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(Aus dem Gerichtsi~rztlichen Institut der Universit~t Breslau. Direktor: Prof. K. Reuter.) Mord oder Selbstmord durch Erschiel]en? Verurteilung auf Grund eines unrichtigen oder unzureichenden iirztlichen Gutachtens ? Von Prof. Dr. Georg Strassmann, Breslau. Mit 3 Textabbfldungen. In der Schwurgerichtsverhandlung zu 0. am 10. XII. 1924 wurde der Maurer Josef M., 25 Jahre alt, wegen Mordes an seinem Vater zum Tode verurteilt, w~hrend der mitangek]agte Bruder Johann M. frei- gesprochen wurde. Das Urteil stfitzte sich dabei haupts~tchlich auf das kreisgrztliche Gutachten, sowie ein anderes grztliches Gutachten, wonach der alte M. yon hinten erschossen sein miisse. Die Brfider Josef und Johann M. hatten aufterdem schwerwiegenden Verdacht dadurch auf sich geladen, dab sie zungchst als Todesursache beim Amtsvorsteher eine Alkoholvergiftung angaben, die sie spgter dahin umgnderten, dab der Vater sich selbst erschossen hgtte. Als weiteres Verdachtsmoment kam hinzu, daft Josef, der w~ihrend der ganzen Untersuchung, w~hrend der Verhandlung und bei seinen wiederholten Wiederaufnahmegesuchen stets behauptete, der Vater habe Selbstmord verfibt, seine Kenntnis yon dem Vorhandensein eines Gewehrs auf dem GehSft leugnete, auch fiber die Zeit, wann er das GehSft verlassen, und wann er zurfickgekehrt war, anscheinend unrichtige Angaben machte. Die ttauptgrfinde des Urteils aber blieben immer, daft der alte M. den Einschuft im l%ficken, den Ausschuft in der Brust gehabt babe, und daher nur von einem Frem- den erschossen sein kSnne. Als Tgter kam aber nur einer der SShne in Frage, da sonst niemand den Hof betreten hatte. Die Sektion wurde am 16. VI. 1924 -- der Tod war am 10. VI. 1924 erfolgt -- durch den Kreisarzt Dr. D. und den Medizinalassessor K. vorgenommen. Die Leiche befand sich bereits in hochgradigem F~tulnis- zustand. Aus dem Sektionsprotoko]l seien die wichtigsten Punkte bier hervor- gehoben: 167 cm ]ange Leiche eines 54 Jahre alten Mannes. An der Brust, links yon der Mittellinie, eine 4:41/2 cm im Durchmesser betragende ovale ~u deren gufterer Rand unregelm~6ig zackig, zum Teil lappig, beschaffen ist und nach Z. f. d. ges, Gerichtl. Medizin. 14. Bd. 8

Mord oder Selbstmord durch Erschießen?

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(Aus dem Gerichtsi~rztlichen Inst i tut der Universit~t Breslau. Direktor: Prof. K. Reuter.)

M o r d o d e r S e l b s t m o r d d u r c h E r s c h i e l ] e n ?

Verurteilung auf Grund eines unrichtigen oder unzureichenden iirztlichen Gutachtens ?

Von

Prof. Dr. Georg Strassmann, Breslau.

Mit 3 Textabbfldungen.

In der Schwurgerichtsverhandlung zu 0. am 10. XI I . 1924 wurde der Maurer Josef M., 25 Jahre alt, wegen Mordes an seinem Vater zum Tode verurteilt, w~hrend der mitangek]agte Bruder Johann M. frei- gesprochen wurde. Das Urteil stfitzte sich dabei haupts~tchlich auf das kreisgrztliche Gutachten, sowie ein anderes grztliches Gutachten, wonach der alte M. yon hinten erschossen sein miisse. Die Brfider Josef und Johann M. hat ten aufterdem schwerwiegenden Verdacht dadurch auf sich geladen, dab sie zungchst als Todesursache beim Amtsvorsteher eine Alkoholvergiftung angaben, die sie spgter dahin umgnderten, dab der Vater sich selbst erschossen hgtte. Als weiteres Verdachtsmoment kam hinzu, daft Josef, der w~ihrend der ganzen Untersuchung, w~hrend der Verhandlung und bei seinen wiederholten Wiederaufnahmegesuchen stets behauptete, der Vater habe Selbstmord verfibt, seine Kenntnis yon dem Vorhandensein eines Gewehrs auf dem GehSft leugnete, auch fiber die Zeit, wann er das GehSft verlassen, und wann er zurfickgekehrt war, anscheinend unrichtige Angaben machte. Die t tauptgrfinde des Urteils aber blieben immer, daft der alte M. den Einschuft im l%ficken, den Ausschuft in der Brust gehabt babe, und daher nur von einem Frem- den erschossen sein kSnne. Als Tgter kam aber nur einer der SShne in Frage, da sonst niemand den Hof betreten hatte.

Die Sektion wurde am 16. VI. 1924 -- der Tod war am 10. VI. 1924 erfolgt - - durch den Kreisarzt Dr. D. und den Medizinalassessor K. vorgenommen. Die Leiche befand sich bereits in hochgradigem F~tulnis- zustand.

Aus dem Sektionsprotoko]l seien die wichtigsten Punkte bier hervor- gehoben:

167 cm ]ange Leiche eines 54 Jahre alten Mannes. An der Brust, links yon der Mittellinie, eine 4:41/2 cm im Durchmesser betragende ovale ~u deren gufterer Rand unregelm~6ig zackig, zum Teil lappig, beschaffen ist und nach

Z. f. d. ges, Gerichtl. Medizin. 14. Bd. 8

114: G. S~rassm~nn :

auBen stark vorgew61bt ist. Die Wunde wird yon einem Gewebsstttck, das aus Lungengewebe besteht, verhiillt; dieses 1/iBt sich durch Druek leicht in die Brust- h6hle zuriickschieben. Der Wundrand ist yon schw/~rzlich-grfinlicher Farbe, Verbrennungen und Versehmierungen der umgebenden Haut sind nicht zu erkennen, jedoch ist die IIaut unterhMb der Wunde yon eingetroeknetem Blur besudelt. Der inhere Rand der Wunde ist 4 em yon der Mittellinie, der/~ugere 2 cm yon der linken Brustwarze entfernt, der untere Rand befindet sich in H6he der Verbin- dungslinie beider Brustwarzen.

