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Katrin Sperling 27.06.2013 Der Buhug Fluss, Namensgeber für das Gelände, auf dem sich die Sommerunterkunft des Waisenhauses und die Farm befinden Workcampbericht Zeitraum: 14. 27.06.2013 Ort: Buhug, Tov Provinz, Mongolei Einrichtung: Waisenhaus “Childcare Centre Mongolia”, Sommerunterkunft und Farm in Buhug

Mongolei buhug river 2013

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Bericht aus dem Workcamp Buhug River in der Mongolei 2013.

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Katrin Sperling 27.06.2013

Der Buhug Fluss, Namensgeber für das Gelände, auf dem sich die Sommerunterkunft des Waisenhauses und die Farm befinden

Workcampbericht Zeitraum: 14. – 27.06.2013 Ort: Buhug, Tov Provinz, Mongolei Einrichtung: Waisenhaus “Childcare Centre Mongolia”, Sommerunterkunft und Farm in Buhug

Katrin Sperling 27.06.2013

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Good morning

"Good morning Gandi, how are you?" (Guten Morgen Gandi, wie geht's dir?) ruft Sigi schon von Weitem und

damit ist sein Englischvokabular auch schon fast aufgebraucht. Aber das macht nichts. Erst recht nicht an

diesem 14. Morgen in Buhug in der Mongolei. Mit "Sainu Sigi!" (Hallo Sigi) und einem Händeschütteln

begrüße ich ihn. Sigi ist 16, Waise und verbringt zusammen mit 24 anderen Kindern und Jugendlichen den

Sommer in Buhug, 45 km südwestlich der Hauptstadt Ulan-Bator. Scheinbar endlose Steppe, am fernen

Horizont eine Bergkette, hier und da ein Ger (traditionelles mongolisches Zelt, Jurte), dazwischen Pferde,

Kühe und Schafe. Und natürlich der Buhug Fluss, eher ein Rinnsal, aber auch die Rettung wenn tagelang kein

Wasser aus der Leitung kommt. Ein Himmel, den man getrost den blausten Himmel der Welt nennen kann, in

der Luft ein Duftgemisch aus frischen Kräutern, Schafen und vergorener Milch und zwischendrin

Kinderlachen von Kindern, denen nicht immer zum Lachen zumute war. Einige der Kinder sind Waisen,

andere Verstoßene, weil das Einkommen der Familie nicht ausreicht, um sie zu ernähren. Wiederum andere

sind davongelaufen, weil sie vom alkoholabhängigen Vater geschlagen wurden. Manche haben auf der Straße

gelebt, sich von Abfällen aus Restaurants ernährt und den Winter unter der Erde in Heizungsschächten

verbracht. So unterschiedlich ihre Geschichten auch sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Sie leben

zusammen in einem Waisenhaus in Ulan-Bator und verbringen ihre Sommerferien in Buhug. Dort helfen sie,

Gemüse anzubauen, das in der Waisenhausküche Verwendung findet. Auf dem kargen Boden müssen sich

Zwiebeln, Karotten und Kartoffeln gegen jede Menge Unkraut behaupten. Hinzu kommt der trockene, heiße

Sommer. Wirklich keine guten Bedingungen. Doch die Kinder packen an. Reißen Disteln aus dem Boden,

schleppen eimerweise Wasser herbei, umsorgen die kleinen Pflänzchen. Zwischendrin springen die Jungen

auf, fangen an zu Rappen, trällern die neusten Hits aus Fernost, formen mit der Hand ein Mikrofon, hüpfen

herum und lachen ausgelassen. Die Mädels schütteln ihre Köpfe und kichern. Jeden Tag, den ganzen Sommer

lang. Wer da nicht mitmacht, steht als Spielverderber da. Als ich eines Tages an die Reihe kam, sang ich

zusammen mit Anna aus Italien ein Lied von Gianna Nannini. Wir ernteten Begeisterung und Applaus. Wir,

das sind nicht nur Anna und ich, sondern 16 Freiwillige aus acht Ländern, die 14 Tage lang in Buhug mit

angepackt haben.

