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14 JOT 8.2013 Diskussion über Nanopartikel in Lacken Nano-Regulierung Sekt oder Selters? Nach einem ersten Vorschlag der EU-Kommission würden fast alle Pigmente, Füllstoffe und Additive unter die Definition Nanomaterialien fallen. Damit würden alle Lacke und Farben Nanomaterialien enthalten und sämtliche lackierten Gegenstände wären entsprechend zu kennzeichnen. D ie Nanotechnologie ist die Zu- kunft – dies gilt auch und ganz besonders für die Lackindustrie. Nur wer neu entwickelte Nanomateriali- en verwendet, wird mittelfristig die technologischen Herausforderungen bestehen können. Nicht umsonst be- zeichnet die Europäische Kommissi- on in ihrem Second Regulatory Re- view die Nanotechnologie als eine „Schlüsseltechnologie“. Die europäische Lackindustrie hat die Chancen erkannt und bereits frühzeitig Produkte auf den Markt gebracht, die speziell entwickelte, neue Nanomaterialien enthalten, um damit Beschichtungsstoffe herzustel- len, die wesentlich verbesserte oder gänzlich neue Eigenschaften aufwei- sen. Am bekanntesten sind Produkte für selbstreinigende Beschichtungen (Lotus-Effekt), aber auch Effektlacke, antibakterielle Farben, hochkratzfes- te Autolacke oder photokatalytische Farben. Aber dabei bleibt die Lackindus- trie nicht stehen: In Zusammenarbeit mit den Rohstoffherstellern werden die Forschungs- und Entwicklungsar- beiten immer weiter vorangetrieben. So arbeitet man beispielsweise bereits an selbstheilenden Lacken elektrisch leitenden Lacken, schaltbaren Lacken oder Lacken zur Solarstromerzeugung. Was sind Nanopartikel? Als Nanotechnologie bezeichnet man die Technologie, die sich mit Materie- teilchen in der Größenordnung von einem bis 100 Nanometern befasst. Ein Nanometer ist ein milliardstel Meter, und Partikel in dieser Klein- heit absorbieren das sichtbare Licht nicht mehr. Die Größenverhältnis- se lassen sich am besten so visualisie- ren: Ein Nanopartikel verhält sich zur Größe eines Fußballs etwa so wie der Fußball zum Erdball. Risiken? Wenn Nanopartikel technisch ein- gesetzt werden, sind sie in der Regel gut untersucht – nicht zuletzt durch REACH werden bis spätestens 2018 al- le notwendigen Daten zur Verfügung stehen. Auch stellt die Natur selbst gigan- tische Mengen an Nanopartikeln her, zum Beispiel durch Verwitterung oder bei jedem Waldbrand. Mögliche Aus- wirkungen auf die menschliche Ge- sundheit oder die Umwelt sind jedoch im Einzelfall nicht gänzlich ausge- schlossen. Die gegenwärtig laufenden Untersuchungen müssen deshalb wei- ter fortgeführt werden, insbesondere vor dem Hintergrund des fortschrei- tenden Einsatzes von Nanomaterialien. Solche tatsächlichen oder ver- meintlichen Wissenslücken rufen na- turgemäß die Politik auf den Plan. So fordern das Europarlament, aber auch nationale Regierungen in Europa eine gesetzliche Regelung der Nanotechno- logie. Auf Grund dieses Drucks hat die EU-Kommission im Herbst 2011 einen ersten Definitionsvorschlag für Nano- material vorgelegt, der für kommende gesetzliche Regelungen verwendet wer- den soll: „Nanomaterial“ ist ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder herge- stelltes Material, das Partikel in unge- bundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält, und bei dem mindestens 50 Prozent der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von einem Nanometer bis 100 Nanometer haben. Nach dieser Definition ist Meeres- sand bereits Nanomaterial, denn darin sind mehr als 50 Prozent der „Sand- körner“ kleiner als 100 Nanometer. Wichtiger aber sind die Auswirkungen auf die Lackindustrie: fast alle Pigmente, praktisch alle Füllstoffe, nahezu alle Additive fallen unter die Definition, und das be- deutet, dass alle (!) Lacke und Farben Nanomaterialien enthalten. Das wäre weiter nicht so schlimm, würden nicht im politischen Raum Forderungen erhoben, die an die De- finition geknüpſt werden. So verlangt das Europäische Parlament zum ei- nen die Kennzeichnung von Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen (Gegen- ständen), die Nanomaterialien enthal- ten, nicht ahnend, dass alle lackierten Gegenstände auf Grund der Definition der EU-Kommission so zu kennzeich- nen wären. Zum anderen fordert eine Rei- he von EU-Mitgliedsstaaten ein um- fassendes Register, in dem alle die- se Stoffe, Gemische und Erzeugnisse aufzulisten sind mit der Begründung, dass neben den Behörden auch die Verbraucher informiert werden und eine Alternative erhalten sollen, sich zwischen nanohaltigen und nicht- nanohaltigen Produkten entschei- den zu können. Nur: Wie oben dar- gestellt, gibt es keine Lacke und Far- ben oder lackierte oder angestrichene Gegenstände, die keine Nanomateri- MARKT & KONJUNKTUR JOURNAL FÜR OBERFLÄCHENTECHNIK

Nano-Regulierung — Sekt oder Selters?

