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Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg Landeshauptstadt Magdeburg Stadtplanungsamt Magdeburg Schaufenster der ARCHÄOLOGIE Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg

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Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg

Landeshauptstadt Magdeburg

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Domplatz Magdeburg

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Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg

WissenschaftlicheRedaktion:

Brigitta Kunz

LandeshauptstadtMagdeburg/StadtplanungsamtMagdeburg

Landesamt für Denkmal-pflege und ArchäologieSachsen-Anhalt

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Impressum

Herausgeber: Landeshauptstadt MagdeburgBüro für Öffentlichkeitsarbeitund Protokoll39090 Magdeburg

Landesamt für Denkmalpflegeund Archäologie Sachsen-AnhaltRichard-Wagner-Str. 9-1006114 Halle

WissenschaftlicheRedaktion: Brigitta Kunz

Photo II. Umschlagseite: Landesamt für Denkmalpflege und ArchäologieSachsen-Anhalt, R. Schwarz

Photo III. Umschlagseite: M. Ertl

Druckerei: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KGGewerbering West 2739240 Calbe (Saale)

Gestaltung: AdCOM werbung & filmproduktion gmbh

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Inhaltsverzeichnis

VorworteGrußwort des Oberbürgermeisters Lutz TrümperGrußwort des Landesarchäologen Harald Meller

EinführungBrigitta Kunz/Eckhart W. PetersEin Stadtbummel entlang historischer Schaufenster

AusstellungBrigitta KunzSchaufenster der Archäologie – 1200 Jahre Magdeburg

GeologieGünter Schönberg/Andreas Möbes Erdgeschichtliche Betrachtungen zum Domplatz in Magdeburg

Historische ForschungJürgen UdolphDer Ortsname Magdeburg

VermessungMandy PoppeVermessung – Grundlage jeder archäologischen Dokumentation

BauforschungMaurizio PaulWohntürme im Stadtgebiet von Magdeburg

Historische ForschungIngelore BuchholzDas Nikolaistift und seine Kirche in Magdeburg

AnimationSven SchulzeAm Computer simuliert – Wechselbilder der Geschichte

ArchäobotanikMonika HellmundPflanzenfunde aus dem mittelalterlichen Magdeburg –Der Abfallschacht eines „Grafenhofes“

Hubertus SommerfeldVon den Anfängen des Weinbaus im Erzbistum Magdeburg

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Schaufenster der Archäologie – Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

ArchäozoologieRalf-Jürgen PrilloffHerrschaftliches Speisen und Jagen. Tierknochen berichten vom Leben im mittelalterlichen Magdeburg

NumismatikRolf GruneMagdeburger Streumünzfunde am Breiten Weg

AnthropologieRüdiger SchöningRechtsmedizinische Untersuchungen an Skelettfunden der St. Nikolai Kirche

RestaurierungFrederike HertelDie Toten und ihre Kleider

Heike PöppelmannBergung einer Gruft am Domplatz

Überblick StadtarchäologieThomas WeberZwölf Jahre archäologische Stadtkernforschung in Magdeburg: Grabungsergebnisse seit 1992

DomfreiheitDomplatzRainer Kuhn/Babette Ludowici/Brigitta Kunz/Heike Pöppelmann/Mathias Puhle/Thomas Weber:Wenn der Stein ins Rollen kommt .... Der Magdeburger Domplatz im Fokus der Forschung

Breiter Weg 5-10Brigitta Kunz Von der Burg zur Stadt

Günter KorbelArchäologische Nachuntersuchungen auf dem Baufeld „Hundertwasserhaus“

Domplatz/LandtagRainer Kuhn Die Ausgrabungen in den Jahren 1999 und 2000 im Bereich des Landtages

GouvernementsbergFrank Besener Die Bergung gotischer Plastiken aus einer Bruchsteinmauer im Bereich Gouvernementsberg 2

Kloster Unser Lieben FrauenFrank BesenerBarocke und spätmittelalterliche Straßenpflaster am Westportal der Marienkirche

Große KlosterstraßeGösta Ditmar-TrauthDem Elbwasser bedrohlich nahe – Ausgrabungen an der Klosterstraße

Breiter Weg/Ecke DanzstraßeChristian GildhoffZwischen Bronzezeit und Dreißigjährigem Krieg. Funde und Befunde vom Grundstück Breiter Weg 213

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Stadtarchäologie

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

BürgerstadtZentraler Platz Bettina Carruba/Heiner SchwarzbergMittelalterliches Leben und Arbeiten im Herzen der Stadt

ButtergasseDoris KötherMagdeburg/Buttergasse - Altstadt unterm Kriegsschutt

RatswaageplatzFrank BesenerEin ehemaliger Friedhof auf dem Ratswaageplatz von Magdeburg

Breiter Weg NordabschnittSabine Henkelmann/Brigitta KunzEine wachsende Stadt des Hochmittelalters

Andrea PieperEin Schnitt durch die Vergangenheit – Spurensuche auf 300 m x 2 m

UniversitätsplatzUlf F. Ickerodt Einblicke in die neuzeitliche Befestigungstechnik

WallonerkircheKarin Rathje/Thomas WeberDie Gräber vom Wallonerberg 5. Ein Bestattungsplatz aus den Jahren 1690 bis 1827

JohanniskircheMichael KrecherArchäologische Ausgrabungen in der Johanniskirche zu Magdeburg

PetrikircheGösta Ditmar-TrauthDie Ausgrabung an der Petrikirche

VorstadtFriedensplatzW. Barbara GerckeSudenburg – Die Ausgrabungen auf dem Friedensplatz 1999

KlosterbergegartenChristoph EngelEin mittelalterlicher Friedhof unter dem Gesellschaftshaus

Eckhart W. PetersArchäologie und Stadtplanung – Zwei Welten unter einem Hut?

Autorenverzeichnis

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Archäologie und Stadtplanung

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die 1200-jährige Geschichte der Stadt Magdeburgist unglaublich facettenreich. Mit der ersten histo-rischen Erwähnung im Diedenhofer Kapitular Karls des Großen im Jahre 805 tritt die befestigte„Magadoburg“ in das Licht der damaligen Welt.

Magdeburg hat viele Namen: Kaiserstadt, Dom-stadt, Hansestadt, Lutherstadt und „Unsres Herr-gott’s Kanzlei“, Festungsstadt, „Stadt des neuenBauwillens“, „Stadt mit Zugkraft“, Elbestadt. Vorallem ist sie die Landeshauptstadt des noch jungenBundeslandes Sachsen-Anhalt. Magdeburg über-rascht seine Gäste aber auch seine Bewohner mit ei-ner lebendigen Gegenwart und dem immer nochreichen steinernen Kalender deutscher und euro-päischer Architekturgeschichte.

Mit dem „Schaufenster der Archäologie“ kommt ei-ne vielfach schon angeklungene und unsere Stadtseit 1992 stärker begleitende Facette der Stadtge-schichte zum Tragen.Natürlich wissen wir, dass Magdeburg sehr viel äl-ter ist als 1200 Jahre. Aber ohne ein schriftlichesZeugnis können wir nur mit Hilfe der Ausgra-bungen die Spuren dieser Geschichte aufnehmenund lesen. Funde und Befunde zu dokumentierenund auch einer großen Öffentlichkeit zugänglich zumachen, sind Ziel der Ausstellung „Schaufenster der

Archäologie – Neues aus der archäologischen For-schung in Magdeburg“. Die Erfolge der Archäologenbei den jüngsten Grabungen bestätigen uns darin.

Objekte, die älter als 1000 Jahre sind und die Un-bilden der Zeit überlebt haben, regen unsere histo-rische Phantasie an. Ohne die Arbeit der Archäolo-gen wäre der authentische Blick in die Geschichtenicht möglich. Archäologen gehören zu den Grund-lagenforschern in Sachen Stadt- und Regionalge-schichte. Moderne Technik und neue Methoden derarchäologischen Forschung sind heute dazu ange-tan, bisherige Erkenntnisse neu zu prüfen. Einenbeträchtlichen Teil dieser neuen Forschungen kön-nen Sie nun durch das „Schaufenster der Archäolo-gie“ erblicken.Ich wünsche der Ausstellung viele Besucher, derPublikation eine große Leserschar und hoffe sehr,dass beide zum weiteren Kennenlernen der Stadtund der reichen Magdeburger Geschichte einladen.

Dr. Lutz TrümperOberbürgermeister

Vorwort

Liebe Magdeburgerinnen und Magdeburger,liebe Gäste der Landeshauptstadt

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Vorwort

Alljährlich treffen sich in der Kaserne Mark inMagdeburg die Gaukler zum Mittelalterspektakel.Die Besucherzahlen steigen ebenso wie die Zahl anBüchern und Filmen über das „Dunkle Zeitalter“.Aber nicht nur der Laie interessiert sich für die derNeuzeit vorangehenden Epoche des Mittelalterssondern auch die Wissenschaften – in verstärktemMaße die Archäologie.

Die Archäologie zieht ihre Kenntnisse – unterBerücksichtigung schriftlicher Quellen – vor allemaus Bodenbefunden. Zur Zeit finden in vielenStadtkernen der im Früh- und Hochmittelalter ge-gründeten Städte Mitteldeutschlands Ausgrabungenstatt, so auch - an mehreren Stellen - in Magde-burg.

Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäo-logie Sachsen-Anhalt folgt darin dem schon Endeder 1940er Jahre in Magdeburg mitbegründetenWeg der Stadtkernarchäologie. Hier wurde nochvor Beginn des großen Wiederaufbaus die histo-rische Bedeutung des noch vorhandenen Boden-archivs erkannt und Anstrengungen zur Rettung un-ternommen. In vielen bundesdeutschen Städtenfand dies erst Jahrzehnte später Beachtung.

Während des Dreißigjährigen Krieges verlorMagdeburg eine der bedeutendsten Bibliothekenihrer Zeit. Vielleicht war diese Erfahrung einer derBeweggründe, um 1948 zur Rettung des Bodenar-chivs die „Arbeitsgemeinschaft zur Erforschungder Vor- und Frühgeschichte Magdeburgs“ unterder Leitung von Ernst Nickels zu gründen. Bis 1968führte man in der Stadt über 26 Ausgrabungen und126 Notbergungen durch. Danach gab es nur nochkleinere Maßnahmen. Seit 1990 ist die archäolo-gische Tätigkeit wieder sprunghaft angestiegen. Inden letzten Jahren sind in Magdeburg 28 Ausgra-bungen und mehrere kleine Notbergungen durchdas Landesamt für Denkmalpflege und Archäologieunternommen worden.

Eine archäologische Sensation bildeten in den1960er Jahren die Mauerreste des – wie man langeglaubte – Kaiserpalastes Ottos des Großen amDomplatz. Heute, nach Abschluss der Forschungs-grabung an der Domplatz Ostseite, wissen wir esbesser: Nicht um seinen Palast handelte es sich,sondern möglicherweise um den durch ihn erbautenDom. Diese Entdeckung ist ein wichtiger Schritt,um die historischen Geschehnisse des 10. Jahrhun-derts an der damaligen Ostgrenze zu erkennen. Da-bei trägt die Archäologie eigenständig mit ihrenMethoden und ihren Quellen zur Klärung histo-rischer Fragen bei.

Durch gut dokumentierte Grabungen sichert dasLandesamt für Denkmalpflege und Archäologie fürdie Nachwelt und die Wissenschaften einen reichenSchatz an historischen Quellen. Diesen Schatz inForm einer Ausstellung und eines Begleitbuchesden Bürgern der Stadt Magdeburg näher zu bringen,dafür gebührt der Landeshauptstadt Magdeburg einbesonderer Dank.

Für die privaten und öffentlichen Bauherrn sinddie Mehrkosten einer archäologischen Ausgrabungeine zusätzliche Belastung, die für die Allgemein-heit und die „Kulturgeschichte“ der Stadt und desLandes erbracht werden. Ihnen sei an dieser Stellebesonders gedankt.

Ich wünsche den Bürgerinnen und Bürgern vonMagdeburg und ihren Gästen zum 1200jährigen Ju-biläum ein schönes Festjahr.

Dr. Harald MellerDirektor des Landesamtes für Denkmalpflege

und Archäologie Sachsen-AnhaltLandesarchäologe

Zum 1200-jährigen Stadtjubiläum Magdeburgs

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Treten Sie näher, treten Sie ein. „Schaufenster derArchäologie“ will Sie entführen in die Welt derverborgenen Dinge. Dabei geht es nicht um Gold,nein, das haben wir nicht. Es geht um die verschüt-teten und vergessenen Reste der glanzvollen undtragischen Entwicklung der Stadt Magdeburg. Wirwollen Sie verführen zu einem Stadtbummel ent-lang historischer Schaufenster.

Die Schaufenster, in die Ihnen das vorliegendeBegleitbuch Einblicke gewährt, sind über die ganzeStadt verteilt. In diesem Buch haben Archäologenkleine Zwischenberichte über den Stand ihrer Ar-beit verfasst. Es ist als Begleitung gedacht zur Aus-stellung „Schaufenster der Archäologie – Neuesaus der archäologischen Forschung in Magdeburg“.Beide - Buch und Ausstellung - sollen mit ihrenFenstern Einblicke in die aktuelle archäologische

Forschung geben. Im Buch kommen die Archäolo-gen selbst zu Wort. In der Ausstellung hingegensind wir ihnen wie einem Uhrmachermeister odereinem Schuster in die Werkstatt gefolgt, um heraus-zufinden, wie aus den Keramikscherben, Tierkno-chen, Eisenfunden und Bodenproben Geschichteentsteht.

Die Ausstellung konzentriert sich in ihrer histo-rischen Betrachtung auf die Ereignisse rund um denDomplatz. Dies ist zunächst der Sanierungstätigkeitdes Stadtplanungsamtes und damit der Landes-hauptstadt Magdeburg als Bauherrn und der Unter-stützung durch den Bund und das Land Sachsen-Anhalt geschuldet. Zugleich möchte diese Ausstel-lung aber auch Auskunft geben über die neuen historischen Erkenntnisse, die durch die aktuellenGrabungen ans Tageslicht getreten sind. Die neuen

Einleitung

Ein Stadtbummel entlang historischer Schaufenster

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1 1Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Bodenfunde unter dem Domplatz, der in früherenZeiten auch Neuer Markt, Domimmunität oderDomburg genannt wurde, lassen unerwartete Rück-schlüsse auf die Entwicklung dieses Platzes zu, dieaufs engste mit der Geschichte der Stadt verbundensind. Diese neuen Erkenntnisse und die Diskussi-onen, die durch sie angestoßen wurden, führtennicht zuletzt dazu, sich in dieser Ausstellung auchmit der Arbeitsweise der Archäologie zu beschäfti-gen, die längst keine Spatenarchäologie mehr ist.

„Schaufenster der Archäologie“ zeigt eine Aus-wahl der vielfältigen stadtgeschichtlich relevantenFragen und eine archäologische Annäherung an diehistorische Wirklichkeit - eine Schaufensterauslageeben. Diese Auslage soll nur ein erstes Staunen undInteresse wecken. Wir empfehlen Ihnen einen Be-such im Kulturhistorischen Museum der Landes-hauptstadt Magdeburg, um dort das ganze Sorti-ment der mittelalterlichen Stadtforschung in Au-genschein zu nehmen. Im Kulturhistorischen Muse-um erwartet Sie die neu gestaltete Dauerausstellungzur mittelalterlichen Stadtgeschichte oder fahrenSie in das archäologische Landesmuseum nach Hal-le mit der Ur- und Frühgeschichte des Landes.

Bummeln und flanieren, das Auge sich erholenund anregen lassen. Wir wollen, dass Sie entlangunserer Ausstellungswände bummeln, das ein oderandere Bild betrachten, den ein oder anderen Textlesen und vielleicht immer wieder kommen. Viel-leicht treffen Sie uns auch in der Stadt – beim Bum-mel entlang der Schaufenster der neuen Märkte.Mitten unter den Tempeln der Warenwelt möchtendie „Schaufenster der Archäologie“ ihre Aufmerk-samkeit erregen - und wir hoffen, das uns dies ge-lingt.

Auch das begleitende Buch ist nicht etwas abge-schlossenes Ganzes. Er muss nicht von vorne nachhinten gelesen werden. Haben Sie Freude an einzel-nen Texten. Sie sind fürs Lesen zwischendurch,

zum Durchblättern, zum Nachschlagen gedacht. Eswürde uns Freude machen, wenn Sie das Buch im-mer wieder zur Hand nähmen und so von Bild zuBild und von Artikel zu Artikel bummeln.

Dank an das Landesamt für Denkmalpflege undArchäologie, das uns Fundmaterial zur Verfügungstellte und uns als fachlicher Partner den Rückenstärkte. Geschichte ist nicht das Werk einzelner,daher freut es uns besonders, dass eine Vielzahl vonInstitutionen des Landes und der Stadt und ihreVertreter zum Gelingen des Projektes beigetragenhat. Insbesondere soll hier Prof. Dr. Dieter Krausevom Gerichtsmedizinischen Institut der Otto v.Guericke Universität für seine vermittelnde Hilfe,Dr. Uwe Heußner von der Humboldt UniversitätBerlin für die Bestimmung von Hölzern und allenWissenschaftlern, die uns zur Seite standen undSchaufenster für die Ausstellung und das Begleit-buch dekorierten, gedankt sein. Das Begleitbuch istso zu einem Gemeinschaftswerk geworden, das ei-nem Gemeinwesen würdig ist. Dank auch den Kol-leginnen und Kollegen der Unteren Denkmal-schutzbehörde, die das Projekt über die Jahre mitRat und Tat unterstützten. Ein letzter und besondersherzlicher Dank den redaktionellen Helfern OlafWahls, Dr. Barbara Fritsch, Sabine Henkelmannund Astrid Deffner.

Zum 1200 jährigen Stadtjubiläum wenden sichAusstellung und Buch an die Bürgerinnen und Bür-ger Magdeburgs sowie an die vielen Gäste unsererStadt. Mögen viele von Ihnen durch einen Blick indie Schaufenster der Archäologie erfahren, was fürein reiches historisches Quellenmaterial unter unse-ren Füßen liegt, welcher Bezug zu uns Menschenvon heute besteht und welchen Sinn die Tätigkeitder Archäologie hat.

Brigitta Kunz und Eckhart W. Peters

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Neues aus der archäologischenForschung in Magdeburg

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„Schon in Ägypten gewesen?“ Diese Frage mussein Archäologe wohl am häufigsten beantworten.Die zweithäufigste Frage lautet dann „Schon Goldgefunden?“.

Beide Fragen gieren nach Abenteuer undSchatzsuche, einem Image das der `Archäologie`heute noch anhängt. Für die meisten Menschenscheinen die Orte, an denen ein Archäologe erwar-tet wird, sich auf Ägypten, Türkei, Griechenlandoder Mexiko zu beschränken. Eher mit Verwunde-rung wird er hier in mittel- und nordeuropäischenGefilden wahrgenommen. „Was will man hier wohlschon finden im schweren Bördeboden?“ Dass sichreiche historische Schätze im Boden verbergen, be-weisen die Schlagzeilen des letzten Jahres: „DenDom Ottos des Großen gefunden“. Scheinbar unbe-merkt hat sich der Schatzsucher zum Geschichte-Finder entwickelt.

Diese Wandlung wurde bewusst durch den Ge-setzgeber gefördert, indem er „die Reste von Lebe-wesen, Gegenständen und Bauwerken, die von derGeschichte der Menschheit Zeugnis ablegen“ alsarchäologische Kulturdenkmale unter Schutz stell-te. Dass diese „Reste“ zu bedeutenden Archivenheranwachsen können, zeigt die StadtgeschichteMagdeburgs. Karolingische Burg, ottonische Stadt,Stadt des Magdeburger Rechts im Mittelalter, ba-rockes Juwel der beginnenden Neuzeit. Wenig istaufgrund von Brand und Zerstörung geblieben –auch an schriftlichen Quellen. Das historische Ar-chiv Magdeburgs liegt im Boden verborgen! Aberda ist es auch bedroht.

Die unter dem Thema „Stadtarchäologie“ zu-sammengefassten archäologischen Berichte imzweiten Teil dieses Bandes zeigen, dass immer wie-der durch Bautätigkeit in dieses „Bodenarchiv“ ein-gegriffen wird. Kann die Zerstörung nicht vermie-den werden, müssen die Reste, wie sie das Gesetznennt, vorher ausgegraben, dokumentiert und dieFunde geborgen werden. Wichtig für den Archäolo-gen sind die Spuren, die die Menschen hinterließen.Wenn in der Vergangenheit eine Grube ausgeho-ben, ein Graben zugeschüttet oder eine Mauer er-richtet wurde, ist dies noch Jahrtausende späterdurch Verfärbungen im Erdreich zu erkennen. So-gar Holzstützen, die z.B. für den Bau der Häuservor Tausenden von Jahren ins Erdreich eingegrabenwurden, lassen sich anhand dunkler runder Verfär-bungen nachweisen und zu einem Grundriss zusam-menfügen (Abb. 1). Aber auch mit ausgebrochenenSteinmauern können Gebäude rekonstruiert wer-den. Ein Grab gibt Auskunft über religiöse Vorstel-lungen, ein Skelett über den gesundheitlichen Zu-stand der Menschen, und Gräberfelder erzählen et-

was über Dorfbewohner und Bevölkerungszahl.Natürlich sind auch Funde wichtig. Aber - nichtdem Einzelfund gilt das ganze Bestreben des Ar-chäologen, sondern dem Fundzusammenhang: DasGrab mit Grabgrube, der Bestattung, der Bestat-tungslage sowie schließlich den Beigaben und demTrachtzubehör z.B. eines Schmuckstückes (Abb.2). Der Wissenschaftler dokumentiert und interpre-tiert, und überliefert somit die Lebensspuren ver-gangener Gesellschaften für die Nachwelt (Abb. 3).Darum: Vor dem Bagger kommt der Archäologe.

Ist nun einmal die Einsicht geweckt, dass Ar-chäologie auch außerhalb von Tempeln, Pyramidenund Amphitheatern einen Sinn hat, bleibt noch dieFrage nach dem Goldschatz. Hier fällt es schon we-sentlich schwerer, dem aufgeschlossenen Laien zuvermitteln, warum einige unansehnliche Scherben-

Schaufenster der Archäologie – 1200 Jahre MagdeburgBrigitta Kunz

Abb. 1 Schaubild zur Entstehungdes Pfostenlochs

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S C H A U F E N S T E R D E R A R C H Ä O L O G I E – N E U E S A U S D E R A R C H Ä O L O G I S C H E N F O R S C H U N G I N M A G D E B U R G

1 6 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

haufen genauso wichtig sein sollen wie ein Münz-schatz.

Nachzudenken gibt, dass über 98% der Mensch-heitsgeschichte nur durch archäologische Quellenbelegbar ist. Nur 2% werden durch schriftlicheAufzeichnungen erhellt. Hat sich die Archäologiefür die 98% bereits einen sicheren Platz unter denGeschichtswissenschaften erkämpft, so gewinnenihre Quellen für die Erforschung des Mittelaltersund der Neuzeit mehr und mehr an Interesse undBedeutung. Archäologie berichtet im Sinne vonKultur- oder Alltagsgeschichte über den Menschen.Wo also lassen sich bessere Beispiele über dieErnährungsgewohnheiten des mittelalterlichenAdels als in ihrer Abfallgrube finden? Und wo lässtsich das durchschnittliche Sterbealter besser doku-mentieren als in einer Familiengrabgruft?

In Magdeburg steht man am Beginn solch wis-senschaftlicher Analysen. Aufgabe eines Mittelal-ter- und Neuzeitarchäologen muss deshalb sein, hi-storische Fragen im weitesten Sinne mit archäolo-gischen Methoden zu beantworten. Die Einordnungder Archäologie des Mittelalters und der Neuzeitals Teil einer umfassenden Geschichtsforschungbedeutet, dass das Quellenmaterial und die Metho-den – nicht aber die Ziele – sich grundlegend vondenen anderer historischer Disziplinen unterschei-den.

Sind Schatzfunde für die Archäologie uninteres-sant geworden? Zugegeben, auch ein Archäologewürde liebend gerne einen Schatz finden, und wel-ches Museum hat nicht gerne schöne Ausstellungs-stücke. Auch Magdeburg hat seine Münzschätze.Doch was nützt es, wenn es nichts dazu zu sagengibt, als dass sie schön sind? Geschichtsschreibungwird erst möglich durch Wissen, und Wissen erhal-ten wir durch den Fundzusammenhang.

Und wie soll aus dunklen Flecken BördebodenGeschichte entstehen?

Zur Erforschung des Fundumfeldes nutzt die Ar-chäologie heute neben ihren traditionellen Metho-den auch die Kenntnisse und Errungenschaften an-derer Wissenschaften. Insbesondere die Naturwis-senschaften (Physik, Chemie, Botanik, Genfor-schung, Geologie, Bodenkunde, Geographie, An-

thropologie und Zoologie) sind maßgeblich an derRekonstruktion der verschiedenen Lebensweisenvergangener Zeiten beteiligt. Diese Zusammenar-beit führt zu wesentlichen Fortschritten in derKenntnis vergangener Kulturen. Durch die natur-wissenschaftliche Auswertung der Funde – seien esMetallgegenstände, Knochen oder botanische Reste– ist es möglich, sich ein umfassendes Bild zu ma-chen und das Wechselspiel zwischen Mensch undUmwelt besser zu verstehen. AnthropologischeForschungen erschließen für die Archäologie dieAspekte des menschlichen Daseins. Aussagen zuAlter, Krankheiten, Verletzungen oder auch zurErnährung des Menschen sind nur auf diesem Wegmöglich. Auch die Datierung von Ereignissen wirdimmer mehr ins Labor verlagert. Durch die Mes-sungen von Reststrahlung ist die Physik in der La-ge, Angaben zum Alter von Gegenständen zu ma-chen.

Nicht die Archäologie der Sensationen ist alsoZiel, sondern eine Archäologie der kleinen Schritte.Schritt für Schritt soll sie uns vergangene Lebens-welten näher bringen – auch ohne Goldschätze undaußerhalb Ägyptens.

Archäologische Spurensuche

Durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegesund den anschließenden Wiederaufbau wurden invielen Städten unschätzbare archäologische Quel-len vernichtet. Magdeburg gehört zu den wenigenOrten, die damals bereits die Chance erkannten,durch archäologische Untersuchungen die Ge-schichte der Stadt und ihrer Bewohner zu erfor-schen. Eine archäologische Sensation bildeten da-mals die Mauerreste des Kaiserpalastes Ottos desGroßen am Domplatz. Heute beschäftigen dieseMauerreste die Forschung abermals. Sowohl dieAuswertung der Altfunde als auch neue Ausgrabun-gen belegen: hier handelt es sich nicht um einenkaiserlichen Palast, sondern um einen monumenta-len Kirchenbau – den ottonischen Dom (s. BeitragKuhn/Kunz/Ludowici/Pöppelmann/Puhle/Weber).

Aufgrund dessen, dass die Anfänge Magdeburgs

Abb. 2 Bestattung mit grünerVerfärbung eines vollständig

vergangenen Schmuckstückes

Abb. 3 (rechts) Archäologe beider Dokumentation

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1 7Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

im Jahre 805 mit dem Domplatz in Verbindung zubringen sind, dass hier Otto I. wesentliche Bauwer-ke seiner Nachwelt hinterließ, und dass die folgen-den Generationen hier ein Machtzentrum der Stadtund des Umlandes errichteten, erscheint es gerecht-fertigt, nochmals die Geschichte am Domplatz auchaus archäologischer Perspektive zu beleuchten.

Mehrere Umstände kommen diesem Unterfan-gen sehr entgegen: Seit den Vorbereitungen zurgroßen Ottonen-Ausstellung im Jahr 2002 im Kul-turhistorischen Museum der LandeshauptstadtMagdeburg ist einiges an altbekanntem Wissendurch neue Forschung ins Wanken geraten. Die Alt-funde aus den Grabungen Nickels zwischen 1958-1968 werden neu vorgelegt durch B. Ludowici vomGeisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichteund Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig. Neue Fun-de kamen hinzu durch Grabungen des Landesamtesfür Denkmalpflege und Archäologie. Durch die Un-terstützung des Landes und der LandeshauptstadtMagdeburg wurde nicht nur die Forschungsgrabung

an der Ostseite des Domplatzes durch R. Kuhnmöglich, sondern es wurden auch Möglichkeitengeschaffen, die Bearbeitung und wissenschaftlicheAuswertung voran zu treiben. Die wissenschaftli-chen Untersuchungen von R. Kuhn, B. Ludowiciund Verfasserin werden voraussichtlich ihren Ab-schluß in den Jahren 2006 und 2007 finden.

Insbesondere die bereits für die Westseite desDomplatzes zur Verfügung stehenden wissen-schaftlichen Daten aus den Nachbardisziplinenmachte es reizvoll, sich in der Ausstellung demDomplatz archäologisch zu nähern, um gleichzeitigArbeitsweise und Erkenntnismöglichkeiten der Ar-chäologie heute zu zeigen. Die Ausstellung möchtezeigen, mit welchen Fragestellungen die heutigeStadtarchäologie ihre Befunde analysiert und wieihre Aussagen zu Hausbau, Infrastruktur, Handel,Handwerk, Ernährung, Gesundheit und Tod sowieVerteidigung und kirchliches Leben das historischeBild erweitern (Abb. 4).

Abb. 4 Ausgrabungen amDomplatz

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1 8 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Wehrlos gegen die Fluten

Der Domplatz liegt hoch über dem Elbtal (s. Bei-trag G. Schönberg). Bis in die frühe Neuzeit siedel-te man aus Angst vor den Überschwemmungen sel-ten in der Elbniederung. Überwiegend lebten dieMenschen auf der Hochfläche. Alle Orte im RaumMagdeburg, die Otto der Große dem Moritzklosterin den Jahren von 937 bis 948 schenkte, befindensich auf der Hochfläche. Einzig die heute noch be-stehenden Orte Prester und Pechau saßen auf erhöh-

ten Sandinseln und ragen aus der Elbniederung her-vor (Abb. 5).

Hochwasser plagten immer wieder die Bewoh-ner an der Elbe. So wurde die erste Kirche Magde-burgs, die St. Stephanskirche, bereits im 9. Jahr-hundert ein Opfer der Fluten.

Durchschnittlich fünf schwere Hochwasser proJahrhundert kann der Historiker W. Priegnitz seitdem 10. Jahrhundert für die Elbregion aus schriftli-chen Quellen erschließen (Abb. 6 ). Seit dem12./13. Jahrhundert versuchte man mit Hilfe vonUferbefestigungen der Erosion durch den FlussEinhalt zu bieten... Auffüllungen und Uferbefesti-gungen erfolgten bis Ende des 19. Jahrhunderts (s.Beitrag Ditmar-Trauth zur Klosterstraße).

Magadoburg – die große Burg/die große Stadt

Magadoburg wird im Diedenhofer Kapitular, einerGesetzestextsammlung Karls des Großen aus demJahre 805, erstmals erwähnt.

Heute bevorzugt man eine Ableitung des Na-mens Magadoburg aus dem Altsächsischen als:„magado“ = „groß“ und „burg“ = „Burg/Stadt“,Magadoburg bedeutet in der Wortübersetzung „diegroße Burg/große Stadt“ (s. Beitrag Udolph).

Die einzige archäologisch nachgewiesene Befe-stigungsanlage im Magdeburger Raum, die auf einekarolingische Burg hindeutet, ist die Doppelgra-benanlage, die sich über den heutigen Domplatz er-streckte (Abb. 7). Bei den Grabungen von 1998 istein dritter, 2004 ein vierter äußerer Graben ent-deckt worden. Aufgrund ihrer Form werden dieGräben ‚Spitzgräben’ genannt: Die Seitenwändebildeten ein spitzes V. Es waren Trockengräben, ei-ne Befüllung mit Wasser war nicht vorgesehen. Zueiner Befestigungsanlage gehörte meist ein Wallauf der Innenseite des Grabens und vielleicht einePalisade oder eine Art Holzzaun an der Außenseite.Weder Wall noch Palisade konnten jedoch durchdie bisherigen Grabungen am Domplatz nachge-wiesen werde. Spitzgräben boten idealen Schutzvor berittenen Angreifern und sind insbesondereunter den karolingischen und ottonischen Herr-schern des frühen Mittelalters angelegt worden.

