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NACHRICHTEN DER RUDOLF STEINER - NAC H LAS SVERWALTUN G MIT VERÖFFENTLICHUNGEN AUS DEM ARCHIV Nr. 14 Domach Michaeli 1965 (Nachdruck 1985) RUDOLF STEINER ÜBER DIE GEISTIGE WIRKLICHKEIT DER ZAHL Aus einem Brief an Marie von Sivers vom 14. März 1905 aus Manchen Sonntag und Montag waren also hier die öffentlichen Vorträge. Ich bin nun schon ziemlich auch hier auf «Esoterisches» eingegangen. Es war gut besucht. Deinhard war bei beiden Vorträgen .... Ich werde mich in den Vorträgen immer freier ma- chen müssen von der Art der Siebenteilung, wie sie im Anfang namentlich durch den Sinnettschen esoterischen Buddhismus üblich gewesen war. Die dreigliedrige Dreiteilung meiner «Theosophie» ist für die Zwecke des wirklichen Eindringens in die Dinge das einzig mögliche. Die Siebenteilung, ohne diese Zurückführung auf die Dreiteilung, führt nur irre. Das haben die orientalischen Mystiker ebenso wie die abendländischen vom Anfang an gegen die Schematismen Sinnetts einzu- wenden gehabt Deshalb kam auch aus dieser Siebenteilung nicht viel Praktisches heraus. Du siehst: ich spreche in den Mitteilungen der Akasha-Chronik von dem Punkte ab, wo ich über die Mitte der Lemurier hinausgehe, gar nicht mehr von «Unter-Rassen». Und das entspricht genau der Anschauung. Der Unter-Rassen- begriff hat nämlich streng genommen nur eine Bedeutung zwischen der Mitte der lemurischen und dem Ende unseres Zyklus (5.Wurzelrasse). Dann verliert dieser Begriff gegenüber der Anschauung seine Bedeutung. Ebenso verliert weiterhin der Wurzelrassenbegriff seine Bedeutung, hat sie wieder für gewisse Verhältnisse der lunarischen und solarischen Evolution, und nicht mehr vorher. Recht betrachtet gibt es nur 16 wirkliche Menschenrassen: 5 lemurische + 5 atlantische + 5 arische + 1 nacharische. Was vorher und nachher auftrifft, ist etwas anderes als «Rasse». Und so ist vieles, was korrigiert werden muß, weil es bloß gebraucht worden ist durch Ausdehnung der Vorstellungen, die für die Erde gelten, auf das ganze Planetenheer. Daraus ist dann jener unselige Schematismus entstanden, der mechanisch 7 irdische Verhältnisse sich auf allen Planeten rastlos abraspeln läßt. Man hätte anfangs gar nicht anknüpfen können an die theoso- phische Bewegung, wenn man nicht die ewige Multiplikation mit 7 mitgemacht hätte. Aber allmählich muß diese mechanische Multiplikation durch die lebendige geistige Wirklichkeit ersetzt werden.

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NACHRICHTEN DER RUDOLF S T E I N E R - NAC H LAS SVERWALTUN G MIT V E R Ö F F E N T L I C H U N G E N AUS DEM A R C H I V

Nr. 14 Domach Michaeli 1965 (Nachdruck 1985)

RUDOLF STEINER ÜBER DIE GEISTIGE WIRKLICHKEIT DER ZAHL

Aus einem Brief an Marie von Sivers vom 14. März 1905 aus Manchen

Sonntag und Montag waren also hier die öffentlichen Vorträge. Ich bin nun schon ziemlich auch hier auf «Esoterisches» eingegangen. Es war gut besucht. Deinhard war bei beiden Vorträgen.... Ich werde mich in den Vorträgen immer freier ma­chen müssen von der Art der Siebenteilung, wie sie im Anfang namentlich durch den Sinnettschen esoterischen Buddhismus üblich gewesen war. Die dreigliedrige Dreiteilung meiner «Theosophie» ist für die Zwecke des wirklichen Eindringens in die Dinge das einzig mögliche. Die Siebenteilung, ohne diese Zurückführung auf die Dreiteilung, führt nur irre. Das haben die orientalischen Mystiker ebenso wie die abendländischen vom Anfang an gegen die Schematismen Sinnetts einzu­wenden gehabt Deshalb kam auch aus dieser Siebenteilung nicht viel Praktisches heraus. Du siehst: ich spreche in den Mitteilungen der Akasha-Chronik von dem Punkte ab, wo ich über die Mitte der Lemurier hinausgehe, gar nicht mehr von «Unter-Rassen». Und das entspricht genau der Anschauung. Der Unter-Rassen-begriff hat nämlich streng genommen nur eine Bedeutung zwischen der Mitte der lemurischen und dem Ende unseres Zyklus (5.Wurzelrasse). Dann verliert dieser Begriff gegenüber der Anschauung seine Bedeutung. Ebenso verliert weiterhin der Wurzelrassenbegriff seine Bedeutung, hat sie wieder für gewisse Verhältnisse der lunarischen und solarischen Evolution, und nicht mehr vorher.

Recht betrachtet gibt es nur 16 wirkliche Menschenrassen: 5 lemurische + 5 atlantische + 5 arische + 1 nacharische. Was vorher und nachher auftrifft, ist etwas anderes als «Rasse». Und so ist vieles, was korrigiert werden muß, weil es bloß gebraucht worden ist durch Ausdehnung der Vorstellungen, die für die Erde gelten, auf das ganze Planetenheer. Daraus ist dann jener unselige Schematismus entstanden, der mechanisch 7 irdische Verhältnisse sich auf allen Planeten rastlos abraspeln läßt. Man hätte anfangs gar nicht anknüpfen können an die theoso-phische Bewegung, wenn man nicht die ewige Multiplikation mit 7 mitgemacht hätte. Aber allmählich muß diese mechanische Multiplikation durch die lebendige geistige Wirklichkeit ersetzt werden.

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R U D O L F S T E I N E R

ZEICHEN UND ENTWICKLUNG DER DREI LOGOI

IN DER MENSCHHEIT

Gegeben an Edouard Schure im Mai 1906

Die Konstitution der Welt geht auf die Dreiheit zurück. Im menschlichen Evolu­tionssystem sind von der ersten Anlage des Menschwerdens bis zur vollkommenen Entfaltung dieser Anlage zu unterscheiden:

drei Bewußtseinszustände als die erste Dreiheit. Der erste dieser Bewußtseinszustände ist ein mehr oder weniger dumpfer (schlaf­artiger) Bewußtseinszustand, weil das «Ich» noch nicht geboren ist. Der Mensch ist auf dieser Stufe noch ein Glied eines übergeordneten «Ich»; er ist hellsehend, aber er kann die Inhalte seines Hellsehens nicht als die seinigen ansehen.

Der zweite Bewußtseinszustand wird herbeigeführt durch dieGeburt des «Ich». Dieser höhere Zustand wird herbeigeführt dadurch, daß das Hellsehen verloren geht. Das Schauen einer Außenwelt beginnt.

Der dritte Bewußtseinszustand wird dadurch herbeigeführt, daß im «Ich» das Hellsehen wieder auftritt, so daß der Mensch selbstbewußter Hellseher wird.

In der okkulten Schriftsprache wird bezeichnet der erste Bewußtseinszustand durch O d.h. es strahlt von dem Absoluten = • das Bewußtsein aus, die Welt durchflutend O (Kreis).

Nun hat man in jedem dieser drei Bewußtseinszustände wieder drei Unter­stufen zu unterscheiden; also:

Erste Bewußtseinsstufe

Zweite Bewußtseinsstufe

1. Unterstufe I 2. Unterstufe II 3. Unterstufe III

1. Unterstufe IV 2. Unterstufe V 3. Unterstufe VI

Dritte Bewußtseinsstufe 1. Unterstufe VII 2. Unterstufe VIII 3. Unterstufe IX

Die erste Bewußtseinsstufe ist ganz subjektiv d.h. der Mensch nimmt nichts von außen wahr, sondern nur das, was die Gottheit in ihn einpflanzt. Diese Bewußt­seinsstufe arbeitet sich durch die obigen drei Unterstufen der ersten Epoche hin-

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Die dritte Bewußtseinsstufe ist ganz objektiv, d. h. der Mensch wird die ganze Welt als göttlich wahrnehmen: V Die mittlere Stufe hat daher das Zeichen K% * i * Nun geht aber die erste Bewußtseinsstufe kontinuierlich in die zweite über; ebenso die zweite in die dritte; dadurch greifen die entsprechenden Unterstufen III und IV und VI und VII in einander über, so daß folgendes Bild entsteht:

Erste Bewußtseinsstufe

• • * • •

Dritte Bewußtseinsstufe

1. Unterstufe 1 * 2. Unterstufe 2* 3. Unterstufe 1

2 1. Unterstufe 3 2. Unterstufe 3. Unterstufe .

• • •

Zweite Bewußtseinsstufe 4* 5* 6* 7»

So entsteht aus der Neunzahl die Siebenzahl. Es werden nun absolviert diese 7 Bewußtseinsstufen:

1* 2* 3 * 4* 5* 6* 7 *

auf dem Saturn auf der Sonne auf dem Mond auf der Erde auf dem Jupiter auf der Venus auf dem Vulkan.

Gegenwärtig ist der Mensch in 4 *. Man sieht: dem ist vorangegangen 3 *, das aus zwei Unterstufen zusammengeflossen ist, und es wird folgen S *, das wieder aus zwei Unterstufen zusammenfließen wird. Bezeichnet man das reine Monden­bewußtsein mit III und das reine Erdenbewußtsein mit V, so liegt zwischen beiden etwas, was man ab üfarebewußtsein zu bezeichnen hat. Es rührt dies davon her, daß bevor die Erde sich von Mond und Sonne losgerissen hat, sie eine Begegnung mit dem Mars hatte. Eine ebensolche Begegnung findet statt mit Merkur; VI ist das Merkurbewußtsein.

Man nehme nun die Summe der Bewußtseinsstufen, welche der Mensch bis jetzt durchlaufen hat. Es sind V bis zum Erdenbewußtsein. Daher das Zeichen:

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Es ist ein geschlossenes, weil der Mensch ohne das Dazukommen des Merkur­bewußtseins sich in sich selbst verhärten würde. Er käme, ohne sich dem göttlichen Führer (Merkur) auf dieser Stufe anzuvertrauen, in eine Sackgasse seiner Entwicke-lung.

Nun hat ein jeder dieser 7 Bewußtseinszustände sieben Lebenszustände zu ab­solvieren. Das gibt für

Saturn Sonne Mond Erde Jupiter Venus Vulkan

7 Lebenszustände 7

7 7 7 7

»>

» ti

»

»

Die bisherige theosophische Literatur

nennt dies Runden.

Das sind 7x7 Lebenszustände durch die ganze menschliche Evolution hindurch:

7x7 = 49

Nun aber hat man sich die Sache so vorzustellen, daß während der ersten Bewußt­seinszustände das, was Menschenkeim ist, noch nicht sein eigenes Leben entfalten kann. Es ist dabei noch das aus früheren Evolutionen übrig gebliebene Leben, das langsam abflutet und durch das rein menschliche Leben ersetzt wird. Dies ist im Sinne des folgenden Bildes:

Saturn Sonne Mond Erde Jupiter

o o o o o Venus Vulkan

o o abflutendes vormensch­liches Leben

Menschliches Leben

Hier ist der Punkt,

wo das vormenschliche Leben ganz überwunden und das rein menschliche Leben das der Menschen-Evolution wird.

Es gibt also in der menschlichen Evolution einen Punkt, wo innerhalb des ganzen planetarischen Systems das eigene Leben dieses Systems an die Stelle alles von

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einem früheren System tritt. Dieser Punkt ist in der Geschichte die Erscheinung

Christi. Sie bezeichnet in dieser Beziehung die Mitte der Menschheitsevolution.

Die Lebenszustände verlaufen nun wieder in Formzuständen; jeder der 49 Lebens-zustände hat stekn Formzustände durchzumachen, das sind für die ganze Evolution

49x7 = 343 Stufen = 7x7x7. Aber auch die Formzustände sind nicht vom Anfange an die eigen-menschlichen. Es sind die von einem früheren System herübergebrachten. Alles, was sich auf sol­che von einem früheren System stammenden Formzustände bezieht, bezeichnet man als Makrokosmos.

Die Formzustände, welche der Mensch selbst schafft, bilden den Mikrokosmos. Von einem Mikrokosmos kann man erst sprechen, wenn der Menschengeist form­schaffend wird, wie vorher der göttliche Geist (Weltgeist) formschaffend war.

Der Übergang ist die Weltseele - der göttliche Geist, der langsam sich indivi­dualisiert.

In der christlichen Esoterik bezeichnet man die Bewußtseinszustände als Vater. A die Lebenszustände als Sohn oder Wort. B die Formzustände als hl. Geist. C

Die Theosophie nennt A ersten B zweiten C dritten

Logos.

Es ergibt sich nun folgende Obersicht der Evolution, wenn man noch bedenkt, daß

der 1. Logos sich im Menschen offenbart als Atma, der 2. Logos sich im Menschen offenbart als Budhi, der 3. Logos sich im Menschen offenbart als Manas.

Saturn Sonne Mond Erde Jupiter Venus Vulkan

o o o o o o o « v •

Offenbarung des ersten Logos (Vater) der Mensch ist erst im göttlichen Bewußtsein 0

Gottesgeist.

Es tritt hinzu der zweite Logos (Sohn, Wort) der Mensch tritt ein in das Leben -A.

