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Möglichkeiten und Grenzen finanzwirtschaftlicher Konjunkturpolitik

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Möglichkeiten und Grenzen finanzwirtschaftlicher KonjunkturpolitikAuthor(s): Heinz HallerSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 12, H. 2 (1950/51), pp. 177-207Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40910173 .

Accessed: 15/06/2014 08:42

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Möglichkeiten und Grenzen finanzwirtschaftlicher Konjunkturpolitik

von

Heinz Haller

I. Im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte ist man sich immer mehr

darüber klar geworden, daß die Schwankungen der gesamten Produktion und Beschäftigung einer Wirtschaft gleichbedeutend sind mit Schwankungen der Gesamtnachfrage oder, anders ausgedrückt, der wirksamen Kaufkraft. Diese Einsicht besagt zwar noch nichts über die Ursachen der letzteren, also über die eigentlichen Hintergründe des konjunkturellen Auf und Ab, trotzdem eröffnet sie aber einen Weg, auf dem man den Krisen und De- pressionen wirksam entgegentreten kann. Wenn die Höhe der Gesamt- nachfrage den Stand der Konjunktur unmittelbar bestimmt, so kann man durch eine Beeinflussung dieser Größe auf die Höhe der Produktion und Beschäftigung einwirken.

In einer ,,sich selbst überlassenen" Wirtschaft resultiert die Höhe der Gesamtnachfrage aus den Entscheidungen der verschiedenen Stellen des Bankensystems über Bedingungen und Umfang der Kreditgewährung, der Unternehmer und sonstigen Investoren über das Maß der Kreditinanspruch- nahme und der Einkommensbezieher hinsichtlich der Frage, wie groß der nicht konsumierte Teil des Einkommens bemessen wird.

Eine Aufwärtsbewegung ist möglich und tritt insoweit ein, als inner- halb einer bestimmten Wirtschaftsperiode die Kreditinanspruchnahme die Stillegung von Kaufkraft übertrifft, was entweder durch zusätzliche Kredit- schöpfung des Bankensystems oder durch Mobilisierung früher stillgelegter Mittel eintreten kann. Wenn die Produktionsreserven der betreffenden Wirt- schaft bereits erschöpft sind, die Wirtschaft also voll „ausgelastet" ist, wird eine Erhöhung der Gesamtnachfrage zu einer allgemeinen Preissteigerung, also inflationistischen Entwicklung führen. Im normalen Konjunktur auf - schwung ist diese Situation jedoch nicht gegeben, die Steigerung der Ge- samtnachfrage führt daher nicht zu einer Inflationierung der Wirtschaft, sondern zunächst zu einer rein mengenmäßigen Expansion, zu einer Aus- dehnung der Beschäftigung und Erhöhung der Produktionsziffern, erst in einer späteren Phase treten auch gewisse Preiserhöhungen auf.

Eine rückläufige Bewegung der Gesamtnachfrage ist möglich und inso- weit gegeben, als die Kreditschrumpfung bzw. Kaufkraftstillegung die

Finanzarchiv. N. F. 12. Heft 2 12

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Kreditschöpfung bzw. Kaufkraftmobilisierung übertrifft. Das in diesem Fall auftretende ,, Versickern* * von gewissen Einkommensteilen ist daran schuld, daß das Say sehe Theorem, nach dem sich die Produktion über die Verwendung der aus ihr fließenden Einkommen ihren Absatz selbst sichert, nicht gilt. Sinkende Gesamtnach frage führt nun zwangsläufig zu einem Produktions- und Beschäftigungsrückgang und/oder zu einer Preis- senkung. Soweit letztere eintritt, werden durch die Erwartung weiterer Preissenkungen neue Schrumpfungstendenzen ausgelöst, wie auch im Auf- schwung steigende Preise die Expansionstendenzen verstärken.

Die Erfahrung hat gezeigt, daß wenn die für die Höhe der Gesamt- nachfrage maßgebenden, erwähnten Entscheidungen den einzelnen überlas- sen bleiben, die periodischen Schwankungen auftreten, die große Teile des Produktions- und Arbeitspotentials immer wieder auf Jahre hinaus brach- legen. Dadurch, daß bei diesen Entscheidungen auch die maßgebenden Stel- len innerhalb des Bankensystems beteiligt sind, ist bei dessen heutiger Or- ganisation außer den privaten Wirtschaftern auch ein öffentliches Organ, die Zentralbank, eingeschaltet, die auf die Bedingungen und das Volumen der Kreditgewährung ja überragenden Einfluß hat. Diese kann durch groß- zügige Kreditpolitik die Expansion begünstigen, durch Erschwerung ihrer Inanspruchnahme und restriktive Maßnahmen die Gesamtnach frage in eine rückläufige Bewegung zwingen oder zumindest die Expansion abstoppen. Die Zentralbank hat damit einen Hebel in der Hand, der zwar für Brems- zwecke jederzeit geeignet ist, aber keine Antriebskraft auslösen kann. Für eine Aufwärtsbewegung stellt die Lösung der Bremse nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung dar. Die Antriebskräfte müssen durch Ent- schlüsse der privaten Wirtschafter, in erster Linie der Unternehmer, ent- stehen. Solche Entschlüsse können jedoch nicht erzwungen werden, solange man die individuelle Entscheidungsfreiheit beibehält. Die Zentralbank ist also nicht in der Lage, einen Anstieg der Gesamtnachfrage und damit der Produktion und Beschäftigung herbeizuführen.

Wenn die privaten Entschlüsse fehlen, so ist es angebracht, daß das umfassendste Gemeinschaftsorgan, der Staat, der der Tatsache einer unzu- reichenden Beschäftigung und Versorgung der Bevölkerung nicht gleich- gültig gegenüberstehen kann, unmittelbar eingreift und an die Stelle der privaten Entschlüsse öffentliche setzt.

Was das Abbremsen der Expansion durch entsprechende Zentralbank- politik betrifft, so ist es sehr gut möglich, daß die Kreditbremse zu heftig wirkt und sich aus dem Expansionsstop eine Kontraktion entwickelt. Wenn dies zu erwarten ist, so kann es auch hier zweckmäßig sein, daß der Staat unmittelbar eingreift, um den zu ungestümen Aufschwung zu zügeln1).

l) Die Zentralbank kann sich u. U. auf Grund der Währungsgesetze ge- zwungen sehen, eine Kreditrestriktion einzuleiten, etwa wenn bei sehr starker Ausdehnung des Zentralbankgeldvolumens oder schrumpfendem Gold- und Devisenbestand die Deckungsgrenze erreicht ist. Wenn aus solchen Gründen die Zunahme der Gesamtnachfrage gebremst wird, so sind keine konjunkturpoliti- schen Ziele angestrebt, ja die Konjunkturpolitik wird, wenn sich eine rück- läufige Bewegung anbahnt, der Währungspolitik untergeordnet. Diesen Fall brauchen wir hier also nicht zu betrachten.

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Das Umschlagen der Hochkonjunktur wird in der Regel nicht durch kreditpolitische Maßnahmen, sondern durch gewisse Entwicklungen, die sich „in der Wirtschaft selbst" vollziehen und das Absinken der Gesamtnach- frage mit sich bringen, herbeigeführt. Wenn eine solche Lage eintritt, ist die Zentralbank wiederum machtlos. Auch hier muß sich der Staat unmittel- bar einschalten, wenn er dafür Sorge tragen will, daß die wirksame Kauf- kraft auf dem bisherigen Stand gehalten wird.

Es zeigt sich also, daß eine Konjunkturpolitik mit der Zentralbank allein nicht durchzuführen ist, daß vielmehr der Staat selbst Einfluß nehmen muß auf die Gesamtnachfrage. Dies kann er nun in hervorragendem Maße tun mit Hilfe einer geeigneten Finanzpolitik. Die staatliche Finanzwirt- schaft stellt ja bei weitem die bedeutendste Wirtschaftseinheit dar und kann sich ganz anderer Möglichkeiten bedienen als die privaten Wirtschaften. Mit Hilfe der Finanzwirtschaft kann der Staat die Gesamtnachfrage nach Bedarf steuern: sie erhöhen, senken oder stabilisieren. Je nachdem der Staat versucht, der Wirtschaft lediglich auf die Beine zu helfen, damit sie selbst weiter kommen soll, oder sie dauernd zu stützen und zu betreuen, und je nach der betreffenden Konjunkturphase wird die finanz wirtschaftliche Kon- junkturpolitik anders beschaffen sein. Die verschiedenen in Frage kommen- den Möglichkeiten sind eben bereits angedeutet worden. Im Tiefpunkt der Konjunktur muß die Gesamte ach frage gesteigert werden, und zwar mög- lichst so nachhaltig, daß die aufsteigende Entwicklung sich von selbst in Gang hält. Eine solche Politik können wir als „Ankurbelungspolitik" be- zeichnen. Wenn mit finanzpolitischen Mitteln eine Übersteigerung der Ex- pansion verhindert werden soll, so liegt eine ,, Bremspolitik" vor. Ankurbe- lungs- und Bremspolitik sind interventionistischer Natur, sie werden von Fall zu Fall angewandt, wenn die konjunkturelle Situation sich so gestal- tet, daß sie angebracht erscheinen. Wenn durch finanzpolitische Maßnah- men ein konjunktureller Rückschlag vermieden werden soll, so wird eine „Stabilisierungspolitik" verfolgt. Die erreichte gute Konjunkturlage soll durch Stützungsaktionen für die Gesamtnachfrage erhalten werden. Hier liegt nun schon ein Übergang von interventionistischer zu planmäßiger finanzwirtschaftlicher Konjunkturpolitik vor. Ob man hier auch mit gele- gentlichem Lückenfüllen auskommt, erscheint zweifelhaft. Die drei unter- schiedenen Arten finanzwirtschaftlicher Konjunkturpolitik sollen nun in der angegebenen Reihenfolge hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Grenzen ge- nauer untersucht werden.

II. 1. Selbstverständlich kann man mit steuerpolitischen Mitteln die Ge-

samtnachfrage nicht unmittelbar heben. Mit Hilfe steuerpolitischer Maß- nahmen kann höchstens der Anreiz für private Kreditnehmer bzw. Besitzer von Geld oder Bankguthaben zur Vornahme von Anschaffungen, insbeson- dere betrieblichen Investitionen, hergestellt oder verstärkt werden. Man kann so versuchen, eine Kreditinanspruchnahme anzuregen bzw. brach- liegende Mittel einer Verwendung zuzuführen und damit eine Erhöhung der

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wirksamen Kaufkraft indirekt zu erreichen. Man wird zu diesem Zweck Steuersenkungen vornehmen1). Der Versuch, die Steuereinnahmen zu er- höhen, um mit den Mehreinnahmen etwa öffentliche Investitionen durch- zuführen, dürfte kaum zu einer Vermehrung der wirksamen Kaufkraft füh- ren. Nur dann, wenn durch die zusätzlichen Steuereinnahmen solche Ein- kommensteile erfaßt würden, die sonst stillgelegt worden wären, also weder für Verbrauchs- noch für Investitionszwecke Verwendung gefunden hätten, würde die Erhöhung der Steuereinnahmen einen solchen Erfolg haben. Im Tiefpunkt der Depression pflegt sich aber die Gesamtnachfrage durch Kauf- kraftstillegungen kaum mehr zu vermindern. Hier gleichen sich bei einem niedrigen Einkommensstand Stillegung und Mobilisierung etwa aus: der Kontraktionsprozeß ist zum Stillstand gekommen. Auch eine Erhöhung der Steuersätze für größere Einkommen und eine gleichzeitige Senkung für die unteren Einkommensgruppen wird hier konjunkturpolitisch unfruchtbar sein, soweit kein Überschuß von Stillegungen mehr besteht. Es ist aller- dings zu bedenken, ob nicht durch die Anregung des Konsums, die mit einer solchen Maßnahme zweifellos herbeigeführt wird, - von den den kleinen Einkommensempfängern nunmehr verbleibenden Einkommensteilen wird ein größerer Teil konsumiert als bisher von den nun durch die Steuer ab- geschöpften Einkommensteilen der großen Einkommensempfänger - eine Induktionswirkung auf die Investition herbeigeführt und dadurch mehr Kaufkraft mobilisiert als stillgelegt wird. Es kann jedoch sein, daß diese Wirkung kompensiert wird durch die sinkende Nettogewinnerwartung2). Hier kann man nur vorbauen, indem man investierte Gewinne teilweise oder ganz von der Besteuerung ausnimmt, was allerdings zu einer Verminderung der Steuereinnahmen führen würde. Eine solche momentane Senkung kann jedoch in Kauf genommen werden, wenn mit einer Steigerung der gesam- ten Wirtschaftstätigkeit zu rechnen ist.

Solche steuerlichen Mittel können ergänzend herangezogen werden, der Schwerpunkt der Maßnahmen muß jedoch bei der Finanzierung Öffentlicher Ausgaben mit Hilfe von Krediten liegen3). Soweit privater seits zu wenig Neigung zur Kreditinanspruchnahme besteht, ist es Sache des Staates, die Initiative zu ergreifen und eine verstärkte Kaufkraftmobilisierung vorzu- nehmen. Die Kreditinanspruchnahme braucht keineswegs identisch zu sein mit Kreditschöpfung. Nur soweit in der Abschwungsperiode die Bankbilan- zen durch Kückzahlung von Krediten geschrumpft sind oder Sichtguthaben stillgelegt wurden, kommt die Einräumung neuer, zusätzlicher Guthaben in Frage. Im letzten Fall wird die faktische Ausschaltung der Sichtguthaben aus dem Verkehr kompensiert durch die Schaffung neuer. Soweit Kauf- kraftbeträge offiziell stillgelegt sind durch Sparverträge oder anderweitige Festschreibung, tritt neues verfügbares Geld an die Stelle des alten. Die Kreditgewährung an den Staat in der Form des Ankaufs von kurz- mittel- und langfristigen Wertpapieren kann durch die Geschäftsbanken erfolgen

x) Vgl. Rudolf Stucken, Kredit als finanz wirtschaftliches Deckungs- mittel, Finanzarchiv (F. A.), N. F., Bd. 5, S. 538.

2) Nettogewinn = nach Entrichtung der Steuer verbleibender Gewinn. 3) Vgl. ¡Stucken, a. a. <J. ö. 545.

