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Nach langer schwerer Krankheit ver- schied am 17. August 2008 in einem Budapester Krankenhaus Károly Rédei, einer der erfolgreichsten Uralisten unse- rer Zeit. Der überwiegenden Mehrheit der Uralisten ist sein Name aufgrund seiner vielvältigen und umfangreichen Forschungstätigkeit gut bekannt und mit zahllosen Fachkollegen pflegte er einen ausgezeichneten, sehr persönli- chen, freundschaftlichen Kontakt. An dieser Stelle, wo auch wir von ihm Abschied nehmen wollen, lohnt sich noch einmal ein Blick auf sein Le- ben und Wirken. Er wurde am 11. April 1932 in dem kleinen Dorf Kiskanizsa (das heute ein Teil der Stadt Nagyka- nizsa ist) geboren. Sein ursprünglicher Familienname war Radanovics und sei- ne ersten Publikationen wurden noch unter diesem Namen veröffentlicht. Das Abitur legte er am Piaristengymnasium in Nagykanizsa ab. An diesen Abschnitt seiner Jugendzeit hat er sich immer ger- ne und mit Stolz erinnert. Ab 1951 stu- dierte er an der Philologischen Fakultät der Loránd-Eötvös-Universität (ELTE) in Budapest die ungarische Sprache und Literatur sowie finnisch-ugrische Sprach- wissenschaft unter der Leitung von Gé- za Bárczi, Dezsé Ó o Pais, Miklós Zsirai und György Lakó. Im Jahre 1955 absolvierte er seine Universitätsstudien als Gymna- siallehrer für Ungarisch. Problemlos startete er seine Forsch- erlaufbahn, denn der begabte junge Mann war nämlich schon frühzeitig sei- nen Lehrern an der ELTE aufgefallen. So konnte er im Rahmen einer Aspirantur seine Fachkenntnisse vertiefen und er- weitern und somit seine Kandidatendis- sertation über die Postpositionen der permischen Sprachen unter Anleitung von G. Lakó fertigstellen, die er dann 1960 verteidigte (erschienen unter dem Titel ”Die Postpositionen des Syrjäni- schen unter Berücksichtigung des Wot- jakischen”, Akadémiai Kiadó, Budapest 1962). In der Abteilung der Finnisch- ugrischen Sprachen des Instituts für Sprachwissenschaft der Ungarischen Aka- demie der Wissenschaften (UAW) erhielt er eine Anstellung: Anfangs als wissen- schaftlicher Mitarbeiter, später als Ab- teilungsleiter an einem umfangreichen etymologischen Projekt. G. Lakó hat ihn als Mitherausgeber dieser großen Arbeit ausgewählt, die in Jahren 1967—1978 als Linguistica Uralica XLIV 2009 1 Reviews 73 NACHRUF AUF DEN ”BERUFSETYMOLOGEN” IN MEMORIAM KÁROLY RÉDEI

NACHRUF AUF DEN ”BERUFSETYMOLOGEN” IN MEMORIAM … · ”Uralisches Etymologisches Wörterbuch I—III.” (Budapest—Wiesbaden, Akadé-miai Kiadó — Otto Harrassowitz, 1988—

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Page 1: NACHRUF AUF DEN ”BERUFSETYMOLOGEN” IN MEMORIAM … · ”Uralisches Etymologisches Wörterbuch I—III.” (Budapest—Wiesbaden, Akadé-miai Kiadó — Otto Harrassowitz, 1988—

Nach langer schwerer Krankheit ver-schied am 17. August 2008 in einemBudapester Krankenhaus Károly Rédei,einer der erfolgreichsten Uralisten unse-rer Zeit. Der überwiegenden Mehrheitder Uralisten ist sein Name aufgrundseiner vielvältigen und umfangreichenForschungstätigkeit gut bekannt undmit zahllosen Fachkollegen pflegte ereinen ausgezeichneten, sehr persönli-chen, freund schaftlichen Kontakt.

An dieser Stelle, wo auch wir vonihm Abschied nehmen wollen, lohntsich noch einmal ein Blick auf sein Le-ben und Wirken. Er wurde am 11. April1932 in dem kleinen Dorf Kiskanizsa(das heute ein Teil der Stadt Nagyka-nizsa ist) geboren. Sein ursprünglicher

Familienname war Radanovics und sei-ne ersten Publikationen wurden nochunter diesem Namen veröffentlicht. DasAbitur legte er am Piaristengymnasiumin Nagykanizsa ab. An diesen Abschnittseiner Jugendzeit hat er sich immer ger-ne und mit Stolz erinnert. Ab 1951 stu-dierte er an der Philologischen Fakultätder Loránd-Eötvös-Universität (ELTE)in Budapest die ungarische Sprache undLiteratur sowie finnisch-ugrische Sprach-wissenschaft unter der Leitung von Gé-za Bárczi, Dezs é Óo Pais, Miklós Zsirai undGyörgy Lakó. Im Jahre 1955 absolvierteer seine Universitätsstudien als Gymna-siallehrer für Ungarisch.

