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Neue Jobs für Roboter Sie kennen keine Arbeitszeiten, keine Manager-Boni, keinen Stress. Sie sind schlau, belastbar und flexibel. Noch sind sie in Ausbildung, aber bald liegen ihre Bewerbungen auf unseren Tischen Der CB2 enthält ein Künstliche-Intelligenz-Programm, das dem Entwicklungsstand eines zweijähri- gen Kindes entspricht. Forscher wollen mit dem »Child Robot« Lernvorgänge in Robotern simulieren Text Niels Boeing Fotos Max Aguilera Hellweg WM02-078 78 03.02.14 15:17

Neue Jobs für Roboter - bitfaction.com · dass Zuhörer in einem Test glaubten, sie hörten einem menschlichen Marimba-Spieler zu. Shimon ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung,

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Page 1: Neue Jobs für Roboter - bitfaction.com · dass Zuhörer in einem Test glaubten, sie hörten einem menschlichen Marimba-Spieler zu. Shimon ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung,

Neue Jobs für RoboterSie kennen keine Arbeitszeiten, keine Manager-Boni, keinen Stress. Sie sind schlau, belastbar und flexibel. Noch sind sie in Ausbildung, aber bald liegen ihre Bewerbungen auf unseren Tischen

Der CB2 enthält ein Künstliche-Intelligenz-Programm, das dem Entwicklungsstand eines zweijähri-gen Kindes entspricht. Forscher wollen mit dem »Child Robot« Lernvorgänge in Robotern simulieren

Text Niels Boeing Fotos Max Aguilera Hellweg

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Mit Modellen wie CB2 (links), Joey Chaos (Mitte und unten) oder Geminoid HI-1 erweitern Forscher die Fähigkeit von Robotern, auch per Mimik mit Menschen zu interagieren

K ennen Sie die Band Compressorhead? Die machte vor einem Jahr mit einem Internetvideo von sich reden. Souverän prügelte sie den Hardrock-Klassiker Ace of Spades von Motörhead runter. Vor allem der Schlagzeuger war beeindru-

ckend – mit seinen vier Armen. Der Schlagzeuger ist ein Roboter, wie seine beiden Bandkollegen auch. Nun mag das Musizieren von Compressorhead noch etwas stumpf anmuten. Der ebenfalls vierarmige, Ma-rimba spielende Roboter Shimon, erschaffen am Georgia Institute of Technology von dem Robotiker und Musiker Gil Weinberg, kann schon auf mensch-liche Musiker eingehen und improvisieren. So gut, dass Zuhörer in einem Test glaubten, sie hörten einem menschlichen Marimba-Spieler zu.

Shimon ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung, die in den nächsten Jahren auf uns zukommt: Roboter übernehmen Tätigkeiten, die bisher als typisch mensch-lich galten, als zu anspruchsvoll für Maschinen. Musiker müssen die Konkurrenz vielleicht noch nicht fürchten, der Rest darf sich aber durchaus Sorgen machen.

»Die meisten Arbeitnehmer in Transport- und Logistikberufen, dazu ein Großteil der Büroangestellten sowie die Arbeit in Produktionsberufen stehen auf dem Spiel«, schreiben Carl Benedikt Frey und Michael Os-borne von der Oxford University in einer aktuellen Studie. In der haben sie untersucht, wie die Aussichten für gut 700 Berufe in der »zweiten Welle der Compute-risierung« sind, die durch ausgeklügelte Software und neue Roboter geprägt sein wird. Die Aussichten sind durchwachsen, um es einmal vorsichtig zu formulieren.

Chirurgen? Operationsroboter entfernen präzise die Bauchspeicheldrüse. Anwälte? Software analysiert mit Big-Data-Verfahren in Windeseile Tausende von Verträgen. Babysitter? Spielroboter begeistern die Klei-nen. Wartungstechniker? Kletternde Roboter inspizie-ren Windräder. Controller? Software überprüft unbe-

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Der BioBiped 1 von der TU Darmstadt ist nur eines von vielen Projekten weltweit, die humanoiden Robotern den aufrechten Gang beibringen wollen

stechlich Haushaltsposten und Ausgaben. Pflegekräfte, Sportreporter, Versicherungsmakler, Köche: Zu fast je-dem Job basteln Forscher an einer Roboter- oder Soft-warelösung. Sogar über Roboter als Tanzlehrer wird bereits nachgedacht. Es kann einem schwindlig werden.

