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Molekulare Onkologie Entstehung, Progression, klinische Aspekte Bearbeitet von Christoph Wagener, Oliver Müller erweitert, überarbeitet 2009. Buch. XIX, 424 S. Hardcover ISBN 978 3 13 103513 4 Format (B x L): 17 x 24 cm Gewicht: 1014 g Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Onkologie, Psychoonkologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Molekulare Onkologie

Entstehung, Progression, klinische Aspekte

Bearbeitet vonChristoph Wagener, Oliver Müller

erweitert, überarbeitet 2009. Buch. XIX, 424 S. HardcoverISBN 978 3 13 103513 4

Format (B x L): 17 x 24 cmGewicht: 1014 g

Weitere Fachgebiete > Medizin > Klinische und Innere Medizin > Onkologie,Psychoonkologie

Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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zu verschiedenen Linien differenzieren; manspricht dann von pluripotenten Stammzellen(Moore u. Lemischka 2006; Siminovitch et al.1963). Im Verlauf der Blutbildung entstehen ausder pluripotenten Stammzelle z. B. zunächst lym-phatische oder myeloische Progenitorzellen, diesich dann in weitere Differenzierungslinien auf-spalten. Stammzellen des Dünndarms differenzie-ren in absorptive Enterozyten, Siegelringzellen, en-teroendokrine oder Paneth-Zellen.

Die asymmetrische Teilung der Gewebsstamm-zelle setzt Unterschiede in der Polarität der Zelle vo-raus. Man unterscheidet intrinsische und extrinsi-sche Determinanten der Zellpolarität.• Intrinsische Faktoren sind beispielsweise zell-

membranständige Regulatoren der Zellpolaritätoder ungleich verteilte zytoplasmatische Fakto-ren, die die Differenzierungsrichtung (engl. cellfate) einer der beiden Tochterzellen bestimmen.

• Zu den extrinsischen Determinanten der Zellpo-larität zählen direkte Zellkontaktemit umgeben-den Zellen und Gewebsstrukturen sowie löslicheFaktoren (Morrison u. Kimble 2006).

Die Umgebung der Stammzelle, die deren asym-metrische Teilung reguliert, wird als Nische be-zeichnet. Als Beispiel mag wiederum die hämato-poetische Stammzelle gelten. Im Verlauf der Trans-

plantation hämatopoetischer Stammzellen findendiese im Knochenmark ihre Nische (Yin u. Li2006). Nach Ansiedlung der Stammzellen in der Ni-sche wird der Pool von Stamm- und Progenitorzel-len so reguliert, dass eine normale Zahl an Blutzel-len garantiert ist. Die Tatsache, dass der Stammzell-pool aufgefüllt wird, zeigt, dass sich Stammzellenunter bestimmten Bedingungen auch symmetrischteilen können.

Nicht in jedem Gewebe ist die Fähigkeit zurSelbsterneuerung und Regeneration des Gewebesauf wenige Zellen beschränkt. So sind einzelne B-und T-Lymphozyten in der Lage, sich nach ent-sprechenden Reizen zu teilen (klonale Expansion).Bisher gibt es nur für Tumoren der Blutzellen kon-krete Beweise, dass die hämatopoetische Stamm-zelle die Ursprungszelle ist. Für andere Tumorenwird diese Hypothese aus der Isolierung sogenann-ter tumorinitiierender Zellen oder Tumorstamm-zellen abgeleitet.

2.8 Tumorstammzelle

Wie in vielen Bereichen der molekularen Onkologiespielten Tumoren des hämatopoetischen Systemsauch bei der Analyse von Zellpopulationen der Tu-moren eine Vorreiterrolle. Dies hängt vor allemdamit zusammen, dass die Zellen des Blutsystemskeinen Zellverband bilden und daher einer Zellkul-tivierung und direkten zellbiologischen Analyseeinfacher zugänglich sind als solide Tumoren.

Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eineklonale Tumorerkrankung, bei der unreife Zellender myeloischen Reihe, sogenannte Myeloblasten,im Knochenmark und im peripheren Blut akkumu-lieren. Obwohl diese Zellpopulation morphologischhomogen erscheint, ist sie nach biologischen Krite-rien heterogen. Nur ein kleiner Anteil der Zellenproliferiert in vivo. Zudem sind nur wenige Zellenin der Lage, in Zellkultur zu Kolonien auszuwach-sen, die durch klonalesWachstumeinzelner Tumor-zellen entstehen. Diese Befunde deuten darauf hin,dass bei akuten Leukämien trotz der offensichtli-chen Unreife der Zellen eine Hierarchie der Zellenexistiert, und dass, ähnlichwie in der normalen Hä-matopoese, die Leukämiezellen von wenigen Ur-sprungszellen nachgeliefert werden. Diese hypo-thetischen Ursprungszellen werden als leukämi-sche Stammzellen bezeichnet (Reya et al. 2001;Wang u. Dick 2005).

Zur Erklärung der funktionellen Heterogenitätder Tumorzellen bei Leukämien, aber auch bei an-

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Abb. 2.6 Selbsterneuerung und Differenzierungswegeder somatischen Stammzelle.

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deren Tumorerkrankungen, gibt es zwei unter-schiedliche Hypothesen (Abb. 2.7):• Die sogenannte stochastische Hypothese geht

davon aus, dass die Prozesse der Selbsterneue-rung gegenüber der Differenzierung in einzelneZellen einer Population dem Zufall unterliegen.Nach dieser Hypothese hat jede Tumorzelle einegeringe, aber gleich hohe Wahrscheinlichkeit zuproliferieren und demnach das Potenzial, sichwie eine Stammzelle zu verhalten.

• ImGegensatz dazu geht die Stammzellhypothesedavon aus, dass in einem Tumor verschiedeneKlassen von Tumorzellen vorkommen, die sichim Potenzial von Selbsterneuerung, Proliferationund Differenzierung unterscheiden.

Wir werden später sehen, dass es für die TherapievonTumoren von großer Bedeutung ist, welche die-ser beiden Hypothesen zutrifft. Nach der stochasti-schen Theorie wären Tumorzellen relativ homogen,und die molekularen Veränderungen der Tumor-zellen würden das Verhalten aller Tumorzellen de-terminieren. Therapeutische Ansätze, die gegen be-stimmte molekulare Veränderungen gerichtet sind,würden demnach alle oder zumindest dieMehrzahlder Zellen eines Tumors treffen. Im Gegensatz dazuist die Tumorstammzelle biologisch und funktionellvon den übrigen Tumorzellen verschieden. Moleku-lare Veränderungen könnten demnach erst in Sta-dienwirksamwerden, die der asymmetrischenTei-lungder Stammzelle nachgeordnet sind. So könntenz. B. proliferierendeZellen inder Transitzone getrof-fen werden, nicht hingegen die ruhende Tumor-stammzelle. Der therapierte Tumor entspräche

einem Baum, der an seiner Basis abgesägt würde,ohne aber die Wurzel zu entfernen.

Um zu testen, ob die stochastische Theorie oderdie Theorie der Tumorstammzelle für menschlicheTumoren zutrifft, wurden Tumorzellen in Mäusetransplantiert, die kein funktionsfähiges Immun-system besitzen, in sogenannte SCID-Mäuse(SCID: Severe combined Immunodeficiency) (Lapi-dot et al. 1994). Dabei konnte nur eine geringe An-zahl der Tumorzellen zu einem Tumor heranwach-sen. Diese Tumorzellen ließen sich über Markerder Zelloberfläche von den übrigen Zellen unter-scheiden und von diesen trennen. Demnach lässtsich aus Tumoren eine Fraktion von Zellen isolieren,die sich bei der Entstehung von Tumoren selbst er-neuern und asymmetrisch teilen (Abb. 2.8). Dieswird allgemein als Beleg für die Existenz von Tu-morstammzellen oder tumorinitiierenden Zellenangesehen. Inzwischen wurden solche Zellen auchaus soliden menschlichen Tumoren wie Mamma-karzinomen und Glioblastomen isoliert (Al-Hajjet al. 2003; Singh et al. 2004).