Der 1998 entdeckte Spitzgraben der Burg odereiner der Burgerweiterungen auf der Westseite desDomplatzes umfasst ein Oval, dass scheinbar nureine Vergrößerung der zwei inneren Befestigungs-gräben darstellt (s. Beitrag Kunz)

Abb. 6 (unten) Hochwasserund Erdbeben seit dem

10. Jahrhundert nach Priegnitz

Schaufenster der Archäologie 1. Befestigt mit Wall und Graben – die Anfänge (8.–10. Jahrhundert)

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1 9Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Abb. 7 Befestigungsgräben amDomplatz mit der vermuteten Sied-lungsausdehnung (nach Mrusek)

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2 0 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Wohnen in der frühmittelalterlichen Burg

Zur Zeit gibt es nur wenige archäologische Hin-weise, die Auskunft über die frühmittelalterlicheBebauung innerhalb der Befestigungsgräben geben.Bekannt ist, dass dort zunächst einfache, leicht ein-getiefte Häuser mit einer Grundfläche von 12 bis 16qm standen - sogenannte Grubenhäuser. Gruben-häuser sind eine weit verbreitete Hausform, dievom ersten bis ins 13. Jahrhundert gebaut wurden(Abb. 8 ).

Zu vermuten ist, dass auf dem Domplatz außerdiesen einfachen Grubenhäusern auch herausgeho-bene, repräsentative Gebäude gestanden haben.

Bei den Ausgrabungen 1959-1968 unter ErnstNickel erregten Fundamente eines großen mittelal-terlichen Bauwerkes aus Stein besonderes Aufse-hen. Marmorstücke und Reste von farbig bemaltemWandputz zeugten von einer aufwendigen Ausge-staltung des Bauwerkes.

Seit 1998 werden die Grabungsunterlagen durchBabette Ludowici neu ausgewertet (s. BeitragKuhn/Kunz/Ludowici/Pöppelmann/Puhle/Weber).Sie entdeckte, dass der mittelalterliche Steinbauvom Domplatz nicht komplett erfasst wurde und

mindestens einmal umgebaut bzw. erweitert wor-den ist. Der Grundriss erbrachte in der Neubewer-tung, dass es sich bei dem Gebäude nicht um den„Palast Ottos des Großen“ sondern um zwei aufein-ander folgende romanische Kirchengrundrisse han-delt.

Die Kirchen

Mit der Erhebung Ottos 936 zum König des Ost-fränkischen Reichs – die Bezeichnung DeutschesReich hatte sich noch nicht eingebürgert – setzt ei-ne bis dahin nicht gekannte Bautätigkeit in Magde-burg ein. 937 wird im südlichen Randbereich desDomplatzes das Moritzkloster errichtet. Mit derGründung des Erzstiftes Magdeburg 968 ist einDomausbau notwendig. Bisher ging man davonaus, dass der ottonische Dom am Ort der gotischenKathedrale und des ehemaligen Moritzklosters zusuchen sei. Eine romanische Krypta und frei geleg-te ältere Mauerzüge im Untergrund des gotischenDomes lieferten die scheinbaren Beweise.

Die Straßenerneuerung 2002/2003 östlich der al-ten Ausgrabungsfelder am Domplatz erbrachte denendgültigen Beweis für die These von B. Ludowici,dass zwei romanische Bauwerke im 10./11. Jahr-hundert gleichzeitig am Domplatz bestanden. Unterder Grabungsleitung von Rainer Kuhn konnten wei-tere Kirchenfundamente aufgedeckt werden, die einmächtiges Westwerk von 40 m Breite belegen (s. Beitrag Kuhn/Kunz/Ludowici/Pöppelmann/Puhle/Weber).

Spätestens mit dem Bau des heutigen KlostersUnser Lieben Frauen in den Jahre 1063-1078 ist dieursprüngliche Raumordnung durch die alte Befesti-gungsanlage vollkommen aufgelöst und äußerlichnicht mehr zu erkennen. Der Domplatz ist nun do-miniert von monumentalen Kirchengebäuden.

Die Bestimmung des Alters

Welche Bauwerke standen wann und wo auf demDomplatz? Dies ist auch heute noch eine Kernfrageder historischen und archäologischen Forschung.Aus der Erforschung der Schriftquellen wissen wir,dass Otto I. 937 das Moritzkloster gründete, wirwissen aber auch, dass er für das zukünftige Erzbis-tum Magdeburg in den 960er Jahren einen Dom er-richten lässt. Widukind von Corvey schreibt in sei-ner Sachsengeschichte, dass „[Otto der Große] inder Stadt Magdeburg, die dieser selbst herrlich hat-te erbauen lassen“, begraben wurde. Und lapidarweiter, er habe der Nachwelt viele berühmte Denk-mäler aus kirchlichen und weltlichen Bereichenhinterlassen (Die Sachsengeschichte III, 76). Ottoder Große wird uns also in den historischen Schrif-ten als großer Bauherr Magdeburgs übermittelt.

Doch um welche Gebäude handelt es sich, undwoher weiß der Archäologe bei seinen Spuren, dassdiese aus der Zeit Otto I. stammen?

Altersbestimmung (Chronologie) kann relativoder absolut erfolgen. Absolut bedeutet eine kalen-darische Festlegung des jeweiligen Ereignisses.

Abb. 5 Urkundlich erwähnte Orteim Stadtgebiet Magdeburgs im

10. Jahrhundert

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2 1Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Dabei ist die Genauigkeit der Angaben unterschied-lich, ob es sich um eine tagesgenau festlegbareBrandkatastrophe, oder um eine nur auf ein Jahr-hundert einzugrenzende Baumaßnahme handelt.Die relative Chronologie ermöglicht Aussagen wieälter als.... und jünger als.... Diese sind jedoch nichtmit einer unabhängigen Zeitachse zu verbinden. Soist im Mauerbefund zwar klar erkennbar, dass einälterer Kirchenbau um einen jüngeren Vorbau er-gänzt wurde, ohne dass die Zeitstellung beider Bau-ten präzisiert werden könnte. Als absolute Datengelten gewöhnlich schriftlich erwähnte Ereignisseund naturwissenschaftlich gewonnene Kalenderda-ten.

Mit der Stratigraphie (die Lehre von der Abfol-ge der Schichten) kann der zeitliche Ablauf relativfestgelegt werden (Abb. 9 ). Im Regelfall sind dieunteren Schichten älter als die oberen. Durch sorg-fältiges Abtragen der Erde von oben nach unten las-sen sich einzelne Verfüllhorizonte freilegen unddokumentieren. Die darin enthaltenen Funde kön-nen zu einer zeitlichen Einordung führen. Gewöhn-lich geschieht das mit Hilfe von Keramik oderKleinfunden, deren Datierung durch andere Fund-stellen abgesichert ist.

Zu den absolut datierenden Fundstückengehören Inschriften mit Jahreszahlen in Stein oderKeramik, z.B. Grabsteine oder bemalte Teller(Abb. 10). Eine Sondergruppe stellen Münzen dar:In der Neuzeit tragen sie häufig ihr Prägejahr, imMittelalter sind sie zumindest auf die Regierungs-zeit des Münzherrn einzugrenzen (s. Beitrag Gru-ne).

Dendrochronologie. Eine wichtige naturwissen-schaftliche Methode zur Zeitbestimmung ist dieJahrringdatierung oder Dendrochronologie. DieseMethode ist nur bei Holzobjekten anwendbar. Sieberuht auf der einfachen Tatsache, dass alle Bäumeeiner Art, die in einem bestimmten Großraum auf-wachsen, auf klimatische Verhältnisse in gleicherWeise reagieren. Der jährliche Wandel der Witte-rung wirkt sich auf das Wachstum der Bäume unddamit auf die Breite ihrer Jahrringe gleich aus. Diesich auf diese Weise ergebende charakteristische,unverwechselbare Abfolge unterschiedlich breiterJahresringe lässt sich gleichzeitig bei allen Bäumeneiner Region wiederfinden. Die Jahrringfolge bildeteine Art Code, der, wenn er einmal „geknackt“ ist,das Alter eines Holzobjektes preisgibt. Ist auch dieWaldkante erhalten, also der letztgewachsene Ringunter der Rinde, kann das Fälldatum des Baums aufdas Jahr genau ermittelt werden.

Für die absolute Datierung ist eine ununterbro-chene Abfolge von Jahrringen bis in die Gegenwartnötig. Eine entsprechende Sequenz wurde für Mit-tel- und Westeuropa z.B. an Eichen erstellt. Dieser„Kalender aus Holz“ geht heute für Mitteleuropabis zum ersten Auftreten von Eichen zurück – dassind rund 10.000 Jahre.

Leider stehen selten dendrochronologisch be-stimmte Daten zur Verfügung, da sich in gut durch-lüfteten Mineralböden kein Holz erhält. Holz erhältsich nur unter gleich bleibend feuchten oder extremtrockenen Bedingungen. Diese Bedingung wurde ineiner Grabgruft am Domplatz und in den Grabgrüf-

ten des Nikolaistiftes erfüllt, sodass Sarghölzer fürdie Datierung genutzt werden konnten.

Radiokarbonmethode. Die Radiokarbonmethodebedient sich des Umstandes, dass das in der At-mosphäre vorkommende Kohlenstoffisotop 14Cvon allen lebenden Organismen aufgenommen wird(Abb. 11). In unserer Atemluft und somit auch inallen lebenden Organismen, die sich durch Stoff-wechsel mit der Atmosphäre austauschen, ist derGehalt an 14C konstant. Sterben sie, endet dieserProzess der Aufnahme und das radioaktive 14C be-ginnt zu zerfallen. Bei organischen Resten lässtsich über die Messung des noch vorhandenen 14C-Anteils unter Einberechnung seiner Halbwertszeitvon 5730 Jahren das Alter in sogenannten 14C Jah-ren feststellen. Je geringer die Konzentration von14C ist, umso älter ist das Material. Die Radiocar-bonmethode ist anwendbar bei Proben aus organi-schem Material (menschliche, tierische und pflanz-liche Reste) mit einem Alter bis zu 50.000 Jahren.Aufgrund der Schwankungen des 14C Gehalts inder Atmosphäre müssen die 14C Jahre in Kalender-jahre umgerechnet werden – die 14C Daten werdenkalibriert. Durch die Kalibrierung der Daten er-reicht man eine Genauigkeit bis zu 100 Jahren. Für

Abb. 9 Abfolge von Graben-schichten – eine Stratigraphie

Abb. 8 Rekonstruktion einesGrubenhauses imFreilichtmuseumTilleda

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2 2 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

bestimmte Fragestellungen kann daher auch dieseDatierungsmethode für die Mittelalterarchäologieinteressant werden (s. Beitrag Kunz).

Die Domburg im 13. Jahrhundert – Leben wie bei Hofe

Nach der Erhebung Magdeburgs zum Erzbistum968 ist der Erzbischof Herr am Domplatz. Die jetzi-ge Domburg ist weit über den Breiten Weg hinausausgedehnt (Abb. 12).

Adlige Gefolgsleute des Erzbischofs und Kai-sers haben sich niedergelassen. Am Ostrand desDomplatzes lag im 13. Jahrhundert das erzbischöf-liche Palais und auch ein steinernes Wohngebäudedes Vorsitzenden des Domkapitels. Am Westrand,wo sich zuvor die Befestigungsanlage erstreckte,entstanden große Steinhäuser. Gefolgsleute desErzbischofs bauten hier nach adligem Vorbild ihreHöfe, so zum Beispiel der Dompropst, Verwalterder erzbischöflichen Güter. Aber auch der Rechts-verweser des Kaisers ließ sich hier nieder – derBurggraf.

Abb. 11 Schaubild zurEinlagerung von 14-C Isotopen

in lebende Organismen

Abb. 10 Teller mit Jahreszahl

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2 3Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Archäologen gruben 1998 die Grundmauern desburggräflichen Wohngebäudes aus. (s. BeitragKunz). Vom gräflichen Leben ist in den Gemäuer-resten des ehemals prächtigen Hauses des Burggra-fen nichts übrig geblieben. Alles wurde wegge-schafft. Am „stillen Ort“ finden die Archäologenumso reichhaltigere Spuren der ehemaligen Bewoh-ner: in den Latrinen- und Abfallgruben. Bei Unter-suchungen von Abfallschächten und Latrinen arbei-ten Archäologen, Botaniker und Zoologen zusam-men, um alle Spuren der Nahrungsreste erfassen zukönnen. Verräterisch sind insbesondere Pflanzen-funde (s. Beitrag Hellmund), die bis zum Nachweisdes Verzehres von exotischen Mittelmeerfrüchtenführen. Aber auch die Tierknochen belegen mehrals nur Schlachttiere, herrschaftliche Haustiere, wieBeizvögel, konnten auf diesem Wege nachgewiesenwerden (s. Beitrag Prilloff).

Bauforschung

Von den Steinhäusern aus dem Magdeburg des 13.Jahrhunderts gibt es in der Regel nur wenige Spu-ren. Am ehesten sind die Kellergemäuer erhalten.

Mineralogische Untersuchungen des Baumateri-als zeigen, wie aufwendig der Baustoff beschafftwerden musste. Das Steinmaterial des Grafenhofesstammt aus Sandsteinbrüchen, die vor den Torender Stadt lagen, hingegen kommen die Sandsteinedes gotischen Domes aus verschiedenen Stein-

brüchen oder sogenannten „Domkuhlen“. Einewichtige Domkuhle lag bei Ummendorf. Steine wa-ren kostbar und wurden bei Aufgabe des Gebäudesausgebrochen und wieder verwendet. Vom abge-brannten ottonischen Dom blieben nur ausgebro-chene Mauergruben zurück.

Dachziegel finden sich seit dem Hochmittelalterbei archäologischen Grabungen zuhauf. Zunächsthandelt es sich um glasierte Dachziegel, die mit denBauwerken Otto des Großen in Verbindung stehen(Abb. 13). Später dominieren gewölbte Ziegel vomTyp „Nonne und Mönch“, die im Spätmittelalterdurch Flachziegel ersetzt wurden.

Mörteluntersuchungen bringen zusätzliche In-formationen über die Herstellungstechnik und dieHerkunft der Zusatzstoffe. Der verwendete Kalk-mörtel wurde im Hochmittelalter direkt auf derBaustelle angerührt, was zu charakteristischenKalkklumpen (sogenannten Kalkspatzen) führte.Die beigemengten Zusätze bestehen zum einen auslokalen Sanden, zum anderen - aus Eiern undQuark. Dieses Herstellungsverfahren ist mit gerin-gen Unterschieden seit der Antike bekannt und fin-det auch heute noch seine Anwendung.

Für eine Rekonstruktion des Gebäudes liefern diewenigen noch erhaltenen Gebäude aus dem 13. Jahr-hundert Vergleichsmöglichkeiten (s. Beitrag Paul).Für den Hausbau bietet allerdings auch das Rechts-buch der Sachsen – der im 13. Jahrhundert niederge-schriebene Sachsenspiegel – eine reiche Quelle anBildern und Verordnungen (s. Beitrag Kunz).

Abb. 13 (oben) glasierterFlachziegel

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2 4 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Abb. 12 Magdeburg um 1200(nach Mrusek)

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2 5Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Domfreiheit

Als das Gebiet rund um den Domplatz nach demBrand von 1207 wieder aufgebaut wird, ändert sichdas Bild dieses Stadtteils. Vornehme Steinhäuserweltlicher und geistlicher Mandatsträger bestim-men das Bild. Hinzu kommt an der Südseite dermächtige neue gotische Dom. Das Gebiet um denDom untersteht der erzbischöflichen Verfügungs-gewalt und wird nun als Domfreiheit bezeichnet.Der Begriff Domfreiheit wird in der Literatur alsder einer Domkirche zunächst gelegene Raum defi-niert, welcher in früheren Zeiten unter der polizeili-chen Aufsicht und Gerichtsbarkeit des Domstiftesstand. In historischen Schriften wird die Domfrei-heit auch als „der neue Markt, welcher ehemals dieStiftsfreyheit hieß“ bezeichnet.

Ähnlich wie in anderen Städten des Mittelalterswar der Domplatz weder gepflastert noch besondersgepflegt. Nördlich des Domes bedeckte eine ca. 30cm starke Schuttschicht aus Sandsteinfragmentenden Platz. Weiter westlich im Bereich der Dom-propstei versuchte man den Platz mit einfachenKiesaufschüttungen begehbar zu machen.

Im Jahre 1656 untersagte das Domkapitel denMagdeburger Bürgern, ihr Vieh auf dem Domplatzzu weiden – eine Anweisung, die anschaulich durchdie archäologischen Beobachtungen bestätigt wird.

Die bürgerliche Stadt hingegen war vom erz-bischöflichen Stadtgebiet streng getrennt und besaßihre eigene Verwaltung und Rechtsprechung, dieim Spätmittelalter das Magdeburger Recht hervor-brachte.

Die historischen Quellen legen nahe, dass eineMauer das bischöfliche Territorium vom weltlichenTeil der Stadt trennte. Archäologische Belege gibtes hierfür nicht. Vielmehr scheinen Hofeinfassun-gen wie die Gartenmauer des Klostergartens UnserLieben Frauen Barrieren gegenüber der bürgerli-chen Stadt gebildet zu haben. Durchgänge, die den

Übergang von der bürgerlichen in die erzbischöfli-che Stadt erlaubten, wie z.B. in der damaligen undheutigen Regierungsstraße, waren bis ins 17. Jahr-hundert mit Schlagbäumen und Vorziehketten ver-sehen.

„...dasz unserer lieben frauen closters gartenmaure in dem Diebeshorn (...) der anfang der grent-ze herunter bis gegen den pfeifersbergk nach demheiligen geiste warts hinauf, so weit des clostersgarttenmauhre gehet, bis an das haus, do zunegst andem garten gelegen (...) und was in desselbigenmaure eingeschlossen, zu der mullenvogtei gerich-ten [Rechtsprechung durch den Erzbischof bzw.sein Bevollmächtigter der Möllenvogt] gehoren;was aber ausserhalb der mauren uffm steinwegevon gedachtem anfange bis an vorgedachts haus ke-gen dem pfeiffersberge (...) die selbigen heuser, hö-fe sambt den zugehorenden gebeuden darin und densteinwegen auswendig auf der gassen soll der stadtmit niederen und oberen gerichten [Rechtsspre-chung durch den Rat der Stadt bzw. den Bevoll-mächtigten der Schultheiß] sein und zugehoren;“(Urkunde des Erzbischof Sigismund von 1562 zurFestlegung der Immunitätsgrenze, zitiert nach Her-tel 1903)

Wider das liederliche Leben

Bereits in der Urkunde 805 wird Magdeburg alsMarktort genannt. Kaufleute aus aller Welt kamenin die Stadt und bereiteten vor den Augen der Ein-heimischen ihre Waren aus. Wertvolle Tuche, Pel-ze, Lederwaren, teures Geschirr und Sklaven ausdem Osten wurden hier zum Kauf angeboten.

Im Jahre 1294 ist erstmals auch im erzbischöfli-chen Teil der Stadt von einem Markt die Rede, demso genannten „Neuen Markt“. Anlässlich des Dom-patronatsfestes des heiligen Mauritus wurde aufdem Neuen Markt am 22. September jeden Jahres

Abb. 14 Würfel mit halbemSpielstein

Schaufenster der Archäologie 2. Plätze, Pflaster und Mauern – der Domplatz im Spätmittelalter

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2 6 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

der bedeutendste Markt in Magdeburg, die Herren-messe, abgehalten. Dabei kam es immer wieder zuKlagen der Domherren über den unbotmäßigenLärm aus den Garküchen, der jede Andacht verhin-dere.

„Ferner sind in denen in der Messe auf demDomplatz gebauten Garküchen und Bratenbudenallerhand Musikanten von Trompeten, Geigen,Hautbois, Trommeln und dergleichen, welche desMorgens früh anfangen und nicht eher dannen derspätesten Nacht mehrentheils aufhören, dabei danngetanzet, getrunken und allerhand Üppigkeit, auchwohl die größte Schande und Laster, wie der ge-meine Ruf davon ist, ausgeübt werden. Hierbei aberbleibet es nicht, sondern es wird des Dingstags undDonnerstags, auch wohl des Sonntags der Gottes-dienst in der Domkirche sehr gestöret....“ (23. Juni1714, Landesregierung an den König, nach Hertel1903)

Den historischen Quellen zufolge sollen Dreh-buden, Trichterwerfen, Glückspiele und ähnlichesauf der Messe im bischöflichen Stadtgebiet verbo-ten gewesen sein. Dennoch waren Spiele weit ver-breitet und sehr beliebt. Die mittelalterlichen Spie-le sind archäologisch nur teilweise zu belegen. Vonden beliebtesten Brettspielen, Tric-Trac, Mühleund Schach, liegen meist nur einzelne Steine ausunterschiedlichen Materialien und in unterschiedli-cher Ausarbeitung vor (Abb.14). In den erstenRechtsschriften des 13. Jahrhunderts hingegen neh-men Spielschulden und ihr Verhängnis einen be-deutenden Raum ein. Mit Würfeln spielte man sichdamals um Geld und Hof. Würfelspiel war d a sGlückspiel des 13. und 14. Jahrhunderts (Abb. 15).

1453 predigte der Franziskanermönch JohannesCapistrano auf dem Domplatz. Er redete mit sol-chem Feuer und machte mit seinen Ermahnungenzur Buße einen solchen Eindruck, dass Männer undFrauen ihre Spielbretter, Karten, Würfel,Haarlocken und sonstigen Tand herbeibrachten undin einer dazu erbauten Holzhütte verbrannten (nachHertel 1903, Schöffenchronik S. 391).

1748 bittet der Rat der Stadt den Gouverneur derMagdeburger Garnison, General Leutnant von Bo-nin, um Hilfe. Er sollte verbieten, dass Soldaten aufder Messe und den Jahrmärkten Spieltische unter-hielten und den Leuten das Geld aus der Tasche zö-gen (nach Hertel 1903, Akte 1945 zerstört).

Abb. 15 Spielschulden und Erbe.Bei fehlendem Erbe müssen dieHinterbliebenen Spielschuldennicht bezahlen. (Oldenburger

Bilderhandschrift des Sachsen-spiegels Cim 4101 fol. 10r).

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2 7Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Die Stiftskirche St. Nikolai

Am 10. März 1310 überträgt der Erzbischof Burch-hard die an der nordwestlichen Ecke des Domplat-zes liegende burggräfliche Hoffläche an die Stifts-gemeinde St. Nikolai. Das Grundstück bietet Platzgenug zum Bau einer großen gotischen Hallenkir-che mit Kreuzgang. Spätestens im zweiten Vierteldes 14. Jahrhunderts beginnt man mit den Bauar-beiten (s. Beitrag Buchholz).

Vom wechselvollen Schicksal des Nikolaistiftszeugen vor allem Fundamentreste von Kirche undKreuzgang sowie die in diesem Bereich niederge-legten Gräber, die bei Ausgrabungen 1998 aufge-deckt werden konnten. Ab dem 17. und 18. Jahr-hundert wurden große Gruftbauten für ganze Fami-lien in den Seitenschiffen des Kirchenbaues ange-legt. Da die Grabplatten fehlen, ist zunächst keinHinweis auf die Identität der Bestatteten möglich.Über anthropologische und gerichtsmedizinischeUntersuchungen können wir dennoch etwas überihr Leben und ihre Zeit erfahren (s. Beitrag Schö-ning). Wir können auch auf Grund der prächtigenAusstattung der Särge und der Totenkleidung vonAngehörigen des gehobenen Bürgertums ausgehen(s. Beitrag Hertel).

Zu allen Zeiten bestatteten die Menschen ihreVerstorbenen mit Sorgfalt. Die ältesten Gräber amDomplatz reichen bis ins Neolithikum. Ihnen hatteman auf den Weg ins Totenreich noch Beigaben,Tongefäße - wahrscheinlich mit Speisen oder einemGetränk gefüllt, mitgegeben. Mit besonderem Auf-wand wurde im 10. Jahrhundert auf dem Domplatzeine Grabkammer neben dem Dom hergerichtet.Heute steht die Grabkammer im KulturhistorischenMuseum im Kaiser-Otto-Saal (s. Beitrag Pöppel-mann).

Im Hoch- und Spätmittelalter wurden die Totengewöhnlich in Holzsärgen oder in einem einfachenLeichentuch der Erde übergeben. Eine Ausnahmebilden die in der frühen Neuzeit errichteten Grab-grüfte im Kirchenschiff. Die Verstorbenen wolltenGott näher sein am Ort ihrer letzten Ruhe, und so-mit auch einen günstigen Ausgangspunkt für das er-

wartete Weltengericht erreichen. Die Kirchenge-meinden ließen sich diesen Dienst gut entlohnen (s.Beitrag Buchholz und Krecher) Die angeseheneMagdeburger Familie von Guericke besaß eineGrabstätte für 90 Taler in der Nikolaikirche amDomplatz.

Im Jahr 2005

Die Domplatzsanierung ist weitgehend abgeschlos-sen und der Platz neu eingefasst. Moderne Gebäudeergänzen an der Westseite die barocke Platzgestaltmit aufgenommenen und abgewandelten Architek-turelementen. Archäologie wurde sichtbar gemacht.Der ottonische Dom ist in einer Grundrissadaptionfür den Besucher sichtbar und als Sitzbank nutzbar.„Schaufenster in die Archäologie“ bieten die imStraßenpflaster eingelassene Glasscheiben. ZurSchau stehen bronzezeitliche Feuerstellen. Auchdas Umfeld Möllenvogteigarten, Gouvernements-berg und Regierungsstraße wurde neu gestaltet (s.Beitrag von E. W. Peters).

Aber was wäre der Platz ohne den gotischenDom? Ist der Magdeburger auch gespalten in seinerLiebe und Ablehnung der Neubebauung und Neu-gestaltung des Domplatzes, der Dom bleibt dasHerz der Stadt.

Hier am Domplatz wurde für Kriege gerüstet, eswurden aber auch Feste gefeiert. Hier wohntenMenschen in einfachen Grubenhäusern und feuda-len Palästen. Hier kämpften Kirche, Kaiser und dieBürger um die politische Macht. Hier suchten Mag-deburger den Schutz vor den Kaiserlichen und be-trieben den Sturz der sozialistischen Staatsmacht.

Die Archäologie wurde zu vielen Baumaßnah-men hinzugezogen und versuchte im Vorfeld, diehistorischen Spuren zu dokumentieren. Die einset-zende allgemeine Beachtung der archäologischenArbeit wird hoffentlich fortdauern – über die 1200Jahrfeier hinaus. Denn der nächste Geburtstag stehtschon an: der Baubeginn des gotischen Domes imJahre 1209.

Schaufenster der Archäologie3. Glaube und Tod

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2 8 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Literatur: Widukind von Corvey. Res gestae Saxonicae. Die Sachsengeschichte. Überarbeitet und HerausgegebenRoller E., Schneidmüller B., Stuttgart 2001.Hertel, G., Geschichte des Domplatzes in Magdeburg. Magdeburger Geschichtsblätter 1903, Bd. 53,209-280.Mrusek, H.-J., Zur städtebaulichen Entwicklung Magdeburgs im hohen Mittelalter. Wiss. Zeitschr. Mar-tin-Luther Univ. Halle-Wittenberg, gesellschafts- u. sprachwiss. Reihe V, 6, 1956, 1219-1314.Spuren der Jahrtausende. Hrsg. S. von Schnurbein. Katalog zur Ausstellung der Landesarchäologen,Darmstadt 2002.

Bildquellennachweis: Abb. 1: nach RGK, Kirstin RuppelAbb. 2, 9: Landesamt für Denkmalpflege und ArchäologieAbb. 3: Mandy PoppeAbb. 8: Brigitta KunzAbb. 5, 6, 11: Stadtplanungsamt Magdeburg, D. KlimpelAbb. 4, 7, 12: Vermessungsamt der Landeshauptstadt Magdeburg, Bearbeiter M. PoppeAbb. 10, 13, 14: Stadtplanungsamt Magdeburg/Foto: H.-W. KunzeAbb. 15: Oldenburger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels Cim 410 l fol. 10r, Leihgabe

der Niedersächsischen Sparkassenstiftung

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2 9Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Die archäologischen Grabungen auf dem Dom-platz in Magdeburg boten Gelegenheit zu einer geowissenschaftlichen Begleitung. Dabei wurdenvor Ort sowohl geologische als auch bodenkundli-che Aufnahmen vorgenommen. Dazu sollen nach-folgend die wesentlichsten Ergebnisse zusammen-fassend dargestellt werden.

Morphologische Charakteristik

Der Magdeburger Domplatz befindet sich unmittel-bar am Ostrand der Niederen Börde, die hier etwa10 Höhenmeter über dem Niveau des heutigen Elb-tals liegt. Außerhalb der Stadt schließt sich nachWesten die Hohe Börde mit einem Geländeanstieg

Abb. 1 Maximalausdehnung derEisrandlagen in Sachsen-Anhalt

Erdgeschichtliche Betrachtungen zum Domplatz in MagdeburgGünter Schönberg / Andreas Möbes

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3 0 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

von über 50 Metern an.Diese morphologischen Verhältnisse sind Er-

gebnis mehrerer Vereisungsphasen und der damitim Zusammenhang stehenden Begleiterscheinun-gen in den letzten 200 000 Jahren. Hat (nach der El-sterkaltzeit) in der ersten großen Phase der Saale-kaltzeit (Drenthevereisung) das Inlandeis den Mag-deburger Raum noch überschritten und u.a. zur Bil-dung der Stauchendmoränen am Anstieg zur HohenBörde geführt, so sind alle jüngeren Eisvorstößenicht mehr bis hierher vorgedrungen. Die Warthe-vereisung (zweite große Phase der Saalekaltzeit)kam mit ihrer maximalen Ausdehnung bis etwaWolmirstedt/Burg und die verschiedenen Vorstößeder Weichselkaltzeit überschritten den heutigenLauf der Elbe nicht mehr (Abb. 1). In ihrem Vor-feld jedoch führten die abfließenden Wassermassendes abtauenden Eises im Urstromtal der Elbe zurBildung mächtiger Sand- und Kiesablagerungen.Im Magdeburger Raum wies es über 10 KilometerBreite auf, dagegen nimmt sich der heutige Elblaufeher als ein Winzling aus.

Geologische Verhältnisse

Die Elbe hat sich in Magdeburg bis in den tieferenFestgesteinsuntergrund eingeschnitten, der von denGesteinen der sog. Flechtingen – Rosslauer –Scholle gebildet wird. Dabei handelt es sich um ei-ne ähnlich dem Harz von Nordwest nach Südost ge-streckte und nach Süden gekippte Scholle. Dienatürlichen Anschnitte dieser Gesteine, wie die Fel-sen auf denen die Herrenkrug- und Strombrücke ge-gründet sind sowie der unterhalb des Doms im El-belauf liegende Domfelsen (Bild 1), stellen dienördlichsten Aufschlüsse des Grundgebirges inMitteleuropa dar (260-350 Mio. Jahre alt).

Am Domplatz sind diese Gesteine erst in Tiefenzwischen 8,0 und 12,0 Meter unter Gelände anzu-treffen. Dabei handelt es sich hier überwiegend umFeinsandsteine und z.T. Schluffsteine des Rotlie-gend (260 Mio. Jahre), die denen des Domfelsensentsprechen. Diese wurden auch beim Bau derNorddeutschen Landesbank im Sommer 2000 in 7,5Meter Tiefe in der Baugrube angetroffen (Bild 2).Mit den dort aufgeschlossenen „Sprüngen“ im Me-ter-Bereich kann ihre Oberflächenmorphologie kei-nesfalls als eben betrachtet werden.

Wegen der Heraushebung der Flechtingen –Roßlauer – Scholle und der damit verbundenen Ab-tragung der sie ursprünglich überdeckenden Gestei-ne (einige Tausend Meter mächtig), werden dieFestgesteine des Rotliegend am Domplatz vonFeinsand und Schluff des Tertiärs überlagert (33Mio. Jahre), dem sog. „Magdeburger Grünsand“.Das im damals weiträumig verbreiteten Meer zuAbsatz gekommene Lockergestein verdankt seinecharakteristisch dunkelgrüne Färbung einem erheb-lichen Anteil von Glaukonit. Der Grünsand gleichtdas bewegte Relief des darunter liegenden Festge-steins aus und weist daher in Magdeburg ganz er-hebliche Mächtigkeitsschwankungen auf. AmDomplatz erreicht er Schichtstärken zwischen 3,0und 7.0 Metern. Er ist bei den Ausgrabungen z. T.mit aufgeschlossen worden und lag dort lokal auchunmittelbar unterhalb der Kulturschicht (Bild 3).