Die neuen Roboter sind ihren industriellen Kolle-gen aus den Fabriken haushoch überlegen: Sie können sich vielseitig bewegen, die Welt wahrnehmen, auf Men-schen eingehen. Ein Vertreter dieser neuen Generation ist Baxter, die jüngste Schöpfung der Robotik-Koryphäe Rodney Brooks, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Gründer von Re think Robotics. Der Name der Firma ist Programm: In den vergangenen 20 Jahren haben Forscher wie Brooks neue Ideen ent-wickelt, mit denen sie die Roboter ihren so gewandten Vorbildern aus der Science-Fiction annähern.

Eine dieser Ideen betrifft das Lernen. Baxter muss nicht mehr von Ingenieuren programmiert werden, um einen Gegenstand aus einer Kiste zu nehmen und wo-anders abzusetzen. Der Nutzer ergreift einfach einen der beiden Arme des Roboters und macht ihm die Bewegung vor. Die Software merkt sich diesen Ablauf und kann ihn später sogar variieren. Damit Baxter Ver-trauen einflößt, sitzt auf seinem Torso statt eines Blech-kopfs ein Display. Auf dem folgen zwei weit aufgeris-sene Kinderaugen im Stile einer Comicfigur seinen Bewegungen, der Nutzer sieht sofort, worauf der Ro-boter seine Aufmerksamkeit gerichtet hat – nicht an-ders als bei einem Menschen.

Es sind gerade auch solche psychologischen Knif-fe, die Robotiker inzwischen gekonnt einzusetzen wissen. Kindchenschema und Tierknopfaugen – etwa bei der Robot-Robbe Paro – lösen einen anthropomor-phen Reflex aus: Wir empfinden die Maschine als ein Geschöpf, obwohl wir wissen, dass sie nur eine Ma-schine ist. Zeigt sie dann noch Interesse an uns, »wer-den die Darwinschen Knöpfe gedrückt«, wie es die MIT-Forscherin Sherry Turkle formuliert. Gedrückt werden diese Knöpfe gerne bei Kellnerrobotern in Res-taurants und bei Robotern wie Paro, der Senioren die Zeit vertreiben soll.

Anders als die festmontierten Industrieveteranen bewegen sich heutige Roboter auch durch die Umwelt. Hierfür brauchen sie eine besondere Fähigkeit: aus Sen-sordaten eine Landkarte zu konstruieren. Das funktio-niert in strukturierten Umgebungen wie Wohnungen oder in Warenlagern schon sehr gut. Der Onlinehändler Amazon hat deshalb 2012 die Firma Kiva Systems ge-kauft, deren Roboter durch Lager flitzen und Waren transportieren – und Lagerarbeiter überflüssig machen.

Schon anspruchsvoller sind belebte Plätze oder Straßen, doch auch hier geht es voran, weil Sensoren und Prozessoren immer leistungsfähiger, immer billi-ger werden – und die Verarbeitung der Datenmassen auch auf Cloud-Rechner des Internets ausgelagert werden kann. Sowohl Google als auch die großen

Baxter soll in den USA mithelfen, die Industrie wieder in Schwung zu bringen und die Produktion aus China zurück-zuverlagern

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Der Mahru (rechts) wurde am Korean Institute of Science and Technology als Haushaltshilfe entwickelt. Er kann Geschirr wegräumen, waschen und sogar kochen – ebenso wie der PR2 der Firma Willow Garage (links)

Autohersteller entwickeln autonome Fahrzeuge, die den Menschen als Fahrer nicht mehr benötigen. Robo-ter auf vier Rädern.

Als Heiliger Gral der Forschung gelten die »Huma-noiden«. Hier ist eine gewaltige Aufgabe zu lösen: der aufrechte Gang, den eine hochkomplexe Maschinerie aus Motoren, Gelenken und Gleichgewichtssensoren meistern muss. Aber auch das gelingt inzwischen ganz gut, wie der Asimo von Honda oder der Petman von Boston Dynamics beweisen. Ihr Gang sieht zwar noch etwas ungelenk aus, doch sie können sogar rennen.

Bei diesen Erfolgen der Robotik stellen sich zwei Fragen: Was treibt die Entwickler eigentlich an? Und was hat die Gesellschaft von einem Roboterboom? »Menschenähnliche Roboter herzustellen hilft uns, uns selbst als Menschen besser zu verstehen«, sagt etwa Da-vid Hanson, Gründer von Hanson Robotics. Eine Ant-wort, die immer wieder aus der Szene zu hören ist. Man wolle das Zusammenspiel von Gehirn, Nervensystem und Gliedmaßen besser verstehen, heißt es. Man sollte der Antwort nicht bedingungslos trauen.

