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nere Antriebsquellen. Wer selbstmotiviert übt, wird auf · 2010. 8. 13. · Interesse, Neugier und Spaß an der Sache sind mächtige in-nere Antriebsquellen. Wer selbstmotiviert

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  • Interesse, Neugier und Spaß an der Sache sind mächtige in-nere Antriebsquellen. Wer selbstmotiviert übt, wird aufDauer die besseren Ergebnisse erzielen, ausdauernder undkonzentrierter lernen. Manchmal wird das Lernen dannselbst zum Erlebnis, dann nämlich, wenn der so genannteFlow einsetzt, die Phase euphorischer Versenkung. Wie El-tern und Lehrer die Lernlust der Kinder anregen können,was Motivation bremst und antreibt, wird in diesem Rat-geber klar strukturiert dargelegt. Auf das richtige Maßkommt es an. Unterforderung wirkt ebenso lähmend wieÜberforderung. Untersucht werden Fragen wie: Was läuftim Kopf ab, welche Rolle spielen Emotionen und Stress,welche Rahmenbedingungen fördern die Leistungsfähig-keit? Ein nach Altersstufen gestaffelter Testteil weist nach,wo das Potenzial und die Schwächen eines Kindes liegen.Tipps und Übungen setzen diese Erkenntnisse dann in ei-nen konkreten Aktionsplan um.

    Ischta Lehmann, geboren 1976, hat die Journalistenschuleabsolviert, für verschiedene Zeitschriften gearbeitet und lebtals Redakteurin in München.

  • Leichter lernen mitSchule

    Ischta Lehmann

    MotivationWie Eltern ihr Kind unterstützen können

    Mit Test und Übungen

    Herausgegeben von Gaby Miketta

    Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Martin Korte, Hirnforscher an der Technischen Universität Braunschweig

    Deutscher Taschenbuch Verlag

  • OriginalausgabeApril 2008© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, Münchenwww.dtv.deDas Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.Umschlaggestaltung und -illustration: Björn Maier/FOCUSTest: Prof. Dr. Elke Wild, Dipl.-Psych. Monika Rammert, Universität Bielefeld 2007Satz: Greiner & Reichel, KölnGesetzt aus der Candida 9,5/13˙Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in Germany · ISBN 978-3-423-34475-3

    Weitere Bände der Reihe ›Leichter lernen mit FOCUS-SCHULE‹ im Deutschen Taschenbuch Verlag:

    Petra Thorbrietz: Konzentration (34445)Claudia Tebel-Nagy: Gedächtnis (34506; Oktober 2008)

  • INHALT

    Warum ist Motivation so wichtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

    Was ist Motivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10Handeln heißt Entscheidungen treffen . . . . . . . . . . . 11Leben prägt das Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15Der eigene Antrieb ist die stärkste Kraft . . . . . . . . . . 17Motivation braucht ein Gegenüber . . . . . . . . . . . . . . 20Neugier bildet die Basis für Lernfreude . . . . . . . . . . 21Wer sich etwas zutraut, wagt mehr . . . . . . . . . . . . . . 23Gefühle spielen eine Hauptrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 25Lernen erfordert Geduld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

    Was bremst die Motivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30Fehlende Liebe hemmt das Wachstum . . . . . . . . . . . 30Schlechtes Schulklima steckt an . . . . . . . . . . . . . . . . 32Elternangst macht Kinder unselbstständig . . . . . . . . 34Belohnungen lohnen nicht immer . . . . . . . . . . . . . . 37Stress schädigt das Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38Belastungen rauben Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Überforderung mindert die Kraft . . . . . . . . . . . . . . . 42Wer sich für dumm hält, wird es auch . . . . . . . . . . . . 45Ohne Interesse fehlt der Bezug zum Lernstoff . . . . . 49Mediale Überdosis torpediert das Belohnungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51In der Pubertät ist das Gehirn eine Baustelle . . . . . . 53

  • Was ist wichtig für starke Motivation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Eine liebevolle Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Freiraum in guten Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten . . . . . . . . . . 62

    Test: Wie motiviert ist mein Kind?

