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Nero - Kaiser, Künstler, Antichrist

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Nero. Wer war er? Stephan Elbern schreibt über einen der umstrittensten Kaiser des römischen Reiches

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Ein Kaiser als Künstler

Kein Aspekt von Neros Herrschaft und Privatleben – außer vielleicht der

Christenverfolgung – hat sein Bild in den Augen der Nachwelt so tief

geprägt wie die öffentlichen Auftritte des kaiserlichen Künstlers. In unserer

Phantasie erscheint er – auch dank

Sir Peter Ustinov – niemals am

Schreibtisch bei der Regierungsar-

beit, sondern stets im Bühnenge-

wand mit Lyra oder Kithara.

Schon in früher Jugend hatte er

lebhaftes Interesse an nahezu al-

len Bereichen der schönen Künste gezeigt, ebenso an sportlichen Wett-

kämpfen; mit der Flucht in seine eigene Welt versuchte er sich offenbar

der dominanten Mutter und ihrer zielstrebig verfolgten Absicht zu entzie-

„Bereits in jungen Jahren wandte Nero seinen regen Geist in die falsche Richtung: Er betätigte sich als Bildhauer und Maler, als Sänger und Wa-genlenker; und gelegentlich zeigte er beim Dich-ten von Liedern, dass er über eine gewisse Bil-dung verfügte.“ (Tac. ann. 13,3)

Römisches Wagenrennen. Bereits in der Kindheit begeisterte sich Nero für den Rennsport. Seine Leidenschaft für das rasante Geschehen ist nur allzu verständ-lich – erst im Zeitalter der Eisenbahn wurden höhere Geschwindigkeiten erreicht (Sammlung Helmut Saiger).

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Ein Kaiser als Künstler

hen, ihn zum künftigen Herrscher

heranzubilden. Besonders begeis-

terte er sich für Wagenrennen.

Doch wie in unserer Jugendzeit

das fortwährende Reden über

„König Fußball“ und andere Sport-

arten in Schule und Familie uner-

wünscht war, wurde auch ihm das

Lieblingsthema untersagt. Den-

noch bei der Klage über einen

Rennunfall der „Grünen“, seiner favorisierten Renn-Partei, ertappt, zog er

sich geschickt aus der Affäre – er habe doch lediglich von Hektor gespro-

chen (dessen Leichnam Achilleus mit dem Streitwagen um die Mauern

Trojas geschleift hatte).

Noch zu Beginn der Regierung spielte er häufi g mit kleinen Quadrigen

aus Elfenbein und besuchte eifrig die Rennen; die Scheu vor der Strenge

und dem Spott Agrippinas hielt ihn freilich (einstweilen) noch davon ab,

mit den römischen Traditionen zu brechen und seine sportlichen Leiden-

schaften offen auszuleben.

Erste Auftritte des Kaisers

Mit ihrem Tod schwanden jedoch alle früheren Hemmungen des jungen

Kaisers; Seneca und Burrus ermöglichten ihrem „Schützling“, auf abge-

sperrtem Gelände am Mons Vaticanus vor geladenem Publikum seine Fer-

tigkeit als Wagenlenker zu üben. Schon bald wuchs das allgemeine Inter-

esse an den Darbietungen des Princeps – die Begeisterung für den

Rennsport verband ihn mit dem einfachen Volk. Schließlich zeigte Nero

seine Fähigkeiten auch im Circus Maximus, allerdings nicht bei offi ziellen

Rennen; um einen professionellen Lebenswandel bemüht, trank er sogar

wie die „Fahrerkollegen“ in Wasser aufgelösten Wildschweinkot.17

Aber dem brennenden Wunsch des Kaisers nach künstlerischer Selbst-

verwirklichung genügten die Wagenrennen nicht – er wollte auch seine

musikalische Begabung öffentlich zeigen. Dazu stiftete er anlässlich seiner

ersten Bartschur 59 n. Chr. die Iuvenalia (Jugendspiele) mit musischen

Wettkämpfen, bei denen griechische und lateinische Stücke aufgeführt

wurden. Der private Anlass für das Fest verdeckte nur unzureichend den

unerhörten Bruch mit der römischen Vorstellung von senatorischer

Circus-Parteien

Die römischen Wagenrennen im Circus wurden zwischen vier factiones (Parteien) ausgetragen, die nach ihren Farben be-nannt waren; unter ihnen nahmen die „Blauen“ und „Grünen“ den führenden Rang ein. Später wurden sie (fälschlich) mit politischen Gruppierungen gleichgesetzt, tatsächlich ähnelten sie eher den großen Fußballvereinen unserer Zeit.