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oder aber unmittelbar durch private Geldbesitzer, die damit ihre Konten selbst mobilisieren. Eine Hilfestellung der Zentralbank ist im gleichen Um- fang notwendig wie bei einer Vermehrung der privaten Kredite. So wie Handelswechsel und sonstige private Kreditpapiere als Liquiditätsreserven dienen und die Geschäftsbanken sich mit ihrer Hilfe jederzeit Zentralbank- geld verschaffen können, müssen auch die Kreditpapiere des Staates an die Zentralbank verkauft oder bei ihr als Kreditunterpfand hinterlegt werden können. Die Zentralbank braucht also keineswegs in stärkerem Umfang herangezogen zu werden als bei einer Kreditgewährung an Private1). Am Anfang wird die Unterbringung langfristiger Papiere etwas schwierig sein, da vor allem das private Publikum zurückhaltend sein wird. Wenn aber einmal durch die Ausdehnung der Produktion und Beschäftigung die Ein- kommen im Steigen begriffen sind und ein größerer Teil nicht konsumiert wird, ist die Unterbringung langfristiger Papiere bei dem Nichtbanken- Publikum um einiges leichter. Die Banken werden sich, wenn eine Aus- dehnung der privaten Kreditinanspruchnahme erfolgt, wahrscheinlich nicht in zu großem Umfang in langfristigen Staatspapieren engagieren wollen. Am Anfang werden also die kurzfristigen Kredite überwiegen, später kön- nen sie in steigendem Maße durch langfristige abgelöst werden.

Welches wird nun die zweckmäßigste Verwendung der vom Staat in Anspruch genommenen Kredite sein ? Soll nur eine Investitionsfinanzierung in Frage kommen oder könnte es auch angebracht erscheinen, die Kredite konsumtiv zu verwenden ? Welcher Art sollten die Investitionen im ersten Fall sein ?

Eine konsumtive Verwendung braucht keinesfalls von vornherein aus- geschlossen zu werden2). Sie könnte, falls der Staat eine unmittelbare Ver- ausgabung vornimmt, einmal darin bestehen, daß er seinen Sachbedarf vermehrt und zum anderen in einer Vergrößerung der Personalausgaben, also Erhöhung der Zahl der in staatlichen Diensten Stehenden oder Zah- lung höherer Entlohnungen3). Hieraus ergibt sich im ersten Fall eine

*) N ö 1 1 v. d. Nahmer hat in seinem Aufsatz „Die Deckung des öffent- lichen Bedarfs durch nichtinflatorische Papiergeldausgabe" (F.A., N.F., Bd. 2, S. 549 ff.) für die betrachtete Situation eine Finanzierung öffentlicher Ausgaben mit Hilfe von Staatspapiergeld vorgeschlagen, da dadurch Zinsen gespart wer- den könnten und die Zentralbank nicht zu wesensfremden Geschäften gezwun- gen würde. In der anschließenden Diskussion haben Rudolf Stucken (F. A., N. F., Bd. 3, S. 127 f.) und Alfons Schmitt (ebenda S. 240 ff.) mit guten Gründen diesen Vorschlag zurückgewiesen. Robert v. Keller tritt in seinem Aufsatz „Ausstattung, Konsolidation und Tilgung staatlicher Arbeits- beschaffungs- und Investitionskredite" (Weltwirtsch. Archiv, Bd. 53, S. 469 ff.) für die Finanzierung mit Zentralbankkredit ein wegen der damit verbundenen Möglichkeit der Zinssenkung durch die allgemeine Liquidisierung der Wirtschaft (vgl. a. a. O., S. 500). Die Mitwirkung der Zentralbank kann natürlich nach Be- darf verstärkt werden zur Erreichung einer Zinssenkung, - wobei allerdings eine Grenze durch die autonome Stellung der Zentralbank gezogen sein kann - sie braucht aber durchaus nicht über den normalen Rahmen hinauszugehen.

2)Nöllv. d. Nahmer tritt (a. a. O. S. 557) sogar ausschließlich für diese ein.

3) Vgl. C a r 1 F ö h 1 , Die Erhaltung der Vollbeschäftigung, Nordisk Tids- skrift for teknisk 0konomi, 1941, S. 248 f., 261.

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Produktionsausweitung und zusätzliche Beschäftigung in denjenigen Wirt- schaftszweigen, die zur Deckung des Sachbedarfs herangezogen werden1). Die zusätzlichen Einkommen, die aus der erhöhten Produktion entstehen, werden überwiegend dem Verbrauch gewidmet, so daß die Verbrauchsgüter- industrien, allerdings jetzt vorwiegend andere Branchen als durch die Er- höhung des staatlichen Sachaufwands, eine weitere Belebung erfahren. Diese Welle pflanzt sich immer weiter fort und verebbt erst dann, wenn die staat- liche Kreditinanspruchnahme durch immer neu aus den zusätzlichen Ein- kommen vorgenommene Kaufkraftstillegung kompensiert ist. Der von K e y - n e s im Anschluß an Kahn zunächst ohne Berücksichtigung des Zeit- ablaufs aufgezeigte, später von J. M. Clark u. a.2) mit Hilfe eines zeit- lichen Schemas beschriebene Multiplikatoreffekt tritt hier genau in gleicher Weise auf wie bei Verwendung der staatlichen Kredite für Investitionen3). Wenn man es zu einem solchen Verebben kommen ließe, so würde die zu- sätzliche Beschäftigung eine einmalige Angelegenheit sein : nach einiger Zeit würden die Beschäftigung und das Einkommensniveau der Gesamtwirt- schaft wieder auf den früheren Stand zurückgesunken sein. Die staatliche Kreditinanspruchnahme muß, wenn eine Dauerverbesserung erzielt werden soll, ständig auf der neuen Höhe gehalten werden, oder genauer gesagt, sie darf nur um so viel abnehmen, als die private Kreditinanspruchnahme zu- nimmt, und diese wird in einem gewissen Umfang zunehmen müssen, allein schon infolge der durch die Produktionsausweitung notwendig werdenden höheren Lagerhaltung auf den verschiedenen Stufen. Durch das Weiter- wirken der Einkommenserhöhungen wird schließlich nach einer Anzahl von Wirtschaftsperioden die Sparsumme je Periode soweit gestiegen sein, daß die Kreditinanspruchnahme und die Kaufkraftstillegung sich wieder aus- gleichen. Wenn man die Sparquote innerhalb des in Frage kommenden Intervalls der Einkommenserhöhung als konstant annimmt, ist dieser Punkt erreicht, wenn das Einkommen um denjenigen Betrag gestiegen ist, der sich ergibt, wenn man die je Periode in gleicher Hohe in Anspruch genommene Kreditsumme des Staates mit dem reziproken Wert der Sparquote multi- pliziert. Der Auftrieb, der sich aus den in immer kleinerem Umfang auf- tretenden Überschüssen der Kaufkraftschöpfung bzw. -mobilisierung ergibt, ist damit erschöpft. Auf dem neuen Produktions- und Beschäftigungsniveau findet weder eine Erhöhung noch eine Verminderung der Gesamtnachfrage statt.

Ein solcher Gleichgewichtspunkt wird sich in Wirklichkeit nicht erge- ben, vielmehr wird von der Ankurbelung durch die staatliche Kreditinan- spruchnahme und Konsumausweitung, falls diese genügend stark ist, ein

x) Eine Preiserhöhung können wir in der vorliegenden Situation als unwahr- scheinlich außer Betracht lassen, da ja genügend Produktionsreserven in Form von Produktionsanlagen, Rohstoffen oder Rohstoffgewinnungsmöglichkeiten und Arbeitskräften der benötigten Art als vorhanden angenommen werden dürfen (vgl. hierzu N ö 1 1 v. d. Nahmer, a. a. O. S. 555 f., Rudolf Stucken, a. a. O., Bd. 3, S. 124).

2) Vgl. Gottfried Haberler, Prosperity and depression, deutsche Ausgabe, Bern 1948, S. 434.

3) Vgl. Robert v. Keller, a. a. O. S. 487.

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Anstoß ausgehen, der zu einer erhöhten Kreditinanspruchnahme auch der privaten Wirtschaftseinheiten führt. Erwähnt wurde schon die Erhöhung der Lagerbestände, die finanziert wird durch Mobilisierung vorhandener oder Bereitstellung neuer Kaufkraft seitens der Banken. In den besonders ange- kurbelten Branchen steigt die Gewinnerwartung der Unternehmer in An- betracht der durch die bessere Kapazitätsausnutzung vergrößerten Gewinne. Bei einer großzügigen staatlichen Ausgabenpolitik wird nach einiger Zeit die Grenze der Kapazitätsausnutzung erreicht werden, es kommt zu Eng- pässen, einem leichten Anziehen einzelner Preise, weiteren Gewinnerhöhun- gen und noch stärker steigenden Gewinnerwartun gen. Die bisher zurück- gestellten Ersatzinvestitionen werden nunmehr vorgenommen und dazu mehr und mehr auch Erweiterungsinvestitionen. Die Unternehmer, die sich in einer solcherweise günstigen Konjunktur befinden, nehmen hierfür in wachsendem Umfang Kredite in Anspruch. Die Auftriebsbewegung über- trägt sich also auf diejenigen Teile der Wirtschaft, die nicht unmittelbar durch die staatliche Politik gefördert werden, insbesondere wird die Investi- tionsgüterindustrie je mehr profitieren, je länger der durch die staatlichen Maßnahmen ausgelöste Auftrieb anhält. Wenn der Anstoß so kräftig und so nachhaltig ist, daß die Übertragung auf die Investitionsgüterindustrie in bedeutendem Umfang gelingt, kann die Ankurbelungspolitik als erfolgreich bezeichnet werden. Jetzt wird der Überschuß der Kaufkraftmobilisierung über die Stillegung weiter bestehen bleiben, ohne daß sich die staatliche Finanzwirtschaft darum bemüht. Dieser Überschuß wird sich sogar, wenn er eine bestimmte Größe erreicht hat, selbsttätig weiter vermehren. Von einem bestimmten Punkt der Steigerung der Investitionsgütererzeugung an wird nun das sog. Beschleunigungsprinzip1) wirksam zu werden beginnen, d. h. die in Gang befindlichen Investitionen erzeugen neue auf den vorge- lagerten Stufen, u. U. in einem sehr viel höheren Ausmaß. Der Wirtschafts- aufschwung erhält jetzt eine Beschleunigung, die sich selbst dauernd ver- stärkt, er entgleitet der Führung der staatlichen Finanz Wirtschaft regel- recht. Die Entwicklung gestaltet sich aber, wie gesagt, nur dann so, wenn der erste Anstoß genügend wuchtig und anhaltend ist. Ist er schwach und zögernd, so erreicht er den Punkt nicht, an dem die Selbstbeschleunigung einsetzt. Die Bewegung kann schon versanden, bevor sich ein erhöhtes Ein- kommensniveau durchgesetzt hat.

Wenn die staatliche Finanz Wirtschaft die Personalausgaben erhöht, so sind die Wirkungen von den eben beschriebenen, bei Steigerung der Sach- ausgaben eintretenden, nicht wesentlich verschieden. Die erste Wirkung ist nunmehr unmittelbar die Vergrößerung des privaten Konsums der zusätz- lich eingestellten oder höher entlohnten Staatsbediensteten. Die sekundäre Welle des vorigen Falls ist hier die primäre, es entsteht sofort höheres Ein- kommen und gesteigerter Konsum; die anderen Wellen verlaufen genau so wie oben, ihre Stärke und Reichweite sowie ihre Dauer hängen wieder davon ab, in welcher Höhe und wie lange die staatliche Finanz Wirtschaft einen

*) Über die Wirkungsweise des Beschleunigungsprinzips vgl. etwa Haber- ler, a.a.O. S. 90 ff.

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Überschuß der Kaufkraftmobilisierung zur Finanzierung höherer Personal- ausgaben herbeiführt und beibehält.

Der vom Staat in Anspruch genommene Kredit kann auch noch in anderer Weise zur Konsumfinanzierung verwendet werden, nämlich durch Unterstützungsleistungen an Bedürftige und Subventionierung des Massen- konsums1). Hier treten dieselben Wirkungen ein wie durch die Erhöhung der Personalausgaben. Der Verbrauch wird sofort entsprechend steigen und zwar in größerem Umfang als in diesem Fall, da die Unterstützten ihren Einkommenszuwachs in der Eegel voll dafür verwenden werden. Wenn Sub- ventionen bezahlt werden, so wird bei Gütern des Massenkonsums mit ge- ringer Preiselastizität der Nachfrage eine Ausgabenersparnis eintreten, die fast in vollem Umfang für den Konsum nichtsubventionierter Waren ver- wendet werden dürfte. Die Subventionsbeträge werden also ebenfalls so ziemlich in ihrer ganzen Höhe dem Konsum zugute kommen. Wäre dies vollständig der Fall, so würde die neu mobilisierte Kaufkraft ungeschmälert zusätzliche Einkommen erzeugen bei den in der Konsumgüterindustrie neu verwendeten bzw. besser genutzten „Produktionsfaktoren". Dort wird dann allerdings wohl schon ein Teil gespart werden, so daß in der nächsten Phase der Entwicklung der Überschuß der mobilisierten Kaufkraft wieder abnimmt. Die Situation ist nun weiter die gleiche wie bei den schon betrachteten Fäl- len. Wäre die Sparquote bei den neuen Einkommen null, so würde in jeder folgenden Wirtschaftsperiode das erhöhte Einkommen beibehalten. Je höher die Sparquote, desto mehr ist mangels zusätzlicher privater Investition eine weitere staatliche Konsumfinanzierung erforderlich, desto kleiner sind je- doch die - von Periode zu Periode abnehmenden - Summen, die der Staat über den Betrag der Kaufkraftstillegung hinaus für die Konsumförderung verwenden muß, wenn er einen Zustand anstreben will, in dem der erstmalige Überschuß der mobilisierten Kaufkraft durch die Kaufkraftstillegung ein- geholt ist, so daß bei höherem Einkommensniveau sich Kaufkraftmobili- sierung und -Stillegung ausgleichen, also keine Expansion mehr gegeben ist. Der Staat kann aber die Konsumförderung jederzeit einstellen oder nur in dem Umfang vornehmen, als eine zusätzliche Stillegung durch Konsum- verzicht erfolgt. Wenn der Stillegung jeweils eine Mobilisierung für Investi- tionszwecke der privaten Wirtschaft entspricht, so braucht keine Konsum- förderung vorgenommen zu werden, damit das neu erreichte Einkommens- niveau nicht absinkt. Ein Anreiz zur Vornahme privater Investitionen wird ja in einem gewissen Ausmaß durch die Konsumsteigerung sicherlich erzeugt.

