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Financial Services Multikanal-Banking: Der Weg in die Zukunft

Multikanal-Banking - Oliver Wyman · den Multikanal-Nachzüglern und -Vorreitern in den einzelnen Ländern bedeutende Differenzen sichtbar. Ferner zeigen Gespräche mit großen europäischen

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Financial Services

Multikanal-Banking: Der Weg in die Zukunft

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Inhalt

1. Executive Summary 3

2. Ausgangslage 8

3. Eine strategische Chance 14

4. Erschließung des Multikanalpotenzials 17

5. Schlussfolgerungen 41

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3Copyright © 2010 Oliver Wyman

Executive Summary

Multikanalvertrieb ist ein Thema, das unter Banken hohe Erwartungen geweckt, aber auch zu Ernüchterung und kontroversen Diskussionen geführt hat. In Zeiten anhaltenden Filialabbaus oder bestenfalls Stabilität in der regionalen Versorgung durch Filialen bleibt der Beitrag von Direktkanälen zum wirtschaftlichen Ergebnis der Banken bisher unbedeutend. Die Frustration wird dadurch verstärkt, dass hohe Investitionen in den Übergang vom filialbasierten zu einem Multikanal-Modell geflossen sind. Letzteres konnte jedoch bisher die Erwartungen nicht vollständig erfüllen - weder in Bezug auf die Reduzierung der Vertriebskosten noch in Bezug auf die erwartete Umsatzsteigerung.

Unser Ansatz

Oliver Wyman hat eine Umfrage unter 30 führenden Privatkundenbanken aus fünf großen europäischen Ländern1 durchgeführt, um zu einem besseren Verständnis des Status Quo beizutragen und aktuelle Herausforderungen im Multikanalvertrieb aufzuzeigen. Diese hat klar ergeben, dass das Thema Multikanalvertrieb eine höhere Priorität hat als je zuvor und die meisten führenden Banken davon ausgehen, dass stark wachsende Vertriebswege wie der Internetvertrieb in den nächsten drei Jahren bis zu zwanzig Prozent ihres Absatzes beisteuern werden (direkt oder indirekt, indem sie die Berater in den Filialen auf potenzielle Interessenten für Produkte oder Dienstleistungen hinweisen). Gleichzeitig wird eine Senkung der Servicekosten für Kunden mit geringem Potenzial und eine Verbesserung des Kundenerlebnisses für werthaltige Kunden vermutet. Die an den Multikanalvertrieb geknüpften Erwartungen, stellt die meisten Privatkundenbanken aber vor eine Herausforderung, da die Vertriebsmodelle noch immer wenig diversifiziert und die Kanäle unzureichend koordiniert sind.

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie besteht darin, dass lediglich geringfügige Unterschiede zwischen den Ergebnissen der einzelnen Länder festgestellt werden konnten. Im Gegensatz dazu werden zwischen den Multikanal-Nachzüglern und -Vorreitern in den einzelnen Ländern bedeutende Differenzen sichtbar. Ferner zeigen Gespräche mit großen europäischen Banken, die nicht offiziell durch die Studie abgedeckt wurden, ähnliche Resultate, was Ansätze, Zielsetzungen und Prioritäten für das Multikanal-Banking betrifft.

1 Diese Länder umfassen Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien

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Eine strategische Chance

In einem Umfeld, in dem sich die Differenzierungsmöglichkeiten für Retailbanken zunehmend vom Produkt zum Vertrieb verlagern, gibt es mehrere strukturelle Faktoren, die für die Umsetzung des Multikanalkonzepts sprechen:

� Das zunehmende Interesse seitens der Kunden und die wachsende Akzeptanz von Multikanalbanking, die sich alters- und einkommensunabhängig über breite Teile der Bevölkerung erstrecken;

� Die günstige demographische Entwicklung mit wachsender Relevanz der „Generation Y“, die bereits jetzt ein breites Spektrum an Kontakt- und Kommunikationswegen nutzt, um dem erhöhten Bedarf an Bankdienstleistungen zu decken;

� Die deutliche Zunahme der Kundenkontakte, die durch Direktkanäle initiiert und abgewickelt werden und somit nahe legen, dass dieses Modell für die Beziehung zwischen Kunde und Bank über den reinen Filialbetrieb hinausgehen muss;

� Die zunehmende Fokussierung auf die Ausschöpfung von Cross-Selling und Up-Selling Möglichkeiten, um so sämtliche Interaktionen mit dem Kunden zu nutzen;

� Der Beitrag zur Senkung der Betriebskosten durch Optimierung der unterschiedlichen Vertriebs-, Service- und Marketingkosten für diverse Vertriebskanäle;

� Die Chance, die Value Proposition von Privatkundenbanken zu stärken. Der Multikanalvertrieb hilft, sich in einem Bereich vom Wettbewerb abzuheben, der für viele Banken noch immer Neuland ist und in dem das Vermitteln eines besseren Banking-Erlebnisses noch immer schwierig erscheint.

Europäische Retailbanken werden ihre Anstrengungen im wesentlichen auf die folgenden drei Bereiche konzentrieren:

1. Heben des Potenzials der einzelnen Vertriebskanäle

2. Bessere Berücksichtigung der Kundenpräferenzen für einzelne Vertriebswege

3. Übergang der Privatkundenbanken zum Multikanalvertrieb: Anpassung von Organisation und Prozessen

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1. Heben des Potenzials der einzelnen Vertriebskanäle

Privatkundenbanken müssen das Potenzial der einzelnen Vertriebs-kanäle ausschöpfen und gleichzeitig die Grundlage für eine solide und besser integrierte Vertriebsstrategie schaffen:

� Die Filiale ist tot – lang lebe die Filiale: Stärkung des Beitrags aus dem Filialnetz durch Differenzierung der Filialmodelle, eng verbunden mit einer verbesserten Ausschöpfung der Potenziale anderer Vertriebs-kanäle und neuer Vertriebsansätze, bspw. durch den Einsatz mobiler Kundenberater. Das Ziel liegt in der Einführung der Multikanal-Ansätze in den Filialen, um so zur Information der Kunden und Kundenberater beizutragen, die häufig über die Nutzungsmöglichkeiten und Vorteile alternativer Kanäle nur unzureichend informiert sind.

� Erschließung des Ertragspotenzials im Internet: Nutzung der hohenZahl von transaktionsbedingten Kontakten zur Positionierung des Internets, um gemeinsam mit dem Filialnetz (und nicht als dessen Ersatz) Absatzchan-cen wahrzunehmen, die sich in den Filialen allein nur schwer erfassen und realisieren lassen. Dieser Ansatz setzt die Einbindung spezifischer Werbe- und Verkaufstechniken von E-Commerce-Anbietern außerhalb des Finanz-sektors voraus, um für nachhaltiges Interesse bei den Kunden zu sorgen und diesen einen Ausgleich für die fehlende persönliche Beratung zu bieten.

� Neupositionierung von Call Centern im Rahmen des Multikanalvertriebs: In einem Umfeld, in dem Call Center in ihrer traditionellen transaktions-orientierten und vertriebsunterstützenden Rolle weniger wichtig werden, gibt es drei wesentliche Aspekte für eine Neupositionierung:

– Beitrag zur Generierung von Kaufinteressenten für die Filialen;

– Unterstützung des Internet-Geschäfts, in dem Call Center den Onlinekunden die erwartete Betreuung und Sicherheit geben;

– Verbesserung des Banking-Erlebnisses werthaltiger Kunden durch Bereitstellung spezialisierter Ressourcen, die den Filialvertrieb unterstützen.

Ausbau des Mobile Banking: Zweifelsfrei wird das Mobile Banking in den nächsten drei Jahren eine enorme Bedeutung erlangen. Dennoch besteht Unsicherheit, welche Rolle das Mobile Banking im Multikanalmix einnehmen wird und inwieweit es sich zu einem Hauptinteraktionskanal entwickeln wird oder ausschließlich zur Ergänzung anderer Kanäle dient. Dies hängt in erster Linie vom Interesse der Kunden und Banken sowie von der technischen Leistungsfähigkeit ab, im Zahlungsverkehr eine zentrale Rolle zu spielen. Mobile Banking muss zeigen, dass es die Verkaufs- und Servicetätigkeit durch das Alleinstellungsmerkmal, sofortigen Zugang zum Kunden herzustellen, nachhaltig unterstützen kann.

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2. Bessere Berücksichtigung derKundenpräferenzen für einzelneVertriebswege

Hohe Investitionen in Kundeninformations- und -managementsysteme haben neue und verbesserte Ansätze und Instrumente zur Nutzung verfügbarer Dateien geschaffen. Die immense Fülle an gesammelten Informationen hat bisher allerdings nur begrenzt zum Aufbau individualisierter Beziehungen zum Kunden beigetragen, obwohl dies zwei Drittel der von uns befragten Institute für die größte Chance des Multikanalvertriebs halten.

Um ihre Fähigkeiten im Bereich „Know Your Customer“ (KYC) und im Customer Relationship Management (CRM) in einem Multikanal-Rahmen zu erweitern, müssen Banken ihre Organisation und Priorisierung der Kundeninteraktion in den einzelnen Vertriebskanälen verbessern. Diesen Weg weiter zu beschreiten bedeutet folgendes:

� Konsequente Segmentierung von Service- und Verkaufsmodellen entsprechend der tatsächlichen Nutzung der einzelnen Kanäle, da klassisch wertbasierte Vertriebsansätze nicht in der Lage sind, die tatsächlichen Anforderungen und Erfahrungen der Kunden festzuhalten;

� Stärkere Differenzierung und Rollenverteilung der einzelnen Kanäle für die verschiedenen Kundensegmente, wobei den einzelnen Kanälen primäre, sekundäre und untergeordnete Aufgaben bezüglich der wesentlichen Geschäftsaktivitäten (Akquisition, Cross-Selling/Up-Selling, Betreuung, Kundenbindung) zugeordnet werden;

� Auswahl, Erfassung und Steuerung der richtigen Informationen Dabei wird für jedes Segment definiert, welche Kunden- und Produktereignisse aktiv beobachtet werden müssen, da sie den Ansatzpunkt zu Vertriebsaktivitäten darstellen. Diese sollten dann wiederum durch den jeweils optimalen Vertriebskanal umgesetzt werden (unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Kanäle, aber auch der Kundenpräferenzen für bestimmte Vertriebskanäle);

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3. Übergang der Privatkundenbanken zum Multikanalvertrieb: Anpassung von Organisation und Prozessen

Der Aufbau eines effektiven Multikanal-Modells stellt nach wie vor eine Herausforderung dar; so ist das Kundenerlebnis im Multikanalvertrieb im Allgemeinen immer noch dadurch charakterisiert, dass Kunden nur sehr eingeschränkt...

� Anfragen über einen bestimmten Vertriebskanal stellen und diese in einem anderen Vertriebskanal verfolgen oder abschließen können;

� die Erfahrung machen können, dass die von den verschiedenen Vertriebskanälen bereitgestellten Informationen konsistent sind;

� Berater kontaktieren können, die ihre Aktivitäten über Direktkanäle in vollem Umfang kennen.

Diese Situation ergibt sich aus der Tatsache, dass die verschiedenen Kanäle in den Banken weitestgehend voneinander abgegrenzt organisiert werden. Um das Konzept des Multikanalbankings aber realisieren zu können, sind deshalb folgende Schritte erforderlich:

� Klare Zuordnung der Verantwortlichkeiten für die Koordination der Multikanal-Aktivitäten und der strategischen Bedeutung entsprechende organisatorische Positionierung;

� Umgestaltung von Prozessen und Systemen, um den Informationsfluss zwischen den Kanälen zu verbessern und zudem die Kapazitäten für eine durchgängige Abwicklung in den einzelnen Kanälen zu erhöhen;

� Messung der Effektivität des Multikanalvertriebs mit Hilfe von “Key Performance Indikatoren” (KPIs), die den Beitrag des Multikanalvertriebs zur Ertragsentwicklung und Kostenbegrenzung erfassen;

� Auslobung eines verbesserten Multikanalmodells als strategisches Ziel, damit Einbindung in die Zielvereinbarungen und Vergütungssysteme für Führungskräfte.