Problemlos startete er seine Forsch-erlaufbahn, denn der begabte jungeMann war nämlich schon frühzeitig sei-nen Lehrern an der ELTE aufgefallen. Sokonnte er im Rahmen einer Aspiranturseine Fachkenntnisse vertiefen und er-weitern und somit seine Kandidatendis-sertation über die Postpositionen derpermischen Sprachen unter Anleitungvon G. Lakó fertigstellen, die er dann1960 verteidigte (erschienen unter demTitel ”Die Postpositionen des Syrjäni-schen unter Berücksichtigung des Wot-jakischen”, Akadémiai Kiadó, Budapest1962). In der Abteilung der Finnisch-ugrischen Sprachen des Instituts fürSprachwissenschaft der Ungarischen Aka -demie der Wissenschaften (UAW) erhielter eine Anstellung: Anfangs als wissen-schaftlicher Mitarbeiter, später als Ab-teilungsleiter an einem umfangreichenetymologischen Projekt. G. Lakó hat ihnals Mitherausgeber dieser großen Arbeitausgewählt, die in Jahren 1967—1978 als

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NACHRUF AUF DEN ”BERUFSETYMOLOGEN”IN MEMORIAM KÁROLY RÉDEI

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”A magyar szókészlet finnugor elemei”(= ”Finnisch-ugrische Elemente des un-garischen Wortschatzes”) in AkadémiaiKiadó in Budapest erschien. 1967 wur-de er zum Abteilungsleiter ernannt undin demselben Jahr erlangte er seine Dok-torwürde der Sprachwissenschaft an derUAW. Das Theama der Doktorarbeit warviel breiter als man aufgrund des Titelsannehmen könnte: ”Die syrjänischenLehnwörter im Wogulischen” (Akadé-miai Kiadó, Budapest 1970), Károly Ré-dei ist nämlich in Anlehnung an ge-schichtliche Quellen auch auf die Ge-schichte der syrjänisch-wogulischen Be-ziehungen eingegangen und hat auch dieaus dem Syrjänischen in das Ostjakischeentlehnten Lexeme inventarisiert.

Im Jahre 1974 wurde Károly Rédeimit der Gründung des Instituts für Fin-no-Ugristik an der Universität Wien be-auftragt, welches im Laufe der vergan-genen Jahre zu einem weltweit aner-kannten Zentrum unserer Disziplin ge-worden ist. Es muss in diesem Zusam-menhang erwähnt werden, dass er trotz-dem seine wissenschaftliche Tätigkeitauch im Institut für Sprachwissenschaftin Budapest fortsetzte (vgl. UEW).

Im Mittelpunkt seines Interesses stan -den die Etymologie, die Lautgeschichte,die Permistik, die Obugristik, die Kon-takte zwischen den uralischen sowie denTurk- und den indogermanischen Spra-chen sowie die uralisch-russischen Sprach-kontakte. Stets am Herzen lagen ihm diemorphologischen und syntaktischen Fra-gen der uralischen und finnisch-ugri-schen Grundsprache und die späterenSprachzuständen u. a. ungarische Pro-bleme. Dominant war aber zweifelsoh-ne die Etymologie. Es gab kaum einenanderen Fachmann in der Geschichte derUralistik, der so begeistert, so erfolgreichdiese Teildisziplin kultiviert hätte wie er.Allein in seiner Reihe ”Szófejtések” (”Ety-mologien”) hat er beinahe 300 Wortarti-kel publiziert, die gänzlich oder zum Teilneue Wortgleichungen enthalten odermit wesentlichen (lautgeschichtlichen,semantischen) Ergänzungen zu vielenLexemen und Wortfamilien unser Wis-sen bereichert haben. Auch das Werk,welches Károly Rédeis Namen auch au-

