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258 | Pharm. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2005 | Nr. 4 TREFFPUNKT FORSCHUNG | Tetracycline werden seit mehr als einem halben Jahr- hundert zur Therapie von In- fektionen z.B. der Atemwege und des Urogenitaltraktes eingesetzt. Sie hemmen die Proteinsynthese, indem sie an die 30S-Unterheit der Ri- bosomen binden. Aufgrund der zunehmend auftretenden Resistenzen, die in der Ex- pression einer Effluxpumpe bzw. in der Modifikation der 30S-Unterheit begründet sind, nimmt allerdings die Bedeutung der Tetracycline immer mehr ab. Deshalb ist die Entwicklung neuer Tetra- cycline von großem Interesse. Aus der Röntgenstruktur der Tetracyclin-bindenden 30S-Un- terheit haben wir vor einigen Jahren gelernt [1], dass die süd- lichen und östlichen Teile des Gerüstes mit den Ribosomen interagieren, während der Wes- ten und Norden aus dem Ribo- som herausragen und damit für Variationen, die z.B. die Resis- tenz verhindern, zur Verfügung stehen. So wurde im Dezember letzten Jahres bei der FDA ein Zulassungsantrag für das Gly- cylcyclin Tigecyclin gestellt, das im westlichen Teil des Gerüstes, d.h. am Phenolring, einen N-t- Butylglycinrest (über eine Amin- gruppe verknüpft) trägt. Das Wirkspektrum von Tigecyclin (siehe Abb. 1) umfasst gram- negative und -positive sowie atypische Keime, zeigt aber eine Lücke bei Pseudomona- den. Bemerkenswert ist seine Aktivität gegen multiresisten- te Keime wie Methicillin-resis- tente Staphylokokken und Vancomycin-resistente Entero- kokken [2]. Auch soll Tigecyclin ein geringeres Potenzial zur Resistenzent- wicklung haben, was allerdings erst nach intensiver Anwendung im Klinik- alltag sicher beurteilt werden kann. Nun ist eine Variation der kom- plexen Struktur der Tetracycline nicht trivial. Sie werden zumeist in Streptomyces-Kulturen, die sich der Polyketid-Synthase be- dienen, biotechnologisch herge- stellt und anschließend in klei- nem Umfang semisynthetisch verändert (siehe Abb. 2) [3]. So gleicht Tigecyclin sehr dem im Handel befindlichen Minocyc- lin. Einerseits kann kombinato- rische Expression von Enzymen des Biosynthesewegs zu ganz neuen Tetracyclinen führen. An- dererseits ist auch der von der Gruppe um Myers beschrittene Weg innovativ, indem die bei- den präformierten Ringsysteme A/B und D durch eine simple Dieckmann-Kondensation mit- einander verknüpft werden. Diese Strategie hat gleich zu ei- nem sehr wirksamen pentacyc- lischen „Tetracyclin“ (Abb. 3) geführt und verspricht die Neu- entwicklung von Tetracyclinen MIKROBIOLOGIE | Neue Wege zu hoch wirksamen Tetracyclinen OH N H 3 C CH 3 O N H H N H 3 C H 3 C CH 3 O OH OH NH 2 O O H H N OH H 3 C CH 3 Westen Osten Süden Norden ABB. 1 | TIGECYCLIN < Tetracycline werden meist in Streptomyces-Kulturen unter Ver- wendung der Polyketid-Synthase biotechnologisch hergestellt und anschließend in kleinem Umfang semisynthetisch verändert. An- gedeutet ist die 30S ribosomale Untereinheit, mit der der südliche und östliche Teil des Tetracyclins Kontakt hat. Rot markiert sind Reste, die sowohl über Synthese als auch Biosynthese zugänglich sind; blaue Reste sind bei Total- synthese und grüne Reste durch Biosynthese gut zugänglich. ABB. 2 SYNTHESE DER TETRACYCLINE CoA S NH 2 O O R 7 R 6 R 5 R 4 R 3 OPh O D N O OBn O O R 1 H N OTBS H 3 C CH 3 B A + R 7 R 4 O R 6 HO OH NH 2 O O H H N OH H 3 C CH 3 R 5 R 3 R 1 R 1 D B A C 1 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 12a 5a Michael-Dieckmann-Reaktion, Entfernen der Schutzgruppen vielseitig verwendbarer D-Ring-Vorläufer 30S Untereinheit OH OH OH OH NH 2 NH 2 O OH R 5 D B A C modifizierende Enzyme O O O O O NH 2 O O O O O Enz C8-Ketoreduktase, 3 Zyklasen CoA S OH O O + Polyketid-Synthase (Elongationsmodul) Polyketid-Synthase (Initiationsmodul) ABB. 3 EIN PENTAZYKLISCHES „TETRACYCLIN“ O HO OH NH 2 O O OH H H N OH H 3 C CH 3

Neue Wege zu hoch wirksamen Tetracyclinen

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Page 1: Neue Wege zu hoch wirksamen Tetracyclinen

258 | Pharm. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2005 | Nr. 4

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

Tetracycline werden seitmehr als einem halben Jahr-hundert zur Therapie von In-fektionen z.B. der Atemwegeund des Urogenitaltrakteseingesetzt. Sie hemmen dieProteinsynthese, indem siean die 30S-Unterheit der Ri-bosomen binden. Aufgrundder zunehmend auftretendenResistenzen, die in der Ex-pression einer Effluxpumpebzw. in der Modifikation der30S-Unterheit begründetsind, nimmt allerdings dieBedeutung der Tetracyclineimmer mehr ab. Deshalb istdie Entwicklung neuer Tetra-cycline von großem Interesse.