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Erste Auftritte des Kaisers

Würde: Adlige Männer und Frauen wirkten als Tänzer und Musiker, Sän-

ger und Schauspieler mit, und sogar eine hochgestellte achtzigjährige

Dame trat in einer Pantomime auf. Gallio – der Bruder Senecas, vor dessen

Tribunal in Korinth einst Paulus gestanden hatte – übernahm die Confé-

rence, Burrus und Seneca befanden sich unter den Zuschauern. Schließ-

lich erschien auch der Princeps mit der Kithara auf der Bühne.

Im folgenden Jahr begründete er die Neronia, die alle fünf Jahre stattfi n-

den sollten und nach hellenischem Vorbild musische, hippische und gym-

nische Wettbewerbe umfassten. Der Kaiser nahm selbst an den Spielen

nicht teil, erhielt aber dennoch den Siegeskranz in der Rhetorik zuerkannt.

Bis jetzt war er nur privat als Künstler aufgetreten – in seinem Palast, in

den eigenen Gärten. Auf die Dauer vermochte ihn dies aber nicht zu

befriedigen – er wollte seine vielfältigen Begabungen vor zahlreichen

Zuschauern zeigen. Aber dazu war das von „steifen“ Adelstraditionen ge-

prägte Rom nicht geeignet. Die kunstsinnige Griechenstadt Neapel – ihm

bereits vertraut, da er nach dem Muttermord hier geweilt hatte – erschien

als der rechte Ort für das öffentliche Debüt als Schauspieler. Im Theater

ließ er an mehreren Tagen seine Lieder erklingen und zeigte sich von der

Bühnenatmosphäre begeistert; sogar das Essen nahm er in der Orchestra

ein (64 n. Chr.).

Nun war auch die letzte Hemmung vor einem Auftritt in der Haupt-

stadt geschwunden; die Neronia des folgenden Jahres boten dafür den

festlichen Rahmen. Der Senat wollte diesen Skandal vermeiden und ver-

lieh dem Princeps bereits vorab die Siegeskränze für Gesang und Rhetorik.

Nero als Wagenlenker. Ein spätantiker Kameo zeigt Nero in kaiserlichem Or-nat auf einer Quadriga. Der Hals-schmuck entstand im 5. Jh. n. Chr., als der Herrscher – u. a. in den gleichzei-tigen Kontorniaten (s. S. 157f.) – gera-dezu eine Renaissance erlebte (Paris, Cabinet des médailles).

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Ein Kaiser als Künstler

Aber der Herrscher wollte sich unbedingt als Künstler zeigen; er rezitierte

ein Gedicht und ließ sich außerdem – nach gespielter Ablehnung – von

den Bitten der Zuhörer zu einer weiteren Darbietung bewegen. Die beiden

Prätorianerpräfekten brachten eine Kithara auf die Bühne, und Nero trug

eine Arie über Niobe vor. Von nun an mehrten sich seine öffentlichen

Vorstellungen. Zweifellos verstand sich der Kaiser zunehmend als Künst-

ler – aber welche Begabung besaß er wirklich?

Nero als Sänger und Schauspieler

Bereits in der Kindheit musikalisch unterrichtet, hatte er nach dem Regie-

rungsantritt unverzüglich den berühmtesten Kitharöden seiner Zeit an

den Hof berufen; von dessen Darbietungen angeregt, begann er sich selbst

in dieser Kunst auszubilden. Nach antikem Bericht war Neros Bassstimme

eher mittelmäßig – der Klang etwas schwach, die Aussprache undeutlich,

das Volumen der Lunge unzureichend. Aber der kaiserliche Sänger arbei-

tete mit professionellen Mitteln und eiserner Disziplin an ihrer Entwick-

lung: Er kräftigte die Brust, indem er im Liegen eine Bleiplatte trug, rei-

nigte den Körper durch Brechmittel und Klistiere und wahrte eine strenge

Diät. Stets war er bemüht, die Stimme zu schonen; so vermied er öffentli-

che Ansprachen, etwa vor den Soldaten. Der Stimmbildner war sein stän-

diger Begleiter. Auf der Bühne versuchte er gesangliche Schwächen durch

Gang und Bewegung wettzumachen; seine Auftritte wirkten daher mitun-

ter etwas manieriert.