    Emotionale Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65Durchhaltevermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68Die richtigen Belohnungen, die richtige Kritik . . . . . 69Wissbegier und Forscherdrang . . . . . . . . . . . . . . . . . 73Entspannung und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

    Was können Eltern tun? Plan of Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77Die Basics: Das ist wichtig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Schneller Aktionsplan für eine Woche . . . . . . . . . . . 80Mittelfristiger Aktionsplan für einen Monat . . . . . . . 83Langfristige Strategie: In einem halben Jahr . . . . . . 87Darauf sollten Sie bei den Hausaufgaben achten . . . 89Troubleshooting: Was mache ich, wenn …? . . . . . . . 93

    Motivation – Tag für Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Turbo für die Neugier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Clevere Stresskiller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105Pausen mit Power . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108Die Bremse im Kopf überlisten . . . . . . . . . . . . . . . . . 111Zauberformeln, die ziehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113Feedback, das anspornt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

    Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119Literatur und Trainingsprogramme (Auswahl) . . . . . 119Kontaktadressen und Internetseiten . . . . . . . . . . . . . 124Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

  • WARUM IST MOTIVATION SO WICHTIG?

    Mit dem Wechsel aufs Gymnasium fingen bei Olli die Pro-bleme an. Während der aufgeweckte Elfjährige in den ers-ten vier Grundschuljahren immer gern zur Schule gegan-gen war, hören seine Eltern jetzt morgens immer öfter: »Ichhabe keinen Bock!« Die nachmittägliche Hausaufgabenzeitwird zur Geduldsprobe für ihn und seine Mutter Alexandra.Meist ermahnt sie ihn mehrfach, bis er sich endlich in sei-nem Zimmer an den Schreibtisch setzt. Sieht sie dann zehnMinuten später nach ihm, findet sie ihn mit etwas völlig an-derem beschäftigt. »Ich muss nur eben mein Fußball-Trikotsuchen«, murmelt er. Oder: »Ich mach noch schnell was fer-tig, das ist wichtig!« Statt zügig zu arbeiten, starrt er ausdem Fenster, malt kleine Männchen auf seine Unterlagenoder kaut auf dem Stift. Rügt ihn Alexandra dafür, ergibt oftein Wort das andere und ein Streit ist im Gange. In letzterZeit ist sie deswegen dazu übergegangen, während des Ler-nens an seiner Seite zu bleiben und die Aufgaben mit ihmgemeinsam zu erledigen. Doch das dauert Stunden. AmEnde sind Mutter und Sohn meist so genervt, dass Alexan-dra ihm schnell die Lösungen sagt, damit er seine Aufgabenendlich fertig bekommt. Stöhnt er schließlich: »Schule istdoof!«, fällt es ihr immer schwerer zu widersprechen.

    So wie Olli geht es vielen Kindern. Ihnen fehlt es nicht anBegabung, sondern an Motivation. Denn nicht allein derIntelligenzquotient eines Kindes entscheidet über Gelingenoder Versagen, sondern ein ganzes Bündel von Faktoren.Schulerfolg ist Können plus Wollen. Anstrengungsbereit-schaft ist ebenso unverzichtbar im Schulalltag wie es Lern-strategien sind. Lern- und leistungsschwachen Schülernmangelt es oft vor allem an Lernmotivation. Befassen sie sichdann nur auf Grund äußeren Drucks mit einem Thema, nei-

    7Warum ist Motivation so wichtig?

  • gen sie dazu, oberflächlich zu lernen und sich nicht in dieMaterie zu vertiefen. Lernen ohne Motivation ist wie Essenohne Geschmackssinn – nicht sehr befriedigend und weniglustvoll. Studien zeigen: Während der Schulzeit sinkt dieLern- und Leistungsmotivation der meisten Schüler mit je-dem Jahr mehr. Der Abwärtstrend setzt bereits früh ein:Heute haben es Schulpsychologen längst nicht mehr nur mitunwilligen Pubertierenden zu tun, sondern immer häufigerauch mit Grundschulkindern, denen der Antrieb fehlt. DieFolgen der voranschreitenden Lustlosigkeit können drama-tisch sein. Etwa acht Prozent der Schüler schwänzen regel-mäßig den Unterricht, unter den Hauptschülern sind es so-gar 15 Prozent. Zehn Prozent aller Schüler eines Jahrgangsverlassen die Schule ohne Abschluss.

    Fehlt die Motivation, ist alles so viel mühsamer: Eine Ma-thestunde wird zäh und endlos lang, die tägliche Hausaufga-benzeit zur Geduldsprobe. Das Arsenal an Tricks, das Elterndann aufbieten, um ihre Kinder auf die richtige Fährte zuführen, ist groß: Sie locken mit ausgefeilten Notentarifen,drohen mit Fernsehverbot, bitten, schimpfen – und verzwei-feln oft. Denn ohne Motivation mangelt es Kindern an Ener-gie, dem inneren Antrieb, etwas zu tun. Und den können El-tern leider nicht einfach so »anknipsen«.

