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Für eine neue Offenheit Rede des Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr zum Neujahrsempfang der FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag

Neujahrsempfang

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Neujahrsempfang 2011

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Für eine neue Offenheit

Rede des Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr zum Neujahrsempfang der FDP-Fraktion im Niedersächsischen Landtag

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Anrede,

„Ihre Freiheit ist unser Auftrag!“ Das klingt zunächst einmal nach schwerer Kost am

Sonntagvormittag. Aber letztlich sind Sie ja auch deswegen gekommen: Weil Ihnen die

Freiheit am Herzen liegt und Sie und wir diese Freiheit nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Wir blicken zurück auf ein Jahr, in dem es für Liberale nicht immer leicht war, diesen Auftrag,

dieses Herzensanliegen, zu verteidigen und umzusetzen. Wir kennen alle die Schlagzeilen

der letzten Monate. Viele von uns wollten die Zeitung morgens lieber gleich im Briefkasten

liegen lassen.

Dennoch geht es doch um die richtigen Inhalte. Und hier unterscheidet sich FDP nach wie

vor von anderen Parteien. Bei uns weiß man genau wofür wir stehen. Wir sind keine SPD,

bei der man nicht wirklich weiß wofür sie steht oder wohin sie will. Und bei denen, von denen

wir wissen wofür sie stehen, sind die einen jetzt auch öffentlich für den Kommunismus und

die anderen sind für das „Dagegen-Sein“. Letztlich geht es doch um Inhalte und nicht um

Umfragen. Und die FDP steht glasklar für bestimmte Inhalte. Wer Freiheit für den wichtigsten

Auftrag an die Politik hält, der ist nach wie vor einzig und allein bei der FDP an der richtigen

Adresse.

Dass wir die richtigen Inhalte haben, daran kann ein ernsthafter Liberaler keine Zweifel

haben, gerade jetzt wo die Wirtschafts- und Finanzkrise überwunden zu sein scheint. Wir

haben immer gefordert, aus der Finanz- und Währungskrise die richtigen Lehren zu ziehen.

Wir haben immer gesagt, dass es nicht sein kann, dass sich die Verursacher der Krise

einfach aus der Verantwortung stehlen können und der Steuerzahler für die Verluste

aufkommt.

Anrede,

ich habe letztes Jahr an dieser Stelle gesagt, dass wir endlich eine Insolvenzordnung für

Banken brauchen, damit Verantwortungslosigkeit im Finanzwesen auch mit Insolvenz

bestraft werden kann. Es darf kein „too big to fail“ mehr geben. Ein Jahr später haben wir das

Banken-Restrukturierungsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung, das genau das

macht: Diejenigen, die ein hohes Risiko eingehen auch für dieses Risiko in Haftung zu

nehmen. Das ist liberale Politik in der Regierung.

Beim Rückblick auf das Jahr 2010 sticht ein Ereignis besonders heraus. Das ist die Wahl

eines Niedersachsen in das höchste deutsche Staatsamt. Wir alle haben uns sehr gefreut,

dass Christian Wulff am 30. Juni zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Zwanzig Jahre

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nach der Wiedervereinigung ging es auch hier um die Freiheit. Diether Dehm, der damalige

Vorsitzende der Linkspartei in Niedersachsen, hat die Wahl zwischen Wulff und Gauck mit

der Entscheidung zwischen Hitler und Stalin verglichen. Damit hat er sich aus dem Kreis der

Demokraten verabschiedet. Er hat versucht, Gräben aufzureißen und Ost und West

gegeneinander auszuspielen, zum Glück ohne Erfolg. Diesen Ewiggestrigen treten wir mir

klarer liberaler Politik entgegen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen

sind politische Entscheidungen inzwischen von der Linken abhängig. Sie haben mit dem, wie

wir den Einzelnen in der Gesellschaft und die Gesellschaft als Ganzes sehen, nichts zu tun.

Diese Salon-Kommunisten dürfen keine Verantwortung bekommen.