Die Haut des Riickens zeigt auf der linken Seite eine kreisrunde Wunde yon 8 mm Durchmesser. Ihr Rand ist v611ig glatt, ihre Liehtung durch einen sehmutzig blaurot-verfi~rbten Wattepfropf verstopft. An der umgebenden Haut ist infolge F/~ulnis keine Einzelheit zu erkennen. Diese Wunde befindet sieh 12 em yon der l~ttellinie entlernt in H6he der linken 10. Rippe.

Entspreehend der beschriebenen Hautwunde finder man in der Brustwand vorn eine ebenso groBe loehartige Wunde und zwar innerhalb der 3. bis 6. Rippe, die bier eine Zertrfimmerung ihrer Substanz aufweisen. Man sieht in der Tiefe tier Wunde die zerfetzte linke Lunge und die Splitter der zertrfimmereen Rippen, vermiseht mit schw~rzlich geronnenem Blute. Die linke Lunge ist zurtiekgesunken. Im linken Brustfeliraum 100 cem fltissiges Blur, Herz unverletzt, linke Lunge yon schwi~rzlieh blutiger 1%rbe, im Bereieh des Unterlappens v611ig zerfetzt, im iibrigen die Oberfl~ehe dunkeirotblau marmoriert und glatt.

Die Besichtigung des Ilrustkorbes yon innen ergibt, dab die 10. Rippe ent- sprechend der in Nr. 10 beschriebenen Wunde innen einen halbkreisf6rmigen Substanzverlus~ zeigt, in den ein GeschoB des Mflit/~rgewehres Modell 98 genau hineinpaBt. An der Innenseite des Loehes beginnt ein Knochenspalt, der sehr~g nach der Vorderseite des Brustkorbes verl~uft, die Rippen v611ig durchsetzend, so dab die vordere Rippenpartie auger Zus~mmenhang mit der hinteren steht. Die ~uBere Oberfl/~ehe der Rippe im Bereich des genannten Loches ist glatt, die der Brusth6hle zugekehrte zeigt starke Abep~tterung der Knochensubstanz. Die 9. Rippe zeigt an der der besehriebenen loehartigen Verletzung der 10. Rippe benachbarten Partie eine v61lige Zersplitterung ihrer Substanz, jedoch befinden sieh die einzelnen Knoehenstiicke ira Zusammenhang miteinander bzw. mit der Knoehenhaut. Die Muskulatur zwisehen den Rippen und dem Rippenfell zeigt im Bereiehe der ganzen Brusth6hle eine sehwarziieh rote blu~ige Verffixbung.

In dem iibrigen Sektionsprotokoll ist auger st/s F/~ulniserseheinungen niehts Wesentliches notiert.

Das vorl/~ufige Gut~ch ten ] au te t : Der Mann sei an einer Gewehr- sehuBver le tzung der Brus thShle mi t Zer t r f immerung der l inken Lunge ges torbem Der SehuB sei yon h in ten abgefeuer t worden, so dab die Rt iekenwunde als EinsehuB, die Brus twunde ~ls AussehuP., anzusehen sei. Der Befund spr~ehe n ich t gegen die Annahme, dab der SchuB aus unmi t t e l ba r e r Nhhe gefal len sei. Nach L~ge der SehuB6ffnungen lEge ein Se lbs tmord n ieh t vor, es k o m m e nur die E i n w i r k u n g einer d r i t t e n Person in ~ '~ge .

I rgende ine Unte r suehung der Sehul3wunden der H a u t auf Kle idungs- fasern oder Pu lve rbes t and te i l e dureh die Obduzen ten is t n iemals be- a n t r a g t noeh vorgenommen worden, obwohl der Verurteil~e yon vorn- here in behaup te te , dag die Brus twunde eine P la t zwunde infolge Selbst- mordes mi t aufgesetz ter Waffe sei.

Mord oder Selbstmord durch Erschiel~en? 115

Aus den Zeugenvernehmungen bei der Verhandlung geht hervor, dab der a r e M., der ein Quartalstrinker war, aueh in den Pfingsttagen 1924 wieder zu trinken angefangen hat te und am 10. VI. vSllig be- t runken nach Hause gekommen war. Er brach am Nachmi~tage des 10. VI. im Hole zusammen und sehlief dort ein. Die SShne Johann und Josef wollen den betrunkenen Vater am Abend des 10..in einem Stgllchen eingesperrt haben; als sie aber am n~chsten Morgen um 3 Uhr auf- standen, um zum M~hen zu gehen, kam der Vater pl6tzlich yore Boden in die Kiiche, guI~erte, er werde keinen Schnaps mehr trinken, und ging dann in die Scheune. Gegen 4 Uhr wurde ein SchuB auf dem M.schen Geh6ft gehSrt. Die SShne w011en erst, als sie vom M~ihen zurfick- kamen, da sie dem SchuBger~usch keine Bedeutung beimafSen, den Vater in der Scheune liegend aufgefunden haben, und zwar mit einem Gewehr in der Hand, das er im linken Arm hielt, er lag auf dem Riieken, den Kopf naeh links geneigt, die Beine gespreizt, zwisehen ihnen ein Wassereimer.

Der Tote war mit Hemd, Hose und Weste bekleidet. Um die Sehande zu verbergen, die mit einem Selbstmord in der

dortigen Streng katholischen Gegend verbunden ist, h~tten sie den Tod als Alkoholvergiftung gemeldet. Sie liel]en die Leiche bis zum Abend liegen, nahmen nur das Gewehr yore Arm und warren es fort. Beim Fortbringen und Umkleiden sahen sie die grol3e Sehul3wunde auf der Brust, die kleine am t~iieken.

,,Das Gericht hat mit einer alle Zweifel aussehliel3enden GewiBheit sich davon/iberzeugt, dal~ der alte M. yon hinten ersc'hossen war. Aus dem bekannten Umstand, dal~ die Aussehul3wunde stets grSl~er sei als die EinschufSwunde, daf5 die R~nder der Brustwunde nach vorn ge- driickt, Lungenteile naeh vorn geprel~t waren, sei nur der Sehlul~ er- laubt, dal3 hier der Ausschul~ sich befunden h~tte. Dr. D. habe be- kundet, daf~ sonst die Wundrgnder nach innen h~tten geprel~t sein miissen ebenso wie die verletzten Lungenteile. Bei einem auf den KSrper an- gesetzten Gewehrschuf~ hs zwar eine grof~e Einschul~wunde ent- stehen kSnnen, doeh h~tten dann die Pulvergase durch den KSrper hindurchgehen und auch die Ausschul~wunde aufreil~en mfissen. Eine 8 mm grol3e Riickenwunde konnte als Ausschul~ nieht in Frage kommen. Dazu kam, dal~ die 10. Rippe hinten ein glattes halbkreisfSrmiges Loeh aufwies, w~hrend das innere Loeb unregelmal~ig zersplittert war.