Die Hypothese, dass Tumorstammzellen dieMasse der Tumorzellen nachliefern, ist nicht gleich-bedeutend mit der Hypothese, dass die Tumor-stammzellen aus Gewebsstammzellen entstehen.Gewebsstammzellen verfügen über die Eigenschaftder Selbsterneuerung. Diese Eigenschaft bleibt inder Tumorstammzelle erhalten. Unter normalenBedingungen besitzen die aus einer Stammzelleentstehenden Progenitorzellen diese Eigenschaftnicht. Im Verlauf der Entstehung von Tumoren kön-nen die Progenitorzellen jedoch so verändert wer-

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Abb. 2.7 Hypothesen der Tumorentstehung. a Stochas-tische Theorie: Jede Tumorzelle hat das Potenzial, nachTransplantation mit einer geringen, aber definiertenWahrscheinlichkeit (P) zu einem Tumor (T) auszuwachsen.b Theorie der Tumorstammzelle: Wenige Tumorzellenhaben das Potenzial, zu einem Tumor auszuwachsen. Dieanderen Tumorzellen haben dieses Potenzial nicht.

Abb. 2.8 Theorie der Tumorstammzelle. Ein Tumor ent-hält einige wenige Stammzellen (dunkelviolett), die dieübrigen Tumorzellen (hellviolett) nachliefern. Nur wenndie Tumorstammzellen in einen geeigneten Wirt trans-plantiert werden, wächst ein Tumor an.

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den, dass das Programm der Selbsterneuerungreaktiviert wird (Abb. 2.9). Auch der klonale Ur-sprung von Tumoren ist nicht gleichbedeutend mitder Entstehung von Tumoren aus Gewebsstamm-zellen. Dies trifft z. B. auf Tumoren des lymphati-schen Systems zu, die zwar klonal, aber nicht ausGewebsstammzellen entstehen.

2.9 Mehrstufige Entwicklungeines Tumors

Wie zuvor erläutert, entstehen Tumoren aus ur-sprünglich gesunden Zellen. Gewebeveränderun-gen, die bei Vorsorgeuntersuchungen gefundenwurden, belegen, dass sich viele bösartige Tumorenaus normalen Zellen über zunächst noch nicht ma-ligne Vorstufen entwickeln. Die Entwicklung einesKarzinoms über nicht maligne Vorstufen ist bei sol-chen Tumoren besonders gut dokumentiert, für diees Vorsorgeuntersuchungen gibt.• Beim Zervixkarzinom gelten dysplastische Ver-

änderungen als erste nachweisbare Vorstufeeines Karzinoms. In Dysplasien sind Einzelzellenverändert und die Gewebsstruktur ist gestört. Im

weiteren Verlauf kann ein lokal begrenztes CIS(Carcinoma in situ) entstehen, aus dem sich eininvasivwachsendes undmetastasierendes Karzi-nom entwickeln kann. Die mehrstufige Tumor-entwicklung ist von herausragender Bedeutungfür die Prävention, z. B. des Zervixkarzinoms.Werden bei der mikroskopischen Analyse atypi-sche Zellen innerhalb der von der Zervix abge-strichenen Zellpopulation identifiziert und dieVorstufe eines Karzinoms durch eine anschlie-ßende Gewebsuntersuchung bestätigt, kanneine intraepitheliale Neoplasie (CIN) bzw. einCIS in den meisten Fällen vollständig entferntwerden.