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Ausgangslage

1. Hohe Investitionen in die Multikanal-Infrastruktur, aber nur begrenzte Kontrolle über deren Rentabilität

In den letzten Jahrzehnten haben europäische Banken hohe Investitionen in den Übergang von einem filialorientierten zu einem Multikanal-Servicemodell getätigt. Diese Entwicklung begann in den 1970er Jahren mit der Verbreitung von Geldautomaten und setzte sich in den 1990er Jahren mit der Konzentration auf Call Center fort. Das letzte Jahrzehnt war durch die wachsende Bedeutung des Internets geprägt.

Dieser Trend zu umfangreichen Investitionen wird nicht abnehmen. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass - auch wenn das Filialnetz bei der Investitionstätigkeit der Banken immer noch oberste Priorität hat - die Direktkanäle bereits eine gewichtige Position einnehmen. Im Zuge des ungebrochenen Wachstums im eCommerce und der zunehmenden Bedeutung des Internets wird sich diese Position weiter festigen.

Abbildung 1: Investitionsprioritäten nach Kanälen

100%

20%

40%

80%

60%

0%Filialen Telefon-BankingInternet Mobile BankingGeldautomaten

Priorität der einzelnen Vertriebskanäle und erwarteter Trend

Priorität 1 Priorität 2 Priorität 3

Dreijahres-trend

Quelle: Oliver Wyman

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Mit dem Auf- und Ausbau der Direktkanäle zur Unterstützung ihres filialorientierten Vertriebsmodells sehen sich Banken mit einem Anstieg ihrer Betriebskosten konfrontiert, der nur teilweise durch sinkende Abwicklungskosten für Standardtransaktionen ausgeglichen wird. Es gibt tatsächlich nur wenige Anhaltspunkte dafür, dass das Wachstum des Multikanalvertriebs zu einem deutlichen Kostenrückgang bei der Betreuung von Standardkunden oder solchen mit geringem Potenzial geführt hat. Dies ist durch unsere Studienteilnehmer bestätigt worden. Dennoch: Für 70 Prozent der Befragten gehört eine Reduzierung der Servicekosten zu den drei obersten Prioritäten für ihre Multikanal-Architektur.

Abbildung 2: Zielsetzungen beim Aufbau einer Multikanal-Architektur

Entwicklung von Up-Selling-undCross-Selling-Möglichkeiten

Erhöhung der Rentabilitätvon Marketingmaßnahmen

Entwicklung derNeukundenakquisition

Verbesserung der Service-Qualitätund des Kundenerlebnisses

Senkung der Kundenbetreuungskosten

0% 20% 80%40% 100%60%

Gewinnung von Marktanteilenin neuen Geschäftsfeldern

Sonstiges

Anteil der Banken (%), die die genannten Ziele zu ihren drei obersten Prioritäten zählen

Quelle: Oliver Wyman

Viele Banken stehen vor der Herausforderung, die greifbaren Vorteile des Multikanalvertriebs zu erfassen. Ein Großteil der von uns befragten Banken hat Schwierigkeiten, den Beitrag der einzelnen Vertriebskanäle zu den wichtigsten Aspekten der Kundenbeziehung mittels Key Performance Indikatoren zu ermitteln (Ertrag, Kundenakquisition, Kundenbindung, Cross-Selling usw.). In diesem Kontext ist es schwierig, Investitionen zu sichern und entsprechend zu priorisieren. Die Aufwendungen für den Multikanalvertrieb werden häufig durch einen qualitativen Prozess und nicht auf der Grundlage gesicherter Daten festgelegt.

In einer Phase, in der Aufbau und Funktionalität der Direktkanäle weitgehend abgeschlossen sind, genießt deshalb die Sicherstellung von maximaler Kostensenkung und Umsatzsteigerung hohe Priorität.

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2. Multikanal-Banking: Realität in der Kundeninteraktion

Trotz unklarem oder schwer fassbarem Ergebnisbeitrag des Multikanal-Banking ist die Kundeninteraktion über verschiedene Vertriebskanäle inzwischen in nahezu allen europäischen Ländern Realität. Unsere aktuelle Projekterfahrung in ganz Europa zeigt, dass im Durchschnitt zwei Drittel aller Standard-Bankgeschäfte über Direktkanäle abgewickelt werden. Dazu haben der technische Fortschritt (zunehmende Breitband-Internetnutzung, innovative und benutzerfreundliche „intelligente“ Geldautomaten usw.) sowie eine wachsende Akzeptanz und zunehmendes Interesse der Kunden beigetragen.

Teilnehmer unserer Umfrage haben die wachsende Bedeutung von Direktkanälen für die Interaktion mit dem Kunden nachdrücklich unterstrichen (s. Schaubild 3), obwohl die Filialen nach wie vor der wichtigste Kanal für den Verkauf und die Kundenbetreuung sind.

� Das Internet stellt sicherlich eine ernsthafte Herausforderung für die Filialen dar, wenn es um die Transaktionsabwicklung oder die Informationsbereitstellung für den Kunden geht. Beispielsweise ist für ein Drittel der Studienteilnehmer das Internet bereits jetzt der bevorzugte Kanal. In Kontinentaleuropa nutzen schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der Bankkunden regelmäßig das Internet, um auf ihr Konto zuzugreifen und Bankgeschäfte auszuführen. Die Rolle des Internets ist aber nicht auf die Ausführung von Bankgeschäften beschränkt. Es ist vor allem ein wichtiges Instrument zur allgemeinen Informationsbeschaffung und zum umfassenden Produktvergleich vor dem Kauf. Unsere aktuellen Studien zeigen, dass bis zu 40 Prozent der Kunden online recherchieren, wenn sie den Erwerb von Finanzprodukten in Betracht ziehen - online abschließen tun dagegen lediglich 10 Prozent. Die Beliebtheit von Internet-Vergleichs portalen und Brokern wie FinanceScout24, MoneySupermarket oder Meilleurtaux.com hat in ganz Europa erkennbar zugenommen.

� Für 60 Prozent unserer Studienteilnehmer spielen Call Center in der Kundenbetreuung und bei der Bearbeitung von Anfragen eine zentrale Rolle. Neben den Filialen sind die Call Center der bevorzugte Kontaktpunkt für diese Art von Interaktion.

� Geldautomaten werden erwartungsgemäß hauptsächlich für die Bargeldabhebung genutzt. So werden etwa 80 Prozent aller Transaktionen an Geldautomaten vorgenommen. Allerdings versuchen immer mehr Anbieter, diesen riesigen Pool von Kundenkontakten zu nutzen, um neue Produkte oder Dienstleistungen (wie z. B. Telefonkarten) zu verkaufen. Gleichzeitig herrscht das Bewusstsein, wie wichtig auch weiterhin eine rasche Abwicklung an den Geldautomaten ist, um die bequeme Bargeldbeschaffung auch in Zukunft gewährleisten zu können.

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� Mobile Banking weist bislang noch einen unbedeutenden Anteil aller Kundeninteraktionen auf. In den nächsten drei Jahren wird in diesem Bereich mit signifikanten Fortschritten gerechnet.

Abbildung 3: Bedeutung der einzelnen Kanäle für die Kundenbeziehung aus Bankensicht

Filialen Internet

1

2

3

4

5

Callcenter Geldautomaten Sonstige mobileEndgeräte

Durchschnittliche Bewertung der Bedeutung der Vertriebskanäle für die wichtigsten Interaktionen von/mit Kunden

Informationsbeschaffung Kontostandsabfrage Bankgeschäfte: Einlagen, Kredite, Spareinlagen

Produkt- und Dienstleistungsverkauf Kundenbetreuung und Bearbeitung von Anfragen

Drei-jahres-trend

Quelle: Oliver Wyman

In punkto Verbreitung und Kundenakzeptanz sind Direktkanäle zwar Realität, allerdings bestehen weiterhin Unterschiede zwischen den Generationen wie Abbildung 4 zeigt. Auffallend ist, dass jüngere Kunden (unter 35) für ihre Bankgeschäfte bereits häufiger Online-Kanäle nutzen als Filialen.

Abbildung 4: Nutzung von Banking-Kanälen nach Kundenalter

100%

20%

40%

80%

60%

0%15-25 35-5025-35 50-65 +65

Anteil der Kunden (%), die die angebotenen Vertriebswege regelmäßig nutzen

Alter

— Geldautomaten — Online-Banking — Filiale

Quelle: Oliver Wyman

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3. Multikanal-Banking: Kundenerlebnis und Potenzial werden noch immer durch organisatorische und operative Hindernisse eingeschränkt

Der verbreitete Ansatz, einzelne Vertriebskanäle separat und eigenständig zu handhaben, steht dem Vormarsch des Multikanalvertriebs trotz erheblicher Investitionen und Anstrengungen immer noch im Weg. Es ist das Ergebnis der allmählichen, schrittweisen Hinzunahme von Kanälen zur klassischen Filiale - ohne eine kohärente und übergreifende Strategie, die eine Einbettung des Multikanalsystems in die Gesamtorganisation sicherstellen würde. Zudem stellt die vielfach nicht auf Multikanalanforderungen ausgelegte IT-Architektur ein großes Hindernis für eine erfolgreiche Umsetzung dar.

Diese Rahmenbedingungen erschweren es Banken, die wachsende Zahl von Kundenkontakten außerhalb der Filialen für Produktabschlüsse zu nutzen. Mehr als 70 Prozent unserer Studienteilnehmer gaben an, dass alternative Kanäle neben dem Filialnetz weniger als 5 Prozent zum Absatz der meisten Produkte beisteuern (bessere Werte erzielen im Allgemeinen nur Produkte, die zu geringen Erträgen führen) und dass die Kundenberater in den Zweigstellen nicht in vollem Umfang die Möglichkeiten nutzen, durch fremde Kanäle Ansatzpunkte für Vertriebsaktivitäten zu generieren.

Unter operativen und organisatorischen Gesichtspunkten weisen dieErgebnisse unserer Studie darauf hin, dass der integrierte Multikanalvertriebin vielen Fällen eher ein Zielkonzept als eine praktische Realität ist.

� Nur ein Drittel der Studienteilnehmer berücksichtigen die von Kunden genannten Präferenzen und/oder deren tatsächliche Verhaltensweisen bei der Zuordnung zu Segmenten.

Abbildung 5: Erfassung des Kundenverhaltens in einzelnen Kanälen und Berücksichtigung bei der Kundensegmentierung

Anteil der Umfrageteilnehmer (%)

24%

35% 12%

29%

Nein Ja

Nein

Ja

Berücksichtigung bei derKundensegmentierung

Erfassung der Vertriebswegenutzungdurch die Kunden

Quelle: Oliver Wyman

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Weniger als 20 Prozent der Studienteilnehmer haben das Filialnetz und Direktkanäle in eine gemeinsame Managementstruktur eingebunden (Abbildung 6). Dies nicht zu tun verhindert aber eine Vertriebskoordination im Sinne eines wirklichen Multikanalvertriebs. Ein weiteres Problem ist die fehlende Übernahme von Verantwortung. Während mehr als zwei Drittel der Manager von Direktkanälen für die Service-Qualität und für effektives Kostenmanagement in diesen Kanälen verantwortlich sind, haben nur 20 Prozent von ihnen Ergebnisverantwortung.

Abbildung 6: Management für Direktkanäle

70%

20%

30%

60%

50%

40%

10%

0%Zusammen mit Filiale In IT und Operations In Direktkanal-

AbteilungVariiert nach den

Direktkanälen

Anteil der Umfrageteilnehmer (%) (einschl. Geldautomaten, Call Center, Internet, M-Bank)

Quelle: Oliver Wyman

Diese Realitäten kombiniert mit einem befürchtetem Bedeutungsverlust gegenüber den „konkurrierenden“ Kanälen führen zu potenziellem Widerstand im Filialnetz, die Entwicklung und Nutzung anderer Vertriebswege voranzutreiben. 40 Prozent unserer Studienteilnehmer betrachten diesen internen Widerstand als eines der größten Probleme bei der Entwicklung ihres Multikanalangebots.