Das fragliche Gewehr war ein Infanteriegewehr Mode]l 98 mit spgter abgesggtem Kolben, das der alte M. versteckt auf dem Boden oder auf der Scheune aufbewahrt haben soll.

Die Untersuchung der Kleidung ist durch das Hygienische Inst i tut in B. vorgenommen worden. Die wichtigsten Untersuchungen, wie die- jenigen auf Pulverbestandteile, erfolgten allerdings nieht, vielmehr

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116 G. Strassmann :

f inden sich nur se lbs tvers t / indl iche Erw~gungen darf iber , dag es sich um Sehul~verletzungen handel te . Aueh jede Beschre ibung fiber die Lage und das genaue Aussehen der Sehugwunden fehlt., ein Beweis offenbar daffir, dab die Unte r sueher yon den wich t igs ten geriehts~trztl iehen Fragen , die bei KMdersehf i s sen eine Rolle spielen, ungeni igende K e n n t n i s besaBen. Ich gebe diesen Beseheid w6r t l ieh wieder :

,I~Iygienisehes Institut Be 0/S. am 23. VIII. 192g. Die Unt.ersuehung der bier eingetroffenen Weste nnd des Hemdes, welche zur Feststellung, ob die da,rin befindliehen DnrehschuB6ffnungen mit den in Decke und Bettlaken nae, hgewiesenen Sehufl6ffnungen iibereinstimmen, sowie der I-Iolzsp/~ne, welche zur Festst.ellung yon Mensehenblut tibermittelt, wurden, ergab: Die Weste nnd das I-Iemd weisen je 2 Durchschu136ffnungen auf, die sich dnrch typische Aufbguschungen der Ge- webefasern hinter den Zerreignngsstellen kennzeichnen. Die Durehsehug6ffnungen liegen so, dab eine Kugel in den I{tieken eingedrungen ist, Weste und Herod durch- sehlug, und n~eh P~ssieren des K~Srpers etw~s tiber hgndbreit oberhMb an der Brusg ~deder herausgekommen ist,, we sic wieder Hemd und Weste durehbohrteo An der AnssehnB6ffnung sind die L6eher in den Kleidungsstt~eken normaler Weise erheblich gr6ger als a.n der EinschuB6ffnung, das Gewebe des Stoffes zeigt hier nieht rnehr die typischen Anfbansehungen der Fasern, weft der Anfprall der Kugel nicht mehr so stark war, dafiir sind abet die ZerreiBungen um so starker. Wenn die DurehsehuB6ffmmgen in Decke und Laken mig dem einen Sehull, den der Ermordete erhs~lgen hat, im Zuss,mmenh~ng stehen, so mult Decke und Laken in der Breite entsprechend zusammengefMte~, sieh guf dem Is des Ermor- deten befunden haben, als der SehnB erfolgte. Der Ermordete hatte dgnn auf dem Bauche oder anf der Seite gelegen nnd war mit Decke und Laken his etwa zur I-I~lf~e des t~tiekens bedeckt. Oder der Ermordete lag mit dem P~ticken auf I)eeke nnd Lgken, wurde dann anfgerichtet oder auf die Seite gelegt und erhielt dann den Schnl3. Die Durehschnl3/)ffnnngen in der Deeke sind etwas kleiner Ms diejenige~ in Weste ~nd tiered, das l~gt sieh d~mit erkliren, dab das Gewehe der Decke locker ist and der Xugel einen leichterml Durchschlag bet, w~ihrend das feste Gewebe an Weste mad Herod mehr widerstand, wodurch die DurchsehulL 6Ifnungen grSBer wurden. Das Geweb e des Lakens ist sehr weitmaschig und locker, die DnrchschuBSffnnngen sind bier noch kleiner als in der Deeke, denn die Fasern sind hier yon der Kngel grSBtenteils einfaeh zur Seit.e gesehoben worden. Die rotbraun-gl~inzenden Ftecke an den Holzsp~nen wurden als yon ~enschenblut herrt~hrend erkannf,."

W ~ h r e n d die Pa t ronenhi i l se noeh im Schlol3 des Gewehres gelegen ha t , ist~ die Kuge l n ieh t gefunden worden.

D~s Ger ieht h a t sieh den Gu taeh t en des Kre i sa rz tes Dr. D. und des Ass i s ten ten Dr. W. vom Hygien i sehen I n s t i t u t in B. angesehlossen und angenommen, dag Josef ){., u m sieh in den Besi tz der W i r t s e h a f t zu setzen, den Vate r ersehossen babe . Dieser babe auf dem Bauehe in der Seheune gelegen, Josef habe ihm d a n n Deeke und B e t t l a k e n yon h in ten t ibergeworfen und den t6d l iehen 8ehuB yon h in ten abgegeben. Die Waffe, die ve r s t eek t war, habe er offenbar vorher aus dem Vers teek hervorgehol t .

Der Bruder J o h a n n habe viel le ieht mehr yon der T a t gewuBt, als er gesagt hgt te , er habe offenbar dem Josef geholfen, den Vate r in die

Mord oder Selbstmord durch ErschieBen? 117

Stetlung zu bringen, in der er nachher gefunden wurde, d. h. also in die l%iiekenlage, babe wahrscheinlieh auch etwas yon den Anstalten des Bruders gemerkt, habe den Bruder begiinstigt, um ihn der Bestrafung zu entziehen. Dies sei aber, d~ seinem Bruder gegeniiber erfolgt, straflos.

Veto Hygienischen Ins t i tu t in B. ist weiterhin eine Decke und ein Laken untersucht worden, zur Feststellung, ob die Sachen eine Durchschuft- 5ffnung anfweisen und ob sie iKenschenblutflecke zeigen.

Das Ergebnis am 6. VI I I . 1924 l~utet:

,,In dem Laken befinden sich 2 runde, etwa 4 mm ira Durchmesser messende L5cher, die sich mit 2 ~hnlichen, in der Decke befindlichen LOchern gena.u zur Deckung bringen lassen. Die mikroskopische Untersuchung der Fasern an diesen 4 LOchern ergab, daI~ sie unterhalb der ZerreiBungsstelle typische Aufbanchungen aufweisen, wie sie nur entstehen, wenn Fasern durch SchuI~ zerrissen werden. Es handel~ sich hier demnach urn Durchschul~Sffnungen. Ein 3. ovales Loch in dem Luken in der N~he der Durchschuf~Offnung rtihrt yon dem Durchdriicken einer leeren Korn~hre her, was auch das Fehlen der typischen Aufbauchungen an den darum liegenden Fasern beweist. Die Flecken auf Laken und Decke sind Flecke yon Menschenblut."