Der Wechsel von Christian Wulff nach Berlin hat auch einen Wechsel in der

Niedersächsischen Staatskanzlei nach sich gezogen. Seit dem 1. Juli 2010 ist David

McAllister unser Ministerpräsident. Die Zusammenarbeit von Union und FDP in

Niedersachsen bleibt weiterhin vertrauensvoll, fair, und vor allem verlässlich. Und gerade mit

David McAllister ist sie auch freundschaftlich. Wie gut schwarz-gelb funktioniert zeigt sich

seit 2003 hier bei uns in Niedersachsen.

Anrede,

im Jahr 2010 gab es auch den Startschuss für das wichtigste politische Projekt in

Niedersachsen in dieser Legislaturperiode, die Schulreform. Die Niedersächsische

Oberschule basiert auf dem Vorschlag, den die FDP in die Schuldiskussion eingebracht hat.

Das macht uns stolz. Mit der neuen Oberschule kann es gelingen, endlich den

jahrzehntelangen Streit um die Schulstruktur zu beenden. Mit der Niedersächsischen

Oberschule setzen wir auf flexible Lösungen in den Kommunen vor Ort. So kann Bildung

wohnortnah angeboten werden, trotz des demografischen Wandels. Was an den Haupt- und

Realschulen gut gelaufen ist, wollen wir an der Oberschule fortsetzen. Gleichzeitig wollen wir

die Qualität weiter verbessern durch kleinere Klassen, mehr Sozialpädagogen, mehr

Ganztagsunterricht.

Diese Reform ist auch ein klares Bekenntnis zur erfolgreichsten Schulform, die wir haben,

dem Gymnasium. Die FDP hat sich massiv gegen die Einheitsschule eingesetzt. Uns geht es

um jedes einzelne Kind mit seiner individuellen Begabung. SPD und Grüne hingegen

propagieren weiterhin reflexartig, dass eine Schule für alle am besten geeignet sei für die

verschiedenen Bedürfnisse der Schüler. SPD und Grüne wollen das Gymnasium nicht mehr,

sie haben es selbst zugegeben, und ohne die FDP kämen auf die erfolgreichste Schulform

große Schwierigkeiten zu. Das ist ein klares Versprechen an Eltern und Schüler: Die FDP

wird weiter der Anwalt des Gymnasiums sein. Niedersachsen wird nicht das Land der

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Einheitsschule. Denn zur Freiheit gehört auch die Freiheit, sein Kind auf ein Gymnasium zu

schicken. Wer die eine Schule für alle will, der gibt das Gymnasium für alle auf. Das ist mit

der FDP nicht zu machen.

Anrede,

„Ihre Freiheit ist unser Auftrag“. Das bedeutet nicht nur, dass wir Liberale auf die richtigen

Inhalte setzen. Wenn es um Freiheit geht, geht es immer auch um die richtigen Strukturen

und Verfahren. Da geht ist immer auch um Transparenz, um das Recht der Menschen,

verstehen zu können, was warum und wie entschieden wird. Es geht darum, dass politische

Entscheidungen nachvollziehbar sind. Dann sind die Menschen auch bereit, eine

Entscheidung zu akzeptieren, die ihnen vielleicht auch einmal nicht recht ist. Zur Demokratie

gehört, dass die Bürger verstehen, was passiert. Für die FDP ist es daher von zentraler

Bedeutung, dass die aktive Bürgergesellschaft nicht nur eine Worthülse bleibt, sondern

gelebte Realität wird. Und in dieser Hinsicht war 2010 ein extrem wichtiges Lehrjahr. Es

erfüllt mich mit Sorge, wenn der „Wutbürger“ zum Wort des Jahres gekürt wird. Das ist doch

ein deutliches Zeichen dafür, dass etwas im Verhältnis von Bürger und Staat nicht stimmen

kann.

Es stimmt tatsächlich etwas nicht, wenn die Entscheidungen zu wichtigen

Infrastrukturvorhaben sich fast über eine Generation hinziehen. Die Machbarkeitsstudie zu

Stuttgart 21 wurde 1994 in Auftrag gegeben. Wer damals ein Jahr alt war, der nimmt dieses

Jahr zum ersten Mal an der Landtagswahl in Baden-Württemberg teil. Da ist es kein Wunder,

dass die Bürger mit dieser Art von Entscheidungsfindung unzufrieden sind. Es ist blamabel

für einen Staat, wenn er fast eine ganze Generation braucht, um eine wichtige Entscheidung

zu treffen.