Wie sieht nun die Verwendung der vom Staat für Investitionsfinan- zierung in Anspruch genommenen Kredite aus? Ist die Investitionsfinan- zierung günstiger zu beurteilen als die Konsumfinanzierung?

Die Möglichkeit, die staatlichen Kredite an private Unternehmer wei- terzuleiten, scheidet aus, weil für die Unternehmer ja, wie bereits oben fest- gestellt, der Investitionsanreiz fehlt. Es käme wohl nur die Gewährung zins- loser Darlehen oder die Zahlung verlorener Zuschüsse in Frage für die Fi- nanzierung gewisser Investitionen, etwa des sozialen Wohnungsbaus. All-

*) Vgl. v. K e 1 1 e r , a. a. 0. S. 499.

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gemein wird sich dieser Weg nicht mit dem Gerechtigkeitsgrundsatz ver- einbaren lassen - anders als die Zahlung von Unterstützungsleistungen an Bedürftige - , somit als nicht gangbar betrachtet werden müssen. Es bleibt also im wesentlichen nur die Öffentliche Investition, die unmittelbar vom Staat vorgenommen wird. Die Möglichkeiten sind hier geradezu unendlich. Als zu den wichtigsten gehörend kann man anführen : Ausbau des Verkehrs- netzes, vor allen Dingen Straßenbau, aber auch Verbesserung der Leistungs- fähigkeit der Eisenbahnen, soweit sie verstaatlicht sind; Investitionen der öffentlichen Betriebe überhaupt (Versorgungsbetriebe usw.); Vornahme von Bodenmeliorationen (Entwässerung, Bewässerung, Eindeichung usw.); Er- stellung von staatlichen und gemeindlichen Siedlungen und Wohnblocks, Bau von Schulen, Krankenhäusern, Öffentlichen Gebäuden aller Art. Die Liste ließe sich verlängern bis zur Anlage von Parks und Vornahme von Verschönerungsarbeiten .

Welche Wirkung hat die Investitionsfinanzierung auf den Produktions- und Beschäftigungsstand ? Die Ankurbelung findet hier unmittelbar in dem- jenigen Industriesektor statt, der unter der Depression am meisten zu leiden hat. Während bei dem Weg über die Konsumfinanzierung eine Auftriebs- bewegung in den Investitionsgüterindustrien erst in einem späteren Sta- dium festzustellen ist, - nämlich dann, wenn die Gewinnerwartung für die Unternehmer der Konsumgüterindustrien einen gewissen Grad erreicht hat infolge der laufend beobachteten Verbesserung der Gewinnlage und wenn zunächst Ersatzbeschaffungen nachgeholt und später eine Ausdehnung der Produktionskapazität vorgenommen wird, wobei das Beschleunigungsprin- zip zu einer mächtigen Verstärkung der Investitionstätigkeit führen kann - ist hier wie in dem ohne staatliche Nachhilfe in Gang kommenden Konjunk- turaufschwung gleich eine verstärkte Tätigkeit der Investitionsgüterindu- strien gegeben. Die Auftriebstendenz wird jetzt von den Investitionsgüter- industrien auf die Konsumgüterindustrien übertragen, und zwar liegt hier eine viel strammere Verknüpfung vor als im umgekehrten Fall : die Unter- nehmer werden sehr viel zögernder ihre Investitionsentschlüsse fassen als die Arbeiter, die in erster Linie die Empfänger der zusätzlichen Einkom- men sind, ihre Verbrauchsentschlüsse. Die zweite Phase der Entwicklung besteht darin, daß die durch die vermehrte Investitionsgüterproduktion ent- standenen zusätzlichen Einkommen zum weitaus überwiegenden Teil für Konsumgüter ausgegeben werden. (Für die bisher arbeitslos Gewesenen be- steht ein viel dringenderer Nachholbedarf an Konsumgütern als für die Unternehmer an Investitionsgütern). Es zeigt sich nun bei einer bestimm- ten Spar quote, die zunächst als sehr minimal angenommen werden darf, obwohl in den zusätzlichen Einkommen auch Unternehmergewinne enthal- ten sind, für die die Spar quote naturgemäß sehr hoch liegt, wieder die Multiplikatorwirkung, und zwar in der Form, wie sie in der Literatur zu- erst beschrieben wurde. Wenn vorläufig über den bisherigen tiefen Stand hinausgehende zusätzliche Investitionen nur vom Staat vorgenommen wer- den und in jeder Wirtschaftsperiode die Höhe dieser Zusatzinvestition gleich hoch sein soll, so muß jeweils soviel zusätzlicher, nicht aus den laufenden Ersparnissen stammender, Kredit in Anspruch genommen werden, als die

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Differenz zwischen dem zusätzlichen Sparbetrag und dem für jede Periode gleichen Investitionsbetrag ausmacht. Je mehr der Staat solche Kredite für ,, Auffüllungszuschüsse" in Anspruch nimmt, desto mehr vergrößert sich der gesamte Einkommenszuwachs, bis schließlich, wie wir oben sahen, der Punkt erreicht ist, an dem aus dem Einkommenszuwachs soviel gespart wird, daß damit die Öffentliche Investition in vollem Umfang finanziert werden kann. Die Multiplikatorwirkung ist dann zu Ende und damit die Expansion. War die Kapazität der Konsumgüterindustrien in der Depression noch verhält- nismäßig gut ausgenützt, so wird bei einer beträchtlichen Öffentlichen In- vestition in immer gleicher Höhe für jede Produktionsperiode der Konsum nach einiger Zeit soweit gestiegen sein, daß die Grenze der Kapazitätsaus- nützung in die Nähe rückt. Es wird dann zu privaten Investitionen in wach- sendem Umfang kommen. Bei Erreichung der Kapazitätsgrenze werden zu- nächst auf den betreffenden Märkten die Preise steigen. Das ist ein Zeichen dafür, daß man mit der Investitionsausdehnung ohne vorhergehenden oder mindestens gleichzeitigen Konsumverzicht bis an die Grenze der im Mo- ment gegebenen materiellen Möglichkeiten gegangen ist1). Durch die nun- mehr verstärkt einsetzende private Investition werden weitere Arbeitskräfte aufgesaugt, bis schließlich ein Zustand der Vollbeschäftigung erreicht ist2). Da die jetzt immer noch zusätzlich entstehenden Einkommen nur zum Teil gespart werden, wird sich der Druck auf einzelnen Konsumgütermärkten verstärken, die Preissteigerungstendenzen also zunehmen, und zwar solange, bis die Produktionskapazitäten in einem bestimmten Umfang erweitert sind, was natürlich u. U. erst nach längerer Zeit der Fall sein wird. Trotz der Preissteigerungstendenzen ist eine Kreditausweitung immer noch angebracht, weil anders die restlichen Arbeitskräfte nicht absorbiert werden könnten. Würde vor Erreichung der Grenze der Kapazitätsausnutzung in den Kon- sumgüterindustrien das durch die Kreditausweitung zusätzlich erzeugte Ein- kommen sofort in vollem Umfang gespart, so wäre eine Kapazitätserweite- rung hier nicht notwendig und daher nicht gerechtfertigt. Die gesparten Einkommensteile könnten immer wieder neu der öffentlichen Investition zugeführt werden. Dieser Fall wird aber in Wirklichkeit nicht eintreten, da,

1) Die Argumentation, daß immer erst gespart werden müsse, wenn inve- stiert werden soll, die nur für den Zustand der Vollbeschäftigung gilt, paßt na- türlich trotzdem nicht auf diese Situation. Solange noch brachliegende Arbeits- kräfte vorhanden sind, können mit ihrer Hilfe die Produktionskapazitäten der Konsumgüterindustrien erweitert werden, ohne daß der im Augenblick erreichte Konsum reduziert zu werden braucht, wie das in einer vollbeschäftigten Wirt- schaft der Fall ist. (Vgl. Nöll v. d. Nahmer, Geld-Kaufkraft-„Kapital" und ihre gegenseitigen Beziehungen, F. A., N. F., Bd. 9, S. 94).

2) Bei solchen Pauschalüberlegungen wird stets die Annahme gemacht, daß in weitgehendem Umfang eine universelle Verwendungsmöglichkeit der Arbei- ter besteht, insbesondere je nach Bedarf ihr Einsatz in der Konsum- oder Pro- duktionsgütererzeugung erfolgen kann. Diese Annahme trifft natürlich für die Wirklichkeit nicht ganz zu. Die in jedem Produktionszweig erforderlichen ge- lernten Spezialkräfte sind nur in beschränkter Zahl vorhanden und nicht um- dirigierbar. Es darf aber trotzdem angenommen werden, daß mit der Masse der vorhandenen Arbeitskräfte die Produktion da erweitert werden kann, wo es durch die jeweilige Wirtschaftslage geboten erscheint.

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wie schon erwähnt, immer nur ein Teil gespart werden wird. Es könnte aber auch sein, daß die alten Kapazitäten der Konsumgüterindustrien noch so hoch sind, daß sie genügen, um die zur Befriedigung der laufend erhöhten Nachfrage notwendige Produktion zu ermöglichen. Dann dürfte an sich keine Erweiterungsinvestition im Konsumgütersektor vorgenommen werden, da sie sich als unnötig herausstellen würde im weiteren Verlauf. Im allgemeinen wird diese Lage nicht gegeben sein, da gegenüber dem Zeitpunkt der letz- ten Hochkonjunktur die Bevölkerung gewachsen sein wird und damit die Zahl der zu beschäftigenden Arbeiter und die gesamte Nachfrage nach Kon- sumgütern bei hohem Beschäftigungsgrad. Wenn objektiv betrachtet eine Kapazitätserweiterung tatsächlich unzweckmäßig wäre, weil auf die Dauer die alten Kapazitäten ausreichen, so würden die Unternehmer trotzdem bei steigendem Umsatz und zunehmenden Gewinnen in Verkennung der wah- ren Lage nicht nur die laufenden Ersatzinvestitionen, sondern wohl auch Erweiterungsinvestitionen vornehmen. Hier ist nicht zu erwarten, daß sie das richtige Augenmaß haben von ihrem beschränkten Blickwinkel aus. Es kommt leicht zu einer Überschätzung der Möglichkeiten. Sind die Erwei- terungsinvestitionen einmal in größerem Umfang in Gang gekommen, so beginnt bald das Beschleunigungsprinzip zu wirken und die Expansions- bewegung führt zu Übersteigerungen. Diese Situation tritt genau so ein, wenn der Konjunkturaufschwung nicht durch eine staatliche Ankurbelung, sondern durch die eigenen Antriebe der Wirtschaft hervorgerufen worden ist. Gegenüber diesem Fall unterscheidet sich der der staatlich herbeige- führten Expansion nicht allzusehr. Beidemal sind es Investitionen, die außer- halb der Erweiterung der vorhandenen Konsumgüterproduktionskapazitäten liegen (im von selbst entstehenden Aufschwung handelt es sich in der Regel um die Entwicklung ganz neuer Produktionszweige, Verwertung neuer tech- nischer Ideen, Investitionen zur Erschließung neuer Absatzgebiete und Woh- nungsbau)^ Trotzdem ist aber im Fall der staatlichen Ankurbelung durch öffentliche Investitionen die Gefahr der Bildung späterer Überkapazitäten nicht so groß wie im anderen Fall, und zwar deswegen, weil die öffentlichen Investitionen nicht dazu dienen, die Menge der erzeugten privaten Konsum- güter zu vermehren, wie das ja bei den privaten Investitionen auch der Anfangsphase des Aufschwungs letzten Endes doch der Fall ist. Wenn die Deckung der Gemeinschaftsbedürfnisse durch die öffentlichen Investitionen verbessert wird, so hat dies nur geringen Bezug auf die Bedürfnisse und Gü- ter, die in der privaten Wirtschaft eine Rolle spielen. Soweit die Produkti- vitätsgrundlagen der Gesamtwirtschaft durch die öffentlichen Investitionen gehoben werden, hat dies ebenfalls keine Bedeutung für die Schaffung et- waiger „Überkapazitäten". Hier handelt es sich weitgehend um eine Art ,, Rahmeninvestitionen", die nicht nach Rentabilitätsgesichtspunkten vor- genommen werden und die der privaten Wirtschaft Leistungen zur Ver- fügung stellen, die in Anspruch genommen werden können oder nicht. Nicht die Gewinnerwartung - und damit letzten Endes der Konsum des End- produkts, der erwartet wird - entscheidet hier über die Vornahme weite- rer Investitionen. Die vertikale Abhängigkeit der Rentabilität und Gewinn- erwartung ist hier also nicht gegeben, die Gefahr von Überkapazitäten be-

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steht nicht: diese können nur da auftreten, wo Rentabilitätserwägungen eine Rolle spielen1).