Der verurteilte Josef M. hat wiederholt Wiederaufnahmeantr~ge selbst oder durch seinen l%chts~nwalt machen lassen, und dabei immer betont, daI3 das Sachverst~ndigengutachten, wonach der Schul~ yon hinten gekommen sei, unrichtig sein miisse. Er hat selbst dabei die GrSl~e der vorderen Brustwunde als durch einen Schul3 mit aufgesetzter Waffe herrtihrend, erkl~Lrt. Irgendwelche Untersuehungen der Kleidung auf Nahschul~spuren, irgendwelche Untersuchungen der Hautwunden, sind niemals vorgenommen worden, nie guch nur von den Sachverstgn- digen ~ngeregt worden; t rotzdem blieben sie stets bei ihrer Annahme, die Wunde hinten kSnne nur der Einschul3, die Wunde vorne miisse der AusschuB sein. Jedes Gnadengesueh hut der Verurteilte abgelehnt, mi t der Begriindung, dal3 er nut seine Unsehuld bewiesen und seine Ehre wieder hergestellt wissen wolle. Alle Antrgge auf Wiederaufn~hme des Verfahrens sind bisher ubgelehnt worden mi t der Begrfindung, dal~ ein anderer Ausgang des Strafverfahrens undenkbar w~Lre, da die SchuB- riehtung dureh die vernommenen Saehverst~ndigen, d .h . die Lage des Einsohusses hinten, die des Aussehusses vorn unumstOBlich fest- gestellt sei.

Just izr~t M. wandte sieh an mieh, um erneut den Versueh eines Wiede~aufnahmeverfahrens durchzusetzen, da er yon der Unsehuld des Josef M. Zest iiberzeugt sei. Er stellte mir Urteil, Obduktionsprotokoll, die Gutaehten, die zahlreichen Wiederaufnahmeantrgge und die Ab- lehnungsgriinde sowie die seinerzeit besehlagnahmten Kleidungsstiicke zur Verftigung.

Deeke und Bettlaken konnten nicht genauer uatersucht werden, da die angeb]ichen SehufJSffnungen von dem Hygienisehen Ins t i tu t in B.

118 G. Strassmann:

herausgesehnitten worden waren. Ieh halte dies Xteraussehneiden fiberhaupt bei einem zu untersuehenden Kleidungsstfiek, wenn es sietx um SehuGverletzungen handelt, Iiir unriehtig, da dadureh jede M6glieh- keit der Naehpriifung ausgesehlossen ist; aul3erdem abet kann man, wenn, wie hier, kleine quadratisehe Stiieke der SehuSwunden heraus- gesbhnitten werden, niem~ls die ganze getroffene F1/~ehe zur Unter- suehung auf Pulverbestandteile ausklopfen und dgher aueh kein riehtiges Bild fiber die Pulverteilung gewinnen, da in dem gusgesehnittenen Stfiek sieh immer nut ein kleiner X!eil der eingesprengten Pulverbestand- teile befindet, tiler tmben offenbar die Untersueher gar nieht an die

vorrl ]l[ilgell Abb. I. Weste, Fa l l NL

M6glichkeit einer solehen Untersuehung auf Pulverbestandteile ge- daeht.

Dagegen ist IIemd und Weste noeh in unver~inder~em Zustande, wenn aueh 5 Jahre fast seit der Tat vergangen sind, zu mir zur Unter- suehnng gekommen.

Die Weste weist in der linken Brustseite in tt6he des oberst.en Knopfloehes, 4 em yon diesem entfernt naeh links, eine 4strahlige Zerreigung auf. Die l%gnder des Loehes sind eingerissen, der eine Sehenkel 3 em, die zwei anderen je 1 era, der vierte 1/3 em lang. Ihnen entsprieht eine grSl3ere AufreiSung des Innenfutters, sowie eine 4strahlige ZerreiBung des ttemdes, wobei jeder Sehenkel 2 em lang ist und die ganze AufreiGung 5 : 5 em betrggt. Auf3erlieh sieht man um das Loeh in der Weste einen br~.unliehen Her. Im ]%fiekenteil der Weste findet

Mord 0tier Selbstmord durch Erschiegen? 119

sich, 11 cm yon der Mitre naeh links und 16 cm vom unteren Westen- rand entfernt, ein kleineres, etwa 8 m m grol~es Loeh, dessen l%sern deutlich naoh augen vorgesttilpt sind. In der Umgebung des Loehes reiehlieh angetrocknetes Blur.

Auch im Hemd hinten an entsprechender Stelle ein 8 mm groges Loch mit sehr reiehlich Blut in der Umgebung. Aueh im Hemd sind die Fasern des hinteren Loehes deutlieh naeh aul3en vorgestiilpt. Beim Ausklopfen des vorderen Westenloehes fanden sieh einzelne Stfiubehen, die eine Blaufgrbung mit Diphenylamin und Schwefelsgure ergaben. Abet auch yon anderen nicht getroffenen Teilen der Weste konnten

Abb. 2. H e m d und Weste, Fall 1~I., vorn.

derartige sich blaufiirbende Bestandteile ausgeklopft werden, so dab daraus ein Sehlul3, es handele sieh um unverbramlte Pulverpl/~ttehen, nieht mSglieh war.

Die mikroskopisehe Untersuehung yon Fasern aus dem Loeh der Weste ergab versehiedenfaehe Gestaltsveris Auftreibungen und Versehmglerungen der Wollfasern, die zum Tell in Lamellen aufgesplit- ter t waren, eine Versengung war nieht zu erkennen. Fasern bus dem Itemdenloeh vorn ergaben Auflagerungen yon Blut und sehwgrzliehen Massen auf den Baumwollfasern, die sieh in Kalilauge nieh~ vergnderten und ganz das Aussehen yon Pulversehmaueh hatten. Derartige Be- standteile konnten in grSl3eren Mengen aus dem Umkreis des vorderen SehuGloehes abgekratzt werden, an der Weste fanden sie sieh nieht.