Deutlich sichtbar war hier auch, dass über demTertiär Lockergesteine des Pleistozäns folgen (jün-ger als 1,8 Mio. Jahre). Im Bereich der Ausgrabun-gen sind es glazifluviatile (vom Schmelzwasser derGletscher abgelagerte) Sande und Kiessande (Bild4). Sie gehören zu der bereits weiter oben erwähn-ten zweiten Phase der Saalekaltzeit (Wartheverei-sung), ihre Mächtigkeit lag hier bei max. 3,0 Me-tern.

Bild 2 (oben) Aufschluss des Fels-gesteins in der Baugrube der

Norddeutschen Landesbank amDomplatz

Bild 3 (links) UnterKulturschichten anstehender

Grünsand

Bild 4 (rechts) Pleistozäner Sand(hellbraun) liegt über Grünsand

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In Folge des tiefgründigen Frostes im Vorfelddes Inlandeises kommt es beim Auftauen von Eis-bildungen im Untergrund und dem Nachrutschender darüber liegenden Schichten zu sog. „Eiskeil-bildungen“. So ist die im Bild 5 erkennbare Spal-tenfüllung aus pleistozänem Sand innerhalb desGrünsandes zu erklären.

Jüngste geologische Schicht am Domplatz istder Löß, ein äolischer (vom Wind im Vorland derGletscher transportiert und abgelagerter) Feinsandbis Schluff mit hohem Kalkanteil. Durch eingela-gerte Sandbänder im unteren Bereich (kennzeich-nend für einen geringen Transportweg) ist der Lößhier deutlich geschichtet (Bild 6).

Er entstand am Ende der Weichselkaltzeit undist Ausgangsmaterial für die fruchtbare Schwarzer-de der Magdeburger Börde. Diese ist holozänen Al-ters (jünger als 10 000 Jahre) und ist hier zwischen1,5 und 3,0 Meter mächtig.

Abtragungsbedingt überlagert der Löß lokal denGrünsand, normalerweise sind es jedoch dieSchmelzwassersande (Bild 6). In großen Teilen desStadtgebietes wird er ganz oder zumindest teilwei-se von Aufschüttungen ersetzt.

Die letztgenannten anthropogenen Böden sindim Ausgrabungsbereich durchschnittlich 2,0 bis 3,0

Meter stark, erreichen im Gebiet der Stadtbefesti-gung am unmittelbaren Elbrand jedoch bis zu 10,0Meter. Sie sind mit den ihnen innewohnendenZeugnissen der menschlichen Tätigkeit der unmit-telbare Gegenstand archäologischer Untersuchun-gen.

Zur Verdeutlichung der Lagerungsverhältnisseist die nachstehende Abbildung 2 gedacht, die eingeologisches Profil vom Breiten Weg über denDom bis zum Fürstenwall enthält.

Bodenkundliche Betrachtungen

In ausgewählten, repräsentativen Bereichen derGrabung wurden Bodenprofile (senkrechter Schnittdurch den Boden, wie er dem Betrachter an derWand einer Ausschachtung entgegentritt) markiert,gesichtet und dokumentiert (Bild 7). Die meistoberflächenparallelen Lagen wurden dabei teilwei-se einer Bodenprobenentnahme unterzogen, ausge-wählte Proben wurden laborativ untersucht und lie-ferten präzisierte bodenphysikalische und –chemi-sche Parameter.

Von besonderem Interesse war die Fragestel-lung, ob die Bodenprofile Hinweise auf die ehema-

Bild 1 (oben) Domfelsen in der Elbe

Bild 5 (links) PleistozäneEiskeilfüllung im Grünsand

Bild 6 (rechts) Löß (geschichtet)überlagert pleistozänen Sand alsauch Grünsand

Abb. 2 (unten) GeologischerProfilschnitt am MagdeburgerDom

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lige natürliche Landoberfläche geben können. DieAnlage der Grabung war in der Beantwortung die-ser Fragestellung sehr dienlich.

In den Bodenprofilen wurde unter meterdickerBedeckung durch unterschiedlichstes Material jün-gerer und allerjüngster Zeit vollständig erhalteneBöden - wie sie vor mehr als 1000 Jahren die Lan-doberfläche bildeten - in ihrer typischen Schich-tung und Horizontierung nachgewiesen. Dabei han-delt es sich um die bereits erwähnten Löss-Schwarzerden, wie sie heute noch prägend für dieMagdeburger Börde sind.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist, dass dieflächenhafte Verbreitung o.g. Böden, mindestensim Umfeld der Grabungsposition, aber auch biszum Abbruch zur Elbaue hin, gegeben war.

Die Ergebnisse dieser eher punktuell ausgerich-teten bodenkundlichen Untersuchung werden hel-fen, den Kenntnisstand zum Bodeninventar in derStadt weiter zu verbessern.

Bild 7 Ausschnitt eines Boden-profils mit abgedeckter

Löß-Schwarzerde

Bildquellennachweis: Abb. 1: nach Knoth 1995Abb. 2: GLA und StadtvermessungsamtBild 1–7: Schönberg

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Bis heute hat der Deutungsvorschlag von Karl Bi-schoff Gültigkeit. Er sieht in dem Ortsnamen neben–burg altniederdeutsch magap, althochdeutsch magad,gotisch magaps „Mädchen“ und interpretiert den Na-men als „die geschützte Stätte heidnischer weiblicherWesen“. Slavische Deutungen, die sich an Magdebornaus *Medeburu „Honigwald, Honigheide“ orientier-ten, sind mit Recht abgelehnt worden (Abb. 1).

Wichtig für jede Deutung eines Ortsnamens sinddie historischen Belege, für Magdeburg sind dieses vorallem: Diedenhofener Kapitular von 805 ad Magado-burg, 10.Jh. Magadaburg, Magathaburg, Magede-burg, 975 Magedeburc, Magdeburg, Magidiburg, spä-ter als Magadeburc, Maegethebrug, Magdiburg, seit13. Jh. Meydeburc, Maidburg.

Die Verbindung mit dt. Magd liegt nahe, ist aberauf jeden Fall verfehlt. Schon 1989 hat H. Tiefenbachnachgewiesen, daß dieses Wort nicht in dem Ortsna-men vorliegen kann. Sein eigener Vorschlag geht von1149 Magedevelde, 1197 Magedon aus, sieht in Mag-deburg einen „Namen mit ‘beweglichem –burg’“ unddenkt an eine Verbindung mit dem altenglischen Wortmagepe, mægepe, mægpe „Kamille“. Auf jeden Fallmuß es sich um ein Wort handeln, das vor allem in Na-men begegnet und im appellativischen Wortschatz nurschwer zu finden ist. Wichtig scheint dabei die Ver-bindung mit England zu sein.

Bisher fehlte allerdings eine Zusammenstellungvon Namen, die das gleiche Element wie Magdeburgenthalten, nämlich magad-, meged-. Erst eine sorgfäl-tige Zusammenstellung möglichst aller erreichbarerNamen bietet die richtige Basis für eine befriedigendeErklärung. Bis heute ist relativ unbekannt, daß das an-gesprochene magad-, meged- in zwei Dutzend NamenNord- und Mitteldeutschlands vorliegt. Zu nennen sindvor allem:

1.) Edeberg, Hügel bei Plön, 1221 (Abschrift 1286)Megedeberge in communi placito, 1264-1289 in Me-getheberge, 1466 uppe deme Megedeberge; 2.) 1216erwähnt: Mactveld, wahrscheinlich Wüstung (oderauch nur Flur) bei Wöltingerode Kr. Goslar); 3.) nureinmal bezeugt: 1197 in Magedon, bei Bleicherode?

4.) Vom Ortsnamen Magdeburg ist abgeleitet Magde-burgerforth westlich Ziesar; 5.) Mägdehöfft, ver-schwundene Insel in der Elbe bei Magdeburg, 1646den Werder in der Elbe, das Mägdehoeft/Heubt ge-nannt, 1668 Mägdehöfft; 6.) Mägdesprung, ON., auchBergname, bei Harzgerode; alt bezeugt: 8./9. Jh. circafontem, qui dicitur Magedobrunno; in loco, qui diciturMagdabrunno; 7.) Maghed Ek, bei Suderburg süd-westl. Uelzen vermutet, 1339: de holt herscaph tho dermaghed ek (enthält ndt. ek „Eiche“); 8.) Magetheide,Teil der Lüneburger Heide (?): 1060 (K. Anf. 14.Jh.)in Magetheida, 1387 (Kopie 17. Jh.) a Megdeheide us-que in Vrsinam; 9.) Magetheide, im Kreis Winsen/Lu-he vermutet; 10.) Magetheide, bei Dannenberg be-zeugt; 11.) Magetheide, Mark bei Herbern nahe Lü-dinghausen; 12.) Medebek, Zufluß z. Trave bei Lü-beck, 1426 (Abschrift 18. Jh.) in Meghedebeke, 1428Meghedebeke; 13.) Megdebruch, 1669 erwähnterFlurN. für ein Feuchtgebiet zwischen Steinhorst undGrebshorn; 14.) Megedeberg, Hügel bei Sendenhorst,erwähnt 1311: iuxta Zozenstaken, item prope Mege-deberg latum agellum; 15.) up (under) dem Mege-deberge, im 15. u. 16. Jh. erwähnter Flurname in Göt-tingen-Herberhausen; 16.) Megedeberg (Meideberg),Anhöhe bei Seeburg (Kr. Göttingen), Anf. 17.Jh. Mey-debergs-Warte; 17.) Megedefelde, Wüstung bei Ben-nigsen (Kr. Hannover), 969-996 (A. 17. Jh.) Magathaville, 1149 Magedevelde; 18.) Megedehove, Hufenbe-zeichnung bei Othfresen, Kr. Goslar, 1288 super quon-dam manso litonico, que Megedehove dicitur; 19.) Me-gedekot, kleine Siedlung (?) bei Rulle (Kr. Osn-abrück), 1277 (1276) in villa Rulle ... unius case, queMegedekot vocatur; 20.) Megederode, Wüstung unbe-kannter Lage im Kr. Göttingen, 1224 (K.) decimas inMegidiroth (Var. Megideroth), (um 1250) in Megede-roht, Var. Megederot, Megederoth; 21.) Meghedehop,Anhöhe bei Dötzum (Kr. Hildesheim), 1462-1478over den Meghedehop by den van Dotsem; 22.) Mege-tefeld bei Vlotho, 1576 upm Megedevelde; 23.) Mei-nefeld, ON. bei Stadthagen, 1207-1224 in Magethevel-de, 1221 fratribus de Magethevelde.

Betrachtet man sich die Zusammensetzung der Na-Abb. 1 Auszug aus demDiedenhofer Kapitular 805

Der Ortsname MagdeburgJürgen Udolph

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men etwas genauer, so erkennt man, daß das Elementmagad-, meged- mit dem dahinter stehenden Grund-wort in der Flexion übereinstimmt. Die germanischeGrammatik kennt z.B.:

a.) starke Maskulina, erkennbar etwa in den Bele-gen 1221 (A. 1286) Megedeberge bzw. 1311 Mege-deberg (asä. berg), 1426 (A. 18. Jh.) in Meghedebeke(asä. beki, biki);

b.) schwache Maskulina, vgl. 8./9. Jh. circa fontem,qui dicitur Magedobrunno, in loco, qui diciturMagdabrunno (asä. brunno);

c.) starke Feminina, vgl. 805 Magathaburg (usw.)„Magdeburg“; 1060 (Kopie Anf. 14.Jh.) in magethei-da, aber 1387 (K. 17. Jh.) Megdeheide; 1288 Megede-hove (asä. hô a „Hufe“);

d.) starke Neutra, vgl. 969-996 (A. 17. Jh.)Magatha ville, 1149 Magedevelde (asä. feld), 1207-1224 in Magethevelde.

Daraus folgt, daß im ersten Teil der Bildungen einAdjektiv vermutet werden muß.

Die Wahrscheinlichkeit, von einem Adjektiv aus-zugehen, erhöht sich noch, wenn man die –magad-/-meged-Bildungen mit den entsprechenden Ortsnamenvergleicht, die hochdeutsch michel, gotisch mikils, alt-nord. mikill, altenglisch micel, mycel, altsächsisch mi-kil, mittelniederdeutsch michel, ahd. mihhil, mhd. mi-chel „groß“ enthalten, s. Abbildung. Die grau gekenn-zeichneten Felder enthalten Ortsnamen, die sowohlmit mikel-/michel- wie mit magad-/meged- gebildetsind, z.B. Megedebek – Michelbach, Magdeburg –Mecklenburg, Megedefelde – Meckelfeld.

Daraus folgt, daß die Ortsnamen nach folgendemSchema gebildet sind: was für ein Bach? Was für eineBurg? Was für ein Feld? Wie bei michel/mikil bietetsich für magad-/meged- die Bedeutung „groß“ an. DasWort meged-/magad- dürfte diese Bedeutung gehabthaben, ist aber heute aus dem deutschen Wortschatz

verschwunden – wie auch mikil-/michel-. Nur in Orts-namen leben diese Wörter weiter und so auch im Orts-namen Magdeburg. Als ursprüngliche Bedeutung desOrtsnamens läßt sich vermuten: „große Burg“, odervielleicht besser „große Stadt“, denn altsächsischborg, burg bedeutete sowohl „Stadt“ wie auch „Burg“.

Von besonderer Bedeutung ist die Streuung der ge-nannten nord- und mitteldeutschen Namen. Sie liegenin einem Bereich, der zweifellos zu den Altsiedelge-bieten westgermanischer Siedler gehört (Abb. 2). Daswird bestätigt durch eine weitere Beobachtung. Auchin England lassen sich nicht wenige Namen nachwei-sen, die ein Element magad-/meged- enthalten. Bishersind diese Namen fast immer mit engl. maiden„Mädchen“ verbunden worden. Es dürften jedochOrtsnamen sein, die das gleiche Element wie Magde-burg enthalten, nämlich magad-/meged- „groß“. Manvergleiche etwa: Madley, südl. von Birmingham(Grundwort leah); Maidebury in Cambridge, Grund-wort burh; Maiden Down in Devon (dun); MaidenCastle bei Brough (Westmorland), ca. 1540 usw. May-den Castel(l); Maiden Castle in Cumberland und Dor-set; Castle Hill in York (West Riding), früher Mai-danecastell; Maiden Castle in Edinburgh, früher auchCastrum Puellarum; Maiden Way, Römerstraße beiAlston (Cumberland), ca. 1179 Maydengathe usw.;Maidens Bridge in Middlesex; Maidenburgh in Essex;Maidencombe in Dorset (cumb); Maidencourt inBerkshire (cot, vgl. oben Nr. 19 1277 Megedekot);Maidenford in Dorset, Grundwort ford; Maidenhead inBerkshire, 1202 Maideheg, 1241 Maydehuth', Mayde-heth', 1248 Maydehuth, Grundwort hd, nach E. Ekwall„the maidens’ landing-place“, (man beachte die zuverfolgende Entwicklung Maide-h th > Maiden-head);Maidenwell in Cornwall und Lincolnshire, 1086 Wel-le, 1212 Maidenwell, wella „Quelle, Bach“ wird auchangenommen in Maidwell (Norfolk) und auch in

Abb. 2 Zusammenstellung derEndsilben

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Maidwell (Northamptonshire), 1086 Medewelle, 1198Maidewell, „the maidens’ spring or stream“; Maidfordin Northamptonshire, 1086 Merdeford, 1167 Maidene-ford, 1200 Meideford; Maidstone, 10.Jh Mæidesstana,Mægpan stan, 1086 Meddestane, 11.Jh. Maegdestane;Mayburgh, 1671 Maburgh, ON. bei Askham (West-morland); Mayfield in Sussex, ca. 1200, 1248 Mage-

feud, 1279 Megthefeud; Maybridge in Worcestershire;Mayford (Surrey), 1212 Maiford, 1230 Maynford;Mægpeford, 955 bezeugt bei Abingdon (Berkshire);Ma†peford, 931 bezeugt bei Norton (Gloucester);Maytham (Kent), ca. 1185 Maihaim, 1242 Meyhamme;Medbury in Bedfordshire.

Abb. 3 Verteilungskarte

Magdeburg und verwandte Ortsnamen

Literatur: Bischoff, K., Magdeburg. Zur Geschichte eines Ortsnamens, Beiträge zur Geschichte der deutschenSprache und Literatur 72(Halle 1950)392-420.Eichler, E., Walther, H., Städtenamenbuch der DDR, Leipzig 1986.Ekwall, E., English Place-Names, Oxford 1960.Größler, H. Zum Namen Mägdesprung. In: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertum-skunde 20(1887)317.von Hodenberg, W. Magetheida, die Lüneburger Heide im Jahre 1060, Archiv für Geschichte und Ver-fassung des Fürstenthums Lüneburg 6(1858)383-389.Ohainski, U., Udolph, J., Die Ortsnamen des Landkreises und der Stadt Hannover, Bielefeld 1998; zu†Megedefelde: S. 319-322.Smith, A.H., English Place-Name Elements, T. 1-2, Cambridge 1956.Tiefenbach, H. , Magdeburg. In: Soziokulturelle Kontexte der Sprach- und Literaturentwicklung; Fest-schrift f. R. Große, Stuttgart 1989, S. 305-313.

Bildquellennachweis: Abb. 1–3: Prof. Udolph Leipzig

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Grabungsvermessung

Vorraussetzung für eine fachgerechte und lagege-naue Dokumentation einer Ausgrabung ist die Gra-bungsvermessung.

Da mit der Ausgrabung, im Gegensatz zur Bear-beitung von Schrifturkunden, die "Bodenurkunde"(das heißt die Gesamtheit der im Boden verborge-nen Befunde und Funde) unwiederbringlich zerstört

wird, ist es unmöglich, ein vergessenes oderfalsches Maß nachzumessen oder zu kontrollieren,wenn der Ausgrabungsbetrieb zwischenzeitlichweiter gegangen ist. Ziel der Grabungsvermessungist deshalb die dreidimensionale Dokumentationder Fundstelle. Jeder Punkt, der im Rahmen einerarchäologischen Ausgrabung dokumentiert wordenist, muss bezüglich seiner räumlichen Lage rekon-struierbar sein. Dieses ist nur möglich, wenn so-wohl bei der Lagevermessung als auch bei derHöhenbestimmung die amtlichen Bezugssystemezugrunde gelegt werden (Abb. 1).

Im Leitfaden des Landesamtes für Archäologiein Sachsen-Anhalt – im Vademecum – der dieGrundlagen jeder Ausgrabung regelt, wird die ar-chäologische Vermessung in zwei Bereiche geteilt.In die äußere und innere Vermessung.

Mit der äußeren Vermessung erfolgt die Lagebe-stimmung der Grabungsflächen und in der innerenVermessung das Aufmaß der Funde und Befunde.

Äußere Vermessung

Im Auftrag des Stadtplanungsamtes übernahm dasStadtvermessungsamt Magdeburg bei Ausgra-bungsarbeiten, die im Vorfeld von Bauvorhabender Stadt Magdeburg durchgeführt wurden, dieäußere Vermessung.

Die Grabungsflächen bzw. das Grabungsnetzwurden im amtlichen Bezugssystem für die Lageim Gauß-Krüger Koordinatensystem im Lagestatus150 aufgemessen. Die Höhen im Höhensystem HN(1960). Um die Gauß-Krüger Koordinaten imGelände ermitteln zu können, bedarf es Bezugs-punkte die lage- und höhenmäßig bestimmt sind.

Diese Aufnahme- oder Polygonpunkte werdenangezielt und das Instrument (Totalstation) errech-net sich aus deren Koordinaten und den gemesse-nen Richtungswinkeln und Strecken, die Koordina-ten seines Standpunktes. Von diesem "freienStandpunkt" erfolgt dann durch Polaraufnahme dieAufmessung und Absteckung des Grabungsnetzesbzw. das Aufmaß von freigelegten Befunden wieMauerreste oder Fundamente. Bei größeren Entfer-nungen oder bei versperrter Sicht zwischen Gra-bungsfeld und Bezugspunkten werden Aufnahme-netze hergestellt (Polygonierung).

Die Messwerte werden mit Informationen zu ih-rer eindeutigen Zuordnung, z.B. Punktnummern,verknüpft und als Datensätze unter der jeweiligenAuftragsnummer abgespeichert. Eine Auswertungder Daten erfolgt im Innendienst am PC bzw. an derCAD-Station. (s. K. Arbeiten im Innendienst)

Abb. 1 Arbeiten mit derTotalstation

Vermessung – Grundlage jederarchäologischen DokumentationMandy Poppe

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Innere VermessungDie innere Vermessung bildet die Grundlage für ei-ne lagegenaue Dokumentation von Funden und Be-funden einer Ausgrabung. Um diese Dokumentati-on zu erleichtern und die Angabe von Lagekoordi-naten z.B. auf Fundzetteln zu vereinfachen, ist einörtliches, rechtwinkliges, Koordinatensystem zu er-stellen. Ein solches einfaches System wird vor Be-ginn der Grabung vom Grabungsleiter in Form ei-nes Grabungsnetzes festgelegt. Zur besseren Orien-tierung auf der Grabungsfläche, sollte diese mitdem Grabungsnetz oder Gitterraster verpflocktwerden. Die Achsen des Koordinatensystems wer-den, ähnlich wie bei einem Schachbrett, in einerRichtung mit Buchstaben und in der anderen Rich-tung mit Zahlen gekennzeichnet. Eine Ausrichtungder Abszissen- (Hochwert) und Ordinatenachse(Rechtswert) sollte möglichst nach geodätisch Nordangestrebt werden. Die Ausrichtung und Begren-zung des Grabungsnetzes richtet sich aber in jedemFall nach der Örtlichkeit. Die Seiten des Netzessollten die Grabungsflächen komplett einrahmen.Die Einzelbefunde können auf diese Seiten einge-messen werden. Damit erhält man ein korrektes Ab-bild der Grabungsfläche. Jeder Punkt der Ausgra-bung hat in diesem System seinen festen Platz unddie Befunde sind in Zeichnung und Beschreibungdarstellbar. Allerdings schwebt dieses Abbild derGrabungsfläche -bildlich gesprochen- im freienRaum, denn es besteht kein Bezug zu den überge-ordneten Systemen (Abb.2). Das heißt, der Befundist zwar als solcher gesichert, kann aber weder älte-ren Befunden aus seiner Nachbarschaft zugeordnetoder mit späteren Befunden in Zusammenhang ge-bracht werden. Deshalb besteht die Verpflichtungjeden Grabungsbefund in ein übergeordnetes, mög-lichst amtliches Koordinatensystem einzuhängen.Diese Anforderung wurde mit der äußeren Vermes-sung, die durch Messtrupps des Stadtvermessungs-amtes Magdeburg auf verschiedenen Grabungen imStadtbereich Magdeburg durchgeführt wurden, er-reicht.

Arbeiten im Außendienst

Die Aufgaben des Außendienstes im Bereich derarchäologischen Vermessung, die im Auftrag desStadtplanungsamtes durchgeführt werden, gestaltensich recht vielseitig. Im folgenden soll eine kurzeÜbersicht dieser Arbeiten an Hand von verschiede-nen Ausgrabungen erläutert werden.

Breiter Weg 5–7; 8–10In den Jahren 1998 bis 2000 wurde die Fläche zwi-schen Domplatz und Breiter Weg durch das Landes-amt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (kurz LfDA) untersucht. Entstehen sollte andieser Stelle das Magdeburger Hundertwasserhaus(erste Grabungsfläche) sowie ein modernes Bank-und Bürogebäude (zweite Fläche), mit jeweils ein-bzw. zweigeschossiger Tiefgarage (Abb. 3).

Das Grabungsnetz wurde vom Grabungsleiterparallel zum Breiten Weg so festgelegt, dass es

Abb. 2 ÖrtlichesKoordinatensystem AusgrabungBreiter Weg 5–7 und 8–10.(Raster 10 x 10 m)

Abb. 3 Der Spitzgraben mitseinen Verfüllschichten im Profil.Blickrichtung von Norden

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über beide Grabungsflächen lag. Die äußere Ver-messung erfolgte durch das Vermessungsamt. Wei-terhin wurden Mauerreste und Fundamentreste imamtl. Koordinatensystem im Lagestatus 150 aufge-messen. Nach Abschluss der Grabungsarbeitenwurden die Grabungsflächen im ersten Bereich vor-erst verfüllt. Vor Baubeginn der "Grünen Zitadelle"wurde die Baugrube im Bereich der ehemaligenStiftskirche St. Nikolai durch das Vermessungsamtabgesteckt und nach Westen erweitert. In der neuenFläche konnten vier weitere Pfeilerreste freigelegtwerden. Sie wurden lage- und höhenmäßig aufge-messen. Insgesamt sind acht Pfeiler koordinaten-mäßig erfasst. Somit ist eine Rekonstruktion desKirchengebäudes möglich. Doch darauf soll späternäher eingegangen werden.

Bei der Erweiterung der Baugrube konnte derVerlauf eines Spitzgrabens weiter verfolgt werden.In mehreren Profilen waren die Einschnitte desGrabens und seine Verfüllschichten gut zu erken-nen. Da die Gefahr bestand, dass sie auf Grund desEinflusses der Witterungsverhältnisse an Stabilitätverlieren und einstürzen könnten, mussten die Pro-file so schnell wie möglich dokumentiert werden.Deshalb wurden sie durch einen Messtrupp des

Vermessungsamtes mit der Totalstation aufgemes-sen und an der CAD-Station gezeichnet.

Der weitaus überwiegende Teil der arch. Urkun-den besteht aus Bodenbefunden, aus Erdschichtun-gen und -verfüllungen in den Kulturablagerungen,Gräben und Gruben, die im Gefolge menschlicherSiedlungs- und Bautätigkeit entstanden. Bodenbe-funde dieser Art unterscheiden sich aufgrund derSubstanz, der Festigkeit und Farbe selbst nach Jahr-hunderten mehr oder weniger stark. Sie zu erken-nen und gegeneinander abzugrenzen ist in der Re-gel nur möglich, wenn man durch systematisches,sorgfältiges Abschaben des Erdreiches, das "Put-zen", die Befunde mit ihren Konturen sichtbarmacht und sie nach ihrer horizontalen und vertika-len Ausdehnung untersucht. Die horizontale Aus-dehnung zeigt sich im Planum und die vertikaleAusdehnung im Profil (Abb. 4). In Abb. 4 sind dieVerfüllschichten des Spitzgraben gut zu erkennen.

FriedensplatzVom 15.01.-31.05.1999 führte das LfA und dieStadt Magdeburg im Bereich der zukünftigen Tief-garage auf dem Friedensplatz, nach archäol. Vorun-tersuchungen im Jahr 1998, eine Ausgrabung

Abb. 4 An der CAD-Station gezeichnetes Profil

Abb. 5 (unten links)Gesamtbefundübersicht (nach

Nickel 1973)

Abb. 6 (unten rechts)Darstellung der Adaption in der

Stadtkarte

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durch. Die Planquadrate von E4-E7 bis K4-K7 desGrabungsnetzes waren bereits angelegt und wurdendurch ein Vermessungsteam aufgemessen und so-mit an das übergeordnete Lagenetz angehängt. Die-se Fläche befand sich innerhalb des Grabungszel-tes, das während der Wintermonate die Grabungschützte. Nach dem Abbau des Zeltes wurde dasNetz (Abb. 15) auf dem gesamten Bereich abge-steckt. Außerdem wurden auf der Grabungsflächezwei vermarkte Punkte höhenmäßig bestimmt, umwährend der Grabung die exakte Höheneinmessungder Plana durch die Grabungstechniker gewährlei-sten zu können. Da für die Grabung nur ein gerin-ges Zeitfenster zur Verfügung stand, wurden insge-samt 43 Plana mit Totalstation aufgemessen und ander CAD-Station gezeichnet. Dadurch war eineEntlastung der Zeichner vor Ort möglich.

DomplatzIm April 2001 wurde der Grundstein zu einer neuenGestaltung des Domplatzes im Rahmen der Vorbe-reitung zur 1200-Jahr Feier der Stadt Magdeburggelegt. Mit dieser Grundsteinlegung wurde gleich-zeitig der erste Bauabschnitt "Adaption der Kaiser-pfalz" anlässlich der Ausstellung "Otto der Große,Magdeburg und Europa" eingeleitet. Im Vorfeld derNeugestaltung wurde das Vermessungsamt durchdas Stadtplanungsamt beauftragt, das Grabungsfeldbzw. die Grabungsergebnisse von Dr. Nickel(Abb.5) zu kartieren, in die aktuelle Stadtkarte ein-zupassen und im Anschluss in die Örtlichkeit zuübertragen. Dazu mussten die Messpunkte, die Dr.Nickel im Mai 1960 festgelegt hat, wieder herge-stellt und aufgemessen werden. Vom Kulturhistori-schen Museum Magdeburg wurden Unterlagen mitder Einmessung des alten Grabungsnetzes an dasStadtplanungsamt übergeben und diese Daten danndem Vermessungsamt zur Verfügung gestellt (Abb.6). In der Örtlichkeit konnte nur ein Meißelzeichenan der Nordwand des Domes aufgefunden werden.Alle anderen Markierungen waren nicht mehr vor-handen. Als Nullpunkt der Linie wurde der Schnitt-punkt der Achsen des ottonischen und des goti-schen Domes durch Dr. Nickel angenommen. Erbefindet sich im Bereich des Taufbeckens im heuti-gen Dom. Nachdem der Nullpunkt und der einge-meißelte Punkt aufgemessen wurde, konnte überdie Koordinaten dieser beiden Punkte die Richtungdes Grabungsnetzes bestimmt werden. Am PC wur-de das alte Koordinatensystem konstruiert. In derGesamtbefundübersicht (nach Nickel 1973) sinddie Koordinaten der Abszissen- und Ordinatenach-se eingetragen, so dass die Übersicht an die Ver-messung angepasst und hochgezeichnet werdenkonnte.

Anschließend wurden die Koordinaten der Ach-sen des Gebäudes an der CAD-Station bestimmt.Diese Koordinaten wurden in die Örtlichkeit über-tragen und die Adaption lagegenau über die im Bo-den verbliebenen Befundreste gebaut.

Bei Bauarbeiten wurden im August 2001 imsüdöstlichen Bereich des Domplatzes eine gemau-erte Grabkammer entdeckt, die nach Untersuchun-gen der erhaltenen Hölzer des Sarges in das 10. Jh.datiert. Als gemeinsames Projekt des LfA und der

Landeshauptstadt Magdeburg wurde diese Ret-tungsgrabung zu einer Forschungsgrabung auf 300 m2 erweitert. Auch bei diesem Projekt wurdedie äußere Vermessung durch das Vermessungsamtausgeführt. Das Grabungsnetz wurde abgestecktund nach Grabungsfortschritt in die tiefer gelege-nen Plana übertragen. Die gemauerte Grabkammerund Mauerreste und auch die im Erdreich erkennba-ren Verfärbungen der Suchschnitte von Dr. Nickelwurden aufgemessen. Die Grabungsarbeiten wur-den bis zu ihrer Beendigung (2003) von einemMesstrupp begleitet.

MöllenvogteigartenIn der ältesten gärtnerischen Anlage der Stadt, demGarten der Möllenvogtei waren Vermessungsarbei-ten verschiedenster Art auszuführen. Neben Ge-bäudeinnenvermessungen, sowie dem Anfertigenvon Lage- und Höhenplänen des Umfeldes für dieFreiflächenplanung, wurde auch ein Längsschnitt

Abb. 7 Ergrabene Grundmauernhinterlegt mit der Bebauung vonvor 1945

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4 0 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

vom Domplatz bis zur Elbe erstellt. Die Arbeitenim Möllenvogteigarten seien hier aber nur kurz er-wähnt. Ausführlich sind sie in einer Broschüre desStadtplanungsamtes beschrieben (Böttcher imDruck).