Es tritt hinzu der dritte Logos (hl. Geist) der Mensch tritt ein in die Form h

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1. Logos (Atma)

Gottesgeist

Vater 7

Bewußtseinszustände

also: (Budhi) 2. Logos

Weltseele Makrokosmos

Sohn 7

Lebenszustände

3. Logos (Manas)

Menschengeist Mikrokosmos

hl. Geist 7

Formzustände

o ffi *

7x7x7 = 343 Stufen.

Wenn von diesen 343 = 7x7x7 Stufen 666 = 6x6x6 = 216 vergangen sein wer­den, also nach 5 Planeten (Saturn, Sonne, Mond, Erde, Jupiter) in der Venus, wenn in dieser wieder 5 Lebenszustände verflossen sind, also im 6. Lebenszustand der Venus und im 6. Formzustand dieses 6. Lebenszustandes, dann wird alles abgesondert sein von der Erdenevolution, was nicht zur Vollkommenheit kommen kann; die Zahl 666 = 216 ist daher die kritische Zahl der Evolution (Apokalypse).

Ein kritischer Zustand tritt aber (wenn auch ein kleinerer als im bezeichneten Zeitpunkte) auch sonst ein, wenn das Evolutionsverhältnis 666 ist, z.B.

in der 6.Unterrasse der 6. Wurzelrasse des 6. Planeten, wobei Mars und Merkur mitgerechnet werden, also fol­gender Zyklus entsteht:

1. Saturn 2. Sonne 3. Mond 4. Mars 5. Erde 6. Merkur - dieser Einfluß ist dann in der nächsten

6.Unterrasse schon ein großer.

Die Menschheit wird also dann schon an einen kritischen Punkt ihrer Entwick­lung kommen.

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ZU DEN VORSTEHENDEN VERÖFFENTLICHUNGEN

Die Rolle der Dreizahl in der Ordnung des Kosmos und der Menschheitsentwick­lung gehört zu den grundlegenden Wahrheiten, die Rudolf Steiner unter immer neuen Aspekten behandelt hat. Schon in seinem Buche «Theosophie» (1904, Ge­samtausgabe 1961) zeigt er, wie sich die Gliederung des Menschen in vier, sieben und neun Wesensglieder aus der Dreizahl, nämlich seiner Zugehörigkeit zur phy­sischen, seelischen und geistigen Welt, herleitet. Damit distanzierte er sich von dem Dogmatismus der englisch-indischen Theosophie, welche die Siebenzahl zu einem starren Schema gemacht hatte, in das die Evolution hineingepreßt wurde. In sei­nem Brief an Marie von Sivers vom 14. März 1905 le t̂ Rudolf Steiner dar, worum es grundsätzlich geht: Nicht durch abstrakte Theorien oder Spekulationen, son­dern erst durch lebendige Geisterkenntnis läßt sich das Geheimnis der Zahl er­schließen. Ober die Relation der Siebenzahl zu anderen Zahlen hat Rudolf Steiner in der Folgezeit in verschiedenen Zusammenhängen gesprochen, so in den 1909 in München gehaltenen Vorträgen «Der Orient im Lichte des Okzidents» (Gesamt­ausgabe 1960), wo die Sieben als Grundzahl der Zeit und die Zwölf als Grundzahl des Raumes gekennzeichnet wird. Auch die Vortragszyklen «Das Matthäus-Evangelium» (Gesamtausgabe 1959), «Okkulte Geschichte» (Gesamtausgabe 1956) und «Die Geheimnisse der Schwelle» (Gesamtausgabe 1960) enthalten wichtige Angaben über bestimmte Zahlenverhältnisse.

In Zusammenhang mit dem Pariser Vortragszyklus vom Mai/Juni 1906 ent­standen Rudolf Steiners Aufzeichnungen über «Zeichen und Entwicklung der drei Logoi in der Menschheit». Er verfaßte sie für Edouard Schure*, dem er damals ge­meinsam mit Marie von Sivers zum ersten Mal persönlich begegnete. Den Pariser Zyklus charakterisiert Rudolf Steiner im «Lebensgang» Kapitel XXXVII als eine Art Markstein.* Wörtlich schreibt er sodann: «Es wurde von mir in diesem Vor­tragszyklus das gegeben, was ich an dem für das Menschenwesen leitenden spiri­tuellen Erkenntnissen als in mir <reif> empfand.» Eine Zusammenfassung dieser Vorträge, von denen keine reguläre Nachschrift existiert, veröffentlichte Schure" 1928, im Jahr vor seinem Tode, unter dem Titel «Esquisse d'une Cosmogonie psychologique, d'apres des Conferences faites ä Paris en 1906 par Rudolf Steiner» (2. Aufl. Paris 1957). Ebenso wie andere für Edouard Schure* bestimmte dokumen­tarische Mitteilungen** trägt die hier wiedergegebene Niederschrift eben aus­gesprochen intimen Charakter. Ober die drei Logoi als höchste Dreiheit hat Rudolf Steiner mehrmals gesprochen, so 1904 in Vorträgen in Berlin, von denen indessen nur fragmentarische Notizen vorhanden sind, später in den 1907 in München ge­haltenen Vorträgen «Die Theosophie des Rosenkreuzers» (Gesamtausgabe 1962) und in dem Karlsruher Zyklus von 1911 «Von Jesus zu Christus» (Gesamtaus­gabe 1958). Grundlegende Angaben über die Phasen der planetarischen Evolution sind ferner in den Vortragszyklen «Vor dem Tore der Theosophie» (Stuttgart 1906, Gesamtausgabe 1964) und «Die Apokalypse des Johannes» (Nürnberg 1908, Ge­samtausgabe 1962) zu finden. g

* Siehe hierzu: «Am dem Leben von Marie Steiner-von Sivers», Dornach 1956, S. 43ff; S. Rihouet-Coroze, «Rudolf Steiner - Une epopee de l'esprit au XXe siecle», Paris 1950, S. 173 ff.; Camille Schneider, «Edouard Schures Begegnungen mit Rudolf Steiner», Basel 1933, S.10ff; Ludwig Kleeberg, «Wege und Worte», 2. Aufl. Stuttgart 1961, S. 92 ff.

** Vergl. Nr. 13 der «Nachrichten», ferner die in Nr. 6,7, 8,9,10 und 11 abgedruckten Briefe von Rudolf Steiner und Marie von Sivers an Edouard Schürt.

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DIE AUSSTELLUNG 1965

aus dem Archiv der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung in der Rudolf Steiner-Halde in Dornach

In diesem Jahr zeigt die Rudolf Steiner-Nachlaß Verwaltung ihre 14. Jahresausstel­lung. Sie steht im Zeichen des 40. Todesjahres Rudolf Steiners und ist aus diesem Grunde biographisch gestaltet in dem Sinne, daß eine Art Querschnitt aus der Ent­wicklung von Rudolf Steiners Weltanschauung mit einer im folgenden wieder­gegebenen Chronik des Jahres 1909 zugrunde gelegt wurde. In den zu der Chronik in Beziehung stehenden ausgestellten Bildern, Piastiken, Zeichnungen und Hand­schriften wird anschaulich, wie Rudolf Steiner es als ein Ideal anstrebte, die Er­gebnisse seiner Geisteswissenschaft auch in sinnlich-schöner Form anschaubar zu machen. Dies spricht er in seinem anschließend an diesen Oberblick wieder­gegebenen Brief an Marie von Sivers aus.

Zum Jahre 1909 führte ein Wort Rudolf Steiners über Lebensrhythmen, wel­ches, auf ihn selbst angewendet, durch die an der Chronik von 1909 ablesbaren Ergebnisse, eindrucksvoll bestätigt wird:

«So würde man leicht nachweisen können, wie künstlerische Naturen einen gewissen Rhythmus, eine gewisse Periodizität in ihrem Schaffen zeigen, einen ge­wissen Rhythmus nach Tagen, nach Wochen, nach Jahren usw. Das kann gerade bei Künstlern allerersten Ranges recht leicht gezeigt werden, zum Beispiel an Goethe: daß tatsächlich in seiner Seele irgend etwas auftritt und nach

vier mal sieben fahren

eigentlich erst reifen wird und dann in einer anderen Gestalt, als wir es zuerst in der Seele Goethes haben auftreten sehen, herauskommt.

Man könnte nun leicht nach den Neigungen der heutigen Zeit sagen: Ja, mein lieber Geistesforscher, solche Gesetze mag es ja geben, aber warum soll sich der Mensch viel darum kümmern? Instinktiv wird er sie schon beobachten! - Ja, dieser Satz galt für die Vergangenheit. Weil aber die Menschen immer selbständiger wer­den, immer mehr und mehr hinhorchen auf die eigene Individualität, müssen sie auch immer mehr und mehr einen inneren Kalender in sich entwickeln lernen. Wie die Menschen einen äußeren Kalender haben, der seine große Bedeutung hat für die physischen Verrichtungen, so wird der Mensch für die Zukunft, wenn seine Seele an Intensität wächst, zum Beispiel innere Wochen fühlen, wird ein auf- und ab­wogendes Lebensgefühl und innere Sonntage fühlen. Denn nach Verinnerlichung hin rückt die Menschheit vor.» (Berlin, 7.3.1911 in «Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums», Gesamtausgabe 1963.)

Versucht man der Bedeutung dieses Lebensrhythmus von vier mal sieben Jahren in bezug auf die Entwicklung von Rudolf Steiners Weltanschauung nachzugehen, so muß man ausgehen davon, daß er im ersten Kapitel seines «Lebensganges» be­schreibt, wie seine Weltanschauung «schon mehr oder weniger unbewußt» während der Kindheit in ihm lebte und «um das 20. Lebensjahr herum eine bestimmte, voll­bewußte Gestalt» annahm, das heißt, daß Rudolf Steiners Weitanschauung sich

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vor nunmehr zwölf mal sieben Jahren, um das Jahr 1881 zu einer ganz bestimmten formte. Nimmt man nun dazu den von ihm für geistiges Schaffen als bedeutsam bezeichneten Rhythmus von vier mal sieben Jahren, so ergibt sich das Jahr 1909. Am Jahre 1909, das außerdem noch die erste Siebenjahr-Epoche der anthropo-sophischen Bewegung abschließt, müßte sich demgemäß einiges ablesen lassen, was für die Andiroposophie bedeutsam ist. In der Tat treten allerwesentlichste Motive und Lebensimpulse der Anthroposophie in diesem Jahre zum erstenmal in Er­scheinung:

1909 1. Januar Im Berliner Zweigvortrag erstmalige Darstellung der Polarität Luzifer-Ahriman.

6. Januar In der Weihnachtsfeier im Münchner Zweig wird zum erstenmal dargestellt der Zusammenhang der Gestalten Novalis-Raffael-Johannes-Elias, und Marie von Sivers rezitiert in dem mit Raffael-Madonnen geschmückten Raum die Marienlieder des Novalis.

28.Dezember 1908 und 21. Januar 1909 Beginn der Betrachtungen über komplizierte Wiederverkörperungsfragen, in denen der Begriff der Wiederverkörperung auch auf einzelne Wesens­glieder ausgedehnt wird. (Die Vorträge erscheinen demnächst innerhalb der Gesamtausgabe unter dem Titel «Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen - Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit».)

Anfang des Jahres Erste szenische Wiedergabe aus «Faust II» durch Marie von Sivers im Ber­liner Kunstzimmer.

5./6. April nachts Unter dem ersten Frühlingsvollmond feierliche Grundsteinlegung des Mal­scher Modellbaues durch Rudolf Steiner.

12.-22. April Innerhalb des Düsseldorfer Vortragszyklus «Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt» erste Darstellung des Wesens der Bodhisattvas vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt.

5. Mai Einweihung des neuen Zweigraumes in Berlin. Erster von Rudolf Steiner ausgestalteter Zweigraum. «Bei der Gelegenheit, die es uns möglich gemacht hat, unsere bisher uns schon etwas zu eng gewordenen Räumlichkeiten mit größeren zu vertäu-

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sehen, haben wir auch versucht, den Raum in der entsprechenden Weise auszugestalten.» In diese Raumgestaltung wurden einbezogen die beiden Raffael-BUder «Schule von Athen» und «Dispute», über die Rudolf Steiner in seiner Be­trachtung auch ausführlich spricht.

30. Mai Bei dem allgemeinen theosophischen Kongreß in Budapest wird Rudolf Steiner für sein Werk «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», welches Ende 1908 in englischer Obersetzung erschien, die große Subba Row-Medaille verliehen. Bei diesem Kongreß tritt bereits die Divergenz Besant/Steiner in der Chri­stus-Auffassung in Erscheinung.

18. Juni Rudolf Steiner berichtet im Berliner Zweig über den Budapester Kongreß und deutet dabei erstmals sein andersgeartetes Wissen an als dasjenige von Annie Besant ist vom Wiedererscheinen Christi. (Später, am 6.2.1917, gibt Rudolf Steiner als Zeitpunkt, von dem ab Chri­stus im Ätherischen wahrnehmbar war, das Jahr 1909 an. Vgl. «Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha», Gesamtausgabe 1961)

4Juli Innerhalb des Vortragszyklus in Kassel «Das Johannes-Evangelium im Ver­hältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evange­lium» findet eine Novalis-Matinee statt. Marie von Sivers rezitiert die Marienlieder des Novalis, und es spricht Rudolf Steiner noch einmal in feierlicher Weise über das Novalis-Raffael-Johannes-Elias-Geheimnis.