I20 G. Strassmann:

Ganz die gleiehen Bestandteile, in Blur eingebaeken fanden sieh uber aueh um das hintere HemdensehuBloeh auf der Innenseite. Eine Pulver- reaktion gaben diese Massen nieht. In der Umgebung des vorderen Hemdloehs fanden sieh dann noeh yon der Weste mitgerissene griine und blane Wollfasern. ])a sieh nun die sehw~rzliehen Massen aueh in der Umgebung des hinteren ttemdloehes fanden, konnte es sieh aueh um andere Verunreinigungen als um verbranntes Pulver handeln. Daft eine Versengung der Kleidung bei Sehiissen mit aufgesetzter Waffe unter Verwendung rauehsehwaehen Putvers nieht zu entstehen braueht, glaubte ieh aus friiheren Erfahrungen an aufgesetzten Sehiissen auf die

Abb. 3. Aufgesetzter Sehufl auf Weste and Kemd-mi t Parabellum 9 ram,

Kleidung sohliegen zu dtirfen. Bestgtigt wurde diese Annahme dureh zwei Schiel~versuche auf diese]be Weste und das Herod, die Dr. Schmidt auf meine Veranlassung im hiesigen Ins t i tu t vornahm, wobei gleichfalls ghnliehe Platzwunden ill Weste und I-Iemd ohne aueh nur eine Spur yon Versengung, wie die mikroskopisehe Untersuehung der Fasern ergab, entstanden. Dagegen fanden sieh ghnliehe Gestaltsver~.nderungen und Absplitterungen der Fasern in Weste und Hemd, wie sie bei den vorderen Wnnden in Weste und Hemd des M. gefunden wurden. Der Sehmauehhof an dem ktinstlieh gesetzten Sehugloeh des I-Iemdes war minimal, der an der Weste etwas besser ausgebildet. Die ganze Masse yon Pulversehmaueh and Pulverplgttehen war im fibrigen in die Tiefe

Mord oder Selbstmord durch Ersehiegen? 121

mitgerissen. Da die benutzte Waffe nicht zur Verfiigung gestanden hatte, benutzten wit ein 9-ram Parabellum. DaB ein geringer, etwa vorhandener Pulversehmauch im Falle M. im Laufe der Zeit durch Reiben und An- einanderlegen der Kleidung unkenntlich werden kann, erseheint mir ohne weiteres m6glich. I-Iier hatte eben hauptsaehlich die lappige Brustwunde und ihre Umgebung zur Klgrung der Frage, ob Ein- oder Ausschul~ vorlag, auf mitgerissene Pulverbestandteile und mitgerissene Kleiderfasern untersucht werden miissen. Bei der mikroskopischen Untersuchung des ausgeklopften Staubes aus der Umgebung des vor- deren Westenloches fanden sich nur uneharakteristische schwiirzliche Massen, die sich auch aus der Umgebung des hinteren Loches aus- klopfen liei3en, also Verunreinigungen sein mul3ten. Die Abb. 1 zeigt links ,das Loch im Riieken der Weste, rechts das vordere SchuBloch, Abb. 2 das vordere Loeb in Weste und Herod im Falle M., Abb. 3 Loch in Weste und Herod bei dem Probeschul3 mit aufgesetzter Waffe aus dem 9-ram Parabellum.

In meinem Gutachten hob ich zungchst hervor, daG mir unver- st~ndlich sei, wieso hier die wichtigsten und bekanntesten gerichts- grztlichen Untersuehungen unterlassen worden seien. Offenbar geschah dies aus der vorgefagten Meinung heraus, es k6nne der SehuB nur yon hinten erfolgt sein. V611ig unverstgndlieh sei mir allerdings die Behauptung in dem vorl/~ufigen Gutaehten, es spr~che niehts gegen einen SehuG aus unmittelbarer N~he, wenn nicht einmal die bedeekenden Kleidungsstiicke auf Nahsehul~zeiehen untersueht wnrden. Mir er- sehien yon vornherein auf Grund des Obduktionsprotokolls und naeh Besiehtigung yon Herod und Weste am wahrseheinliehsten, dab der Sehu6 von vorn mit aufgesetzter Waffe abgegeben w/~re, wobei der- artige Platzwunden sowohl der Kleidung wie aueh der Haut dureh die eindringenden und dann wieder herausstr6menden Pulvergase zustande k/~men.

Wenn man annghme, dal3 der Schul~ yon hinten eingedrungen wiire, so konnte eigentlieh nur die Entstehung der grogen I-Iaut- und Kleider- zerreiGung vorn dadureh erklgrt werden, dab das GeschoB als Quer- sehlgger herauskam. Die Entfernung des abgegebenen Schusses kann naeh den l~gumlichkeiten, aueh wenn man annimmt, dab der Sohn den auf dem Riieken liegenden Vater ersehossen hat, nut 1--2 m betragen haben. Ob dann, naehdem nur 1 l~ippe durehsehossen war, das Infan- teriegesehoB, falls es nicht etwa eine abgestumpfte Spitze zeigte, als Querschl~iger herauskommen konnte, seheint mir "nnwahrseheinlich. DaB dann aber eine lappige Wunde und ein 4strahliges Loch in der Kleidung entsteht, kann ieh mir nieht gut vorstellen. ])avon, dab etwa Knoehensplitter yon den vorderen zertrtimmerten l~ippen nach augen herausgerissen worden sind, ist niehts erw/~hnt, im Gegen-

122 G. Strassmann :

teil, im Obduktionsprotokoll ist ausdrticklich gesagt, dal~ man in der Tiefe der Wunde neben der zerfetzten Lunge Knoehensplitter bemerkt. Einzig allein die Vorstiilpung eines Lungenstiiekehens aus der SehuS- wunde und eine Naeh-ausw/irts-Stiilpung der Wundrfinder wurde be- merkt und yon den Obduzenten in dem Sinne verwandt, dal~ dieser Be- fund fiir den AussehuB sprechen mfisse. Dabei ist jedem bekannt, der sieh mit diesen Fragen befal3t, dab bei hohem Gasdruek in der Brusth6hle, zumal wenn die Leiehe die ganze Zeit auf dem giieken gelegen hat, ohne weiteres ein Lungenstiiekehen naeh augen vorgesttilpt werden konnte. Und das gleiehe gilt ffir die Vorsttilpung der t tautwundrander. Dieser Befund ist daher fiir die Kl~rung der SehuBriehtung v611ig un- verwertbar.