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Eine strategische Chance

Der Multikanalvertrieb stellt nach wie vor eine organisatorische und operative Herausforderung dar: In einem Umfeld, in dem sich die Differenzierungsmöglichkeiten gegenüber dem Wettbewerb zunehmend von der Produkt- auf die Vertriebsseite verlagern, sind die Anstrengungen der Banken, ein Multikanalangebot aufzubauen aus folgenden Gründen gerechtfertigt:

� Wachsende Kundenakzeptanz: Die Entwicklung eines Multikanalangebots wird durch das steigende Interesse und die wachsende Akzeptanz von Kunden der Alters- und Einkommensschichten unterstützt, die inzwischen mit E-Commerce und der Nutzung des Internets vertraut sind. In diesem Kontext sind diejenigen Anbieter in der besten Ausgangslage, die die Vorteile alternativer Kommunikations- und Vertriebswege überzeugend darstellen und Widerstände überwinden können, die durch eingeschränkte Funktionalität oder das Gefühl mangelnder Bequemlichkeit und Sicherheit verursacht werden. In Zukunft ist davon auszugehen, dass sich die Erwartungshaltung Internet-affiner Kunden zunehmend an den Möglichkeiten und dem Kundenerlebnis in anderen Internet-Geschäftsfeldern orientiert und somit den Anspruch an das Multikanal-Servicemodell mitbestimmt.

� Signifikante Kontaktbasis: Das kräftige Wachstum der Kundenkontakte in den Direktkanälen gleicht dem stetigen Rückgang des Kundenverkehrs in den Filialen mehr als aus. Unsere Studienteilnehmer melden im Durchschnitt [pro Kunde] 80 bis 100 Zugriffe pro Jahr auf ihr Internet-Banking-Angebot. Das entspricht einer fünf- bis sechsmal so hohen Frequenz wie im Filialnetz (selbst wenn Kunden, die das Internet nicht nutzen, durch entsprechende Gewichtung berücksichtigt werden). Das Potenzial, aus einem Teil dieser Kontakte Ansatzpunkte für Vertriebsaktivitäten zu nutzen, ist erheblich. Auf Grundlage von aktuell durchgeführten Projekten schätzt Oliver Wyman, dass sich eine Umsatzsteigerung von 10 bis 20 Prozent ergibt, vorausgesetzt, dass 1 Prozent dieser Kontakte zu einem Geschäftsabschluss geführt werden kann.

� Günstige demographische Entwicklung: Die Umsetzung einer Multikanalstrategie sollte mittelfristig zu Ergebnissen führen, indem sie das Fundament für die Akquisition der Kunden von morgen legt: die so genannte „Generation Y“, die nach und nach an Relevanz gewinnt. Diese Generation (hier definiert als Geburtsjahrgänge von Anfang der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre) ist nach der Babyboomer-Generation, der 80 Mio. Menschen angehören, die zweitgrößte Generation in Europa. Sie

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wird in der Zukunft zu einem immer wichtigeren Ertragsbringer werden. Die Menschen der Generation Y kann man als „Kanal-Zapper“ bezeichnen, d. h., sie setzen im Gegensatz zu früheren Generationen mehr auf die neuen Medien und kombinieren Direktkanäle mit solchen, die eine physische Präsenz erfordern. Um dieses strategisch wichtige Kundensegment für sich zu gewinnen, müssen die Banken ein echtes und konsistentes Multikanalerlebnis bieten.

� Ertragssteigerung hauptsächlich durch Cross-Selling und Up-Selling: Nachdem sich viele Banken in den letzten Jahren auf die Neukundenakquise und „Erstausstattung“ ihrer Kunden mit Produkten konzentriert haben, folgt nun die Phase, in der Erträge zunehmend durch Cross-Selling- und Up-Selling erzielt werden. Die Wertschöpfung bei Privatkundenbanken hängt dabei mehr als je zuvor von der Fähigkeit ab, alle Interaktionsmöglichkeiten mit dem Kunden zu nutzen - unabhängig davon, welcher Kanal genutzt wird. Banken, die ein echtes Multikanalerlebnis bieten können, befinden sich deshalb in einer besseren Ausgangsposition, um diese Cross-Selling- und Up-Selling-Möglichkeiten wahrzunehmen. Unsere Studienteilnehmer teilen diese Auffassung: 85 Prozent gaben an, dass eine Steigerung des Cross-Selling und Up-Selling zu den wichtigsten Zielsetzungen bei der Schaffung ihres Multikanalangebots gehört.

� Kostenmanagement: Der anhaltende Druck auf den durchschnittlichen Ertrag pro Kunde2 zwingt die Banken, ihre Ausgaben laufend zu beobachten und stellt damit die traditionellen Vertriebsmodelle in Frage. Laut der 2009 von Oliver Wyman durchgeführten Studie zur Kostensituation europäischer Retailbanken betragen die Vertriebskosten (Marketing, Filialbetrieb, Direktkanäle - s. Abbildung 7) im Durchschnitt 55 Prozent der Gesamtaufwendungen einer Bank, wobei in Portugal, Spanien und Italien Spitzenwerte von 65 bis 70 Prozent erreicht werden. Das bedeutet, dass in Zeiten priorisierter Kostenkontrolle der Vertrieb eingehend analysiert werden dürfte. Der Multikanalstrategie kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Die kontinuierliche Verlagerung wenig ertragreicher Bankgeschäfte weg von den Filialen ermöglicht einen allmählichen Stellenabbau beim Kassenpersonal. So werden betreffende Mitarbeiter nicht für andere Tätigkeiten eingesetzt bzw. nicht ersetzt, wenn sie in den Ruhestand gehen. Auf Grund sehr unterschiedlicher Kundenkontaktkosten über die verschiedenen Kanäle hinweg kann ein auf Multikanal-Banking setzendes Management außerdem Marketingkosten optimieren, indem eine Fokussierung auf Kanäle erfolgt, die werthaltige Kunden ansprechen und eine höhere Ertragsquote pro Kundenkontakt versprechen.

2 Gesamtwachstumsrate (CAGR) von ~(-5%) in den meisten europäischen Märkten in den letzten drei Jahren vor der jüngsten Krise.

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16 Copyright © 2010 Oliver Wyman

Abbildung 7: Kosten der Banken: Aufschlüsselung für Europa

100%

20%

40%

80%

60%

0%Durchschn Frankreich D und CH CEE Nordische

LänderItalien Spanien/Port.

47%

2%

15%

14%

16%

6% 6%

50%

2%

13%

14%

15%

45%

2%

17%

13%

6%

17%

32%

4%

7%

13%

6%

15%

41%

1%

25%

7%

1%

25%

49%

2%

12%

9%

13%

15%

66%

2%7%

10%

2%

13%

Durch-schnitt-liche Ver-triebs-kosten 55%

Anteil an Gesamtkosten (%)% der Gesamtkosten

Marketing Branch distribution Remote channels Back office IT Support functions

Quelle: Oliver Wyman

Gute Möglichkeit, die Value Proposition von Banken zu untermauern: Der Aufbau eines überzeugenden Multikanalangebots bietet Banken eine sehr gute Möglichkeit, sich von ihren Mitbewerbern abzuheben. Zudem ist eine entscheidende Voraussetzung, um mit Direktbanken konkurrieren zu können, um die Kunden, die keine Betreuung durch einen Kundenberater wünschen. Mehr als 70 Prozent der befragten Banken zählen eine Verbesserung der Servicequalität und des Kundenerlebnisses zu den drei obersten Zielsetzungen für den Multikanalvertrieb. Die grundlegenden Elemente des Multikanalmodells sollten insbesondere sein:

� Die Sicherung einer angemessenen Kommunikation und Interaktion zwischen den Kanälen;

� Die Bereitstellung konsistenter Informationen und das Angebot ‚fairer’ Beratung für den Kunden;

� Der Aufbau eines möglichst effektiven Vertriebskanalmix für die einzelnen Kundensegmente.

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Erschließung des Multikanalpotenzials

Aus unserer Sicht gibt es drei Ansatzpunkte, um das Multikanalpotenzial zu erschließen, ein integriertes und effizientes Vertriebsmodell zu realisieren und gleichzeitig dessen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg zu maximieren.

Optimierung des Potenzials der einzelnen

Vertriebskanäle

Bessere Berücksichtigung

der Kunden-präferenzen

für bestimmte Vertriebskanäle

Anpassung der Organisation/

Prozesse

Wirklich integriertes

Multichannel-Modell

A

C B

D. Das Potenzial der einzelnen Vertriebskanäle optimieren, Hindernisse beseitigen, verborgenen Mehrwert realisieren.

E. Bessere Berücksichtigung der Kundenpräferenzen für bestimmte Vertriebskanäle, um den Kunden ein wirkliches Multikanal-Erlebnis zu ermöglichen und Kontakte besser zu managen.

F. Anpassung von Organisation und Prozessen, um die geschäftliche Entwicklung in Richtung Multikanal zu steuern.

1. Optimierung des Potenzials einzelner Vertriebskanäle, Beseitigung von Hindernissen, Realisierung von verstecktem Mehrwert

Erfolgreiche Banken verfügen über ein exzellentes Management der einzelnen Vertriebswege und verlieren gleichzeitig die übergreifende Multikanal-Perspektive nicht aus den Augen. Durch Optimierung jedes einzelnen Vertriebswegs können versteckter Mehrwert gehoben und bisher ungenutzte Chancen wahrgenommen werden. Gleichzeitig wird damit das Fundament für eine solide und stärker integrierte Vertriebsstrategie gelegt.

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1.1. “Die Filiale ist tot - lang lebe die Filiale”: Möglichkeiten, den Beitrag der Filiale zum Multikanalvertrieb zu stärken

Auf Basis unserer Studie und aktuellen Projekterfahrungen erwarten wir, dass die Filiale auch in Zukunft im Mittelpunkt der Vertriebsstrategie von Privatkundenbanken stehen wird:

� In Bezug auf Kundenakquisition ist die Filiale die unbestrittene Nummer 1 unter den Vertriebswegen.

� Die Filiale spielt eine zentrale Rolle bei der Umwandlung von Kaufinteressenten und Kontakten in greifbare Erträge.

� Filialen sind der bevorzugte Kanal für die Kundenberatung, die wiederum häufig finanzielle Entscheidungen des Kunden nach sich zieht (in dieser Hinsicht ist die Kundenbeziehung in Banken wesentlich weniger transaktionsorientiert und deutlich komplexer als in anderen Branchen).

� Ungeachtet großer lokaler Unterschiede nutzen eine Vielzahl von Menschen Geldautomaten, die vorwiegend innerhalb bzw. in der Nähe von Filialen positioniert sind.

Das Filialnetz steht unter Erlös- und Kostengesichtspunkten allerdings vor folgenden Herausforderungen:

� Auf der Erlösseite birgt die stetig sinkende Zahl von Transaktionskontakten infolge von Direkt- und Onlinebanking das Risiko, dass sich Kunden allmählich von ihrem Kundenbetreuer und von ihrer Filiale abwenden.

� Auf der Kostenseite herrscht in einem durch intensiven Preiswettbewerb und geringes Wachstum geprägtem Umfeld großer Druck, die Kosten für Filialnetze, die im Durchschnitt 50 Prozent der gesamten Betriebsausgaben ausmachen, einzudämmen und zu senken.

