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Antikapitalistische Architektur Eine andere Architektur ist möglich...

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Gesunder Hausbau in der Natur bei geringen materiellen und moralischen Kosten

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Antikapitalistische Architektur Eine andere Architektur ist möglich...

ANFANGSWORTAls Erstes sollte gesagt werden, dass dies auch für uns der erste Hausbau war. Wir hatten hierbei folgende Absichten:Leben auf dem LandGeringe materielle wie moralische KostenGesundheit, Harmonie und Bewusst-SeinDies ist der Versuch, mit denen zu teilen, die gleiche Absicht, doch keinerlei Er-fahrung haben.

WARUM?Wir haben diesen Weg eingeschlagen, um unsere drei grundlegendsten materiellen Bedürfnisse zu befriedigen, welche uns das heutzutage weltweit herrschende, auf Stadt und Konsum fokussierte Leben nicht bieten konnte:

1- WASSER 2- NAHRUNG 3- EIN ZUHAUSEDurch das Verlassen von Umgebungen, welche uns das erste in der Plastikflasche, das zweite in Tüten und das dritte zwischen vier Wänden anbieten, kann ein Stück Land mit wenigstens ein wenig Quellwassser einen mit den ersten Beiden versor-gen. Dieses Heft dreht sich um das Dritte. Bezüglich der ersten Zwei sollte nicht vergessen werden, dass in durch die Landflucht verlassenen Gegenden saubere Stücke Land günstig zur Verfügung stehen, die einem die unabhängigsten Mögli-chkeiten bieten.

MATERIALUnser Haus entstand vor Allem aus Material, das aus unserem Grundstück und der Natur unmittelbar drumherum stammt. Alles Material wurde mit größter Achtsamkeit und Bewusstsein gesammelt, um den Lebewesen in der Umgebung den geringsten Schaden zuzufügen. Außerdem haben wir viel Material aus den Ab-fällen der nächstgelegenen Ballungsräume gesammelt. Diese beiden Materialarten wurden von uns harmonisch und durchdacht zusammengefügt. Für den Bau unseres Hauses, das gemäß der gegeben Umstände entworfen wurde, beschafften wir uns: Steine, Erde, Äste, Mist und Bäume aus unserem Grundstück und: Tür, Fenster, Holz, Waschbecken, Autoreifen, Wasserhahn, Glas... aus den Abfällen der nächsten Stadt.

“Das beste Material ist das nächstgelegene.”

DIE WAHL DES ORTESUnser Grundstück liegt in einem Tal, das sich von Norden nach Süden erstreckt, das Haus wurde an einen Hügel im Norden des Grundstücks gebaut. Auf diese Weise ist das Haus vor dem kalten Nordwind geschützt und der Wintersonne im Süden zugerichtet, was von Beginn an Heiz-, Lüftungs und Beleuchtungsbedarf auf ein Minimum senkt.

VORGEHENWir errichteten das Haus in einer Zeitspanne von 94 Tagen, von denen 74 Tage zwei Personen acht Stunden am Tag arbeiteten. Während der Arbeit achteten wir darauf, abwechselnd verschiedene Teile unseres Körpers zu beanspruchen (Yoga...), auf unseren Atem (Prana...) und darauf, stets mit vollem Bewusstsein zu handeln (Vipasana...); außerdem auf den Rhythmus des Monds (Biodynamik...) und der Natur (Wetterbedingungen...). Daher beendeten wir den Bau ohne körperliche Beschwerden und ohne Erschöpfen - ganz im Gegenteil gewannen wir Gesundheit, Kraft und Harmonie.

1- BEGRADIGUNG DES BODENS

Für das Anlegen des Fundaments gruben wir uns zunächst in die Steigung im Norden hinein. Die dabei anfallende Erde breiteten wir auf einer Mauer aus, die wir auf dem Gefälle im Süden aus Steinen aus der unmittelbaren Umgebung errichtet hatten. Die abgeschnittenen Sträucher sowie weitere Erde und Steine hoben wir zwecks späterer Verwendung auf. Die Wand, die in der Steigung im Norden entstand, stabilisierten wir mit gestapelten Steinen.