16 Freiwillige aus acht Ländern auf Exkursion in Elsen Tasarhai (Kleine Gobi)

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Das Waisenhaus und die Farm

Das Waisenhaus "Childcare Centre Mongolia" am Stadtrand von Ulan-Bator wurde 1974 gegründet. Es wird

seither durch die Regierung finanziert. Zuerst gab es nur einen Kindergarten mit angeschlossener Vorschule

für Kinder von drei bis acht Jahren, 1979 kam dann das eigentliche Waisenhaus, ein dreistöckiges Gebäude,

in dem Kinder von acht bis 18 Jahren leben, hinzu. Insgesamt leben etwa 240 Kinder im Waisenhaus, 120

jüngere und 120 ältere. Etwa 85 Mitarbeiter, davon 35 Lehrer, arbeiten im Waisenhaus. Nach dem

Zusammenbruch des Sowjetreiches hat sich die Situation für viele Menschen in der Mongolei dramatisch

verschlechtert. Fabriken wurden geschlossen. Die Lebensmittelgeschäfte blieben leer. Der

Nahrungsmittelmangel war eines der größten Probleme. Das Waisenhaus war in dieser Zeit vollkommen von

der Regierung abhängig und manchmal reichte das Essen für die Kinder nicht aus. Daher entschloss man sich,

selber Gemüse anzubauen und gründete die Farm in Buhug. Allmählich hat sich die wirtschaftliche Lage der

Mongolei wieder gebessert und die Farm ist nun nicht mehr überlebenswichtig. Dennoch nutzt man sie

weiterhin, um den Kindern zu lehren, wie man Gemüse anbaut, umsorgt und erntet. Außerdem haben die

Kinder auf der Farm die Möglichkeit, ihr Englisch zu verbessern, da den gesamten Sommer lang Freiwillige

aus aller Welt vor Ort sind. Ebenso dienen Musik-, Tanz- und Film- und Spielabende dem kulturellen

Austausch und werden von den Kindern mit Begeisterung erwartet.

Einfahrt und Hauptgebäude des Waisenhauses in Buhug

Ankunft in Buhug

Unendliche Weite, ein Sternenhimmel wie aus dem Bilderbuch, zwei Gers, ein Plumpsklo, das Sommerhaus

mit zwei Schlafsälen und einem Aufenthaltsraum, der zugleich Küche, Esszimmer, Wohnzimmer, Kino,

Yogaraum und Disco ist. Drei Duschen aus denen eiskaltes Wasser kommt, wenn es mal kommt. Die Tische

und Hocker sind niedrig, eher etwas für Liliputaner. Die Filzmatratzen sind nur einen Finger dick. Ich nahm

mir drei davon und spürte dennoch die Holzbretter des mongolischen Handmade-Lattenrostes. So lebte ich in

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der Unterkunft der Freiwilligen - für mongolische Verhältnisse sogar ziemlich luxuriös. Für westliche

Verhältnisse war es ein einfaches aber zufrieden stellendes Leben.

Bei meiner Ankunft in Buhug war die Begrüßung sehr herzlich. Einige Mädchen kamen gleich auf mich zu,

hakten sich bei mir ein und fragten, wie ich heiße, wo ich herkomme, wie alt ich bin, ob ich Kinder habe.

Natürlich fragte auch ich nach ihren Namen. Sie klangen fremd in meinen Ohren. Mit der Zeit aber wurden

sie mir vertraut. Die mongolischen Kinder hatten ihre eigenen Methode, sich unsere Namen zu merken: Sie

gaben uns einfach mongolische Namen. Von da an war ich Gandi.

Die Offenheit der Kinder stimmte mich fröhlich. Allerdings wurde diese Stimmung schnell wieder getrübt als

mir klar wurde, dass es für die Kinder kein Mein und Dein gibt, sondern nur ein Unser. Schnell wanderten

Kameras, Handys und allerlei anderes westliches Konsumgut durch die Kinderhände. Sie drückten auf

Knöpfe, löschten versehentlich Fotos, ließen eine Kamera fallen. Ich hing mir meine Kamera um den Hals,

um sie zu sichern. Ich schob mein Handy tief in meine Tasche. Pass und Geld versteckte ich ebenso. Doch

eines war nicht sicher: meine Sonnenbrille - unverzichtbar für mich im grellen mongolischen Sonnenlicht,

nagelneu obendrein und nicht ganz billig. Als Undrah mir die Brille von der Nase nehmen wollte, sagte ich