    Motivation ist keine unveränderliche Größe – sie ist wan-delbar, je nach Situation, Stimmung, Thema. Aber: KeinKind ist von Grund auf »unmotiviert«. Jeder Mensch hatAntriebskräfte, die ihn befähigen, bestimmte Dinge zu tun.Dass diese Kräfte sich nicht unbedingt immer auf Matheoder Erdkunde richten, ist zwar bedauerlich, lässt sich aberändern. Zum Glück, denn die Pluspunkte, die motiviertesLernen mit sich bringt, sind enorm: Der innere Antrieb stei-gert Interesse und Ausdauer und stärkt die Konzentra-tion. Wer selbstmotiviert übt, das zeigen Studien, erzielt imDurchschnitt bessere Noten als die widerwilligen Lerner.Und er hat mehr Spaß daran. Das ist auch für Eltern einfa-

    8 Warum ist Motivation so wichtig?

  • cher, die dann nicht ständig den Antreiber spielen müssen.Studien belegen außerdem, dass selbstbestimmt motivierteSchüler sinnvollere Lernstrategien einsetzen. Sie gleichenbeispielsweise neues Wissen mit dem ab, das sie bereits ha-ben, und überprüfen, ob sie den Stoff wirklich verstandenhaben. Das Gelernte bleibt bei ihnen länger haften. Und hatman einmal die Freude am Wissenszuwachs entdeckt, ist esauch wahrscheinlicher, dass man weiterlernt. Wer gern lernt,lernt gern noch mehr – eine positive Spirale, auf die man sichverlassen kann. Ein weiterer günstiger Nebeneffekt: Ist manin einem Fach erfolgreich, steigt die Wahrscheinlichkeit, inanderen Fächern gute Noten zu erzielen. Davon profitiertzudem die Gesundheit: Wer motiviert ist, leidet nicht soschnell unter Stressbeschwerden wie Kopfschmerzen oderBauchweh. Motivation hält fit! Dahinter steckt ein biochemi-scher Mechanismus. Die Motivations- und Stresssystemedes Gehirns sind aneinander gekoppelt. Powert das Motiva-tionssystem, wird mit den dabei freigesetzten Botenstoffendas Stresssystem beruhigt – man ist belastbarer und gelasse-ner. Außerdem sorgt selbstbestimmtes und interessiertesLernen dafür, dass Mathe & Co nicht nur in der Schule statt-finden, sondern auch im richtigen Leben zum Einsatz kom-men. So weisen die Fächer oder Themen aus der Schuledann möglicherweise auch den Weg bei der Berufswahl undin der Freizeitgestaltung. Motivation hilft Kindern, ihre Pas-sion zu finden. Das ist ein Baustein für ein glückliches Leben.

    Aber woher kommt der innere Antrieb, etwas wissen zuwollen, auch wenn es Mühe erfordert? Und wie kann dieserMotor in Gang gebracht werden? Genau darum geht es indiesem Buch. Es erklärt, wie die Mechanismen der Motiva-tion ablaufen und wie Eltern ihre Kinder auf dem Weg zumehr Lernfreude unterstützen und fördern können.

  • WAS IST MOTIVATION?

    »Motivation ist so etwas wie eine mildeForm der Besessenheit.«

    Richard DeCharms,Motivationsforscher

    Vom lateinischen Verb »movere«, bewegen, leitet sich derAusdruck Motivation her. Und in der Tat: Wer motiviert ist,der bewegt etwas, ist ausdauernd und konzentriert bei derSache, vollbringt vielleicht sogar geistige, sportliche oderkreative Höchstleistungen. Motivation treibt an, etwas zuunternehmen oder zu lassen. Sie hilft bei den rund 10000Entscheidungen, die jeder Mensch täglich bewusst und un-bewusst trifft – vom Augenöffnen bis zur Abendplanung.Kinder wählen Chemie oder Computerspiel, Lernen oder vordem Fernseher lümmeln.

    Wie wichtig Motivation ist, bemerken wir Erwachsenemeist erst schmerzlich, wenn sie nicht vorhanden ist und wirsie dringend brauchen: Weil wir eine Diät durchhalten wol-len, das Rauchen aufgeben oder endlich die Steuererklärungabschicken möchten. Schüler kennen das »Null Bock«-Ge-fühl zur Genüge. Für viele ist es ein täglicher Kampf, sich denHausaufgaben zu widmen. Sie quälen sich widerwillig durchKlavieretüden oder räumen nur unter Protest ihr Zimmer auf.