Die fibrige Besehreibung dagegen, da8 die Wundrfi.nder zum Teil unregelmgl3ig zaekig, zum Teil lappig besehaffen sind, und eine sehwfirz- lieh-grfine Verf/irbung -- sehwarzlieh offenbar im Gegensatz zu der sonstigen tIautfarbe aufweisen -- sprieht durehaus daf/ir, dal3 es sieh um eine Platzwunde dutch einen SehuG mit aufgesetzter Waffe handelte. Ohne weiteres hgtte diese Frage dutch mikroskopisehe Untersuehung der verf/~rbten Wundrgnder auf Pulverbestandteile und mitgerissene Kleidungsfasern gekli~rt werden k6nnen. Die sehwgrzliehe Verfgrbung der Wundr/~nder konnte yon mitgerissenem Pulver herriihren, konnte abet aueh als Vertrocknungserscheinung am Einsehul3 aufgefaGt werden. Aueh dies wgre durch mikroskopisehe Untersuehung zu kl~ren gewesen.

An der kleineren Riiekenwunde fehlt jedenfalls ein Vertrocknungshof. Daraus ist ja alIerdings naeh den Befunden ~-on Meixner und Roma~nese, die ssither vielfaeh bestfi.tigt worden sind, kein Sehlu8 in dem Sinne m6g- ]ich, dai3 hinten sich der EinsehuG nicht befunden haben k6nnte. Immer- hin sprieht das Fehlen eines solehen Vertroeknungshofes nieht ffir den Einsehu8 am t/iieken. Aueh diese Wunde ist bedauerlieherweise nieht auf Kleidungsfasern und Pulverbestandteile unt.ersueht worden. DaB ein GesehoG, das mit aufgesetzter Waffe abgegeben wird, und dutch die miteindringenden Pulvergase AufreiGungen der Kleidung und der Haut maeht, eine glatte Ausschul3wunde yon nieht erheblieherer GrSl3e, als dem Gesehol~kaliber entsprieht, machen kann, seheint mir ohne weiteres m6glieh. Der einzige Befund, der, naehdem alle wiehtigen Untersuchungen zur Feststellung der SehuGriehtung leider unterblieben sind, im Sinne eines Einschusses im Riieken verwertbar ist, ist der Be- fund der 10. t~ippe. Ganz Mar ist die Beseheibung nieht. Es scheint aber so zu sein, dab eine halbkreisf6rmige Verletzung der 10.1q,ippe rot- lag, wobei die ~uBere Oberflg~ehe der l~ippe glatt, die Innenseite ge- sptittert war. DaG die Splitter naeh innen vorgedrtiekt waren, oder dab das SehuBloeh kraterfSrmig sieh naeh innen erweiterte, geht aus der Besehreibung nieht hervor, wird aber vielleieht gemeint sein.

Mord oder Selbstmord dureh Ersehiegen? 123

Von der Regel, daft die kraterf6rmige Erweiterung nach innen die Schufi- richtung sieher beweise, sind Ausnahmen bei sehr~gem Verlauf des Schul3kanals yon Haberda, Talwilc und mir besehrieben worden. Meixner und Fgerlcgartner haben bei zahlreichen t6dliehen Verletzungen dutch das 6sterreiehisehe, gleiehfalls 8 mm Kaliber betragende Infanterie- gewehr 6fret Ausnahmen in dieser I-Iinsieht beobaehtet. Aueh in dem l%lle M. ist der Verlauf des Schugkanals ein sehrgger und zwar ist die SehulL riehtung entweder von vorn oben etwas reehts naeh wenig links hinten und unten oder umgekehrt geriehtet. Trotzdem wird man immer sagen miissen, dab die Besehreibung der Verletzung der 10. l~ippe auffallend ist, wenn der SehuG yon vorn gekommen war. Daraus abet mit Sieher- hei~ zu sehlieGen, dab der Sehul~ yon hinten abgegeben worden sein mug, ohne dab irgendeine der notwendigen Untersuehungen zur Klgrung der SehuGriehtung vorgenommen wurden, erseheint mir nieht ang~ingig. Alles andere, insbesondere das Aussehen der Kleider und der Hautwunden sprieht far einen Sehul3 yon vorn mit aufgesetzter Waffe, ebenso wie fibrigens auch die Versehleppung der Knochensplitter und die Aus- stiilpung der Wundr~inder des hinteren Westenloehs nach augen. Aller- dings ist es mir nicht gelungen, Pulver auf der getroffenen Kleidung naehzuweisen. Sicher k6nnen im Laufe der Untersuehungen und des versehiedenen Transportes der Kleidung in einer Zeit yon 5 Jahren lose anhaftende Pulverbestandteile herabfallen. Einen Sehmauehhof allerdings warde man wohl trotz der Zeitdauer noeh erkannt haben, da die Kleidung nicht gereinig~ worden ist. Dieser war also offen- bar nieht vorhanden. Es ist abet durehaus denkbar, dab die ganze Pulvermasse dutch die Kleidung fortgerissen wurde und sich nun in der Tiefe der Hautwunde hgtte naehweisen lassen. Das Fehlen yon Pulverbestandteilen auf Weste und t iered sprieht da.her nieht gegen einen Sehuf3 mit aufgesetzfer Waffe, einen absolufen Nahsehuf~ im Sinne Nipl~es.

Was die iibrigen Durehbohrungen der Kleidung, insbesondere yon Laken und Deeke anlangt, so sind mir irgendwelehe Sehlfisse fiber die Schul~rJchtung aus der Besieh~igung und Untersuehung dieser Gegen- st~tnde leider nieht m6glieh, da die ganzen angeblichen Sehug6ffnungen herausgesehnitten worden sind. Der Schlug des Hygienisehen Instituts, dab aueh an der Kleidung der Aussehul3 immer gr6Ber sei, als der Einsehul3, ist in dies~r Verallgemeinerung sieherlich nnriehtig, da v611ig gleiehartige Kleider-ein- und Aussehiisse vorkommen k6nnen, und da bei der An- nahme eines absoluten Nahschusses die Platzwunde am EinschuB immer gr6Ber ist als am Aussehug. Mir selbst sind 4strahlige Verletzungen der Kleidung und lappige Hautwunden dutch ein als Quersehl/iger heraus- kommendes Gesehol3 nieht bekannt. Dal3 die Aufreil3ung am Innen- futter und am Herod bedeutend grOger ist als an der Aul3enseite der

124 G. Strassmann:

Weste, kann sieh dadureh erkl/i~ren, dab Hemd und Innenfutter der Weste dfinner und zerreiGlieher sind.

