soll.

Hier wird ein zentrales Dilemma der Gesprächsführung, vor al-lem bei der Erarbeitung neuen Stoffs, offenkundig. Der ange-strebte Freiraum für die Schüler, das Gespräch durch ihre ganz persönlichen Gedanken und Argumente, gemäß ihren Erfahrun-gen und Interessen möglichst weitgehend mitzugestalten, ist das Eine. Die jeweilige Problemstellung, die nach einer Lösung ruft, ist das Andere. Zwar sollten auch Irrwege der Schüler, un-geschickte Vorschläge, Ideen abseits des vom Lehrer Erwarte-ten ihren Platz im Gespräch haben dürfen. Es muss aber − bei allen gedanklichen Abschweifungen und kleinen Sackgassen − der Gedankengang des Gesprächs im Großen und Ganzen für die Schüler einsichtig bleiben und zu einem Ergebnis führen. Dafür hat der Lehrer zu sorgen.

2 Off ene und enge Gespräche

Wie werden die Lehrer mit diesem Dilemma, sprachlichen und gedanklichen Freiraum für die Schüler zu schaffen und gleich-zeitig das Gespräch auf eine Problemlösung hin zu führen, fer-tig? Der Fachliteratur nach zu urteilen, nicht gut. Die zahlrei-chen Kritiker des fragend-entwickelnden Unterrichts werden nicht müde, die Gängelung der Schüler bei dieser Methode zu tadeln. Schüler würden auf die Rolle von Stichwortgebern redu-ziert. Sie versuchten, zu erraten, was der Lehrer hören wolle, statt sich um eine selbständige Problemlösung zu bemühen. Sie trügen zum streng kontrollierten Gesprächsablauf häufi g nur