Mortalitätsdifferenzen der Geschlechter – · PDF fileSterbetafel Frauen Männer Differenz Sterbetafel Nonnen Mönche Differenz 1901/1910 40,84 38,59 2,25 1890/1920 37,33* 36,44

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    Deutsch-sterreichische Klosterstudie Studienleiter: Dr. Marc Luy Mortalittsdifferenzen der Geschlechter Letztes Update: 22.01.2012 Seit Mitte des 18. Jahrhunderts erstmals nach dem Geschlecht trennende Mortalittsanalysen durchgefhrt wurden, ist das lngere berleben der Frauen bekannt. Dies besttigte sich mit Beginn der amtlichen Bevlkerungsstatistik in allen westlichen Gesellschaften, wie es z. B. in Schweden ab dem Jahr 1751 beobachtet werden kann. Die geschlechtsspezifischen Sterblich-keitsunterschiede wurden schlielich zu einem der zentralen multidisziplinren Untersu-chungsgegenstnde, als sie sich mit dem allgemeinen Rckgang der Sterblichkeit im Verlauf des 20. Jahrhunderts kontinuierlich erhhten. In Deutschland vernderten sich die Differenzen im Parameter Lebenserwartung bei Geburt von relativ konstanten drei Jahren zugunsten der Frauen vor dem zweiten Weltkrieg auf mittlerweile ber sechs in den alten und sogar ber sieben Jahre in den neuen Bundeslndern. In den meisten anderen Industriestaaten begannen diese Unterschiede bereits nach dem ersten Weltkrieg zu wachsen, besonders extrem in den Vereinigten Staaten sowie England und Wales. Die mglichen Ursachen fr das Phnomen der mnnlichen bersterblichkeit wurden in der Literatur bereits vielfach diskutiert, wobei die verschiedensten Theorien entwickelt und Hypo-thesen aufgestellt wurden. Generell lassen sich die angefhrten Argumentationen in zwei Er-klrungsanstze aufteilen. Der eine sucht die Grnde fr die mnnliche bersterblichkeit bei biologischen Faktoren (also vom Menschen nicht zu beeinflussende Faktoren wie genetische und hormonelle Unterschiede), whrend der andere die geschlechtsspezifischen Mortalittsun-terschiede mit verhaltens- und umweltbedingten Einflussfaktoren zu erklren versucht (folg-lich vom Menschen direkt oder indirekt bewirkte Faktoren wie Lebensstil oder Risiken in Verbindung mir dem Berufsleben). Bei der Untersuchung der nicht-biologischen Faktoren stellt die Trennung der einzelnen soziokonomischen Faktoren die grte Schwierigkeit dar, weil diese fast alle mit einander in Verbindung stehen. Wenngleich verschiedene Verhaltens-weisen bereits tatschlich als Risikofaktoren mit der Entstehung der geschlechtsspezifischen Mortalittsdifferenzen in Verbindung gebracht wurden wie z. B. Zigaretten- und berhhter Alkoholgenuss untersuchten die meisten Studien jeweils nur einige wenige spezielle Verhal-tensweisen und dies in der Regel auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Andere mgliche Einflussfaktoren werden bei dieser Vorgehensweise jedoch automatisch ausgeschlossen. Der Ansatz dieses Projekts der Klosterstudie besteht darin, die geschlechtsspezifischen Sterb-lichkeitsunterschiede in der Klosterbevlkerung mit derjenigen der deutschen Allgemeinbe-vlkerung zu vergleichen. Da es sich bei der Klosterbevlkerung um eine klar abgegrenzte Personengruppe handelt, bei der davon ausgegangen werden kann, dass Frauen und Mnner ein nahezu identisches Leben fhren, knnen verschiedene in der Literatur diskutierten mg-liche Ursachen und Einflussfaktoren der geschlechtsspezifischen Mortalittsunterschiede sei-tens der verhaltens- und umweltorientierten Erklrungsfaktoren hier ausgeschlossen werden. Sollten nmlich diese fr die mnnliche bersterblichkeit verantwortlich sein, dann drften sich bei den Frauen und Mnnern der Klosterbevlkerung keine Unterschiede in der Lebens-erwartung zeigen. Wren dagegen biologische Faktoren der Auslser fr dieses Phnomen,