Aus der Röntgenstruktur derTetracyclin-bindenden 30S-Un-terheit haben wir vor einigenJahren gelernt [1], dass die süd-lichen und östlichen Teile desGerüstes mit den Ribosomeninteragieren, während der Wes-ten und Norden aus dem Ribo-som herausragen und damit fürVariationen, die z.B. die Resis-tenz verhindern, zur Verfügungstehen. So wurde im Dezemberletzten Jahres bei der FDA einZulassungsantrag für das Gly-cylcyclin Tigecyclin gestellt, dasim westlichen Teil des Gerüstes,d.h. am Phenolring, einen N-t-Butylglycinrest (über eine Amin-gruppe verknüpft) trägt. Das

Wirkspektrum von Tigecyclin(siehe Abb. 1) umfasst gram-negative und -positive sowieatypische Keime, zeigt abereine Lücke bei Pseudomona-den. Bemerkenswert ist seineAktivität gegen multiresisten-te Keime wie Methicillin-resis-tente Staphylokokken undVancomycin-resistente Entero-

kokken [2]. Auch soll Tigecyclin eingeringeres Potenzial zur Resistenzent-wicklung haben, was allerdings erstnach intensiver Anwendung im Klinik-alltag sicher beurteilt werden kann.

Nun ist eine Variation der kom-plexen Struktur der Tetracyclinenicht trivial. Sie werden zumeistin Streptomyces-Kulturen, diesich der Polyketid-Synthase be-dienen, biotechnologisch herge-stellt und anschließend in klei-nem Umfang semisynthetischverändert (siehe Abb. 2) [3]. Sogleicht Tigecyclin sehr dem imHandel befindlichen Minocyc-lin. Einerseits kann kombinato-rische Expression von Enzymendes Biosynthesewegs zu ganzneuen Tetracyclinen führen. An-dererseits ist auch der von derGruppe um Myers beschritteneWeg innovativ, indem die bei-den präformierten RingsystemeA/B und D durch eine simpleDieckmann-Kondensation mit-einander verknüpft werden.Diese Strategie hat gleich zu ei-nem sehr wirksamen pentacyc-lischen „Tetracyclin“ (Abb. 3)geführt und verspricht die Neu-entwicklung von Tetracyclinen

M I K RO B I O LO G I E |Neue Wege zu hoch wirksamen Tetracyclinen

OH

NH3C CH3

O

NH

HN

H3CH3C

CH3

O

OH

OH

NH2

OO

H HN

OH

H3C CH3

Westen Osten

Süden

Norden

A B B . 1 | T I G EC YC L I N

< Tetracycline werden meist in Streptomyces-Kulturen unter Ver-wendung der Polyketid-Synthasebiotechnologisch hergestellt undanschließend in kleinem Umfangsemisynthetisch verändert. An-gedeutet ist die 30S ribosomaleUntereinheit, mit der der südlicheund östliche Teil des TetracyclinsKontakt hat. Rot markiert sind Reste, die sowohl über Syntheseals auch Biosynthese zugänglichsind; blaue Reste sind bei Total-synthese und grüne Reste durchBiosynthese gut zugänglich.

A B B . 2 S Y N T H E S E D E R T E T R AC YC L I N E

CoAS NH2

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H HN

OH

H3C CH3

R5R3 R1 R1

D B AC1121110

9

87 6 5 4

3

212a

5a

Michael-Dieckmann-Reaktion,Entfernen der Schutzgruppen

vielseitig verwendbarerD-Ring-Vorläufer

30S Untereinheit

OH OH OH

OH

NH2NH2

OOH

R5

D B AC

modifizierendeEnzyme

O

O O O ONH2

O O O O O

Enz

C8-Ketoreduktase,3 Zyklasen

CoAS OH

O O+

Polyketid-Synthase(Elongationsmodul)

Polyketid-Synthase (Initiationsmodul)

A B B . 3 E I N PE N TA Z Y K L I S C H E S

„ T E T R AC YC L I N “

O HO

OH

NH2

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wieder in Gang zu bringen [4]. Diesekönnte von einer Kombination ausbeidem, der kombinatorischen Bio-synthese und der chemischen Syn-these sehr profitieren, wie aus Abb. 2 klar hervorgeht. Wir könnenuns also Hoffnung machen, dass esdemnächst wieder mehr Neuent-wicklungen auf dem Gebiet der Tetra-cycline geben wird.