Vor diesem Hintergrund und ausgehend von den gemeinsamen Erfahrungen unserer Studienteilnehmer besteht wachsendes Interesse daran, stärker differenzierte Rollen und Formate für Filialen in Betracht zu ziehen. Historisch haben sich Banken hauptsächlich durch den Umfang und die Breite der angebotenen Beratungsleistungen von ihren lokalen Mitbewerbern abgegrenzt. In Zukunft werden sich Banken unserer Ansicht nach mittels Multikanal und weiteren neuen Ansätzen im Vertrieb positionieren, um einerseits das Banking-Erlebnis für den Kunden und damit die Erlöse zu verbessern und zum anderen zur Kostenreduzierung beizutragen. Die Strategie zur Erreichung dieser

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Ziele beruht auf einer zunehmenden Differenzierung und Typisierung der Filialen, indem kleine Filialen (i. d. R. mit 3-4 Vollzeitmitarbeitern) von mittleren (mit 5-9 Vollzeitmitarbeitern) und großen (mit mehr als 10 Mitarbeitern) abgegrenzt werden.

Kleine Filialen, die die Verbreitung in der Fläche erhöhen und die Sichtbarkeit der Marke gewährleisten, stellen Banken im Hinblick auf Rentabilität und Wachstum oft vor große Herausforderungen. Der Multikanalvertrieb kann auf vielfache Weise zu einer Ergebnisverbesserung beitragen:

� Durch weitere Automatisierung mit dem Ziel, Kassen- und Servicepersonal abzubauen; hierzu können die Möglichkeiten genutzt werden, die intelligente Geldautomaten und Internet-Zugangspunkte für Bargeldgeschäfte und andere einfache Transaktionen bieten.

� Durch bessere Nutzung der zahlreichen Kontakte über Internet und Call Center sowie Ausschöpfung der Möglichkeiten des CRM, um Ansatzpunkte für Vertriebsaktivitäten zu generieren, die das kleine Team nicht spezialisierter Kundenberater in Erträge verwandeln kann.

� Durch Einführung von Beratungsleistungen, die nicht “physisch” erbracht werden können. Vielversprechende Pilotprojekte sind in dieser Hinsicht bereits mit Video-/Webcam-Konferenzen durchgeführt worden. Der Kunde führte hierbei sowohl direkt als auch gemeinsam mit seinem lokalen Kundenberater ein Beratungsgespräch mit einem Produktspezialisten an einem anderen Ort. Bei diesem Ansatz betreut eine Gruppe von Spezialisten viele kleine Filialen. Gegenwärtig ist selbst ein Produktspezialist, der mehrere Filialen in einer bestimmten Region betreut, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht immer zu rechtfertigen.

Mittelgroße Filialen werden unserer Meinung nach als Anbieter eines integrierten Multikanal-Konzepts positioniert, wobei die traditionelle Trennung (aus Sicht des Kunden und aus Sicht des Kundenberaters) zwischen automatisierten Dienstleistungen und solchen, die der Kundenberater erbringt, aufgeweicht wird.

In diesen Filialen werden Geldautomaten und Internet-Zugangspunkte in leicht zugänglichen, zentralen Bereichen installiert. Diese werden von Filialmitarbeitern, so genannten ‚Floor Managern’ beaufsichtigt, die sozusagen Dreh- und Angelpunkt des Geschehens in der Filiale sind. Die Filialmitarbeiter können Kunden über Selbstbedienungsmöglichkeiten informieren, ihnen bei deren Nutzung behilflich sein und gleichzeitig das Ertragspotenzial der in die Filiale kommenden Kunden nutzen (zum Beispiel indem sie auf werthaltige Kunden zugehen, die nur selten in die Filiale kommen, und diese an den Kundenberater verweisen).

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Diese neue Multikanal-Rolle wird bei den Mitarbeitern zweifellos auf Widerstand stoßen, da Geldautomaten oder Direktkanäle häufig als Bedrohung für ihre eigene Position gelten.

Einheitliche Kommunikation und Information sowie entsprechende Anreize, die die Bedeutung der Multikanal-Strategie und die ergänzende Funktion von Direktkanälen betonen, müssen also dazu beitragen, das Verhalten der Mitarbeiter in den Filialen mit der Multikanal-Strategie in Einklang zu bringen.

Diese „erzieherische“ Dimension für Kunden und Filialmitarbeiter ist von entscheidender Bedeutung. So sehen mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer in einer fehlenden Verhaltensanpassung eine der wesentlichen Hürden beim Aufbau eines Multikanalangebots.

Größere Filialen, die sich in den am dichtesten besiedelten Gebieten befinden und das größte Geschäftspotenzial besitzen, befinden sich in einer besseren Ausgangslage, um die höheren Erwartungen kritischer oder enttäuschter Kunden in Bezug auf Beratung und Fachwissen zu erfüllen. Mit Unterstützung von Spezialisten kann man sich gleichzeitig auf ertragsstarke Produkte für besondere Anforderungen (Hypothekendarlehen, Kapitalanlagen, Versicherungen, Altersvorsorgeprodukte usw.) konzentrieren und das „Filialerlebnis“ der Kunden verbessern. Um den bestmöglichen Einsatz dieser Spezialisten zu gewährleisten, sollten diese auch als mobile Berater agieren und entsprechend incentiviert werden. Ein solcher mobiler Berater fokussiert sich auf werthaltige Kunden oder solche mit hohem Potenzial, die nur selten in Filialen anzutreffen sind. Diese mobilen Berater bauen vertrauensvolle, persönliche Beziehungen zu Kunden auf pflegen ihren Kundenbestand und entwickeln ihn weiter. Die persönliche Gesprächssituation beim Kunden ermöglicht die Erörterung komplexer Themen und Vorstellung erklärungsbedürftiger Produkte. Weiterhin eröffnet sie die Gelegenheit, Familienmitglieder kennen zu lernen und zu diesen eine Geschäftsbeziehung aufzubauen. (Im Rahmen und Umfang dieser Studie können wir auf die Besonderheiten und Spezifika des Vertriebswegs „Mobile Berater“ nicht detailliert eingehen, sind aber selbstverständlich gerne bereit, dies in einem persönlichen Gespräch zu erötern.)

Einige Banken nutzen die verfügbare Fläche der großen Filialen im übrigen wie traditionelle Einzelhändler und optimieren so den Ertrag pro Quadratmeter durch das Angebot von Nichtfinanzprodukten (Handy-Verträge, Immobiliendienstleistungen, Verkauf von Versorgungsangeboten usw.). Bisher wurden mit diesen nicht zum Kerngeschäft gehörenden Aktivitäten allerdings nur relativ geringfügige Erträge erzielt.

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Fallstudien: Die Bankfiliale im Wandel

Auf Grund der wachsenden Anzahl von Kundenkontakten außerhalb der Zweigstellen und des Drucks auf die Betriebskosten stehen die Filialen von Banken vor neuen Herausforderungen. In diesem Zusammenhang sehen wir mehrere Beispiele für innovative Ansätze, die alle dem folgenden Schema zugeordnet sind:

� Förderung des Multikanalangebots in den Filialen und Abkehr von der klassischen Zweiteilung zwischen “traditionellen” und alternativen Kanälen;

� Erfahrungen sammeln durch systematisches Ausprobieren in Pilotfilialen. Dieses Ausprobieren ist unverzichtbar, um das Interesse von Kunden und Kundenberatern an diesen Ansätzen und ihre diesbezügliche Akzeptanz zu verstehen.

Fallstudie I: Multikanal in den Filialen

Es gibt bereits innovative Konzepte für Filialen und Filialnetze wie oben beschrieben (von Kleinstfilialen mit einer minimalen Zahl von Vertriebs- und Betreuungsmitarbeitern bis zu vollständig automati-sierten Filialen, die ohne jegliches Personal auskom-men). Hier einige Beispiele: Unicredit hat vor kur-zem eine innovative Geldautomaten-“Barriere“ mitten in allen großen Filialen errichtet. Dort helfen gut ausgebildete Mitarbeiter den Kunden bei der Ausführung alltäglicher Bankgeschäfte (Überwei-sungen, Ein- und Auszahlungen, Kontostandsab-fragen, Überprüfung von Kreditlimiten usw.). Die Bank hat vor kurzem bekannt gegeben, dass sie in den nächsten fünf Jahren 200 Mio. € investie-ren will, um weitere ‚Remote Banking’ Zugangska-näle in ihren Filialen einzuführen. Intesa Sanpaolo hat in einigen kleinen Filialen das gesamte Kas-senpersonal abgebaut und vollständig automati-sierte Bereiche mit Geldautomaten eingerichtet, in denen den Kunden zunächst gezeigt wird, wie sie mit diesen Automaten ihre Bargeld- und andere Standard-Bankgeschäfte tätigen können. Außer-dem hat die Bank einige Pilot-Filialen eingerichtet, in denen sich Kunden per Videokonferenz beraten lassen können. Die HSBC hat ihr Matchmaker-System entwickelt. Bei diesem System verweisen Mitarbeiter - ähnlich einem Concierge im Hotel - die Kunden mit allen Standardgeschäften an Direktka-näle oder Geldautomaten und helfen im Bedarfsfall bei deren Nutzung. Außerdem geben sie Kunden, die eine persönliche Betreuung wünschen, Sicher-heit, indem sie diese an kompetente Mitarbeiter verweisen. Dabei wird den Kunden auch eine feste Wartezeit zugesagt. “La Caixa” hat Kundenberater mit Geräten für die Bargeldein- und -auszahlung ausgestattet, so dass sie die Aufgaben von Kassie-rern übernehmen und Kunden schneller bedienen können. BBVA hat so genannte Express-Zonen in ihren Filialen eingerichtet. Dort gibt es intelligente Geldautomaten, über die eine größere Zahl von Transaktionen ausgeführt werden kann.

Fallstudie 2: Filialen „Light“ für eine kostengünstigere Kundenakquisition

Che Banca!, eine neue italienische Bank, hat ein neues Filialformat „Lite“ entwickelt, das auf die Neukundengewinnung fokussiert ist. Dazu gehören mobile Filialen in Shopping-Centern mit verlängerten Öffnungszeiten ebenso wie die

Beteiligung an Freiluftveranstaltungen (wie Mes-sen oder Stände in Fußgängerzonen).

Fallstudie 3: Spezialisierte und mobile Kundenberater

Um ihren Kunden eine bessere Beratung zu bieten, beschäftigt die ING in ihren großen Zweigstellen inzwischen Kundenberater, die auf besonders werthaltige Produkte und entspre-chenden Kundenbedarf (wie Hypothekarkredite, Geldanlagen, Altersvorsorge- und Versicherungs-produkte) fokussiert sind.

Um das volle Potenzial dieser Spezialisten in städtischen Gebieten auszuschöpfen, sollte man diesen unserer Meinung nach entsprechende Anreize bieten, damit sie sich um werthaltige Kunden, die nur selten in den Filialen anzutref-fen sind, bemühen und diese betreuen. Dazu ge-hören Besuche direkt zu Hause oder am Arbeits-platz. Diese mobilen Kundenberater stellen für die Banken unserer Meinung nach eine wichtige Möglichkeit dar, sich aus Kundensicht vom Wett-bewerb abzuheben und zu beweisen, dass sie ihren Kunden eine personalisierte Beratung auf hohem Qualitätsniveau bieten wollen.

Fallstudie 4: Fachwissen “um die Ecke”

Die Bereitstellung hochwertiger Beratungsleis-tungen in großen Filialen stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. In kleinen Zweigstel-len sind entsprechende Angebote aber aus Grün-den der Wirtschaftlichkeit nicht zu rechtfertigen. Da kleine Zweigstellen bis zu 50 Prozent des gesamten Filialnetzes ausmachen können, darf die-se Situation allerdings nicht ignoriert werden. Als Alternative zu lokal vorgehaltenem Fachwissen bieten mehrere Banken inzwischen im Rahmen von Pilotprojekten Beratungsdienste per Video oder Webcam-Sitzung an. Dieser Ansatz konnte bisher nicht wirklich überzeugen, wenn der Kun-de dabei auf sich selbst gestellt war. Bessere Er-gebnisse werden jedoch erzielt, wenn der Kunde mit seinem Kundenberater zusammensitzt und beide gemeinsam mit einem Experten an einem anderen Ort kommunizieren. Intesa Sanpaolo hat mehrere Pilot-Filialen mit Videokonferenz-Anlagen ausgestattet. Zielgruppe hierfür sind vermögen-de Kunden. Auch Banesto und Bankinter prüfen bereits ähnliche Ansätze.