Hinzu kommt auch noch politische Heuchelei: In Stuttgart demonstrieren grüne

Bahnbefürworter gegen ein Bahnprojekt. Und im Jahr 2002 erklärte Jürgen Trittin als grüner

Umweltminister: „Es gibt für Grüne keinen Grund, gegen die Castor-Transporte zu

demonstrieren“. In der Opposition im Jahr 2010 stellen sich Grüne in Gorleben an die Spitze

der Anti-Atom-Bewegung. Wer soll bei einem politischen Personal mit diesem Verhältnis zu

Wahrheit und Aufrichtigkeit eigentlich noch Vertrauen in die Politik haben?

Anrede,

im Grunde geht es in der aktuellen Debatte um Komplexität, genauer um eine „doppelte

Komplexität.“ Niemand wird bestreiten wollen, dass unsere Welt immer komplizierter wird.

Die Sachverhalte, mit denen sich Politik auseinandersetzt, sind hochkomplex und selten

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einfach schwarz oder weiß. Im Falle Stuttgart 21 geht es um die Interessen der Anwohner,

um hundert Jahre alte Bäume und zugleich um Juchtenkäfer. Es geht um die Chance, ein

neues Stadtviertel zu schaffen, das nach neuesten ökologischen Kriterien gebaut werden

soll, es geht um ein leistungsfähiges Schienennetz, es geht natürlich auch ums Geld und

hinzu kommen noch Aspekte wie Gleichstellung, Behinderung, Datenschutz, Föderalismus,

Europarecht, und viele mehr. Die Komplexität der Sachverhalte können wir nicht ändern. Wir

leben in einer hochentwickelten Gesellschaft. Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich

jedes Jahr. Wir können die Realität also nicht einfacher machen. Aber wir können die

Entscheidungs- und Beteiligungsprozesse einfacher machen. Wir müssen es sogar. Denn

auf die komplizierte Realität hat die Politik noch kompliziertere und für den einzelnen

undurchschaubare Verfahren gesetzt.

In den vergangenen Jahrzehnten hat es die Politik geschafft, die komplizierte Wirklichkeit

noch komplizierter zu machen. Dafür steht zum Beispiel das Wort

„Planfeststellungsverfahren“. Wer kein Jurastudium absolviert hat, der blickt nicht mehr

durch. Da ist es kein Wunder, dass sich die Bürger immer unverstandener, übergangener

und ausgeschlossener fühlen. Demokratie bedeutet aber, dass die Bürger teilhaben an der

politischen Entscheidungsfindung. Wenn die Menschen das nicht können, weil kein

vernünftiger Mensch die Verfahren mehr durchschaut, dann muss eine demokratische

Gesellschaft handeln.

Anrede,

die protestierenden Bürger haben also recht. Der Politik ging es zwar um gerechte

Lösungen. Aber im Grunde wurde nur eine Scheingerechtigkeit geschaffen. Bürgernähe,

Transparenz und Teilhabe sind in Wahrheit dafür geopfert worden. Hier ist die liberale

Ordnungspolitik gefragt, Demokratiepolitik ist Ordnungspolitik. Aufgabe der Ordnungspolitik

ist es, die eigentlichen Mechanismen, die eigentliche Gerechtigkeit der Leistung, die nicht

mehr erkennbar ist, wieder freizulegen. Es geht darum, die komplexe Realität zu ordnen.

Und diese Ordnung zu ermöglichen ist der Markenkern der FDP. Wir können die Verfahren

einfacher machen. Wir wollen nicht scheinbare Gerechtigkeit durch immer kompliziertere

Verfahren. Wir wollen, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, durch Beteiligung

politische Entscheidungen selbst zu beeinflussen. Das ist die wahre Bürgergesellschaft.