Ist nun die Konsumfinanzierung in einer der drei angegebenen Formen oder die Investitionsfinanzierung für die ,, Ankurbelungspolitik" vorzuzie- hen ? Aus verschiedenen Gründen dürfte die letztere wohl als geeigneter zu betrachten sein.

a) Wenn die Belebung zunächst in den Produktionsgüterindustrien er- folgt, d. h. in erster Linie in der Bauwirtschaft und in der Eisen verarbeiten- den Industrie, so werden diejenigen Produktionszweige zuerst gefördert, die in der Depression am ungünstigsten stehen. Dabei ist die durch die staatlichen Aufträge herbeigeführte Produktionssteigerung aus den eben an- gegebenen Gründen weniger gefährlich als die aus der Wirtschaft selbst heraus entstehende. Die Belebung verläuft ganz ähnlich wie im „natürli- chen" Aufschwung, sie erstreckt sich nach einiger Zeit sowohl über die Produktions- als die Konsumgüterindustrien, zeitigt aber nicht von vorn- herein das Risiko einer auf Grund überoptimistischer Erwartungen sich möglicherweise entwickelnden, im Hinblick auf den letzten Absatz „falschen", Produktionsstruktur, die später unrentable Anlagen, also „Fehlinvestitio- nen" aufweist.

b) Für eine Wirtschaft, die hinsichtlich der Rohstoff beschaff un g für die Konsumgüterproduktion auslandsabhängig ist2), die Rohstoffe für In- vestitionsgüter dagegen selbst erzeugen kann, wird eine in der Konsum- sphäre einsetzende Expansion viel schneller zu einer Anspannung der außen- wirtschaftlichen Lage führen als eine Belebung, die sich zuerst auf die In- vestitionsgüter und erst später durch die Multiplikatorwirkung auf die Kon- sumgüterproduktion erstreckt. Natürlich wird auch hier in der zweiten Phase der Import der Konsumgüterrohstoffe erhöht werden müssen und eine un- günstige Entwicklung der Leistungsbilanz der Außenwirtschaft eintreten, wenn die Einkommensverwendung den einzelnen völlig freisteht, doch wird diese Wirkung nicht sofort und nicht so heftig auftreten. Es kann nun sein, daß die Außenhandelspartner eine ähnliche Expansionspolitik betrei- ben und so die Exporte mit den Importen ansteigen, oder daß sie sich be- reit erklären, im gleichen Umfang, als sie mehr liefern, auch mehr Ware abzunehmen. In diesem Fall wird die außenhandelspolitische Schwierigkeit nicht auftreten. Ist diese günstige Situation nicht gegeben, so wird auf die Dauer eine Preiserhöhung der ausländischen Waren eintreten durch die Ver- schlechterung des Geldaußenwertes - wobei man entweder devalvieren oder die Währung von der Gold- oder festen Wechselkursbindung losen kann - , also auch eine gewisse Erhöhung des inländischen Preisniveaus in Kauf genommen werden müssen, oder aber man führt eine Devisenbewirt- schaftung ein, hält also die Leistungsbilanz zwangsweise im Gleichgewicht, was die Folge hat, daß die Importgüter rationiert werden müssen und da-

1) Ähnlich LotharHendus, Untersuchungen über die Ablösung einer staatlichen Kreditfinanzierung, F. A., N. F., Bd. 9, S. 135.

2) Vgl. Nöll v. d. Nahmers Unterscheidung zwischen Ländern mit „vollständigem" und „unvollständigem" „Kreditfonds", F. A., N. F., Bd. 2, S. 572 ff.

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mit Bewirtschaftungsmaßnahmen in ziemlich weitgehendem Umfang not- wendig werden. In einer Wirtschaft, die auch die Rohstoffe der Konsum- güterproduktion selbst erzeugt, treten natürlich diese Konsequenzen nicht auf, so daß aus diesem Grund die Investitionsfinanzierung nicht bevorzugt zu werden braucht.

c) Die Öffentlichen Investitionen ermöglichen in großem Umfang eine Erhöhung der Produktivität der Gesamtwirtschaft, indem sie günstigere Verkehrsverhältnisse schaffen, Energiequellen erschließen, die landwirt- schaftlich nutzbare Bodenfläche vergrößern und verbessern, den Gesund- heitszustand der Bevölkerung und damit die wirtschaftliche Leistungsfähig- keit heben, den Bildungsgrad und die wirtschaftlich verwertbaren Fertig- keiten der Bevölkerung erhöhen usw. Eine solche Steigerung der Gesamt- leistungsfähigkeit der Wirtschaft durch eine Verbesserung der Produktions- grundlagen auf den verschiedensten Gebieten tritt natürlich bei einer Kon- sumfinanzierung nicht ein. Daß aus diesem Grund die Investitionsfinan- zierung vorzuziehen ist, da sie die Produktionskraft der Gesamtwirtschaft erhöht und sie international konkurrenzfähiger macht, leuchtet unmittelbar ein. Es spricht also einiges für die Bevorzugung einer Ankurbelungspolitik, die den Weg der zusätzlichen öffentlichen Investitionstätigkeit einschlägt.

2. Wenn die Ankurbelungspolitik geglückt ist und die staatliche Kauf- kraftmobilisierung nicht weiter betrieben wird, weil die Wirtschaft selbst genügend Antriebskräfte besitzt, so ist der Zustand wiederhergestellt, in der die Wirtschaft in konjunktureller Hinsicht sich selbst überlassen ist. Die Entwicklung geht nun in derselben Weise weiter wie bei einem von selbst entstandenen Konjunkturaufschwung. Die privaten Investoren neh- men immer neue Kredite in Anspruch, das Tempo der Expansion steigert sich, der Optimismus wächst immer mehr, das Beschleunigungsprinzip wirkt immer stärker, es kommt zu Erweiterungen der Produktionsanlagen, ohne daß sich die Unternehmer darüber klar werden, ob die von ihnen neu ge- schaffenen Kapazitäten auch einmal voll ausgenutzt werden können. Das Geld- und Kreditvolumen schwillt laufend an. Das Preisniveau gerät auf immer breiterer Front in Bewegung1), die Liquiditätsreserven werden ver- ringert, weil man bei steigenden Preisen möglichst schnell kaufen möchte. Die gesamte Entwicklung nimmt Formen an, die auf eine Übersteigerung schließen lassen und bei neutralen Beobachtern den Eindruck erzeugen müs- sen, daß sie irgendwie nicht gut ausgehen kann, daß ein Rückschlag unver- meidlich eintreten wird, der leicht eine Panikstimmung erzeugen und zu einem Zusammenbruch der Hochkonjunktur führen kann. Hier kann nun, wie oben schon erwähnt, die Zentralbank die Aufwärtsbewegung hemmen oder gar ganz unterbinden. Diskonterhöhungen werden vielleicht anfäng- lich noch kaum wirksam sein, da die Gewinnerwartungen so hoch geschraubt sind, daß Zinserhöhungen in Kauf genommen werden. Greift jetzt die Zen- tralbank zu drastischeren Mitteln, wie Abstoßen von im Zuge der Offen- marktpolitik angekauften Wertpapieren, Beschränkung des Kreises der re- diskont- und lombardfähigen Papiere oder gar regelrechter Kreditrestrik-

l) An manchen Stellen der Rohstoff gewinnung macht sich das Gesetz des abnehmenden Ertragszuwachses bemerkbar.

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tion, so entsteht sehr leicht die Gefahr, daß die Vorsichtsmaßnahmen das zu verhütende Unglück gerade herbeiführen. Kursstürze der langfristigen Wertpapiere, Beschränkung der Refinanzierungsmöglichkeiten der Geschäfts- banken und ähnliches können die Wirtschaft in einen Schockzustand ver- setzen, sie können als so heftige Alarmzeichen wirken, daß plötzlich eine Vertrauenskrise ausbricht und der Rückschlag da ist.

Zur Bremsung der sich übersteigernden Expansion dürfte sich eine fi- nanzwirtschaftliche Beruhigungspolitik weit eher empfehlen als das Ein- greifen der Zentralbank. In welcher Form kann nun eine solche Politik be- trieben werden ?

Es kann eine Stillegung von Kaufkraft erfolgen, ohne daß die Wirt- schaft etwas davon merkt, also ohne daß ein Alarmzustand oder eine Psy- chose entsteht. Die Stillegung ist ein wesentlich geeigneteres Mittel als die Erschwerung oder gar Beseitigung der Möglichkeit zusätzlicher Kaufkraft- beschaffung, und zwar eben deshalb, weil sie vollkommen geräuschlos vor- genommen werden kann. Auch die Offenmarktoperationen der Zentralbank führen zur Stillegung, aber sie verursachen Kurssenkungen bei den fest- verzinslichen Wertpapieren und daher eine Beunruhigung der Wirtschaft. Nimmt dagegen die staatliche Finanz Wirtschaft Stillegungen vor, so ist eine solche Beunruhigung nicht zu befürchten. Die Stillegungen können in zwei- facher Form erfolgen: entweder werden laufende Einnahmen der Staats- finanzwirtschaft dazu verwendet oder es werden Kredite in langfristiger Form beim privaten Publikum aufgenommen und die dabei eingehenden Gelder weder ausgegeben noch ausgeliehen. Selbstverständlich werden keine Zentralbankgeldmengen gehortet, sondern Sichtdepositen bei den Geschäfts- banken ungenutzt stehen gelassen. Die aus Steuereinnahmen und Anleihe- begebung hereinfließenden Barbeträge werden also bei den Banken ein be- zahlt und dort als kurzfristige Guthaben gehalten. Die in Form von Giral- geld eingehenden Beträge, die ja weit überwiegen werden, bleiben als Sicht- depositen bei den Banken stehen. Es wird nicht über sie verfügt, sie werden aber auch nicht in Sparkonten umgewandelt oder zum Ankauf von Wert- papieren verwendet. Der Kreditexpansion kann so laufend entgegengearbei- tet werden. Wenn die Banken ständig neue Giralgeldmengen erzeugen, so wird auf der anderen Seite durch den Staat eine ständige Stillegung vor- genommen, die größer oder kleiner gehalten werden kann, je nachdem es erforderlich erscheint. Die Möglichkeit, erhöhte Steuereinnahmen auf diese Weise brach zu legen, wird in der betrachteten Situation ziemlich bedeu- tend sein. Im Lauf des Konjunkturaufschwungs werden ja die Steuerein- nahmen mit der Erhöhung der Umsätze und Einkommen beträchtlich an- steigen. Der Finanzbedarf wird aber entweder gar nicht oder nur unbedeutend durch die erhöhte Beschäftigung vergrößert, so daß sich von selbst Über- schüsse bilden werden, wenn nicht die Steuersätze gesenkt oder einzelne Steuern ganz abgeschafft werden, was normalerweise wohl nicht der Fall sein dürfte und aus den Stillegungsabsichten heraus bewußt vermieden wer- den kann. Hier taucht nun die Frage auf, ob es nicht zweckmäßig wäre, einen Teil der Staatskredite, die etwa im Zuge der Ankurbelungspolitik in Anspruch genommen worden sind, mit Hilfe der Überschüsse aus den lau-

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f enden Einnahmen zu tilgen. Diese Frage ist negativ zu beantworten. Eine solche Politik würde nicht zum Erfolg führen1), weil ja auf diesem Wege keine Stillegung der betreffenden Mittel vorgenommen würde. Die Mittel fließen hier an die bisherigen Gläubiger zurück und stehen diesen für neue Kreditgewährung zur Verfügung2). Mit der Möglichkeit, daß sie von den Gläubigern brachgelegt werden, ist in der Phase der Hochkonjunktur nicht zu rechnen. Die Nachfrage nach Krediten ist ja hier besonders hoch und eine Zurückhaltung der Anbieter besteht auch nicht, im Gegenteil wird ja die Kassenhaltung so gering wie möglich gemacht. Einen Sinn hätte die Tilgung nur dann, wenn es sich um Notenbankkredite handeln würde und der Staat die Notenbank dazu veranlassen würde, die zurückströmenden Gelder nicht neu auszuleihen3). Der zweite Weg, die Inanspruchnahme von Krediten, kommt natürlich nur in dem Umfang in Frage, als die Möglich- keiten des ersten Weges nicht ausreichend sind. Hier handelt es sich selbst- verständlich nicht um kurzfristige zusätzliche Kredite der Banken, da sonst eine zwecklose Verlängerung der beiden Bankbilanzseiten eintreten würde. Vielmehr müssen Mittel in Anspruch genommen werden, die aus Einkom- men stammen und nicht dem Konsum zugeführt werden, es müssen also langfristige Kredite von Sparern gegeben und die sonst investierten Gelder aus dem Verkehr gezogen werden. Die für Investitionsfinanzierung in Frage kommende private Kreditexpansion wird nun, wenn die Konsolidierung durch langfristige Kredite in großem Umfang ausbleibt, bei schlechter wer- dender Liquiditätslage der Banken gedrosselt werden, der Aufschwung also gehemmt.

Ob auf diese Weise die Entstehung einer Krise verhindert werden kann, ist allerdings sehr fraglich. Es hängt sehr viel davon ab, in welchem Zeitpunkt die Bremspolitik der Staatsfinanzwirtschaft einsetzt. Es kann sein, daß die Keime für die späteren Störungen sich so frühzeitig ent- wickeln, daß eine Bremspolitik, die in der Hochkonjunktur einsetzt, zu spät kommt. Wenn das Beschleunigungsprinzip bereits wirksam ist, werden sich Verlangsamungen des Wachstumstempos einzelner Industrien als Nach- fragestörungen vorgelagerter Industrien auswirken4). Solche Nachfragestö- rungen erzeugen Einbruchstellen innerhalb der Gesamtnachfrage, die nicht durch weitere private Kreditgewährung geschlossen werden können. Die Gefahren, die durch die technisch bedingte, vertikale Abhängigkeit der Nachfragegrößen voneinander bestehen, können sich schon verhältnismäßig früh bemerkbar machen. Wenn sich bei einer expansiven Entwicklung Dis- proportionalitäten in der vertikalen Produktionsstruktur herausbilden, kann die Staatsfinanz wirtschaftliche Bremspolitik nicht zum Ziel führen. Setzt sie schon verhältnismäßig früh ein, so kann sie allerdings das Tempo der Expansion stark hemmen und damit die Anstiegsphase der Konjunktur ent- sprechend verlängern. Setzt sie ein, bevor das Beschleunigungsprinzip wirk- sam wird, so kann sie vielleicht die Entstehung der Keime späterer Krisen

x) Wie Burkheiser fälschlicherweise glaubt (vgl. Karl Burkhei- s er, Grenzen des Staatskredits, Berlin 1937, S. 84 f.).

2) Vgl. H e n d u s , a. a. O. S. 135. 3) Vgl. H e n d u s , a. a. O. ÍS. 136. 4) VgJ. ±i a b e r 1 e r , a. a. U. ö. 34y.

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verhindern. Wir wollen hier die Frage, in welchen Fällen und inwieweit die Bremspolitik zu einem vollen Erfolg führen kann, nicht weiter erörtern, da ihre Beantwortung eine genaue Untersuchung der Ursachen der aus der Wirtschaft selbst entstehenden Schwankungen der Gesamtnachfrage, also der Ursachen der konjunkturellen Bewegung, voraussetzt, die hier nicht vor- genommen werden soll. Es gibt ja überdies ein Mittel, den krisenhaften Einbrüchen in das Niveau der Gesamtnachfrage zu begegnen, ein Mittel, das absolut wirksam ist, und das wir nun zu betrachten haben.