Einige weitere Einsatzorte, an denen die äußereGrabungsvermessung durchgeführt worden, lagenim Bereich des Klosters Unser Lieben Frauen(2002), des Gouvernementberges (2003) und derRegierungsstraße (2004). Sie sollen hier nur kurzaufgezählt werden und die Übersicht der Vermes-sungsarbeiten damit enden.

Arbeiten im Innendienst

Nachdem der Außendienst beschrieben wurde, wirdin diesem Abschnitt einiges über die Möglichkeitender Weiterverarbeitung der Messdaten im Innen-dienst, bzw. zur Planerstellung und deren Verwen-dung gesagt werden. Als Beispiele werden die glei-chen Grabungen wie im vorigem Abschnitt ge-nannt.

Breiter Weg 5-7 ; 8-10Im Foyer des Landtagsgebäudes Sachsen-Anhaltzeigte das Stadtplanungsamt zur Information derBürger und Besucher der Stadt Magdeburg eineAusstellung über das Werden und den Wandel des

Bereiches um den Domplatz unter dem Motto „Ge-stalt durch Geschichte". Für diese Ausstellung wur-den zwei thematische Karten vom Grabungsbe-reich, mit unterschiedlichen Schwerpunkten ange-fertigt. Der erste Plan zeigt eine Befundübersichtder Grabung (1998-2000) mit einer Gegenüberstel-lung von älteren Befunden aus der Nickelgrabung(1959-1968). Alle Befunde wurden in die aktuelletopographische Karte des Vermessungsamtes ein-gepasst (Abb. 7).

Auf dem anderen Plan wurden die ergrabenenGrundmauern mit den ehemaligen Grundstücks-grenzen der 1945 zerstörten Bebauung hinterlegt.

Es gibt die Möglichkeit, alle wichtigen Befunde,aus den verschiedensten Zeiten, dass heißt vom äl-testen bis zum jüngsten Befund, in einem Über-sichtsplan zusammen zu fassen. Diese Befundewerden durch den Einsatz verschiedener Farben ge-kennzeichnet und in einer Legende erläutert (Abb.8). Eine andere Variante wäre, nur Befunde aus ei-nem bestimmten Zeitraum in einem Phasenplan zuerfassen. Die Abbildung 9 zeigt so einen Plan. Hiersind auch alle nicht ergrabenen Bereiche undStörungen der Befunde eingetragen.

Die Stiftskirche St. Nikolai konnte an Hand deraufgemessenen Pfeilerreste und mit Hilfe einerBauzeichnung am Computer rekonstruiert werden.Die gescannte Bauzeichnung wurde an der CAD-Station als Rasterdatei genutzt und in das aktive

Abb. 8 (oben) Gegenüberstellungder Befunde von B. Kunz (1998-

2000) und Dr. Nickel(1959–1968)

Abb. 9 (oben rechts) AusschnittPhasenplan – mit dem

Schwerpunkt ehemalige Stiftskirche St. Nikolai

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4 1Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Bild hochgezeichnet. Diese Rekonstruktion kanndurch das Aufmaß der Mauer- und Pfeilerreste inLandeskoordinaten sofort in die aktuelle Stadtkarteeingetragen werden (Abb. 10).

FriedensplatzNach Beendigung der Ausgrabung im Mai 1999und der ersten Aufarbeitung der Funde, wurde eindem damaligen Kenntnisstand entsprechenderÜbersichtsplan der gesamten Planquadrate im Maß-stab 1:100 angefertigt (Abb. 11).

Dieser Plan zeigt die wichtigsten Befunde derGrabung, farblich nach verschiedenen Zeiten sor-tiert. Die Ausmaße der Befunde wurden aus den

einzelnen Zeichnungen, die von jedem Planumdurch die Grabungszeichner angefertigt wurde,übernommen. Im Maßstab 1:100 wurde auch eineProfilübersicht angefertigt. In ihr sind alle Profileder Grabung eingetragen (Abb. 12).

Domplatz Im Innendienst wurden die gescannten Grabungs-zeichnungen, die auf das örtliche Netz eingemessenwaren, an das Gitternetz mit Koordinaten im La-gestatus 150 eingepasst. An der CAD-Station wur-den die bedeutendsten Befunde von den Rasterda-teien hochgezeichnet und in einen ständig aktuali-sierten Grabungsübersichtsplan eingetragen (Abb.

Abb. 10 (oben rechts)Rekonstruktionszeichnung derStiftskirche St. Nikolai, desspäteren Zeughauses sieheAbb. 14

Abb. 11 (oben links)Friedensplatz – Befundübersicht10.–12. Jh.

Abb. 12 (mitte links)Friedensplatz – Profilübersicht

Abb. 13 (unten links)Örtliches KoordinatensystemRettungsgrabung Domplatz(Raster 1 x 1 m)

Abb. 14 (unten rechts)Ausschnitt aus dem Gesamtplanvon Nickel mit Phaseneinteilung(nach Ludowici) und neuestenErweiterungsflächen nach Kuhn2002

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13 und 14). Da sich auch die ehemaligenSuchschnitte (A, B, C) von Dr. Nickel im Bodenabzeichneten, wurden sie durch das Außendienst-team mit aufgemessen. Beim Einarbeiten der Mess-daten stellte sich heraus, dass die Kartierung derGesamtbefundübersicht (nach Nickel 1973) in derAusrichtung nach Osten und Westen stimmt, aberum ca. 80 cm nach Süden verschoben war. In denÜbersichtsplänen wurde daraufhin die Kartierungan die Vermessung der Suchschnitte vom Juni 2002angepasst. Im letzten Kapitel soll über eine beson-dere Art der Verwendung von Karten geschriebenwerden.

Prospektion

Die Prospektion dient der Sammlung von Gelände-daten zur vorausschauenden Begutachtung einesGebietes, um im Vorfeld von Bauvorhaben Aussa-gen über eventuell bevorstehende Bodenfunde tref-fen zu können. Hier soll eine Möglichkeit der Pro-spektion mittels alter Karten vorgestellt werden.Als Beispiel soll die Grabung auf dem Friedens-platz dienen.

Aus dem Kartenmaterial kann natürlich nicht er-schlossen werden, was für ur- und frühgeschichtli-che Hinterlassenschaften zu erwarten sind. Aber

Abb. 15 (oben links) Ausschnittaus der Karte

Die Festung Magdeburg um 1750

Abb. 16 (unter Abb. 15)Ausschnitt aus der Karte

Die Festung Magdeburg um 1880

Abb. 17 (oben rechts) Ausschnittaus der Karte

Magdeburg – Innenstadt vor 1945

Abb. 21 (unter Abb. 17)Grabungsnetz Friedensplatz (lila),

Mauer (rot) dargestellt in einemAusschnitt der Karte – Die Festung

Magdeburg um 1750

Abb. 18 (ganz unten) Ausschnittaus der Legende der Karte

Die Festung Magdeburg um 1750

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auf Grund der dargestellten Bebauung in älterenKarten und Einsicht in evtl. vorhandenen Bauaktenkann beurteilt werden, ob archäologische Boden-funde z.B. durch Kellereinbauten zerstört wurden(Abb. 15).

Nach dem Scannen der Karten entstanden Datei-en im Rasterformat. Diese wurden auf die verzer-rungsfreien Stadtgrundkarten, die im Vektorformatvorliegen, eingepasst. Als Passpunkte wurden Ge-bäude der alten Bebauung verwendet, die heutenoch erhalten sind.

Im Bereich des Friedensplatzes ließ die Darstel-lung in den Karten erkennen, dass dieser Platz übereinen längeren Zeitraum unbebaut war (Abb. 16und 17).

Die Grabung bestätigte diese Vermutung, dassdort keine tiefgreifenden Bodeneingriffe die ar-chäologischen Fundschichten zerstört hatten.

An einem markanten aufgemessenen Befundkann man erkennen, wie gut die alten Karten in dieaktuellen topographischen Karten eingepasst wer-den konnten.

Auf dem Foto Abb. 19 ist in der Mitte der obereBereich einer Mauer zu sehen, die in Nord-SüdRichtung verläuft. Dieser Befund ist auf der Abb.20 in der rechten unteren Ecke dunkelblau gekenn-zeichnet. Es handelt sich hierbei um die Mauer zwi-schen Glacis und Graben. Sie ist in der Legende rotgekennzeichnet (Abb. 18).

Auf der letzten Abbildung wurde das Grabungs-netz auf einen Ausschnitt der Karte "Die FestungMagdeburg um 1750" gelegt. Anhand der Planqua-drate kann man erkennen, dass dieser ergrabene Be-fund tatsächlich im Bereich der Glacismauer, wie inder Karte dargestellt, liegt (Abb. 21).

Abb. 20 (oben) Gesamtbefundübersicht AusgrabungFriedensplatz 1999 (Raster 5 x 5 m)

Abb. 19 Freigelegtes Teilstück der Glacismauer.Blickrichtung nach Norden

Literatur: Biel, J., Klonk, D., Handbuch der Grabungstechnik. Herausgegeben im Auftrag des Verbandes der Lan-desarchäologen in der BRD sowie der Arbeitsgemeinschaft der Restauratoren und dem Landesdenkmal-amt Baden – Württemberg o. J.Böttcher, A., Vermessungsarbeiten Domplatz 1b und Remtergang 1. In: Ulrich, S., Der Möllenvogteig-arten. Heftreihe des Stadtplanungsamtes Magdeburg, im Druck.Vademecum für die archäologischen Ausgrabungen in Sachsen-Anhalt. Landesamt für Archäologie,Halle (Saale) 1997.Fehring, G. P., Einführung in die Archäologie des Mittelalters, Darmstadt 1992.

Bildquellennachweis: Abb. 1, 3, 19: Mandy Poppe, Stadtvermessungsamt Magdeburg Abb. 2, 4, 7-9, 11-14, 20-21: Stadtvermessungsamt Magdeburg,

Landesamt für Archäologie Sachsen - AnhaltAbb. 10: Stadtvermessungsamt Magdeburg, Stadtplanungsamt MagdeburgAbb. 5: Gesamtbefundübersicht (nach Nickel 1973)Abb. 6: Stadtvermessungsamt MagdeburgAbb. 15, 18, 21: Die Festung Magdeburg um 1750 – nach amtlichen Unterlagen gezeichnet

von Friedrich Mertens (1970)Abb. 16: Die Festung Magdeburg um 1880 – nach amtlichen Unterlagen gezeichnet

von Friedrich Mertens (1967)Abb. 17: Magdeburg Innenstadt vor 1945

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Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 20054 4

Alle untersuchten Türme liegen im heutigen Stadt-gebiet von Magdeburg. Sie sind aber zumeist erstseit 1910 bzw. nach der Aufhebung der FestungMagdeburg 1912 mit den Ortschaften eingemeindetworden. Nach Jahren der intensiven Untersuchungund Erfassung derartiger Bauwerke im Saale-Elbe-Gebiet muß konstatiert werden, dass tendenziell dieältesten Türme in den Städten nicht vor 1150 datiertwerden können. Auch die Türme auf Burgen setzenin Sachsen Anhalt nicht früher ein. Bei kleinerenTürmen des 13.-16. Jahrhunderts im städtischenund ländlichen Umfeld können wir von einer tem-porären und ergänzenden Wohnnutzung, mit demAnspruch der Repräsentation ausgehen. Für den al-leinigen und ständigen Aufenthalt sind die Gege-benheiten in diesen Türmen eher als unzureichendeinzuschätzen.

Mahrenholzscher Hof - der Wohnturm in Alt Fermersleben,Mansfelder Straße 20

Der Turm auf dem Mahrenholzschen Hof ist vomwestlichen Giebel des Herrenhauses über drei Voll-geschosse umschlossen (Abb. 1). Von der Land-straße aus war der Hof zugänglich (Abb. 2).

Fermersleben wird 937 von Kaiser Otto I. mit 56Wendenfamilien an das Moritzstift in Magdeburggeschenkt. In den folgenden Jahrhunderten werdenimmer wieder Zinsabgaben und ein Gut aus Fer-mersleben genannt. Diese Nennungen könnten sichzum Teil auf den größeren, später im Besitz der Fa-milie Mahrenholz befindlichen Hof beziehen. Gesi-cherte Belege finden sich aber erst in der Neuzeit.Aus der kleinen, bis ins 19. Jahrhundert nur aus we-nigen Höfen bestehenden Ortslage ist bisher keineLiegenschaft außer dem Mahrenholzschen Hof be-

kannt geworden, in der mittelalterliche Bausub-stanz oder gar ein Wohnturm als sichtbares Zeicheneiner Eigenbefestigung erhalten ist (Abb. 1).

Die von Mahrenholz gehörten im 18. Jahrhun-dert zu den Vasallen des Herzogtums Magdeburg,wie ein Verzeichnis von 1713 belegt1. Den Hof inFermersleben erwarb Mathias Mahrenholz, der sichmit seiner Frau Margrette Balderstedtin 1695 in-schriftlich an der Toreinfahrt zum Hof verewigte.

Ein Umbau des Herrenhauses wird mit derBauinschrift der Türkartusche auf 1787 datiert.

Die von Hans-Joachim Mrusek (1958, S. 33)vorgenommene Datierung des Wohnturmes um1530 begründete sich über die renaissancezeitli-chen Fenstergewände (Abb. 1). Das Erscheinungs-bild des quadratischen Turmes wurde bis in diejüngste Vergangenheit von einem barockenFlächenputz mit Putzquaderung auf den Ecken so-wie den in den Mittelachsen der Süd- und Westfas-sade eingebauten Rechteckfenstern des 16. Jahr-hunderts bestimmt. Der sich mit seinen drei Vollge-schossen über die Traufe des Wohnhauses erheben-de Turm besteht aus Grauwacke und Sandstein inunregelmäßigem Verband. Die Stärke des Mauer-werks verjüngt sich von 1,40 m im Erdgeschoss auf0,85 m im 2. Obergeschoss (Abb. 3), wobei die In-nenwandschalen nur bis ca. 1,40 m über den rezen-ten Fußböden aus primärem Bruchsteinmauerwerk

Abb. 1 (unten) MahrenholzscherHof in Alt Fermersleben. Blick aufden mittelalterlichen Wohnturm,

das Herrenhaus von 1695/1787und den Torbogen im

Hintergrund.

Abb. 2 (oben) Alt Fermersleben.Wohnturm am Herrenhaus des

Mahrenholzschen Hofes von1695.

Wohntürme im Stadtgebiet von MagdeburgMaurizio Paul

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bestehen, darüber aus vorgesetztem, kleinsteinigemBruchsteinmauerwerk von 15-20 cm Stärke. Diehorizontal umlaufende Grenzlinie beider Mauer-werksteile markiert den Rücksprung in Höhe derprimären Geschossdecken. Der Turm hatte dem-nach ursprünglich eine abweichende Geschossein-teilung, auf die sich die im Bestand nachgewieseneWandnische mit giebelförmigem Sturz im Erdge-schoss, eine kleine quadratische Nische in der Ost-wand des Obergeschosses und ein Schlitzfenster im2. Obergeschoss bezogen (Abb. 4). Der Bruchstein-verband des Turmes datiert grob in das 14. oderauch 15. Jahrhundert. Die wenigen primären Glie-derungselemente, wie die konischen Schlitzfensteroder Scharten helfen da nicht viel weiter. Die Frageeines gewölbten Kellers muß unbeantwortet blei-ben. In eine Bauphase vor dem Anbau des barockenHerrenhauses von 1695 ist ein sekundäres, aus Zie-gelformsteinen bestehendes Fenstergewände im 1.Obergeschoss zu datieren.

Erst danach, vermutlich um 1709, wie die den-drochronologische Datierung eines Deckenbalkensnahelegt 2, erfolgte der Einbau der Gewändespoliendes 16. Jahrhunderts. Die Deckenbalken dieserBauphase wurden schwarz gefasst und zum anzie-henden Glattputz mit einem Beschneider abge-setzt. Die Zweiphasigkeit des Herrenhauses wirktesich auch im Turm mit der Reparatur der Fensterni-schenbögen und dem Einbau von überputzten Zie-gelgewänden im 2. Obergeschoss um 1787 aus.

Die Bezeichnung Wohnturm kann gleichberech-tigt zu Wehrturm eines befestigten Hofes oder auchGutes, wie es in den historischen Quellen heißt,

verwandt werden. Der Repräsentationsanspruch ei-nes Ministerialen des Erzstifts oder auch eines städ-tischen Bürgers darf wohl ebenso als bauintendie-rend angesehen werden.

Der Stumpf eines Wohnturmsin der Villa Brandt, Cracau, Burchardstraße 17

Im Baukomplex der Domänenvilla aus den 1880erJahren fanden seit Dezember 2002 bereits Sanie-rungsarbeiten statt. Nachdem Prof. Götz Brandt,ein Erbe der ehemaligen Besitzer und Bauherrender Villa, einen mittelalterlichen Turmstumpf inder Bausubstanz identifiziert hatte (Abb. 7) mussteumgehend eine Untersuchung des querrechteckigzur Elbseite positionierten Villenbaus (Abb. 5)

Abb. 3 (links oben)Bestandszeichnung des Turmes,Bauaufmaß Mrusek 1958,Abb. 42

Abb. 4 (rechts oben)Baualterskartierung zumWohnturm des MahrenholzschenHofes in Fermersleben.

Abb. 5 (rechts unten) Südfassadeder Brandtschen Villa mit derbetonten Mittelachse, hinter dersich zumindest im Souterrain derTurm in seiner vollen Breiteverbirgt.

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4 6 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

durchgeführt werden. Die Ansiedlung niederländischer Kolonisten im

mittelalterlichen, ostelbischen Cracau (Krakoe,Craco, Cracowe), das sich vom Beginn der Überlie-ferung im Besitz der Domprobstei befand, ist ur-kundlich für 1158/1166 nachweisbar (Bau- undKunstdenkmäler, Jerichow, S. 75).

Das Dorf wird bis heute vom Straßenkreuz derPotsdamer- und Burchardstraße mit der St. BricciusKirche bestimmt. Der Turmstumpf im Baugefügeder Villa Brandt kann als bauliche Repräsentationdes Sitzes eines Vertreters des niederen Adels ge-deutet werden, der möglicherweise in der Ministe-rialität des Domstifts stand und namengebend fürdie ‚Burchardstraße‘ war.

In einer Urkunde von 1166 wird ein „Burchar-do“ zusammen mit seinem Bruder „Symoni“ alsKolonisator Cracaus bestätigt (UKB Erzstift Mag-deburg 1, Nr. 321). Diesem Burchardo könnte einbefestigter Hof in der Ortslage Cracau zuwiesenwerden, ohne einen konkreten Bezug zu dem in der

Villa nachgewiesenen Turm in den Quellen zu fin-den. Unter 1272 erwähnt das Urkundenbuch desKlosters Unser Lieben Frauen einen Hof in Cracauund einen Ministerialen Burchard. Bemerkenswer-ter sollte indes die Urkunde von 1420 sein, in der„Claus Brandes zu Crakau“ in Erscheinung tritt, derhier wohnhaft war und das Zinsrecht an seinen Gü-tern zumindest teilweise an das Kapitel der Neu-stadt verkaufte (UKB Unser Lieben Frauen, S. 242,Nr. 261).

Im Zuge der französischen Besatzung und Ein-gliederung in die Ministerialverfassung des König-reichs Westfalen (1808) dürfte das Vorwerk säkula-risiert und als Domäne 1812 an die Familie Brandt,eine ortsansässige und seit 1420 in Cracau nach-weisbare Familie, verpachtet worden sein (Abb. 7).

Die Villa enthält im Kellergeschoss den Stumpfeines massiven, sich auf quadratischem Grundrisserhebenden Bauwerks. Es muss bei Ausmaßen von8,65 m Kantenlänge und einer Wandstärke von 1,5m als Restbestand eines Turmes gedeutet werden(Abb. 8). Die Ostwand des Primärbaues hat sich bisheute in rudimentärem Umfang im Erdgeschossesund mit wenigen Lagen auch im Dachraum des öst-lichen Annexbaus der Villa erhalten. Der primäreHausteineckverband des Turmes ist an seiner Nord-ostecke exemplarisch erhalten. Dieser Eckverband,wie die gesamte Ostwand des Turmes wird vomKeller des östlichen Anbau von 1829/30 umschlos-sen. Das aus hammergerecht gearbeiteten Grau-wacke-Bruchsteinen bestehende Mauerwerk desTurmes ist in einem geordneten Lagenverband ver-setzt worden, wie er vergleichbar an qualitätsvollenSakralbauten (Kloster Unser Lieben Frauen zuMagdeburg und Stiftskirche Leitzkau) vorkommt.

Obwohl mit rundbogigen, romanischen Gewän-desteinen (Spolien) eingefasst, ist die Türöffnungzum Keller erst nachträglich eingebrochen und ein-gefasst worden. Das Kellergeschoss des Turmes ist

Abb. 6 (oben links) EhemaligerDomänenhof mit der Villa und

dem umschlossenen Turmstumpf inCracau. Historisches Meßtischblatt

auf der Grundlage der Vermes-sung von 1858, 1873–76.

Abb. 7 (oben rechts)Rekonstruktion der Bebauung auf

der ehemaligen Domäne nachProf. G. Brandt.

Abb. 8 (unten) Befundskizze desKellergeschosses der Villa Brandt

in Cracau. Kartiert wurdenerkennbare baustratigraphischeEinbindungen. Ohne Maßstab,

Aufnahme und Kartierung.

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4 7Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

ebenso nachträglich mit einer Ziegeltonne über-spannt worden (Abb. 89). In die östliche Wölbungs-hälfte bindet ohne Störung ein Lichtschacht ein, dersich in der Außenwand des romanischen Turmes ineinem monolithischen, rundbogigen und schmalenFenstergewände mit mehrphasigen Vergitterungs-löchern öffnet (Abb. 9) 3. Dieses Fenster gehört imGegensatz zum Lichtschacht und der Ziegeltonnezum primären Bruchsteinmauerwerk des Turmes.Die Wölbung des Kellergeschosses dürfte aufgrunddes sich vom Primärbestand deutlich unterschei-denden Setzmörtels und des Ziegelformates in diebarocke Bauphase des nördlich an den ehemaligenTurm ansetzenden, dendrochronologisch um 1690 4

datierten Fachwerkbaues zu stellen sein.Erst im Zusammenhang mit der Anlage eines

Gewölbekellers unter dem Fachwerkhaus von 1690wurde die nördliche Turmwand geöffnet und die ro-manischen Werksteinspolien einer Türöffnung ein-gebaut.

Der Umbau zur repräsentativen Villa um 1889verband die bis dahin dreiräumige Kelleranlage(Turm, Fachwerk und östlicher Annex von1829/30) mit einem weiteren, zusätzlich mit einerTüröffnung erschlossenen Kellerraum unter demwestlichen Anbau, vor der Westwand des Turmes.

Das Untergeschoss des Turmes hatte demnachkeinen primären, auf Geschossebene liegenden Zu-gang, was für einen wehrhaften Turm auch nicht zuvermuten ist. Die ursprüngliche Verbindung mit derdarüberliegenden Ebene muß über eine Leiter oderMauertreppe erfolgt sein.

Als zentrale Baueinheit einer Eigenbefestigung,eines Ministerialenhofes, vielleicht sogar des in derQuelle von 1166 genannten Burchardo, kann derTurm aufgrund der wenigen erhaltenen Baugliederallerdings nur allgemein in den Zeitraum 1160-1230 datiert werden. Der Nachweis eines romani-schen Wohnturmes, im mehrphasigen Baukomplexder gründerzeitlichen Villa von Cracau, mit ihrembarocken Vorgängerbau (Fachwerk) von ca. 1690und der neogotischen, östlichen Erweiterung von1829/30, ist ein weiterer Baustein der Bestandser-fassung zur Hausforschung im mitteldeutschenSiedlungsgebiet des Mittelalters.

Das Feste Haus auf dem ehemaligen Klosterhof Prester, Alt Prester 104

In der historischen Forschung wurde das Bauwerkaufgrund seiner Kubatur als Turmhaus bezeichnet.Das Bauwerk unterscheidet sich durch seine isolier-te Lage außerhalb einer Siedlung, in der Niederungder Elbeaue von den übrigen Turmbauten (Abb. 10,11). Das Gebäude als Turm zu bezeichnen ist sicherder historischen Forschung geschuldet, die dasdurch einen Wappenstein datierte Gebäude von1520 zwangsläufig in die Reihe der befestigtenAdelshöfe oder Wohntürme auf dem Lande stellenwollte. Beim sogenannten „Turmgarten“ von Pre-ster handelte es sich um eine Liegenschaft in langerbesitzrechtlicher Kontinuität des Klosters Berge zuMagdeburg.

Zur Ermittlung der Bau- und Nutzergeschichtedieses Festen Hauses muss die Quellenanalyse imAnsatz von der bauinschriftlichen Datierung durchdas Familienwappen derer von Rode von 1520 ausge-hen (Abb. 13). Der Ort Prester selbst gehörte dem937 fundierten Moritzkloster und ging 968 an das Be-nediktinerkloster St. Johannis auf dem Berge über.

Für das Feste Haus 5 des Kleinen Klostergutes,als das wir den Turmgarten Alt Prester identifizie-

Abb. 13 (rechts) Wappensteinam Turmhaus des KleinenKlostergutes Prester mit derBauinschrift: Jacob und valtin rodegebrodere Erbaute im jar 1520.

Abb. 9 (oben) Befundskizze desmonolithischen Rundbogenfenstersin der Ostwand des Turmes,im Bereich des heutigenKellergeschosses.

Abb. 10 (unten links) Prester amrechtselbischen Ufer. ModernesKataster mit dem Turmhaus hinterdem Damm

Abb. 11 (unten rechts) Turmhausvon Alt Prester von Südwest. DerKubus des massiven Baues warusprünglich um ein halbesGeschoss höher, wie die primärenFensterlaibungen oberhalb derrezenten Öffnungen imObergeschosss beweisen.

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4 8 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

ren können, dürfte der in der Zeugenreihe einer Ur-kunde des Kloster Berges von 1233 an dritter Stellegenannte Thidericus de Prester (UKB Kloster Ber-ge, S.67, Nr. 92) nicht als baustiftender Urheber ge-deutet werden.

Gegen die Datierung des Hauses in das 13. Jahr-hundert spricht, abgesehen von der a priori über dieWappentafel erst in 1520 datierten Fundation, dasGefügebild des unregelmäßigen Mischmauerwer-kes.

Die erste aus dem Archivbestand erschlosseneVerpachtung des „Kapitelhofes zu Prester“ an ei-nen Jacob Rode datiert 1572 6. Leider konnte bisherfür das zeitliche Umfeld der Wappensteindatierungvon 1520 keine archivalische Quelle für ein Rechts-verhältnis der genannten Brüder Rode mit dem Klo-ster Berge aufgefunden werden.

Die Spur der Rodes, die den Bau des FestenHauses initiiert und finanziert haben dürften, endetmit der Person des Jacob Rode, des vermeintlichenSohnes und Neffen der Bauherren von 1520, zu-mindest was den „Kleinen Klosterhof zu Prester“betrifft. In der Folge gibt es einen regen Pächter-wechsel.

Wohl den wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeitist der Versuch des Klosters Berge geschuldet gewe-sen, den „Kleinen Klosterhof“ 1772 über eine öf-fentliche Ausschreibung in Erbpacht zu vergeben 7.

Das bisher geltende Pachtverhältnis der Dorfbe-wohner bezog sich hauptsächlich auf Äcker undWiesen. Das Haus des „Kleinen Hofes“ erscheint indiesem Zusammenhang nicht. In den Reparaturli-

sten zu 1846 erscheint erstmals der Begriff Turm-gartenhaus 8, der unzweifelhaft auf das behandelteObjekt und den kleinen Klosterhof zu beziehen ist.

Das als Festes Haus zu bezeichnende Gebäudedes Turmgartens zu Alt Prester stellt einen kubi-schen Baukörper mit gewölbtem Erdgeschoss überteilweise unterkellertem Grundriss, mit ausgebau-tem Obergeschoss und abschließendem Walmdachdar (Abb. 12, 14, 15). Der Bau wurde schon vonHans-Joachim Mrusek (1958; S. 33f.) als spätmit-telalterliches, wohnturmartiges Haus bezeichnet.Der heute größtenteils unverputzte Baukörper zeigtim Gefüge der Fassaden zahlreiche Gliederungsele-mente, zumindest Fragmente von mehrphasigenAbfolgen und Überschneidungen, die sich zudemim verwendeten Baumaterial, im Setzmörtel und imBezug der Geschossebenen unterscheiden.

Der unter dem westlichen Drittel des Grundris-ses liegende Gewölbekeller besteht aus einer ge-drückten Bruchsteintonne. Die nördliche Wand istmit einem schmalen Lichtschlitz durchbrochen. DieWölbung des Kellerhalses besteht aus Ziegeln. Kel-lerhals und Tonne bilden trotz unterschiedlicherBaumaterialien eine konstruktive und stratigraphi-sche Einheit.

Das Erdgeschoss wird von einem Gewölbe aussich durchschneidenden Tonnen mit Mittelpfeilergedeckt (Abb. 14). Das Gewölbe wurde nachträg-lich eingebaut, wie der überschnittene Nischenbo-gen der primären Tür von innen und das vollständigverdeckte, in der Nordfassade ablesbare Oberlicht-fenster belegen (Abb. 15). Die ursprünglicheWandstärke des Hauses im Erdgeschoss betrug vordem Gewölbeeinbau ca. 65 bis 70cm.

Die primären Fensteröffnungen des Oberge-schosses lagen nach den Befunden in der West- undSüdfassade höher als es die rezenten Brüstungenbelegen (Abb. 16, 17), woraus sich auch ein höhe-res Erdgeschoss vor dem Einbau des Gewölbes er-gibt. Dennoch dürfte es sich bei dieser Ebene desprimären Bauzustandes nicht um ein exponiertesoder gar repräsentatives Geschoss gehandelt haben,worauf schon das Fehlen größerer Fensteröffnun-gen verweist. Vermutlich gab es im Erdgeschossneben der Segmentbogentür mit gefasten Laibungs-eckverbänden nur kleine Lichtschlitze, von deneneiner in der Nordfassade erhalten ist.

In der Nordostecke des Erdgeschosses ist einschmales Tonnengewölbe aus der Raumwölbungausgeschieden. Darüber setzt noch heute ein Ka-minzug auf.

Abb. 12 (oben) Alt Prester,Nordfassade des Turmhauses mit

Wappensten des „Jacob undvaltin rode gebrodere Erbaute im

jar 1520“.

Abb. 15 (rechts) VomGewölbe des Erdgeschosses

überschnittene, primäre Türnischein der Nordwand.

Abb. 14 Querschnitt des FestenHauses auf dem Kleinen Klosterhof

Alt Prester. Nach demBaubestandsbuch von 1931.Kloster Berge Stiftung, Archiv

Leitzkau

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4 9Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Über die Fassadenbefunde können drei Baupha-sen des Festen Hauses sehr gut nachvollzogen wer-den. Danach besaß das hohe Erdgeschoss der erstenBauphase eine Segmentbogentür mit gefastem Ge-wände aus Ziegelformsteinen, darüber ein Ober-licht und kleinere, ebenfalls hoch ansetzende Licht-schlitze. Der Wappenstein von 1520 bezieht sichzwar auf die Primärbauphase, wurde aber in derzweiten Bauphase von ca. 1650, mit dem Einbau ei-ner größeren Öffnung links oberhalb der Tür desErdgeschosses, umgesetzt (Abb. 13).

In der gleichen Bauphase müssen die hohen ausklosterformatigen Ziegeln bestehenden Segment-bogenöffnungen (Abb. 16) in das Bruchsteinmauer-werk eingefügt worden sein. Die Fensteröffnungenselbst waren wahrscheinlich von rechteckigenBlockzargen, wie in der Ostfassade noch teilweise

erhalten, eingefasst.Gleichzeitig mit dieser Veränderung der Fen-

sterformen im Obergeschoss erfolgte der Einbaudes Gewölbes im Erdgeschoss, der die Reduzierungder Geschosshöhen mit tiefer ansetzenden Fensternim Obergeschoss mit sich brachte.