    Warum hat ein Kind Lust zu lernen, oder eben nicht? Schonvor der Einschulung entwickeln sich, geprägt zu einemGroßteil durch Erziehung und Vorbild der Eltern, bestimmteEinstellungen zu Motivation und Lernen. Wie die Leistungs-bereitschaft zustande kommt, welche Vorgänge dabei im Ge-hirn ablaufen, welche Faktoren den inneren Antrieb prägenund wie er sich ausbildet – das lesen Sie auf den folgendenSeiten.

    10 Was ist Motivation?

  • Handeln heißt Entscheidungen treffen

    Die äußeren Anzeichen der Motivation bei Ihrem Kind ken-nen Sie: Leuchtende Augen, ungebremster Elan oder stilleVersenkung. Manchmal meint man, vor lauter Eifer einenkleinen Kopf rauchen zu sehen. Im übertragenen Sinne istdas durchaus der Fall. Wenn der innere Antrieb aktiv ist,läuft das Gehirn auf Hochtouren. Eine der wichtigsten Auf-gaben des Gehirns ist es, uns vor einem Informations-Over-kill zu bewahren und auszuwählen, wo es sich lohnt, Ener-gie zu investieren. Von den Sinnesorganen strömen ständigungeheure Datenmengen auf das Gehirn ein. Die Augenschicken pro Sekunde mindestens 10 Millionen Bits. Vonder Haut kommen etwa eine Million, von Ohren und Naseje 100 000, und weitere 1000 vom Geschmackssinn. Eine un-vorstellbare Informationsflut – von der uns glücklicherweisenur etwa 0,1 Prozent wirklich bewusst wird.

    Auch Gedanken oder Situationen, die wir uns ausmalen(»Gehe ich zum Sport oder bleibe ich lieber auf der Couchliegen?«), sind Reize, in der Fachsprache »Stimuli« genannt,die Aufmerksamkeit beanspruchen. Blitzschnell muss ent-schieden werden, wie viel Relevanz das Gehirn diesen Sti-muli beimisst. Wie lange, wie intensiv wenden wir uns ei-ner Sache zu? Eine Art Kosten-Nutzen-Analyse findet statt:»Lohnt sich das, habe ich etwas davon?« Erscheint die Situa-tion erstrebenswert, weil sie eine wie auch immer gearteteBelohnung – etwa Geld, Erfolg, Anerkennung oder Spaß ver-spricht? Und ist es zudem wahrscheinlich genug, das positiveErgebnis auch tatsächlich zu erzielen? Lässt ein Reiz Genussoder Spaß erwarten – etwa ins Schwimmbad gehen oder mitFreunden spielen – passiert er die mentalen Türsteher mit ei-nem positiven Etikett versehen. Dann geht das so genannteErwartungssystem des Gehirns »online«. Aktiv wird es übri-gens auch, wenn wir etwas Unangenehmes vermeiden wol-len, also statt einer Belohnung eine Strafe fürchten. Dabei

    11Handeln heißt Entscheidungen treffen

  • spielen nicht nur rationale Überlegungen eine Rolle, sondernin erster Linie Gefühle. Denn wir Menschen sind ja keineComputer, die ohne Abwägung nach ein paar Berechnun-gen ein Ergebnis ausspucken, sondern Emotionen helfen unsdabei, Situationen einzuschätzen und zu bewerten.

    Die Areale im Gehirn (siehe Abbildung rechts), die denKern der Motivationssysteme bilden, befinden sich an zen-traler Stelle im Mittelhirn. Diese Hirnregionen werden etwabeim Sex, Drogenrausch oder Schokolade-Essen aktiv – sindaber auch für das Glücksgefühl verantwortlich, das wir emp-finden, wenn wir einen komplizierten Sachverhalt endlichverstanden haben und beim Lernen einen Aha-Effekt erle-ben. Zum Erwartungssystem gehören Hirnregionen, die fürGedächtnis, Aufmerksamkeit sowie das Planen und Steuernvon Handlungen zuständig sind, aber auch die seitlich ander Schläfe gelegenen Emotionszentren in der Hirnrinde,dem so genannten »orbifrontalen Cortex«, und in der Amyg-dala, unserem emotionalen Gedächtnis. Diese Emotionszen-tren bewerten und beurteilen Situationen und melden, wennZiele in Aussicht stehen, die verlockend erscheinen. ImStirnlappen finden die rationalen Entscheidungen statt, dieden Motivationskreislauf unterstützen.