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    dann sollten sich die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Ordensfrauen und Or-densmnnern nicht von den Differenzen deutscher Frauen und Mnner unterscheiden. Vor diesem Hintergrund wird ein Vergleich der Mortalittsverhltnisse von Kloster- und Allge-meinbevlkerung auf diese noch offene Frage der Sterblichkeitsforschung automatisch eine Antwort finden. In Tabelle 1 sind die Beobachtungszeitrume und die Fallzahlen der Analy-sen dieses Projektteils zu finden. Die in Abbildung 1 und Tabelle 2 zusammengefassten Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass sowohl in den Frauenklstern als auch in der weiblichen Allgemeinbevlkerung die Sterb-lichkeit im Verlauf des Beobachtungszeitraums deutlich gesunken ist. Fr den Vergleich der Sterblichkeit von Kloster- und Allgemeinbevlkerung sind in der genannten Tabelle die Pa-rameterwerte der Lebenserwartung im Alter 25 (e25) fr Ordensfrauen und Ordensmnner der beiden Beobachtungszeitrume den entsprechenden e25-Werten aus den deutschen Ver-gleichssterbetafeln gegenbergestellt. Zustzlich ist die jeweilige geschlechtsspezifische Dif-ferenz im Wert von e25 angegeben. Dabei sind alle Werte fr die Klosterbevlkerung mit ei-nem Stern versehen, die von den entsprechenden Werten fr die Allgemeinbevlkerung auf dem 95%igen Konfidenzniveau abweichen. Die e25-Werte fr die Frauenbevlkerungen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen, dass die Lebenserwartung der Nonnen mit jener der deutschen Frauen praktisch bereinstimmt. Im ersten Beobachtungszeitraum zeigt sich bei den Ordensfrauen durchweg ein signifikanter Nachteil. Nach den Erkenntnissen frherer Klosterstudien ist dies jedoch keine berraschung und auch hier auf die erhhte Tuberkulose-sterblichkeit in den Frauenklstern zur damaligen Zeit zurckzufhren. Whrend beim Ver-gleich der Mnner von Kloster- und Allgemeinbevlkerung in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg kein statistisch signifikanter Unterschied in den Parameterwerten von e25 zwischen den beiden Bevlkerungsgruppen vorliegt, weisen die Mnche in alle Beobachtungszeitru-men nach dem Zweiten Weltkrieg eine statistisch signifikant hhere Lebenserwartung im Al-ter 25 auf. Die Fortschritte in der Lebenserwartung nach dem Zweiten Weltkrieg sind also bei Nonnen und Mnchen in etwa gleich gro und gehen mit der entsprechenden Entwicklung der Frauen der deutschen Allgemeinbevlkerung einher (siehe Abb. 1). Die Mnner der Allgemeinbevl-kerung bleiben dagegen deutlich zurck, was sich auch auf die geschlechtsspezifischen Unter-schiede im Parameter Lebenserwartung beider Bevlkerungsgruppen auswirkt. Whrend die absolute Differenz in der Allgemeinbevlkerung von etwa 2 Jahren im Alter 25 vor dem Zweiten Weltkrieg auf ber 6 Jahre in der Sterbetafel 1979/81 anwchst, bleibt sie bei der Klosterbevlkerung bis einschlielich zur Sterbetafel 1955/85 nahezu unverndert bei etwa einem Jahr zugunsten der Nonnen. Seit den 1970er Jahren deutet sich jedoch auch in der Klosterbevlkerung ein ffnen der Schere an, was eventuell zu einem gewissen Teil mit dem Rauchverhalten von Nonnen und Mnchen in Verbindung stehen knnte. Whrend nmlich in Frauenklstern nach wie vor nicht geraucht wird, wurde der Nikotinkonsum in den Mnner-klstern nach dem Zweiten Weltkrieg gestattet und praktiziert. Die Analysen der todesursa-chenspezifischen Sterblichkeit liefern erste Hinweise auf die Rolle des Rauchens fr die seit den 1970er Jahren zu beobachtende Abschwchung im Anstieg der Lebenserwartung der Mnche (siehe Bericht Todesursachen der Klosterbevlkerung). Die deutliche Auseinanderentwicklung der Lebenserwartung von Mnnern und Frauen der deutschen Allgemeinbevlkerung ist bei der bayerischen Klosterbevlkerung bis zur Sterbeta-fel 1960/90 also nicht zu erkennen. Fr die bestehenden geschlechtsdifferenzierenden Unter-schiede in der Klosterpopulation ist sicher zu einem erheblichen, allerdings nicht quantifizier-barem Anteil der Ursachenbereich biologische Faktoren verantwortlich. Als alleiniger oder