In der zweiten Phase des 18. Jahrhunderts wurdeder auskragende Eckkamin abgebrochen und dieÖffnung im Baugefüge mit überformatigen, ba-rocken Ziegeln ausgemauert.

Die dritte Bauphase verkleinerte zudem die Fen-steröffnungen des 17. Jahrhunderts beträchtlich inder Höhe und in der Breite auf 95cm. Kennzeichendieser Phase sind die überformatigen, in grauem,feinkörnigem Kalkmörtel versetzten barocken Zie-gel (7 x 14 x 30 cm) des 18. Jahrhunderts, die mitscheitrechten Stürzen die Fensteröffnungen nachoben abschließen. Eine Bestätigung für die barockeDatierung der Fensteröffnungen der 3. Bauphasewird durch das direkt in Höhe der Fensterstürze an-setzende, im Bestandsplan von 1931 noch darge-stellte Volutenprofil der Obergeschossdecke gelie-fert (Abb. 14).

Der Wohnturm auf einem ehemaligen Freihof in Rothensee,Turmstraße

Weit nördlich der mittelalterlichen „Alten StadtMagdeburg“ besaß das Geistliche Amt der Dom-probstei das Dorf Rothensee, und mit ihm die Ge-richtsbarkeit bis 1806 (Oesfeld 1780, S. 146). DemAmt unterstanden zwei von Feudallasten befreiteHöfe.

In dem westlich eines ehemaligen Elbearmes ge-legenen Ort verweist noch heute ‚die Turmstraße‘auf den mit der baulichen Substanz eines Turmesbesetzten Hof einer mittelalterliche Eigenbefesti-gung (Abb. 18).

Der Wohnturm von Rothensee stand relativ häu-fig im Interesse von regionalgeschichtlichen Bear-beitungen, so dass die Quellenlage erschöpfend er-

Abb. 16 Befundskizze der Südfassade. o. M. Die drei Bauphasen sind exemplarisch vertreten. Primäre Fensteröffnungmit hoher Brüstung und Ziegeleckverband zur Laibung(1a) im Obergeschoss und hochliegende kleine Öffnungendes Erdgeschosses, Fenster derzweiten Phase von 1650 (2) undeingesetzte kleine Öffnung derdritten Phase (3) des 18. Jahrhunderts.

Abb. 17 (unten) RechteFensterachse der Westfassade mitrezenten Öffnungen der 3. Phaseim Erd- und Obergeschoss. Dieoberste Ziegelplombe füllt dieprimäre Fensteröffnung aus. Darunter folgen der Bogen unddie Laibungsecken der zweitenFensterphase, die vom Ziegelverband der letzten Öffnungen ausgefüllt wird.

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5 0 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

schlossen ist (Dehio, Sachsen-Anhalt I, S. 613)(Abb. 19).

Der Turm erhebt sich auf quadratischem Grund-riss von 6 x 6 m Seitenlänge mit vier rezent genutz-ten Geschossen, in der erhaltenen romanischenSubstanz (Abb. 19, 20, 22), wobei die Einteilungder Ebenen in Bezug auf ihre Ursprünglichkeit zuüberprüfen war. Der Ort wird erstmals 1176 in ei-ner Urkundenabschrift Erzbischof Wichmanns ge-nannt (UKB Erzstift Magdeburg 1, S. 460, Nr.348).

Der zu 1282 genannt Ritter Johannes von Ro-thensee 9 könnte einen der beiden für Rothenseeüberlieferten Sattelhöfe - Rittergut zweiter Ord-nung, das direkt dem Domprobst unterstanden undfrei von Feudallasten war - bewohnt haben (UKBKloster Unser Lieben Frauen, S. 134, Nr. 150). Bis1634 kann kein Besitzer oder Lehensträger über dieschriftlichen Quellen direkt mit dem Hof und sei-nem Wohnturm in Verbindung gebracht werden.Erst für dieses Jahr ist ein Hieronymus von Wü-stenhoff als Besitzer des Turmhofes nachweisbar 10.Der Turm soll zu dieser Zeit ohne Dach gestandenhaben und vermutlich um 1650 wieder aufgebautworden sein 11. Conrad Ilmera ist 1684 im Besitz

des Hofes, 1739 übernimmt ihn die BauernfamilieGerloff, die einschließlich Erben bis in das 20.Jahrhundert den Hof besaß.

Der heute viergeschossige Turm wurde aufgrundder Rundbogentür des kreuzgratgewölbten Oberge-schoss des Turmes in die Romanik datiert (Abb. 21)12. Die von zugearbeiteten Grauwackeblöcken ein-gefasste Öffnung wird vom Obergeschoss desFachwerkhauses erschlossen. In der innenliegendenTürnische befindet sich der obligatorische Balken-riegelschacht.

Heinrich Bergner (Bau- und KunstdenkmälerWolmirstedt, S. 99) teilt den Turm in 3 Geschosseein, in das Mittelgeschoss mit Rundbogentür,Kreuzgewölbe und Kamin, in das balkengedeckteUntergeschoss, das er als Keller bezeichnete, und indas Obergeschoss mit Flachbogenfenster. Die Ton-nenwölbung im heutigen Keller wird von ihm nichterwähnt. Das Mauerwerk besteht in der äußerenSchale aus lagig versetzten, klein- bis mittelforma-tigen, hammergerecht geschlagenen, quadrigen biswürfelförmigen Bruchsteinen des Rotliegenden,der Grauwacke und aus Quarzit. Die Eckverbändebestehen aus hammergerecht zugearbeiteten größe-ren Quadern, die meisten Fensteröffnungen, ausge-

Abb. 18 (links) Rothensee, mo-dernes Kataster mit der

Bebauung des Turmhofes.

Abb. 20 (rechts)Der Wohnturm mit angefügtem

Fachwerkhaus von 1650.Ansicht und Grundriss des

Obergeschosses nach Bau- undKunstdenkmäler des Kreises

Wolmirstedt 1911, S. 99.

Abb. 19 (links)Mittelalterlicher Turm auf einem

der historisch belegten Freihöfe inRothensee, der seiner primären

Bestimmung nach alsEigenbefestigung bezeichnet

werden kann.

Abb. 21 (rechts)Rundbogentür in der Ostwanddes Hauptgeschosses, die vomangrenzenden Fachwerkhaus

erschlossen wird.

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5 1Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

nommen zwei Fenster im obersten Geschoss, sindsekundär im umgebenden Mauergefüge. Der La-genversatz zeigt zwar Übergänge zu Ausgleichs-schichten und Formatwechsel, dennoch ist er in sei-ner Homogenität ein durchaus signifikantes Lagen-mauerwerk des 12./13. Jahrhunderts. Speziell in derWestfassade wird zudem die bevorzugte Verwen-dung von ausgesprochen kleinformatigen, quadri-gen Bruchsteinen des Rotliegenden deutlich. DerBereich der Verwendung beschränkt sich auf dasoberste Geschoss und markiert in dieser Fassadegleichfalls den Übergang von einem älteren Dach-giebel zum nachträglich aufgesetzten Umfassungs-mauerwerk des letzten Turmgeschosses (Abb. 23).Die gleiche Gefügeunregelmäßigkeit tritt an denSüd- und Nordseiten, jedoch als horizontale Baufu-ge in Höhe der Traufe des Giebels auf.

In der Westfassade zeichnen sich über Stoßfu-gen von Eckverbänden schmale primäre Öffnungab, die ein primär ca. 1m tiefer liegendes, Ge-schossniveau belegen. Demnach müßte das Kreuz-gewölbe im Hauptgeschoss des Turmes sekundärsein (Abb. 22, 23). Der tonnengewölbte Kellermuss nach diesen Befunden als sekundäre Unter-fangung gedeutet werden, deren Datierung wohlmit der des Fachwerkhauses von 1909/10 identischsein dürfte (Kunstdenkmäler Wolmirstedt, S. 99f.).Die Erschließung des tonnengewölbten Kellersdurch eine Türöffnung wurde erst durch die massi-ve Unterfangung des Fachwerks möglich.

Im gleichen Bauzusammenhang entstand dasfolgende Zwischengeschoss, das eine Balkendeckezum gewölbten Hauptgeschoss erhielt. Der Kamindes Hauptgeschosses kann trotz der sekundärenStellung des Kreuzgewölbes durchaus primär imTurm eingerichtet worden sein.

Das oberste Geschoss wurde nach der Befundla-ge eindeutig nachträglich auf Ortgang und Traufedes romanischen Bestandes aufgesetzt und mit Seg-mentbogenfenstern gegliedert, die über stilistischeMerkmale in das 17./18. Jahrhundert datieren.

Für die Datierung des Wohnturmes geben die hi-storischen Quellen leider keine hinreichenden An-haltspunkte, die Bausubstanz selbst verweist in eineZeitspanne, die von der überlieferten Ersterwäh-nung Rothensees 1176 bis ca. 1250 reicht.

Der hochliegende Primäreingang reflektiert denTypus des wehrhaften Turmes, der in den Baukom-plex einer mittelalterlichen Eigenbefestigung, beitemporärer Wohnnutzung einbezogen wurde.

Für den Turm kann ein Satteldach mit Giebelnnach West und Ost rekonstruiert werden.

Der Tatarenturm am Ausgang desRemterganges in Magdeburg, Am Dom 4-5

Das in der Altstadt, in der Südostecke der histori-schen Umwehrung Magdeburgs stehende, als „Ta-tarenturm“ bezeichnete Bauwerk (Abb. 24, 25),wurde schon in zahlreichen Aufsätzen von WernerPriegnitz behandelt und historisch in die Entwick-lung der Stadtbefestigung eingeordnet. Das be-

Abb. 22 Wohnturm mit Fachwerkhaus im Längsschnitt undAnsicht von Nordost. Aus demNachlass Werner Priegnitz, jedoch von anderer Hand gezeichnet (um 1920). Kulturhistorisches Museum Magdeburg.

Abb. 23 (unten)Westfassade des Wohnturmes imTurmhof Rothensee. Befundskizzemit Bauphasen.

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5 2 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

zeichnete Gebäude ist im Stadtbild nicht gerade alsTurm zu erkennen, zumal es seit 1899 mit einerTordurchfahrt sekundär durchbrochen wurde. Esdient seitdem als Durchgang vom Remtergang zumFürstenwall und tritt durch die Aufschüttung desFürstenwalls sowie des ehemaligen Rondells „Geb-hard“ kaum als hohes Bauwerk in Erscheinung(Abb. 25). Nur vom tieferen Niveau des angren-zenden Gartens erscheint das Gebäude turmartig(Abb. 26).

Der Turm erhebt sich auf rechteckigem Grund-riss und steht mit der den Remtergang begrenzen-den Futtermauer in einer Flucht, was Werner Prieg-nitz zu seinen Rekonstruktionen der älteren Stadt-befestigung veranlaßt haben dürfte.

Name und Bauintention des Turmes wurden seitPomarius (1587) auf das Vordringen der Tataren

nach Mitteleuropa, speziell mit der Schlacht beiLiegnitz 1241, in Verbindung gebracht (UKB StadtMagdeburg I, S. 487, Nr. 821) 13.

Die Identifizierung des Bauwerks in histori-schen Abbildungen und Rissen ist nicht immer ein-deutig. Dagegen scheint sich der Besitz des Dom-stifts an diesem Turm auf den Standort innerhalbder Domimmunität zu begründen. Der Riss des Da-niel Meisner von 1623 gibt die bauliche Situationfür den betreffenden Bereich nach Auffassung desVerfassers sehr detailliert wieder. Ein schlanker,rechteckiger Turm steht direkt vor einem breiten,hohen Gebäude, die scheinbar beide in das doppel-te Mauersystem der Elbefront eingebunden waren(Abb. 27).

Die historische Forschung wies einem der Tür-me die aus dem Urkundenbestand ermittelte Be-zeichnung „Tatarenturm“ zu.

Der den Ausgang des Remterganges bildendeBaukörper unterscheidet sich durch den rechtecki-gen Umriss von den Stadtmauertürmen der elbseiti-gen Befestigungslinie. Diese Türme gründeten be-deutend tiefer im Verhältnis zum heutigen Niveaudes Fürstenwalls, wie die Untersuchung des„Turms in der ehemaligen Augenklinik“ von1997/98 belegte. Danach muss das von der Garten-seite als Turm erkennbare Gebäude in der Rekon-struktion der Mindesthöhe um ca. 7m auf ca. 18merhöht werden (Abb. 26). Die Legitimität der Bau-typbezeichnung Turm dürfte durch die Übernahmedes primären Gründungsniveaus vom benachbarten„Turm in der ehemaligen Augenklinik“ begründetsein.

Die rekonstruierten Proportionen und Maßver-hältnisse scheinen in der Ansicht des Daniel Meis-ner von 1623 (Abb. 26) ihre Bestätigung zu finden.In detaillierter Differenzierung zu den übrigen, imUmfeld stehenden Stadtmauertürmen, wird das öst-

Abb. 24 (oben links) ModernesKataster mit dem Turm am

Ausgang des Remterganges zumFürstenwall.

Abb. 25 (oben rechts) Ostfassadedes Tatarenturms mit dem

Ausgang des Remterganges zumFürstenwall. Der Bau steht mit über

der Hälfte seiner ursprünglichenHöhe in den Aufschüttungen des

Fürstenwalls.

Abb. 27 (darunter) Ausschnittaus der Stadtansicht des Daniel

Meisner von 1623. Zwischen demrechteckigen „Tatarenturm“ und

dem Stadtmauerturm am Rondell„Gebhard“ verläuft eine Mauermit dem Tor der „Ausfahrt der

Möllenvogtei“.

Abb. 26 (unten links) Ansicht desTatarenturms von Nordost mit

Ausgang des Remterganges zumFürstenwall und der gekrümmten

Futtermauer von 1880.Der Bestand ist bis auf das

erhöhte Niveau des Gartens zuverfolgen ist.

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5 3Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

lichere der Gebäude als hoher rechteckiger Turmmit einer Tormauer zum östlich gegenüber stehen-den Turm (Augenklinik) dargestellt.

Die in einer Urkunde von 1403 (UrkundenbuchStadt Magdeburg I, S. 486-487, Nr. 821) erschei-nende Bezeichnung „Taterntorme“ ist zweifelsfreimit dem tradierten Begriff Tatarenturm identisch,allerdings gibt die Quelle keine direkte Lagebe-schreibung 14 an.

Über die jüngere Geschichte des noch heute als„Tatarenturm“ bezeichneten Gebäudes bleiben wirweitestgehend im Unklaren. Für den primär kirchli-chen Besitz an dem hier behandelten, unter der Lie-genschaft „Am Dom 4-5“ geführten Gebäude,könnte das Fehlen jeglicher Akten in der Bauakten-kammer des Stadtarchivs oder auch die Aussparungaus den Besitzungen des Militärfiskus der FestungMagdeburg sprechen. Nach der Auflösung desDomstift übernahm der preußische Staat die Lie-genschaften (Abb. 28).

Der nach 1873 zu datierende Grundriss verdeut-licht den langrechteckigen Grundriss des Turmes,was eigentlich Kennzeichen von sogenannten Ke-menaten oder Festen Häusern sein sollte. Das Sei-tenverhältnis beträgt fast exakt 2:1, bei 6m Breiteund 11m Länge in den Außenmaßen (Abb. 28).

Unter diesen rein maßlichen Kriterien ist hierdie Frage zu stellen, mit welchem der in den Bild-quellen abgebildeten Mauertürmen das erhaltenenGebäude tatsächlich zu identifizieren ist. Die Ana-lyse des detaillierten Stichs von Daniel Meisnervon 1632 ergibt möglicherweise noch eine andereIdentifizierung des erhaltenen Baues mit einem inder Bildquelle dargestellten Gebäude. Der Stichstellt im vermeintlichen lokalen Umfeld des rezen-ten Turmes ein zweites, westlich hinter dem schlan-keren Turm stehendes, ebenso hohes Gebäude mitauffallend langrechteckigem Grundriss dar.(Abb.29). Dieses Gebäude erscheint nicht als Mauerturmder älteren Stadtmauer, vielmehr als Wohnturmoder als Kemenate innerhalb der Domimmunität.

Der rein formelle Vergleich des abgebildetenBauwerks mit der thüringischen Kemenate vonReinstädt zwingt sich schon über das signifikanteSeitenverhältnis exemplarisch auf (Abb. 30).

Um diese zweite Variante konkreter überprüfenzu können, sollten zu gegebener Zeit sondierendeUntersuchungen an der Bausubstanz, verbundenmit einem neuorientierten Ansatz der Archivre-cherche durchgeführt werden.

Das in den vorhandenen drei Ebenen, Keller-,Erd- und Obergeschoss, vollständig ausgebauteBauwerk konnte nur von außen einer Betrachtungunterzogen werden. Der unverputzte Bruchsteinbaubesteht aus Grauwacke, bei gleichzeitiger Verwen-dung des Rotliegenden und vereinzelt auch vonSandstein. Das Bruchsteingefüge wurde nicht inausgesprochenen Einzellagen versetzt, vielmehrzeichnen sich sogenannte Lagenpakete mit Aus-gleichsschichten in den Bereichen des vermeintli-chen Primärbestandes der Ostfassade ab. Diese istwie die übrigen Wandscheiben umfänglich durchden sekundären Einbau der Fenster- und Türöffnun-gen des 19. Jahrhunderts gestört worden (Abb. 31).

Die Auffüllung des umgebenden Geländes seitdem beginnenden 16. Jahrhunderts, mit der ab-schließenden Aufschüttung des Fürstenwalls 1722,führte zu der zu vermutenden Eingrabung desTurmbaues auf fast die Hälfte seiner Höhe.

Die neuzeitlichen Störungen der Bausubstanzwaren so umfänglich, dass zwischen den Fenster-achsen und an den Eckverbänden nur noch schmale

Abb. 28 Grundriss des 1.Stockwerkes von Turm undWohnung des 2. Domkustos(Räume 46-48), die bis 1873 alsWohnung des Wallmeistersdiente. Die Räume 49-54 warender Wohnung des Archivdienerszugeschlagen. Aus dem Bestandder Familie Sußmann,Am Dom 4-5, Magdeburg.

Abb. 29 (links) Magdeburg inSachsen, Daniel Meisner, 1623.Ausschnitt um das RondellGebhard auf der Südostecke derAltstadt Magdeburg. Hinter demin einer Innenecke desStadtmauerverlaufs stehendenTurm, stellt Meisner einkemenatenartiges hohes Haus dar.

Abb. 30 (unten) KemenateReinstädt in Thüringen. Der hohe,aus fünf Vollgeschossenbestehende Steinbau erhebt sichauf langrechteckigem Grundrissdes Seitenverhältnisses 2:1.

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5 4 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Streifen des aus ca. 40-50 cm mächtigen Lagenpa-keten aufgebauten, primären Bruchsteingefüges er-halten blieben. Ein Bauwerk allein über die Ver-satztechnik zu datieren, ist nur in Ausnahmefällenbedingt möglich. Deshalb kann der rudimentär er-haltene Primärbestand des „Tatarenturmes“ nurganz allgemein in die 2. Hälfte des 13. Jahrhun-derts datiert werden. Der Umbau des Turmes von1899 zu Wohnzwecken für den Diener des Staats-archivs brachte die gedoppelten Rechteckfenster imStil der Spätgotik und die Toreinfassung aus ge-schaltem Beton. Nur in den Giebelscheiben konn-ten Laibungen von primären Öffnungen festge-stellt werden, allerdings nicht die Öffnungsgrößenselbst.

Die sich auf das Niveau des Remterganges be-ziehende Rundbogentür in der Westfassade kann indas 16. Jahrhundert datiert werden. In der südlichenSchmalseite des Turmes besteht die Einfassung ei-ner ebenfalls rundbogigen Öffnung aus klosterfor-matigen Ziegeln. Diese im Bruchsteingefüge se-kundär eingebaute Öffnung bezieht sich auf dasumgebende Niveau und dürfte zusammen mit demOberlicht in das 16. Jahrhundert datiert werden.Über die verwendeten Ziegel ist die gleichzeitigeVermauerung dieser Rundbogentür, des Oberlich-tes und der Einbau einer segmentbogig überspann-ten, rechteckigen Türöffnung in der Mittelachse derFassade in eine spätbarocke Bauphase zu datieren.

Somit lassen sich am Turm neben der primärenBauphase des Turmes aus der Mitte des 13. Jahr-hunderts, eine renaissancezeitliche Bauverände-rung mit Türöffnungen in der Süd- und Westwand,

eine spätbarocke Türöffnung in der Südwand undder vollständige Ausbau zur modernen Wohnein-heit am Ende des 19. Jahrhunderts rekonstruieren.

Der Wohnturm von Benneckenbeck,Groß Ottersleben, Am Alten Turm 2

Im ehemaligen Gutspark von Alt Benneckenbeck,in der Niederung der „Beke“, befindet sich ein vier-geschossige Wohnturm. Er wird dem mittleren, derdrei seit 1703 geteilten ehemaligen Freihöfe zuge-ordnet.

Die Ortslage Benneckenbeck erstreckte sich imdirekten östlichen Anschluss an den im Mittelalterbefestigten Ort Groß–Ottersleben und war als Guts-

Abb. 31 Befundskizze derOstfassade des Tatarenturms mit

der primären Bauphase des13. Jahrhunderts [1], mit den

umfänglichen Störungen durchEinbau des Durchgangs und derFensteröffnungen [2] von 1899,die lediglich die Giebelscheiben

des ursprünglichen Bestandesverschonten. Die jüngste Störung

ist der außenliegendeKellerzugang [3] des

20. Jahrhunderts.

Abb. 32 Ortslage Benneckenbeckim Historischen Meßtischblatt –

Nr. 2167. Die Gutssiedlungwurde 1920 nach Groß

Otterleben, 1922 mit KleinOttersleben zusammengelegt und

1952 nach Magdeburgeingemeindet.

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5 5Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

siedlung eines Ritters Bonike angelegt worden.Noch um 1853 bestand der Ort lediglich aus 3großen Gehöften südlich des Weges (Abb. 32). DieOrtslage wurde von dem namenstiftenden Bachlaufder „Beke“ nach Süden begrenzt (Abb. 33). Der OrtBenneckenbeck war schon immer nach Groß– Ot-tersleben eingepfarrt, die Gerichte besaßen noch1780 die Eigentümer der 3 Ackergüter und nichtdas Amt der Domvogtei zu dem Groß Otterslebengehörte (Oesfeld 1780, S. 141f.) 15.

Die erste Bestandsaufnahme und Publizierungdes Turmes erfolgte durch H.-J. Mrusek (1958, S.32, Abb. 39, 40), nach gleichzeitiger Dokumentati-on durch Werner Priegnitz (Abb. 34), zu einem Zeit-punkt als der Turm schon stark beschädigt und inden Obergeschossen unzugänglich war (Abb. 35).

Das ehemalige Gut Benneckenbeck war um1360 Wohnsitz des Ritters Bonicke, der den Ort andem Bachlauf „Beke“ gründete (Werte unserer Hei-mat, Magdeburg, S.109f.). Im Jahre 1594 übernahmder Erbkämmerer des Herzogs von Braunschweig,H. Albrecht Mynsinger von Frundeck, das GutBenneckenbeck. Im Jahre 1652 wird das Gut vonBürgermeister Lentke erworben und 1703 in dreiFreigüter aufgeteilt (Dehio, Sachsen-Anhalt I, S.609).

Der mittlere Hof mit dem im Park stehendenWohnturm gelangte 1902 in den Besitz der FamilieKöhne (Am Alten Turm 2), und wurde im Zuge derBodenreform in 7 Neubauernhöfe aufgeteilt 16.

Der sich auf quadratischem Grundriss von 6,4 mKantenlänge über 4 Geschosse erhebende Turm be-steht aus Bruchsteinmauerwerk des Bundsand-steins, Muschelkalks und vereinzelt aus Rogenstein(Abb. 36-37). Die aus großen Muschelkalk-Hau-steinen bestehenden Eckverbände fassen die aussehr flachen und plattigen Bruchsteinen bestehen-den Wandscheiben ein. Das Fugenbild ist mit Kalk-mörtel geschlossen, der als berappter Putz auf denFassaden aufgeworfen wurde. Die Bruchsteine desim Erdgeschoss 1,3 m starken Mauerwerkes sind inLehm versetzt worden. Markantes Kennzeichen des

schlanken und hohen Turmes sind die scheinbarprimär im Gefüge eingebundenen Tür- und Fenster-gewände.

Im Erdgeschoss der Westfassade befindet sicheine Rundbogentür mit außenliegendem Anschlag-falz und der eingeschlagenen Jahreszahl 1594. DieOstfassade wurde offensichtlich nachträglich miteiner spitzbogigen Öffnung des 19./20. Jahrhun-derts durchbrochen. Die drei Obergeschosse desTurmes sind in allen Fassaden mit Fenstern und inder Nordfassade zusätzlich mit Türöffnungen ge-gliedert. Alle Kalksteingewände, sowohl der Türenals auch der gedoppelte Rechteckfenster, wurdenmit einer äußeren Verkröpfung im unteren Drittelgearbeitet. Diese bildet mit der umlaufenden Werk-steinkante eine Putzkante, weshalb für die Einbau-phase der Gewände auf den gleichzeitigen Verputzdes Turmes geschlossen werden muss.

Die Segmentbogenfenster des 3. Obergeschos-ses bestehen aus Ziegellaibungen und werden vonEntlastungsbögen aus Grauwacke überspannt. Die

Abb. 33 (links) Kataster mitMarkierung des Turmes in einerextra ausgeschiedenen Parzelle,die ab 1902 zum KöhnschenHofe gehörte, davor zumMittelhof.

Abb. 34 (rechts) Turm im Parkvon Alt Benneckenbeck, OT vonOttersleben. ZeichnerischeBestandsaufnahme durchW. Priegnitz. Aus NachlassWerner Priegnitz imKulturhistorischen MuseumMagdeburg.

Abb. 35 (links) Der Wohnturm imPark von Alt Benneckenbeck vonSüdwest, um 1950. Archiv desLDA Sachsen – Anhalt.

Abb. 36 (unten) Südfassade desWohnturms im Frühjahr 2003.

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5 6 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Ostfassade wird in dieser Ebene von einem Okulusdurchbrochen, dessen Kalksteingewände wie diegefasten Rechteckfenster gestaltet worden ist. DieRundbogentür des 2. Obergeschosses in der Nord-fassade wurde durch Einbau einer Ziegelscheibenachträglich zu einem Okulus umgebaut.

Die gefasten Gewände sind an sich eine langle-bige Gestaltungsform des späten Mittelalters aberauch des ganzen 16. Jahrhunderts. Die Bauinschrift1594 sollte in baueinheitlicher Datierung mit demEinbau aller Gewände selbst gesehen werden. DieÖffnungs- und Werksteinformen widersprechendiesem zeitlichen Ansatz nicht. Zur architektoni-schen Gliederung der Fassade gehörte ein Rapputzmit abgesetzter Eckquaderung eines geriebenenGlattputzes. Von dem in den 50er Jahren noch imGespärre vorhandenen Zeltdach sind nur noch ein-zelne, abgestürzte Balken erhalten. Die dendro-chronologische Bestimmung des Fälldatums ergab1661 17.

Das mit dickem Schalungsmörtel überzogenespitzbogige Bruchsteingewölbe des Erdgeschosseswird mittig von einem sekundären Pfeiler ausKalksteinblöcken unterstützt. An der Ostwand desRaumes zeichnet sich der Abriss einer durch das

Kreuzgewölbe gezogenen Kaminhaube, einer dar-unter angeordneten Herdanlage, ab. Der Kaminzugmuss in der Wandstärke der Ostwand nach oben ge-führt haben und im weiteren Verlauf auf eine derGebäudeecken der Ostseite verzogen worden sein.Das rezente Fenster im 1. Obergeschoss störte auf-grund seiner sekundären Stellung den Befund nicht(Abb. 39). Es wurde vermutlich erst Ende des 19.Jahrhunderts eingebaut. In der Nordwand des alsKüche eingerichteten Erdgeschosses befand sich zu-dem ein hochliegendes Fenster, dessen Segmentbo-gennische erkennbar ist. Die Zugänge des 1. und 2.Obergeschosses lagen geschossweise getrennt in derNordwand des Turmes, das heißt das 3. Oberge-schoss mußte letztlich von innen erschlossen wer-den. Im 1. Obergeschoss konnte unter dem glatten,die Wandflächen und Fensternischen überziehendenPutz ein primäres Kreuzgewölbes aus Ziegeln nach-gewiesen werden. Die ursprünglich vorhandenenSchildbögen wurden entfernt und deren Einbin-dungsschlitze mit kleinsteinigem Bruch ausgemau-ert. Die Bögen der Fensternischen schneiden denVerlauf der Schildbögen wohl nicht (Abb. 38).

Resümierend können wir einen Bruchsteinturmmit gewölbtem, als Küche eingerichteten und vonaußen erschlossenen Erdgeschoss rekonstruieren.Das gewölbte 1. Obergeschoss könnte einen Ka-min in der Ostwand enthalten haben, die techni-schen Vorgaben eines Kaminzuges vom Erdge-schoss waren zumindest gegeben.

Die ersten beiden Obergeschosse wurden vonaußen über Leitern oder Stiegen erschlossen.

Die baustratigraphisch eindeutige Trennungzwischen dem primären Ziegelgewölbe im 1. Ober-geschoss und dem alles überdeckenden Innenputzmuss nicht unbedingt auch die bauzeitliche Diskon-tinuität zwischen Ziegelgewölbe und den Fen-steröffnungen bedeuten. Ein Indiz für die baulicheGleichzeitigkeit von Fenster- und Türgewändenund Gewölbe könnte der externe Zugang zum 2.Obergeschoss sein, denn nur bei Vorhandensein desGewölbes im 1. Obergeschoss wäre er zwingend er-forderlich gewesen.

Die örtlichen Gegebenheiten erlaubten aus Si-cherheitsgründen leider keine tieferen Eingriffe indie Substanz, um die Frage nach dem bauzeitlichenVerhältnis der Werksteingewände zur Bauhülle zuklären. Von daher könnte für den Turm in seinerGrundkonstruktion sowohl eine frühere Datierungaber auch die baueinheitliche Datierung mit denGewänden von 1594 vorgenommen werden.

Die Übernahme des Rittersitzes 1594 durch denErbkämmerer des Herzogs von Braunschweig Alb-recht Mynsinger von Frundeck steht entweder fürdie Bauintention des Turmes als Gesamtwerk odernur für die nachträgliche repräsentative Ausstat-tung des Turmes mit größeren Fensteröffnungen,bei Beibehaltung der Gewölbe im Erd- und Oberge-schoss. Der Ausbruch des Gewölbes im 1. Oberge-schoss, der damit verbundene Einbau von Decken-balken und die Veränderung der Türöffnung im 2.Obergeschoss zu einem Okulus könnten im bauli-chen Zusammenhang mit dem Zeltdach von 1661stehen.

Abb. 39 (oben) Befundskizze derOstfassade. Neben dem

Rapputz mit Eckquaderung (P2),der auch an die Gewände

anschließt, sind Restflächen einesvermutlich älteren berappten

Putzes (P1) erhalten. Die jüngstenVeränderungen des 19. und 20.

Jahrhunderts werden von denPutzen (P3/4) markiert.

Abb. 37 Türgewände mitJahreszahl 1594 in der

Westfassade des Wohnturms.

Abb. 38 Westwand des1. Obergeschosses mit demrekonstruierten Verlauf desprimären Ziegelgewölbes.