• Auch für das kolorektale Karzinom sind gutartigeVorstufen bekannt, die bei einer präventivenDickdarmspiegelung reseziert werden können(Abb. 2.10). Nach Entfernung solcher Tumorvor-stufen ist das Auftreten eines Karzinoms im Ver-lauf der nächsten zehn Jahre äußerst unwahr-scheinlich. Diese Beobachtung hat bereits kon-krete Auswirkungen auf Maßnahmen zur Prä-vention des kolorektalen Karzinoms gefunden:Nach einer Dickdarmspiegelung mit negativemBefund kann für einen Zeitraum von bis zuzehn Jahren auf eineweitere Spiegelung verzich-tet werden (Schmiegel et al. 2005).

Schritten von den ersten zellulären Atypien bis zuminvasiv wachsenden Karzinom liegen diskrete mo-lekulare Ereignisse zugrunde, die in den Ursprungs-zellen eines Tumors über Jahre bis Jahrzehnte akku-mulieren. Dies zeigt sich u. a. bei dem zuvor er-wähntenMelanom. Die erste Läsion, die zur Entste-hungeinesmalignenMelanoms im Erwachsenenal-ter führen kann, nämlich die Schädigung der Hautdurch Sonneneinstrahlung, tritt bereits im frühenKindesalter auf (Becker u. Wahrendorf 1998).

Tumoren mit genetischer Disposition belegen,dass mindestens zwei molekulare Ereignisse fürdas Entstehen eines Tumors erforderlich sind:

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Abb. 2.9 Wege zur Tumorstammzelle.

Abb. 2.10 Unterschiedliche Stadieneines Kolonkarzinoms. Links: frühesStadium. Mehrere kleine, räumlichbegrenzte Adenome (Polypen).Rechts: große Tumoren mit makro-skopisch sichtbaren Entzündungs-zeichen (rötlich) und Anzeichen vonNekrosen (eingesackt). (Bilder mitfreundlicher Genehmigung vonCornelius Kuhnen, Institut für Patholo-gie am Clemenshospital Münster.)

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• Das erste Ereigniswird über die Keimbahn an alleKörperzellen weitergegeben.

• Das zweite Ereignis trifft die Ursprungszelle desTumors.

Der Progression des Tumors zur Malignität liegendann weitere Ereignisse zugrunde (Balmain et al.2003).

2.10 Klonale Evolutionvon Tumoren

Das Konzept der klonalen Evolution eines Tumorswurde von Nowell entwickelt (Nowell 1976) undbasiert auf den Grundprinzipien der klassischenEvolutionstheorie, die Charles Darwin Mitte des19. Jahrhunderts formulierte, um die Entstehungder verschiedenen biologischen Arten zu erklären.Danach beruht die Entstehung einer neuen Art aufdrei Einzelschritten:

• zufällige Mutation• gerichtete Selektion• zumindest vorübergehende räumliche Isolie-

rung

Angewandt auf die Tumorentstehung besagt diesesKonzept, dass die Ursprungszelle von Tumorendurch ein initiales Ereignis im Vergleich zu den be-nachbarten Zellen einen Wachstumsvorteil erhält.Dies führt dazu, dass die Einzelzelle zu einem Klonidentischer Zellen expandiert, wenn die Kontroll-mechanismen des Wirts dies zulassen. Eine Zelledieses Klons wird durch ein zweites Ereignis getrof-fen, wodurch sich wiederum ein Wachstumsvorteilergibt. Diese Sequenz wiederholt sich, bis eine ZelleschließlichzueinemTumorauswächst,derdenKon-trollmechanismen des Wirts weitgehend entzogenist. In diesem Modell der klonalen Evolution wirddie Zelle eines expandierenden Klons zufällig voneinem Ereignis getroffen; welche dies sein wird,kann nicht vorhergesagt werden (stochastisches

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Abb. 2.11 Modell der klonalen Evolution vonTumoren. Die Zahlen stehen für Ereignisse, die der betreffenden Zelle unddem daraus entstehenden Zellklon einen Wachstumsvorteil verschaffen.