2- GRUNDRISSDie Fläche unseres Hauses (rund mit 5m Durchmesser ~ 20m²), die Ausrichtung von Fenstern und Tür sowie die Stellen der Pfeiler markierten wir mit Asche. Bad und Toilette liegen außerhalb; Die Größe des Hauses wurde sowohl bzgl. des Baus als auch der Lebensqualität einem möglichst gesunden und harmonischen Leben einer Familie mit Kind bei möglichst geringem Material- und Energieverbrauch bestimmt.

4- FUNDAMENTDie Fläche des Hauses wurde auf einer Höhe von 20-30 cm mit großen Steinen aufgefüllt, die Lücken zwischen diesen dann mit kleinen Steinen und Kieseln. Hierüber wurde ein Schicht Erde gekippt und plattgetreten, bis eine einheitliche, gerade Ebene entstand.

3- AUFSTELLEN DER PFEILERDie Pfeiler sind aus einem Baum der Region (Meşe Pırnalı - hart wie Stein (quercus coccifera)), sie sollten natürlich möglichst stabil sein. Sie wurden geschält, damit sie länger halten. Die unteren Enden (60-70 cm) wurden mit einem Feuer aus ebenfalls hier in der Region wachsenden Pinien (pinus brutia) angesengt, bis sie komplett schwarz waren. Anschließend wurden sie in die ausgehobenen Löcher gestellt, mit Steinen ordentlich stabilisiert und dann mit Erde eingegraben.

5-ANBRINGEN DER ZUSÄTZLICHEN PFEILER ZUR VERDICKUNG DER WÄNDE

Um den Wänden die gewünschte Dicke zu verleihen, wurden zusätzliche Pfeiler (wieder geschälte Meşe Pırnalı) an die Innenseite der vorhandenen Pfeiler angebracht und an zwei bis drei Stellen mit Draht befestigt.

6-GRUNDGERÜST DER WÄNDE

In der Nähe geschnittene Zakkum-Äste (nerium oleander) (sehr leichtes Holz) wurden bis zur Höhe des Dachs parallel in Abständen von 20-30 cm von innen und außen an die Pfeiler angebracht. Die Stellen für Fenster und Türen wurden freigelassen.

7-FÜLLEN DES WANDGE RÜSTS MIT STRÄUCHERN

Das Gerüst wurde mit den bisher angefallenen Sträuchern und Ästen (der Bäume, die als Säulen dienen) gründlich ausgefüllt.

10- VERPUTZEN DER STRÄUCHER MIT SCHLAMMDie Sträucher wurden von innen und außen mit Schlamm verputzt, wo nötig, wurden Lücken mit Steinen gefüllt. Die so entstehende Luftschicht zwischen der inneren und der äußeren Schlammschicht sorgt für eine gute Isolierung.

8- ANBRINGEN DER FENSTERIn den Abfällen der nächsten Stadt (Hausabriss, Spermüll...) gefundene Fenster wurden mit einer Wasserwaage positioniert und mit Holzplatten und Ästen an den Pfeilern befestigt.

9- ANFERTIGEN DES SCHLAMMS FÜR DIE WÄNDEDie Erde aus Schritt 1 wurde von großen Steinen gereinigt, mit von der Linsenernte übriggebliebenen Stängeln und Stroh (Heu oder ähnliches geht auch) und Piniennadeln aus der Gegend (oder Ähnlichem...) vermischt und unter Zugabe von Wasser zertreten, bis eine schön klebrige Masse (weder zu hart, noch zu wässrig) entstand. Diese wurde dann eine Nacht ruhen gelassen. ACHTUNG: Bei Frost mit Plastik o.Ä. zudecken!

11- ANBRINGEN DER DACHPFEILERPinienbäume mit einem Durchmesser von mindestens 15 cm am dünneren Ende wurden geschält und entsprechend der Mandala-Technik angebracht.(reciprocal roof) Das Mandala-Dach bietet bei runden Bauten die Möglichkeit, ohne Stützpfeiler in der Mitte schwere Dächer zu tragen. Wenn gewünscht, kann Außerdem eine beliebig große Öffnung für ein Fenster geschaffen werden.Wir wählten die Größe der Öffnung entsprechend eines LKW-Reifens, den wir gefunden hatten. Ein Stützpfeiler mit der gewünschten Höhe des Dachs wurde auf einer Linie aufgestellt, welche dem Rand der gewünschten Öffnung im Dach entspricht. Auf diesen wurden die Dachpfeiler dann der Reihe nach so gelegt, dass in der Mitte die gewünschte Öffnung bleibt. Jeder Pfeiler wurde beim Auflegen auf seinen Vorgänger an diesen mit Draht