[1] Brodersen, D.E., Clemons, W.M. et al.: TheStructural Basis for the Action of the Anti-biotics Tetracyclin, Pactamycin, and Hyg-

romycin B on the 30S Ribosomal Subunit.Cell 103 (2000), 1143-1154.

[2] Garrison, M.W., Neumiller, J.J., Setter, S.M.:Tigecycline: An Investigational Glycylcyc-line Antimicrobial with Activity Against Resistent Gram-Positive Organism. Clin.Therapeutics 27 (2005), 12-22.

[3] Khosla, C., Tang, Y.: A New Route to DesignerAntibiotics. Science 308 (2005), 367-368.

[4] Charest, M.G., Lerner, C.D., Brubaker, J.D.,Siegel, D.R., Myers, A.G.: A ConvergentEnantioselective Route to Structurally Di-verse 6-Deoxytetracycline Antibiotics.Science 308 (2005) 395-398.

Ulrike Holzgrabe, Würzburg

xas geliefert. Der Arbeitsgruppe umDr. Claudio Soto aus Galverston inTexas ist es nun gelungen, im Rea-genzglas nicht-infektiöse in krank-machende Prionen zu verwandelnund zu vermehren.

Bislang war es nicht möglich,Prionen im Labor in größeren Men-gen und in Reinform herzustellenund dann – losgelöst von dem ur-sprünglich erkrankten Tier – ihreWirkung zu testen. Soto und seineKollegen gaben nun HirnextrakteTSE-kranker Hamster zu Hirnextrak-ten nicht erkrankter Tiere und setz-ten das Gemisch intensiven Schall-wellen aus. Nach einiger Zeit gabensie einen Teil des Gemisches erneutzu Gehirnextrakt nicht erkrankterTiere und wiederholten die Prozedur.Tatsächlich wurde normal gefaltetesPrionprotein dabei in die abnorm gefaltete Variante überführt.

Die Forscher wiederholten dieseSchritte immer wieder, bis das Ge-misch aufgrund der immer stärkerenVerdünnung kein Prion-Molekül deserkrankten Tieres hätte enthaltendürfen. Dann injizierten sie das Mate-rial nicht erkrankten Hamstern. Bin-nen vier Monaten erkrankten diesean einer TSE, die sich nicht von derErkrankung der Ausgangstiere unter-scheiden ließ.

In einem Kommentar in der glei-chen Ausgabe des Journals zeigensich Wen-Quan Zou und PierluigiGambetti von der Case Western Re-serve University in Cleveland, Ohio,beeindruckt von den Resultaten. Al-lerdings sei auch durch diese Experi-mente „nicht auszuschließen, dassneben den Prionen auch RNA oderandere Moleküle aus dem ursprüngli-chen Hirnextrakt vermehrt wurden.“

Nach wie vor steht also der end-gültige Beweis der Prionen-Hypothe-se, der letztlich mit künstlich erzeug-ten Prionen zu erbringen ist, nochaus.

Castilla, J., Saá, P., Hetz, C., Soto, C.: In VitroGeneration of Infectious Scrapie Prions. Cell121 (2005), 195-206.

Theo Dingermann, Frankfurt

M E D IZ I N |Wichtiger Fortschritt im Streit um die Prion-HypotheseBis vor einiger Zeit war der Gedanke unvorstellbar, dass ein Erreger nuraus Protein, ohne eigene DNA oder RNA, Infektionen verursacht. Diesänderte sich mit dem Zeitpunkt, als Stanley Prusiner an der Universityof California vor mehr als 20 Jahren postulierte, dass bestimmte neuro-degenerative Erkrankungen bei Mensch und Tier durch einen „Erreger“übertragen werden, der nur aus Protein zu bestehen schien.

Dies war eine Idee, die das Dogmaumzustürzen drohte, nach dem Infor-mationen zur Übertragung einerKrankheit immer auf genetischemMaterial (DNA oder RNA) gespei-chert sind. Prusiner hatte Hirnextrak-te an Scrapie erkrankter Schafe mitAgenzien behandelt, die entwederNukleinsäuren oder Proteine degra-dierten. Die Infektiosität dieser Ex-trakte blieb erhalten, wenn sie mitDNA-zerstörenden Verfahren vorbe-handelt worden waren. Sie ging je-doch verloren, wenn Substanzen aufdie Extrakte eingewirkt hatten, dieProteinstrukturen zerstören. Prusiner

schloss daraus, dass Proteine den we-sentlichen Bestandteil des infektiösenAgens ausmachen und nannte diesePrionen („proteinaceus infectiousparticles“). Diese Hypothese, ob-wohl bereits 1997 „in Würdigung derEntdeckung der Prionen als biolo-gisches Prinzip einer Infektion“ mitdem Nobelpreis für Medizin ausge-zeichnet, ist nach wie vor nicht all-gemein akzeptiert, da wichtige Kon-trollexperimente bisher nicht über-zeugend funktionierten.

Den bislang „härtesten“ Beweisfür die Richtigkeit der Prionen-Hypo-these haben jetzt US-Forscher aus Te-

ABB. Die krank-machenden Prio-nen (rechts) ent-stehen durchFehlfaltung einesphysiologischenProteins (links).