3. Soweit und solange die Gesamtnachfrage konstant bleibt, wird auch der Beschäftigungsgrad und das Produktionsvolumen einer Wirtschaft er- halten bleiben. Wenn die Expansion zu Ende gegangen ist und sich daran ein Zustand anschließt, der dadurch gekennzeichnet ist, daß gerade soviel gespart wird wie investiert, so besteht kein Grund, diesen Zustand zu än- dern. Die Erfahrung hat nun aber gezeigt, daß am Ende der Expansion kein Stillstand eintritt, sondern eine rückläufige Bewegung. Die Gesamt- nachfrage bleibt nicht konstant, vielmehr kommt es zu Einbrüchen und Keduktionen. Wenn die staatliche Finanzpolitik hiergegen vorgehen will, so betreibt sie eine Politik der Stabilisierung der Gesamtnachfrage. Eine solche Politik bedeutet, daß stets in dem Umfang, in dem ein Nachfrage- schwund vorkommt, wenn die Wirtschaft sich selbst überlassen bleibt, der Staat eine Nachfrage entfaltet, um so die aufklaffenden Lücken zu schlie- ßen.

Wodurch kann nun ein Schwund entstehen? Einmal dadurch, daß Bankkredite zurückgezahlt werden, die in der Aufschwungsphase der Wirt- schaft in Anspruch genommen wurden. Die betreffenden Sichtdepositen, die ja verfügbares Giralgeld darstellen, fallen damit aus, es kann mit ihnen keine Nachfrage mehr ausgeübt werden. Zum zweiten entsteht ein Schwund dadurch, daß Kaufkraft stillgelegt wird, entweder in der Form, daß Sicht- depositen ungenutzt bleiben oder in der, daß Sparkonten angelegt werden, denen keine Ausleihungen für Investitionen entsprechen. Wenn krisenhafte Störungen auftreten, so wird der Kaufkraftschwund zuerst in der zweiten und später in der ersten Form in Erscheinung treten. Der Staat wird also zur Auffüllung der Kaufkraft bzw. Nachfrage teilweise Kredite in Anspruch nehmen müssen, die stillgelegte Kaufkraft wieder mobilisieren, teils solche, die expansiver Natur, also zusätzlich sind. Er wird nun wieder in derselben Weise wie bei der Ankurbelungspolitik in Höhe des in Anspruch genomme- nen Kredits Ausgaben machen, die über die laufenden Einnahmen hinaus- gehen. Es liegt eine Politik des „deficit spending" vor. Ein zweiter Weg zur Steigerung der Gesamtnachfrage besteht darin, durch einen Umbau des Steuersystems zugunsten der kleinen Einkommensbezieher die Sparquote zu senken und damit die Möglichkeit der Kaufkraftstillegung zu vermin- dern. Man spricht hier von „redistributiver Besteuerung". Diese beiden Wege sind in den Oxforder Aufsätzen x) ausführlich dargestellt und be- gründet worden. Siesollen im folgenden etwas eingehender betrachtet werden.

*) The economics of full employment. Six studies in applied economics, Oxford 1944, deutsche Ausgabe „Vollbeschäftigung", Bern 1946.

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III. 1. Die Politik des deficit spending zur Stablisierung der Gesamtnach-

frage und Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung unterscheidet sich von der Ankurbelungspolitik mit Hilfe staatlicher Kreditinanspruchnahme zu- nächst insofern, als sie nicht in einmaliger Aktion gehandhabt, sondern im- mer wieder betrieben wird, sobald die Wirtschaftstätigkeit abzusinken droht. Während die Ankurbelungspolitik sich auf die eigenen Antriebskräfte der Wirtschaft verläßt und diese nur freisetzen möchte, kommt die Stabilisie- rungspolitik mit Hilfe des deficit spending einer Dauerintervention gleich. Der Ankurbelungspolitik liegt eine optimistische Einstellung zugrunde. Man vertraut darauf, daß der einmal angeworfene Wirtschaftsmotor von selbst auf volle Touren kommen und diese Tourenzahl beibehalten wird. Wenn man Stabilisierungspolitik betreibt, so hat man aus der immer wiederkeh- renden Erfahrung gelernt, daß „natürliche Vollbeschäftigung" nur während einer kurzen Zeitspanne herrscht und daß in diesem Zustand der Hochspan- nung die Wirtschaft laufend die Neigung hat, in einen Kontraktionsprozeß abzugleiten. Nur durch beständiges Entgegenarbeiten können diese Tenden- zen unwirksam gemacht werden.

Die Finanzierungsmethode des deficit spending zum Zwecke der Sta- bilisierung ist von derjenigen der Ankurbelungspolitik kaum verschieden. Beidemal wird Kredit in Anspruch genommen, soweit erhältlich langfristig, im übrigen kurzfristig mit der Absicht der späteren Konsolidierung. Für die Stabilisierungspolitik wird allerdings eine langfristige Kreditaufnahme wohl in größerem Umfang in Frage kommen als für die Ankurbelungspoli- tik, da hier echte Sparguthaben vorhanden sind, die nicht den Investoren zufließen, weil die Investitionsneigung nachgelassen hat. Grundsatz ist je- denfalls, die Kredite in der Fristigkeit aufzunehmen, mit der sie sich an- bieten1). Die kurzfristigen Kredite können, wenn vorläufig eine Konsoli- dierung nicht in Frage kommt, ja auch prolongiert werden.

Hinsichtlich der Verwendung der Stabilisierungskredite gelten dieselben Überlegungen wie für die Ankurbelungspolitik. Aber die Situation stellt sich doch etwas anders dar. Die Elastizität der Produktion ist jetzt nicht mehr so groß wie zur Zeit der Depression, ja sie wird an den meisten Stellen vollständig geschwunden sein. Es ist daher genau zu prüfen, wo Produktions- steigerungen ohne Preiserhöhungen möglich sind, wo nicht. Man wird also zur Entscheidung der Frage, ob der Konsum gesteigert werden soll oder die Investitionstätigkeit, die Lage der einzelnen Produktionszweige berück- sichtigen müsssen2). Auch die Art der Investition (oder des Konsums) muß hier nach den Produktionsmöglichkeiten bestimmt werden. Während man bei der Ankurbelungspolitik gewissermaßen aus dem vollen schöpfen kann, weil ja überall reichliche Produktionsreserven vorhanden sind, ist dies hier

x) Vgl. Vollbeschäftigung S. 196 f. (Aufsatz E. F. Schumacher), fer- ner v. K e 1 1 e r , a. a. O. S. 493 f.

2) Die Behauptung der Oxforder, daß die sozialen Prioritäten allein über die Art der Defizit- Ausgaben bestimmen (Vollbeschäftigung, S. 92 - Aufsatz M. K a 1 e c k i - , ferner S. 174 - Aufsatz Schumacher), stimmt also nicht ganz.

Finanzarchiv. N. F. 12. Heft 2 ] 3

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keineswegs mehr der Fall. Aus den früher betrachteten Gründen wird man die öffentlichen Investitionen, insbesondere in einer Wirtschaft, die die Roh- stoffe für die Konsumgütererzeugung großenteils importieren muß, vorzie- hen. Die Eückschläge in der Nachfrage treten ja auch, wenn sich aus den Einbrüchen in das Hochkonjunkturniveau noch keine Kontraktion entwik- kelt hat, bei den Investitionsgüterindustrien auf, so daß hier die öffentliche Nachfrage an die Stelle der privaten treten muß. Wenn sich die öffentlichen Investitionen nicht nach den vorhandenen Produktionsmöglichkeiten rich- ten, sind Engpässe und Preissteigerungen unvermeidlich. Nun wird aller- dings eine vollständige Anpassung nicht möglich sein. Der Staat kann ja nicht einfach diejenigen Güter für sich herstellen lassen, die von der priva- ten Wirtschaft nicht mehr genügend nachgefragt werden. Gewisse Umstel- lungen sind also unvermeidlich und damit auch gewisse preisliche Keak- tionen. Würde man nur das Bestreben haben, die auf Grund von Nachfrage- rückgängen freigesetzten Arbeiter irgendwie wieder zu beschäftigen, so könnte man natürlich Spannungen ebenfalls vermeiden, man würde aber im Grenzfall einer reinen Notstandsbeschäftigung, etwa durch K e y n e s sehen Pyramidenbau, lediglich den Konsum einigermaßen auf dem bisherigen Ni- veau halten, indem man die Lohneinkommen nicht absinken ließe. Die Pro- duktionsmöglichkeiten der Investitionsgüter industrien würden nicht mehr voll ausgenutzt. Es gilt also hier Möglichkeiten zu finden, um die Investi- tionsgüterindustrien weiterhin auszulasten, und zwar mit einer Produktion, die für den Staat von Nutzen ist. Für das Baugewerbe, das ja eine Schlüssel- position in der Investitionsgütererzeugung einnimmt, dürfte dies keine be- sonderen Schwierigkeiten machen, vielleicht ist bis zu einem gewissen Grad eine Umstellung von Hoch- auf Tiefbau notwendig, die sich aber wohl ver- hältnismäßig leicht durchführen ließe. Für diejenigen Industrien, die die Grundstoffe für die Investitionsgütererzeugung herstellen, wäre eine Um- stellung auf Staatsbedürfnisse auch kein unlösbares Problem. Am schwierig- sten wird die Situation bei den Maschinenfabriken sein, die Spezialmaschi- nen für die verschiedenen Konsumgüterfertigungen herstellen. Da Umstel- lungen in Richtung auf staatlichen Bedarf hier wohl nur in sehr beschränk- tem Umfang möglich sind, bleibt nichts anderes übrig, als die Kapazitäten teilweise brachliegen zu lassen und die Arbeiter berufsfremd zu beschäfti- gen, und zwar in denjenigen Zweigen der Investitionsgüterindustrie, die für öffentliche Investitionen in vollem Umfang arbeiten können. Die staatliche Mehrnachfrage wird, soweit sie sich auf Produktionszweige erstreckt, die nicht an Nachfragerückgang leiden, zu gewissen Umstellungen führen, die jedoch wohl nur in geringem Umfang Engpässe erzeugen. Das schwierigste Problem wird die Umgruppierung der Arbeiter sein, zu deren Bewerkstelli- gung, wenn sie möglichst schnell und reibungslos vonstatten gehen soll, eine Nachhilfe durch die staatlichen Arbeitsbehörden, ferner die Bereitstellung von Umzugsbeihilfen erfolgen muß.

Je mehr der Staat Lücken der Gesamtnachfrage ausfüllen muß, desto größer wird natürlich der Sektor der öffentlichen Investitionen. Bedeutet das nun nicht, daß damit die Effizienz der Wirtschaft allmählich zurück- gehen wird, weil ein zunehmender Teil der Produktion nicht mehr dem

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privaten Konsum dient, der Produktionsapparat doch wohl auch nicht mehr so ergänzt wird, wie es in bezug auf den letzten privaten Konsum ange- bracht wäre? Ist nicht die Wirtschaftsrechnung, die ihre Bezugsgrößen letzten Endes den Konsumentscheidungen der privaten Einkommensbezieher entnimmt, weitgehend außer Kraft getreten und durch staatlichpolitische Entscheidungen ersetzt, die keine Rücksicht auf die individuellen Bedürf- nisse der einzelnen nehmen ?

Würde eine sich selbst überlassene Wirtschaft so funktionieren, daß alles Handeln richtig am letzten Konsum der privaten einzelnen orientiert wäre, so würde natürlich die Effizienz durch die Beschäftigung eines Teils der Investitionsgüterindustrie für staatlichen Bedarf beeinträchtigt, soweit es sich nicht um staatlichen Bedarf handelt, der unbedingt gedeckt werden muß, damit private Produktion und Bedürfnisbefriedigung überhaupt erst möglich werden. Nun zeigen aber gerade die Konjunkturschwankungen, daß es einer nur auf Grund privater wirtschaftlicher Entscheidungen funktio- nierenden Wirtschaft nicht möglich ist, den Produktionsapparat in ratio- nellster Weise immer auf den letzten Konsum auszurichten. Jede Investi- tionsentscheidung basiert ja auf erwarteten Zukunftsgrößen. Hier kommen nun immer wieder Überschätzungen vor, weil die privaten Investoren einen zu kleinen Ausschnitt aus der gesamten Produktionsstruktur überblicken und weil die momentane Preis- und Gewinnentwicklung der einzelnen Pro- duktionsstufen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Entwicklung auf längere Sicht geben kann. Die private Wirtschaft löst das Problem der in jedem Augenblick richtigen Produktionsstruktur nicht, sonst könnte es nicht zu nichtmonetär bedingten Rückschlägen und Schrumpfungen der Gesamtnachfrage kommen. Würde nun keine deficit-spending-Politik be- trieben, so würden immer wiederkehrende Krisen und Depressionen als un- vermeidlich hingenommen werden müssen. So kann also behauptet wer- den, daß zwar die theoretisch höchstmögliche Effizienz mit einer deficit- spending-Politik nicht erreicht wird, daß aber zumindest sämtliche Produk- tivkräfte der Wirtschaft verwertet und der Konsum auf dem Stand der Hochkonjunktur gehalten werden kann. Es dürfte doch wohl besser sein, man beschäftigt die Arbeitskräfte und nützt die Hilfsmittel der Produktion, wenn auch nicht in der theoretisch günstigsten Weise - eben orientiert an den letzten Verbrauchsentscheidungen in der Zukunft, durch richtige Ab- stimmung der Produktion in den verschiedenen Stufen aufeinander - als man nimmt die Konjunkturabschwünge und Depressionsperioden einfach in Kauf. Ob die Produktionsstruktur des für den privaten Bedarf produzie- renden, weitaus größeren Teils der Wirtschaft sich allmählich korrigiert, wenn der Staat an Stelle der ausgefallenen privaten eine öffentliche Nach- frage entfaltet, kann allerdings bezweifelt werden. Es ist sogar möglich, daß die private Wirtschaft die inneren Maßstäbe für die richtige Gestaltung der Produktionsstruktur immer mehr verliert1), Vollbeschäftigung und hohe Produktion also immer mehr von der Entfaltung öffentlicher Nachfrage ab-

*) Soweit sie sie nicht schon verloren hat (vgl. Burkheiser, a. a. O. S. 99).