festgezurrt, um Verrutschen zu vermeiden. Nachdem der letzte Pfeiler unter dem ersten angebracht wurde, wurde der Stützpfeiler weggezogen, wodurch das Mandala-Dach zurechtrutscht und gewissermaßen einrastet. Die nun fest sitzenden Pfeiler können auf Wunsch aneinander genagelt werden. Zuletzt wurden die überstehenden Stücke an den oberen und unteren Enden abgesägt.

12- VERLEGEN DER DACHLEISTENDa wir nur einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung hatten, mussten wir fertig geschnittenes Holz kaufen; es sollte auch möglich sein, ein Dach aus selbst gesägtem oder weggeworfenen Holz (z.B. einer Baustelle) zu bauen.

13- DER LETZTE PUTZ DER WÄNDEVor dem abschließenden Verputzen haben wir die Tür auf gleiche Art wie die Fenster angebracht. Nachdem die Wände komplett ausgetrocknet waren, haben wir sie nochmals von außen mit feinem Schlamm aus gesiebter Erde verputzt, um alle Risse abzudecken. Innen haben wir folgende Mischung benutzt:3 Einheiten gesiebte Erde1 Einheit frischer Kuhdung1 Einheit Lehm aus einem Fluss hier in der Nähe1/4 Einheit sogenannte “weiße Erde”, eine Erdsorte, die es hier gibtNachdem auch dieser Putz getrocknet war, haben wir die Wände leicht angefeuchtet und mit einem Stück Leder poliert. Für den Innenputz reichen gesiebte Erde und Kuhdung komplett aus, natürliche Materialien und Techniken aus der Gegend können die Mischung aber natürlich noch weiter bereichern.

14- ISOLIEREN DES DACHSDamit die zu verlegenden Materialien nicht herunterrutschen, haben wir Bretter von unten an die Dachpfeiler genagelt. Vor dem Verlegen haben wir den Reifen fürs Dachfenster so auf die Dachpfeiler gelegt, dass er deren Enden verdeckt, und ihn anschließend festgeschraubt. Mit Silikon haben wir dann ein dickes Fenster vom Müll auf dem Reifen befestigt.

Die erste Schicht über den Dachleisten ist ein atmungsaktives, wasserabweisendes Material, das wir günstig in einem Baumarkt erworben konnten, weil es da nur rumlag (~60,- €). Solch eine Schicht ist nicht unbedingt notwendig, wurde von uns aber als eine Art Versicherung gegen etwaige, von uns unbedachte Probleme mit den natürlichen Materialien eingebaut. Hierüber legten wir Schilf (so ausgerichtet, dass Wasser nach unten geleitet wird), dann Piniennadeln und über diese dann eine 5-10 cm dicke Schlammschicht, wie beim ersten Verputzen der Wände. Die nach Austrocknung entstandenen Risse wurden mit der Mischung, die auch für den abschließenden Putz der Innenwände benutzt wurde, erneut Verputzt. Nachdem diese Schicht getrocknet war, haben wir das Dach mit gebrauchtem Speiseöl (aus Restaurants) gestrichen, um es zu imprägnieren. Um die Erde auf dem Dach vor eventuellem starken Regen zu schützen, haben wir Schilf auf dem Dach ausgelegt. Im Idealfall sollte das Dach Ende jeden Sommers mit einem Lappen und einer sehr wässrigen Mischung des Schlamms für das letzte Verputzen gewischt werden. Im Sommer sollte das Dachfenster mit Schilf o.Ä. bedeckt werden, damit die Sonne das Haus nicht erwärmt.