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1.2. Erschließung des Internetpotenzials: Nutzung der riesigen und rasch wachsenden Zahl von Kontakten zur Ertragssteigerung

Rund 85 Prozent unserer Umfrageteilnehmer zählen den Ausbau von Cross-Selling- und Up-Selling zu den drei Prioritäten für ihr Multikanalangebot. Zweifellos wird das Internet dabei eine zentrale Rolle spielen: Für drei Viertel der Befragten ist das Internet einer der beiden wichtigsten Investitionsschwerpunkte (für 40 Prozent hat das Internet hier sogar oberste Priorität), und es produziert fünf bis sechs mal so viele Kundenkontakte wie die Filialen. Die von uns befragten Banken haben große Ziele in Bezug auf das Ertragspotenzial des Internets, da es den Großteil des von Direktkanälen erwarteten Wachstums erzeugen wird (Schätzungen zufolge wird das Internet etwa ein Viertel des gesamten Absatzes beisteuern, verglichen mit der aktuellen Schätzung von weniger als 5 Prozent für die meisten Produkte). Allerdings klafft bisher noch eine große Lücke zwischen den formulierten Zielen und der geschäftlichen Realität, da die meisten Banken das volle Potenzial des Internets bisher nicht entdeckt haben. Der Internetauftritt der Banken für institutionelle Kunden und sicheren Geschäftsverkehr ist immer noch recht transaktionsorientiert, wobei die geschäftsbezogenen Inhalte dieser Websites nur eine Wiederholung des Filialangebots sind. Dies betrifft unter anderem die Produktpalette, die Produktmerkmale, den Katalog, die Preisgestaltung sowie die Werbemaßnahmen.

Das Internet-Angebot sollte unserer Auffassung nach nicht mit dem Angebot in den Filialen identisch sein und dieses nicht ersetzen, sondern vielmehr eine zielgerichtete Ergänzung bieten.

Wir sehen drei Hauptbereiche, in denen das Internet die Filialen unterstützen kann.

A. Anbahnung von Geschäften, die in den Filialen abgeschlossen werden

Diese Dimension bezieht sich auf die «Upstream»-Verwendung des Internets in der Vorbereitung von Gesprächen mit Kundenberatern. Die Kunden können die wesentlichen Komponenten des von ihnen gewünschten Angebots nach ihren Erfordernissen und ihrem Profil selbst festlegen. Die Kundenberater können dann diese vom Kunden vorgegebenen Einzelheiten abrufen, um ein entsprechendes Angebot für den Kunden zu erläutern und zum Nutzen des Kunden individuell anzupassen. Damit stellen sie ihre beratende Funktion heraus und geben denjenigen Kunden, die dies im Allgemeinen vor der Unterschrift von ihrem Berater erwarten, eine gewisse Sicherheit. Da der

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„Erstverkauf“ außerdem bereits weitgehend vom Kunden vorbereitet wurde, bleibt dem Kundenberater mehr Zeit für das Cross-Selling.

Die französische Bank LCL liefert ein gutes Beispiel für diesen Ansatz: Der Kunde wählt online die verschiedenen von ihm gewünschten Komponenten für sein Girokonto aus und vereinbart dann ebenfalls online einen Termin mit einem Kundenberater, um mit ihm die Konditionen durchzusprechen und das Geschäft abzuschließen.

B. Unterstützung bei zusätzlichen Verkaufsmöglichkeiten, die sich in der Filiale nur schwer realisieren lassen

Wegen der Vielzahl von Produkten in ihrem Katalog (wie Garantien für Online-Käufe, Kreditkarten für bestimmte Zielgruppen und besondere Produkte zur Absicherung von Krediten und Zahlungen) erfahren Banken, dass etliche ihrer Angebote pro Jahr und Kundenberater zu weniger als einem Abschluss führen. Diese Angebote könnten mehr zur Ertragsentwicklung beitragen, was aber an den geringen Anreizen scheitert, diese Angebote an den Kunden zu bringen (was wiederum mit dem geringen Wert pro Abschluss zusammenhängt). Außerdem erweist es sich als schwierig, Kunden im richtigen Augenblick und in der richtigen Situation zu kontaktieren. Das Internet kann diese Angebote transparenter machen und dazu beitragen, sie besser zu positionieren. Entweder können diese Angebote gemeinsam mit Produkten beworben werden, an denen der Kunde interessiert ist, oder in Verbindung mit Geschäften, die Kunden im sicheren Internet-Banking-Bereich abwickeln.

C. Stärkung der Beziehung zu Kunden, die nur selten in die Filiale kommen

Werthaltige Kunden nutzen das Internet überdurchschnittlich häufig für ihre Bankgeschäfte (in diesem Kundensegment gibt es 30 bis 40 Prozent mehr Internet-Nutzer als unter Kunden mit wenig Potenzial), kommen aber unterdurchschnittlich häufig in die Filialen. Dies trifft in noch höherem Maße auf Kunden in der Altersgruppe zwischen 35 und 50 zu, die das Internet am intensivsten nutzen, aus Zeitmangel aber nur selten ein Gespräch mit ihrem Kundenberater führen. Ausnahmen sind hier wichtige Geschäftsvorfälle wie z. B. die Beantragung eines Hypothekarkredits. Diese Kunden können über das Internet regelmäßigen Kontakt zu ihrer Bank halten, der genutzt werden sollte, um ausgehend von einer gründlichen Kenntnis des Kunden verwertbare Ansatzpunkte für Vertriebsaktivitäten zu generieren. Die Kundenberater können über diese Ansatzpunkte mit Kunden in Kontakt treten, indem sie z. B. einem Kunden, der sich auf der Website der Bank über Anlagemöglichkeiten informiert, einen Termin mit einem Anlagespezialisten anbieten.

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Wir sind zwar der Auffassung, dass es erhebliche Möglichkeiten gibt, über das Internet hergestellte Kontakte zu nutzen, meinen aber auch, dass die Ansätze hierfür nach Produkten differenziert werden sollten. Dabei ist folgende Differenzierung zu berücksichtigen:

� Sind die speziellen Produkteigenschaften an das Internet angepasst? Sind diese Produkte den Kunden hinreichend bekannt und können sie ohne Beratung durch einen Spezialisten gekauft werden (z. B. Sparkonten, Kundenkarten, Zahlungsausfallversicherung usw.)?

� Sind die Verkaufsprozesse an das Internet angepasst? Kann ein Produkt z. B. vollständig über das Internet gekauft werden oder ergeben sich aus dem Online-Kaufangebot inhärente Risiken (Reputationsrisiken oder finanzielle Risiken)? Nach Untersuchung der speziellen Merkmale verschiedener Produkte und Dienstleistungen von Privatkundenbanken meinen wir, dass hinsichtlich der Methode, anhand derer diese online beworben werden sollten, und hinsichtlich der Rolle, die das Internet bei der Vertriebsunterstützung spielen sollte, vier Produktkategorien unterschieden werden können:

A. Produkte, die sich leicht ins Internet übertragen lassen (Karten, Sparkonten usw.) und für die ein benutzerfreundlicher Internet-Kaufprozess angeboten werden kann.

B. Produkte, für die zwar ein Online-Kauf in Betracht kommt, die aber einen gewissen Informationsaustausch außerhalb des Internets erforderlich machen (wie z. B. Konsumentenkredite): In diesem Szenario halten wir es für dringend notwendig, dem Kunden die Möglichkeit zu geben, den Fortschritt des Verkaufsprozesses online zu verfolgen.

C. Produkte, für die das Internet vor einem Termin mit dem Kundenberater eingesetzt werden kann, um dem Kunden und dem Berater bei der Gesprächsvorbereitung zu helfen (durch einen allgemeinen Informationsaustausch und den Einsatz von Diagnose- und Simulationsinstrumenten), die aber immer in gewissem Umfang den direkten Kontakt mit dem Kundenberater erforderlich machen (z. B. die Beantragung eines Hypothekarkredits).

D. Produkte, deren Sichtbarkeit durch das Internet erhöht werden kann: Hier sind eine Überprüfung der Produktpräsentation und eine umfassende Nutzung der Interaktionsmöglichkeiten im Internet (Videos, Rückruf über das Web, Simulationsinstrumente usw.) notwendig, um Produkte zu erklären und das Interesse des Kunden zu wecken. Dazu können Krankenversicherungen sowie neue Kapitalanlage- oder Kreditprodukte gehören.

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Abbildung 8: Variierende verkaufsbezogene Aufgaben für das Internet in Abhängigkeit vom Produktkontext

Produkte, die mittels veränderter Präsentation durch das Internet

besser „sichtbar" gemacht werden können

An vollständigen Internet-Kauf angepasster Prozess

Problemlose Übertragung auf das Internet

Benutzerfreundlicher Kaufprozess (elektronische Signatur, ohne Papier, …)

z. B. Kreditkarten, Sparkonto

«Upstream»-Verwendung des Internets nach

Gesprächstermin mit dem Kundenberater

Kaufmöglichkeit per Direktkanal mit „Offline"-Informationsaustausch

Dem Kunden die Möglichkeit geben, einen Gesprächstermin mit dem Kundenberater vorzubereiten (Informationen, Simulierungs- und Diagnoseinstrumente, ...)

z. B.: Hypothekarkredite

Möglichkeit, den Produktkauf online zu beginnen und zu verfolgen (Vorvertrag, Überprüfung von Kontoauszügen, ...)

z. B.: Personalkredit

Erfordert einen

anderen Präsentations-

ansatz

Prozess, bei dem ein Informationsaustausch zwischen Kunde und Kundenberater erforderlich ist

Problemlose Übertragung auf das Internet

Produktachse

Pro

zess

ach

se

Umfassende Nutzung der interaktiven Möglichkeiten des Internets, um Produkte besser zu erklären und das Interesse der Kunden zu wecken (Videos, Simulatoren, Web-Rückrufdienst …)

z. B. Krankenversicherung

Quelle: Oliver Wyman

Wir sind davon überzeugt, dass die Nutzung des Internets zur Erreichung von Verkaufszielen besondere Vertriebsansätze erfordert, um das Interesse des Kunden aufrecht zu erhalten und einen Ausgleich für die fehlende persönliche Wirkung eines Kundenberaters zu bieten. Diese Ansätze, die parallel zum Aufkommen des E-Commerce entwickelt wurden, hängen eng mit denen zusammen, die in anderen Branchen verfolgt werden:

� Preisanreize: Der Kunde erhält einen Preisabschlag für den Online-Kauf. Solche Preisabschläge können in verschiedenen Formen angeboten werden (z. B. Verzicht auf die Abschlussgebühr bei Personalkrediten, mehrere Monate mit reduziertem Grundpreis, garantierte Rabatte beim Kauf des nächsten Produkts usw.).

� Zeitlich begrenzte Sonderangebote: Hier werden für kurze Zeit hohe Rabatte gewährt oder ähnliche Ansätze verfolgt, die sich bei Standardprodukten als sehr effektiv erwiesen haben.

� Situationsabhängige Sonderangebote: Kunden wird ein attraktiver Preis für die gerade bearbeitete Transaktion angeboten. Hierzu gehören z. B. Angebote, mit denen die Abwanderung von Kunden zu Mitbewerbern verhindert werden soll. Wenn Kunden das Internet nutzen, um große Beträge von ihren Sparkonten zu überweisen, bieten reine Internet-Anbieter wie ING Direct diesen unter Umständen besondere Zinskonditionen an, die normalerweise für Neukunden „reserviert“ sind.

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Das Argument, dass diese Verkaufstechniken schon lange in den Filialnetzen praktiziert werden, trifft zu. Dennoch glauben wir, dass diese Maßnahmen bei Anwendung im Internet besondere Möglichkeiten bieten:

� Gezieltere, situationsabhängige Kundenansprache: Wenn eine Bank über ein entsprechend entwickeltes Customer Relationship Management verfügt, kann sie Kunden über das Internet mit individualisierten Vorschlägen ansprechen. Dies ist in den Filialen einfach nicht möglich. Dabei können der tatsächliche Transaktionskontext, der bisherige Verlauf der Kundenbeziehung berücksichtigt werden.