August Erste Festspielveranstaltung in München mit über 600 Teilnehmern. Auf­geführt wird das Mysterienspiel von Edouard Schure* «Die Kinder des Luzifer», aus dem Französischen übersetzt von Marie von Sivers, in freie Rhythmen gebracht von Rudolf Steiner. Sämtliche Mitwirkenden sind Mit­glieder-Regieführung Rudolf Steiner - Bühnenbilder nach seinen Angaben. Innerhalb des sich an die Aufführung anschließenden Vortragszyklus «Der Orient im Lichte des Okzidents - Die Kinder Luzifers und die Brüder Christi» hält Rudolf Steiner kurz Rückschau auf sieben Jahre Arbeit in der deutschen Sektion und führt die in Düsseldorf (April) begonnenen Aus­führungen über das Wesen der Bodhisattvas weiter. Der große Erfolg der Veranstaltung erweist den Veranstaltern die Notwen­digkeit eines eigenen Baues.

15.-26. September Innerhalb des Vortragszyklus in Basel über «Das Lukas-Evangelium» spricht Rudolf Steiner zum erstenmal von der Existenz zweier Jesusknaben im Beginne unserer Zeitrechnung. Gemäß Vortrag Kopenhagen, 14. Oktober 1913 in «Vorstufen zum Myste-

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rium von Golgatha», rechnet Rudolf Steiner dieses geisteswissenschaftliche Forschungsergebnis als zum Fünften Evangelium gehörig, so daß der Beginn von dessen Darstellung ebenfalls in das Jahr 1909 fällt. In einer Privatunterredung während dieses Zyklus mit Ernst Uehli äußert sich Rudolf Steiner über die Bauabsichten der Münchner Freunde «und zeichnete auf ein Blatt Papier den Grundriß mit einigen erläuternden Be­merkungen auf. Es war der Grundriß eines Doppelkuppel-Baues». (Ernst Uehli, Leben und Gestaltung, S. 49.)

12. Oktober Rudolf Steiner schreibt das Vorwort zur ersten deutschen Buchausgabe von «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?».

Oktober-Generalversammlungszeit in Berlin.

23.-27. Oktober Mit vier Vorträgen spricht Rudolf Steiner zum erstenmal vor Theosophen über Anthroposophie «für eine ernste und würdige Fundamentierung un­serer geistigen Strömung», nachdem er vor 7 Jahren, zur Zeit der ersten Generalversammlung der deutschen Sektion, vor Nicht-Theosophen, im Kreise der «Kommenden» das «historische Kapitel der Anthroposophie» vorgetragen hatte. Nun «nach sieben Jahren scheint heute die Zeit gekom­men, wo ein Zyklus erfüllt ist, wo nun in einem umfassenderen Sinne ge­sprochen werden darf von dem, was Anthroposophie ist.» Damit beginnt ein wichtigstes Kapitel der anthroposophischen Geistes­wissenschaft, die Anthroposophie im engeren Sinne: Eine neue Sinneslehfe (siehe den Beitrag «Zum Erscheinen des Bandes Anthroposophie, Psycho-sophie, Pneumatosophie>» Seite 18 ff.).

24. Oktober Generalversammlung. Rudolf Steiner beginnt seine Eröffnungsrede mit den Worten:

«So wie ich in der vorjährigen Generalversammlung darauf hinweisen durfte, daß wir in das siebente Jahr unseres Bestehens der deutschen Sektion eintreten, können wir bei der Eröffnung der diesjährigen Versammlung davon sprechen, daß wir nun das siebente Jahr unseres Bestehens als deut­sche Sektion hinter uns haben. Bei dieser Gelegenheit darf wohl von vorn­herein bei Theosophen vorausgesetzt werden, daß sie ein Gefühl haben für das, was man eine zyklische Entwicklung der Ereignisse nennt. Demnach bedeutet also unser heutiges Zusammensein, nachdem der erste siebenjährige Turnus abgelaufen ist, eine besondere Art von Feier und Weihe.»

25. Oktober Mit dem Vortrag über die Mission der Bodhisattvas in der Welt wird das vor sieben Jahren begonnene historische Kapitel der Anthroposophie wei­tergeführt.

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«Solche Begriffe wie zum Beispiel den der Bodhisattvas hatte man jahr­hundertelang eben nicht in der abendländischen Geistesentwickelung. Und erst wenn man an ihnen sich orientiert hat, steigt man in entsprechender Weise hinauf zur Erkenntnis dessen, was der Christus für die Menschheit gewesen ist, sein kann und fortwähred sein wird.» (In der rückschauenden Betrachtung des Vortrages in Berlin am 17.10.1910.)

28. Oktober Rudolf Steiner hält zum Abschluß der Generalversammlungszeit seinen großen Vortrag über das Wesen der Künste und ihren Zusammenhang mit den Sinnen des Menschen.

November Bei seinen Vorträgen in verschiedenen Städten macht Rudolf Steiner jedes­mal auf die Bedeutung des abgelaufenen Zyklus von sieben Arbeitsjahren aufmerksam, so zum Beispiel in Stuttgart am 13. November: «Was oftmals gesagt wird in den verschiedenen Vorträgen über die in der 7-Zahl ablaufenden Zyklen, das ist keine Redensart, das entspricht wirk­lich einem Gesetz des Daseins. Und indem wir einen siebenjährigen Zyklus in dem Leben der deutschen Sektion nun vollendet haben, da darf es gesagt werden, daß wir eigentlich einige Momente ein wenig Einkehr halten soll­ten in unser ganzes Streben, in unser ganzes Arbeiten. Dieses Arbeiten, das ist ja nur dann möglich, wenn die spirituelle Bewegung so abläuft, daß sie sozusagen in ihrer inneren Gesetzmäßigkeit etwas von den Gesetzen der großen Weitordnung enthält. Die Weltordnung läuft ab in Zyklen, die man nach der 7-Zahl rechnen kann. Wir zählen auf: 7 planetarische Zustände, 7 Zustände innerhalb der planetarischen Welten usw. usw. Aber auch bei einer solchen Bewegung, wie die unsrige ist, spielt die 7-Zahl eine gewisse Rolle, und es kehrt gewissermaßen das Streben nach 7 Jahren zu seinem Anfang zurück, indem es sich einverleibt hat in der Zwischenzeit dasjenige, was erarbeitet worden ist: es kehrt das Streben auf einer höheren Stufe wiederum nach seinem Anfang zurück. So etwas ist nur möglich dann zu erreichen, wenn aber auch die tiefere, innere Gesetzmäßigkeit der Sache nicht außer acht gelassen wird.»

Dezember Das im Laufe des Jahres 1909 niedergeschriebene Werk «Die Geheimwissen­schaft im Umriß» wird ausgedruckt und erscheint in den Januartagen 1910. Das Vorwort, ursprünglich laut Manuskript im Oktober niedergeschrieben, erhält die Datierung «Geschrieben im Dezember 1909».

Weihnachten Erstmalige Aufführung eines Weihnachtsspieles im Berliner Kunstzimmer. Weihnacntsvortrag im Berliner Zweig über Novalis als Verkünder des spi­rituell zu erfassenden Christentums mit Novalis-Rezitation durch Marie von Sivers.

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Marie Steiner-von Sivers schrieb in ihrem Begleitwort für die Herausgabe dieses Vortrages: * Nirgends so deutlich wie in diesem zur Weihnachtszeit 1909 gehaltenen Vortrag spricht Rudolf Steiner es aus, daß er der Träger ist einer Aufgabe, daß er einer Weisung folgt, die ihm aus der geistigen Welt zugeflossen ist: das wirkliche Verständnis der Evangelien vorzubereiten und herbeizu­führen, das kommende Christentum aufzuhauen.»

* * *

Im Zusammenhang damit, daß Rudolf Steiner im Jahre 1909 zum erstenmal von dem gesprochen hat, was Frau Marie Steiner «das Novalis-Raffael-Johannes-Elias-Geheimnis» nennt, sind in der Ausstellung Bilder dieser großen Verkündiger des Christus-Impulses zu sehen.

Diese vier Bilder, nach Werken Raf f aels und einem Bildnis des Novalis, gestal­tete in Hell-Dunkel William Scott Pyk auf Veranlassung von Frau Marie Steiner für das erste Bühnenbild von Rudolf Steiners Mysteriendichtung «Der Hüter der Schwelle», da solche Bilder auch bei der Uraufführung in München (1912) unter Regie von Rudolf Steiner angebracht gewesen waren.

Frau Marie Steiner erzählt in ihren «Erinnerungen» (II), wie es dazu kam, daß Rudolf Steiner zum ersten Male das Individualitäts-Geheimnis Novalis-Raffael-Johannes-Elias mitteilte:

«Es war zu der Zeit, wo er mich ermutigte, immer mehr mit der Rezitation herauszutreten. Ich versuchte damals, mich zu Novalis durchzuringen. Ich teilte ihm mit, daß es mir nicht leicht würde, daß ich den Schlüssel zu Novalis Wesen noch nicht gefunden hätte. Er gab mir den Rat, mich in die Stimmung der heiligen Nonnen hineinzuversetzen. Die Nonnen halfen mir nicht. Im Gegenteil. Ich wußte nichts Rechtes mit ihnen anzufangen. Da auf einmal hellte es sich auf. Raff aels Gestalten umstanden mich. Das Kind leuchtete auf den Armen der Mutter mit seinen weltentiefen Augen. <Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich aus­gedrückt . . . > Tönendes Weltmeer ringsherum, Farbenharmonien. Ich sagte zu Rudolf Steiner: <Die Nonnen haben's nicht getan. Aber ein anderer hat geholfen. Raff ael. Jetzt ist mir Novalis ganz durchsichtige Ein Leuchten ging über Rudolf Steiners mildes Antlitz.

Einige Tage später gab er uns zum erstenmal das Novalis-Raffael-Johannes-Elias-Geheimnis.

Wir sind immer wieder zu ihm zurückgeführt worden, von den verschieden­sten Aspekten aus. Das letzte, schwerste, weil von einer andern Individualitäts­linie durchkreuzt, gab er uns am Vorabend jenes Michaeli-Tages - und brach ab — Er brachte den Vortrag nicht so weit, wie er es ursprünglich gewollt hatte. Er gab uns den ersten Teil des Mysteriums des Lazarus; damals sagte er mir nicht nur, sondern schrieb auch später auf den Umschlag der ersten Nachschrift: Nicht wei­tergeben, bis ich den zweiten Teil dazu gegeben haben werde. - Man hat es ihm dann trotzdem abgerungen, wie so manches.

Jetzt wird er diesen zweiten Teil uns nicht mehr geben. Unsern Erkenntnis­kräften wird es vorbehalten bleiben, das Richtige zu unterscheiden zwischen den

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Inkarnations- und Inkorporationsgeheimnissen, den Durchkreuzungen der Indivi­dualitätslinien. Er endigte mit dem, was wie ein roter Faden durchgegangen war durch seine Weisheitsoffenbarungen: dem Mysterium von Novalis, Raffael, Jo­hannes.»

Dieser rote Faden geht vom Winter 1901/02 an, da Rudolf Steiner als Lehrer einer anthroposophisch-orientierten Geisteswissenschaft auftritt und sowohl im Kreise der Berliner Theosophen als auch von Außenstehenden, dem damaligen literarisch-avantgardistischen Kreise «Die Kommenden», mit seiner Rechtfer­tigung des Christentums beginnt, und zwar durch «jene Interpretation des Jo­hannes-Evangeliums, die einsetzt bei der Erweckung des Lazarus» (laut Vortrag Dornach 11.6.1923), wie sie dann in dem Buche «Das Christentum als mystische Tatsache» im Sommer 1902 veröffentlicht wird. Sieben Jahre später, Weihnachten 1908, rezitiert Marie von Sivers erstmals die Marienlieder des Novalis, und wenige Tage darauf, am 6. Januar 1909, in der Weihnachtsfeier im Münchner Zweig, spricht Rudolf Steiner zum ersten Male von dem Individualitätszusammenhang der Gestalten Novalis-Raffael-Johannes-Elias, auf den er dann immer wieder zu sprechen kommt und der durch die Darstellung in der Ansprache am Vorabend des Michaeli-Tages 1924, der sogenannten «Letzten Ansprache», durch Schicksals­fügung zu einem Vermächtnis geworden ist.

Die Ausstellung ist noch vom 25. September bis 9. Oktober zu besichtigen.

Hella Wiesberger

RUDOLF STEINER AN MARIE VON SIVERS

Aus einem nicht datierten Brief, vermutlich Nürnberg, 25. November 1905

Dies sollte unser Ideal sein, Formen zu schaffen als Ausdruck des inneren Lebens. Denn einer Zeit, die keine Formen schauen und schauend schaffen kann, muß not­wendigerweise der Geist zum wesenlosen Abstraktum sich verflüchtigen und die Wirklichkeit muß sich diesem bloß abstrakten Geist als geistlose Stoffaggregation gegenüberstellen. -

Sind die Menschen imstande, wirklich Formen zu verstehen, zum Beispiel die Geburt des Seelischen aus dem Wolkenäther der Sixtinischen Madonna: Dann gibt es bald für sie keine geistlose Materie mehr. - Und weil man größeren Menschen­massen gegenüber Formen vergeistigt doch nur durch das Medium der Religion zeigen kann, so muß die Arbeit nach der Zukunft dahin gehen:

Religiösen Geist in sinnlich-schöner Form zu gestalten.

Dazu aber bedarf es erst der Vertiefung im Inhalte. Theosophie muß zunächst diese Vertiefung bringen. Bevor der Mensch nicht ahnt, daß Geist im Feuer, in Luft, Wasser und Erde lebt, wird er auch keine Kunst haben, welche diese Weisheiten in äußerer Form wiedergibt.

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ZUM 28. SEPTEMBER 1924

Anläßlich der bevorstehenden Neuerscheinung «Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wtederverkörperungsfragen.