"No!" und überraschte sie damit sehr. Sie drehte sich um, schimpfte und ging. Mir war klar, ich habe etwas

falsch gemacht. Vorerst war ich aber froh, meine Brille behalten zu haben. Am nächsten Tag suchte ich

langsam wieder Kontakt zu Undrah. Sie blieb hart. Ich lächelte sie an, reichte ihr meine Hand. Langsam

strahlte auch ihr Gesicht wieder. Dennoch konnte ich zu ihr in den ganzen 14 Tagen keine nähere Bindung

aufbauen. Die Mongolen sagen: Ein Problem, das man nicht vorm Morgengrauen löst, löst man nie. Es war

schwierig, ganz ohne Worte sich nur mit Gesten zu verständigen. Undrahs Umgangsform ist rau, so wie die

der meisten Kinder in Buhug. Sie schimpfen schnell, schubsen, boxen, sind beleidigt. Aber mindestens

genauso zärtlich zueinander, hilfsbereit und zuvorkommend können sie sein. Meine Erfahrungen gelten

sicherlich nicht für alle mongolischen Kinder. Es sind Erfahrungen, die ich mit Kindern gemacht habe, denen

es in ihrem bisherigen Leben nicht selten an Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit gefehlt hat. Kinder, die

gelernt haben, sich durchs Leben zu kämpfen, ja um ihr Leben zu kämpfen.

Giulia aus Italien, Sugii (10 J.) und Undrah (13 J.) knüpfen Freundschaftsbänder

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Es gab viel zu tun

Was war nun genau meine Aufgabe? Ich habe auf der Farm geholfen, Unkraut entfernt und Bäume bewässert.

Ich habe Steine für den Bau eines Jugendtreffs gestapelt, und das Fundament für eben diesen vorbereitet. Ich

habe Zement angerührt und einen Verbindungskanal gegraben. Diese Aufgaben habe ich zusammen mit den

anderen Freiwilligen und den Kindern durchgeführt, wobei die Kinder von 17 bis 19 Uhr geholfen haben, da

Kinderarbeit in der Mongolei untersagt ist.

Das Unkraut muss weg!

Den meisten Spaß bereiteten mir die Abende, an denen wir zusammen mit den Kindern Basketball,

Volleyball, Frisbee und noch einige andere eigene Sportkreationen gespielt haben. Die Kinder waren uns

immer haushoch überlegen, wahre Sportskanonen. Ebenso standen kleine Ringkämpfe fast stündlich auf dem

Programm. Kein Wunder, ist doch der Nationalsport das Ringen.

Den Abschluss meines Aufenthaltes in Buhug bildete eine Schatzsuche, die wir für die Kinder planten. Es

gab sechs verschiedene Stationen, an denen sie z.B. Seilspringen oder einen Hindernisparcours überwinden

mussten. Nach Bewältigung jeder Aufgabe erhielten sie ein Stück der Schatzkarte und am Ende erwartete sie

ein riesiger Schatz, bestehend aus Schulutensilien, kleinen Spielsachen und Süßigkeiten. Der Schatz wurde

wie folgt aufgeteilt: Jeder konnte sich der Reihe nach, wobei sich schnell ein Anführer fand, der die

Reihenfolge festlegte, etwas vom Schatz nehmen. Dabei wurde nur darauf geachtet, dass jeder die gleiche

Menge erhält. Auf den finanziellen Wert wurde nicht geachtet. So sah ich wie ein Mädchen sechs

Schreibhefte nahm und ein anderes Gruppenmitglied im Gegenzug sechs Bonbons auswählte. Es war sofort

erkennbar, dass die Dinge für die Kinder von unterschiedlichem materiellen Wert waren. Jemand, der gern

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zeichnete, freute sich über Papier und Stifte, während andere den Süßigkeiten einen größeren Nutzen

zuschrieben. Wir hatten vorher peinlich genau darauf geachtet, dass von jedem Gegenstand und jeder

Süßigkeit genau eins für jedes Kind vorhanden ist. Die Kinder allerdings teilten nach ihren eigenen Regeln.

Für Sport und Spiel waren die Kinder immer zu begeistern

Nationalstolz, die Freude am Singen und die Achtung der Natur

Neben der Lust am Singen und Tanzen, fiel mir am ersten Tag auch gleich ein großer Nationalstolz auf.

Während wir ausländischen Freiwilligen am ersten Abend ein Kinderlied oder einen Schlager aus unserer

Heimat präsentierten, sangen die Kinder mit der rechten Hand auf dem Herzen die mongolische

Nationalhymne. Die Mongolen sind besonders stolz auf ihr Kulturgut, die Tänze, Lieder und Gedichte, auf

den Helden Dschingis Khan und natürlich das Reiten. Die Mongolen behaupten gern von sich, dass sie auf

dem Rücken eines Pferdes geboren wurden.

"Buddhismus ist die wesentliche Religion in der Mongolei, allem zu Grunde liegt das Schamanentum."