� Hohe Reaktionsfähigkeit: Im Vergleich zu den Möglichkeiten des Filialnetzes bietet das Internet das besondere Potenzial, Werbekampagnen innerhalb weniger Tage zu realisieren oder zu beenden, sie in wesentlich kürzeren Zeitabständen durch andere zu ersetzen oder gemeinsam mit diesen durchzuführen. Jede Website ist potenziell ein „Schaufenster“. Demgegenüber sind die Möglichkeiten der „Schaufenstergestaltung“ in den Filialen sehr viel begrenzter. Wie bei Nichtfinanzdienstleistungen können Banken ihren Kunden anbieten, alle Angebote in Anspruch zu nehmen – unabhängig davon, welche Werbekampagnen gerade laufen.

� Deutlich niedrigere Kosten pro Kontakt: Wenn die erforderliche Infrastruktur vorhanden ist, sind die Kosten von Kontakten zu be-stehenden Kunden (Popup-Fenster, Bannerwerbung, ausgehende E-Mails usw.) im Internet im Vergleich zu den Werbekosten in anderen Kanälen fast zu vernachlässigen. Dieser Kostenvorteil sollte Banken nicht dazu verleiten, Kunden mit Werbung zu bom-bardieren. Wegen der Vielzahl der im Internet möglichen Kontakte bedeutet eine Werbung pro zehn Geschäftsvorfälle aber bereits eine Aktion pro Monat.

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1.3. Neuausrichtung von Call Centern: Übernahme einer breit angelegten Rolle im Multikanalvertrieb

In den 1980er und 1990er Jahren wurden Call Center als Fernabsatzalternative zum Filialbankgeschäft angesehen. Seitdem hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert und Call Center stehen heute vor mehreren Herausforderungen:

� Transaktion und Information: Andere Fernkanäle, namentlich das Internet, können heute dieselben Dienstleistungen kostengünstiger für Banken und ihre Kunden ausführen und den Kunden gleichzeitig ein positives Erlebnis und hohe Servicequalität bieten. Nur 15 Prozent unserer Umfrageteilnehmer nannten Call Center als einen der beiden wichtigsten Kanäle für die Geschäftsabwicklung und das Informationsmanagement. Die übrigen 85 Prozent bezeichneten das Internet und die Filiale als die wichtigsten Bereiche für diese Aufgaben.

� Beitrag zur Ertragsentwicklung: Hier gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Manche Banken berichten von guten Verkaufserfolgen bei telefonischen Anfragen zu bestimmten Produkten und bei Werbekampagnen (bis zu 10 Prozent dieser Anrufe führen zu einem Verkaufsabschluss). Insgesamt sind die Ergebnisse bisher aber nicht überzeugend. Dies erklärt, warum 60 Prozent unserer Umfrageteilnehmer Call Center nur als drittwichtigsten Vertriebskanal ihre Produkte und Dienstleistungen nennen – weit hinter dem Filialnetz (die unbestrittene Nummer 1) und dem Internet (das für 70 Prozent der Umfrageteilnehmer der zweitwichtigste Vertriebskanal für Produkte und Dienstleistungen ist). In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass immer mehr Banken die Atmosphäre in Call Centern nicht für absatzfördernd halten: Bei 20 bis 25 Prozent der in Call Centern eingehenden Anrufe äußern Kunden ihre Unzufriedenheit, stellen Fragen oder beschweren sich. Bei den ausgehenden Anrufen ist die Situation nicht viel besser: Immer mehr Kunden reagieren ablehnend auf solche Anrufe, weil sie sich einem zunehmenden Verkaufsdruck von Anbietern von Konsumentenkrediten, von Telekommunikationsgesellschaften und anderen Versorgungsunternehmen ausgesetzt sehen.

� Kundenerlebnis und Servicequalität: Diese beiden Punkte sind ebenfalls in den Fokus gerückt, weil viele Unternehmen in ge-ringerem oder stärkeren Maße eingehende Anrufe von Kunden, die ursprünglich zur Filiale oder zum Kundenberater gehen sollten, zu Call Centern umleiten. Unzufriedenheit und Frustration - vor allem bei

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werthaltigen Kunden - könnten die betreffenden Banken veranlassen, über die Auswirkungen einer solchen Umleitung auf das Geschäft und die Kundenzufriedenheit nachzudenken. Dies wird gestärkt durch die Tatsache, dass drei Viertel unserer Umfrageteilnehmer Call Center neben der Filiale als den wichtigsten Kanal für die Kundenbetreu-ung ansehen.

Von diesen Problemen abgesehen glauben wir, dass Call Center in einem integrierten Multikanal-Modell eine aktivere und wertvollere Rolle spielen können. Die erheblichen Investitionen in Technik, Infrastruktur und Personal des Call Centers können sich bezahlt machen, wenn diese aus einer weiter gefassten Multikanal-Perspektive heraus betrachtet werden. Wir sehen drei mögliche (nicht ausschließliche) Rollen für Call Center:

� Generierung von Ansatzpunkten für Vertriebsaktivitäten für die Filialen: Call Center könnten eine effektive Rolle bei der Weitergabe qualifizierter Ansatzpunkte für Vertriebsaktivitäten der Kundenberater in den Filialen spielen. Dazu bedarf es einer systematischeren Erfassung und Nachverfolgung vieler Kunden- und Produktereignisse in den Call Centern. Diese leiten die diesbezüglichen Informationen weiter, die dann aber von den Kundenberatern oft nicht bearbeitet werden. Dies ist besonders für kleine Filialen wichtig, in denen es sich als schwierig erwiesen hat, das geschäftliche Potenzial der lokalen Kundenberater umfassend zu nutzen.

� Internet-Unterstützung und Back-Office: Wie bereits erwähnt sind wir der Auffassung, dass das Internet eine zunehmende Rolle bei der Anbahnung von Verkaufsmöglichkeiten spielen wird. Dennoch zeigt unsere Erfahrung, dass - wenn es um Finanzdienstleistungen geht - Kunden Rückversicherung wollen und es für die Kundenberater in den Filialen sehr schwierig sein kann, ihnen die notwendige Unterstützung in der gewünschten Zeitspanne zu geben. Kunden, die mittlerweile an kurze Reaktionszeiten im Internet gewöhnt sind, übertragen diesen Anspruch schnell auf alle damit verbundenen Anfragen und Geschäftsvorfälle. Die Nutzung von Call Centern zur Bewältigung des wachsenden Aufkommens an Web-Rückrufen, Chats und Kommunikation per E-Mail ist schon heute Realität in einigen Banken. In Zukunft wird sie im Rahmen eines integrierten Multikanal-Konzepts ein entscheidendes Element bei der Entwicklung des Internets zu einem vertriebsunterstützenden Kanal sein.

� Verbesserung des Banking-Erlebnisses für werthaltige Kunden: Was die Herausforderungen für das Filialnetz betrifft haben wir auf die Schwierigkeit hingewiesen, in kleinen Filialen eine Beratung durch Spezialisten anzubieten und Beratungsgespräche

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mit werthaltigen Kunden zu vereinbaren, deren Terminkalender selten mit denen von Kundenberatern in den Filialen in Einklang zu bringen sind. Wir glauben, dass Call Center bei der Lösung dieser Probleme durch Vermittlung von Spezialisten helfen können, die Kundenberater in kleinen Filialen (per Telefon oder Videokonferenz) unterstützen. Damit können werthaltige Kunden betreut werden, die nur begrenzt bereit sind bzw. Zeit haben, in die Filiale zu kommen. Diesbezüglich haben wir festgestellt, dass einige Unternehmen (wie z. B. Crédit Agricole mit ihrer Kampagne “B wie Bank” oder Unicredit mit “First”) in letzter Zeit umfassende Online-Geldanlagedienste eingeführt haben, die auf die Segmente „Mass Affluent“ und „Affluent“ abzielen. Ihr Angebot umfasst den Zugang zu Fachleuten und Experten, die Kunden vor einer Anlageentscheidung entsprechende Rückversicherung geben können.

Überträgt man Callcentern neben ihrer traditionellen Telefon-Banking-Aufgabe eine Mehrwert generierende, unterstützende Funktion für die Filialen und das Internet, stellt dies aus unserer Sicht eine wirkliche organisatorische Herausforderung dar. Dies eröffnet aber auch die Möglichkeit, maximalen Nutzen aus den in den letzten zehn Jahren getätigten Investitionen zu ziehen.

1.4. Die nächste Mobile-Banking-Welle kommt: Revolution oder Evolution?

Die Verwendung von Mobiltelefonen als Informations- und Transaktionsinstrument - hauptsächlich in Form von mTan-Lösungen oder Warnhinweisen per Kurzmitteilung (z. B. zu wichtigen Last- oder Gutschriften auf Girokonten oder zum Kontostand) - ist eine Entwicklung der letzten zehn Jahre. Schätzungsweise 80 Prozent der europäischen Banken bieten entsprechende Dienstleistungen an und 40 bis 60 Prozent der Nutzer von Direktanälen machen davon Gebrauch.

Das Mobiltelefon stellt für Banken in einigen Schwellen- und Transformationsländern das bevorzugte Mittel der Interaktion mit dem Kunden dar. In Europa zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Versuche, weiter entwickelte Dienste per SMS zu verbreiten (i. d. R. handelt es sich um Dienste, die über das Internet angeboten werden), waren hier bisher nur eingeschränkt erfolgreich. Zu den am häufigsten genannten Gründen für diese zögerliche Entwicklung gehören:

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� Unklarheit bei den Kunden, welche Möglichkeiten das Mobiltelefon neben SMS-Kurzmitteilungen und Zugang zu Direktkanälen generell bieten könnte;

� Mangelnde Kenntnis seitens der Kunden, welche Dienstleistungen aktuell per Mobiltelefon angeboten werden und welche Vorteile sie daraus ziehen können;

� Mobile Banking wird häufig immer noch mit Betrugsgefahr in Verbindung gebracht.

Dessen ungeachtet hat es in den letzten Jahren Entwicklungen gegeben, die den Vormarsch des Mobiltelefons im Rahmen eines Multikanal-Konzepts unterstützen können:

� Der Verbreitungsgrad von Mobiltelefonen bei Erwachsenen von über 90 Prozent und der eindrucksvolle und anhaltend hohe Verbreitungsgrad unter jungen Leuten, der in Zukunft vermutlich den bei Erwachsenen erreichen wird;

� Die schnelle Ausbreitung von Smartphones. Diese dürfte sich angesichts des Erfolgs des iPhones fortsetzen, das den Weg für eine massenhafte Verbreitung von intelligenten Endgeräten geebnet hat.

� Die rasante Entwicklung bei Breitbandangeboten, verbunden mit niedrigeren Nutzungsgebühren, hat es leichter gemacht, hoch entwickelte Anwendungen - ähnlich denen, die es für PCs gibt - auf dem Mobiltelefon zur Verfügung zu stellen.

Nach wie vor unklar ist allerdings, wann genau das Mobiltelefon zu einem wichtigen Vertriebskanal für Retailbanken werden wird. Obwohl über 80 Prozent unserer Interviewpartner davon ausgehen, dass die Bedeutung des Mobiltelefons in den nächsten drei Jahren zunehmen wird, stufen gegenwärtig ebenso viele das Mobiltelefon als den unwichtigsten Kanal für die Informationsweitergabe, die Abwicklung von Transaktionen und das Vertriebsmanagement ein. Aus unserer Sicht hängt es vor allem von drei Faktoren ab, welche Rolle das Mobiltelefon im Multikanalvertrieb letztlich spielen wird:

� Interesse der Kunden und der Banken: In den letzten zehn Jahren ist das Internet zu einem wichtigen Vertriebskanal geworden, der von erheblichen Investitionen und Entwicklungen in Banken und von der wachsenden Akzeptanz von internetbasierten Bankdienstleistungen bei Privatkunden profitiert hat. Das Mobiltelefon könnte einen ähnlichen Weg beschreiten, wenn beide Voraussetzungen, nämlich die Bereitschaft der Banken und der Kunden, erfüllt werden. Investitionsbedarf in anderen Vertriebskanälen und das unklare geschäftliche Potenzial des Mobiltelefons könnten allerdings die Bereitschaft der Banken dämpfen.