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Literatur: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Jerichow, Berab. von ErnstWernicke, Halle a.d.S. 1898Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Wolmirstedt, Berab. vonHeinrich Bergner, Halle a.d.S. 1911.Dehio, Georg /Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt I, Bearb. von Ute Bednarz,Folkhard Cremer u.a., München/Berlin 2002.Mrusek, H.-J., Gestalt und Entwicklung der feudalen Eigenbefestigungen im Mittelalter. Abhandlungender Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse. Berlin 1973,Band 60, Heft 3.Mrusek, H.-J., Zur Städtebaulichen Entwicklung Magdeburgs im hohen Mittelalter. Hrg. Rat der StadtMagdeburg, Abt. Kultur. Magdeburger Schriftensammlung. Magdeburg 1958, S. 33, Taf. XIX, Abb. 36.Sonderdruck.Oesfeld, C. L., Topographische Beschreibung des Hertzogthums Magdeburg und der Grafschaft Mans-feld Magdeburgischer Hoheit. Berlin, Wever 1780.Pomarius, M. J., Summarischer Begriff der Magdeburgische Stadt Chronicken/ darin angezeigt wird/wenn dieselbe Stadt ohnegefehr zu bawen angefangen/ auch was sich sieder anfangs derselbigen/ bis auffdiese gegenwertige zeit/ fast in die sechzehen hundert Jar/ Dechtwirdiges alda begeben und zugetragenhabe, Magdeburgk M.D.LXXXVII.Urkundenbuch der Stadt Magdeburg. Erster Band. Bearb. von Gustav Hertel. Geschichtsquellen derProvinz Sachsen und angrenzender Gebiete., Hrg. von der Historischen Kommission der Provinz Sach-sen. 26. Band. Halle/S. 1892. Zweiter Band, Halle/S. 1894. Dritter Band, Halle/S. 1896Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg, Teil 1: 937 –1192. Bearb. von Friedrich Israel. Geschichts-quellen der Provinz Sachsen und des Freistaats Anhalt. NR. Band 18. Magdeburg 1937.Urkundenbuch des Klosters Berge bei Magdeburg. Bearb. von H. Holstein. Geschichtsquellen der Pro-vinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Neunter Band. Halle/S. 1879.Werte unserer Heimat, Magdeburg und seine Umgebung, Berlin 1972.

Bildquellennachweis: 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 21, 23, 25, 26, 30, 31, 33, 36, 37: DuB 20033: Mrusek22, 34: KHM14: Kloster Berge Stiftung, Archiv Leitzkau 28: Fam. Sußmann35: Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege:

1 LHASA, Rep. A5a Gen. Nr. 42 Gutachten vom 11.12.2002, Dr. B. Heußner, Petershagen, Fälldatum 1709, Waldkante.3 Hinsichtlich der Befunde in der „Villa Brandt“ ist der Grabungsbefund in der Bergstraße 3-5, Halle/S.,

hervorzuheben, da Verfasser aus einem der ergrabenen Türme ein ganz ähnliches monolithischesRundbogenfenster geborgen hat. Ortsakte Halle/S. im Landesmuseum Halle.

4 s. Anm. 2, 2 Proben aus dem Dachgespärre des Fachwerkbaus: Fälldatum kurz nach 1687.5 Der Terminus technicus Festes Haus wird hier bewusst zur Unterscheidung des behandelten Baukör-

pers von den Türmen verwandt, ohne dass eine diesbezügliche historische Quelle vorliegt. Der histo-riologische Begriff Turmhaus musste zur Vergleichbarkeit des Objektes mit älteren Bearbeitungenweiterhin einleitend benutzt werden.

6 LHASA, Rep. A 4k I. Lit. P. Nr. 14, Pag. 15: „Nachrichtung wegen des Kleinen Hoffes zu Prester. An-no 1572, ...Ist beliehen Jacob Rode mit des Closters Capittelhoff nebst zweÿen Huffen Landes...“.

7 LHASA, Rep. A 4k I. Lit. P. Nr. 33, Pag. 9ff., 33ff., 50f.8 LHASA, Rep. A 4k III, A II. c. Nr.8, 1846: Der Begriff „Turmgarten“ taucht erstmals in den Akten zu

Reparaturen auf den Besitzungen des Klosters Berge auf. 9 UKB Unser Lieben Frauen, S. 134, Nr. 150, 1282: “...Iohannes miles dictus de Rodense...“

10 StA Magdeburg. ZA 137.2411 StA Magdeburg, Magdeburger Zeitung vom 24.3.1988: Der Turmhof Rothensee.12 Das Kreuzgratgewölbe befindet sich im heutigen 2. Obergeschoss, das wohl ursprünglich das erste

Obergeschoss war, da das darunterliegende, niedrige Zwischengeschoss sekundär sein dürfte, weshalbes in der Bestandserfassung der Baudenkmäler von 1911 auch keine Berücksichtigung fand.

13 Die älteste Erwähnung findet sich in der Urkunde von 1403, in der ein „Taterntorme“ im Zusammen-hang mit dem „torme bi dem badestoben“ genannt wird.

14 Urkundenbuch der Stadt Magdeburg I, S. 486-487, Nr. 821, 1403: „Vorumb die phorten vor demgange, als man geit zu unser hern der thumhern badstoben, dar sullen unse hern dy thumhern eyne tho-re lazen vore hengen, dar mete sie den gangk besluszen, und dar zcu sal der uff dem taterntorme unduff dem torme bi dem badstoben itzlicher eynen sluczel haben und ouch der marktmeister eynen slos-zel von unser wegen, ab man des bedorffte, wan man schiltwache geit“.

15 Herzogtum Magdeburg, 1780: Holzcreis, 1. District, 4. Schriftsässige Rittergüter, (5) Die Mustoph,Niesche und Lamprecht, als Eigentümer der 3 dasigen Güter haben die Gerichte im Dorf Bennecken-beck.

16 StA Magdeburg, Groß Ottersleben, Winkel 2, ab 1954 Am Alten Turm 2.17 Die dendrochronologische Bestimmung des Fälldatums 1661 wurde von Dr. B. Heußner, Petershagen,

durchgeführt.

Anmerkungen:

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Jahrhundertelang war der Domplatz oder auch derNeue Markt in Magdeburg Sitz von kirchlichen undVerwaltungseinrichtungen. Im Mittelalter warender Dom und die erzbischöflichen Ämter das allesbeherrschende Element (Abb. 1). Neben dem Domgab es im Bereich der Stiftsfreiheit noch anderekirchliche Bauten, die Stifter. Es waren dies z.B. St.Nikolai, St. Gangolph und St. Sebastian. Sie warenEigenstifte des Domkapitels und von diesem abhän-gig, was in ihrer Verfassung zum Ausdruck kam.

Seit 1107 amtierte in Magdeburg ein aus Halber-stadt vertriebener Domvikar als Erzbischof Adel-got. Er gilt als eigentlicher Gründer des Nikolai-stifts, das 1107/08 erstmals bezeugt ist. Eine Stif-tungsurkunde konnte bisher nicht beigebracht wer-

den. Wie aus dem Namen hervorgeht, wurde es St.Peter und St. Nikolaus geweiht. Der Name St. Peterkam später in Wegfall, wahrscheinlich weil, die Pe-trikirche in der Altstadt ihn zum Hauptheiligen er-wählt hatte. Der Domherr Bernhard von Domersle-ben stellte einen Teil des Stiftungsgutes zur Verfü-gung. Adelgot selbst fügte später weitere Liegen-schaften hinzu.

Das Nikolaistift soll unmittelbar vor den West-türmen des Doms gelegen haben (Abb. 2). Der öst-liche Teil des Chores der Nikolaikirche reichteeventuell bis an die heutigen Domtürme heran. Soberichtet es jedenfalls die Schöppenchronik. Wahr-scheinlich erstreckte sich der Vorgängerbau desheutigen gotischen Doms, der 1207 abbrannte,nicht soweit nach Westen, dass beide Bauten sichbehindert hätten. Die Kleriker des Nikolaistiftesdurften die im Atrium des Domes gelegene Kapelle(Rotunde) als Stiftskirche nutzen. Was mit dieserRotunde gemeint ist, lässt sich schwer einschätzen.Schon Thietmar von Merseburg schreibt in seinerChronik von einer „ecclesia rotunda“. Ob sie mitder Nikolaikirche identisch ist, wird sich schwernach der Zerstörung durch die Wenden feststellenlassen.

Rotunden sind entweder Tauf-, Grab- oderSchlosskirchen. In diesem Falle wird es sich um ei-ne Taufkirche gehandelt haben, die wahrscheinlichzuerst Johannes dem Täufer geweiht war, ehe sienach ihrem Wiederaufbau zur Stiftskirche umge-wandelt wurde. Die Rotunde soll in der Mitte einTaufbecken gehabt haben. Umgeben wurde sie voneinem von Säulen umstandenen Vorhof, der sie un-mittelbar mit dem Dom verband.

Friedrich Wilhelm Hoffmann ist der Auffassunggewesen, dass der Ottonische Dom, das Moritzklo-ster, die Wohnungen von Geistlichen und auch dieNikolaikirche an jenem Karfreitag 1207 abgebranntsind. Bei der Erbauung des jetzigen Domes wurdeeine geeignetere Stelle gesucht, als die, die der ab-gebrannte Dom eingenommen hatte, denn er lagweiter nördlich und deshalb zu dicht am KlosterUnser Lieben Frauen. Die bessere Lage wurde amOrt des abgebrannten Moritzklosters und der klei-nen Nikolaikirche gefunden. Die Erbauer des neuenDomes hielten die Lage, wo sich der Dom heutenoch befindet für freier, der Neubau konnte besserzur Geltung kommen.

Als der Platz für den Westbau des gotischenGotteshauses benötigt wurde, erhielten die Stifts-herren 1306 an der Nordwestecke des DomplatzesGrundstücke und zwar den Hof des Domherrn Sieg-fried von Anhalt für den Neubau ihrer Kirche undaller erforderlichen Nebengebäude. 1310 wird be-

Abb. 1 Magdeburg vor derZerstörung 1631 (Ausschnitt)

Ölgemälde im KulturhistorischenMuseum Magdeburg

Das Nikolaistift und seine Kirche in MagdeburgIngelore Buchholz

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urkundet, dass das Nikolaistift ein weiteres Grund-stück zu diesem Zweck erhält. Es war ein Platz aufdem Hof der Dompropstei gegen Abtretung derStelle, auf der die Stiftskirche bisher gestanden hat.Natürlich handelte es sich bei der sozialen Stellungihrer bisherigen Besitzer um Steinhäuser, was jüng-ste Ausgrabungen bestätigt haben.

Bei dem Dombau war die Kirche des Nikolaistif-tes, solange es möglich war, geschont worden. Soll-te der Dombau aber nicht vollends zum Stillstandkommen, musste Anfang des 14. Jahrhunderts mitdem Abbruch begonnen werden.

Zu den Grundstücken für den Kirchenneubau ka-men nicht unerhebliche Geldmittel, so dass dasStift durchaus in die Lage versetzt wurde, den Neu-bau durchzuführen. Wahrscheinlich wurde um 1350mit dem Kirchenneubau begonnen. Es entstand eindreischiffiger gotischer Hallenbau von beträchtli-chen Ausmaßen. Im Innern betrug die Länge59,55 m, die Breite 23,65 m und die Höhe18,30 m. Damit konnte sie mit einigen inder Stadt vorhandenen Kirchen durchauskonkurrieren, ja sie sogar übertreffen.Der Raum war durch acht Pfeilerpaarein 27 Mittel- und Seitenjoche aufge-teilt. Er war ursprünglich einge-wölbt. Der Chor tritt nicht als be-sonderer Teil des Baus hervor.Die ungleiche Behandlung derArkadenstützen und der Gewöl-beträger hatte wahrscheinlichdas Ziel, den Ostraum des Bau-werkes als Chor und den west-lichen Teil als Vorderschiff zukennzeichnen. Obwohl beiden archäologischen Ausgra-bungen ein Quermauerriegelim östlichen Hauptschiff aufge-deckt wurde, der von den Archäo-logen als Lettner interpretiertwird, ist dies baugeschichtlich eherunwahrscheinlich. Lettner treten abdem 13. Jahrhundert auf. Er ist einMerkmal der Gotik, war aber in derRegel nur den Bischofskirchen vor-behalten. Nach 1500 werden dieLettner unüblich.

Von vornherein war die Kirchewohl als turmlose Hallenkirchegeplant. Bereits 1540 wurde dieNikolaikirche durch einen Brand

beschädigt. Danach musste insbesondere das Dacherneuert werden. Aber auch der nördlich der Kircheliegende Kreuzgang hatte gelitten.

Von der Zerstörung Magdeburgs im Jahre 1631blieb die Nikolaikirche nicht ausgenommen. Wie-der wurde das Dach vernichtet. Da lange Zeit keineReparaturen erfolgten, stürzten auch Gewölbe ein.Erst ab 1677 konnten sich die Stiftsherren zu ge-wissen Reparaturen entschließen. 1683 war sienoch immer nicht völlig wiederhergestellt, wasdurch die kurfürstlichen Stellen scharf gerügt wur-de. Die Stiftsherren entschuldigen sich mit man-gelnden Geldmitteln. Erst 1688 ist der Bau soweitgediehen, dass darin wieder Gottesdienste abgehal-ten werden konnten. Das Dach war erneuert und ei-ne flache Balkendecke eingezogen worden, die biszur endgültigen Zerstörung im Zweiten Weltkriegso erhalten blieb.

Vom Breiten Weg konnte die Ostseite des Stift-geländes durch den Kreuzgang erreicht werden.Dieser war ein dunkler, tiefliegender Gang. SiebenStufen führten in den Kreuzgang hinab und auf derOstseite wieder herauf.

Anfang des 18. Jahrhunderts fasste der Gouver-neur Fürst Leopold von Anhalt-Dessau den Plan,eine Verbindungsstraße vom Breiten Weg zumPosthaus anzulegen. Dagegen verwahrten sich dasKapitel und der Dechant Stilcke. Als Begründunggaben sie an, dass der dazu notwendige Abbruchdes Kreuzganges die Kirche beschädigen könne, dabeide fest miteinander verbunden seien.

Auch der Hinweis auf den seit Pestzeiten starkbelegten Friedhof neben dem Kreuzgang, der

den Bauarbeiten auch zum Opfer fallen würde,nützte nichts.

Leopold ließ dem Kapitel am 22. Mai 1724mitteilen, falls nicht bis 2 Uhr angefangen

würde, den Kreuzgang abzubrechen, wür-den 20 Steinbrecher antreten. Was dannauch geschah. Der Kreuzgang und diemit ihm verbundenen Gebäude wurden

abgerissen. Die Kreuzgangstraßeentstand. Unter den Kellern derneuerbauten Privathäuser in der

Kreuzgangstraße befanden sich wei-terhin Gräber vom ehemaligen Friedhofder Nikolaikirche, wie die Ausgrabun-gen belegten..

Auf alten Stadtansichten von Merianund Pomarius erscheint die Nikolaikir-che immer mit einem großen, allseitiggewalmten Satteldach. Das Dach warmit einem Türmchen versehen. Über-haupt ist der gesamte Bau sehr schlichtgewesen, wie unschwer aus dem Grund-riss des Regierungsbaumeisters ErichWolfrom ersichtlich ist (Abb. 6). Einst-mals vorhandene Einwölbungen sindnach den verschiedenen Zerstörungennicht wieder ausgeführt worden. VonKunstwerken ist nichts erhalten geblie-

ben, woran wohl auch die Reformati-on ihren Anteil haben mag. Ur-sprünglich befand sich in einer goti-schen Nische an der Außenseite der

Abb. 2 Domfreiheit um 1180Westlich des Domes die Rotunde,wahrscheinlicher Vorgängerbauder Nikolaikirche

Abb. 3 Petrusehemals in der Nikolaikirche, jetztim Kloster Unser Lieben Frauen,Hochsäulige Kapelle

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Nordwand zwischen den beiden östlichen Fensterneine steinerne mittelalterliche Statue, die den Apo-stel Petrus darstellen soll (Abb. 3). Es ist die Figureines Mannes, nicht in voller Lebensgröße. Er istbärtig, barhäuptig, trägt ein langes Gewand und hatden Mantel über den rechten Arm geschlagen. Sei-ne Hände sind verstümmelt. Deshalb fehlen wohlauch die entsprechenden Attribute, wie z. B. derSchlüssel. Die Figur hat heute ihren Standort in derhochsäuligen Kapelle des Klosters Unser LiebenFrauen.

Der Haupteingang des Stiftes befand sich zurZeit Berghauers um 1800 auf der Westseite. Schondamals wurde die Kirche nicht mehr zu Gottesdien-sten genutzt. Vier Vikare und vier Choralisten san-gen nur noch wöchentlich viermal vor- und nach-mittags die Hora. Ein Teil der Kirche diente derAufbewahrung von Kriegsgerätschaften.

Das Stift selbst bestand bis 1810 (Abb. 4). AufBefehl Napoleons war die Kirche mehrere JahreKaserne und Lazarett. Erst 1827 wurde sie Zeug-haus.

Wie bereits erwähnt, war das Nikolaistift einerzbischöfliches Eigenkloster. Eigenklöster warenKanonikate, deren Priester nach verschiedenen Re-geln (Kanon) zusammenlebten. Derartige Kanoni-kate gab es an Bischofskirchen, aber auch an Pfarr-kirchen mit selbständiger Seelsorge und mehrerenKlerikern. Das Leben der Insassen, so auch der Ka-noniker des Nikolaistifts, beruhte auf der Benedik-tinerregel. Sie bildeten eine Lebens- und Gebetsge-meinschaft. Sie mussten körperlich vollkommensein und aus den besten Familien stammen. Vor al-lem aber war es wichtig, dass sie ehelich geborenwaren. Entsprechend der Forderung nach Bildung

war für die Kanoniker der erzbischöflichen Ei-genklöster Magdeburgs ein UniversitätsstudiumPflicht. Besonders die Universitäten Leipzig, Erfurtund Wittenberg wurden bevorzugt besucht.

Das Leben der Kanoniker war nicht so strengwie das der Mönche. Sie waren an die einfachenGelübde der Keuschheit, der Ehelosigkeit und desGehorsams gebunden. Fleischspeisen, privates Ei-gentum und eine eigene Wohnung waren Ihnen er-laubt. Sie verwalteten ihr Vermögen selbst und be-saßen ein eigenes Siegel. Der gemeinsame Speise-und Schlafsaal wurd von ihnen kaum benutzt. DasLeben der Kanoniker nahm zunehmend adlig-feu-dale Formen an und ließ die kirchlichen Pflichten

Abb. 4 Stiftsorden

Abb. 6 Kirchengrundrisse

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immer mehr in den Hintergrund treten. Sie hattensogar die Möglichkeit, aus der Gemeinschaft desStiftes auszutreten. Eine solche Entwicklung bahn-te sich im 12./13. Jahrhundert an. Ihren Lebensun-terhalt bezogen sie aus Schenkungen von Länderei-en und Gütern insbesondere aus der MagdeburgerUmgebung. Sie lebten von den Abgaben der höri-gen und leibeigenen Bauern sowie auch der freienBauern. Die Urkundenbücher des Erzstiftes und derStadt Magdeburg zeigen auf, wie viele Schenkun-gen an die einzelnen kirchlichen Einrichtungen imLaufe der Jahrhunderte gingen. Bemerkenswert ist,dass diese Schenkungen an das Nikolaistift nichtvom Stiftsadel, sondern in erster Linie vom Erzbi-schof und der hohen Geistlichkeit kamen. Das Stiftgelangte zu großen Besitztümern. Es war das reich-ste der Magdeburger Kollegiatstifter.

Das Nikolaistift, wurde von Prälaten geleitet.Der Propst vertrat es nach außen und verwaltete dieStiftsgüter. Dem Prior oblagen die inneren Angele-genheiten, besonders die Ordnung der Gottesdien-ste sowie die Disziplinargewalt. Der Kellner ver-waltete die Einkünfte und das Vermögen. Der Kü-ster hatte die Aufsicht über die Gebäude, denSchatz und das Archiv. Karitative Aufgaben, wiedie Unterhaltung eines Hospitals, wurden nicht er-füllt.

Im 16. Jahrhundert gab es im kirchlichen Lebeneinen gewaltigen Umbruch in Form der Reformati-on. Die Reformation, die unter schweren Auseinan-dersetzungen und harten Kämpfen entstand, be-wirkte die Auflösung der abendländischen Kir-cheneinheit. Neben der Papstkirche entstand dieevangelische Kirche, und sie behauptete sich in derFolge über die Jahrhunderte hinweg. Dies war vorallem möglich, weil es eine nach Veränderung derdamaligen Lage drängende Bewegung gab. Es wa-ren nicht nur kirchliche, sondern vor allem politi-sche und wirtschaftliche Probleme sowie allgemein

geistige Bestrebungen im Spiel. Die deutsche Re-formation war eine der umfassendsten Bewegungenin der deutschen Geschichte, die wesentlich vonMartin Luther geprägt wurde.

Um die Einführung der Reformation gab es auchin Magdeburg harte Auseinandersetzungen. DerRat der Stadt unter Bürgermeister Sturm holte, umdem Aufruhr Herr zu werden, Martin Luther nachMagdeburg, der in der Johanniskirche predigte. Am9. August 1524 wurden 18 Thesen verfasst. DieThese 4 widmete sich den Klöstern. Sie stellte fest,dass die geistlichen Gelübde wider Gottes Wort sei-en, sie seien gegen die menschliche Vernunft unddeshalb sei niemand an sie gebunden.

Mit Erzbischof und Domkapitel blieben die dreiStiftskirchen St. Sebastian, St. Nikolai und St.Gangolfi vorerst katholisch und auch die Klösterder Franziskaner, Dominikaner und Prämonstraten-ser. Damit war praktisch eine Zweiteilung der Stadterreicht. Es gab einen kleinen um den Dom ge-scharten südlichen katholischen Teil und einengrößeren evangelischen Teil im Norden der Stadt.Die Mehrheit der Altstadt mit ihren Kirchen warevangelisch.

Die Stiftsherren von Nikolai hatten die Refor-mation bisher abgelehnt und sich sehr reserviertverhalten. Es war vorgesehen, die Nikolaikirche alsDisputationsstätte zwischen katholischen und pro-testantischen Geistlichen zu wählen. Wahrschein-lich hat die ablehnende Haltung der Kanoniker ge-gen die Reformation bewirkt, dass es nicht dazukam.

Auf Drängen der Stände öffnete 1567 das Dom-stift den Dom für den evangelischen Gottesdienst.Die evangelischen Predigten hielt DompredigerSack. Noch im gleichen Jahr wurden die Stifter St.Gangolfi und St. Sebastian evangelisch. Bei St. Se-bastian predigte der damalige Rektor der Stadtschu-le Magdeburg, Georg Rollenhagen. Als letztes Stift

Abb. 9 Ausgrabungen auf demGelände der ehemaligenNikolaikirche im Jahre 2003

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folgte St. Nikolai im Jahre 1573. Als evangelischerPrediger wurde der Subdiakon am MagdeburgerDom, Martin Gallus, angestellt.

Regelmäßiger Gottesdienst wurde in der Stifts-kirche seit 1593 wieder abgehalten. Allerdings warder Zulauf gering. Die Gottesdienste fanden mitUnterbrechungen durch den Dreißigjährigen Kriegbis ins 18. Jahrhundert hinein statt.

In den letzten Jahrhunderten nach der Reforma-tion war das Stift zur Versorgungseinrichtung fürAdelige, Beamte und Offiziere verkommen. Derehemalige geistliche Charakter des Stiftes war völ-lig verloren gegangen.

In Magdeburg sind ältere Gräber, Grüfte undEpitaphien in Kirchen zu finden (Abb. 9). Außerauf dem Friedhof waren die Gewölbe der St. Niko-laikirche stark mit Erbbegräbnissen und Särgen be-legt. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Platz inder Kirche bereits knapp. Aber immer wieder wur-

de die Stiftsleitung um Begräbnisplätze gebeten,obgleich die Gebühren von 30 bis 90 Talern dafürnicht unerheblich waren. Die Särge mussten teil-weise übereinander gestellt werden.

Es war bekannt, dass die Familie Guericke dorteine Gruft besaß. Bei der Suche nach dem Grab desWissenschaftlers und Bürgermeisters Otto vonGuericke, dass ja lange Zeit unbekannt war und erstin den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wahr-scheinlich gemacht werden konnte, dass es sich inder Johanniskirche befindet, wurde das Interesse anden Beerdigungen in der Stiftskirche St. Nikolaigeweckt und Nachforschungen angestellt.

Mit der Aufgabe wurde der damalige Stadtarchi-var Dr. Ernst Neubauer beauftragt (Abb. 7).

Der Enkel Otto von Guerickes, Leberecht vonGuericke, hatte 1716 eine Gruft erworben. Darübergibt es einen Vertrag, der am 14. Mai abgeschlos-sen wurde (Abb. 5). Es muss sich um ein großes

Abb. 7 Zeichnung von ErnstNeubauer zu seiner ersten

Ausgrabung in der Nikolaikircheim Jahr 1908

Abb. 8 (rechts) Epitaph derFamilie Leberecht von Guerickes

aus dem Jahr 1717, vorher in derSt. Nikolaikirche, jetzt in der

Johanniskirche

Abb. 5 a bis c Vertrag Leberechtvon Guerickes mit den

„Capitulares“ des St. Nikolaistiftszur Errichtung einer Familiengruft

vom 16. Mai 1716

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Grab wahrscheinlich links neben der Kirchentürzum Altar hin gehandelt haben (Abb. 8).

Die erste Grabung Neubauers brachte keinerleiSpuren, die auf ein Grab Otto von Guerickes hinge-deutet hätten. Allerdings wurden noch drei un-berührte Gewölbe festgestellt. Dadurch wurde diebis zu diesem Zeitpunkt bestehende Auffassung,dass bei der Einrichtung der Kaserne 1808 alle Sär-ge entfernt worden seien, erschüttert. Daraus zogNeubauer die Schlussfolgerung, dass noch weitereunberührte Gewölbe vorhanden sein könnten und ineinem davon Otto von Guericke bestattet sein könn-te. Auf Grund dieses Befundes zog er nun viele so-genannte Augenzeugenberichte in Zweifel.

Eine zweite Grabung in der Stiftskirche unterder erneuten Leitung von Dr. Neubauer begann am9. Juni 1908. Sie dauerte drei Wochen und kostete519,14 Mark

Im Bericht für die Stadtverordneten vom 13. Ok-tober 1908 über das Ergebnis der Grabungen zogNeubauer folgendes Resümee: Es sind... im ganzen17 Einzel-Grabgewölbe verschiedener Größe fest-gestellt worden. Von diesen waren 8 bereits frühergeöffnet und mehr oder minder zerstört, 9 abernach der Beisetzung noch nicht wieder berührt. So-weit sich erkennen ließ, waren sämtliche Gewölbemit Ausnahme eines sehr tief gelegenen, das etwaaus dem 16. Jahrhundert stammte, im 18. Jahrhun-dert angelegt. Irgend einen Anhalt, einen Sarg alsden Otto von Guerickes oder eines seiner Nach-kommen zu bezeichnen oder eine bestimmte Gruftals das Guerickesche Erbbegräbnis anzusprechen,wurde nicht gefunden. Da indes nach Angabe einesAugenzeugen das Begräbnis im nördlichen Seiten-schiff gelegen haben soll und für acht Personen be-rechnet war, so ist zu vermuten, dass die größteGruft in der Mitte dieses Schiffs die der FamilieGuericke gewesen ist. Diese Gruft war ausgeräumtund teilweise mit Schutt bedeckt. Neubauer hält ander These fest, dass Otto von Guericke in der Niko-laikirche seine letzte Ruhe gefunden hatte.

Als Beweis führt er weiter aus: 1807 musste die

Nikolaikirche auf Befehl der französischen Militär-behörden Hals über Kopf in ein Lazarett umgewan-delt werden. Damals wurde der Fußboden der Kir-che um 30 cm erhöht; fast alle Leichensteine undGrabtafeln wurden herausgerissen und die Grüfte,soweit sie im Weg waren, ausgeräumt und eingeeb-net. Dies Schicksal hat offenbar das GuerickescheErbbegräbnis mitgetroffen; in der Bürgerschaftwurde damals erzählt, dass des Bürgermeisters Ge-beine herausgenommen seien. Man hob die Särgeaus der Gruft und beerdigte sie dann teils vor demSudenburger Tore, teils auf dem Krakauer Anger.

So sind also höchstwahrscheinlich 1807 Gue-rickes sterbliche Reste an einer dieser beiden Stel-len, die nicht kenntlich gemacht und inzwischenwohl längst wieder umgegraben sind, beigesetztworden und für die Nachwelt verschollen.

1812, am 7. April, wurde das Zeughaus durch ei-nen Brand total vernichtet (Abb. 11). Ein Neubauwurde nicht errichtet (Abb. 10). Die leerstehende

Abb. 11 „Plan der Stadt Magdeburg, Mit jedem einzelnenHause in seiner verhältnismäßigenGröße, 1829, Vorlage entworfenund in Stein gravirt von C. Robolsky“ Ausschnitt

Abb. 10 Das Zeughaus nachWolfrom

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6 4 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Nikolaikirche diente künftig bis 1918 als provisori-sches Zeughaus. Danach war sie Geschäftshaus undSpeicher.

Später wurde der Gedanke ihrer Wiederaufle-bung als Zeughaus erneut aufgegriffen. In der Zeitdes Faschismus war Franz Seldte der eigentlicheUrheber dieser Idee.

Franz Seldte, 1882 in Magdeburg geboren,Kaufmann, Fabrikant, Politiker, später Reichsar-beitsminister, hatte am 1. Weltkrieg teilgenommenund gründete am 25. Dezember 1918 in Magdeburgden „Stahlhelm“. 1919 erfolgte die Gründung desReichsbundes des Stahlhelms ebenfalls in Magde-burg, und Seldte wurde erster Bundesführer. DerSitz des Stahlhelms war Magdeburg.

Mit der Zustimmung Adolf Hitlers und HermannGörings wurden die Formalitäten, die zur Errich-

tung des Zeughauses nötig waren, schnell erledigt.Der Verein „Zeughaus-Museum, Alte Nikolaikir-che e. V.“ konnte sich bald als Besitzer der Immo-bilie bezeichnen.

Das Gebäude sollte als Museum für Uniformen,Waffen der alten Armee vor dem Weltkrieg1914/18, Beutestücke der jetzigen Kriege: Geschüt-ze, Maschinengewehre, Granatwerfer, Panzerbüch-sen, Gewehre, Uniformen usw. dienen.

Für den neuen Zweck wurde bereits 1936 mit derUmgestaltung des Bauwerkes begonnen. Positivdabei war, dass denkmalpflegerische Aspekte teil-weise beachtet wurden (Abb. 13).

Auf der Westseite hatten sich Stockwerkfensterbefunden. An ihrer Stelle entstand ein großes Spitz-bogenmittelfenster. Alle Fenster der Kirche wurdenwieder auf die gleiche Höhe gebracht und erhieltendie gleichen Ausmaße, was für die Raumwirkungund den Lichteinfall sehr vorteilhaft war (Abb. 12).

Im Zuge der Errichtung als Zeughaus erhielt dasGebäude neue Ein- und Ausgänge. Der Hauptein-gang entstand an der Südseite mit einem zweiachsi-gen Portalvorbau und konnte vom Domplatz ausdurch das wiedererrichtete Sterntor erreicht werden

Einen weiteren Eingang hatte das Zeughaus aufder Westseite. Er war besonders für Konzertbesu-cher gedacht. Vier Ausgänge an der Ost- und Nord-seite entsprachen den baupolizeilichen Forderun-gen nach Sicherheit. Im Innern der Kirche wurdeeine Orgelempore mit zweiseitigem Treppenauf-gang von der Halle aus geschaffen.

Besonders wichtig war die Instandsetzung desDaches und der Holzbalkendecke. Der alte Putz undAnstrich an den Wänden und Pfeilern wurden be-seitigt. Bei den Pfeilern wurde soweit noch vorhan-den, das Quadermauerwerk wieder sichtbar ge-macht. Der Fußboden erhielt einen Ziegelbelag ausrechteckigen gebrannten Ziegelplatten.

Schmückende Zutaten waren 20 große farbigeFenster, bleiverglast. Sie waren für die farblicheStimmung des Raumes ausschlaggebend, zumal dieWände nur die Farbe des Putzes aufwiesen. Die 16

Abb. 13 Zeughaus-Museum,Innenansicht

Abb. 12 Bauzeichnungen für denUmbau der Nikolaikirche zum Zeughaus-Museum, 1937/38

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6 5Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

farbigen Fenster an den Längsseiten zeigten im un-tersten Fünftel Wappen Magdeburger Familien, alsStifter der Fenster.

Eingeweiht wurde das Zeughaus am 18. Dezem-ber 1938 durch den Reichsarbeitsminister FranzSeldte.