    Wird das Erwartungs- und Belohnungssystem aktiv, kom-men drei wichtige Gehirnbotenstoffe ins Spiel, die gemein-sam einen wirkungsvollen Motivationscocktail bilden. DerBotenstoff Dopamin ist eine Art Doping für Kopf und Kör-per – er steigert die Muskelkraft, macht wach und konzen-triert, rüstet uns für anstehende Aufgaben. Er verbessert dasLernvermögen und stimmt optimistisch. Unschlagbar ist ergemixt mit körpereigenen Opioiden, den Endorphinen, diefür überwältigende Glücksgefühle sorgen. Wenn sie im Spielsind, lernen wir leichter und intensiver. Die dritte Zutat istOxytocin, auch als Bindungs- oder Treuehormon bezeichnet,das Beziehungen zwischen Menschen stärkt und dazu führt,dass wir uns für sie besonders einsetzen wollen. Auch beim

    12 Was ist Motivation?

  • Stillen wird es ausgeschüttet und wenn Eltern ihre Kinderstreicheln und zärtlich berühren.

    Diese drei durch das Hirn sausenden Botenstoffe sorgendafür, dass wir uns einer Sache mit Ausdauer und Konzen-tration widmen – Ablenkungen zu ignorieren, fällt uns nichtschwer. Je größer die Belohnung für eine Anstrengung er-scheint, desto stärker wird übrigens die Antriebsspirale akti-viert. Forscher vom University College London wiesen sogarnach, dass auch ein unbewusst wahrgenommener Anreizdafür sorgt, dass Menschen mehr Einsatz bringen. Nur für

    13Handeln heißt Entscheidungen treffen

    RationaleEntscheidungenIm präfrontalen

    Cortex, einem Teildes Stirnlappens,befindet sich die

    Planungsexekutive.

    EmotionalesGedächtnis

    Die Amygdalaentscheidet, wovor

    wir Angst haben.Angst kann Motiva-

    tion fördern wiehemmen.

    EmotionaleEntscheidungshilfeHier werden alleGefühlsregungengesammelt, siebeeinflussen denpräfrontalen Cortex.

    ErwartungszentrumDiese Neuronensteigern bei Vorfreudedie emotionale Energiebis zur Euphorie. Hierwird der BotenstoffDopamin ausgeschüttet.

    ErinnerungenDer Hippocampus ist derFilter dafür, was an auto-biografischen und Fakten-informationen vom Kurz-ins Langzeitgedächtnisgelangt.

    BelohnungszentrumEndorphine werden vonhier zum präfrontalenCortex geschickt undsteigern dasLernvermögen.

    GefühlskontrolleIm orbifrontalen

    Cortex bewerten wirEmotionen wie Freude

    und Angst. Siebeeinflussen deninneren Antrieb.

    Kleinhirn

    Balken

    Im Erwartungszentrum berechnen Neuronen den voraussichtlichen Nutzen einer Handlung undschütten im positiven Fall Dopamin aus. Tritt der erhoffte Erfolg tatsächlich ein, feuern Endorphi-ne und Opiate aus dem Belohnungszentrum weiter an. Im Stirnlappen fassen wir unter anderemgute Vorsätze und verfolgen langfristige Ziele.

    Wie Motivation im Gehirn entsteht

  • Bruchteile von Sekunden zeigten die Wissenschaftler ihrenProbanden in einem Test entweder eine Penny- oder diewertvollere Pfundmünze, während diese einen Griff drück-ten. Den Testpersonen war zuvor eine Belohnung verspro-chen worden – je stärker sie drückten, desto höher sollte sieausfallen. Bei den unbewusst wahrgenommenen wertvolle-ren Münzen pressten sie am stärksten, und ihre Erregung –gemessen an der Leitfähigkeit der Haut – nahm zu. Im Mag-netresonanz-Tomographen war außerdem zu sehen, dassdas Erwartungs- und Belohnungssystem des Gehirns aktiverwar.

    Außerdem gilt: Wenn wir besonders Schwieriges geleistethaben, freuen wir uns darüber mehr als über eine leichteAufgabe, die bewältigt ist. Und tritt etwas überraschend Gu-tes ein, ist der Dopaminschub besonders hoch – wenn stattder erwarteten Fünf eine Zwei in der Geschichtsarbeit he-rauskommt, macht das happy.