17- INNENEINRICHTUNGTür und Fenster, die wir nach Auf- und Untergang der Wintersonne ausrichteten, wiesen uns den Weg für die Inneneinrichtung. Die Tür blickt nach Südwesten und bietet so Schutz vor den hier im Tal herrschenden Winden. Die Küchenplatte und das Waschbecken platzierten wir von innen aus gesehen rechts der Tür. Das Abwasser fließt, bei Verzicht auf chemische Reinigungsmittel, durch ein Rohr in das Gemüsebeet vor dem Haus. (Permakultur...) Rechts neben die Arbeitsplatte, also direkt an die Nordwand, stellten wir einen Ofen mit Herd auf eine kleine Plattform, damit er auf Höhe der Küchenplatte ist. Zudem wird so die kaum Sonne abbekommende Nordwand erwärmt. Rechts neben dem Ofen wurde ein kleiner Bereich als Holzablage freigelassen, auf welchen dann der Kleiderschrank incl. Bücherregal im Nordosten folgt. Das Bett haben wir an das Ostfenster gelegt und an die beiden Südfenster, welche am meisten Licht reinlassen, die Sitzecke und den Esstisch platziert. Links der Eingangstür bauten wir ein kleine Garderobe und einen Schuhschrank. Die Musikinstrumente wurden an ein Brett gehängt, welches an den Dachpfeilern befestigt ist. Die oberen Enden der Wände wurden als Regale verwendet, unter der Küchenplatte fanden Geschirr und Küchenutensilien Platz. In die Mitte des Hauses, unter das Dachfenster, stellten wir die Wiege des Kindes.

15- VERLEGEN DER BODENLEISTENAuf dem begradigten Erdboden wurden 5x10cm-Leisten in Abständen von 40-50 cm verlegt und die Lücken dazwischen mit Erde aufgefüllt und festgestampft. Um Ungeziefer vorzubeugen, wurde alles einmal mit Asche bedeckt, bevor die Bodenleisten verlegt wurden. Wenn gewünscht, kann man für den Boden statt Holz auch die Mischung aus Erde und Kuhdung verwenden, was einen warmen Boden aus Erde schafft.

16- VERGRABEN DER NORDWANDDie Lücke, die zwischen der Wand im Hügel und der Nordmauer des Hauses gelassen wurde, füllten wir mit Steinen und bedeckten diese mit Erde, die plattgetreten wurde, so dass ein Abfluss entstand. Dadurch ist das Haus geschützt gegen Wind und Kälte aus dem Norden sowie Wasser, dass ggf. den Hang runterfließt. Wenn gewünscht, kann eine Art Klimaanlage für den Sommer gebaut werden, indem man ein Ofenrohr horizontal in 20-30 cm Höhe so in die Nordwand einbaut, dass ein Ende in den Steinhaufen draußen und ein Ende ins Haus ragt. Die äußere Öffnung sollte mit einem Fliegengitter versehen werden, die innere mit einer verschließbaren Klappe.

KOSTENAufgrund der nahenden Geburt des Kindes und Wintereinbruch hatten wir nicht genug Zeit, um noch länger nach Materialien zu suchen. Man hätte dieses Haus auch absolut kostenfrei bauen können. Wir haben für ca. 400,- € Holzleisten gekauft, die Konstruktion insgesamt kostete um die 600,- € und incl. Inneneinrich-tung kamen wir auf knapp 1000,- €.

SCHLUSSWORTWenn das Leben in diesem Haus mit demselben Bewusstsein und derselben Rück-sicht wie beim Bau des Hauses geführt wird, kann von einem aufrichtigen Einklang und einem auf lange Zeit mit der Natur verträglichen Leben gesprochen werden. Um das Anfangswort mit dem Schlusswort zu verbinden: Jeder sollte gemäß dieses gemeinsamen Bewusstseins seinen eigenen, den örtlichen Gegebenheiten entsprechenden Entwurf hervorbringen. Dieses Heft wurde dementsprechend angelegt - auf Details wurde nicht eingegangen, sondern eine generelle Wegbe-schreibung gegeben. Wer ähnliches vor hat, sollte seine eigenen Nachforschungen betreiben, um die unendlichen Möglichkeiten des “natürlichen Wohnens bei geringen materiellen und moralischen Kosten” zu erkunden. Unsere heutige Welt bietet zahllose Möglichkeiten für solche Nachforschungen. Eigentlich von Be-deutung ist aber, diese Möglichkeiten auf jeden Fall mit regionalem, archaischem Wissen zu verbinden, zu bereichern und auszuprobieren.

In der Absicht, in dieser Welt, die das Zuhause aller Lebewesen ist, in Verwandschaft und mit dem

gleichen Bewusstsein und der gleichen Rücksicht zu leben...

ALAKIR NEHRİ KARDEŞLİĞİ

2012

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