Trotz des nieht ganz eindeutigen Befundes an der 10. R.ippe hinten, halte ieh es naeh dem Aussehen der L6eher yon Weste nnd I-Iemd, naeh der Besehreibung der groBen lappigen Hautwunde, des Befundes der in die Tiefe mitgerissenen I~ippenknoehensplitter, fiir viel wahrseheii1- lieher, dab der Sehug yon vorn mit aufgesetzter Waffe abgegeben wurde, als daft der Sehug yon hinten in den K6rper eindrang und nunmehr als Quersehl~iger -- denn anders kann man sigh die grofte Austrit.ts- wunde nicht erkl/iren --, trotz der offenbar ziemlieh nahen Entfernung, aus der der Sehuft abgegeben worden ist, herauskam. Eine siehere Kl~irung fiber die SehuGriehtung wird sieh jetzt naeh 5 Jahren kaum nooh erm6glichen lassen. G/inzlieh Ullzul~ssig ist es aber, wenn die Iriiher vernommenen Saehverst~Lndigen mit Bestimmtheit ohne Vor- nahme der notwendigei1 Untersuehungen der Kleidi1ng und der Haut- sehuftwunden erkl~rt haben, der SehuG miisse yon hinten den M. ge- troffen haben.

Zu der Frage, ob tin Selbstmord oder Unglficksfall vorliegen kann, oder ob der alte M. yon einer fremden Person erschossen ist, habe ieh nicht Stellung genommen, da ebenso gut jemand mit aufgesetzter Waffe yon vorn im Schlaf oder im betrunkenen Zustande yon einem anderen erschossen werden, wie sich selbst ersehieSei1 kann.

Zur Nachprtifung, ob meine Annahme, ,,wahrscheinlich sei der Sehul3 mit aufgesetzger Waffe yon vorne abgegeben", richtig ist, habe ieh die Befragung mehrerer hervorragender Lehrer unseres Faehes dem Gericht vorgeschlagen, denen das ganze Material zuggngIich gemacht werdei1 sollte. Ieh habe weiter vorgeschlagen, wenn m6glich, noch die Waffe herbeizuschaffen, um mi t ihr auf bekleidete Leiehen Versuche anzu- stellen, um zu ermitteln, ob tatsgchlich ~hnliche Platzwunden bei auf- gesetzter Waffe entstehen, wie sie sieh hier vorn an Weste und Brust fanden, und ob iiberhaupt ~hnliche Verletzungen dutch einen Sehuft yon hinten aus 1--2 m Entfernung zustandekommen k6nnen. Wenn die Waffe -- es war nach der Beschreibung ein Infanteriegewehr mit abgesggtem Kolben -- zum Selbstmord gedient babel1 sollte, kann man es sieh allerdings sehwer vorstellen, dab M. den Abzug mi~ der Hand abgedriiekt h/~te. Er mfiGte vielleieht dazu die Zehe bei der Gr6t3e des Gewehres benfitzt haben oder eine andere Vorrichtung sich hergestellt haben. Das sind aber Fragen, die einer spiiteren Kl/trung bediirfen. Zungehst muft erst, soweit noeh m6glich, festgestellt werden, ob tat- sgehlieh der Einsehul3 vorn oder hinten gelegen hat. Auch eine Ex- humierung der Leiehe k~ime unter Umst~nden noeh in Frage, insbeson- dere wiirde sie wohl eine Klgrung des Rippenbefundes auch jetzt noeh erm6gliehen.

iVIord oder Selbstmord durch Erschiefien? 125

Diese meine Vorsehl~ge s ind als unerheb l ieh abge lehn t worden. I n

dem Ablehnungsbeschl~B wi rd zwar zugegeben, dab vie l le icht Beans tan- dungen der b~sherigen G u t a c h t e n ge reeh t fe r t ig t w~ren, dab abe t t ro tz - dem eine andere Deu tung yon Ein- und AusschuB such auf Grund meines Gu taeh tens n ieh t m~glich w/ire, da ich der Obduk t ion n ich t bei- gewohnt h~t te , und daher meine Ausff ihrungen n ich t die i ibere ins t im- mende Ans ich t der b isher v e r n o m m e n e n Sachvers t~nd igen e rsch t i t t e rn kSnnten . Auch eine Vernehmung wei terer Sachvers t~ndiger sei ke in geeignetes Beweismi t t e l fiir die Wiede rau fnahme .

Die Annahme , der SehuB sei von h in t en abgegeben, babe auBerdem n ieh t ~ l l e in , oder in der t t a u p t s a c h e zu der A n n a h m e der T~terschaf t des M. gefi ihrt . Es seien aueh andere f iberff ihrende Tats~chen erwiesen, die al lein zu der Verur te i lung genfigt h~t ten .

Der Verur te i l t e selbst h a t mir nach K e n n t n i s n a h m e yon der er- neu t en Ab lehnung seines Gesuehes a m 14. IV. 1929 folgende Zeilen gesehr ieben :

,,Sehr geehrter Herr Professor! Gestatten Sie mir, Ihnen diese Zeilen zu schreiben, weisen Sie dieselben nieht

zuriiek und lassen Sie auch einmal mein blutendes Herz zu Ihnen spreehen. G~nz- lich verzweifelt bin ich fiber den hier in Abschrift anliegenden Beschlul~ (Ablehnung der Wiederaufnahme). Es ist abet doeh keine Begrfindung, Ihr eingehend, bis ins kleinste ausgelegte unumstSi]liche Gutachfen als nicht aussehlaggebend gelten zu ]assert. ~brigens hat der medizinisehe Sachverst~ndige sein Gutachten in der Hauptverhandlung nur dahin abgegeben, dal3 nach den altbekannten Umst&nden der Einschul~ kleiner und der Ausschu~ grSi~er ist und demnaeh die kleinere t~iieken- wunde als den Einschul~ bezeichnet., vergal~ aber leider, dal3 im vorliegenden Fall der Einschul] beim aufgesetzten Gewehr mit Bestimmtheit grSl~er ist, und ging dann nur noeh auf die unregelm~$ig gesplitterte 10. Rippe fiber, wobei ihm wahr- scheinlieh nieht bekannt war, dal~ eine solehe Rippenverletzung aueh im entgegen- gesetzten Sinne stattfindet. Dagegen gab er auf meine in der Hauptverhandlung ge~iuBerten Bedenken fiber die Entstehung der grol3en Reii]lScher in der Brust- seite in Herod und Weste und der groBen Brustwunde die ausweichende, im Urteil nicht vermerkte Antwort: Das Gesehol] konnte auch als Quersehl~ger heraus- getreten sein. Der Sehie~sachverst~tndige, ein gewtihnlieher Wildj~ger, hatte am 4. Tage naeh dem Tode des Vaters bei der Inaugenseheinnahme dutch Amtsgerichts- rat W. fiberhaupt kein Gutachten abgeben kSnnen, erst bei seinem erneuten Er- scheinen bei der SeCtion am 6. Tage hatte er n ach der Sektion sein Gut.achten abgegeben und zwar nur das gesagt, was e~r dem Arzt bei der Sektion und Proto- kollierung abgelauscht hatte. Der Sachverstandige yore Hygienischen Institut B. ist nur dutch den in der Anfrage des Untersuchungsrichters aufgestellten Satz: der Ermordete hal nur einen Sehul~ erhalten, und zwar yon hinten, zu dem verkehr- ten Schlul~ gekommen.