    Unser Gehirn ist von Natur aus auf Lernmotivation pro-grammiert: Es belohnt die Erkenntnis, etwas Neues verstan-den zu haben oder eine Fähigkeit zu beherrschen, mit einemKick an Glückshormonen. So kann Lernen richtig süchtigmachen. Aber die richtige Dosierung ist beim Lernstoffwichtig. Wenn ein Kind nicht genau weiß, ob es eine Aufga-be schaffen kann, aber es gerade noch möglich scheint –dann ist das Erfolgserlebnis hinterher am größten. Bleibt al-lerdings eine erwartete Belohnung oder Anerkennung aus,oder fühlt man sich überfordert, bricht der Belohnungskreis-lauf zusammen. Auch wenn Erfolg zur Selbstverständlich-keit wird, funktioniert er nicht mehr. Das kennen Sie viel-leicht von Ihrem Kind: Das erste Mal, als es beim Weitsprungdie Drei-Meter-Marke geknackt hatte, war es stolz wie Os-kar. Beim fünften Mal zuckt es nicht mehr mit der Wimper.

    14 Was ist Motivation?

  • Leben prägt das Gehirn

    Wie hängen nun aber Motivation und Lernen zusammen?Um zu verstehen, wie Lernen funktioniert, müssen wir zu-nächst etwas mehr über die Funktionsweise des Gehirns er-fahren. Unser Gehirn ist nie endgültig »fertig« entwickelt.Jeden Tag sorgen neue Anregungen, Reize, Gefühle dafür,dass sich weitere Verbindungen, so genannte Synapsen,zwischen den rund 100 Milliarden Nervenzellen bilden. We-niger oft genutzte Denkrouten werden dagegen allmählichgeschlossen. Am größten ist diese so genannte »Plastizität«,die Formbarkeit des Gehirns, in der Kindheit. Genetisch istzwar eine Grobvernetzung des Gehirns vorgegeben. Wasund wie Kinder aber von Geburt an lernen und erleben, be-stimmt die Feinvernetzung. Umwelt, Erfahrungen, Emotio-nen und Lernprozesse hinterlassen jetzt die bedeutendsten,dauerhaftesten Spuren. Sie bahnen die Wege, auf denenzukünftig alles Lernen verläuft.

    15Leben prägt das Gehirn

    Das Gehirn besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), die Nervenimpulseweiterleiten, Informationen verarbeiten und speichern.

  • Nebenstraßen können auch später noch ausgebaut wer-den, aber sie ändern nicht mehr die generellen Bahnen, aufdenen das Denken verläuft. Bei diesem Prozess ist das Ge-hirn in bestimmten Phasen jeweils für bestimmte Entwick-lungen besonders offen. Ist eine solche Phase, auch Zeit-fenster genannt, vorbei, können essenzielle Veränderungennicht mehr stattfinden. So werden beispielsweise die Grund-lagen für Mathematik und Logik zwischen dem zweiten undfünften Lebensjahr durch Umwelteinflüsse gebildet. DieMagdeburger Verhaltensbiologin Anna Katharina Braun er-klärt: »Während dieser kritischen oder sensiblen Zeitfensterwerden die Denkkonzepte, die Grammatik für späteres Ler-nen, und auch für die mit jedem Lernprozess untrennbarverknüpfte emotionale Erlebniswelt angelegt.« Alles Wissenwird immer mit den dabei erlebten Gefühlen gespeichert. In-halte, die Emotionen ansprechen, können wir uns daher be-sonders gut merken. Psychologen der Universität Konstanzhaben jetzt gezeigt, dass dies auch für Gelesenes gilt. Siehaben nachgemessen, dass das Gehirn emotionale Wörter inTexten schneller erkennt als andere, neutrale Begriffe.Schon ein kurzer Blick auf Buchstabenfolgen wie »Liebe«,»Erfolg«, aber auch »Angst« löste starke Reaktionen aus,und die Worte blieben den Probanden besser in Erinnerung.Dieses Prinzip gilt im positiven wie im negativen Sinn. Sze-nen aus Horrorfilmen brennen sich Kindern oft für Jahr-zehnte ein. Unter Zwang oder Druck gelernte Fakten blei-ben recht starr. Kreativ und problemorientiert kann maneher mit solchen Informationen umgehen, die man mit ange-nehmen Situationen und Gefühlen verbindet. Und je häufi-ger eine Information in unterschiedlichen Zusammenhän-gen auftaucht, desto besser bleibt sie haften.