Ein Aspekt der geistigen Fuhrung der Menschheit»

Aus der ungeheuren Fülle des von Rudolf Steiner geschaffenen Werkes den plan­vollen Aufbaugedanken herauszuarbeiten, ist eine vielseitige und schwierige, aber sicherlich notwendige Aufgabe, wenn sie auch voll lösbar erst wird sein können, wenn einmal die Gesamtausgabe in ihrer Ganzheit vorliegt.

Zu den geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnissen, denen gegenüber man sich ganz besonders aufgerufen fühlt, ihrer Stellung im Gesamtaufbau und ihren Beziehungen zu anderen verwandten Forschungsresuitaten nachzugehen, gehören diejenigen über das «Gesetz der spirituellen Ökonomie», wie sie Rudolf Steiner ausschließlich im Jahre 1909 dargestellt hat und die nun gesammelt in dem oben­genannten neuen Bande erscheinen. Wenn auch der eine oder andere Vortrag dar­aus schon früher gedruckt war, so wird doch die prinzipielle Bedeutung dieser Ausfüllrungen für die gesamte Wiederverkörperunpforschung Rudolf Steiners erst durch die Zusammenfassung aller Einzeldarstellungen so richtig evident. Ein zweites Faktum ist, daß sie den Auftakt bilden für die große Thematik, die unter dem Signum «Die geistige Führung der Menschheit» steht. Und zum Dritten ver­binden sie in erhellender Weise alles das, was Rudolf Steiner von seiner geistigen Erforschung der Johannes-Lazarus-Gestalt als einer der großen Führergestalten der Menschheit, ausgesprochen hat und was sich nach Marie Steiner «wie ein roter Faden» durch das ganze Werk zieht. Bezeichnenderweise geschah es in einem auch für die Entwicklung der anthroposophischen Bewegung bedeutsamen zeitlichen Dreiklang: 1901/02 zu Beginn der geisteswissenschaftlichen Vortragstätigkeit, in den Vorträgen, die zu dem Buch «Das Christentum als mystische Tatsache» ver­arbeitet wurden; sieben Jahre später, um die Jahreswende 1908/09, als Rudolf Steiner unmittelbar nach der ersten Betrachtung über das «Gesetz der spirituellen Ökonomie» auch zum erstenmal einen größeren Inkarnationszusammenhang be­spricht,* und zwar gerade an dieser Führergestalt des esoterischen Christentums, der wiederum fünfzehn Jahre später eine Betrachtung gewidmet ist, mit welcher Rudolf Steiner seine Vortragstätigkeit abbrechen mußte und die dadurch zu einem schicksalhaften Vermächtnis geworden ist: die sogenannte «Letzte Ansprache» vom 28. September 1924.

Das Grundsätzlich-Neue, was durch die Vorträge des obigen Bandes vermittelt werden sollte, hat man nun zweifellos zu sehen in der durch sie gegebenen Erweite­rung des Wiederverkörperungsgedankens, der ja von Rudolf Steiner als das «Fun­damental-Neue» bezeichnet wird, was durch die Anthroposophie für das Abend­land auftritt, sogar, wie er hinzufügt, in bezug auf die Christus-Frage.** Wieder­verkörperung und Karma, diese beiden Ideen, die in gewissem Sinne eine Einheit bilden, sie leben ja im Gesamtwerk wiederum in einer dreifachen Bezüglichkeit. Denn immer werden Menschen- und Weltschicksal und die hinter beidem waltende

* Von dieser ersten Darstellung bei einer Weihnachtsfeier in München, am 6. Januar 1909, gibt es keine Nachschrift, sondern nur die Erinnerungsschilderung eines Teilnehmers, Max Gümbel-Seiling in «Gedenkblatt für Marie Steiner, geb. von Sivers», Stuttgart 1949.

** «Wiederverkörperung und Karma und ihre Bedeutung für die Kultur der Gegenwart», 5 Vor­trage Berlin und Stuttgart 1912, Gesamtausgabe 1959,5. Vortrag.

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geistige Führung nach den mannigfaltigsten Gesichtspunkten untersucht und dar­gestellt und bilden so die Fülle des Gesamtwerkes. In diesem Zusammenhang müs­sen die Inhalte des neuen Bandes gesehen werden, um ihre Bedeutung für das Ganze der Anthroposophie voll werten zu können.

Zu der Zeit, da Rudolf Steiner diese Vorträge hielt, arbeitete er auch an seinem großen Werk «Die Geheimwissenschaft im Umriß». Zu dieser Zeit schließt der erste Siebenjahreszyklus für eine anthroposophische Bewegung, und es setzt der Versuch ein, in den Vorträgen für die Mitglieder ein - wie es heißt - «höheres Kapitel» der Geisteswissenschaft zu behandeln. Begonnen wurde damit in Berlin am 28. Dezember 1908. Da Nachschreiben diesesmal ausdrücklich nicht gestattet war, gibt es hiervon keine Nachschrift. Aus einigen wenigen, von einem Zuhörer aus dem Gedächtnis hinterher festgehaltenen Punkten geht jedoch hervor, daß es sich um dieselben Dantellungen handelte, wie sie darauffolgend an anderen Orten gegeben und weitergeführt wurden. Schon das Faktum, daß bei den ersten Aus­führungen Rudolf Steiner das Nachschreiben nicht erlaubte, kennzeichnet die Inhalte. Sie bewegen sich alle nahezu ausschließlich um komplizierte Wiederver-körperungsfragen. Aber eben erst durch die Zusammenschau der verschiedenen Einzeldarstellungen wird so richtig evident, wie eindrucksvoll anders der Wieder-verkörperungsgedanke von Rudolf Steiner nunmehr behandelt wird. Kannte man doch bis dahin - weitgehend sogar heute noch - den Begriff der Wiederverkörpe-rung nur für die menschliche Entelechie, den ewigen Wesenskern des Menschen. Hier wird er nun auch auf andere Wesensglieder ausgedehnt. Der Unterschied der beiden Aspekte dieses einen Begriffes bestellt darin, daß der Wiederverkörperungs-vorgang für einzelne Glieder nicht dieselbe allgemeine Gültigkeit hat, wie für das menschliche Ich. Seine Notwendigkeit in bestimmten Fällen - die jedoch, wie betont wird, häufiger seien als man gemeinhin annehme-resultiert aus dem «Gesetz der spirituellen Ökonomie», dem Prinzip der Erhaltung von einmal erworbenem Geistig-Wertvollen für die Zukunft. Dies wird verdeutlicht an Beispielen aus der Geschichte, angefangen von der alten Atlantis, bis in die Neuzeit.

Im Lichte dieser Forschungsergebnisse differenziert sich der die Geschichte be­wirkende Strom untergründiger Kräfte und Vorgänge in ganz konkreter Weise. Sind es doch die Menscnenseelen selbst, welche durch ihre Wiederverkörperungen die Ergebnisse der einen Epoche in die andere hinübertragen und so Geschiente bewirken. Von echtem Geschichtsverständnis ist daher die Idee der Wiederverkör­perung nicht zu trennen. Es bilden aber diese Betrachtungen gleichzeitig noch eine Art Introduktion zu einem der wesentlichsten Kapitel anthroposophischer Ge-Schichtserfassung, eben demjenigen von der geistigen Führung der Menschheit. Denn unmittelbar nach Beginn der Auseinandersetzungen über den Wiederverkör-perungsvorgang in seiner ganzen Kompliziertheit setzten auch diejenigen ein über die großen Menschheitsführer: die Bodhisattvas.* Eine prinzipielle Voraussetzung bilden sie ferner für das Verständnis der spezifisch christologischen Forschungs­ergebnisse der Jahre 1909-14, zusammengefaßt unter der Bezeichnung «Das Fünfte Evangelium».**

Erhält auf diesem Hintergrunde das angeführte Wort, daß das Fundamental-

* Erstmals im April 1909 im Zyklus «Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der phy­sischen Welt», Gesamtausgabe 1960; dann im August 1909 im Zyklus «Der Orient im Lichte des Okzidents. Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi», Gesamtausgabe 1960; und dann darauffolgend im Oktober 1909 zur Generalversammlungszeit in Berlin in dem großen Vortrag «Die Sphäre der Bodhisattvas», 1. Vortrag im Zyklus «Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewußtseins», Gesamtausgabe 1961.

** Vergleiche hierzu die zeitliche Übersicht in Heft 8 der «Nachrichten» Weihnachten 1962.

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Neue, was durch die Anthroposophie für das Abendland auftritt, sogar in bezug auf die Christus-Frage, in der konkreten Erfassung der beiden Ideen von Wieder­verkörperung und Karma liegt, nicht erst seine volle Begründung und intensives Leben? Wird es dadurch nicht selbstverständlich und natürlich, daß von sehen Rudolf Steiners gleich bei der Begründung der anthroposophischen Bewegung die Absicht vorlag, die Besprechung des Karma- und Wiederverkörperungskomplexes ganz im Konkreten anzugehen? Warum sich das damals, im Jahre 1902, nicht realisieren ließ, charakterisierte er selbst rückschauend im Verlaufe der großen Karmavorträge des Jahres 1924.

Nun erhebt sich aber an diesem Punkte die Frage: Warum kam Rudolf Steiner innerhalb seiner großen Karmabetrachtungen von 1924 wohl auf seinen ersten Versuch dieser Art von 1902 zu sprechen, jedoch nicht auch auf denjenigen von 1909? Eine Antwort darauf kann sich ergeben, wenn man versucht, den Aufbau des Werkes chronologisch zu verfolgen. Da wird zum Beispiel wichtig die Schluß­bemerkung des Vortrages vom 23.September 1924: daß damit dieser Zyklus der Karmabetrachtungen abgeschlossen sei. Von den insgesamt 81 Karmavorträgen des Jahres 1924 war dies der 50. der in Dornach gehaltenen. Auch Rudolf Steiner dachte damals keineswegs, daß damit seine Vortragstätigkeit überhaupt abgeschlos­sen werde. Denn wie er noch selbst ankündigte, sollte der nächste Vortrag drei Tage später stattfinden. Es ist nicht bekannt, welche Thematik dann behandelt werden sollte, vermutlich aber hätte sie auch auf dem Karma-Gebiete gelegen. Doch dieser Vortrag wurde nicht mehr gehalten. Es war zum erstenmal, daß Rudolf Steiner einen Vortrag absagen mußte. Nach weiteren zwei Tagen raffte er noch einmal seine Kräfte zusammen, um zu den Mitgliedern aus Anlaß des Michael-festes zu sprechen. Es wurde seine Abschiedsrede, die «Letzte Ansprache». Er konnte sie nicht zu Ende führen. Frau Marie Steiner berichtet in ihren Erinnerun­gen, daß er ihr damals schon sagte, was er später auch auf den Umschlag der ersten Nachschrift schrieb: «Nicht weitergeben, bis ich den zweiten Teil dazu gegeben haben werde.» - Und wenn sich auch Rudolf Steiner später auf Befragen münd­lich noch dazu geäußert hat, so bleibt doch bestehen, was Frau Marie Steiner dazu bemerkt: «Unsera Erkenntniskräften wird es vorbehalten bleiben, das Richtige zu unterscheiden zwischen den Inkarnations- und Inkorporationsgeheimnissen, den Durchkreuzungen der Individualitätslinien.»

Schlägt man jedoch eine Brücke von dem, was uns durch mündliche Überliefe­rung erhalten ist und in der Gesamtausgabe der Letzten Ansprache als Nachwort beigefügt wurde,* zu den Ausführungen von 1909 des hier besprochenen Bandes, so konnte die «Letzte Ansprache» hinsichtlich der durch sie gegebenen karmischen Mitteilungen verstanden werden als ein Wiederaufgreifen des Versuches von 1909. Es mag dahingestellt bleiben, ob Rudolf Steiner beabsichtigte, ausdrücklich auf seine Ausführungen von 1909 als eine Art zweiten Versuches hinzuweisen und zu begründen, warum damals in dieser Weise nicht weitergegangen werden konnte. Gewiß ist jedenfalls, daß durch die Darstellungen von 1909 die prinzipielle Er­klärung für die in der Letzten Ansprache offengebliebenen Fragen gegeben ist.

Damals wies Rudolf Steiner aber auch noch auf ein anderes hin, nämlich auf die nicht ernst genug zu nehmende Gefahr der Irrtumsmöglichkeiten auf diesem Gebiete. Zum Beispiel sagte er in Heidelberg am 21. Januar 1909, dem ersten Vor­trag des neuen Bandes:

«So finden wir also, daß . . . der Vorgang der Wiederverkörperung nicht so einfach ist, wie man meist annimmt. Daher muß auch viel größere Vorsicht an-

* «Esoterische Betrachtungen kannischer Zusammenhänge» Band IV, Gesamtausgabe 1960.

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gewendet werden, wenn Menschen mit okkulten Mitteln ihre früheren Inkarnatio­nen erforschen. In vielen Fällen ist es ja nichts anderes als Kinderei, wenn Leute angeben oder sich einbilden, sie seien der wiedergeborene Soundso, vielleicht Nero, Napoleon^ Beethoven oder Goethe. Das ist natürlich albern und verwerflich. Aber die Sache ist viel gefahrlicher, wenn vorgeschrittene Okkultisten in dieser Bezie­hung Fehler machen, sich vielleicht einbilden, sie seien die Wiedergeburt von die­sem oder jenem Manne, wenn sie in Wirklichkeit nur dessen Ätherkörper haben. Dann ist dies nicht nur ein Irrtum - der ja an und für sich bedauerlich ist - , sondern der Mensch lebt dann unter dem Einflüsse dieser falschen Idee, und dies hat ge­radezu verheerende Wirkungen, die ganze Seelenentwickelung nimmt einen fal­schen Gang durch diese Illusion.»