(Schenk 2003, S. 94) Der Schmanismus ist eine Naturreligion. Daher nimmt die Achtung der Natur eine

wichtige Rolle ein. So ist es z.B. untersagt sauberes Wasser absichtlich zu verunreinigen. Ebenso behandeln

die Waisenhauskinder die Hunde, die um die Farm streunen, mit großem Respekt. Denn sie glauben, dass ein

sterbender Hund als Mensch wieder geboren wird. Einem Menschen, dem man sehr nahe steht, wünscht man

am Sterbebett, dass es als Hund wieder geboren wird. Dies ist die kürzeste Verbindung zu einer Wiedergeburt

als Mensch.

Ich konnte bei den Kindern beobachten, dass sie immer ihre Schuhe ausgezogen haben, wenn sie ein Gebäude

betraten. Ebenso haben sie einen großen Schritt über die Türschwelle gemacht. Tritt man auf die Türschwelle

eines Gers, so unterbricht man den Fluss des Glückes, das hineinströmt. Gleiches gilt, wenn man mit dem

Kopf an den oberen Türbalken stößt.

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An einem besonderen Ritual durfte sogar ich teilhaben. Überall im Land verteilt, bevorzugt auf Bergkuppen

oder an wichtigen Kreuzungen, befinden sich Owoos - Reisegötter. Das sind bis zu zwei Meter hohe

Steinhaufen. Wenn jemand sich auf eine längere Reise begibt, umrundet er den Owoo dreimal im

Uhrzeigersinn und legt zum Schluss einen Stein oder eine andere Opfergabe oben drauf. Vor meinem

dreitägigen Ausflug nach Elsen Tasarhai (Kleine Gobi) habe ich an diesem Ritual teilgenommen und eine

sichere Reise ohne Zwischenfälle genossen.

Ein buddhistischer Mönch beim Umrunden des Owoos

Andere Länder, andere Sitten: Die Körperhygiene

Ein Problem, mit dem alle Freiwilligen in den ersten Tagen zu kämpfen hatten, war das Fehlen von sanitären

Einrichtungen im westlichen Sinne. Es gab zwei Plumpsklosetts: eins für die Kinder, eins für die Freiwilligen.

Ebenso stand uns frei, kleinere Geschäfte in der Natur, aber nicht in der Nähe von frischem Wasser, zu

erledigen. Die Freiwilligen hatten das Glück, dass ihr Klo wenigstens eine windschiefe Tür hatte. In den

ersten Tagen ließen größere Geschäfte sowieso auf sich warten. Das freudige Ereignis der Vollendung eines

solchen Geschäftes in Hockstellung über ein paar losen Brettern wurde mit allen geteilt. Jeder fühlte die

Erleichterung des anderen. Nach einiges Zeit gewöhnte man sich daran und der Gang zum Plumpsklo wurde

zu einem täglichen Ritual. Ja man genoss nach einiger Zeit sogar die atemberaubende Aussicht, die man

durch die Spalten der Bretter des Klohäuschens hatte.

Für die Freiwilligen gab es ein Waschhaus mit sechs Waschbecken und drei Duschen. Allerdings war das

Wasser ein knappes Gut und tropfte oft nur spärlich aus der Leitung, so dass wir das Waschhaus selten

nutzten. Warmes Wasser gab es nicht. Den Kindern standen ebenso einige Waschbecken, aber keine Duschen

zur Verfügung. Sie gingen daher einmal pro Woche zum Buhug Fluss und nahmen dort ein Bad. Die

Kleidung der Kinder war meistens sauber und in gutem Zustand, dafür sorgten die MitarbeiterInnen des

Waisenhauses. Allerdings trübten schmutzige Gesichter, schwarze Fingernägel und ein Geruch nach saurer

Milch das äußere Erscheinungsbild.

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Die Toilette für die freiwilligen Helfer, gewöhnlich gibt es nicht einmal eine Tür

Der Tagesablauf der Kinder

Da die Kinder Sommerferien hatten, schliefen sie generell ziemlich lange und frühstückten gegen 9 Uhr.

Nach dem Singen der Nationalhymne fand ein lockerer Unterricht statt, den ein Lehrer und eine Lehrerin aus

dem Waisenhaus durchführten. Nach einem leichten Mittagessen hatten die Kinder Freizeit, die sie meist mit

Fußballspielen, Basketball oder Breakdance verbrachten. Einige Kinder beschäftigten sich mit dem Knüpfen

von Freundschaftsbändern oder zeichneten. Vor dem Abendbrot halfen die Kinder von 17 bis 19 Uhr auf den

Feldern. Wer keine Lust hatte, sang und tanzte dort einfach. Es bestand keine Pflicht zur Arbeit, aber der

Lehrer versuchte schon, die Kinder zu motivieren, denn schließlich finden sie das Gemüse später auf ihrem

Speiseplan. Generell essen Mongolen wenig Gemüse. Dies kommt aus dem Nomadentum. Nomaden ernähren

sich fast ausschließlich von Hammel, Yakbutter, frittierten Teigwaren und gesalzenem Milchtee. Die

Mongolei ist kein gutes Reiseziel für Vegetarier.