ßerhalb der Uralistik zu einem enormenBekanntheitgrad verholfen hat, ist unterseiner Leitung im Institut für Sprach-wissenschaft der UAW verfasst worden:”Uralisches Etymologisches WörterbuchI—III.” (Budapest—Wiesbaden, Akadé-miai Kiadó — Otto Harrassowitz, 1988—1991). In diesem Wörterbuch sind diegemeinsamen, uralten Lexeme unsererSprachfamilie auf kulturgeschichtlichemHintergrund mit sachlichen Erklärungenund reichlichen bibliographischen Hin-weisen zuverlässig vorgestellt und in-terpretiert. Er war der Herausgeber undgleichzeitig einer der Lektoren und Mit-arbeiter dieses großangelegten Unter-nehmens. Nicht nur seine etymologi-schen Reihen, seine eigenständigen ety-mologischen Fachartikel beweisen denbesonderen Status dieser Disziplin in sei-nem Lebenswerk, sondern auch die die-ser Thematik gewidmeten Monografien.Neben dem oben erwähnten Buch ”Diesyrjänischen Lehnwörter im Woguli-schen” möchte ich die Aufmerksamkeitder Fachwelt auf das Werk ”Zu den in-dogermanisch-uralischen Sprachkontak-ten” (Verlag der Österreichischen Aka-demie der Wissenschaften, Wien 1986)lenken, in dem er die Kontakte periodi-sierte und die verschiedenen histori-schen Schichten auseinanderzuhaltenversuchte. Wenn wir auch quantitativein Bild über seine Jahrzehnte geleisteteetymologische Tätigkeit schaffen, wer-den wir schnell einsehen müssen, dasser wohl ca. tausend Wortzusammen-hänge betrachtet hat, und sich die über-wiegende Mehrzahl seiner Ergebnisse alsrichtig herausgestellt hat. Es ist kein Zu-fall, dass Péter Hajdú, eine weitere pro-minente Persönlichkeit der Uralistik, ihnin einer Rezension als Berufsetymologenbezeichnet hat. Seine umfassenden Sprach-und Fachkenntnisse sowie seine regeaber zugleich disziplinierte Phantasie ha-ben all dies ermöglicht. Nicht einmal inden Jahren, die überschattet waren mitdem Kampf gegen die Krankheit, hörteer auf, sich mit kleineren etymologischenStudien zu befassen, von denen jedochnur ein geringer Teil druckfertig wurde.

Innerhalb der uralischen Sprachenwar das Syrjänische sein Lieblingsfor-

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schungsobjekt, dessen diachronische undsynchronische Probleme in Monografienund in vielen Aufsätzen behandelt wur-den. Er war seinerzeit in einer sehrglücklichen Lage, denn er konnte dieSprache an Ort und Stelle studieren, soauch die Sprache selbst erlernen und vie-le Texte aufzeichnen, was während desBestehens der Sowjetunion im Hinblickauf Ausländer eine außergewöhnlicheSeltenheit darstellte. In Leningrad hat ermit Ostjaken gearbeitet und von ihnenwertvolle grammatische Informationenbekommen. Károly Rédeis syrjänischenund ostjakischen Sammlungen stehenschon seit langem der Fachwelt zur Ver-fügung.

Dank seiner pädagogischen Arbeitan der Universität Wien haben viele Stu-denten die wunderbare Welt des Unga-rischen, des Finnischen und kleinereruralischer Sprachen kennenlernen sowiedie Methoden der historisch-verglei-chenden Sprachwissenschaft erlernenkönnen. Man darf nicht vergessen, wiemühsam es war, gute Arbeitsbedingun-gen in einem ganz neuen Institut zuschaffen, begabte und gut ausgebildeteMitarbeiter nach Wien zu holen. DerAufbau der inzwischen in Fachkreisenberühmt gewordenen Bibliothek seines

Instituts war beinahe eine Heldentat:Zum Glück aber haben Österreich, Un-garn und Finnland Károly Rédei in die-sem Bestreben großzügig unterstützt.

Etwas ganz Persönliches sei an die-ser Stelle noch erwähnt: Als Abtei-lungsleiter hat er sich immer sehr sorg-fältig um den Nachwuchs gekümmert,er besprach viele wichtige uralistischeFachwerke mit seinen jungen Mitarbei-tern, er lehrte ihnen die von ihm unter-suchten verwandten Sprachen. Als einerder damaligen Jungen kann ich sagen,dass ein Teil der gegenwärtigen ungari-schen Uralisten die unentbehrliche wis-senschaftliche ”Wegzehrung” mittelbaroder unmittelbar von ihm erhalten hat.

Seine Tätigkeit wurde mit zahlrei-chen Preisen und Auszeichnungen an-erkannt. Das Wertvollste dabei ist, dasssowohl die Ungarische Akademie derWissenschaften als auch die FinnischeAkademie ihn zum Mitglied gewählt ha-ben.

Allen, die Károly Rédei persönlichgekannt haben, wird der gute Kollegeund der liebe Freund fehlen, sein Geistlebt aber in seinem Œuvre weiter, indem die jüngeren Generationen seineAnsichten und Ergebnisse entdeckenkönnen.

LÓASZLÓO HONTI (Budapest)

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