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� Erfolg des Mobiltelefons in der Welt des Zahlungsverkehrs: Das Mobiltelefon wird in der Zahlungsverkehrsstrategie von Privatkundenbanken eine zentrale Rolle spielen, weil es vielfältig anwendbar ist: Als führendes Zahlungsmittel im Einzelhandel oder E-Commerce, als wichtiges Instrument für Überweisungen und zur Entgegennahme von Geldbeträgen oder anderen Anreizen, Rabatten oder Belohnungen. Wenn das Mobiltelefon in der Welt des Zahlungsverkehrs eine Rolle spielen kann, wird das auch seine Bedeutung als Vertriebsweg beeinflussen.

� Unterstützung neuer Verkaufsmöglichkeiten Verglichen mit anderen Vertriebskanälen von Banken bietet das Mobiltelefon einen fast unmittelbaren Zugang zum Kunden. Das Risiko liegt darin, dass es vielleicht als zu aufdringlich empfunden wird. Bei richtigem Gebrauch kann das Mobiltelefon aber die Vertriebsanstrengungen der Banken aktiv unterstützen. Zu den Anwendungen für diesen Zweck gehören einfache Warnhinweise per SMS, um Kunden auf den Ablauf eines Produkts, individuelle Sonderangebote oder auf eher situationsabhängige Möglichkeiten wie z. B. „Geomarketing“ aufmerksam zu machen (Abbildung 9). Wie auch immer die betreffende Anwendung aussehen mag: Die Fähigkeit, den unmittelbaren Kundenzugang durch das Mobiltelefon zu nutzen und dabei die kontraproduktive Wirkung übermäßigen Verkaufsdrucks zu vermeiden, wird darüber entscheiden, wie das Mobiltelefon in einem Multikanal-Kontext eingebunden und genutzt wird.

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Abbildung 9: Mobiltelefone werden über SMS-Dienste den situationsbezogenen Verkauf unterstützen

SMS = Vertriebskosten ~50 mal günstiger als Abschluss in der Filiale

Kunde Bank

Anhand der Kreditkartennutzung Feststellung, dass der Kunde sich im Ausland aufhält

Per SMS übermitteltes Angebot einer Reiseversicherung speziell für diese Reise

Auslandsreise

Der Kunde nimmtan und kauft die

Reiseversicherung per SMS

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Präsenz in sozialen Netzwerken

Banken treten zunehmend in den verschiedenen sozialen Netzwerken (Twitter, Facebook, LinkedIn) in Erscheinung. Diese Plattformen bieten die Möglichkeit, auf eher informelle und weniger institutionalisierte Art und Weise Kundenbeziehungen aufzubauen, Informationen zu sammeln und weiterzugeben, aber auch das Interesse der Kunden an neuen Konzepten/ Produkten in Erfahrung zu bringen oder zielgerichtete Verkaufsförderungsmaßnahmen durchzuführen.

Ähnlich wie beim Mobiltelefon zeigen die Banken wachsendes Interesse an diesen Netzwerken, was mit der eindrucksvoll und unaufhörlich steigenden Zahl aktiver Netzwerkteilnehmer zusammenhängt. Soziale Netzwerke dürfen sicherlich nicht ignoriert werden. In der jetzigen Phase können sie sozusagen als „Experimentierfeld” für kundenorientierte Ansätze genutzt werden (Affinitätsmodelle, „Voice of the Customer”), sollten aber vermutlich weniger als Vertriebskanal betrachtet werden.

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2. Bessere Berücksichtigung von Kundenpräferenzen für bestimmte Kanäle

In den letzten zehn Jahren haben die Banken große Summen investiert, um ihr Wissen über ihre Kunden zu verbessern und zu strukturieren. Die meisten Banken haben intensiv daran gearbeitet, Informationen über ihre Kunden zusammenzutragen und zu organisieren (soziodemographische Angaben, Produktkäufe, Absatz und Umsatz pro Kunde, Zahl und Art der Transaktionen, aktuelle Kontonutzung; s. Abbildung 10). Damit wollen sie mehr über die Bereitschaft der Kunden zum Kauf neuer Produkte, ihren Anlagestil und die Bindung an eine bestimmte Bank zu erfahren. Dieses Wissen erlaubt es den Banken normalerweise, den aktuellen und potenziellen „Wert” eines Kunden zu ermitteln, der bei allen wichtigen Marketingmaßnahmen eingesetzt werden kann.

Abbildung 10: Die Banken erfassen eine Fülle von Informationen

Sozioökonomische

Gruppe

10 bis 30 Arten

Kundenwert und

-potenzial

5 bis 10 Gruppen

Produktkaufneigung

10 bis 20 Scores

Kontaktmöglichkeiten

15 bis 50

Möglichkeiten

Ausstattungsprofil

5 bis 15 Profile

Geomarketing

6 bis 12

Lokalisierungsarten

Kundenkenntnis

Unsere Interviews belegen allerdings, dass diese rasche Zunahme verfügbarer Informationen bislang nicht für den Aufbau effizienter und wirklich individualisierter Kundenbeziehungen genutzt wurde. Nach Meinung von zwei Dritteln der Umfrageteilnehmer ist dies allerdings die größte Chance, die der Multikanalvertrieb eröffnet.

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Abbildung 11: Mit dem Multikanalvertrieb in Verbindung gebrachte Entwicklungsmöglichkeiten

Effiziente Beziehung zwischen Kunde und Berater durch

Multikanal-Informationsmanagement

Entstehung neuer Technologien und Vertriebswege (m-banking, …)

Ertragsentwicklung in Direktkanälen

Veränderungen des Verbraucherverhaltens

(zunehmend mündige Kunden)

Neue Vertriebsnetze und Filialformate

0% 20% 40% 60%

Neue Angebote auf der Grundlage von Multikanal-Funktionalitäten

Bank der Wahl für die Generation Y (die Generation der digitalen Medien)

Differenzierung gegenüber traditionellen Bankangeboten

Quelle: Oliver Wyman

Um ihre „Know your Customer”- und Customer Relationship Manager-Fähigkeiten in einem Multikanal-Rahmen zu verbessern, müssen die Banken die Interaktion zwischen sich und ihren Kunden in den einzelnen Vertriebskanälen besser strukturieren, organisieren und priorisieren.

Wenn der Übergang von einem Ansatz „alles für jeden in allen Kanälen“ zu einem Ansatz nach dem Motto “das richtige Produkt im richtigen Moment über den geeigneten Kanal” nach wie vor eine Herausforderung darstellt, meinen wir, dass diese weniger technischer (die erforderliche Infrastruktur ist bereits weitgehend vorhanden) als vielmehr strategischer (Änderung der Denkweise: der Kunde muss Priorität vor den Kanälen haben) und operativer Natur (bessere Nutzung vorhandener Informationen) ist.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollten Banken

� ihre Service- und Vertriebsmodelle gemäß dem tatsächlichen Verhalten der Kunden segmentieren: Erfahrungsgemäß ist dies eine entscheidende Voraussetzung, weil sich die Realität der Kundenerfordernisse und -erfahrungen mit den traditionellen Vertriebsmodellen nicht erfassen lässt. Im Allgemeinen nutzen werthaltigere Kunden intensiv Direktkanäle, werden aber wegen ihres Geschäftspotenzials von den für sie zuständigen Beratern für eine häufige Ansprache vorgemerkt. Zu erkennen, wie Kunden mit der Bank in Interaktion treten, ist deshalb eine entscheidende

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Voraussetzung, um die einzelnen Kanäle richtig gewichten und besser auf die Wünsche der Kunden eingehen zu können.

� Stärkere Differenzierung der Aufgaben der einzelnen Kanäle nach Kundensegment: Es ist notwendig, die primären, sekundären und übrigen Aufgaben für jeden Kanal und die wichtigsten Interaktionsarten (Akquisition, Cross-Selling und Up-Selling, Betreuung, Kundenbindung) für jedes Kundensegment festzulegen. Die Zielsetzung besteht auch hier darin, sich an das Nutzungsverhalten der Bankkunden in Bezug auf einzelne Kanäle anzupassen, die Servicekosten zu minimieren und gleichzeitig die Ansatzpunkte zur Umwandlung von Kundeninteraktionen in Ertrag zu maximieren.

� Auswahl, Erfassung und Management der richtigen Informationen: Banken sollten für jedes Segment festlegen, welche Kunden- und Produktereignisse aktiv beobachtet werden müssen, weil sie tatsächliche Vertriebsansätze bieten. Diese Informationserfassung findet im Allgemeinen bereits statt, erstreckt sich aber häufig auf Hunderte möglicher Kombinationen von Kunden-/Produktereignissen. Nach unserer Erfahrung kann aber nur ein Bruchteil der wichtigsten Ereignisse effektiv beobachtet werden, woraus sich Ansatzpunkte für konkretes, vertriebsunterstützendes Handeln ergeben. Diese Aufforderungen zu Vertriebsinitiativen sollten über den jeweils am besten geeigneten Kanal umgesetzt werden, basierend auf den besonderen Eigenschaften der einzelnen Kanäle (Relevanz für das verkaufte Produkt, Kosten pro Kundenkontakt usw.), aber auch auf den Präferenzen der Kunden für bestimmte Kanäle und ihrem Nutzungsverhalten.

Um ihren Verkaufserfolg in einem Multikanal-Umfeld zu steigern und gleichzeitig ihre Vertriebskosten zu optimieren, passen einige führende Banken ihre Marketingaktivitäten entsprechend an: Sie geben ihren wichtigsten Verkaufsförderungsmaßnahmen Priorität und nutzen gleichzeitig den am besten geeigneten Vertriebsweg.

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Abbildung 12: Auswahl, Erfassung und Management der richtigen Informationen hinsichtlich Unternehmenserfolg und Vertriebskostenoptimierung

Ausgehend von einem guten Verständnis der Profile der Kunden, ihrer bisherigen Produkt- ausstattung, ihres Umsatzpotenzialsund ihrer Präferenzen für bestimmte Kanäle

… wird unter Berücksichtigung der verschiedenen geschäftlichen Anreize

… und der bestehendengeschäftlichen Möglichkeitenund Drücke ...

… zunächst ermittelt, welcheAktionen für den Kunden in Frage kommen.

Danach werden die Aktionenausgewählt, die die größteWirkung versprechen, …

... und die Kanäle, die am bestenfür die betreffende Maßnahmegeeignet sind und denKundenpräferenzen am ehestenentsprechen.

Kundeneigenschaften und -profile

Beispiel für Kundenprofil: 60 Jahre alt, seit 10 Jahren laufender Bausparplan,

Ablauf der Debitkarte in 3 Monaten

Allgem. Druck durch Marketing

z. B. Werbeaktion für Hypothekarkredite

Ad-hoc-Marketingziel

z. B. Verkauf Premiumkarte

Ereignis im Produktlebenszyklus

z. B. [bisherige Sparleistung]

Ereignis im Leben des Kundene

z. B. Geburtstag

Priorisierung der Maßnahmen

Ausführung der Maßnahmen durch die am besten geeigneten Vertriebskanäle

„Bindung durch 10-jährigen

Bausparplan”

„Upselling: Wechsel zur

Premiumkarte”

„Bausparplan 30% unter

[Mindestspar-summe]”

„60. Geburtstag des Kunden”

Beispielhaftes Ergebnis: Internet-Kanal -> Bannerwerbung im Transaktionsbereich für Privatkunden

Herr Schmidt, Ihre Debitkarte läuft in drei Monaten ab und Sie verreisen regelmäßig ins Ausland. Warum wechseln Sie nicht zu unserer Premiumkarte?

tSie zahlen im ersten Jahr nur den halben Preis, wenn Sie bis zum Ende des Monats wechseln!