Dem könne aber, wie es noch anderwärts betont wird, ein Riegel vorgeschoben werden, wenn man wisse, daß auch einzelne Glieder sich wiederverkörpern und daß dies viel mehr der Fall istals man vielleicht annimmt.

So kommt den Inhalten dieses neuen Bandes nach mehr als nur unter einem Gesichtspunkt weitreichende Bedeutung zu, wodurch wieder erneut sich die Not­wendigkeit einer Gesamtausgabe erweist.

Hella Wieskerger

ZUM ERSCHEINEN DES BANDES •ANTHROPOSOPHIE, PSYCHOSOPHIE, PNEUMATOSOPHIE»

Diese Vorträge, die jetzt zum zweiten Male in Buchform zugänglich gemacht werden - sie wurden im Jahre 1927 zunächst in der Zeitschrift «Die Drei» ver­öffentlicht und erschienen 1931 in Buchform - deuten in gewisser Weise auf einen wesentlichen Abschnitt in der Entwicklung der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners hin.

Sie wurden in den drei aufeinander folgenden Jahren 1909,1910,1911 jeweils zur Generalversammlung der damaligen deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft in Berlin gehalten und zeigen schon durch den Zeitpunkt, an wel­chem sie gehalten wurden, an, daß ein Wesentliches von Rudolf Steiner mit ihnen gewollt wurde.

Wie Rudolf Steiner im ersten Vortrag selber angibt, handelt es sich um eine «festere Fundamentierung» der Geisteswissenschaft, die sich aus mancherlei Grün­den aufdrängte, nicht zuletzt durch die Geschehnisse innerhalb der Theosophischen Gesellschaft - man siehe dazu das Vorwort von Marie Steiner, das sie den Vor­trägen bei ihrer ersten Veröffentlichung voranstellte —., aber doch auch sehr stark aus der Entwicklung der Geisteswissenschaft selber. Die Jahre bis 1909 hatten, was in den einleitenden Worten Rudolf Steiners im ersten «Anthroposophie» -Vortrag auch zum Ausdruck kommt, im Ganzen gesehen eine sehr große Fülle von Tatsachen aus der geistigen Welt gebracht und zu großen Tiefen und Höhen des Erlebens, namentlich auch in bezug auf die christlichen Wahrheiten, geführt.

Eine festere Fundamentierung diesem Erleben zu geben, das heißt mit anderen Worten, die Notwendigkeit, dieses neue Wissen auch methodisch-wissenschaftlich zu untermauern, um den Wissenschaftscharakter der Geisteswissenschaft voll zur Geltung zu bringen, das war es, was sich - aus dieser Geisteswissenschaft selber heraus - als Forderung stellte.

Vierzehn bis fünfzehn Jahre vorher hatte Rudolf Steiner sein Hauptwerk in

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bezug auf das, was wir geisteswissenschaftliche Methodik nennen können, ver­öffentlicht, die «Philosophie der Freiheit». Es war im Jahre 1909 an der Zeit, das­jenige, was damals in mehr philosophischer Weise gegeben war, nun im Hinblick auf das seitdem rein geisteswissenschaftlich Dargebrachte fortzusetzen, fortzuent­wickeln. Dazu war es nötig, den Begriff der Wahrnehmung, wie er in der «Philo­sophie der Freiheit» mehr in erkenntnistheoretisch-philosophischer Weise umrissen war, nun ins konkret Geistig-Praktische zu erweitern.

Und so beginnt Rudolf Steiner diese Vorträge im Oktober 1909 mit einer aus­führlichen geisteswissenschaftlichen Darlegung der Sinnesbezirke und eröffnet da­mit zum ersten Male den Ausblick auf einen yon ihm bis dahin noch nicht behan­delten Bereich des menschlichen Wesens, ein Thema, das ihn dann intensivst beschäftigt hat, zunächst bis zum Jahre 1917, wo es einen gewissen Abschluß erreicht, den Rudolf Steiner in seinem Buch «Von Seelenrätseln», in dem Kapitel «Über die wirkliche Grundlage der intentionalen Beziehung» (3. Auflage, Dornach i960, Gesamtausgabe, Seite 145 ff.) niedergelegt hat. Doch auch später, bis in die Vorträge über Medizin hinein («Geisteswissenschaft und Medizin», 2. Auflage Ge­samtausgabe 1961, 8. Vortrag) aus dem Jahre 1920 wird das Thema noch immer weiter entwickelt.

Mit dieser Einbeziehung einer Sinneslehre in die anthroposophische Geisteswis­senschaft ist ein sehr Bedeutsames gegeben, eine Verbindung, ja eine Verankerung des höheren Wissens in dem gewöhnlichen, alltäglichen Bewußtsein des heutigen Menschen, das ja wesentlich zunächst Sinnesbewußtsein ist. Mit der Erarbeitung der Sinneslehre ist für jeden Anthroposophen der feste Boden gegeben, auf dem er sowohl im geistigen wie im sinnlichen Bereich jene klare Überschau gewinnen kann, die das heutige Bewußtsein fordert; dies umsomehr, als sich ja im Sinnes­bewußtsein allein die Wirklichkeit des «Ich» des Menschen entfaltet, des Ich, das zu entwickeln ja die Aufgabe des modernen Bewußtseins ist.

Die Darlegungen des Jahres 1910 sind ebenso ein absolut Neues. So wie die Vorträge des Jahres 1909 unter dem Titel «Anthroposophie» die «Philosophie der Freiheit» fortführen in Konkretisierung des Begriffes «Wahrnehmung» in die realen Sinnesbereiche - bis hin zu den «übersinnlichen» Sinnen - , so führen die Vorträge aus dem Jahre 1910 unter dem Titel «Psychosophie» die «Philosophie der Freiheit» fort in die in dieser Schrift eigentlich geforderte Anwendung auf das Psychologische. Die vier Vorträge des Jahres 1910 bilden die Vorbedingung für die Entwicklung eines - in den «Pneumatosophie»-Vorträgen des nächsten Jahres gegebenen - erweiterten geisteswissenschaftlichen Erkenntnisbegriffes, zugleich sind sie die Grundlage für eine jegliche Psychologie in anthroposophischer Sicht. In ihnen werden in knapper Form die grundlegenden Tatsachen des menschlichen Seelenlebens - mit Hinweisen auf das tierische Seelenleben - dargestellt, wie sie sich ergeben in Sinnesempfindung, Urteil, Gefühl, Begehren und so weiter, so wie sie sich heute im Ich-Menschen darleben. Sie sind aus diesem Grunde von großer Wichtigkeit, jedoch auch deshalb, weil im Unterschied zum Thema der Sinnes­bereiche, von Rudolf Steiner das Thema der Psychologie in so grundlegender Weise kaum mehr abgehandelt worden ist. Als Ausnahme wäre nur die «Allge­meine Menschenkunde» zu nennen.

Die Vorträge des Jahres 1911 ergänzen die Fundamentierung der Geisteswissen­schaft auf dem Gebiet des Rein-Geistigen in dreifacher Hinsicht. Zunächst, indem die aristotelische Geistlehre fortgeführt wird zu der Lehre von Wiederverkörpe­rung und Karma, das heißt zu einer Darstellung des Menschen als eines objektiv geistigen Wesens in seinem Durchgehen durch die Sinnes- und Geisteswelt. Ferner

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durch eine - man möchte sagen - erkenntnistheoretische Darlegung dessen, was das Wesen der symbolischen Vorstellung und der meditativen Versendung, der Medi-tation ausmacht.

Zum Schluß — in den beiden letzten Vorträgen - entwickelt Rudolf Steiner an Hand der Brentanoschen Einteilung der Seele ein Bild des menschlichen Erkennt­nisvermögens, das, ausgehend von der sinnlichen Wahrnehmung, zu den Gegeben­heiten von Imagination und Intuition, zusammengefaßt in die Inspiration, hin­führt, womit er einen Erkenntnisbegriff schafft, der sowohl die sinnliche wie die übersinnliche Wesenheit umgreift. Mit einer Darstellung, wie der Mensch - in der Selbsterkenntnis - sich geistig in der Welt stehend erlebt gegenüber der allgemeinen Kulturentwicklung einerseits, den Naturgesetzen andererseits, rundet sich das Thema einer Fundamentierung der Geisteswissenschaft, so wie dieses in den zwölf Vorträgen dargestellt wurde, ab.

Zu der Neuherausgabe soll noch kurz folgendes ausgeführt werden. Frau Marie Steiner bemerkt in ihrem Vorwort zu der Herausgabe vom Jahre 1931, daß die Vorträge über «Anthroposophie» nicht nach einem Stenogramm herausgegeben wurden, sondern nur nach Nachschriften, Notizen etc. und daher notwendig un­vollkommen sein müßten, die Vorträge über «Psychologie» und «Pneumatosophie» jedoch nach dem Stenogramm herausgegeben seien.

Bei der Vorbereitung der Neuherausgabe stellte sich nun heraus, daß seit damals (1931) ein bedeutend besseres Stenogramm der Vorträge inzwischen dem Archiv zugekommen war, das sich zudem auch noch auf die zwei letzten Vorträge der «Anthroposophie» erstreckte, so daß das oben Ausgesprochene im wesentlichen nur noch für die beiden ersten «Anthroposophie»-Vorträge zutrifft. Diese dem Archiv später zugekommenen Nachschriften ermöglichen es nun, wesentliche Un­klarheiten des seinerzeit (1927) von der Schriftleitung der «Drei» redigierten Textes, von dem die Buchausgabe des Jahres 1931 nur ein Nachdruck war, zu kor-rigieren, namentlich gewisse Darstellungen in den «Psychosophie»-Vorträgen.

Auch für den ersten Vortrag der «Anthroposophie»-Vorträge wurde noch eine neue, bessere Nachschrift erst vor kurzem zur Verfügung gestellt. Dieser, wie auch der zweite Vortrag der «Anthroposophie»-Vorträge - von denen jeweils drei bis vier mehr oder weniger gute Nachschriften, aber keine Stenogramme bis dahin vorhanden waren - wurden sorgfältigst an Hand aller verfügbaren Unterlagen durchgesehen und geprüft.

Im großen Ganzen - mit Ausnahme der ersten Zeichnung im dritten «Anthro-posophie»-Vortra§, welche der Übersichtlichkeit halber beibehalten worden ist, wurden nur diejenigen Zeichnungen im Text aufgenommen, die eindeutig als Zeich­nungen Rudolf Steiners festgestellt wurden.

Hendrik Knobel

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ZUR SINNESLEHRE RUDOLF STEINERS

Nachdem nun mit dem Bande «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie» eine der grundlegenden Darstellungen Rudolf Steiners über die Sinne in der Ge­samtausgabe erschienen ist, mag es angebracht sein, einen gewissen Oberblick über die Sinnesanordnungen im "werke Rudolf Steiners zu geben. Ober die Sinnes-anordnungen, also nicht etwa eine Aufzählung aller Stellen, wo Rudolf Steiner über die Sinne oder über einzelne Sinne gesprochen hat (zum Beispiel in «Grenzen der Naturerkenntnis» oder in «Geisteswissenschaft und Medizin»). Der Oberblick soll die Darstellungen umfassen, in welchen Rudolf Steiner die Sinne in einem geschlossenen Ganzen, als eine Gesamtheit der möglichen Sinne aufgezeigt hat. Warum er einen solchen Wert auf diese Art der Darstellung legte, geht wohl klar aus den verschiedenen Darlegungen zu diesem Thema hervor*; ergibt sich doch immer wieder, daß sich ihm der Sinnesmensch als solcher, als eben dieser geschlos­sene Zusammenhang, als das Wesen dessen, was man «Sinn» nennt, also alles dessen, was den Menschen ohne die urteilende Tätigkeit zukommt, ergab.** Nur dadurch ist es auch möglich, die Anzahl und das Wesen der Sinne klar gegenüber allen möglichen sonst noch als «Sinn» bezeichneten Entitäten abzugrenzen.

Es ergab sich ihm nun - wenn man die Darstellungen durch die Jahre hindurch überschaut - eine Zwölf zahl der Sinne, die wie folgt von ihm aufgezählt und ge­kennzeichnet wurden: Ich-Sinn, Denk-Sinn, Wort-Sinn, Hör-Sinn, Wärme-Sinn, Seh-Sinn, Geschmacks-Sinn, Geruchs-Sinn, Gleichgewichts-Sinn, Eigen-Bewegungs-Sinn, Lebens-Sinn, Tast-Sinn. Um diese Anordnung in der Zwölfzahl gemäß der Ordnung des Tierkreises soll es sich hier handeln, betonte doch Rudolf Steiner die absolute Identität der einzelnen Sinne mit den Tierkreiskräften: «Wir können ebenso gut sagen: Widder, Stier, Zwilling^, Krebs, Jungfrau, Waage, wie wir sagen könnten, nicht wahr: Ich-Sinn, Denk-Sinn, Spracn-Sinn und so weiter -» («Ge­heimnisse der Sonne und des dreigeteilten Menschen», Dornach 1940, Zweiter Vor­trag vom 25. August 1918).