Seine Lieder verfasste der Princeps selbst. Sie behandelten mythische

Sujets und wurden auch von anderen Sängern verbreitet. Wie heutige

Schlager waren sie allgemein bekannt und wurden vom Publikum mitge-

sungen. Auch Straßenmusiker trugen sie gegen Entlohnung vor – konnten

sie doch bei mangelnder Aufmerksamkeit und geringem Trinkgeld damit

drohen, es handle sich um ein Majestätsverbrechen gegen den kunstsinni-

gen Herrscher! Natürlich sind die Melodien antiker Arien nicht rekonstru-

ierbar, vermutlich ähnelten sie am ehesten den gregorianischen Gesängen

des Mittelalters.

Zudem trat Nero als Schauspieler in tragischen Rollen auf, sehr zum

Missfallen der traditionsbewussten Oberschicht: Der allmächtige Kaiser

als hilfl oser blinder Ödipus, als Herakles in den Klauen des Wahnsinns

oder gar in der Gestalt der „kreißenden Kanake“ widersprach jeglicher

Vorstellung von römischer oder gar herrscherlicher Würde – Kanake gebar

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Die Dichtungen des Princeps

in einer inzestuösen (!) Verbindung mit ihrem Bruder ein Kind, das den

Hunden vorgeworfen wurde. Sein Auftritt als Muttermörder Orestes erin-

nerte jeden Zuschauer an das Schicksal der einst allmächtigen Agrippina.

Auch die Prätorianer kamen dabei in Verlegenheit; so erblickte ein Rekrut

seinen obersten Kriegsherrn in (freilich goldenen) Ketten und kam ihm

unverzüglich zu Hilfe.

Wie man munkelte, plante Nero außerdem Darbietungen als Instru-

mentalvirtuose, ferner eine spätere Laufbahn als Athlet. Allein sein Alter

verweist dieses Gerücht in das Reich der Legende, aber es bot die noch

skandalösere Vorstellung eines kaiserlichen Auftritts in völliger gymni-

scher Nacktheit! Angeblich hatte er zudem einen Löwen so dressieren las-

sen, dass er ihn in der Rolle des Herakles mit der Keule erschlagen oder gar

erwürgen könnte (ob das Tier dabei lange zahm geblieben wäre, erscheint

allerdings höchst fraglich).

Die Dichtungen des Princeps

„Mit Freude und mühelos“ (Sueton) widmete sich Nero auch anderen For-

men der Dichtkunst.18 Nach der Schilderung des Tacitus verfasste er je-

doch seine Werke nicht eigenständig, sondern in einem Kreis von Dilet-

tanten; auch vor Plagiaten schreckte er nicht zurück. Dagegen berichtet

Sueton, er habe selbst originale Entwürfe der neronischen Dichtungen ge-

sehen, in denen Streichungen und Korrekturen selbständiges poetisches

Schaffen bezeugten. Ein gewisses Talent könnte er tatsächlich von seinem

Großvater Germanicus (s. S. 23) geerbt haben. Die wenigen erhaltenen

Verse des Kaisers zeigen den zeittypischen manierierten Stil.

Mit einem Werk über den Trojanischen Krieg – das er auch öffentlich

vortrug – wandte sich Nero dem angesehensten poetischen Genre zu, der

epischen Dichtung. Dabei wählte er einen neuartigen Ansatz: Nicht Hek-

tor und Achill stehen im Mittelpunkt, sondern der „Antiheld“ Paris; in der

Gestalt des liebenswürdig-leichtlebigen Verführers mag sich der Princeps

selbst gesehen haben. Er plante sogar ein Riesenopus über die römische

Geschichte. Während einige Schmeichler dafür 400 Gesänge forderten

(„Ilias“ und „Odyssee“ haben je 24, Vergils „Aeneis“ zwölf), bezweifelte

ein Gelehrter, dass diese auch gelesen würden. Der freimütige Ratgeber

büßte die offene Rede mit der Verbannung vom Hof; offenbar war Nero in

seinem künstlerischen Selbstverständnis – er soll sich Apoll und den Mu-

sen gleichgesetzt haben – empfi ndlicher als bei politischer Kritik (s. S. 106).