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hängen1). Aber selbst, wenn dies der Fall sein sollte, ist im Durchschnitt das Gesamtprodukt und die Gesamtversorgung der Bevölkerung höher als in der konjunkturbehafteten Wirtschaft. Mit den öffentlichen Investitionen steigt ja indirekt die Versorgung der Bevölkerung auch, nur handelt es sich im wesentlichen um Gemeinschaftsbedarf, der jetzt in höherem Maße be- friedigt werden kann.

Die obige Alternative gilt nun allerdings nur dann, wenn die Investi- tionsentscheidungen, die auf die Herstellung von Gütern zur Deckung des privaten Bedarfs bezogen sind, den privaten Unternehmern überlassen blei- ben. Solange dieser Fall gegeben ist, korrigiert der Staat gewissermaßen nur die Schäden, die sich auf Grund dieser privaten Entscheidungen ein- stellen, indem er die Lücken füllt. Es gibt jedoch auch noch die andere Möglichkeit, daß der Staat den Aufbau des Produktionsapparates nicht der privaten Investitionsentscheidung überläßt, sondern eine Planung für die Gesamtwirtschaft auf lange Sicht vornimmt und die privaten Entscheidun- gen insofern überwacht, als er sie nur zuläßt, soweit sie sich innerhalb des Rahmenplans bewegen. Hier ist die Politik der globalen Korrekturen des Wirtschaftsablaufs aufgegeben, es wird eine mehr ins einzelne gehende Be- stimmung der Wirtschaftsrichtung durch den Staat vorgenommen. Eine sol- che Politik macht es u. U. erforderlich, daß einzelne Engpässe bestehen bleiben, weil ihre Beseitigung später Überkapazitäten herbeiführen würde. Will man durch die Engpässe hervorgerufene Preissteigerungen vermeiden, so muß man evtl. zum Mittel der Rationierung greifen. Die Eingriffe werden dann natürlich immer zahlreicher und minutiöser. Vielleicht ist dies aber die einzige Möglichkeit, höchste Effizienz der Wirtschaft in bezug auf den privaten Bedarf zu erzielen und eine „gesunde" Produktionsstruktur zu er- langen, bei der jede Vorstufe in ihrer Kapazität auf die Endstufe ausgerich- tet ist und an keiner Stelle Wucherungen und Fehlentwicklungen auftreten, und die ferner der Bevölkerungsbewegung und dem technischen Fortschritt angepaßt ist.

Wir betrachten hier nur die globale Steuerung der Wirtschaft mit fi- nanzwirtschaftlichen Mitteln, können daher im Rahmen dieses Aufsatzes nicht auf das Problem der staatlichen Investitionsplanung eingehen. Wir müssen auch von einer Erörterung der Vor- und Nachteile der globalen gegenüber den Einzelmaßnahmen und -kontrollen absehen2). Beschränkt man sich auf pauschale Maßnahmen, so wird man auf alle Fälle konjunktu- relle Einbrüche beseitigen können.

Eine Schwierigkeit besteht bei dieser Politik noch insofern, als man die Größe der erforderlichen staatlichen Zusatznachfrage nicht genau bestim- men kann. Welchen Maßstab soll man hier zugrundelegen ? Soll man immer so weit gehen, daß der Stand der Arbeitslosigkeit nie ein gewisses, aus den notwendigen Fluktuationen resultierendes Minimum überschreitet ? Soll man sich bemühen, das Sozialprodukt auf einem bestimmten Stand zu halten ?

x) Vgl. die Besprechung von Alvin H. Hansen, Monetary theory and fiscal policy, durch G. S c h m ö 1 d e r s , F. A., N. F., Bd. 12, S. 156.

¿) Vgl. hierzu etwa Vollbescüättigung b. 74 îî. (Autsatz Ji1. A. iS u r - c h a r d t).

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Orientiert man sich am Beschäftigungsgrad, so hat man noch kein genaues Maß dafür, wie groß die Zusatznachfrage sein muß, damit eine bestimmte Zahl von Arbeitslosen absorbiert wird, außerdem geben die von der Stati- stik ausgewiesenen Arbeitslosenziffern keine genauen Anhaltspunkte über die tatsächlichen Arbeitsreserven. Man muß hier in Kauf nehmen, daß ein zu großer Betrag für erforderlich gehalten wird und sich zeitweilig ein Zustand der Überbeschäftigung mit gewissen Lohnsteigerungstendenzen ergibt. Wenn man Lohn- und Preissteigerungen vermeiden will, so müssen die Ziffern genauestens verfolgt werden und stets sofort entsprechende Anpassungen erfolgen, da sonst die Währung in Gefahr käme. Legt man die Produktions- ziffern zugrunde, so ist nicht ohne weiteres ersichtlich, inwieweit diese durch Leistungssteigerungen und Produktivitätserhöhungen bedingt sind. Sind die Ziffern rückläufig, so ist allerdings zu vermuten, daß zusätzliche Nach- frage erforderlich ist. Aber auch so ist die geeignete Höhe nicht ohne wei- teres zu ermitteln. Man ist ebenfalls auf Schätzungen angewiesen und muß bei falscher Dosierung entsprechende Korrekturen vornehmen. Trotz der Schwierigkeiten der richtigen Bemessung der öffentlichen Nachfrage erge- ben sich hier aber keine bedeutenden Gefahren.

Viel diskutiert wurde die mit der Defizitpolitik verbundene angebliche Gefahr eines zu starken Anwachsens der staatlichen Schuldenlast. Man hat allmählich eingesehen, daß die Verzinsung keine Last für die Gesamtheit darstellt, da es sich nur um einen Eedistributionsvorgang handelt1). Damit ist allerdings das durch diese Redistribution entstehende soziale Problem nicht aus der Welt geschafft2), doch es erweist sich als lösbar, am besten mit Hilfe einer Vermögens(Kapital-)steuer3). Würden die Empfänger der staatlichen Zinszahlungen allein belastet, so wäre die Zeichnungswilligkeit bald zerstört4). Das ganze Problem kann in seiner Schwierigkeit jederzeit vermindert werden durch die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit der Zen- tralbank den Zinsfuß zu senken 5) (Kreditinanspruchnahme unmittelbar bei der Zentralbank, die zur Liquidisierung der gesamten Wirtschaft führt). Hier sind allerdings gewisse Grenzen gesetzt wegen der Anpassungsschwie- rigkeiten für Versicherungsgesellschaften und Finanzierungsinstitute sowie der Störungen infolge des heftigen Anstiegs der Kapitalwerte6), doch dürfte der Spielraum ziemlich groß sein. Die Zinsenlast stellt also keine Gefahr von wesentlicher Bedeutung dar. Wenn dies so ist, so ist die Frage der Tilgung eigentlich nur aus konjunkturpolitischen Gründen bedeutsam. Hierzu haben wir aber bereits festgestellt, daß die Tilgung im Aufschwung, wo sie ja allein praktisch in Frage kommt, konjunkturpolitisch als neutral zu betrachten ist. Die Forderung, daß die Defizite der Depression und die Überschüsse der Hochkonjunktur sich ausgleichen sollen7), ist durchaus nicht begrün -

M Vgl. Vollbeschäftigung S. 85. 2) Vgl. Herbert Timm, Gedanken zur Staatsverschuldung, F. A.,

N. F., Bd. 9, S. 654, 667. 3) Vgl. Vollbeschäftigung, S. 85 f. 4) Vgl. Timm, a. a. O. S. 655. 6) Vgl. Timm, a. a. O. S. 655 f ., v. Keller a. a. O. •) Vgl. Vollbeschäftigung S. 186 f. 7) Vgl. Harald Fick, Finanz Wirtschaft und Konjunktur, Jena 1932,

S. 83 f., B u r k h e i s e r , a. a. O. S. 96.

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det. Eine Tilgung erscheint nur in dem normalerweise nicht zu erwartenden Fall als notwendig, daß die Staatsgläubiger in großem Umfang ihre Pa- piere abstoßen, um Waren zu kaufen1). Für ein gewisses Maß von Tilgung spricht wohl auch die Rücksicht auf den Zeichnungswillen des Publikums, der durch sie wohl günstig beeinflußt wird2).

Die finanz wirtschaftlich e Konjunkturpolitik mittels Kreditinanspruch- nahme kann natürlich auch so betrieben werden, daß es keine interventio- nistische besondere Ankurbelungspolitik gibt, die von einem bestimmten Punkt des Aufschwungs ab eingestellt wird, sondern von Anfang an ein systematisches Auffüllen. Hier wird also nicht auf das Funktionieren der privaten Entscheidungen vertraut, die Wirtschaft wird nicht ein Stück weit sich selbst überlassen, sondern beständig durch die finanzpolitischen Maß- nahmen gesteuert. Die Vollbeschäftigungspolitik im Sinne der Oxforder Aufsätze ist eine solche systematische Steuerung der Gesamtnachfrage, die ohne Unterbrechung betrieben wird3). Wenn sie im Zeitpunkt der Depres- sion einsetzt, wird sie aber zweifellos in dem Augenblick, wo die Wirtschafts- expansion eine bestimmte Eigenbeschleunigung erreicht hat, mehr oder we- niger automatisch ausgeschaltet, um erst wieder wirksam werden zu kön- nen, wenn die Hochkonjunktur umzuschlagen beginnt. Die einzige passende finanzwirtschaftliche Beeinflussung der Hochkonjunktur dürfte in der oben beschriebenen Bremspolitik bestehen, die natürlich auch ein Stück einer systematischen Lenkung der Gesamtnachfrage darstellen kann und keines- wegs nur eine interventionistische Maßnahme zu sein braucht. Wenn die der privaten Bedarfsdeckung dienende Produktion soweit als möglich aus- gedehnt und nach der Ankurbelung eine Globalsteuerung nicht mehr be- nötigt werden soll, so dürfte, so absurd dies klingen mag, nur eine staatliche Investitionsplanung - diese kann natürlich auch von einer anderen zentra- len Stelle ausgehen, z. B. von einem Selbstverwaltungsorgan der zusammen- geschlossenen Unternehmer unter Einbeziehung der Arbeitnehmer schaft - zur Ausschaltung der bei rein individueller unternehmerischer Investitions- planung und -entscheidung entstehenden Mängel (Disproportionalitäten) in der Produktionsstruktur in Frage kommen.

2. Die andere von der Vollbeschäftigungsschule vorgeschlagene Methode einer positiven Beeinflussung der Gesamtnachfrage in wirtschaftlichen Pha- sen mit ,, Nachfragedefiziten" besteht in der redistributiven Besteuerung. Wie bereits erwähnt, werden die Steuersätze für große Einkommen erhöht, diejenigen für niedrige entsprechend gesenkt. Dazu kann noch eine unmit- telbare Erhöhung der Realeinkommen der minderbemittelten Bevölkerungs- schichten treten in Form von Unterhaltszuschüssen und/oder Verbrauchs- subventionierung. Mit den redistributiven Maßnahmen werden zwei Ziele gleichzeitig erreicht: die Einkommensverteilung wird nivelliert, was eine Erhöhung der sozialen Gerechtigkeit bedeutet, und die Sparquote der Ge- samtbevölkerung wird gesenkt, wodurch die Gefahr eines Nachfragedefizits

!) Vgl. v. K e 1 1 e r , a. a. 0. S. 509. a) Vgl. Mero Moeller, Aktuelle Urenzpro bleme krecütarer Mitteiaui-

bringung in der Staatswirtschaft, F. A., N. F., Bd. 9, S. 111. 3) Vgl. Vollbeschäftigung, Vorwort S. 15.

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vermindert wird. Je geringer so die Möglichkeit wird, daß gesparte Einkom- mensteile brachgelegt werden, weil sie nicht der Investition zufließen, desto weniger ist eine Politik des deficit spending erforderlich. Die Verschiebung der steuerlichen Belastung zuungunsten der Bezieher hoher Einkommen, zu denen ja in erster Linie die Unternehmer gehören, hat nun allerdings die Folge, daß die Gewinnerwartung der Unternehmer sinkt und die Inve- stitionstätigkeit dadurch gehemmt wird. Wie oben schon erwähnt wurde, kann man dieser Gefahr durch Steuerbefreiung der investierten Gewinne begegnen1). Zweifellos hat eine Redistribution in bestimmtem Umfang in dieser Phase der Konjunktur eine günstige Wirkung. Für eine Wirtschaft, die hinsichtlich der Rohstoffe für Konsumgütererzeugung sehr stark auf Importe angewiesen ist, wird sich allerdings die außenwirtschaftliche Lage verschlechtern, so daß für eine Konsumerhöhung gewisse Grenzen gezogen sind. An sich regen Konsumerhöhungen die Investitionstätigkeit an, wodurch die Kreditinanspruchnahme sich wohl verstärken wird, die Differenz zwi- schen Sparen und Investieren sich also auch von dieser Seite her vermindert. Es ist jedoch sehr fraglich, ob mit der Redistribution allein Nachfragedefi- zite beseitigt werden können. Es kommt natürlich auf die betreffende Situa- tion an. Wenn nur geringe Einbruchsstellen vorliegen, die noch nicht wei- ter gewirkt haben, kann dies u. U. gelingen. Wenn diese Politik in größerem Umfang durchgeführt wird, so entsteht die Gefahr, daß sich auf den Kon- sumgütermärkten Preissteigerungen ergeben, bei den Investitionsgütern der Nachfrageschwund aber nicht ausgeglichen wird. Die erhöhten Gewinne der Konsumgüterproduzenten werden die Nachfrage nach Investitionsgütern u. U. steigern, doch braucht dies durchaus nicht unbedingt der Fall zu sein. Es kommt, soweit dies nicht so ist, zu einer erneuten Stillegung von Ein- kommensteilen. Im allgemeinen dürfte also die Redistributionspolitik nicht ausreichen. Sie kann selbstverständlich ergänzend zur deficit-spending-Poli- tik herangezogen werden, doch wird nur die letztere sicher und ausreichend wirken können und auch insofern geeigneter sein, als sie unmittelbar da ansetzen kann, wo die Nachfragedefizite sich bemerkbar zu machen pflegen bei konjunkturellen Einbrüchen, nämlich im Investitionsgütersektor.