Nun hat Rudolf Steiner diese eben genannte Anordnung keineswegs von An­fang an durchgeführt. Er beginnt seine Sinneslehre mit den oben erwähnten Vor­trägen «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie» im Jahre 1909, bei wel­chen er dreizehn Sinne aufzählt, und zwar zehn gewöhnliche Sinne - es sind die oben angegebenen ohne Ich- und Tast-Sinn - und drei «übersinnliche» Sinne. Später werden diese, der imaginative, der inspirative und der intuitive Sinn, aus rein methodischen Gründen nicht mehr erwähnt - es kam Rudolf Steiner darauf an, das gewöhnliche Sinneswesen klar für sich zu umreißen - , so daß gesagt wer­den kann, daß der Anfang der Darstellung der Sinne gemacht wird ohne Ich-Sinn und Tast-Sinn. Die Anordnung des Jahres 1910 in «Anthroposophie. Ein Fragment» ist noch dieselbe wie die erste in den «Anthroposophie»-Vorträgen. - Erst sechs Jahre später, sieben Jahre nach den «Anthroposophie»-Vorträgen, spricht Rudolf Steiner wieder über die Sinne und nimmt nun den Tast-Sinn und den Ich-Sinn zu den schon vorhandenen zehn Sinnen hinzu, was er dann bis zur letzten Ausführung über die Sinne, bei welcher er eine geschlossene Anordnung gibt, in «Der Mensch als Sinneswesen und Wahrnehmungswesen», 22.-24. Juli 1921, beibehält, das heißt: Rudolf Steiner führt ab 1916 immer in seinen Anordnungen zwölf Sinne - von Ich- bis Tast-Sinn - auf.

* Siehe namentlich: «Weltwesen und Ichheit», Gesamtausgabe 1963, Seite 59. ** Siehe: «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie», Gesamtausgabe 1965, Seite 31.

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Wir bringen hier zunächst eine Aufstellung aller von Rudolf Steiner gegebenen Anordnungen:*

1919 1920 1921 Allgem. 12 Sinne M. a. MTmnde S.W.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

10. 11. 12. 13.

1909 A.P.P.

Leben Eigenb. Glgw. Geruch Geschm. Seh "Warme Hör Wort Denk Imagin. Inspir. Intuit.

1910 A.-Fr.

Leben Eigenb. Glgw. Geruch Geschm. Seh Wärme Hör Wort Denk

1916 W e ­ichheit

Tast Leben Eigenb. Glgw. Geruch Geschm. Seh Wärme Hör Wort Denk Ich

1916 Rätsel desM.

Tast Leben Eigenb. Glgw. Geruch Geschm. Seh Wärme Hör Wort Denk Ich

1917 VonSee-lenräts.

Ich Denk Wort Hör Wärme Seh Geschm. Geruch Glgw. Eigenb. Leben Tast

1918 Geh. derS.

Ich Denk Wort Hör Seh Geschm. Geruch Tast Eigenb. Glgw. Leben Wurme

Ich Denk Wort Hör Wärme Seh Geschm. Geruch Glgw. Eigenb. Leben Tast

Ich Denk Wort Hör Wärme Seh Geschm. Geruch Tast Glgw. Eigenb. Leben

Ich Denk Wort Hör Wärme Seh Geschm. Geruch Glgw. Eigenb. Leben Tast

(Dabei bedeutet Wort-Sinn eigentlich Wort-Wahrnehmungs-Sinn, ebenso Denk-Sinn = Gedanken-wahrnehmungs-Sinn, Ich-Sinn = Ichwahrnehmungs-Sinn, d.h. Wahrnehmung des Ichs des anderen Menschen.)

Wesentlich ist hierbei, daß Rudolf Steiner die Sinne sich zunächst aus der über­sinnlichen Wesenheit des Menschen heraus gestalten läßt (in «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie»). Das ist ganz im Sinne seiner sonstigen Darlegun­gen über die Ausgestaltungen der physischen Welt, zu der ja die Sinne gehören, aus dem Geistigen. Aber hier liegt doch noch eine besondere Situation vor. Wir be­finden uns bei der Erforschung der Sinne vom geistigen Gesichtspunkt aus un­mittelbar in der Geistigkeit des Sinnlichen drinnen, bzw. wir müssen in ein ge­schlossenes Ganzes des Geistig-Sinnlichen sozusagen von außen eindringen. Dazu bedarf es besonderer Kräfte, die einerseits dem geistig Forschenden eigen sein müs­sen, andererseits dem Sinneswesen als solchem entsprechen, ihm adäquat sind, sonst ist ein Eindringen in sein Wesen nicht möglich. Es sind nun die Kräfte des (gei­stigen) Ichs, die in der Sinneswelt dieser entgegenstehen, und die des geistigen Tastens, des geistigen Vorwärtstastens. Das Ich tastet sich von einem Sinn zum anderen Sinn geistig, d. h. erkennend vorwärts, so wie dies bei fast allen Anord­nungen der Sinne von Rudolf Steiner der Fall ist. Von den mittleren Sinnen ab bis zum Ich-Sinn geht das Tasten in ein Begreifen über, d.h. das Erfassen wird mit Hilfe der Ich-Kräfte (Begreifen = Ich) getätigt. Aus dieser Art des Vorgehens ist

* 1909 _ «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie» (siehe den vorangehenden Beitrag). 1910 - «Anthroposophie. Ein Fragment», 2. Auf 1. Gesamtausgabe in Vorbereitung. 1916 - «Weltwesen und Ichheit» 7 Vorträge in Berlin, 6. Juni bis 18. Juli. 2. Auflage Gesamt­

ausgabe 1963. 1916 - «Das Rätsel des Menschen - Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte»,

13 Vorträge in Dornach, 29. Juli bis 3. September. Gesamtausgabe 1964. 1917 - «Von Seelenrätseln» 3. Auflage Gesamtausgabe 1956. 1918 - «Die Geheimnisse der Sonne und des dreigeteilten Menschen» 3 Vorträge in Dornach,

24.-26. August. Dornach 1940. 1919 - «Allgemeine Messchenkunde als Grundlage der Pädagogik» 14 Vorträge in Stuttgart,

21. August bis 5. September. 5. Auflage Gesamtausgabe 1960. 1920 - «Die zwölf Sinne des Menschen in ihrer Beziehung zu Imagination, Inspiration und

Intuition» Vortrag in Dornach 8. August. Dornach 1938. 1921 - «Der Mensch als Sinneswesen und Wahrnehmungswesen» 3 Vorträge in Dornach, 22.-

24. Juli - Dornach 1939.

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nun verständlich, warum in der ersten Aufzählung der Sinne in den «Anthropo­sophie»-Vorträgen 1909 Ich- und Tast-Sinn fehlen, ja sogar die Annahme eines Tast-Sinns verworfen wird. Die Kräfte, mit denen man sich erkennend betätigt, kann man selber nicht sehen. Es liegt hier das gleiche Problem vor - nur auf einer anderen Ebene -, was wir bei einzelnen Sinnen, zum Beispiel beim Auge kennen. An der Stelle, wo der Sehnerv in das Auge eintritt, ist der sogenannte blinde Punkt im Auge, mit dem nicht gesehen werden kann. Auch an der Stelle, wo der Forscher in das Sinnesgebiet eintritt, sieht er, aus dem Wesen der Sache heraus, zunächst nichts. Erst nachdem der Kreis der Sinne abgeschritten ist, kann vom Endpunkte aus zurückgeblickt werden zum Ausgangspunkt und dort nun die beiden Sinne, Ich- und Tast-Sinn, erblickt und erkannt werden.

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H' Daß es sich so verhält, kann auf einem Notizblatt von Rudolf Steiner gesehen

werden, auf welchem die zehn Sinne ohne Ich- und Tast-Sinn links und rechts von einer Vertikalen angeordnet sind. Oben an der Vertikalen steht «Ich» mit einem Richtungspfeil nach unten, unten an der Vertikale steht «Tast» mit einem kleinen Halbkreis. Es sei besonders vermerkt, daß die zehn Sinne ausdrücklich als solche angeführt werden, jedoch «Ich» und «Tast» ohne diese Kennzeichnung sind.

Ein anderes Problem liegt darin, daß Rudolf Steiner die Sinne zunächst auf­zählt beginnend mit dem Lebens-Sinn, später mit dem Tast-Sinn, und aufhörend mit dem Denk-Sinn bzw. später mit dem Ich-Sinn. Hier liegt das gleiche vor wie bei der Geologie, wo auch zunächst die obersten Schichten erforscht und aufge­zählt werden müssen bis hin zu den tiefsten. Im Überschauen des Erforschten ergibt sich dann aber, daß selbstverständlich der Anfang bei der untersten Schicht liegt und eine Aufzählung im Sinne des Entstehens mit dieser begonnen werden muß.

Wir sehen nun, daß Rudolf Steiner in den «Anthroposophie»-Vorträgen, in «Anthroposophie. Ein Fragment» wie in der nächsten Darstellung der Sinne in «Weltwesen und Ichheit» mit dem Lebens- bzw. mit dem Tast-Sinn beginnt und mit dem Denk- bzw. Ich-Sinn endigt, daß aber dann in der Darstellung im Buch

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«Von Seelenrätseln» zum ersten Male die Anordnung mit dem Ich-Sinn beginnt und mit dem Tast-Sinn abschließt. Diese Anordnung aus dem Buch «Von Seelen­rätseln» wird nun von Rudolf Steiner von da ab immer beibehalten bis hin zu der letzten Darstellung in den Vorträgen «Der Mensch als Sinneswesen» (1921), mit Ausnahme von zwei Darstellungen dieser Anordnung, worauf wir jetzt zu spre­chen kommen. Es sind die Anordnungen in den Vorträgen «Die Geheimnisse der Sonne und des dreigeteilten Menschen» (25. August 1918) und «Die zwölf Sinne des Menschen...», 8. August 1920.

Bei diesen Anordnungen liegen nun ganz wesentliche Abweichungen gegen­über der «Normal»-Anordnung aus «Von Seelenrätseln» vor. Wir sehen bei der Darstellung des Jahres 1918 plötzlich den "Wärme-Sinn von seinem Platz zwischen Hör- und Seh-Sinn verschwinden und an Stelle des Tast-Sinnes auftreten. Der Tast-Sinn ist - im Tierkreis angeschaut - weit nach rechts verschoben zwischen Gleichgewichts-Sinn und Geruchs-Sinn, Eigenbewegungs-Sinn und Gleichgewichts-Sinn sind vertauscht. Bei der Anordnung des Jahres 1920 ist der Tast-Sinn nach rechts zwischen Gleichgewichts-Sinn u n l Geruchs-Sinn versetzt.

Um diese Abweichungen von der üblichen Ordnung zu begreifen, bedarf es nun zweierlei. Man könnte zunächst der Auffassung sein, daß, da Rudolf Steiner ausdrücklich - noch dazu in dem genannten Vortrag vom 25. August 1918, wo die erste Abweichung vorhanden ist - Sinn mit Tierkreisbild identisch erklärt und der Tierkreis in seiner Anordnung eindeutig und endgültig ist, eine Abweichung in der Anordnung dieser Bilder, also auch der Sinnesbezirke nicht möglich ist. Das hieße nun aber die Dinge doch zu starr fassen. Die Ausgestaltung des Menschen, in die­sem Fall der Sinne, geschieht nicht als einfacher Abdruck, sozusagen als Photo­graphie des Tierkreises in die Sinnessphäre, sondern es findet eine schöpferische Gestaltung des Menschen aus den Tierkreiskräften statt, in dem manche Störungen und Abweichungen vorkommen können und vorkommen. Lucifer und Ahriman bauen ja am Menschen mit, sind Mitgestalter am Menschen. Man siehe dazu die Auseinandersetzung Rudolf Steiners mit der Geistlehre des Aristoteles, wo er auf die luziferische Mitgestaltung des Menschen im Geistbereich hinweist («Anthropo­sophie, Psychosophie, Pneumatosophie» Seite 252).

Es kann hier nicht der Ort sein, diese Abweichungen in ihrem ganzen Umfang darzustellen; soll doch nur kurz auf das Wesen der Anordnungen in der Sinnes­lehre Rudolf Steiners hingewiesen werden. Nur soviel sei als zweites Moment dazu ausgeführt: Es kommt hier sehr darauf an, was Rudolf Steiner in den Vor­trägen, in welchen die Anordnungen abweichen, als Wesentliches ausgeführt hat, das heißt, in welchen Zusammenhängen die Abweichungen auftreten. Auf diesem Wesentlichen, was Rudolf Steiner darstellt, fußen die Abweichungen. So wird nun im Vortrag «Das Geheimnis der Sonne» als der wesentlichste Punkt die Erinnerung, das Zustandekommen der Erinnerungsvorstellung dargestellt, im Vor­trag «Die zwölf Sinne des Menschen» das Wesen der Sinneswahrnehmung als sol­ches geschildert.

Es muß nun auffallen, daß Rudolf Steiner gerade diese beiden Tatsachen des seelisch-geistigen Lebens, die Bildung der Vorstellung und die Sinneswahrnehmung, im Anschluß an seine erste Darstellung der Sinne in den Vorträgen «Anthropo­sophie, Psychosophie, Pneumatosophie» - eben in den «Psychosophie»-Vorträgen -dargestellt hat; ebenso noch in dem Vortrag des gleichen Jahres 1910 im Architek­tenhaus in Berlin «Leben und Tod» am 27. Oktober.* Und das mit Recht. Gehören

* in «Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins» Gesamtausgabe 19S9.

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doch diese beiden Komplexe zusammen bezüglich alles dessen, was den Menschen als Sinnes- und Gedankenwesen angeht. Es wäre eine interessante Aufgabe, zu zeigen, wie das im Jahre 1920 Entwickelte nun die rein geistig-kosmische Darstel­lung ist von dem, was in der «Philosophie der Freiheit» philosophisch und in den «Psychosophie»-Vorträgen psychologisch abgehandelt wurde. Letzten Endes kann ja das Geistig-Kosmische nur dann im rechten Sinne als verstanden angesehen wer­den, wenn es zurückgeführt werden kann auf einen philosophisch-psychologischen Tatbestand. Doch würde eine solche Ausführung den Rahmen dieser als kurze Orientierung gemeinten Darstellung sprengen.