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    berwiegender Auslser der immer grer werdenden absoluten Differenzen in den berle-bensbedingungen von Frauen und Mnnern in der Allgemeinbevlkerung sind biologische Faktoren aber weitgehend auszuschlieen. Wren nmlich vom Menschen nicht zu beeinflus-sende Faktoren fr die Entstehung der geschlechtsspezifischen Mortalittsunterschiede ver-antwortlich, dann htten sie auf alle Bevlkerungsgruppen den gleichen Einfluss ausben mssen und drften sich nicht so deutlich zwischen Kloster- und Allgemeinbevlkerung un-terscheiden. Aufgrund der vorliegenden Studie kann also geschlussfolgert werden, dass

    1. die Vernderungen der Geschlechterunterschiede in der Allgemeinbevlkerung auf das Zurckbleiben der Fortschritte bei den Mnnern zurckgehen, und dass

    2. biologische Faktoren speziell fr die Erklrung dieser Entwicklung nicht herangezo-gen werden knnen.

    Damit ist keinesfalls gesagt, dass biologische Faktoren grundstzlich keine oder auch nur eine abnehmende Rolle zur Erklrung der Mortalittsdifferenzen spielen. Allein die vorgeburtli-chen Verluste, die stark geschlechtsdifferenziert sind und grundstzlich nicht verhaltensab-hngig sein knnen, weisen auf die Wirkung biologischer Faktoren hin. Insgesamt kann somit von Anfang an nur eine Kombination von Verhaltens- und biologischen Faktoren verantwort-lich sein, wobei fr den starken Anstieg der Geschlechtsunterschiede offensichtlich primr Verhaltensargumente verantwortlich sind. Biologische Faktoren scheinen dagegen nach den Ergebnissen dieser Studie zumindest einen geringen berlebensvorteil fr Frauen von etwa einem Jahr Restlebenserwartung im jungen Erwachsenenalter zu verursachen. Literatur: Luy, Marc; Wegner, Christian (2011): Lebe langsam - stirb alt. Eine geschlechterspezifische Studie ber Klosterleben und Lebenserwartung, rzte Woche 25(46), S. 16. Luy, Marc (2011): Ursachen der Geschlechterdifferenz in der Lebenserwartung. Erkenntnis-se aus der Klosterstudie, Swiss Medical Forum (Schweizerisches Medizin-Forum) 11(35), S. 580-583. Luy, Marc (2008): Warum Frauen lnger leben - oder Mnner frher sterben? Zu Ursachen und Entwicklung der Geschlechterdifferenz in der Lebenserwartung, Traditio et Innovatio 13(1), S. 44-46. Luy, Marc (2006): Ursachen der mnnlichen bersterblichkeit: Eine Studie ber die Mortali-tt von Nonnen und Mnchen, in: Geppert, J., Khl, J. (Hrsg.): Gender und Lebenserwar-tung, Gender kompetent - Beitrge aus dem GenderKompetenzZentrum, Bd. 2, Bielefeld: Kleine, S. 36-76. Luy, Marc (2003): Causes of Male Excess Mortality: I