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Ein Kaiser als Künstler

Eine Bewertung der künstlerischen Fähigkeiten des Kaisers muss stets

der (naheliegenden) Versuchung begegnen, diese mit seinem Ruf als

Muttermörder und Christenverfolger zu vermischen; ebenso wenig darf

sie der suggestiven Darstellung Peter Ustinovs erliegen. Es spricht nichts

dagegen, dass Nero über eine gewisse Begabung verfügte; die Vergänglich-

keit der darstellenden Künste und der weitgehende Verlust seines literari-

schen Oeuvres machen jedoch ein abschließendes Urteil unmöglich.

Kaiser oder Künstler …

Die literarische Tätigkeit hatte im römischen Adel eine uralte Tradition –

nicht nur in der stets hoch geschätzten Historiographie. Auch Caesar

hatte neben seinen „Commentarii“ einige dichterische „Gehversuche“

unternommen, ebenso Augustus und (erfolgreicher) Germanicus. Uner-

hört und skandalös war dagegen das Auftreten Neros in der Öffentlichkeit,

zudem sein völliges Aufgehen in der neuen Rolle als Künstler: Der Name

des allmächtigen Princeps erschien gleichrangig auf der Liste der musi-

schen Wettbewerber. Er zog sein Los für die Reihenfolge der Darbietungen

und wartete auf die Konkurrenten, von Lampenfi eber gequält. Geradezu

unterwürfi g buhlte er um die Gunst von Preisrichtern und Publikum. Mit

den Kontrahenten tauschte er Schmeicheleien aus, aber auch die üblichen

Sticheleien unter Künstlerkollegen. Peinlich genau beachtete er die Vor-

schriften der Bühne – er schnäuzte sich nicht, wischte den Schweiß nur

mit dem eigenen Gewand ab und wagte sich nicht zu setzen.

Den „Mitbewerbern“ sah er sich gleichgestellt – glaubte er tatsächlich,

er siege durch seine künstlerischen Leistungen, nicht aufgrund der Stel-

lung als Herrscher?19 Offenbar verwandelte er sich in dem Augenblick, da

er Kaiserpurpur und Toga gegen das Bühnengewand eintauschte, in einen

anderen Menschen – und zunehmend wurde diese zweite Rolle für ihn

bestimmend: Er lehnte zwar das Angebot ab, gegen die Gage von einer

Mio. Sesterzen für einen Bühnenunternehmer aufzutreten, empfand es

aber nicht als Verletzung der kaiserlichen Majestät (Tigellinus ließ freilich

den dreisten Impresario mit der von diesem gebotenen Summe für dessen

Leben bezahlen). Allmählich begann der Künstler in ihm den Herrscher

zu verdrängen; dieser schleichende Realitätsverlust sollte ihn schließlich

in den ruhmlosen Untergang führen.

Wie jeder „Bühnenstar“ sehnte sich Nero mit größter Leidenschaft

nach dem Beifall seines Publikums. Daher hatte er bereits anlässlich der

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Peter Ustinov als Nero. Nichts übertrifft die Wirkung der bewegten Bilder – die eindrucksvolle Darstellung des britischen Schauspielers („Quo vadis“) prägt unser Nero-Bild bis heute.