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14 JOT 8.2013

Diskussion über Nanopartikel in Lacken

Nano-Regulierung – Sekt oder Selters?Nach einem ersten Vorschlag der EU-Kommission würden fast alle Pigmente,

Füllsto�e und Additive unter die De�nition Nanomaterialien fallen.

Damit würden alle Lacke und Farben Nanomaterialien enthalten und sämtliche

lackierten Gegenstände wären entsprechend zu kennzeichnen.

Die Nanotechnologie ist die Zu-kunft – dies gilt auch und ganz

besonders für die Lackindustrie. Nur wer neu entwickelte Nanomateriali-en verwendet, wird mittelfristig die technologischen Herausforderungen bestehen können. Nicht umsonst be-zeichnet die Europäische Kommissi-on in ihrem Second Regulatory Re-view die Nanotechnologie als eine „Schlüsseltechnologie“.

Die europäische Lackindustrie hat die Chancen erkannt und bereits frühzeitig Produkte auf den Markt gebracht, die speziell entwickelte, neue Nanomaterialien enthalten, um damit Beschichtungsstoffe herzustel-len, die wesentlich verbesserte oder gänzlich neue Eigenschaften aufwei-sen. Am bekanntesten sind Produkte für selbstreinigende Beschichtungen (Lotus-Effekt), aber auch Effektlacke, antibakterielle Farben, hochkratzfes-te Autolacke oder photokatalytische Farben.

Aber dabei bleibt die Lackindus-trie nicht stehen: In Zusammenarbeit mit den Rohstoffherstellern werden die Forschungs- und Entwicklungsar-beiten immer weiter vorangetrieben. So arbeitet man beispielsweise bereits an

— selbstheilenden Lacken — elektrisch leitenden Lacken,

schaltbaren Lacken oder — Lacken zur Solarstromerzeugung.

Was sind Nanopartikel?Als Nanotechnologie bezeichnet man die Technologie, die sich mit Materie-teilchen in der Größenordnung von einem bis 100 Nanometern befasst. Ein Nanometer ist ein milliardstel Meter, und Partikel in dieser Klein-

heit absorbieren das sichtbare Licht nicht mehr. Die Größenverhältnis-se lassen sich am besten so visualisie-ren: Ein Nanopartikel verhält sich zur Größe eines Fußballs etwa so wie der Fußball zum Erdball.

Risiken?Wenn Nanopartikel technisch ein-gesetzt werden, sind sie in der Regel gut untersucht – nicht zuletzt durch REACH werden bis spätestens 2018 al-le notwendigen Daten zur Verfügung stehen.

Auch stellt die Natur selbst gigan-tische Mengen an Nanopartikeln her, zum Beispiel durch Verwitterung oder bei jedem Waldbrand. Mögliche Aus-wirkungen auf die menschliche Ge-sundheit oder die Umwelt sind jedoch im Einzelfall nicht gänzlich ausge-schlossen. Die gegenwärtig laufenden Untersuchungen müssen deshalb wei-ter fortgeführt werden, insbesondere vor dem Hintergrund des fortschrei-tenden Einsatzes von Nanomaterialien.

Solche tatsächlichen oder ver-meintlichen Wissenslücken rufen na-turgemäß die Politik auf den Plan. So fordern das Europarlament, aber auch nationale Regierungen in Europa eine gesetzliche Regelung der Nanotechno-logie. Auf Grund dieses Drucks hat die EU-Kommission im Herbst 2011 einen ersten De�nitionsvorschlag für Nano-material vorgelegt, der für kommende gesetzliche Regelungen verwendet wer-den soll:

„Nanomaterial“ ist ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder herge-stelltes Material, das Partikel in unge-bundenem Zustand, als Aggregat oder als Agglomerat enthält, und bei dem

mindestens 50 Prozent der Partikel in der Anzahlgrößenverteilung ein oder mehrere Außenmaße im Bereich von einem Nanometer bis 100 Nanometer haben.

Nach dieser De�nition ist Meeres-sand bereits Nanomaterial, denn darin sind mehr als 50 Prozent der „Sand-körner“ kleiner als 100 Nanometer. Wichtiger aber sind die Auswirkungen auf die Lackindustrie:

— fast alle Pigmente, — praktisch alle Füllsto�e, — nahezu alle Additive

fallen unter die De�nition, und das be-deutet, dass alle (!) Lacke und Farben Nanomaterialien enthalten.

Das wäre weiter nicht so schlimm, würden nicht im politischen Raum Forderungen erhoben, die an die De-�nition geknüp� werden. So verlangt das Europäische Parlament zum ei-nen die Kennzeichnung von Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen (Gegen-ständen), die Nanomaterialien enthal-ten, nicht ahnend, dass alle lackierten Gegenstände auf Grund der De�nition der EU-Kommission so zu kennzeich-nen wären.