Die Möglichkeiten, die bisher von uns betrachtet wurden, bezogen sich auf eine Wirtschaft, die in ihrer Struktur keine ,, Anomalien" aufweist, keine plötzlichen Struktur Verschiebungen und Katastrophenschäden. Anders lie- gen die Verhältnisse für eine Wirtschaft, die mit solchen Schäden behaftet ist, wie etwa die heutige westdeutsche. Der Speziali all einer solchen Wirt- schaft, der von so aktueller Bedeutung ist, soll im folgenden letzten Ab- schnitt dieser Untersuchung noch näher betrachtet werden, zunächst all- gemein und anschließend am konkreten Beispiel der westdeutschen Wirt- schaft. Es soll dabei versucht werden, die Entwicklung der für die Gesamt- nachfrage maßgebenden Größen zu skizzieren und die Möglichkeiten und Grenzen einer finanzwirtschaftlichen Konjunkturpolitik speziell für die west- deutsche Wirtschaft in ihrer jetzigen Lage aufzuzeigen.

*) Vgl. Vollbeschäftigung, S. 87, 160. Das „Kostenmachen" wird allerdings dadurch nicht beseitigt. (Vgl. Vollbeschäftigung, S. 157, 198.)

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IV. Für eine Wirtschaft, die innerhalb kurzer Zeit einen erheblichen Teil

ihrer Produktionskapazität einbüßt, so daß diese eine Reihe von Lücken aufweist; die einen hohen Prozentsatz ihres Bestandes an Wohnungen ver- liert; deren Austauschbeziehungen mit anderen Volkswirtschaften großen- teils abgeschnitten werden, so daß insbesondere die Rohstoff zufuhr en stark zusammenschrumpfen ; in die schließlich Millionen zusätzlicher Arbeitskräfte einströmen : für eine solche Wirtschaft ist eine globale Steuerung der Gesamt- nachfrage und eine finanzwirtschaftliche Konjunkturpolitik nur beschränkt möglich und mit gewissen Gefahren verknüpft. Nehmen wir zunächst an, daß im Moment des strukturellen Erdrutschs eine richtige Dosierung der Gesamtnachfrage vorgelegen habe, die Wirtschaft also im Zustand der Voll- beschäftigung gewesen sei. Mit der plötzlichen Beschränkung der Produk- tionsmöglichkeiten sinkt nun der Versorgungsstand unvermittelt ab, die Be- schäftigungsmöglichkeiten sind im Vergleich zur Zahl der Arbeitsuchenden stark reduziert. Wenn die Rohstoffe zum Wiederaufbau des Produktions- apparats und der Wohnungen im Inland erzeugt werden können, wenn fer- ner Produktionsmittel zum Wiederaufbau geblieben sind - allerdings viel- leicht nicht die technisch vollkommensten - so kann hier, wenn die pri- vate Kreditversorgung nicht ausreicht, durchaus ein Wiederaufbau mit öf- fentlichen Mitteln vorgenommen werden, wobei allerdings die Versorgung mit Verbrauchsgütern rationiert sein muß. Diese kann nur insoweit verbessert werden, als sich die Zufuhr ausländischer Konsumgüterrohstoffe erhöht, der Außenhandel also zunimmt oder Auslandskredite gewährt werden, und die Produktionsanlagen für Konsumgüter wiederhergestellt sind. Die Be- schäftigung auch der neu hinzugekommenen Arbeitskräfte ist möglich, und zwar in denjenigen Produktionszweigen, die inländische Rohstoffe verarbei- ten, also in den Investitionsgüterindustrien (Voraussetzung ist allerdings noch, daß eine Unterkunftsmöglichkeit in der Nähe des Arbeitsplatzes be- steht). Es können die Fabrikanlagen wieder errichtet bzw. ausgebessert wer- den, es können neue Maschinen hergestellt werden, es kann Wohnraum ge- schaffen werden. Dadurch, daß auf die noch vorhandenen Produktionskapa- zitäten mehr Arbeiter entfallen und daß oft mit primitiverem Handwerks- zeug vorlieb genommen werden muß, wird natürlich die Produktivität der Arbeit vorläufig auf einem gegenüber dem früheren geringeren Stand ver- harren, was sich entweder in niedrigeren Löhnen oder höheren Produkt- preisen ausdrücken muß. Dies braucht aber die restlose Beschäftigung aller Arbeitsfähigen nicht zu verhindern. Produktionsreserven sind ja noch immer vorhanden in Form der inländischen Rohstoffe bzw. Rohstoffgewinnungs- möglichkeiten und der für die Herstellung der Investitionsgüter und Woh- nungen notwendigen Produktionshilfsmittel. Aus der verminderten Arbeits- produktivität resultierende Preissteigerungen können vermieden werden, in- dem die Einkommen der Arbeiter, aber auch der Unternehmer, entsprechend gesenkt werden, was natürlich nur durch weitgehende staatliche Eingriffe und Kontrollmaßnahmen möglich ist. Solche werden in der gegebenen Lage der Wirtschaft, wenn alle Kräfte für den Wiederaufbau herangezogen wer-

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den sollen, nicht zu vermeiden sein1). Das größte Hindernis stellt sich der Verwendung aller vorhandenen Arbeitskräfte entgegen im Mangel von Wohngelegenheiten. Wenn die zusätzlich eingeströmten Arbeitskräfte räum- lich zufällig oder nach dem vorhandenen Wohnraum verteilt sind, so wird eine sinnvolle Beschäftigung vielfach unmöglich sein. Hier muß eine Um- verteilung in Anpassung an die vorhandenen Produktionskapazitäten vor- genommen werden. In den Gebieten mit besserer Beschäftigungsmöglich- keit muß dann eben, soweit dies möglich ist, für einige Zeit enger zusam- mengerückt werden, oder man schafft provisorische Unterkünfte. Da der Wohnungsbau mit an erster Stelle der Wiederaufbautätigkeit steht, wird nach einiger Zeit eine Erleichterung eintreten können.

In der betrachteten Situation reichen die materiellen Bedingungen der Wirtschaft immer noch aus, um einen hohen Beschäftigungsgrad und ein entsprechend großes Sozialprodukt zu erzeugen, ohne daß man unbedingt von größerer ausländischer Hilfe abhängig ist. Ein derartiges Funktionieren der privaten Kreditgewährung, daß die Vollbeschäftigung in der hier mög- lichen Form erreicht wird, ist nun nicht zu erwarten. Es wird im allgemei- nen wohl weniger an der Bereitschaft zur Kreditinanspruchnahme als an derjenigen zur Kredithingabe fehlen. Die Banken werden kaum zusätzliche Kredite an Private gewähren wollen, weil ihnen das Kisiko zu groß erscheint. Hier kann also nur durch eine entsprechende Finanzpolitik für die Finan- zierung gesorgt werden. Die zusätzlich geschaffenen Mittel werden zweck- mäßigerweise nicht für öffentliche Investitionen verwendet werden, - nur insoweit wird dies angebracht sein, als die Verkehrsanlagen und sonstigen vom Staat bereitgestellten Grundlagen der Produktion ergänzt werden müs- sen - sondern privaten Kreditnehmern zur Verfügung gestellt, die nicht zögern werden in der Wiederherstellung und dem Wiederaufbau ihrer An- lagen, sich also, im Unterschied zu der Lage in einer wirtschaftlichen De- pressionsperiode, investitionsfreudig verhalten. Soweit die Kredite für den Wohnungsbau verwendet werden, kann der Staat die Investitionen aller- dings unmittelbar vornehmen. Beim Vorliegen einer Wohnungszwangswirt- schaft werden hier die Kredite nur zu einem sehr niedrigen Zinssatz oder unverzinslich in Anspruch genommen werden von Privaten oder gemein- nützigen Genossenschaften. Die Verwendung der zusätzlichen Kredite wird hier also anders aussehen als bei der Ankurbelungspolitik. Weiter wird im Fall des Wiederaufbaus eine Reihe von staatlichen Eingriffen in Kauf ge- nommen werden müssen, weil die Produktionsreserven nur auf Teilgebieten der Wirtschaft vorhanden sind und ein Übergreifen der Nachfrage auf die anderen Gebiete vermieden werden muß. Da der einzelne in seiner Ent- scheidung über die Einkommensverwendung auf die Gesamtlage nicht Rück- sicht nimmt, müssen entsprechende Riegel vorgeschoben werden, eben durch die Rationierung der Verbrauchsgüter oder - was auf dasselbe hinaus- kommt - die Schaffung einer Garantie dafür, daß diejenigen Einkommens- teile, die nicht für Konsumgüter ausgegeben werden dürfen bei gegebenem Versorgungsstand ohne die Gefahr von Preissteigerungen, gespart werden.

*) Vgl. Vollbeschäftigung S. 83 f.

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Gespart muß immer soviel werden, als produziert und Einkommen erzielt wird an bzw. aus Dingen, die nicht konsumiert werden können. Die Finan- zierung dauerhafter Produktionsmittel kann nur aus Ersparnissen vorge- nommen werden, wenn eine Preissteigerung auf den Konsumgütermärkten vermieden werden soll, der Sparakt folgt jedoch hier der Erzielung zusätz- lichen Einkommens. Auch die Produktivitätsminderung macht, wie bereits erwähnt, staatliche Eingriffe notwendig, wenn Preissteigerungen vermieden werden sollen.

Die materiellen Bedingungen der westdeutschen Wirtschaft vor der Währungsreform waren etwa die der eben von uns betrachteten abstrakten Wirtschaft. Die geldliche Seite sah allerdings anders aus. Seit Jahren war keine Kücksicht genommen worden in der Bemessung der Geld- und Kre- ditversorgung auf das, was der Wirtschaft zuträglich war. Die Bewirtschaf- tungsmaßnahmen klappten nicht mehr, der Schwarzmarkt und die Kom- pensation hatten einen Umfang angenommen, daß das Geld praktisch ent- wertet war. Finanzwirtschaftliche Steuerungsmaßnahmen waren sinnlos ge- worden. Im Zeitpunkt der Geldreform waren die gütermäßigen Grundlagen der westdeutschen Wirtschaft schon wesentlich verbessert. Die Unterneh- mungen hatten im Wege der „Selbsthilfe" ihren Produktionsapparat schon in erheblichem Umfang wiederhergestellt, die Einfuhr war so weit gestiegen, daß die Versorgung mit Konsumgütern ein wesentlich höheres Niveau er- reichte. Hinsichtlich des Wohnraums und der Verteilung der Heimatver- triebenen war allerdings keine Besserung eingetreten.

Es war nun eines der schwierigsten Probleme der Währungsreform, des- sen vollkommene Lösung nicht möglich war, die neugeschaffene Menge von Kreditgeld so zu dosieren, daß die daraus entstehende Nachfrage ohne Preis- steigerungen voll gesättigt werden konnte. Hier konnte nur ein Versuch unternommen werden, der je nach den eintretenden Keaktionen korrigiert werden mußte. Wie sich die Nachfrage auf Konsum- und Gebrauchs- bzw. Investitionsgüter verteilte, das hing davon ab, inwieweit man das neuge- schaffene Geld als laufendes Einkommen in die Wirtschaft einströmen und inwieweit man es durch Umwandlung der alten in verfügbare neue Gutha- ben zu mobilisierbarer Kaufkraft werden ließ. Dadurch, daß es sofort mög- lich gemacht wurde, über einen Teil der Neuguthaben - zunächst in Form des Kopfgeldes - zu verfügen, ergoß sich nicht nur der Strom der laufen- den Einkommen, sondern auch der Großteil der verfügbaren Guthaben auf die Märkte der Konsumgüter, was zu den bekannten rapiden Preisanstiegen führte, da die vorhandenen - großenteils gehorteten - Bestände der stür- mischen Nachfrage gegenüber zu gering waren. Für die Nachfrage nach Gebrauchs- und Investitionsgütern blieb von den neuentstandenen Konten nur ein verhältnismäßig kleiner Teil übrig, der natürlich nicht ausreichend war, um die Produktion auf die an sich mögliche Höhe zu bringen. Ein Teil der Konjunkturgewinne der Horter stand allerdings nach verhältnismäßig kurzer Zeit für Investitionsfinanzierungen zur Verfügung, doch nur in dem Umfang, als sie von den enormen Steuersätzen nicht abgeschöpft wurden. Soweit man die Geschäfte nicht durch die Bücher laufen ließ, war auch keine offene Investition möglich, so daß ein nicht ganz kleiner Teil der Überge-

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winne konsumtiv verwendet wurde bzw. durch Hortungen versickerte. Für die Vergrößerung der Lagerbestände und des sonstigen Betriebskapitals stan- den den Unternehmern neu eingeräumte kurzfristige Bankkredite zur Ver- fügung, die in großzügiger Weise vom Bankensystem gewährt wurden. Ein Teil dieser Kredite wurde auch verwendet für die Finanzierung von Ver- besserungen des Produktionsapparates (Schädenbeseitigung, Ersatzinvesti- tionen), teilweise wohl auch von Erweiterungsinvestitionen, und fror damit ein. Für Investitionen standen noch zur Verfügung ein Teil der Mittel der öffentlichen Finanzwirtschaft, die auf Grund der beachtlichen Erstausstat- tung und der infolge der ungeheuren Anspannung der Steuerschraube ver- hältnismäßig reichlich eingehenden Steuererträgnisse nicht unbeträchtlich waren1). Soweit die öffentlichen Finanz wirtschaften mit Mitteln der Erst- ausstattung öffentliche Investitionen durchführten oder solche Mittel den Interessenten für Investitionszwecke zur Verfügung stellten, liegt derselbe Fall vor wie bei einer bewußten finanzwirtschaftlichen Konjunkturpolitik. An die Stelle der privaten Finanzierung tritt hier die öffentliche, allerdings nicht mangels privater Investitionslust, sondern mangels geeigneter Kredite. Die öffentlichen Mittel sind zwar auch kreditiert, aber sie brauchen nicht zurückgezahlt zu werden. Schließlich ist noch eine Quelle für die Investi- tionsfinanzierung zu erwähnen : der Auslandskredit in Form der nicht durch Exporte bezahlten amerikanischen (und teils englischen) GAKIOA-Importe und der Lieferungen auf Grund des ERP. In der Bereitstellung dieser Mittel traten allerdings gewisse Verzögerungen ein.