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Ein Kaiser als Künstler

Iuvenalia eine Truppe von etwa 5000 Claqueuren aufgestellt, die Augusti-

ani: Die gepfl egt auftretenden jungen Männer – teils von ritterlicher

Herkunft – feierten den kaiserlichen Künstler in Sprechchören sowie mit

unterschiedlichen Formen des Beifalls; die Belohnung ihrer Anführer lag

bei 40.000 Sesterzen (zum Vergleich: der Jahressold eines Prätorianersol-

daten betrug 3000 Sesterzen). Angeblich wurde die Aufmerksamkeit der

Zuhörer bei Neros Darbietungen mit drastischen Mitteln gesichert: Sie

durften während der Vorstellung das Theater nicht verlassen (so dass es

dort zu Erkrankungen, gar zu Entbindungen gekommen sein soll), Solda-

ten und Spitzel hätten die „verordnete Begeisterung“ kontrolliert und

mangelndes Interesse mit dem Tod bestraft. Dabei handelt es sich wohl

nur um Gerüchte, hinreichend widerlegt durch das Beispiel Vespasians: Er

hatte Auftritte des Kaisers „geschwänzt“ oder schlafend ertragen und den-

noch ein wichtiges Frontkommando erhalten (s. S. 80). Nero hatte es gar

nicht nötig, auf Zwang zu setzen – der Opportunismus genügte vollstän-

dig (wie jeder bestätigen wird, der einmal pfl ichtschuldigst über die Witze

seines Vorgesetzten gelacht hat), denn der Verlust der herrscherlichen

Gunst war sicher jedem Höfl ing Strafe genug.

Persönliche Neigung oder politisches Programm?

Man kann sich unschwer vorstellen, welche Abscheu, welche Empörung

die künstlerischen Darbietungen des Princeps bei den konservativ gesinn-

ten Senatoren hervorriefen – noch verstärkt durch die unpassende Gewan-

dung und die „Künstlermähne“. Skandalös waren auch die Theater-

masken: Sie zeigten die Züge Neros und Poppaeas, gelegentlich gar der

aktuellen Geliebten des Kaisers.

Aber vielleicht dienten seine öffentlichen Auftritte doch einem höhe-

ren Zweck, als lediglich die (dilettantischen?) Neigungen eines überspann-

ten jungen Mannes zu befriedigen? Durchaus plausibel hat man in der

modernen Forschung darin eine politische Zielsetzung gesehen – die För-

derung der überlegenen griechischen Kultur (und ihrer Schauspiele) im

Westen des Reiches. Denn der Princeps hegte zugleich eine tiefe Abnei-

gung gegen die urrömischen Gladiatorenkämpfe: In vierzehn Jahren ver-

anstaltete er nur ein einziges munus, dieses zudem ohne blutiges Ende;

selbst die zum Tod in der Arena Verurteilten überlebten den Tag.

Die Vorliebe adliger Römer für die verfeinerte Zivilisation des Hellenis-

mus hatte bereits vor der Zeit Neros eine lange Tradition. Mark Anton war

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Persönliche Neigung oder politisches Programm?

vom Glanz des Ptolemäerhofes zu Alexandria genauso überwältigt gewe-

sen wie vom Charme Kleopatras. Octavians Sieg bei Actium hatte zugleich

den Triumph des nüchternen Römersinns über die griechisch-orientali-

sche Welt bedeutet; nun wandte sich erneut ein römischer Machthaber

den Reizen des hellenistischen Ostens zu. War der „Neronismus“ (s. S. 128)

der Anfang einer Kulturrevolution? Gab der Kaiser mit seinem „würdelo-

sen“ Auftreten vielmehr das Signal für die Angleichung Italiens an eine

überlegene Zivilisation? Die Stiftung von Spielen nach hellenischem Vor-

bild, ebenso Neros Griechenland-Reise (s. S. 139–144) lassen tatsächlich

vermuten, dass ein vom Osten des Reiches geprägtes Herrschaftskonzept

an die Stelle des italischen Pragmatismus treten sollte.

Aber war dieses Ziel wirklich nur durch den Einsatz von derartig (in

römischen Augen) skandalösen Mitteln zu erreichen, die zwangsläufi g die

senatorische Opposition herausfordern mussten? Um griechisches Den-

ken und hellenische Lebensart in Rom zu fördern, war es keineswegs un-

umgänglich, dass der Kaiser selbst die Bühne betrat (das hatten die helle-

nistischen Herrscher nicht getan, ebenso wenig später der Philhellene

Hadrian!); dieser Missgriff diskreditierte geradezu seine Ziele! Hier domi-

nierten vielmehr die persönlichen Neigungen Neros und das Selbstver-

ständnis als Künstler, die immer mehr das herrscherliche Empfi nden und

Handeln verdrängten; mit der Griechenland-Reise des Princeps sollte

diese Entwicklung ihren Höhepunkt erreichen.