Zum anderen fordert eine Rei-he von EU-Mitgliedsstaaten ein um-fassendes Register, in dem alle die-se Stoffe, Gemische und Erzeugnisse aufzulisten sind mit der Begründung, dass neben den Behörden auch die Verbraucher informiert werden und eine Alternative erhalten sollen, sich zwischen nanohaltigen und nicht-nanohaltigen Produkten entschei-den zu können. Nur: Wie oben dar-gestellt, gibt es keine Lacke und Far-ben oder lackierte oder angestrichene Gegenstände, die keine Nanomateri-

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alien enthalten. Der Aufwand, der für eine Kennzeichnung oder gar ein Register erforderlich wäre, ist gigan-tisch. Und der Mehrwert für den Ver-braucher ist Null.

Der Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie hat von der Technischen Universität Dresden wis-senschaftliche Studien durchführen lassen, bei denen die potenzielle Frei-setzung von künstlich hinzugefügten Nanopartikeln aus lackierten Ober�ä-chen untersucht wurde. Später wurden ähnliche Studien in Frankreich und in Dänemark – jeweils unter Beteiligung staatlicher Stellen – durchgeführt. Alle Studien zeigen dasselbe Ergebnis:

— Hinsichtlich der Freisetzung von Nanopartikeln gibt es keinen Un-terschied zwischen Nanolacken und zur Kontrolle getesteten her-kömmlichen Lacken.

— Die Anzahl der freigesetzten Na-nopartikel liegt an der Nachweis-grenze beziehungsweise ist sehr niedrig.

— Die freigesetzten Nanopartikel sind Bruchstücke der Bindemit-telmatrix.

— Die zugegebenen Nanopartikel sind fest in die Bindemittelmatrix eingebunden.

Sinnvolle LösungenWie kann nun eine sinnvolle und sachgerechte Lösung gefunden wer-den? Wenn di�use Ängste – mögen sie auch unbegründet sein – in der Bevöl-kerung vorhanden sind, kann dieses Faktum nicht einfach ignoriert wer-den. Deshalb sind die Untersuchungs-anstrengungen im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung der mensch-

lichen Gesundheit oder der Umwelt durch Nanopartikel zu forcieren. An-dererseits sind ungeeignete politische Pro�lierungsmaßnahmen, die ledig-lich populistischen Aktionismus dar-stellen, abzulehnen.

Gesetzliche Regelungen müssen sinnvoll und erfüllbar sein, ansonsten werden Politik und Behörden unglaub-würdig. Ein umfassendes Register aller lackierten Gegenstände – das leuchtet jedem ein – ist absurd. Es wird nie ge-lingen, eine Liste sämtlicher lackierter Gegenstände einschließlich der vielen Importe à jour zu halten. Selbst wenn das gelänge, könnte kein Mensch etwas mit einer derart unübersichtlichen Lis-te anfangen.

Sinnvoll ist eine Kennzeichnung nanomaterialhaltiger Produkte, wenn hierdurch Gefahren für Mensch und Umwelt entstehen können. In Europa und weltweit hat man gute Erfahrun-gen gemacht, durch Gefahrenkenn-zeichnung auf solche Risiken hin-zuweisen. Eine Überkennzeichnung hingegen ist aus guten Gründen ver-boten, denn dies würde dazu führen, dass ein „Gewöhnungse�ekt“ eintritt und die Gefahrenkennzeichnung ig-noriert wird – auch dann, wenn sie berechtigt ist.

Ein Nano-Register kann sinnvoll sein, wenn es auf bestimmte Kriterien beschränkt bleibt. Wenn Nanoparti-kel, die auf Grund von Untersuchun-gen als gefährlich eingestuft werden müssen, verwendet werden und ei-ne Exposition gegenüber diesen Par-tikeln gegeben ist, kann eine Auf-listung zweckmäßig sein. Aber die-se Kriterien müssen auch tatsächlich erfüllt sein.

Die von politisch interessierter Sei-te o�mals herangezogene Bemühung des „Vorsorgeprinzips“ beruht auf ei-nem völligen Missverständnis dieser Idee: Das Vorsorgeprinzip greift nur dann, wenn tatsächliche Hinweise auf eine Gefährdung vorliegen, ohne dass eine Kausalkette bereits vollständig ge-schlossen wäre. Hiervon kann im Zu-sammenhang mit Nanomaterialien keineswegs pauschal die Rede sein.

Politik und Behörden ist zu wün-schen, das häu�g zitierte und notwen-dige Augenmaß nicht zu verlieren, son-dern sinnvolle und nachvollziehbare Regelungen zu tre�en, die die Zukun� dieser Schlüsseltechnologie nicht ab-würgen.

Der Beitrag beruht auf einem Vortrag des Autors auf der GSB-Mitgliederver-sammlung am 3. Mai 2013 in Wien.

Links: Beispiel für Nanopartikel – diese Zinkoxid-Teilchen sind etwa 20 nm groß; rechts: Lackabrieb mit in die Bindemittelmatrix eingebundenen Nanopartikeln (20 nm Zinkoxid)

Dr. Dietmar EichstädtHauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie e.V., Frankfurt