Mit den Darstellungen des Jahres 1918 «Allgemeine Menschenkunde» und 1921 «Der Mensch als Sinneswesen und Wahrnehmungswesen» kehrt Rudolf Steiner nun zu der Anordnung des Buches «Von Seelenrätseln» zurück, womit die Sinnes­lehre, soweit es sich um die Anordnung der Sinne handelt, abgeschlossen ist.

Hendrik Knobel

RUDOLF STEINER IN DER HEUTIGEN WELT

Gedanken zum Erscheinen der drei ersten Bände der Paperback-Reihe «Durch den Geist zur Wirklichkeits-Erkenntnis der Menschenrätsel»

Wie können die Menschen von heute durch den Buchhandel mit dem Lebenswerk Rudolf Steiners bekannt werden? Wie geht es überhaupt in einer solchen Buch­handlung zu? Die Leute stehen umher, sie blättern die Neuerscheinungen durch, schauen sich die Kapitelüberschriften an, lesen hier und dort einige Zeilen. Viel­leicht sind sie von irgend einer Formulierung gefesselt, und wenn das Buch nicht zu teuer ist, kaufen sie es, um es gelegentlich auch zu lesen. In diesen Zusammen­hang stellen sich die vorliegenden Paperbacks hinein. Durch ein photomechanisches Verfahren wird die Veröffentlichung einer Auswahl aus den Schriften, Aufsätzen und Vorträgen technisch erleichtert, so daß die Herstellung und dementsprechend der Verkaufspreis verbilligt werden konnte.

Eingeleitet werden sämtliche Bände durch ein Zitat aus dem XXXV. Kapitel des Buches «Mein Lebensgang». Im Ersten Band finden wir die Einleitung und das Kapitel «Der Pfad der Erkenntnis» aus dem Buche «Theosophie» und den Ab­schnitt «Wesen der Menschheit» aus der «Geheimwissenschaft», sodann die öffent­lichen Vorträge «Der übersinnliche Mensch» (1918) und «Naturwissenschaft und Geistesforschung» (1913) aus den Bänden «Das Ewige in der Menschenseele - Un­sterblichkeit und Freiheit» und «Ergebnisse der Geistesforschung», zum Abschluß einen Auszug aus dem «Lebensgang», Kapitel XXIII.

Der ZweiteBand enthält das demAufsatzband «Philosophie und Anthroposophie» entnommene Autoreferat des auf dem Internationalen Philosophie-Kongreß 1911 in Bologna gehaltenen Vortrags, «Die Theosophie und das Geistesleben der Gegen­wart», die Aufsätze «Die übersinnliche Welt und ihre Erkenntnis» (1904) und «Reinkarnation und Karma, vom Standpunkte der modernen Naturwissenschaft notwendige Vorstellungen» (1903) aus dem Band «Luzifer-Gnosis», das Auto­referat des Londoner Kongreß-Vortrages von 1905 «Die okkulte Grundlage in Goethes Schaffen», ebenfalls dem Band «Philosophie und Anthroposophie» ent­nommen, das Kapitel «Die Metamorphosenlehre» aus dem Buch «Goethes Weltan­schauung» und ein Zitat aus dem VI. Kapitel des «Lebensganges».

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Im Dritten Band sind die öffentlichen Vorträge «Die Mission der Geisteswis­senschaft einst und jetzt» und «Die Mission der Wahrheit» (beide 1909) aus den Bänden «Pfade der Seelenerlebnisse» und «Metamorphosen des Seelenlebens» abge­druckt, ferner die Aufsätze «'wie Karma wirkt», «Luzifer» und «Meditation» (sämtlich 1903) aus «Luzifer-Gnosis», der Vortrag «Christus und das zwanzigste Jahrhundert» (1912) aus dem Band «Menschheitsgeschichte im Lichte der Geistes­forschung», abschließend wiederum ein auf den Inhalt des Bandes bezügliches Zitat aus «Mein Lebensgang» Kapitel VII.

Wie man sieht, umfaßt jeder Band eine allgemeine Charakteristik der Geistes­wissenschaft und deren Stellung innerhalb der neuzeitlichen Entwicklung, geht aber zugleich auf bestimmte Themen ein. So steht im ersten Band etwa der anthro-posophische Erkenntnisweg mehr im Vordergrund, im zweiten Band kommt nächst dem erkenntnistheoretisch-philosophischen Element vor allem die Beziehung zur Goetheschen Welt- und Naturanscnauung zur Geltung, während wohl im dritten Band der Vortrag «Christus und das zwanzigste Jahrhundert» besonderes Interesse erwecken dürfte. Gleichwohl liegt der Akzent auf der Allseitigkeit. Das entspricht ja der Methode Rudolf Steiners, der sein zentrales Anliegen immer wieder von neuen Gesichtspunkten aus beleuchtete.

Es kann also nicht der Gedanke aufkommen, daß man es mit irgend einer Lehre im dogmatischen Sinne zu tun habe. Freilich zeigt die Erfahrung, daß gerade dieses Undogmatische, obwohl ein erklärtes Ideal der Zeitgenossen, eine gewisse Ver­wirrung, ja einen geheimen Unwillen auslöst. Man will nämlich heutzutage in Wirklichkeit schnell und definitiv orientiert werden, um alles Unbekannte, Neue durch Formeln auf etwas Bekanntes reduzieren zu können.

Als Rudolf Steiner zu Anfang des Jahrhunderts mit den Ergebnissen seiner übersinnlichen Forschung vor die Welt hintrat, sah er sich bestimmten philosophi­schen und naturwissenschaftlichen Vorurteilen gegenübergestellt. Seine ganze Vor­arbeit Ende des neunzehnten Jahrhunderts galt der Rechtfertigung einer spirituel­len Anschauung gegenüber diesen Vorurteilen, und viele seiner späteren Ausfüh­rungen, vor allem die öffentlichen Vorträge haben eine ähnliche Note. Man kann sie als Dialoge auffassen, wobei der Partner jeweils den Zeitgeist repräsentiert.

Lassen wir diese Vorträge und Schriften heute auf uns wirken, so müssen wir einen Unterschied zwischen der damaligen und der gegenwärtigen Situation fest­stellen. Was sich im neunzehnten Jahrhundert als Gesinnung ausbreitete, das drückt heute dem Leben von außen seinen Stempel auf. Der moderne Mensch befindet sich in einer Lage, in der sein Denken und Empfinden wie etwas ihm von außen Aufgezwungenes erscheint. Innerlich mag er sich gegen manches zu wehren ver­suchen, was aus seiner nächsten und weiteren Umgebung auf ihn eindringt, aber sein entkräftetes Denken reicht kaum noch in die Willenssphäre hinunter. Hinter dem Modewort «existentiell» verbirgt sich eine Empfindung für diese Situation.

Dies muß man ins Auge fassen, wenn man heute für das Lebenswerk Rudolf Steiners Verständnis erwecken will. Er konnte zu seiner Zeit noch zu Menschen sprechen, die zwar in Illusionen befangen, aber nicht im heutigen Sinne gefesselt waren. Die genannten Vorurteile sind den Menschen in die Glieder gefahren und ihnen selbst kaum noch bewußt. Deshalb kann man es immer wieder erleben, daß Menschen mit einer fast erstaunlichen Unvoreingenommenheit spirituelle Ansich­ten zur Kenntnis nehmen, ohne sich jedoch aufgefordert zu sehen, praktische Kon­sequenzen zu ziehen. Ihre Toleranz ist meistens nur Ausdruck einer inneren Gleich­gültigkeit.

Dafür sprechen die Tatsachen freilich eine umso eindringlichere Sprache. Die

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Menschen des neunzehnten Jahrhunderts konnten noch Ideale haben, unbeschwert von den tatsächlichen Gegebenheiten des sozialen Lebens. Das ist heute nicht mehr möglich. Diese Entwicklungstendenz der europäischen Menschheit ist von Rudolf Steiner aufgezeigt worden, und sein Lebenswerk ist immer mehr eine Tatsache geworden, an der man nicht vorübergehen kann. Freilich mag dabei auch immer wieder eine Frage aufgeworfen werden, die sich auch dem Verfasser nach dem Bekanntwerden mit den Schriften Rudolf Steiners aufdrängte: Hier spricht die Wahrheit, hier spricht ein großer Menschheitsführer. Er spricht von einer Wissen­schaft, die unsere Zeit zu entwickeln habe. Er erhebt nicht den Anspruch auf eine Sonderstellung, er schildert einen Weg, der im Prinzip allen offensteht. Wer hat nun aber außer ihm diesen Weg beschritten? - Ich will nicht so indiskret sein, die damalige Antwort eines Freundes wiederzugeben. Nicht unsere Streitigkeiten, unsere menschlichen Unzulänglichkeiten sind das eigentlich Erstaunliche, sondern der Umstand, daß Rudolf Steiner der einzige geblieben ist, der auf übersinnliche Forschungsergebnisse Anspruch erheben dar?. So wie er sind wir nicht legitimiert, uns Geisteswissenschafter zu nennen. Wir haben noch nicht teil an einer solchen Geisteswissenschaft, wenn uns auch die Möglichkeit dazu gegeben ist. Die einzig repräsentative Tatsache ist das Lebenswerk Rudolf Steiners, das mit seiner Per­sönlichkeit untrennbar verbunden ist.

Solche Gedanken melden sich beim Durchlesen der vorliegenden Paperback-Reihe. - Man könnte sich wohl eine andere Auswahl aus der großen Fülle denken, doch wüßte ich nicht, wie man sie in unserer Lage hätte besser gestalten können. Das Wichtige erscheint mir dabei zu sein, daß wir, ohne uns Illusionen hinzugeben, solche Publikationen mit wahren und guten Gedanken in die Welt hinaus begleiten. Wir sind nicht in der Lage, von einer höheren Warte aus zu unseren Zeitgenossen zu sprechen; wir sind höchstens qualifiziert durch eine mehr oder weniger um­fassende Kenntnisnahme vom Lebenswerk Rudolf Steiners.

Karl Brodersen

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ZUM ZEHNTEN TODESTAG VON WERNER TEICHERT

am 24. September 1965

Manche unserer Leser haben die «Nachrichten der Rudolf Steiner-Nachlaßver­waltung» wohl erst in der Gestalt kennen gelernt, die diesem Organ bei seinem Wiedererscheinen zu Michaeli 1961 zuteil wurde. Damals wurden sogar Bedenken geäußert, ob es denn glücklich sei, den Titel einer vor acht Jahren eingestellten Erscheinungsfolge zu übernehmen. Wir konnten uns diese Bedenken nicht zueigen machen, sondern hielten es für richtig, auch äußerlich eine Kontinuität zu doku­mentieren, die in Wirklichkeit niemals abgerissen war. In der Vorbemerkung zu Nr.l der «Nachrichten der Rudolf Steiner-Nachlaß Verwaltung» vom März 1949 heißt es: «Diese Nachrichten sollen zur Orientierung dienen. Die Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung hofft, dadurch auch die Beziehungen mit allen an der Heraus­gabe der Werke Rudolf Steiners interessierten Persönlichkeiten zu pflegen.» Eben diese Absicht ist auch mit der neuen Folge der «Nachrichten» verbunden. Sie er­hielten den Untertitel «mit Veröffentlichungen aus dem Archiv», weil Erstveröf­fentlichungen aus dem Nachlaß Rudolf Steiners, die in dem Märzheft 1949 als Beilagen in Aussicht gestellt wurden, nunmehr die wichtigste Stelle einnehmen. Die Eigentums- und Verfügungsrechte am Nachlaß Rudolf Steiners, mit denen sich die ersten fünf Hefte eingehend befassen, wurden durch das Urteil des Ober­gerichtes des Kantons Solothura vom 17. Juni 1952 endgültig klargestellt. Wohl wurde damit lediglich ein Tatbestand auch noch von Gerichts wegen bestätigt, der schon vorher durch das Testament Rudolf Steiners und die von Frau Marie Steiner getroffenen Verfügungen klar zu Tage gelegen hatte. Gleichwohl konnte nunmehr die Sichtung und Herausgabe des mächtigen Nachlasses mit aller Intensität in Angriff genommen werden. Dadurch ergab sich eine gewisse Zäsur, und erst im Rudolf Steiner-Jahr 1961, als die Gesamtausgabe einen repräsentativen Stand erreicht hatte, erschien es angebracht, ihren Fortgang durch ein eigenes Publika­tionsorgan zu begleiten, das unter neuen Gegebenheiten an die Hefte der Anfangs­zeit anknüpfte.

Schon in den «Nachrichten» Nr. 2 vom November 1949 war eine Reihe von Neuerscheinungen im eigenen Verlag der Nachlaßverwaltung angekündigt wor­den. Der Aufbau dieses Verlages - wie auch die Begründung der «Nachrichten» -war das Werk von Werner Teichert. Sein Name ist mit der Pflege und Verbreitung des literarischen und künstlerischen Lebenswerkes Rudolf Steiners eng verbunden, und wenn ihm das Schicksal auch nicht beschieden hat, das Erscheinen der Gesamt­ausgabe zu erleben, so ist deren Zustandekommen doch wesentlich auch auf seine weitschauende Voraussicht und seinen tatkräftigen Einsatz zurückzuführen.