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Modell). Das Ereignis kann der betreffenden Zelleeinen Wachstumsvorteil verschaffen (Abb. 2.11).Unter limitierenden Umweltbedingungen (z. B.Mangel an Sauerstoff und Nährstoffen) könnensich die „stärkeren“ Zellklone gegen die „schwäche-ren“ Zellklone durchsetzen (Merlo et al. 2006). Obeine Mutation von Vor- oder Nachteil für die Zelleist, entscheiden also die Bedingungen im umgeben-denGewebe. Hier werden die Parallelen zuDarwinsSelektionstheorie deutlich, wonach sich diejenigenbiologischen Arten durchsetzen, die aufgrund vongenetischenVeränderungen ambesten andie äuße-ren Umweltbedingungen angepasst sind.

Neben Mutation und Selektion ist die zeitweiseräumliche Isolierung die dritte Voraussetzung derbiologischen Evolution. Diese Voraussetzung istbei Tumoren weniger evident. Unter der Annahme,dass Tumorzellen durch Immunzellen eliminiertwerden können, wäre eine Abgrenzung z. B. durcheine Kapsel zum Schutz der Tumorzellen hilfreich.Tumorzellen können sich auch von ihrer Umgebungisolieren, indem sie spezielle Kommunikationssys-teme entwickeln, die sich von denjenigen der um-gebenden Gewebe unterscheiden. Bei solchen Sys-temen kann es sich beispielsweise um lösliche Fak-toren handeln, die auf Tumorzellen, nicht aber aufdie umgebenden normalen Zellen wirken.

Unter der Annahme, dass es sich bei der Ur-sprungszelle eines Tumors um eine Gewebsstamm-zelle handelt und dass die Tumorstammzelle ausdieser Zelle entsteht, ergibt sich ein modifiziertesModell der klonalen Evolution. Nach diesem Kon-

zept wird die Ursprungszelle des Tumors, nämlichdie somatische Stammzelle, von einem Ereignis ge-troffen, das in den nachfolgenden Zellpopulationendas Gleichgewicht zwischen Proliferation, Differen-zierung und Apoptose so verschiebt, dass eine er-höhte Zellzahl resultiert (Abb. 2.12). Dies geht inder Regel mit einem veränderten, unreiferen Phä-notyp des Gewebes einher. Die Tumorstammzellewird in der Folge von weiteren Ereignissen getrof-fen, die schließlich in der Progression zu einembösartigen Tumor münden, der invasiv wächstund Metastasen in regionären Lymphknoten undentfernten Organen absiedelt (Abb. 2.13). Viele Be-funde sprechen dafür, dass zumindest in frühenStadien der Tumorentwicklung das Konzept derklonalen Evolution der Tumorstammzelle zutrifft.In späterenTumorstadien, wie z. B. im Blastenschubbei chronisch myeloischer Leukämie (CML), kanndie klonale Evolution auch auf Ebene der Progeni-torzellen stattfinden.

Wenn Gewebe regenerieren, wird eine erhöhteZahl anGewebsstammzellen benötigt. In diesen Fäl-len teilen sich Stammzellen symmetrisch, d. h. auseiner Stammzelle entstehen zwei neue Stammzel-len. Man geht davon aus, dass sich auch im Verlaufder Tumorentwicklung Tumorstammzellen sym-metrisch teilen können. Werden die verschiedenenStammzellen eines Tumors dann durch unter-schiedliche Ereignisse getroffen, so resultieren he-terogene Populationenmit divergenten Eigenschaf-ten mit einem unterschiedlichen Potenzial zum in-vasiven Wachstum und zur Metastasenbildung.

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Abb. 2.12 Selbsterneuerung undDifferenzierungswege der Tumor-stammzelle. Durch eine zusätzlicheTeilungsstufe in der Transitzone ist dieZellzahl erhöht. Die Zellen erreichennicht die gleiche Differenzierungsstufewie unter Normalbedingungen(vgl. Abb. 2.6).

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