Neben einer Verbesserung des Kundenmanagements kommt der Vermarktung des Multikanalangebots entscheidende Bedeutung zu. Sie bietet eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit, sich von Mitbewerbern abzuheben und effektiv mit Direktbanken zu konkurrieren, die sich bereits als glaubwürdige Alternative für die Kunden empfehlen, die keinen großen Wert auf eine persönliche Betreuung durch ihre Bank legen. In den letzten Jahren hat es zahlreiche Initiativen von Filialbanken gegeben, die ihren Kunden mehr Auswahlmöglichkeiten für die Interaktion mit ihrer Bank geben wollen. In Frankreich hat La Banque Postale den Ansatz “Wähle selbst Deinen Weg zur Bank” entwickelt. Dabei kann der Kunde selbst entscheiden, über welchen Kanal die Geschäftsbeziehung zu seiner Bank vorzugsweise laufen soll. Andere Privatkundenbanken wie Caisse d’Epargne Rhône Alpes, LCL oder BNP Paribas bieten ihren Kunden inzwischen auch vollständige Direktbanken an.

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Fallstudie: Stärkung der Value Proposition durch Multikanalvertrieb in Frankreich

La Banque Postale hat die Aktion „Wähle selbst Deinen Weg zur Bank” entwickelt. Sie gibt dem Kunden drei grundlegende Auswahlmöglichkeiten für die Interaktion mit seiner Bank:

� Mit oder ohne Kundenberater;

� Online oder über einen Ansprechpartner in der Filiale;

� In Form eines Paketangebots oder „à la carte”.

Die Caisse d’Epargne Rhône Alpes bietet mit ihrem „monbanquierenligne” („Mein Online-Banker”) eine neue Art der Geschäftsbeziehung zu einer Bank; dabei kann man per E-Mail, Chat, Video-Konferenz oder Telefon innerhalb verlängerter Öffnungszeiten mit einem Bankberater sprechen.

BNP Paribas hat ein ähnliches Angebot mit ihrer Internet-Filiale („NET agence”) auf den Weg gebracht, die den Direktkanal mit dem Zugang zur Filiale kombiniert: Kunden werden in wichtigen Angelegenheiten, die besondere Kompetenz erfordern (z. B. Hypothekarkredite, Geldanlagen, Altersvorsorge) an spezialisierte Berater innerhalb des 2200 Filialen umfassenden Zweigstellennetzes verwiesen.

LCL betreibt ebenfalls seit einigen Jahren eine vollständige Direktbank (e-LCL), auf die bisher an eine Filiale gebundene Kunden ihr Konto übertragen können.

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3. Umwandlung von Privatkundenbanken in Multikanalbanken: Anpassung von Organisation und Prozessen

Wir sind der Meinung, dass es bisher keine etablierten Multikanalbanken gibt, da keine Bank bislang eine echte Multikanal-orientierte Organisation aufgebaut hat. Vielmehr werden die verschiedenen Kanäle bisher weitgehend unabhängig voneinander betrieben. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Steuerung der Bankorganisation nach dem Multikanal-Konzept eine entscheidende Voraussetzung ist, um das Potenzial des Multikanalbanking voll auszuschöpfen. Viele Banken verweisen immer noch auf interne Hindernisse wie den Widerstand von Mitarbeitern in den Filialen, die dem Aufbau einer Multikanal-Organisation entgegenstehen.

Abbildung 13: Hindernisse beim Aufbau eines Multikanalvertriebs

Widerstand von Teilen derKundschaft gegen Direktkanäle

Entstehung zusätzlicher Betriebskosten ohne entsprechend

höhere Kosteneinsparungen

Ertragsdruck infolge der Preisvorgaben von Direktbanken

Festhalten an Beratung in den Filialen bei wichtigen Produkten

Widerstand aus dem Filialnetz

0% 20% 80%40% 60%

Noch nicht ausgereifte Technologien

Sonstiges

Unbefriedigende Rentabilität und Effizienz von Multikanal-Investitionen

Anteil der Umfrageteilnehmer (%)

Quelle: Oliver Wyman

Um eine echte Multikanal-Organisation aufzubauen, sollten sich Banken auf vier Bereiche konzentrieren: Organisation, Prozesse, Anreize und „Dashboard”.

Organisation: Unabhängig von den verschiedenen organisatorischen Optionen, die für das Vertriebsmanagement ausgewählt werden, ist bisher häufig keine Funktion für eine wirklich kundenorientierte Integration aller Kanäle zuständig. Wir haben bei keiner Bank eine eigene Abteilung mit alleiniger Zuständigkeit für die Steuerung der

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Multikanal-Gesamtstrategie gefunden - mit klarer Aufgabenstellung und klaren Zielvorgaben. Der notwendige Wandel erfordert genau definierte Zuständigkeiten für die Vertriebskoordination, wobei das Interesse von Bank und Kunden an einer wirklichen Multikanal-Perspektive zu berücksichtigen ist. Diejenigen, denen diese Zuständigkeit übertragen wird, müssen eine kundenorientierte Sicht der Dinge propagieren, die in Filialen zwar praktiziert wird, in anderen Kanälen aber oft vernachlässigt wird.

Prozesse: Der Ansatz, einzelne Vertriebskanäle separat und eigenständig zu handhaben, hat zu Diskontinuität im Kundenerlebnis geführt. Die Steuerung der Arbeitsprozesse sollte stärker in den Vordergrund gerückt werden, um für konsistente Informationen in den einzelnen Kanälen zu sorgen. Dies ist nicht nur erforderlich, um mangelhaften Service oder Ertragseinbußen zu vermeiden, sondern auch um sicherzustellen, dass die relevanten Informationen erfasst werden und richtig verwaltet werden können.

Die Prozesse sollten außerdem von Anfang bis Ende in einem bestimmten Kanal durchführbar sein. Ein klassisches Beispiel für die Verfehlung dieses Ziels bezieht sich auf die verschiedenen Produkte, die angeblich über die Website einer Bank erworben werden können. In der Realität stellt der Kunde aber nach den ersten Schritten fest, dass er sich an die Filiale oder ein Call Center wenden muss, um den Kauf abzuschließen. Neue Ansätze in Bezug auf die elektronische Signatur und die Möglichkeit, eingescannte oder fotografierte Dokumente zu verarbeiten, müssen von den Banken eingeführt werden, damit die Kontinuität ihrer Prozesse gewahrt wird.

Fallstudie: Beratung vermögender Kunden bei Bankinter

Bankinter bietet vermögenden Kunden über verschiedene Kanäle unterschiedlich häufig Beratung an: Ein per E-Mail versandter, wöchentlich erscheinender Newsletter, ein Video mit dem Chef-Analysten im Internet, auf das Kundenprofil zugeschnittene Portfolio-Empfehlungen auf der Website oder ein Termin mit einem Fachberater oder Filialleiter sind einige der Möglichkeiten, die dem Kunden zur Verfügung stehen. Dabei muss sichergestellt sein, dass ein Kunde zu einem bestimmten Zeitpunkt dieselben aktuellen Empfehlungen erhält, ganz gleich für welche Möglichkeit er sich entscheidet.

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Dashboard: Organisatorische Veränderungen sollten parallel zu effektiven Veränderungen im Managementinformationssystem vorgenommen werden. Die konkreten Vorteile des Multikanalvertriebs festzuhalten stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Den von uns befragten Banken fehlen noch immer einige operative „Key Performance“-Indikatoren, um den Beitrag der einzelnen Kanäle zur Ertragsentwicklung und Kostenkontrolle zu ermitteln. Die gemeinhin verwendeten Ansätze nutzen Näherungswerte. Eine kürzlich durchgeführte Markterhebung hat gezeigt, dass die meisten europäischen Banken immer noch sämtliche Erträge den Filialen zuordnen - unabhängig davon, welche Rolle alternative Kanäle möglicherweise beim Abschluss oder bei der Vertriebsunterstützung bereits gespielt haben. Weil solche zielgenauen Informationen fehlen, ist es schwierig, Investitionsentscheidungen für die einzelnen Kanäle abzusichern. Prioritäten werden deshalb häufig immer noch auf der Grundlage eines qualitativen Prozesses und nicht auf Basis verlässlicher Daten gesetzt. Ganz gleich, welche Multikanal-Strategie letztlich umgesetzt wird: Es ist wichtig, sich klare und realistische Ziele zu setzen und einen soliden Rahmen vorzugeben, um die Ergebnisse aus dem Multikanalvertrieb zu erfassen und zu messen.

Anreize: Die Ergebniserfassung und -messung ist zweifellos wichtig, reicht aber per se nicht aus, um die Herausforderungen zu überwinden, die sich aus dem Widerstand in den Filialen ergeben. Um der Angst vor einer Kannibalisierung ihres „angestammten“ Terrains vorzubeugen, halten wir es für sehr wichtig, die Entwicklung des Multikanalvertriebs in die Vergütungsstruktur für wichtige Führungskräfte einzubeziehen, sowohl auf zentraler Ebene als auch im Filialnetz. Die Fähigkeit, den Beitrag des Multikanalvertriebs zur Erlösentwicklung zu fördern, Kosten zu optimieren und Kunden einen besseren Service zu bieten, sollte eines der Hauptkriterien sein, anhand derer die Gesamtleistung von Bankmanagern gemessen wird.

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Schlussfolgerungen

Zwischen den von den Banken formulierten Zielen und der Realität ihres Multikanal-Ansatzes klafft immer noch eine erhebliche Lücke.

Der Übergang von einem Ansatz, bei dem allen Kunden in allen Kanälen sämtliche Produkte angeboten werden, zu einem Ansatz nach dem Motto „das richtige Produkt im richtigen Moment über den geeigneten Kanal” stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Unserer Meinung nach ist diese Herausforderung weniger technischer als vielmehr strategischer und operativer Natur.

Nach unserer Auffassung sollten Privatkundenbanken auf dem Weg zu einem Multikanalangebot zweierlei Arten von Maßnahmen ergreifen:

� Taktische Maßnahmen: Nutzung der vorhandenen Infrastruktur, um den Erlösbeitrag der Direktkanäle zu steigern und gleichzeitig die Marketingaktivitäten und die damit verbundenen Kosten zu optimieren. Ausgehend von der Erfahrung führender Banken glauben wir, dass alternative Kanäle in den nächsten drei Jahren zur Generierung von 20 Prozent des Absatzes der Banken beitragen können.

� Transformatorische Maßnahmen: Besseres Verständnis des Verhaltens der Kunden und ihrer Präferenzen in Bezug auf die einzelnen Kanäle, um eine bislang im Allgemeinen nur unter dem Gesichtspunkt der Werthaltigkeit von Kunden betrachtete Ressourcenverteilung zu überprüfen. Die Erkenntnis, dass selbst einige werthaltige Kunden nur wenig persönlichen Kontakt zu ihrer Bank pflegen, kann helfen, wertvolle Zeit von Kundenberatern einzusparen. Die ersten Banken, die ihren Ansatz in Bezug auf die Ressourcenallokation überprüft und damit begonnen haben, die tatsächliche Nutzung der einzelnen Kanäle zu berücksichtigen, melden eine mindestens 20-prozentige Zeitersparnis für ihre Kundenberater. Diese Zeit kann effizient für Aktivitäten mit höherem Potenzial verwendet werden. Dazu zählen unter anderem Kundenakquisition, Sicherung der Kundenbeziehung in entscheidenden Momenten, Umgang mit Kunden mit hohem Potenzial, die einen intensiven persönlichen Kontakt zu ihrer Bank pflegen.

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Oliver Wyman ist eine internationale Managementberatung. Das Unternehmen verbindet ausgeprägte

Branchenspezialisierung mit hoher Methodenkompetenz bei Strategieentwicklung, Prozessdesign,

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AutorenJérôme Barrué, Partner der Praxisgruppe Retail und Business Banking.

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Dieter Staib, Partner der Praxisgruppe Retail und Business Banking.

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Christoph Stegmeier, Berater der Praxisgruppe Retail und Business Banking.

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