Trotz des raschen Ansteigens der Produktionsziffern und der industriel- len Beschäftigung zeigte es sich, daß die Produktionsmöglichkeiten der In- vestitionsgüterindustrien, vor allem auch des Wohnungsbaus und neuer- dings sogar in einem gewissen Umfang der Konsumgüterindustrien nicht ausgeschöpft wurden. Die Zahlen der Arbeitslosen stiegen wohl in erster Linie infolge des nicht abreißenden Einströmens von Flüchtlingen und Heimkehrern, des Arbeitsangebots der nachwachsenden Jahrgänge und frü- her nicht in abhängiger Arbeit Stehender, sowie durch Betriebsrationalisie- rungen, trotzdem aber bedeutet ihre Nichteingliederung in den Arbeitspro- zeß angesichts vorhandener materieller Produktionsreserven, daß die Wirt- schaft nicht so funktioniert hat, wie sie es hätte können, wenn alle Produk- tionsreserven ausgeschöpft worden wären. Wenn dies nicht der Fall war, so liegt es zu einem erheblichen Teil an einer zu geringen Bemessung der Gesamtnachfrage und damit an konjunkturellen Faktoren. Es ist, auf eine kurze Formel gebracht, der zu geringe Umfang der Nachfrage nach Investi- tionsgütern (einschließlich Wohnhäusern), der die volle Kapazitätsausnut- zung hier unmöglich machte und die Erreichung eines wesentlich höheren Beschäftigungsgrades unterband. Da eine Kaufkraftstillegung der Finanzie- rung der Investitionen gar nicht vorausgehen konnte, wo doch das ganze Geld- und Kreditgebäude eben erst neu errichtet wurde, blieb hier gar kein anderes Mittel zur Bereitstellung der erforderlichen Kaufkraft für die An-

x) Vgl. über die verschiedenen fur Investitionszwecke in Anspruch genom- menen Finanzierungsquellen der westdeutschen Wirtschaft GerhardWeis- s e r , Investitionspolitik, F. A., N. F., Bd. 12, S. 69.

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Schaffung von Investitionsgütern als eine Kreditschöpfung1). Eine entspre- chende Stillegung konnte erst nachträglich erfolgen. Die Lücke, die die Ge- schäftsbanken mit ihrer Kreditschöpfung nicht füllen konnten, weil sie aus Liquiditätsgründen im wesentlichen nur kurzfristige Kredite gewähren kön- nen, hätte nun von Anfang an durch eine Kreditinanspruchnahme der staat- lichen Finanzwirtschaft beseitigt werden können. Statt daß nun aber eine bewußte finanzwirtschaftliche Steuerung der Gesamtnachfrage vorgenom- men wurde, übersah man die hier vorliegenden Beeinflussungsmöglichkeiten so weit, daß man sogar Geldstillegungen vornahm und dadurch die Gesamt- nachfrage drosselte, ohne daß man sich die Konsequenzen solchen Verhal- tens klarmachte.

Wenn man die Kaufkraftschöpfung bzw. -mobilisierung und die Kauf- kraftstillegung seit der Währungsreform verfolgt, so ergibt sich etwa fol- gendes Bild :

Eine Kreditschöpfung war zunächst gegeben durch die Zurverfügung- stellung der Erstausstattung an die öffentlichen Körperschaften, die ver- hältnismäßig reichlich bemessen war. Von da ab flössen den Finanzwirt- schaften, abgesehen von verhältnismäßig geringfügigen Kassenkrediten keine Mittel mehr zu, die nicht aus laufenden Einnahmen stammten. Die Inan- spruchnahme von Finanzierungskrediten war untersagt. Die private Wirt- schaft wurde zuerst versorgt durch die aus der Umstellung entstandenen DM- Guthaben, auf die Vorschüsse in Form der Geschäftsbeträge und der Kopfgelder gezahlt wurden. Die Unternehmungen konnten zur Finanzierung der Produktionserweiterung - aber nicht zur Vergrößerung und zum Neu- aufbau von Produktionskapazitäten - kurzfristigen Kredit beim Banken- system erhalten. Die Bedingungen der Kreditgewährung waren zunächst verhältnismäßig günstig, die Kreditinanspruchnahme sehr groß (in stark zwei Monaten bis Ende August 1948 über 2,3 Milliarden!). Im Herbst 1948 kam es zur sog. Kreditrestriktion, die Bedingungen wurden erschwert, der Kredit gedrosselt, die Expansion aber keineswegs abgestoppt. Ab Frühjahr 1949 fielen die einschränkenden Maßnahmen, die Kreditgewährung entwik- kelte sich in ziemlich großzügiger Weise weiter2), die Geschäftsbanken ver- hielten sich aber doch etwas vorsichtiger, weil ein nicht unbeträchtlicher Teil der gewährten kurzfristigen Kredite eingefroren war. „Berechtigte" langfristige Kredite konnten nur in dem Umfang gewährt werden, als die neuentstandenen DM- Guthaben als Sparguthaben stehen blieben, was in nicht allzugroßem Ausmaß der Fall war.

Stillgelegt wurde vorhandene Kaufkraft an verschiedenen Stellen. Zu- erst wollen wir hier wieder die staatliche Finanz Wirtschaft nennen, die z.T. beträchtliche kurzfristige Guthaben unterhielt, die wohl größtenteils aus der Erstausstattung stammten. Erst nach langem Zögern wurden öffentliche

*) Vgl. W e i s s e r , a. a. O. S. 72. 2) Vgl. den Bericht „Die Bankkredite im westdeutschen Währungsgebiet

von der Währungsreform bis Ende Juli 1949", Monatsberichte der Bank deut- scher Länder (B. d. L.), August 1949, S. 38 ff., ferner die monatlichen Berichte ebendort über die Wirtschaftslage des Bundesgebiets, Abschnitt „Geld und Kredit".

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Mittel für Investitionszwecke verwendet, und zwar in erster Linie in der Form, daß der Staat an Investoren, vor allem im Wohnungsbau, langfristige Kredite zur Verfügung stellte. Von den sonstigen finanzwirtschaftlichen Körpern ist noch der Arbeitsstock zu nennen, der Einnahmen-Überschüsse stehen ließ, die auch erst später der Investitionsfinanzierung zugeführt wur- den. Eine weitere Kaufkraftstillegung ergab sich durch die kreditierten Im- porte. Auch hier blieben, wie bereits erwähnt, die Mittel der Gegenwert- konten ziemlich lange brach liegen. Erst nach einiger Zeit wurden auch sie für Investitionsfinanzierungen bereitgestellt1). Die Kaufkraftstillegung durch das Sparen der Einkommensbezieher war längere Zeit äußerst minimal, sie vollzog sich zunächst wohl nur bei den Versicherungen und Bausparkassen in beachtlichem Umfang. Auch hier ist seit einiger Zeit eine Aufwärtsent- wicklung zu verzeichnen2). Diese Mittel dürften wohl in vollem Umfang der Investitionsfinanzierung zugute gekommen sein. In welchem Ausmaß Stillegungen durch die Unternehmer vorgenommen wurden, läßt sich schwer beurteilen. Im allgemeinen werden die nach Bezahlung der Steuer aus den Gewinnen verbliebenen nicht konsumierten Beträge für die Selbstfinanzie- rung verwendet worden sein. Doch kamen wohl auch hier Stillegungen vor, denen keine Mobilisierung entsprach, weil die Unternehmer lange Monate auf das Inkrafttreten des Soforthilfegesetzes warteten und liquide Mittel dafür bereithielten; dasselbe gilt vielleicht jetzt noch in einigem Umfang bezüglich des endgültigen Lastenausgleichs. Stillgelegt wurde ferner ein Teil der Einnahmen aus den nichtverbuchten Geschäften.

Eine Kompensation der Stillegungen durch langfristige Kreditgewäh- rungen ist also durchaus nicht immer in vollem Umfang eingetreten. Wäh- rend der ganzen Zeit seit der Währungsreform ist gleichwohl die Gesamtnach- frage fast ständig gewachsen infolge der Expansion der kurzfristigen Bank- kredite. Mit diesen wurden aber im allgemeinen die vergrößerten Bestände - von der importierten Rohware bis zum fertigen Konsumgut - finanziert. Für die Investition flössen aus den erwähnten Quellen nicht genügend Mit- tel, um eine ausreichende Produktions- und Beschäftigungssteigerung her- beizuführen. Die einseitigen Stillegungen wirkten sogar negativ. Kurzfri- stige Vorfinanzierung durch die Banken war bisher deswegen nicht in grö- ßerem Umfang möglich, weil die nachträgliche Konsolidierung infolge des unergiebigen Kapitalmarkts nicht erfolgen konnte3).

In dieser Situation kommt nun zweifellos wieder eine finanzpolitische Hilfestellung in Frage, allerdings nicht oder nur zu einem beschränkten Teil in der Form, daß öffentliche Investitionen durchgeführt werden, es sei denn, daß der Wohnungsbau in öffentliche Regie übernommen wird. Der Staat kann mit Hilfe zusätzlichen Kredits, den er den Investoren - die natürlich

*) Siehe den Bericht „Die Geldbewegungen auf den Auslandskonten", Mo- natsberichte der B. d. L., Juli 1949, S. 22 ff. und laufende Berichte über die Wirtschaftslage ebendort.

z) ¡Siene »Statistik der Umsätze im »Sparverkehr, Monatsberichte der B. d. L., Januar 1950, S. 68.

3) Vgl. Tabelle „Emissionen von langfristigen Schuldverschreibungen und Aktien", Monatsberichte der B. d. L., Januar 1950, S. 77.

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206 Heinz Haller

gewisse Sicherheiten bieten müssen - zur Verfügung stellt, die Nachfrage auf dem Investitionsgütermarkt und nach Gebrauchsgütern so weit steigern, als es die Produktionsreserven zulassen. Die aus der vermehrten Beschäf- tigung in den Investitionsgüterindustrien resultierende Mehrnachfrage nach Konsumgütern - gemäß dem Multiplikatorprinzip, s. o. - kann insoweit zugelassen werden, als auch hier noch Produktionsreserven vorhanden sind, d. h. insbesondere, als durch eine Ausweitung des Außenhandels - oder eine Erhöhung der Auslandskredite - die ausländische Kohstoff zufuhr er- weitert werden kann, so daß keine Preissteigerungen zu befürchten sind. Wenn hier die Grenze erreicht wird, müssen allerdings Maßnahmen ergriffen werden, um einen weiteren Anstieg des Konsums zu unterbinden. Wie stark der Mehrkonsum bei einer Erhöhung der Beschäftigung steigt, hängt ab von der Sparquote, die sich bei dem neuen erhöhten Einkommensstand er- gibt. Diese Größe braucht nun keineswegs unter allen Umständen sich selbst überlassen zu bleiben, m. a. W. die Entscheidung über Konsumieren oder Sparen braucht nicht in vollem Umfang Sache des Einkommensbeziehers zu bleiben. Es muß der Bevölkerung nur klargemacht werden, daß von einer gewissen Beeinflussung dieser Entscheidung durch den Staat die Beseiti- gung der Arbeitslosigkeit abhängt, dann dürfte sie für die Forderung einer bestimmten Spar quote schon Verständnis aufbringen. Man kann die Vor- finanzierung der Investitionen geradezu davon abhängig machen, daß die Bevölkerung sich hinsichtlich der Sparquote bindet, und zwar freiwillig, durch Spar vertrage und Verträge über die spätere Übernahme von Wert- papieren. Wenn diese Möglichkeit nicht durchführbar ist, bleibt nur der Ausweg der Konsumrationierung, der auf alle Fälle als lästiger empfunden werden dürfte als ein Sparversprechen.

Eine Schwierigkeit, die in den Situationen, in denen Ankurbelungs- oder Stabilisierungspolitik in Frage kommt, vorliegt, dürfte bei der heuti- gen Lage der westdeutschen Wirtschaft in verhältnismäßig geringem Grad gegeben sein : das Fehlen des Investitionsanreizes. Solange der frühere Pro- duktionsapparat wiederhergestellt werden muß und Lücken zu füllen sind, die aus den strukturellen Verschiebungen entstanden sind, wird der Inve- stitionsanreiz genügend groß sein, so daß der Staat nicht zu öffentlichen Investitionen gezwungen ist. Hinsichtlich des Wohnungsbaus ist allerdings eine besondere Situation gegeben. Durch die Bewirtschaftung auf diesem Gebiet ist die Rentabilität des unternehmerisch betriebenen Vermietens von Wohnungen nicht gewährleistet. Hier müssen deshalb niedrig oder gar nicht verzinsliche Kredite zur Verfügung gestellt werden. Dadurch wird aber die Möglichkeit der staatlichen Vorfinanzierung nicht in Frage gestellt, nach der Konsolidierung muß der Staat notfalls eben einen gewissen Zinsendienst in Kauf nehmen.

Wegen des Problems des räumlichen Auseinanderklaffens von Arbeits- plätzen und Unterkünften muß auf alle Fälle die Wohnraumbeschaffung mit an die Spitze der Investitionsvorhaben gestellt werden. Nur so gelingt es allmählich, den schlimmsten strukturellen Fehler zu korrigieren. Die Arbeitslosen müssen sich in ziemlichem Umfang eine Umschulung und eine berufsfremde Verwendung gefallen lassen. Nach einem solchen strukturellen

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Erdrutsch, wie ihn die westdeutsche Wirtschaft erlebt hat, kann eben nicht jedem ein solcher Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden, wie er ihn früher einmal gehabt haben mag.

Je „anormaler" die Situation einer Wirtschaft ist, desto eher gilt die Feststellung, die C o 1 m kürzlich getroffen hat1), daß die Finanzpolitik zur Steuerung der Gesamtwirtschaft nicht ausreiche, daß vielmehr direkte Kon- trollen hinzukommen müssen.

Außer dem Staatskredit ist natürlich heute die Steuerpolitik für die Lösung des Problems der Investitionsfinanzierung und damit der Verbes- serung der gesamten Wirtschaftslage sehr bedeutsam. Daß hier nur spürbare Senkungen der Sätze in Frage kommen, ist tausendmal bekräftigte com- munis opinio, braucht also nicht mehr besonders erwähnt zu werden.

*) GerhardColm, Der Staatshaushalt und der Haushalt der Gesamt- wirtschaft, F. A., N. F., Bd. 11, S. 623.

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