21 Jahre lang war Werner Teichert die technische Leitung der Goetheanum-Bühne anvertraut. Zugleich war er weiterhin als Schauspieler und Mitglied des Sprechchors, dem er von Beginn an angehört hatte, künstlerisch tätig. Die Rolle des Romanus, die er viele Jahre hindurch in den Mysteriendramen Rudolf Steiners gespielt hat, entsprach so recht seiner ganzen Persönlichkeit, in der sich Willens­stärke, lautere Gesinnung und Weltoffenheit vereinten. Eben diese Weltoffenheit kennzeichnet sein unermüdliches Bestreben, den im Werk Rudolf Steiners beschlos­senen Kulturimpuls möglichst weiten Kreisen zugänglich zu machen. Gemeinsam mit Edwin Froböse ging er 1936 an die Herausgabe von Programmheften der Sek­tion für redende und musische Künste. Unter dem Titel «Bühnenkunst am Goethe-

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anum» wurden die in dem genannten Jahr veröffentlichten drei Programmhefte, die jeweils den Themen «Faust», «Die Mysteriendramen Rudolf Steiners» und «Das Wesen der Kritik» gewidmet waren, zu einem Jahrbuch vereinigt. Ihm folgte Ostern 1937 das «Goethe und Rudolf Steiner - Auf erstehungskräfte in Kunst und Wissenschaft» betitelte vierte Heft, dem, wie es in der Vorbemerkung der Heraus­geber heißt, anläßlich des siebzigsten Geburtstages Marie Steiners ein festlicher Charakter zugedacht war, ferner die Reihe der Farbskizzen und, in Fortführung dieser Linie, zu Beginn der vierziger Jahre die Bände «Physiognomisches», «Wesen und Bedeutung der illustrativen Kunst» und «Rudolf Steiner als illustrierender Künstler». Die graphische Gestaltung all dieser Herausgaben, die Werner Teichert übernahm, gab ihm Gelegenheit, sein schöpferisches Können auch auf diesem Ge­biet zu entfalten.

Mit den frühen Arbeiten Rudolf Steiners hatten sich Werner Teichert und Edwin Froböse, zunächst unabhängig von einander, später gemeinsam, schon in den vorangegangenen Jahren befaßt.* Die 150. Wiederkehr der Geburtstage von Unland und Schopenhauer, der 125.Todestag von Wieland und der 175. Geburts­tag von Jean Paul in den Jahren 1937 und 1938 gaben ihnen Anlaß, Frau Marie Steiner die Veröffentlichung der Biographien vorzuschlagen, mit denen Rudolf Steiner einst die von ihm herausgegebenen Werke dieser bedeutenden Gestalten des deutschen Geisteslebens eingeleitet hatte. Mit dem 1894 in den «Berichten des freien Deutschen Hochschulstiftes» erschienenen Aufsatz «Goethes Naturanschau­ung - Gemäß den neuesten Veröffentlichungen des Goethe-Archivs» wurden 1938 zum Geburtstag Goethes die «Veröffentlichungen aus dem literarischen Frühwerk» eingeleitet. Sie umfassen in insgesamt fünf Bänden die bis um die Jahrhundert­wende in verschiedenen Zeitschriften, vornehmlich im «Magazin für Literatur» und in den «Dramaturgischen Blättern» verstreuten Einzelpublikationen Rudolf Steiners und bilden somit den Grundstock der Abteilung Gesammelte Aufsätze in der Gesamtausgabe. Man kann schwer ermessen, welche Hingabe diese Leistung erforderte, auch wenn man die von CS.Picht vollbrachte umfassende Vorarbeit in Betracht zieht. Zusätzlich erschwert wurde die Sammlung des Materials durch die alsbald einsetzenden Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse. Wie sehr Marie Steiner diese Arbeit schätzte und unterstützte, zeigen die Geleitworte, die sie so« wohl den oben genannten Herausgaben wie zwei Bänden des Frühwerkes mitgab. Sie trug den beiden Freunden auch die Herausgabe von Briefen Rudolf Steiners auf. Ebenso wie das «Frühwerk» wurden die Briefbände mit̂ ausführlichen Hin­weisen und Register versehen, eine minutiöse Kleinarbeit, die mit wissenschaftlicher Gediegenheit ausgeführt wurde. Der erste Band «Briefe», der die Spanne von 1881 bis 1891 umfaßt, erschien 1948 (2. Aufl. 1955), der zweite, der bis 1902 reicht, folgte fünf Jahre später.

Die Änderungen, die am Goetheanum nach dem Tode Marie Steiners eintraten, hatten auch für Werner̂ Teichert im Jahre 1949 das Ausscheiden aus seiner ins­gesamt fünfundzwanzigjährigen Tätigkeit an der Goetheanum-Bühne zur Folge. An diesem tragischen Wendepunkt seines Lebens eröffneten sich ihm indessen noch einmal neue Möglichkeiten. Mit dem Aufbau des Verlags der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung konnte er seine als Herausgeber gewonnenen Erfahrungen, seine Fachkenntnisse und organisatorischen Fähigkeiten zur vollen Geltung brin­gen. Mitten aus einer Fülle von Arbeit und hoffnungsvollen Plänen wurde der

* Siehe hierzu: Edwin Froböse, «Ober die Herausgabe der «Veröffentlichungen aus dem litera­rischen Frühwerk von Rudolf Steiner»» in «Blätter für Anthroposophie» 17. Jhrg. 1965, Nr. 7/8.

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Fünfundfünfzigjährige am 24. September 1955 vom physischen Plan abberufen. Wir sind gewiß, daß seine Hilfe aus der geistigen Welt in dem von ihm in so ent­scheidendem Maße geförderten großen Unternehmen der Rudolf Steiner-Gesamt­ausgabe weiterwirkt.

Wolfram Groddeck

ZUM INHAL/T DES VORLIEGENDEN HEFTES

Die Hauptbeiträge unseres Michaeli-Heftes stehen vor allem insofern in einem inneren Zusammenhang, als sie sich auf die spirituellen Gesetzmäßigkeiten der Zahl beziehen. Solche Gesetzmäßigkeiten hat Rudolf Steiner sowohl m der kos­mischen und menschheitlichen Entwicklung wie in den Rhythmen des mensch­lichen Lebens aufgezeigt. In seinem Brief an Marie von Sivers vom M.März 1905 wendet er sich gegen die mechanische Anwendung der Siebenteilung auf alle plane­tarischen Verhältnisse; an ihre Stelle müsse die lebendige geistige Wirklichkeit treten. Der Brief bezeugt die absolut unabhängige Haltung, die Rudolf Steiner von Anfang an innerhalb des durch die Theosophische Gesellschaft gegebenen äußeren Rahmens bewahrte. Wohl knüpfte er zunächst an die vorgefundene Ober­lieferung an, vertrat jedoch nur, was er selbst geistig erforscht hatte.* Die beiden zu Beginn des Briefes erwähnten öffentlichen Vorträge vom 12. und 13. März 1905 behandelten die Themen «Der Ursprung des Menschen» und «Die Zukunft des Menschen und die großen Eingeweihten». Nachschriften dieser beiden Vorträge sind nicht bekannt. Über die gleichen Themen hat Rudolf Steiner im Februar und März desselben Jahres im Berliner Architektenhaus gesprochen; diese Vorträge sind in dem Band «Die Grundbegriffe der Theosophie» (Gesamtausgabe 1957) erschienen.

Zur Erstveröffentlichung der Abhandlung «Zeichen und Entwicklung der drei Logoi» sei ausdrücklich bemerkt, daß die Niederschrift für Edouard Schure' per­sönlich bestimmt war. Gewisse Bedenken, die gegen eine Veröffentlichung des Dokumentes geltend gemacht werden könnten, haben wir indessen aus zwei Grün­den zurückgestellt. Einmal erscheint sein Abdruck an dieser Stelle wohl deswegen gerechtfertigt, weil es zu den Zeugnissen einer besonderen Schicksalsverknüpfung gehört, wie sie zwischen Rudolf Steiner, Marie von Sivers und Edouard Schure bestand.** Zum anderen bedeutet sein Inhalt eine Ergänzung und Bereicherung des zu diesem Themenkreis vorliegenden Arbeitsstoffes.

Im vierzigsten Todesjahr Rudolf Steiners sollte die 14. Sommer-Ausstellung aus dem Archiv der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung (nochmals geöffnet vom 25. September bis 9. Oktober) einen Einblick in die Rhythmen im Wirken Rudolf Steiners vermitteln. Die dieser Absicht dienende Chronik des Jahres 1909, die solche Rhythmen besonders sichtbar macht, wird von Hella Wiesberger erläutert. Der abschließend zitierte Brief an Marie von Sivers darf als Gegenstück zu der eingangs wiedergegebenen Brief stelle angesprochen werden. So wie sich die Glie­derung der Welt- und Menschheitsevolution nicht einem abstrakten Schematis-

* Siehe hierzu insbesondere «Mein Lebensgang» (Gesamtausgabe 1962), Kap. XXXI; «Briefe» Band II (Dornach 1953), Nr. 142, Brief an Wilhelm Hübbe-Schleiden vom 16. August 1902.

** Siehe zweite Fußnote auf S. 7 des Heftes.

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mus erschließt, sondern erst dem konkreten Erfassen der geistigen Wirklichkeit, so ist auch die künstlerische Form aus dieser inneren Wirklichkeit heraus neu zu gestalten.

In das Jahr 1909 fallen auch rund 40 in verschiedenen Städten gehaltene Vor­träge zum «Prinzip der spirituellen Ökonomie», die nun, soweit ihr Inhalt in Nachschriften oder Notizen erhalten ist, in einem Band der Gesamtausgabe ge­sammelt erscheinen. Hella Wiesberger umreißt in einem weiteren Beitrag die Stel­lung dieser für die Wiederverkörperungsforschung wesentlichen Darstellungen im Gesamtwerk Rudolf Steiners.

Zu dem methodisch-wissenschaftlichen Unterbau der Anthroposophie gehören die jetzt ebenfalls in der Gesamtausgabe vorliegenden Vorträge «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie», die Rudolf Steiner, beginnend 1909, in drei auf­einander folgenden Jahren anläßlich der Generalversammlung der deutschen Sek­tion der Theosophischen Gesellschaft in Berlin gehalten hat. Die Bedeutung dieser Vorträge als Ausgangspunkt einer anthroposophischen Sinneslehre, als Grundlage einer neuen Seelenwissenschaft und als Rechtfertigung des geisteswissenschaft­lichen Erkenntnisbegriffes wird von Hendrik Knobel unterstrichen. Der gleiche Verfasser gibt sodann einen Oberblick über die Anordnung der Sinne, die in ver­schiedenen Darstellungen Rudolf Steiners divergiert. Diese Divergenzen sind, wie hier ersichtlich ist, aus dem jeweiligen Zusammenhang herzuleiten. Dem Auf­satz ist das Faksimile eines Notizblattes von Rudolf Steiner beigegeben.

«Durch den Geist zur Wirklichkeits-Erkenntnis der Menschenrätsel» lautet der Titel eines kleinen Bandes, den Rudolf Steiner im Jahre 1918 als «Liebesgabe für deutsche Kriegsgefangene» zusammenstellte. Das Bändchen enthielt den Auf­satz «Philosophie und Anthroposophie» (Einzelausgabe Dornach 1964), Vier Märchen aus den Mysteriendramen, den Seelenkalender und die ägyptische Tem­pelrückschau im siebenten und achten Bild des Mysteriendramas «Der Seelen Er­wachen». Der von Rudolf Steiner gewählte Titel wurde jetzt für eine Paperback-Reihe übernommen, in der Aufsätze und Vorträge Rudolf Steiners erscheinen, um nun nicht Kriegsgefangene, aber eine in materialistischen Vorurteilen befangene Menschheit auf das Lebenswerk Rudolf Steiners hinzuweisen. Hieran knüpft eine Betrachtung von Karl Brodersen an.

Zum Abschluß unseres Michaeli-Heftes gedenken wir des zehnten Todestages unseres Freundes Werner Teichert; in seiner Lebensarbeit ist auch ein Kapitel der Geschichte der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung beschlossen. g

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INHALT

Rudolf Steiner über die geistige Wirklichkeit der Zahl. Auszug aus einem Brief an Marie von Sivers vom H.März 1905 aus München . . . 1

Rudolf Steiner: Zeichen und Entwicklung der drei Logoi in der Menschheit. Gegeben an Edouard Schur! im Mai 1906 2

Zu den vorstehenden Veröffentlichungen 7

Hella Wiesberger: Die Ausstellung 1965 aus dem Archiv der Rudolf Steiner-Nachlaß Verwaltung in der Rudolf Steiner-Halde in Dornach . . . 8

Rudolf Steiner an Marie von Sivers. Auszug aus einem nicht datierten Brief, vermutlich Nürnberg, 25. November 1905 14

Hella Wiesberger: Zum 28. September 1924. Anläßlich der bevorstehenden Neuerscheinung «Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammen­hang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Füh­rung der Menschheit» 15

Hendrik Knobel; Zum Erscheinen des Bandes «Anthroposophie, Psycho-sophie, Pneumatosophie» 19

Hendrik Knobel: Zur Sinneslehre Rudolf Steiners 21

Faksimile eines Notizblattes von Rudolf Steiner 23 Karl Brodersen: Rudolf Steiner in der heutigen Welt. Gedanken zum Er­

scheinen der drei ersten Bände der Paperback-Reihe «Durch den Geist zur Wirklichkeits-Erkenntnis der Menschenrätsel» 26

Die Schutzfrist im Urheberrecht 28 Wolfram Groddeck: Zum zehnten Todestag von Werner Teichert am 24. Sep­

tember 1965 29

Zum Inhalt des vorliegenden Heftes 31

Die Zeichnung auf dem Umschlag wurde nach einer Bleistiftskizze Rudolf Steiners leicht verkleinert reproduziert.

Herausgeber: Rudolf Stemer-Nachlaßverwaltung, Rudolf Steiner-Halde, CH-4143 Dornach. - Redak­tion: Wolfram Groddeck. - Administration: Rudolf Steiner Verlag, Haus Duldeck, CH-4143 Domach.