An der Gestaltung des Hauses war eine Reihevon Künstlern beteiligt. Die Fenster hatte derKunstmaler Vogeler aus Berlin entworfen. IhreAusführung erfolgte in den Werkstätten von Ferdi-nand Müller in Quedlinburg. Die geschmiedetenBeleuchtungskörper waren in Berlin bei WalterBrendel hergestellt worden. Der KirchenmalerMannewitz-Jävenitz hatte die malerische Ausge-staltung ausgeführt. Die Orgel war ein Werk vonEmil Hammer aus Hannover. Die Gesamtbaulei-tung hatte Oberbaurat Dr. Ing. Dobert aus Magde-burg.

Nach Fertigstellung konnte die Halle 4000 Besu-cher fassen.

Im Innern war das Zeughaus ausgestattet mitTausenden von Fahnen des ehemaligen Stahlhelms.In Glasvitrinen waren Erinnerungsstücke ausge-stellt, darunter auch die Generalsuniform Hinden-burgs. Mit der Sammlung von Waffen wurde be-gonnen.

Die in der Halle konzentrierte militärische Prä-senz konnte allerdings nicht verhindern, dass dasZeughaus ebenfalls Opfer der Zerstörung Magde-burgs am 16. Januar 1945 bis auf die Außenmauernzerstört wurde.

Die Zerstörung Magdeburgs brachte auf jedenEinwohner 20 Kubikmeter Schutt. Deshalb galtendie ersten Anordnungen der damaligen Stadtver-waltung der Beseitigung der Trümmer und demWiederaufbau dringend benötigter Wohnungen.

Trotzdem wurde daneben mit den Arbeiten an denwertvollsten historischen Gebäuden wie dem Dom,den Bauten am Domplatz, dem Kloster Unser Lie-ben Frauen und dem Rathaus begonnen.

Die schwer zerstörte ehemalige Nikolaikirchewurde im Jahre 1959 gesprengt (Abb. 14). DieSprengung begann am 21. Mai 1959 mit der westli-chen Hälfte der Nordwand. Die Volksstimme teiltediese vorgesehene Sprengung am 26. Februar 1959mit. Anlass dafür bot die unmittelbare Einsturzge-fahr.

Bei den Plänen zur Gestaltung und zum Aufbauder zerstörten Gebäude am Domplatz, die es seit et-wa 1947 gab, war eine Neuerrichtung des Zeughau-ses nicht vorgesehen.

Auf der Westseite des Domplatzes sind zu Be-ginn des 21. Jahrhunderts monumentale Neubautenentstanden. Der Neubau der NordLB besteht ausedlen Materialien, wie dem Naturstein Quarzit.Durch seine blaue Färbung verbreitet das Gebäudeeine gewisse Kühle und Strenge und steht damit imKontrast zu den in warmen Farben getünchten Ba-rockbauten auf der Nord- und Ostseite des Dom-platzes.

Die Pfeiler der ehemaligen Nikolaikirche wer-den nach ihrer Bearbeitung und Versetzung an eineandere Stelle die Fundamente des Hundertwasser-hauses tragen. Diese „Grüne Zitadelle“, die an dieStelle der Nikolaikirche treten soll, ist, wie ihrSchöpfer, Friedensreich Hundertwasser, sein letz-tes Werk bezeichnete,... „ ein Gebäude, das sichtraditionsgebunden mit einer gewissen Strenge per-fekt in die Umgebung des Domplatzes einfügt unddennoch revolutionär und innovativ ist, weil es indie Zukunft weist, in der die Natur und die Träumedes Menschen wieder einen Stellenwert erhalten.“

Abb. 14 Ruine der Nikolaikirchean der Karl-Marx-Straße (heutewieder Breiter Weg) um 1955

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6 6 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Literatur: Asmus, H., 1200 Jahre Magdeburg – die Jahre 805 – 1631. Magdeburg 2000.Mrusek, H.-J., Zur städtebaulichen Entwicklung Magdeburgs im Hohen Mittelalter. MagdeburgerSchriftenreihe, Halle o.J.Wolfrom, E., Die Baugeschichte der Stadt und Festung Magdeburg. Magdeburger Kultur- und Wirt-schaftsleben Nr. 10, Magdeburg o.J.

Bildquellennachweis: Abb. 1: Kulturhistorisches MuseumAbb. 2, 3: nach MrusekAbb. 4, 8, 9: Jürgen BuchholzAbb. 5: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg,

Rep. A4b, Nr. 388bAbb. 6, 10: nach WolfromAbb. 7, 11, 12, 13, 14: Stadtarchiv Magdeburg

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6 7Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Abb. 1 Burgbefestigung wie sieim 9. Jahrhundert auf demheutigen Magdeburger Domplatzgestanden haben könnte. Sicht aufeinen Holz-/Erdewall mit Tor undhölzernem Umgang.

Am Computer simuliert – Wechselbilder der GeschichteSven Schulz

Abb. 2 Vogelperspektive aufWall, Graben und Innenbebauung

Abb. 3 Steinbau des13. Jahrhunderts wie er an derNordwestecke des Domplatzeslaut Grabungsergebnissegestanden haben könnte.Die Nachbargebäude alsFachwerkhäuser wurden frei dazugefügt.

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6 8 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Abb. 5 MöglicheStraßenbebauung mit

Fachwerkhäusern im Stil des13. Jahrhunderts.

Abb. 4 (rechts) Steinbau des13. Jahrhunderts mit

anschließendem Hof und Garten.

Abb. 6/7 Nikolaikirche wie siemöglicherweise im14. Jahrhundert an derNordwestecke des Domplatzesnach Abbruch des Steinhauses indie Bebauung eingefügt wordenist.

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6 9Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Abb. 8 Modell der Stiftskirche St. Nikolai nach Stichen des 16. und 17. Jahrhunderts.

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7 0 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Abb. 9 und 10 (Mitte rechts)Nikolaikirche mit Kreuzgang von

Norden gesehen.

Abb. 11 (Mitte links) und 12Nikolaikirche zu Beginn des20. Jahrhunderts. Ansicht von Ost.

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7 1Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Abb. 13/14Innenansichten – Nikolaikirche.

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7 2 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Der gemauerte Abfallschacht (Abb. 1) eines „Gra-fenhofes“ aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts er-wies sich für die Archäobotanik als interessanterBefund. Der Schacht wurde bei archäologischenAusgrabungen auf dem Baugelände des Hundert-wasserhauses in Magdeburg entdeckt. Unter Bau-schutt war an der Sohle des Abfallschachtes nocheine 50 cm mächtige Abfallschicht mit mittelalter-lichen Funden vorhanden. Neben mittelalterlichemKochgeschirr fanden sich reichlich Tonkrüge, Kan-nen und Trinkbecher. Auch Gläser fehlten nicht.Um einen näheren Einblick in die Essgewohnheitender Bewohner zu erhalten, erschien es lohnenswert,neben den Tierknochen auch die pflanzlichen Restezu untersuchen. (Abb. 1)

Methode

In der Abfallschicht waren mehrere Bodenprobengeborgen worden. Diese Proben wurden im Laborfür Archäobotanik des Landesamtes für Denkmal-pflege und Archäologie in Halle (Saale) bearbeitet.Die technische Aufbereitung führte Margitta Jah-reis durch.

Die Makrorestproben wurden mit Metallsiebenunterschiedlicher Maschenweiten nass gesiebt. Diekleinste Siebmaschenweite betrug hierbei 0,25 mm.Bei der Verwendung grobmaschiger Siebe, selbstbei den in Privathaushalten üblichen Küchensieben,gehen hingegen kleine Pflanzenreste verloren, bei-spielsweise Nüsschen von Erdbeeren und auch vie-le Ährenspindelreste.

Im Vergleich zu Pollenkörnern sind Samen undFrüchte eher groß. Man spricht daher von pflanzli-cher Großrestanalyse. Die spezifischen anatomi-schen Details sind bei Samen und Früchten jedocherst bei entsprechender mikroskopischer Vergröße-rung zu erkennen. Die Pflanzenreste wurden ausden getrockneten Siebrückständen daher mit Hilfeeines Binokulars ausgelesen und identifiziert.

Insgesamt wurden neun Proben von insgesamt4450 ml auf ihren Gehalt an Pflanzenresten unter-

sucht. Die Abfallschicht war während ihrer Auf-deckung nur noch mäßig feucht gewesen. Es wardaher zunächst nicht bekannt, ob die Bodenprobennur Verkohltes oder auch Unverkohltes enthaltenwürden.

In einem Trockenboden bleiben in der Regelausschließlich verkohlte Pflanzenreste über Jahr-hunderte erhalten, während in einem Feuchtboden-befund auch unverkohlte Samen und Früchte sowiePollenkörner überliefert sein können(Jacomet/Kreuz 1999). Es zeigte sich, dass die Bo-denproben verkohlte und auch unverkohlte sowiemineralisierte Pflanzenfunde enthielten. Vor allemsind es hartschalige Pflanzenreste, während zart-wandigere subfossile Pflanzenteile vergangen sind.

Die Erhaltungsbedingungen waren in dem besag-ten Abfallschacht in den vergangenen sieben bis achtJahrhunderten also nicht immer optimal gewesen.Man kann lediglich von einem episodisch existieren-den Feuchtbodenmilieu ausgehen. Aufgrund der ein-geschränkten Konservierung waren die Pflanzenre-ste nicht in jedem Falle bis auf das Artniveau zuidentifizieren.

Abb. 1 Gemauerter Abfallschachtunter der ehemaligen

Nikolaikirche

Pflanzenfunde aus dem mittelalterlichen Magdeburg – Der Abfallschacht eines „Grafenhofes“Monika Hellmund

Abb. 2 Proben aus demAbfallschacht (Befund 88)

des 13. Jh.s

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7 3Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

Pflanzenreste des Abfallschachtes Insgesamt waren in den untersuchten Probenmen-gen etwa 2600 Pflanzenreste enthalten, wobei Frag-mente ebenfalls als Ganze gezählt wurden. Diesentspricht einer Dichte von durchschnittlich 600Pflanzenresten je Liter Probenausgangsvolumen.Abb. 3 zeigt die in den Proben MDA-03 bis MDA-11 gefundenen Pflanzenreste in einer Übersicht.

Cerealien

Unter den Getreidepflanzen sind mit abnehmenderHäufigkeit Saat-Weizen, Saat-Gerste, Saat-Rog-gen, Hafer, Dinkel, Einkorn und wahrscheinlichEmmer nachgewiesen. Vor allem sind es verkohlteGetreidekörner, aber auch verkohlte Ährenspindel-reste bzw. Hüllspelzenbasen.

Anhand der Körner sind die drei frei dreschen-den Weizenarten Saat-Weizen, Hart-Weizen undRauh-Weizen nicht eindeutig zu trennen. Jedochsind verkohlte Ährenspindelreste vorhanden, diedefinitiv vom Saat-Weizen (Triticum aestivum)stammen. Auch sind am Hundertwasserhaus dieSpelzweizenarten Dinkel, Einkorn sowie wahr-scheinlich Emmer als Einzelfunde belegt.

Aufgrund ihres kantigen Querschnittes ist erwie-sen, dass die Getreidekörner der Saat-Gerste meistvon der Spelzgerste stammen. Nur wenige Getrei-dekörner waren noch bespelzt. Auch sind mehrereverkohlte Ährenspindelreste der Gerste nachweis-bar. Davon stammen einige Fragmente von Zwei-zeilgerste. Mit diesem Fund liegt der bisher ältesteNachweis von Zweizeilgerste für Mitteldeutschlandvor.

Die Zweizeilgerste wird heutzutage vorwiegendals Sommergetreide angebaut und als Braugerstefür die Bierherstellung verwendet. Möglicherweisewar dies bereits im Mittelalter üblich. Aber es wur-den auch andere Getreidearten zum Brauen verwen-det. Magdeburg war nach archivalischen Angabenimmerhin ein bedeutender Exporteur für Bier(Schwineköper 1987).

Saat-Weizen und Saat-Roggen werden heutzuta-ge vor allem zum Brotbacken genutzt. Dies war of-fenbar auch in der Vergangenheit der Fall. Der rela-

Abb. 3 Im Abfallschachtentsorgte Pflanzenreste(cf. = lat. confer, vergleiche)

Abb. 4 und 5 VerkohlteGetreidekörner von Saat-Weizenund Ähren von Saat-Weizen oderSaat-Roggen

1 Dr. habil. Manfred Rösch, Hemmenhofen, danke ich für die Beratung bei der Identifizierung.

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7 4 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

tiv hohe Anteil von Saat-Roggen ist besonders auf-fällig. Es ist daher anzunehmen, dass Saat-Roggenfrüher in größerem Umfang als heute auch im Be-reich der Magdeburger Börde angebaut wurde (vgl.Lange 1987).

Das an der Elbe gelegene Magdeburg warwährend des Mittelalters ein bedeutender Um-schlagsplatz für unterschiedliche Waren, beispiels-weise für Getreide, Weine und Gewürze (Schwi-neköper 1987). Dennoch wird hier davon ausgegan-gen, dass es sich bei den am Hundertwasserhausnachgewiesenen Nutzpflanzen vor allem um regio-nal vorhandene Arten und nur in einigen Fällen umimportierte Güter handelt.

Weniger häufig sind im Abfallschacht die Restevon Hafer. Einige Körner sind gewiss dem Saat-Ha-fer (Avena sativa) zuzuordnen. Auch ist auffällig,dass in den spätmittelalterlichen Proben vom Hun-dertwasserhaus bisher keine Körner von Rispenhir-se (Panicum miliaceum) gefunden wurden. In man-chen Regionen Deutschlands sind spätmittelalterli-che Proben hingegen durch hohe Anteile von Ris-penhirse charakterisiert.

Gerste wird nur in den mediterranen Regionenzur Herstellung von Fladenbrot und ansonsten zuNahrungszwecken für Graupen und Gries verwen-det. Hafer und teilweise auch Gerste sind heute vor-wiegend Futtergetreide. Zubereitungen von Brei

sind hieraus aber möglich. Es ist daher zu diskutie-ren, ob die am Hundertwasserhaus nachgewiesenenGetreidearten nur für die menschliche Ernährungoder gegebenenfalls auch zur Tierfütterung ver-wendet wurden.

Gemüse

Für die menschliche Ernährung sind neben Kohlen-hydraten auch Eiweiß liefernde Pflanzen von Be-deutung. Trotz der eingeschränkten Erhaltungsbe-dingungen sind im Magdeburger Abfallschacht ei-nige Gemüsepflanzen bezeugt. So finden sich eini-ge Reste von Linse (Lens culinaris), Ackerbohne(Vicia faba) und Saat-Erbse (Pisum sativum). Darü-ber hinaus sind einige größere Samen von nichtspezifizierbaren, kultivierten Schmetterlingsblüt-lern (Fabaceae) vorhanden. Als Gemüsepflanzekann weiterhin Portulak wahrscheinlich gemachtwerden.

Obst

Die bisher erwähnten Pflanzenreste sind sämtlichbereits verkohlt in den Abfallschacht gelangt. Dar-über hinaus gibt es aber auch unverkohlte, trockene

Abb. 7 Feigen undFeigenblatt (rezent)

Abb. 6 Nüßchen derEchten Feige (Ficus carica)

Abb. 8 (rechts) Traubenkerne desEchten Weinstockes (Vitis vinifera)

Abb. 11 (mitte) Acker-Steinsame(Buglossoides arvensis)

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7 5Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

und teils auch mineralisierte Pflanzenreste. Auf-grund der nur periodisch feuchten Bedingungenwar der Abbau der organischen Substanz imSchacht nicht permanent, sondern lediglich phasen-weise unterbunden.

Als Obstsammelpflanzen sind Erdbeere, Him-beere, Brombeere und Schwarzer Holunder nachge-wiesen. In zwei der untersuchten Proben fandensich besonders zahlreiche Nüsschen von Wald-Erd-beere (Fragaria vesca). An angebauten Obstpflan-zen wurden des weiteren Kirsche (Prunusavium/cerasus) und Hafer-Pflaume (Prunus dome-stica ssp. insititia) nachgewiesen. Bei der Pflaumehandelt sich um relativ kleine Steinkerne. Darüberhinaus sind mehrere mineralisierte Steinkerne vonnicht näher spezifizierbaren Prunus, wie P. avi-um/cerasus/spinosa, vorhanden.

Weitere bemerkenswerte Obstpflanzen am Hun-dertwasserhaus sind Wein und Echte Feige. Bei derEchten Feige (Ficus carica) handelt es sich um einNahrungsmittel, das aus dem Mittelmeerraum hier-her verhandelt wurde. Bei den heutigen Witterungs-bedingungen gelingt es lediglich in besonders wär-mebegünstigten und wintermilden RegionenDeutschlands, im Freien Feigensträucher zu kulti-vieren, die hin und wieder auch Früchte ausbilden.Selbst bei einem wärmeren Klima wird man aberkeinen ausgedehnten Feigenanbau nördlich der Al-pen annehmen können. Bisher sind für Magdeburgnoch keine Reste von Ficus nachgewiesen worden.Dies mag ein Spezifikum für den in Rede stehendenMagdeburger Grafenhof sein.

Als weitere Besonderheit sind die Traubenkernedes Echten Weinstockes (Vitis vinifera) zu benen-nen. Auch in Magdeburg gibt es wie in einigen an-deren Orten Mitteldeutschlands einen sogenanntenWeinberg, dessen Name an den früher dort offen-sichtlich praktizierten Weinanbau erinnert. In derZeit des hochmittelalterlichen Klimaoptimums wardie Grenze des Weinanbaus im heutigen Sachsen-Anhalt deutlich nach Norden verschoben. Gegebe-nenfalls waren die Qualitätskriterien für Wein seinerzeit andere als heutzutage. Es ist daher nichtgewiss, ob die in dem Magdeburger Schacht gefun-denen Traubenkerne von lokal gewachsenen Wein-beeren oder von hierher gehandelten Früchtenstammen.

Heute ist die Region mit dem nördlichsten ge-schlossenen Weinanbaugebiet Deutschlands inSachsen-Anhalt etwa 70 Kilometer südlich gelegen.In den letzten Jahren sind Weintraubenkerne inspätmittelalterlichen bzw. frühneuzeitlichen Befun-den von Halle, Weißenfels, Naumburg und Mans-feld erfasst worden (vgl. Hellmund 1998 sowie un-publ.).

In Magdeburg sind einige Dutzend unverkohlteund auch mineralisierte Weinsamen dokumentiert.Sie sprechen eher für den Verzehr von Weinbeeren.Als Rückstand der lokalen Weinherstellung wärenwohl zahlreichere Reste zu erwarten. Und dasWeintrinken alleine hinterlässt bekanntlich keineSpuren in Form von Traubenkernen.

Bereits bei früheren archäobotanischen Untersu-chungen wurden von zwei Ausgrabungen Magde-burgs unverkohlte Obstreste untersucht (Abb. 10).

Unkräuter und Wildpflanzen

In den Proben vom „Hundertwasserhaus“ sind meh-rere Hundert „steinharte“ Klausen des Acker-Stein-samen vorhanden. Acker-Steinsame (Buglossoidesarvensis) ist ein Unkraut in Getreidefeldern, oft inWintergetreide. Sie vermag auch als Sommer-Ein-jährige in Sommergetreidefeldern zu gedeihen.Auch wächst sie auf Schutt und an Wegen. Früherwar die Pflanze auch Nutzpflanze. Da sich in derWurzelrinde ein rötlicher Farbstoff befindet, wurdediese zum Färben von Salben und Schminken be-nutzt (Korsmo 1930). Sie gedeiht auf frischen,nährstoff- und basenreichen Böden. In mitteldeut-schen Fundplätzen ist Acker-Steinsame zumindestseit der frühen Bronzezeit nachgewiesen. Er ist vorallem ein Indiz für die Existenz nährstoffreicherÄcker. Da die Fruchtwände von Acker-SteinsameKalk und Kieselsäure enthalten, schmeckt Mehlund Brot, das gemahlene Acker-Steinsamen ent-hält, leicht sandig. Daß so viele Steinsamen, dieteils verkohlt sind, im Hausabfall des Schachtesexistent sind, mag mit der Nahrungszubereitung zu-sammenhängen. Vielleicht wurden die Unkrautre-ste von Hand aus dem Saatgut ausgelesen und ent-sorgt.

Als weitere Gift- und Heilpflanze ist SchwarzesBilsenkraut erfasst worden. Hyoscyamus niger istein so genannter Archäophyt, das heißt, die Pflanzeist im Gebiet nicht heimisch, sondern sie ist einKulturbegleiter. Die Pflanze ist ein- oder zwei-jährig. Alle Teile der Pflanze sind stark giftig. Diein den Samen enthaltenen Alkaloide rufen sinnes-täuschende und einschläfernde Wirkungen hervor,auch werden vegetative Funktionen, wie Speichel-sekretion und Peristaltik, angeregt. Die wärmelie-bende Pflanze wächst vor allem an sonnigenSchuttstandorten und an Wegen auf nährstoffrei-chen Lehmböden. Sie ist ein Stickstoffzeiger. Blät-ter und Samen werden auch offiziell als schmerz-stillendes und beruhigendes Mittel verwendet. We-gen ihres Giftgehaltes kann es leicht zu Vergiftun-gen vor allem bei einem Missbrauch der Pflanze alshalluzinogene Droge kommen. Auch sind Vergif-tungen bekannt geworden, die durch Verwechslun-gen der Pflanze zustande kamen. Die am „Hundert-wasserhaus“ nachgewiesenen Samen sprechen für

2 Lange 19873 Lange 19874 Hellmund diese Arbeit

Abb. 10 Obstreste im mittelalterlichen Magdeburg

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7 6 Schaufenster der Archäologie • Neues aus der archäologischen Forschung in Magdeburg • 2005

nährstoffreiche schuttreiche Standorte und Brachensowie gegebenenfalls für die Verwendung vonHyoscyamus als Heilpflanze.

Vereinzelt sind verkohlte Früchte von Kornblu-me (Centaurea cyanus) erfasst worden. Die Korn-blume wächst als Unkraut in Getreidefeldern, vorallem in Wintergetreide, auch in Brachen, in Wie-sen, an Wegen, auf nährstoffreichen, aber vor allemkalkarmen Böden. Die Kornblume ist ebenso einArchäophyt sowie Kulturbegleiter. Unkräuter sind

in ihrer Lebensform den Getreidepflanzen ange-passt. Sie keimen wie diese im Frühjahr oder imHerbst und sterben nach der Blüte und dem Fruch-ten ab. Es ist auffällig, dass in Magdeburg nur we-nige verkohlte Früchte der Kornblume vorhandensind.

Auch sind nur wenige Reste von Korn-Rade(Agrostemma githago) vorhanden, einem weiterenGetreideunkraut, das heute sehr selten gewordenist. Agrostemma githago ist einjährig überwinternd

Abb. 9 Weinbeeren undWeinlaub (rezent)

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und an Wintergetreideanbau angepasst. Alle Teileder Pflanze sind stark giftig. In früherer Zeit konn-te Brotmehl, dem ein hoher Anteil gemahlenerKornradesamen beigemengt war, zu Massenvergif-tungen beim Menschen führen. Die auftretendenSymptome ähnelten jenen von Lepra. In reinem Zu-stand zeigen die in Agrostemma enthaltenen Gift-stoffe narkotische Wirkung, auch reizt der Giftstoffdie Nasenschleimhaut und führt zum Niesen. Beischlechter Reinigung des Brotkorns erhält Mehldurch Korn-Rade einen unangenehmen, bitterenGeschmack und ist gesundheitsschädlich.

Die in Magdeburg nachgewiesenen Unkräuterzeigen sowohl auf den Anbau von Wintergetreideals auch von Sommergetreide hin.

Die entsorgten Pflanzenreste

Am „Hundertwasserhaus“ sind erstmalig für Mag-deburg Echte Feige und Wald-Erdbeere nachgewie-sen worden. Als weitere Besonderheiten sindSchwarzes Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) undPortulak (cf. Portulaca) erwähnenswert.

Die Makrorestproben der Abfallschicht des Gra-fenhofes waren nicht homogen. So sind die Pflan-zenspektren der verschiedenen Proben unterschied-lich zusammengesetzt, einerseits dominieren ver-kohlte, andererseits unverkohlte Reste. Die im Ab-fallschacht vom Breiten Weg erfassten Pflanzenre-ste entstammen mithin verschiedenen Lebensge-meinschaften, die im Zuge der Abfallbeseitigunggemeinsam an einem Ort deponiert wurden.

Es ist bemerkenswert, dass in dem Abfallschachtdes Grafenhofes vergleichsweise zahlreiche Rück-stände von Ährenspindeln und Hüllspelzenbasen zufinden sind. Bei einem bereits gereinigten, gedro-

schenen und entspelzten Kornvorrat, der versehent-lich verkohlte und im Abfallschacht entsorgt wur-de, würden derlei Reste fehlen. Mit dem Getreide-korn müssen auch Ährenteile, gegebenenfalls Ge-treidestroh, verkohlt sein.

Von Jäger wurde bereits ein mittelalterlicherGetreidekornvorrat von der ehemaligen Nikolaikir-che Magdeburgs untersucht (Stoll/Jäger 1967).Dort wurden keine Spelzenreste gefunden. Ggf. istdies methodisch bedingt, wenn damals vorwiegendauf größere Pflanzenreste geachtet wurde. Wenn-gleich für einen „Grafenhof“ nicht ohne weiteres zuerwarten, belegen die Spindelreste, daß Dreschenund Nahrungszubereitung vergleichsweise zeitnaherfolgte.

Es muss derzeit offen bleiben, in welchem Zu-sammenhang die Pflanzenreste seinerzeit verkohl-ten, bei einem lokalen Brand oder bei der Zuberei-tung der pflanzlichen Nahrung. In dem betreffen-den Abfallschacht wurden sowohl verkohlte alsauch unverkohlte organische Hausabfälle entsorgt.Es ist anzunehmen, dass in den Abfallschacht auchmenschliche Fäkalien hinein gelangten (vgl. Hell-wig 1990). Dafür sprechen beispielsweise die klei-nen Pflanzenreste, wie Nüsschen von Erdbeere undvon Feige, sowie die Steinfrüchtchen von Himbee-re.

Nur aufgrund besonderer, wenngleich nicht opti-malen Erhaltungsbedingungen blieben in der ge-mauerten Abfallgrube zahlreiche mittelalterlichePflanzenreste erhalten. Die Nüsschen der Feigesind ein Hinweis auf die Existenz eines eher wohl-habenden Haushaltes, dessen Abfälle vor Ort ent-sorgt wurden. Mit dem Pflanzenspektrum vom„Hundertwasserhaus“ ist ein weiteres Mosaikstein-chen der mittelalterlichen Pflanzenwelt Magde-burgs aufgedeckt worden.

Literatur: Hellmund, M., Pflanzen und Umwelt vergangener Zeit - Begleitband zur Sonderausstellung Landesmuseum für Vorgeschichte „Gefährdet - geborgen - gerettet - Archäologische Ausgrabungen in Sachsen-Anhalt von 1991 bis 1997“, Halle (Saale) 1998, 49-58.Hellwig, M., Paläoethnobotanische Untersuchungen an mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pflanzenresten aus Braunschweig - Dissertationes Botanicae 156, Stuttgart/Berlin 1990, 196 S. u. Anhang.Jacomet, S./Kreuz, A., Archäobotanik – Stuttgart 1999.Korsmo, W. Unkräuter im Ackerbau der Neuzeit. Biologische und praktische Untersuchungen - Berlin 1930.Lange, E., Mittelalterliche Pflanzenfunde aus Magdeburg - Zeitschrift für Archäologie 21, Berlin 1987, 243-256.Schwineköper, B., Provinz Sachsen-Anhalt. Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 11, 2. Aufl., Stuttgart 1987.Stoll, H.-J./Jäger, K.-D., Ein Getreidefund unter der ehemaligen Nicolaikirche in der Altstadt von Magdeburg - Ausgrabungen und Funde 12,Berlin 1967, 298-307.

Bildquellennachweis: Abb. 2,3,10: HellmundAbb. 1, 4-10: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (7, 8 Fotograf: Hörentrup)

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Bei den Ausgrabungen am Breiten Weg 8 – 10 inMagdeburg wurden in einer mittelalterlichen Ab-fallgrube auf dem Gelände der früheren Kirche St.Nikolai u. a. Traubenkerne der europäischen Kul-turrebe (vitis vinifera) gefunden. (Fund des MonatsJuni 2004, www.archlsa.de\fumo).

Der für das 13.Jahrhundert datierte Fund wirftdie Frage nach der Herkunft der Trauben und damitnach dem mittelalterlichen Weinbau in und umMagdeburg auf.

Die älteste urkundliche Erwähnung des Wein-baus für unsere Region findet sich in der Tauschur-kunde Kaiser Otto II., ausgestellt in der KaiserpfalzAllstedt am 22.Oktober 973.

Mit dieser Urkunde bestätigt Otto II. einen nochvon seinem Vater, Otto dem Großen, vorbereitetenGebietstausch zwischen Erzbischof Adalbert vonMagdeburg und Abt Werinhar von Fulda, wonachAdalbert Güter in Thüringen abtritt und dafür Güterim Anhalter und Mansfelder Gebiet erhält. 12 Orte,u.a. Freckleben, Mansfeld, Vatterode und Alslebenan der Saale kamen zum Erzbistum Magdeburg.

Die Aufzählung der getauschten Güter enthältdie Formulierung: „...cum ... terris cultis et incul-tis, vineis, pratis...“, (also „ ...mit ...Ackerland undBrachland, Weinbergen, Wiesen...“) (Sommerfeld2003).

Diese Urkunde hat große überregionale Bedeu-tung, markiert sie doch eine tiefgehende Neuord-nung der Besitztümer des 968 gegründeten Erz-bistums Magdeburg. Erstmals war es dem Erzbis-tum möglich, im Altsiedelland westlich der SaaleFuß zu fassen und dann auch den Südteil ihres Ter-ritoriums um Giebichenstein bei Halle zu arrondie-ren.

In Vatterode, unweit von Mansfeld, in der reiz-vollen Landschaft des Wippertales, ließen sich dieErzbischöfe zeitig einen Jagd- und Sommersitz ein-richten, wo sie gerne weilten, und einige sich sogarzum Sterben zurückzogen (Schwarze – Neuss2000).

Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dassdie Stifter der Klöster und die Klöster selbst vonAnfang an darauf bedacht waren, ihren für den

Abb. 1 TauschurkundeKaiser Otto II., Allstedt,

22. Okt. 973Landeshauptarchivs Sachsen –Anhalt, Abteilung Magdeburg,Rep. U 1, Erzstift Magdeburg, I

Nr. 38.

Von den Anfängen des Weinbaus im Erzbistum MagdeburgHubertus Sommerfeld

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Abb. 2 Karte der in der Urkundeerwähnten Orte mit Weinbau und

der heutigen Weinbauorte desBereiches Mansfelder Seen

zwischen Eisleben undHalle (Saale).

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Gottesdienst unentbehrlichen Wein durch eigenenAnbau oder durch Entgegennahme großzügigerSchenkungen zu sichern.

Das dürfte vor allem auf das 937 von Otto I. ge-stiftete und reich ausgestatte Moritzkloster und spä-tere Domstift zutreffen. Das gleiche gilt für dasebenfalls von Otto I. gestiftete ehem. Bene-diktinerkloster Berge vor der Sudenburg im Südender Stadt Magdeburg, dessen Gründung in engemZusammenhang mit der Errichtung des ErzstiftesMagdeburg steht.

Mit diesen Klostergründungen kann auch von ei-nem Weinbau in Magdeburg ausgegangen werden.

Entsprechende Urkunden sind für das KlosterBerge und für das 1016 von Erzbischof Gero ge-gründete Kloster Unser Lieben Frauen zu Magde-burg allerdings erst aus späterer Zeit überliefert:

– 1161-1163: Erzbischof Wichmann übergibtdem Kloster Unser Lieben Frauen Ländereienin Hondorf (wüst bei Könnern a. d. Saale) zurAnlage von Weinbergen. Weiter bestätigt erden Tausch einer halben Hufe in Rothenburg(Saale) zur Anlage von Weinbergen ( UKBKloster Unser Lieben Frauen, Nr.30).

– 1202 : Konrad, Bischof zu Halberstadt, sprichtdem Kloster Berge den Zehnten von einem neu

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angelegten Weinberg in Beesenstedt (Saal-kreis) zu, welchen der Ritter Widekind vonSchochwitz dem Kloster streitig machen woll-te (UKB Kloster Berge, Nr.54).