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Der Brand Roms

Als kaiserlicher Sänger im Bühnengewand mit der Kithara – so hat sich

Neros Bild den nachfolgenden Generationen eingeprägt. Aber eine

andere Vorstellung blieb gleichfalls unauslöschlich im Gedächtnis von

Jahrhunderten verankert: Der ver-

brecherische und dekadente Herr-

scher blickt verzückt auf den

Brand Roms herab und begleitet

das Prasseln der Flammen auf der

Geige (die freilich erst im 16. Jh.

entstehen sollte). Untrennbar mit

der Katastrophe verbunden ist auch seine Rolle als erster Christenverfolger

der römischen Geschichte, ebenso als Bauherr des „Goldenen Hauses“,

das den Ruf der kaiserlichen Hybris begründete. Der Brand Roms – der

verheerendste in der Geschichte der Stadt – ist daher ein Schlüsselereignis

in der Regierung Neros, mehr noch für sein Fortleben in späterer Zeit.

Am 19. Juli 64 n. Chr. brach das Feuer im Circus Maximus aus; in den

kleinen hölzernen Buden mit leicht entzündlichen Waren fand es rasch

Nahrung und wurde durch den Wind weitergetragen. Die damalige Stadt-

struktur mit ihren engen verwinkelten Gassen, ohne schützende Mauern

um Tempel und Häuser, bot ihm kein Hemmnis. So verbreitete es sich mit

rasender Schnelligkeit, eine Abwehr der Flammen war unmöglich. Sechs

Tage wütete der Brand, ehe man ihn durch den Abriss einiger Häuserzeilen

am Esquilin eindämmen konnte. An anderer Stelle – etwa im Bereich der

heutigen Piazza del Popolo – loderte er nochmals auf, erlosch dann aber

endgültig nach drei weiteren Tagen.

Nero erhielt die Schreckensnachricht in Antium (s. S. 30) und eilte un-

verzüglich nach Rom; zunächst zeigte er sich völlig kopfl os – nach dem

Bericht des Tacitus irrte er ohne Wachen im Palast umher, ein leichtes Ziel

für einen Attentäter –, dann ergriff er jedoch rasch energische Maßnah-

men: Er ließ auf dem Marsfeld – auch in den eigenen Gärten – Notunter-

künfte errichten, den Getreidepreis auf ein Sechzehntel senken sowie

Hilfsgelder sammeln. Auf Staatskosten wurden die zahlreichen Opfer

geborgen und der Schutt beseitigt; die Getreideschiffe mussten ihn auf der

Rückfahrt in den Sümpfen von Ostia entsorgen.

„Nero stieg zum Dach seines Palastes empor, von dem man den besten Blick auf den Brand hatte, legte das Gewand eines Kitharöden an und be-sang den Fall Ilions – so sagte er selbst, den Be-trachtern schien es freilich der Untergang Roms zu sein.“ (Cassius Dio 62,18,1)

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Die Feuersbrunst

Dennoch blieb nicht das tatkräftige Handeln des Princeps in Erinnerung,

sondern die Überlieferung, er habe vom Turm des Maecenas das Flammen-

meer betrachtet und dabei den Untergang Trojas besungen. Zweifellos fügt

sich diese Szene hervorragend in das weit verbreitete Bild der kaiserlichen

Dekadenz (und erregt dadurch das Misstrauen der Historiker). Aber ist es

nicht höchst wahrscheinlich, dass die wild lodernde Feuersbrunst – schre-

ckenerregende Gefahr und faszinierendes Schauspiel zugleich – tatsächlich

Neros künstlerischen Geist weckte? Hatte nicht auch Scipio d. J. beim An-

blick des brennenden Karthago (146 v. Chr.) die Verse der „Ilias“ über den

Fall Trojas zitiert? Die homerischen Dichtungen waren jedem Menschen

Nero auf den Trümmern Roms (K. Th. von Piloty, 1860). Wie auf einer Theaterbühne er-scheint der Kaiser beim Besuch in der zerstörten Stadt; die Darstellung der hingemordeten Christen nimmt die späteren Ereignisse vorweg. Ein zerbrochenes Relief der Kapitolinischen Wölfi n symbolisiert den Niedergang Roms. Von großer Wirkung auf die Zeitgenossen („un-sere Seele schaudert…vor dem Wütherich und seinem grauenvollen Werke“), regte das Bild des hoch geschätzten Historienmalers die Nero – Rezeption des 19. Jhs. an – wohl auch den Roman „Quo vadis“ (Budapest, Museum der Bildenden Künste).

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