    Besonders wichtig ist die Verknüpfung von Informationund Emotion für die Areale, die die Antriebskraft steuern.Ein »Motivations-Gen« gibt es nicht. Vielmehr wird jedesMal, wenn die Botenstoffe des Belohnungssystems auf die

    16 Was ist Motivation?

  • Reise gehen, diese Erfahrung im Gehirn abgespeichert. Dasmacht Lust auf mehr. Aber genauso landen auch Angst,Stress oder Frust in den neuronalen Netzen im Kopf und er-schweren den Einstieg beim nächsten Mal. All diese Erleb-nisse, positive wie negative, prägen schnelle biochemischeund dauerhafte strukturelle Veränderungen der Synapsen.Jedes Mal ein kleiner Lernprozess, der das Gehirn verändert.

    So entwickelt sich aus dem Zusammenspiel der geneti-schen Voraussetzungen und der im Laufe der Kindheit ge-machten Erfahrungen das, was man das individuelle »Moti-vationsprofil« nennen könnte. Interessen und Fähigkeiten,aber auch Werte, innere Einstellungen, Selbstbild, Überzeu-gungen und emotionale Intelligenz spielen mit hinein, ohnedass wir sie noch bewusst wahrnehmen.

    Werden Kinder ihrem Alter gemäß gefördert, mit Liebe,Aufmerksamkeit und Unterstützung, können sich alle erstgrob angelegten Schaltkreise optimal »verschalten«. In derKindheit wird quasi »die Festplatte formatiert«, wie es dieExpertin Braun formuliert.

    Der eigene Antrieb ist die stärkste Kraft

    Motivation ist nicht gleich Motivation, genauso wie Brotnicht gleich Brot ist. Zwar kann man sowohl eine Scheibeweichen Toast als auch ein rustikales Roggenvollkornbrotessen – der Effekt ist jedoch völlig verschieden. Währenddie Energie, die der Toast liefert, nur kurz anhält, man baldwieder Nachschub benötigt, weil der Hunger zurück ist, sät-tigt das Roggenbrot länger und gibt kontinuierlich Power.

    So ähnlich verhält es sich auch mit der Motivation. Sieexistiert in ganz unterschiedlicher Intensität und Qualität –je nachdem, aus welcher Quelle der Antrieb stammt. Wassich Eltern für ihr Kind beim Lernen wünschen, ist die so ge-nannte intrinsische Motivation, der innere Antrieb, das Voll-

    17Der eigene Antrieb ist die stärkste Kraft

  • kornbrot des Lernens, nahrhaft, gesund und lange sättigend.Experten halten die intrinsische für die stärkste und wert-vollste Form der Motivation. Sie entsteht, wenn Kinder sichaus Neugier oder Interesse, aus Spaß am Thema oder an derTätigkeit anstrengen, einen äußeren Anstoß wie Mamas Er-mahnung benötigen sie dann nicht. Der innere Antrieb istdie beste Voraussetzung dafür, dass Kinder in eigener Regieund mit Begeisterung lernen. Das steigert die Ausdauer,stärkt die Konzentration und macht manchmal das Lernenselbst zu einem Erlebnis: dann, wenn der vom US-Psycholo-gen Mihaly Csikszentmihalyi »Flow« getaufte Zustand ein-tritt, die Phase euphorischer Versenkung. Das geschieht,wenn der optimale Anregungszustand erreicht ist, weil mansich weder über- noch unterfordert fühlt. Dann vergisst manalles um sich herum und geht völlig im Lernen auf. Intrin-sisch motivierte Schüler setzen meist Lernstrategien ein, diedarauf zielen, den Stoff wirklich zu begreifen, statt lediglichschnell fertig zu werden. Solche Lernstrategien nennen Pä-dagogen »tiefenorientiert«.

    Doch der Leistungsmotor kann auch ganz anders funktio-nieren. Dann sind äußere Anreize notwendig, um eine Aktivi-tät auszulösen. Kinder pauken, um den Eltern einen Gefallenzu tun, der netten Lehrerin zu imponieren, ein Geschenk zuerhalten, ihr Image zu verbessern oder keinen Ärger zu be-kommen. Diese »extrinsische« Motivation ist immer an Kon-sequenzen orientiert und deswegen auf Dauer störanfällig,weil die Bereitschaft, sich anzustrengen, nur schwach ausge-prägt ist. Fällt der äußere Druck oder Anreiz weg, bricht dieTriebkraft meist ein. Eltern wissen, wie mühsam es ist, immerantreiben zu müssen. Fünf Euro für den Einser, eine StundeFernsehen, wenn das Zimmer aufgeräumt ist. Schielt ein Kindimmer mit einem Auge auf die Prämie, interessiert es sich we-niger für die Sache selbst, den Lerninhalt. Dieses »Na gut,dann mach ich’s halt«-Lernen ist meist nur oberflächlich undnicht effektiv, denn es geht ja nur darum, möglichst bald fertig

    18 Was ist Motivation?

  • zu werden. Belohnungen wirken nur zeitlich begrenzt als An-schub, genauso wie angedrohte Strafen. Auf Dauer lässt sichvon außen keine eigene Willenskraft aufbauen.