Nach der Arbeit auf der Farm essen die Kinder Abendbrot. Danach haben sie Freizeit, die sie mit den

Freiwilligen verbringen. Spätestens 21 Uhr müssen die Kinder unter 13 in ihrem Zimmer sein, die

Jugendlichen erst 22 Uhr.

Allgemein lässt sich sagen, dass die Kinder eine große Freiheit genießen. Sie können den Tagesablauf

überwiegend nach eigenen Interessen gestalten. Sie können sich in der Umgebung frei bewegen. Dies gefiel

mir besonders gut, da ich eine ähnliche Kindheit genoss. Von den Lehrern wurden alle Freiwilligen gebeten,

die Kinder nicht zu belehren, falls sie sich aufdringlich oder in unseren Augen nicht gut benehmen, sondern

die Situation einem Lehrer zu schildern, der dann mit den betroffenen Kindern spricht. Natürlich verhielten

sich die Kinder oft anders, als wir es erwarteten. Manchmal wurden sie sehr aufdringlich. Einmal schmissen

sie eine leere Wodkaflasche so lange gegen einen Stein bis sie zerbrach. Aber nie haben wir deshalb mit

einem Lehrer gesprochen, denn wir sahen uns als Besucher, die den Kindern Respekt zollen und sie so

nehmen sollten, wie sie sind. Ihnen unsere "westlichen" Regeln und Normen aufzuzwingen wäre hier

vollkommen falsch gewesen. "Erziehen - dieses Wort kennt man in der nomadischen Welt nicht. Kindern

wird vorgelebt, und sie machen mit. Sie sind der größte Reichtum des Landes." (Schenk 2003, S. 122)

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Eine Tanzperformance am letzten gemeinsamen Abend

Abreise

"Bye Gandi, see you tomorrow!" (Tschüss Gendi, wir sehen uns morgen!) Sigi klopft mir auf die Schulter,

umarmt mich. "Bajartai! Margasch togley." (Tschüss! Lass uns morgen spielen.) entgegne ich. 14 Abende

lang haben wir uns so voneinander verabschiedet. Jetzt müssen wir beide lachen, weil wir merken, dass

unsere Sätze keinen Sinn mehr ergeben. Für uns beide wird es kein 'Morgen' mehr geben. Ich winke noch, als

die Farm schon hinter dem Hügel verschwunden ist. Dann steigen mir Tränen in die Augen. Bisher hatte ich

meiner Heimreise entgegen gefiebert. Endlich wieder duschen, endlich wieder im Internet surfen, Emails

lesen, endlich wieder in einen Supermarkt gehen und frisches Obst kaufen. Das alles erscheint mir plötzlich

überhaupt nicht mehr wichtig. Gern würde ich noch länger bleiben, mit den Kindern zusammen den Tag

verbringen. Ich möchte noch viel mehr von diesem faszinierenden Land sehen, wo nachts die Milchstraße

zum Greifen nah ist und man die Tageszeit am Stand der Sonne bestimmt (Die Tür eines Gers zeigt stets nach

Süden. So lässt sich beim Blick durch die Tür der Stand der Sonne erkennen und die ungefähre Uhrzeit

bestimmen). Gern würde ich weiter in die Gelassenheit der Kinder eintauchen, den Tag so nehmen, wie er

kommt, singend, tanzend, lachend durch die Steppe laufen, den Duft der Wildblumen einatmen und die

Einfachheit des Lebens genießen. Vor allem aber wird mir das Leben im Ger fehlen. Zuerst stieß ich an

meine Grenzen, weil es nie eine Privatsphäre gab (abgesehen von ein paar Minuten auf der Toilette). Dann

erkannte ich, dass ich nur nach draußen gehen musste, ein paar Schritte in die Steppe und schon war ich

vollkommen allein. Ich habe viele neue Eindrücke gesammelt, die mir in einer deutschen Kindereinrichtung

verwehrt geblieben wären. Ich bin froh diesen großen Schritt in die Mongolei gemacht zu haben und glaube,

dass meine neuen Erfahrungen mir in meiner weiteren Berufslaufbahn hilfreich sein werden.

Quellen:

Schenk, Amelie: Mongolei. München (2003)