All denjenigen, die hoffen, durch ein paar mehr Bürgerentscheide, durch etwas mehr direkte

Demokratie, könne man die Sache heilen, werden meiner Ansicht nach am Ende enttäuscht

werden. Die Bürger sind durchaus bereit, Entscheidungen einer politischen Mehrheit zu

akzeptieren. Der Weg zur Entscheidung aber muss nachvollziehbar sein und die

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Entscheidung muss in einem angemessenen Zeitrahmen fallen. Wenn man - auch in

Niedersachsen - keine Ortsumgehung in kürzerer Zeit als einem viertel Jahrhundert bauen

kann, dann stimmt etwas nicht. Kurze und gleichzeitig transparente Planungsverfahren sind

kein Widerspruch.

Anrede,

die Lösung, die wir brauchen, besteht aus zwei Teilen. Zum einen brauchen wir eine neue

Offenheit. Die staatlichen Institutionen müssen sich verstärkt den Menschen öffnen. Es geht

darum, Beteiligung in verschiedensten Formen zu ermöglichen. Diese neue Offenheit

braucht es in Parlamenten, in Regierungen und auch in Verwaltungen. Wir Liberale haben

dabei keine Angst vor dem Dissens. Eine Konsensgesellschaft wird ganz schnell zur

Konkursgesellschaft, das wollen wir verhindern.

Auf der kommunalen Ebene wird diese Offenheit schon sehr gut umgesetzt. Kommunalpolitik

ist den Menschen am nächsten. Liberale Kommunalpolitiker sind entscheidend, wenn es

darum geht, diese Philosophie vor Ort umzusetzen. Und sie tun es vielfach heute schon, mit

Bürgerbeteiligung, mit Glaubwürdigkeit und vor allem mit Offenheit. Bei der Kommunalwahl

im September wird es darum gehen, den Menschen zu zeigen, dass für uns Liberale die

Bürgergesellschaft nicht nur eine Worthülse ist, sondern dass wir sie jeden Tag aufs Neue

umsetzen müssen. Denn für uns Liberale ist klar, dass die kommunale Ebene das

Fundament der Demokratie ist.

Zum einen geht es um eine neue Offenheit, zum anderen um Ordnungspolitik. Wir brauchen

nicht den Regelungsstaat, der alles vorschreibt. Er ist geschaffen worden durch eine Politik

der Ja-Sager. Sie selbst hat die hohen Erwartungen und Ansprüche erzeugt, die sich nicht

erfüllen lassen. Wer allen und jedem das Blaue vom Himmel verspricht, der ist gezwungen,

Regelungen zu schaffen, die komplizierter und intransparenter werden. Hier ist dringend

liberale Ordnungspolitik gefragt. Nur einfache Regelungen sind transparent. Nur an

einfachen Systemen kann jeder teilhaben. Und nur einfache und nachvollziehbare Gesetze

sind gerecht.

Deswegen fordern wir Liberale schon seit Jahren ein einfacheres Steuersystem. Und nur

weil uns derzeit etwas Gegenwind ins Gesicht bläst, lassen wir uns nicht von dieser richtigen

Forderung abbringen. Was grundsätzlich richtig ist, hängt nicht allein von der Kassenlage ab.

Schon gar nicht, wenn es um die Grundordnung unseres Gemeinwesens geht.

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das Protestjahr 2010 hat uns vor Augen geführt, dass wir einen einfacheren, transparenteren

und bürgernäheren Staat brauchen. Ob Steuerrecht, Planungsrecht oder Vergaberecht. Die

Zeit der Privilegien für lautstarke Partikularinteressen ist vorbei. Die Zeit der komplexen

Verfahren ist vorbei. Demokratie wird von Bürgern gemacht und nicht von Richtern,

Gutachtern oder Juchtenkäferexperten.

Anrede,

wir sind die einzigen, die die Bürger in ihrem Wunsch nach Beteiligung ernst nehmen.

Gerade Parteien wie SPD, Grüne und Linke sind die wahren Klientel-Parteien. Die FDP ist

nicht erst seit heute die Partei, die sich der Bürgergesellschaft verschrieben hat. Die FDP

wird gebraucht, um die Krise zwischen Bürgern und Politik glaubwürdig zu lösen. Wir wollen

einfache Verfahren und Regelungen, die eine aktive Bürgergesellschaft überhaupt erst

ermöglichen. Nur so entsteht Freiheit. Ihre Freiheit. Unser Auftrag.