    Zwischen den beiden Motivationspolen, dem Antrieb ausder Freude an der Sache und dem von außen verursachten,macht die pädagogische Psychologie noch eine weitere Formaus: die so genannte »identifizierte« Lernmotivation. Liegtsie vor, macht das Lernen zwar nicht unbedingt Spaß, istaber selbstbestimmt, weil es von großer persönlicher Bedeu-tung erscheint. Etwa für einen Schüler, der lernt, um einenbestimmten Schulabschluss zu erzielen, mit dem er seinenTraumberuf ausüben kann.

    Auf den Grad der Selbstbestimmung kommt es an, wiezahlreiche Studien nachgewiesen haben. Kinder, die aus ei-gener Überzeugung lernen, erzielen bessere Schulleistun-gen, weil sie sich intensiver mit dem Stoff auseinandersetzenund ihn wirklich verstehen wollen. Sie überlegen nicht stän-dig, welche Note dabei am Ende herauskommt, sondern las-sen sich auf die jeweilige Aufgabe ein, die ansteht.

    Die Psychologin Elke Wild von der Universität Bielefeld hatmit ihrem Forscher-Team von 2000 bis 2006 über 300 Schülervon der dritten bis zur siebten Klasse begleitet und einmaljährlich zu ihrer Motivation im Fach Mathematik befragt. DieAntworten verdeutlichen die Unterschiede zwischen deneinzelnen Motivationsformen. Die Frage an die Kinder laute-te: »Warum strengst du dich im Matheunterricht an?«Intrinsisch: Weil ich gerne rechne. Oder:

    Weil mich Mathe interessiert. Identifiziert: Weil ich den Stoff verstehen möchte. Oder:

    Weil es für mich wichtig ist, gut rechnen zu kön-nen.

    Extrinsisch: Weil ich möchte, dass mein Mathelehrer mit mirzufrieden ist. Oder:Weil von mir erwartet wird, dass ich mich im Un-terricht anstrenge.

    19Der eigene Antrieb ist die stärkste Kraft

  • Wie es mit der Motivation Ihres Kindes aussieht, können Siemit unserem Test nach Seite 64 herausfinden.

    Motivation braucht ein Gegenüber

    Liebevolle Beziehungen, in denen sich Kinder aufgeho-ben und sicher fühlen, bilden die wichtigste Basis für eine»gesunde« Entwicklung des Gehirns und insbesondere desMotivationssystems. Joachim Bauer, Medizinprofessor undPsychotherapeut in Freiburg, erklärte in ›Psychologie Heu-te‹: »Entscheidende Voraussetzungen für die biologischeFunktionstüchtigkeit unserer Motivationssysteme sind dasInteresse, die soziale Anerkennung und die persönlicheWertschätzung, die einem Menschen von anderen entge-gengebracht werden.«

    Unser Gehirn ist auf Sozialverhalten ausgerichtet. Überdie Interaktion mit anderen Menschen, mit Eltern, Großel-tern, Freunden, aber auch Lehrern, lernen Kinder. »Der bes-te Motivator für den Menschen sind andere Menschen«, weiß

    20 Was ist Motivation?

    Von außen: fünf Euro für den Einser, ein Eis,wenn das Zimmer aufgeräumt ist: Belohnun-gen wirken nur zeitlich begrenzt. Genauso wieangedrohte Strafen. Auf Dauer lässt sich vonaußen – durch extrinsische Motivation – kei-ne eigene Willenskraft aufbauen.

    Von innen: Interesse, Neugier und Spaß an derSache sind mächtige innere Antriebsquellen.Wenn Kinder sich freiwillig in ein Thema ver-tiefen, konzentriert und ausdauernd arbeiten,nennt man das intrinsische Motivation. Siesetzt einen positiven Kreislauf in Gang.

    Woher stammt der Antrieb?