Dass vor allem in Japan so intensiv an humanoiden Robotern gearbeitet wird, hat weniger mit der dortigen Begeisterung für Hightechspielzeug zu tun. Sherry Tur-kle hat darauf hingewiesen, dass die japanische Regie-rung bereits in den achtziger Jahren erkannte, dass das Land aufgrund der Überalterung irgendwann nicht genügend Pflegekräfte haben werde. Entweder müsste man dann Gastarbeiter ins Land holen – oder Pflegero-boter entwickeln. Japan entschied sich für Letzteres, was der Technik einen seltsamen Beigeschmack gibt.

Boston Dynamics wiederum, vergangenes Jahr von Google gekauft, hat vor allem von Forschungsdollar des Pentagons gelebt. Ob der Petman oder der vierbeinige Lastenroboter Big Dog, beide sind – ebenso wie Droh-nen – Elemente im langfristigen Umbau des US-Militärs zu einer Streitmacht, die zu einem erheblichen Teil aus Robotern, auch kämpfenden, besteht.

Seit einem Jahr bedienen 20 Robo-Kellner die Kunden eines Schnell-restaurants in Harbin, einer Provinzhauptstadt im Nordosten Chinas

Der Hobbit von der Technischen

Universität Wien soll später einmal

als Heim- und Pflege assistent

arbeiten

Wir empfinden gewisse Maschinen als Geschöpfe. Wir können nicht anders

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Die wichtigste Triebkraft hinter der Entwicklung von Robotern ist indes eine ökonomische: teure mensch-liche Arbeit durch billige, aber intelligentere Maschi-nen als bisher zu ersetzen. Das ist nicht per se proble-matisch. Viele Tätigkeiten sind monoton, ermüdend oder gefährlich. Rodney Brooks betont, dass sein neuer Industrieroboter Baxter – der mit 22 000 Dol-lar nur einen Bruchteil herkömmlicher Roboter kostet – bei einem Einsatz über drei Jahre einem Arbeiter mit einem Stundenlohn von 3,50 Dollar entspricht, einem typischen Arbeitslohn in chinesischen Fabri-ken. China wiederum plant selbst, seine Fabriken mit Robotern zu bestücken, weil die Löhne auch im Reich der Mitte steigen.

Dass Roboter Jobs kosten, will die International Federation of Robotics allerdings nicht gelten lassen. In einem Report verweist sie darauf, dass der Einsatz von Robotern in den kommenden acht Jahren in den großen Volkswirtschaften bis zu 3,5 Millionen Arbeitsplätze schaffen werde. Sollten sich aber beispielsweise Roboter-Lkw durchsetzen, könnten über eine halbe Million Fernfahrer arbeitslos werden – allein in Deutschland, warnt Frank Rieger vom Chaos Computer Club. »Es könnte sein, dass wir auf eine Gesellschaft zusteuern, die zwar immer reicher wird, in der alle Wohlstandsgewinne aber an diejenigen gehen, denen die Roboter gehören«, sagt Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman – es sei denn, die Roboter würden allen gehören. Technikopti-misten wie Kevin Kelly, früher Chefredakteur des Digi-talmagazins Wired, fechten diese Zweifel natürlich nicht an: »Lasst die Roboter die Jobs machen und uns dabei helfen, dass wir uns wirklich wichtige Arbeit ausdenken können.« Roboter könnten dann so etwas wie neuzeit-liche Sklaven in einem »digitalen Athen« sein, wie es der Arbeitsforscher Eric Brynjolfsson ausdrückt, in dem sich alle Bürger sozialen oder kreativen Tätigkeiten zuwenden können. Jedenfalls, solange Roboter nicht auch noch musizieren, malen oder Gedichte schreiben. —

Ein OP-Roboter (links) macht Bauchspiegelungen, der LS 3 von Boston Dynamics (Mitte) soll der US-Armee als Lasttier dienen, und der Nao von Aldebaran Robotics ist der Stolz Frankreichs

Der PR2 von Willow Garage kann nicht nur Büroboten überflüssig machen, er lässt sich auch als Pflege- oder Bügelhilfe nutzen

Sind wirklich Millionen Jobs in Gefahr?

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