Was die Beschlu~kammer an Ihrer Nichtteilnahme bei der Sektion auszusetzen hat, so muB meines Erachtens der Befund der Wunden im Sektionsprotokoll mit Worten photographiert sein und der Autopsie entspreehen. O bitte, bitte Herr Professor, lassen Sie reich nicht ganz verzweifeln, reichen Sie mir Ihre helfende Hand, bringen Sie Ihr Gutachten, wenn es ang~ngig ist, und ich mir diese Bitte erlauben darf, in Ihren Sachverst~ndigenkreisen vor, damit dieses als wahr erkannt

126 ~. Strassmann :

und das Fehlgutachten des Med. R.a~s Dr. D., das Mlein diesen nieht zutreffenden Mord heraufbeschworen, und duroh Beeinflussung der Untersuehungsbeherde, diese Spitze auch nur gegen reich gewende~ ha• die Briider zu der falsehen, jetzt ~,on ihnen selbst widerrufenen Beschilldigung des ~ordverdaehts gebracht hat, als niehtig erklart wird. Herr Justizrat M., der auch nichts unversucht lagt, um einen unsohuldig Verurteilten zu rotten, hat zwar gegen den verwerfenden Be- schlug sofort.ige Besehwerde eingereicht, aber Sie sehen sehon aug dem anliegen- den Besehlul~, welche Sehwierigkeiten yon geriehtlieher Seite bier gemaoht wet- den. Ich glaube, verzeihen Sie meine Unbesoheidenheit., wenn ieh mir zuviel anmal~en sollte, es wgre wohl hier das beste, wenn Ihr Gntaohten aueh noeh yon anderen Saehvers~/~ndigen Ihrer Gr6Be best~tigt und diese Best~lbigung noch vor der ]etzten Entscheidung des 0berlandesgeriehts dorthin durch meinen Verteidiger zugeschiekt wiirde. Wenn ich ~ueh jetzt nicht naeh den Kosten fiir Ihre miihe- volle Arbeit frsge, so verzeihen Sie mir, denn ich bin heute so wie mi~tellos und dann so nngliicklich in meiner sehreeklichen und cluMvollen Lage, dem verzweifeln- den Kampf gegen das mir angetane Unreeht, elM) ich mlr wie ein Ertrinkender um Hilfe schreien kann. Sic werden sick nook an Ihre Anwesenhei~ in der hiesigen Straf~nstalt zwecks Studien erinnern kennen, in welches Elend reich das Fehl- urteil gebracht hat, o versetzen Sie sick in meine Lage, vergessen und verlassen Sie reich nicht, retten Sie reich vor dem Irrenhause, in welches ich vielleicht, wenn mir nieht geholfen wird, ganz plStzlich hineingebracht werden kann, und dann fiir immer vertoren bin. Antworten Sie mir bitte werdgst.ens auf dieses Sehrei- ben und geben Sie mir die Versicherung, dal~ Sie die Hilferufe eines unsehuldig Verurteilten, verzweifelnden UngJiiekliehen nicht unerhert lawson werden. Darf ieh hoffen, Ihre Best~ttigung iiber den Empfang dieses Schreibens erhalten zu cti~rfen nnd zeichne ergebenst Josef M."

Zu betonen brauche ich nicht, dal~ mein Gutachten unentgelt l ich nur aus der ~berzeugung heraua abgegeben wurde, dal~ hier ein odor zwei fslsche, zum mindesten unbegri indete Erztliche Gutachten ein Todesurteil veranl~gt haben, wobei die wiehtigsten gerichts~irztlichen Untersuchungen, die bei SchuSverletzungen notwendig sind, versaumt wurden, und da$ nach der Beschreibung des Sektionsprotokolls und der Besichtigung der durehschossenen Kleidung die umgekehr te SehuB- r ichtung mir viol wahrseheinlieher erscheint. Meiner ~dberzeugung n~eh is~ der SehuB vor~ vorn mi t aufgese~.zter Waffe abgegeben worden, eine Fes%~ellung, die sick dureh die geriehts~irztliehe Untersuehung der Hau t schugwunden und der Kleidung seinerzeit vermutl ich hg~te siehern lassen, ebenso wie natiirlieh durch diese Untersuchung umgekehr t sick h~tte feststeller~ lassen, ob tats~tehlieh der Schu$ yon hinten abgegeben w urde, wie die Obduzenten angenommen haben. Niemals aber durf te auf eine so ungeniigende ~.rztliehe Unter- suchung hin eine Verurteilung zum Tode erfolgen, naehdem des Be- sehuldigte stets yon sieh aus auf eine andere En t s t ehnng der SehuB- wunden, n~.mlich auf einen Schug mit aufgesetzter Waffe yon vorn und die ~6gl ichkei t eines Selbstmordes hingewiesen hatte. D~ nun aber meine VorsehlEge auf Heranziehung anderer anerkannter Lehrer der geriehtliehen Medizin Ms Gutaeht.er, auf Vornahme yon SehieB-

Mord oder Selbstmord dureh Erschiel~en? 127

versuchen, auf Exhumierung der Leiche, abgelehnt worden sind, folge ich dem Wunsche des Verurteilten, diesen Fall zur allgemeinen gerichts- ~rztlichen Kenntnis und Begutachtung zu bringen.

Nachtrag: Inzwischen hat auch dus Oberl~ndesgericht den Wiederaufnahme-

antr~g als unbegrtindet verworfen. Zw~r sei meine Annahme mSglicher- weise richtig, dab der Schul3 den Verstorbenen yon vorn getroffen h~Ltte, und es k6nnte die urslortingliche Annahme, der Schu{3 sei yon hinten abgegeben worden, irrig sein. Trotzdem aber l~Lgen genug Indizien vor, um auch bei dieser Sachlage anzunehmen, dal3 der Josef M. seinen Vater erschossen h~tte.