– 1227 : Bertram, Abt zu Berge, genehmigt denAnkauf eines Grundstücks hinter dem Wein-berg des Klosters durch Johannes und dessenEhefrau Richeid (UKB Kloster Berge, Nr.78).

Der Weinbau an der Unteren Saale muss der Ur-kundenlage nach zu urteilen, schon ab dem 12.Jh.beträchtlich gewesen sein, und diente mit zur Ver-sorgung der Magdeburger Klöster und Kirchen mitMesswein. Auch ausländischer Wein, vornehmlichWürzburger, war gefragt, wie Urkunden der StadtMagdeburg um 1300 belegen: „1298, August 14 –der Rat von Magdeburg bezeugt,.... dem Kloster S.Augustini alle Sonnabende ein halbes StübchenWürzburger oder gleich guten Wein zu übergeben“(UKB Stadt Magdeburg, Nr. 206).

Aufhorchen lässt eine Urkunde aus dem Jahre1270, wonach der Domkämmerer Burchard vonQuerfurt dem Kloster Berge alle von ihm erworbe-ne Gebäude des Gehöftes Vigenhagen mit dem da-bei liegenden Weinberg zum Behufe einer Seelen-messe überlässt (UKB Stadt Magdeburg, Nr.142).Da dieser Burchard von Querfurt mindestens einnaher Verwandter des Besitzers des Grundstückes

war, auf dem die Eingangs erwähnten Traubenker-ne gefunden wurden, kann vermutet werden, dassdiese von Trauben aus dem eben genannten Wein-berg des Domkämmerers in Vigenhagen stammen.

Wie bereits erwähnt, ist eine sichere Datierungdes Beginns des Weinbaus für Magdeburg nichtmöglich. Für das ehemalige Erzbistum Magdeburggilt hierfür gesichert das Jahr 973.

Bis in das 16. Jh. blühte in der ehem. GrafschaftMansfeld und im Anhalter Gebiet an der UnterenSaale der Weinbau, bis Klimaveränderungen, der30jährige Krieg und später im 19.Jh. die gesell-schaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen inDeutschland den Weinbau in der Region unlukrativwerden ließen. Der Weinbau war nach dem I. Welt-krieg fasst zum Erliegen gekommen. Um 1925 be-gann auf wenigen Hektar in Höhnstedt ein Neuan-fang. Heute umfasst der Weinbau im klimatisch be-günstigten Bereich der Mansfelder Seen wieder 90Hektar Weinberge. Mehrere private Weingüter inHöhnstedt und Seeburg sowie die Winzervereini-gung in Freyburg produzieren ausgezeichnete Wei-ne in einem breiten Rebsortenspektrum. Im vergan-genem Jahr wurde zum 1030jährigen Weinbauju-biläum die Weinstraße Mansfelder Seen feierlicheingeweiht, dank der Urkunde Kaiser Otto II. unddes ersten Erzbischofs Adalbert von Magdeburg.

Literatur: Sommerfeld, H., 1030 Jahre Weinbau Bereich Mansfelder Seen, Eisleben 2003, 5 – 20.Schwarze – Neuss, E., Besitzgeschichte und Territorialpolitik des Magdeburger Moritzklosters und der Erzbischöfe von Magdeburg, Weimar2000, 109.Gremler, B., Vom Weinbau im Bernburger Saaleland, Bernburg 2000.

Bildquellennachweis: Abb. 1: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung MagdeburgAbb. 2: Abdruck mit freundlicher Genehmigung der DVZ – Marketing – Service GmbH

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Tierknochen berichten vom Lebenim mittelalterlichen Magdeburg

Archäologische Ausgrabungen sind zugleich Rei-sen in nie geschaute Welten unserer Vorfahren. Siesind aber auch Verpflichtung, das kulturelle Erbeunserer Vorfahren zu sichern, zu erforschen und derAllgemeinheit zugänglich zu machen. Bei ihrenUntersuchungen in Magdeburg bemühen sich seitvielen Jahren die Mitarbeiter des Landesamtes fürDenkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt,dieser hohen gesellschaftlichen Verantwortung ge-recht zu werden. Mit Hilfe von Spaten, Kelle undPinsel legten Archäologen in mühevoller und ge-duldiger Arbeit bauliche Reste frei und bargen eineunübersehbare Anzahl archäologischer Funde.

Zu ihnen gehört auch die gemauerte Latrine voneinem ehemaligen mittelalterlichen Grafenhof ausdem 13./14. Jahrhundert. Aufgrund der über Jahr-hunderte sich herausbildenden und stabilisierendenLagerungsverhältnisse in einer verfüllten Latrine,entstanden außerordentlich günstige Erhaltungsbe-dingungen für archäologische Funde. Insbesondereorganische Reste profitieren hiervon. So auch Tier-knochen, Fischschuppen, Eierschalenreste und dieGehäuse der Weichtiere. Für den Laien wohl eineder unattraktivsten archäologischen Fundgruppenüberhaupt. Unattraktiv und unansehnlich vielleicht,aber bei weitem nicht uninteressant. Die richtigenFragen gestellt und schon beginnen die Fundstückeihre kleinen Geschichten zu erzählen. Welche Haustiere hielten und vermehrten unsere Vorfahrenund wie nutzten sie ihre Tiere als Energie- undRohstoffquellen? Wer durfte jagen und welche Tie-re erregten das Interesse des Jägers? Lebten in denHäusern der Bürger bereits befiederte oder behaar-te Lieblinge? Übernahmen bestimmte Haus- undWildtiere sogar die Funktionen von Statussymbo-len? Allein schon diese wenigen Fragen lassen dieüberragende Bedeutung der Tiere im täglichen Le-ben unserer Vorfahren erahnen.

Qualität der Fleischnahrung

Es ist schon etwas makaber, aber der Weg in dieKüchen unserer Vorfahren führt über ihre Abfall-gruben. Sie bergen hauptsächlich die Reste derMahlzeiten. Weiterhin finden sich die Kadaver ver-endeter Tiere oder erschlagener Schädlinge. In derLatrine vom Magdeburger Grafenhof lagen unteranderem auch 1832 Säugetier-, Vogel- und Fisch-knochen (Abb. 1). Überwiegend zerschlagen, dazu

noch mit Hieb- und Schnittmarken versehen, sindes vorwiegend Küchenabfälle, Reste derFleischnahrung des Menschen. Zusätzlich entsorg-ten die Bewohner verendete oder erschlagene Tierewie Habicht, Sperber und Hausratte, oder Teile vonihnen.

Wie können wir die Qualität der Fleischnahrungfeststellen? Ein bedeutendes Qualitätsmerkmaläußert sich in der Bevorzugung gewisser Haus- undWildtiere. Auf den Tisch kam das Fleisch aus-schließlich oder mehrheitlich als Fleischtiere ge-nutzter Formen, wie auch jenes der Tiere mit Mehr-fachnutzung. Zu den vorwiegend als Fleischtieregenutzten Formen gehören das Schwein, das Haus-geflügel und die Wildtiere, soweit letztere derErnährung dienten. Als Jungtiere geschlachteteRinder, Schafe und Ziegen ordnen sich ebenfalls indiese Gruppe ein. Man könnte sie auch als „Luxus-tiere“ bezeichnen.

Einer Mehrfachnutzung unterlagen Arbeits-,Milch- und Wolltiere, also Pferde, Rinder, Schafeund Ziegen. Sie kamen erst zur Schlachtung, nach-dem sie als Arbeitstiere sowie für die Erzeugungbestimmter Rohstoffe nicht mehr zu gebrauchenwaren. Für uns moderne Menschen fast nicht mehrvorstellbar, gehören mit Einschränkungen auchHunde und Katzen dazu.

Sind es nun die Reste der Fleisch- oder der Ar-beitstiere, die so zahlreich aus der Latrine vom Gra-fenhof vorliegen? Diese Frage lässt sich eindeutigbeantworten. Nach der Zusammensetzung des Kno-chenmaterials dominieren die Reste der Haustieremit 81,1 Prozent Fundanteilen unübersehbar deut-lich (Abb. 1). Allein auf Schwein, Huhn und diekleinen Hauswiederkäuer entfallen etwa 60 Prozentder tierartlich bestimmten Knochenreste. Lediglich

Abb. 1 Magdeburg, gemauerteLatrine (12./13.Jh.). Tierklassen:1 – Säugetiere, 2 – Vögel,3 – Fische. Tiergruppen (nurtierartlich bestimmte Knochen):4 – Haussäugetiere,5 – Hausgeflügel, 6 – Fische,7 – Wildgeflügel und8 – Wildsäugetiere(Werte relativ)

Herrschaftliches Speisen und JagenRalf-Jürgen Prilloff

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22 Knochen vom Rind, sowie je ein Rest von Pferdund Hund, erreichen zusammen nur verschwindendgeringe 1,3 Prozent (Abb. 2). Jedoch trübt ein klei-ner Wehrmutstropfen geringfügig das eindeutigeErgebnis. In diesem Fundkomplex sind nicht mehrals drei Gänseknochen anzutreffen, das überraschtschon ein wenig.

Mit einem Fundanteil von immerhin 18,9 Pro-zent sind die Reste der Wildtiere ebenfalls erfreu-lich zahlreich vorhanden (Abb. 1). Nach der Anzahlder Knochenfunde nehmen die Fische die erste Po-sition unter den Wildtieren ein (Abb. 2). Nicht nurfrisch gefangene und zubereitete Süßwasserfische,hauptsächlich Hechte, erfreuten den herrschaftli-chen Gaumen. Auch entsprechend hergerichtete,zum Beispiel gebratene Schwimmenten, Feldhüh-ner und Stare standen auf dem herrschaftlichenTisch. Das Fleisch vom Rothirsch und Feldhasenergänzte das vielfältige Nahrungsangebot (Abb. 2).Salzheringe und das zähe Fleisch der Stockfischeärgerten auf dem Grafenhof wohl eher die Gaumendes Dienstpersonals.

Das individuelle Alter der Haus- und Wildtierezum Zeitpunkt ihrer Schlachtung oder Erlegung istein weiteres bedeutsames Qualitätsmerkmal derFleischnahrung. Als altersbestimmende Merkmaleeignen sich hervorragend das erreichte Niveau derZahnausbildung und der Grad der Zahnabnutzung.Weitere Hinweise finden sich an den Gelenkendendes postkranialen Skeletts. Nach dem Verwach-sungsgrad der Gelenkenden mit den Knochenschäf-ten oder der Wirbelscheiben mit den Wirbelkörpernsind grobe Altersschätzungen möglich.

Vom Schwein weisen 194 Knochen altersbe-stimmende Merkmale auf. Dem Ergebnis der Alter-sanalyse nach zu urteilen, bekamen fast nur Jung-tiere bis maximal zwei Jahre das Metzgerbeil zuspüren. Ihr Fundanteil beträgt 96,9 Prozent. Es wa-ren überwiegend Mastschweine, nicht jünger als11/2 und kaum älter als zwei Jahre. Auch die kleinenHauswiederkäuer unterlagen hauptsächlich alsJungtiere der Schlachtung. Im Unterschied zumSchwein beträgt der Fundanteil aber nur 43,1 Pro-zent und der Anteil geschlachteter Alttiere immer-hin 22,4 Prozent. Die übrigen Schaf- und Ziegen-knochen konnten keiner Altersgruppe zugeordnetwerden. Vom Rind liegen nur wenige Knochen mit

altersbestimmenden Angaben vor. Unter diesenUmständen mussten auch die übrigen Rinderkno-chen in die Betrachtungen miteinbezogen werden.Als Altersmerkmal diente allgemein die Knochen-struktur. Dem Ergebnis nach überwiegen beim Rindmit 59,1 Prozent ebenfalls die Knochenreste ge-schlachteter Jungtiere. Nur wenige Knochen, essind lediglich 13,6 %, besitzen die typischen Merk-male ausgewachsener Rinder. In dem geringerenFundanteil erwachsener Tiere unterscheiden sichdie großen von den kleinen Hauswiederkäuern.

Die Auswahl der geschlachteten und erlegtenTiere, wie auch ihr individuelles Schlacht- oder Er-legungsalter, weisen auf eine ausgesprochen hoch-wertige Fleischnahrung hin. Daran können auch diebeiden Knochen von Pferd und Hund nichts ändern,zumal es zufällige Beimengungen sein können.

Herkunft der Haus- und Wildtiere

Fragen nach der Herkunft der geschlachteten Haus-und der erlegten Wildtiere schließen immer denProblemkreis regionales und überregionales Markt-geschehen mit ein. Leider können städtischesMarktgeschehen und Fernhandel aus archäozoolo-gischer Sicht in diesem Artikel nur gestreift wer-den. Um die Frage nach der Herkunft der genutztenTiere beantworten zu können, bedienen wir uns denErgebnissen der Alters- wie auch der Geschlechts-analyse. Geschlechtstypische anatomische Merk-male finden sich vorrangig am Schädel, Unterkieferund Becken der Säugetiere. Bezogen auf das Haus-schwein eignen sich besonders die Ober- und Un-terkieferstücke mit vorhandenen Eckzähnen oderden entsprechenden Alveolen. Zusammen 10 Fund-stücke, davon neun männlich und ein Fundstückweiblich, erlauben keine umfassenden Interpreta-tionen. Jedoch lässt sich bereits erahnen, dass in-nerhalb des Grafenhofes keine Schweinezucht be-trieben wurde. Diese Vermutung basiert auf denfolgenden Beobachtungen. Das Verhältnis der alszum männlichen oder zum weiblichen Geschlechtgehörig bestimmten Knochen von 9:1 spricht nichtfür die Zucht der Schweine vor Ort. In diesem Fallmüssten die Reste ausgewachsener weiblicher Tie-re mehr oder weniger deutlich überwiegen. Bis aufeinen Eberknochen sind es Reste geschlachteterJungtiere. Somit war die eine nachgewiesene Saunoch nicht einmal zuchtfähig. Zudem fehlenSchweineknochen der Altersgruppen fötal und fötalbis neonat. Entweder waren sie zum Zeitpunkt derAusgrabung bereits vergangen, an anderer Stelleentsorgt worden oder die Schweinehaltung be-schränkte sich lediglich auf das Fettfüttern derMastschweine. Nach dem Inhalt der Latrine zu ur-teilen, war der Grafenhof auf die Belieferung mitmastfähigen Schweinen angewiesen.

Zusätzlich zum Hausschwein besaß der Hofei-gentümer eine kleine Schafherde für die Wollpro-duktion. Die Annahme der zumindest zeitweiligenUnterbringung einer Schafherde auf dem Grund-stück wird durch den relativ hohen Fundanteil anKnochen der Altersgruppen fötal und fötal bis neo-nat untermauert. Er beträgt immerhin 25,9 Prozent

Abb. 2 Magdeburg, gemauerteLatrine (12./13.Jh.). Fundanteile

der wichtigsten Haus-und Wildtiere.

1 – Schwein, 2 – Schaf/Ziege,3 – Rind, 4 – Hund/Pferd,

5 – Huhn, 6 – Gans, 7 – Fische,8 – Feldhase, 9 – Rothirsch,

10 – Sperlingsvögel (überwiegendStare), 11 – Wildenten,12 – Rebhuhn/Wachtel

(Werte relativ)

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an der Gesamtanzahl der Schaf- und Ziegenkno-chen. Das vorgeburtliche Alter eines Fötus betrug56 bis 89 Tage und drei weitere Tiere standen kurzvor der Geburt. Es können auch Reste von Totge-burten sein.

Vom Rind liegt ebenfalls der Knochenrest, einOberschenkelknochen, von einem Fötus vor. So-weit eine Bestimmung des Geschlechts an den übri-gen Knochen möglich war, fand sich nur noch derBeckenrest von einem jungen Stier oder Ochsen.Möglicherweise wurden einige wenige Milchkühegehalten und gelegentlich auch vermehrt. In demebenfalls zum Grafenhof gehörenden Kellergebäu-de fand sich gleichfalls ein Beckenrest, aber diesesMal von einer ausgewachsenen Kuh. MännlicheKälber und Jungtiere unterlagen der Schlachtung.

Zusätzlich belebten Hühner und Gänse den Gra-fenhof. Nach den Befunden am Tarsometatarsus zuurteilen kamen drei Hähne auf sechs Hühner. Im-merhin 15 Kükenknochen sind ein weiterer Belegfür die Hühnerhaltung vor Ort. Überzählige Jung-hähne und für die Zucht nicht mehr geeignete Alt-tiere wurden geschlachtet. Allein der hohe Fundan-teil geschlachteter Jungtiere deutet auf eine zusätz-liche Belieferung des Grafenhofes hin (Abb. 3). Obes sich hierbei um Abgabehühner, wohl hauptsäch-lich Hähne, oder um auf dem städtischen Marktkäuflich erworbene Tier handelt, lässt sich einst-weilen noch nicht entscheiden. Der Erwerb vonSalzwasserfischen, z. B. Scholle und Flunder, warnur auf dem städtischen Markt möglich. Über denFernhandel gelangten die Meeresfische nach Mag-deburg.

Herrschaftliches Jagdgeschehen

Rothirsch als Wild der „Hohen Jagd“ konnte vondem die Jagd ausübenden Hofeigentümer oder einervon ihm ermächtigten Person auf eigenem Grundund Boden erlegt werden. Auf ein wahrhaft herr-schaftliches Vergnügen, die Beizjagd, deuten dieübrigen Wildsäuger und Wildvogelarten hin. AlsBeizvögel wurden Sperber und Habicht verwendet.Immerhin zwei Knochen von einem Sperbermänn-chen und kaum zu glaubende 47 Habichtknochen,sie repräsentieren mindestens ein Männchen undzwei Weibchen, verkörpern einen nicht nur fürSachsen-Anhalt einmaligen Fundkomplex. Dabeiüberrascht nicht nur die Knochenmenge, sondernauch die Tatsache, dass der männliche Habichtnoch ein subadultes bis jungadultes, aber bereitsflugfähiges Tier war. Derartige historische Vorgän-ge, wie die Abrichtung von Beizhabichten, mit denmethodischen Möglichkeiten archäologischer wieauch archäozoologischer Forschung dokumentierenzu können, gelingt nur sehr selten. Hierin liegt dieeigentliche Bedeutung des Fundkomplexes. Wir ha-ben ein herrschaftliches Grundstück im mittelalter-lichen Magdeburg, die Knochenfunde jugendlicherund ausgewachsener Sperber und Habichte, sowiedie Reste der Beutetiere. Mit den abgerichtetenGreifvögeln, hauptsächlich den bevorzugten größe-

ren Habichtsweibchen, wurden Feldhasen ebensowie Enten und Feldhühner bejagt. Ob die Stare imNetz gefangen oder ebenfalls gebeizt wurden, hier-für geeignet wäre das Sperbermännchen, bleibteinstweilen noch ein ungelöstes Geheimnis.

Abb. 3 Magdeburg, gemauerteLatrine (12./13.Jh.). Huhn,Altersgliederung nach den Befun-den am Skelett (Werte relativ)

Abb. 4 Liederhandschrift Manesse, Beizjagd

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Literatur: D'Arcussia, C., Falconaria, Das ist / Eigentlicher Bericht und Anleytung wie man mit Falcken und andern Weydtvögeln beißen soll: Darinnen..., Frankfurt am Mayn im Jahre M.D.C.XVII (Fotomechanischer Neudruck der Originalausgabe Frankfurt 1617, Leipzig 1980).Habermehl, K.-H., Die Altersbestimmung bei Haus- und Labortieren. – Berlin und Hamburg, 1975.Kunz, B., Altstadtarchäologie in Magdeburg. Archäologie am Domplatz zu Magdeburg – im Schatten der Kaiserpfalz. – Ulrich, S. (Hrsg.), DieGeschichte des Magdeburger Domplatzes. Schriftenreihe des Stadtplanungsamtes (Magdeburg 2003), S. 124-136.Prilloff, R.-J., Tierknochen aus dem mittelalterlichen Konstanz. Eine archäozoologische Studie zur Ernährungswirtschaft und zum Handwerkim Hoch- und Spätmittelalter. – Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 50, Stuttgart 2000.Prilloff, R.-J., Archäozoologische Beiträge zur Geschichte der Stadt Erfurt. – Erfurter Beiträge 3 (Erfurt 2002), S. 71-102.Prilloff, R.-J., Energie- und Rohstoffquelle Tier. – Siebrecht, A. (Hrsg.), Halberstadt, vom Bischofssitz zur Hansestadt. Skizzen zur Halberstäd-ter Geschichte mit einem Exkurs zur Halberstädter Münzgeschichte (Halberstadt 2002), S. 158-169.Schibler, J., Tierknochen als Informationsquelle zu Handwerk, Ernährung und Wirtschaftsweise im Mittelalter der Nordwestschweiz. – Tauber,J. (Hrsg.) Methoden und Perspektiven der Archäologie des Mittelalters. Archäologie und Museum 020, Berichte aus der Arbeit des Amtes fürMuseen und Archäologie des Kantons Baselland (1991), S. 145-156.Zietzschmann, O./Krölling, O., Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte der Haustiere. – Berlin und Hamburg, 1955.

Bildquellennachweis: Abb. 1-3 PriloffAbb. 4 Liederhandschrift Manesse

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Bei den umfangreichen Baumaßnahmen in Magde-burg, am Breiten Weg 5-7, Breiter Weg 8-10 undim Nordabschnitt des Breiten Weges wurden vomLandesamt für Denkmalpflege und ArchäologieSachsen-Anhalt vom Januar 1998 bis Dezember2000 umfangreiche Ausgrabungen durchgeführt.Neben dem typischen Spektrum von Siedlungsfun-den wurden in unterschiedlichen Fundoberflächenzahlreiche Münzen gefunden.

Bei den Münzfunden handelt es sich nicht umgrößere Schatzfunde sondern um Einzelfunde(Streufunde). Sie umfassen ein Spektrum vom Endedes 10. Jahrhunderts bis 1808. Diese Arbeit sollsich mit den Fundmünzen vom späten Mittelalterbis zur Neuzeit beschäftigen. Die Denare und Brak-teaten des 10.-14. Jahrhunderts sollen einer späte-ren Publikation vorbehalten bleiben.

Münzfunde sind Quellen zur Rekonstruktion deshistorischen Geldumlaufs. Durch Handel und Ver-kehr, durch Kriege und als Truppensold strömtefremdes Geld in die Territorien ein. Auch politischeund kirchliche Verbindungen, dynastische Ver-flechtungen und persönliche Beziehungen fördertenZustrom und Verbreitung ausländischer Sorten, dieneben dem landeseigenen Geld in mehr oder weni-ger großen Mengen umliefen.

Bei unseren Streufunden handelt es sich um Ein-zelfunde, die einen Prägezeitraum vom Beginn des14. Jahrhunderts bis 1807 belegen. Es sind zufälligverloren gegangene Kleinmünzen, das damalige„Geld des kleinen Mannes“. Sie geben einen Ein-blick in den Geldumlauf Magdeburgs. Für den Ar-chäologen sind sie wichtige Datierungshilfen beider Erforschung einzelner Fundhorizonte. Sie lie-fern aber auch wichtige Hinweise auf die zeitlicheStellung der „mit vergesellschafteten“ Fundstückesowie der Siedlungsgeschichte.

Die Münzfunde geben ein vielfältiges Bild.Münzen von Brandenburg-Preußen sind mit 7 Ex.am häufigsten vertreten, gefolgt von Sachsen mit 4Ex.. Andere Münzstände sind jeweils nur mit einemStück vertreten. Am häufigsten sind Münzen ausdem 16. und 18. Jahrhundert.

Für diese Zeiträume nun einige Hinweise zuLöhnen und Preisen. Während dieser Zeit gab esörtliche Differenzen im Lohne und Preisgefüge.Aus Ermangelung von Magdeburger Daten seienhier einige Löhne und Preise aus dem benachbartenAnhalt genannt.

1 Gulden = 21 Groschen1 Groschen = ab dem 16./17. Jahrhundert 1/24 Ta-ler

An die Schlossherrschaft hatte der Rat der StadtBernburg 1563 folgende Abgaben an Stellefrüherer Naturalleistungen zu Zahlen:

45 Gulden für 2 Schock Schinken6 Gulden für 2 Fass Aschersleber Bier1 Gulden 12 Groschen für 33 Hühner1 Gulden 3 Groschen für 8 Gänse10 Groschen für 1/2 Maß Honig

31/2 Schock Eier kosteten in Altenburg 10 Groschen1 Schock Eier kosteten in Poley 4 Groschen1 Tonne Butter kostete 10 Gulden1 Tonne Käse kostete 5 Gulden

Löhne und Preise 1567-1569 beim Neubau desLanghauses auf Schloss Bernburg

Als Wochenlohn empfing 1567 u. a. ein

Maurermeister 30 Groschen (= 1 Gulden 9 Groschen)Polier 26 GroschenMaurer 21 GroschenHelfer 15 GroschenZimmergeselle 9-10 1/2 GroschenTischlermeister etwa 1 GuldenLehrjunge 8 Groschen

Von 1567-1570 zahlte man für

37 Schock Lattennägel = 4 Gulden 5 Groschen 6 Pfennig

12 Schock Tornägel = 12 Groschen3400 Stück Zwecken = 1 Gulden 13 Groschen360 Schock Brettnägel = 24 Gulden 18 Groschen2670 Schock Schiefernägel = 94 Gulden

Preise 1726-1728

Das Getreide je nach Ernte:

Scheffel Weizen 23-26 GroschenScheffel Roggen 17-23 GroschenScheffel Gerste 101/2 - 14 GroschenScheffel Hafer 10-12 Groschen

1 Stück Butter 20-21 Pfennig1 Maß Bier 5-6 Pfennig1 Maß Wein 1 Groschen

Der Einzelbeschreibung der Fundmünzen sollnoch eine allgemeine Betrachtung zum Fundvor-kommen und den Fundumständen vorangestelltwerden.

Magdeburger Streumünzfunde am Breiten WegRolf Grune

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Neben 19 Münzen wurden auch ein Rechenpfen-nig (20) und ein Jeton (21) gefunden. Rechenpfen-nige sind meist aus Kupfer geprägte medaillenarti-ge Stücke, die zum Rechnen auf dem RechenbrettVerwendung fanden. Jetons sind zunächst zu be-sonderen Anlässen geprägte Auswurfmünzen (z. B.bei Krönungen und anderen Festlichkeiten). In spä-teren Zeiten auch Spielmarken. Sie waren nicht fürden Umlauf bestimmt, eher kleine Medaillen oderGedenkstücke.

Pos. 14 (Speyer, Schüsselpfennig 1573) wurdein einer Grabgrube mit Skelettresten und Spuren ei-nes Holzsarges im ehemaligen Kreuzgang des Stif-tes St. Nikolai gefunden. Unbemerkt war die Mün-ze im Totengewand zurück geblieben. Viele Mün-zen befanden sich in Auffüllungen. Pos. 10, 16 und05 versteckten sich neben Metall, Bolzen und Wa-genteilen im Hofpflaster der Dompropstei. DieHauptnutzungsphase dürfte im 17. Jh. gelegen ha-ben. Eine ummauerte Abfallgrube, die im Nordenan das Lagergebäude der Dompropstei anschlossenthielt neben Bauernkeramik mit den Jahreszahlen„1813, 1814, 1819“ auch 7 Münzen aus diesemZeithorizont (Pos. 06-08, 11-12, 21). Buntmetall-knöpfe, Kamm und Bürste sowie Bruchstück einesSteingefäßes und einer Achatscheibe vervollständi-gen das Fundensemble (Abb. 1).

Abb. 1 Herkunftsverteilung derMünzen

01. Halberstadt, Domkapitel, Körtling 16. Jahr-hundert, korrodiert, ausgebrochen, 0,42 g; Inv.-Nr.: 99:8458, Av.: StiftswappenRv.: Der stehende St. Stephanus mit Buch,Palmzweig und Steinen.

02. Brandenburg-Preußen, Groschen (16. Jahr-hundert), 0,85 g, korrodiert, ausgebrochen;Inv.-Nr.: 99:8521.Av.: Adler mit Zepter auf der Brust;Rv.: Einfaches kurzes Kreuz, in den Winkelnvier Wappenschilde.

03. Brandenburg-Preußen, Joachim I. und Alb-recht (1499-1514), Groschen 1509, Mzst.Stendal; Inv.-Nr.: 2000:8112. Av.: Adler mit Zepterschild auf der Brust, Umschrift: Adlerkopf :JOAC.Z.ALB.MARE.BRANBVR` :Rv.: Einfaches kurzes Kreuz, in den Winkelnvier Wappenschilder, Umschrift: MONE . NOVA . STENDEL : 1509 :

04. Brandenburg-Preußen, Georg Wilhelm(1619-1640), 1/24 Taler 1625, Mzz. I P,Mzmstr. Jacob Pankert, Mzst. Cöln; Inv.-Nr.:99:8444.Av.: Fünffeldriges Wappen zwischen I – P,Umschrift: GEORG.WILHELM.VON.G.G.Rv.: Reichsapfel mit 24, daneben die Jahres-zahl 16 = 25, Umschrift: MAR.Z.BRAN.D.H.R.R.E.V.CHVRF

Beschreibung der Fundmünzen

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05. Brandenburg-Preußen, Friedrich Wilhelm(1640-1688), 1/24 Taler 1668, Mzz. IL, JobstLiebmann, Wardein, Mzst. Berlin; Inv.-Nr.:99:8924.Av.: Wappen zwischen I – L,Umschrift: FRID.WILH.D.G.MAR.BRANRv.: 24 / 1. R. / THAL / 1668,Umschrift: + S:ROM:I:ARCHIC:ET.ELECTOR.EC.

06. Brandenburg-Preußen, Friedrich II. (1740-1786), 1/12 Taler 1766, Mzz. F, Mzst. Magde-burg; Inv.-Nr.: 99:9533.Av.: Kopf mit Lorbeerkranz rechts (BerlinerTyp), Umschrift: FRIDERICVS BORUSSORUM REXRv.: 12 zwischen kreuzförmigen Blüten (Blü-tenkreuz) / EINEN / REICHS / THALER /1766 / E

07. Brandenburg-Preußen, Friedrich II. (1740-1786), 1/24 Taler 1783 A, Mzst. Berlin; Inv.-Nr.: 99:9646Av.: Bekröntes FR zwischen 17 – 83Rv.: 24 (zwischen fünfblättrigen Blumen) / EINEN / THALER / A (über Palmenzweigen)

08. Brandenburg-Preußen, Friedrich WilhelmIII. (1797-1840), 1 Pfennig 1806, für Westfa-len; Inv.-Nr.: 99:9648Av.: Gekröntes FWRv.: I / PFENN: / SCHEIDE: / MÜNZE /1806 / A (zwischen zwei sechsstrahligen Ster-nen)

09. Sachsen-Meißen, Wilhelm III. (1445-1482),Neuer Schockgroschen, Mzst. GothaInv.-Nr.: 2000:8113.Av.: Kreuz, Umschrift: . + . W . DIE . GRA-CIA . TVRINGE . LANG ;Rv. Mit Kreuz vor dem Meißner Löwen, Umschrift: GROSVS . MARCH . MISNEHSIS

10. Sachsen-Weimar, Johann Ernst und seine 5Brüder (1622-1626), 3 Pfennig 1622 GA,Mzst.: Weimar, Mzmstr. GA = Georg And-reae, Gabriel Andreas genannt, Mzmstr. InWeimar (1620-1624); korrodiert, 0,65 g, 17mm; Inv.-Nr. 99:9174.Av.: 3 Wappenschilde, darunter GARv.: Reichsapfel in Verzierung zwischen 16 - 22

11. Sachsen, Albertiner, Friedrich August III.(I.) (1763-1806-1827); 1 Pfennig 1775 C,Mzst. Dresden; Inv.-Nr.: 99:9647.Av.: I / PFENNIG / 1775 / C.Rv.: ovales Kurwappen

12. Sachsen, Albertiner, Friedrich August III.(I.) (1763-1806-1827); 1 Pfennig 1799?, star-ke Gebrauchsspuren; Inv.-Nr.: 99:9493Av.: I / PFENNIG / (179)9 in RautenkreisRv.: ovales Kurwappen