Upload
others
View
0
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Studie zur Selbstheilung bei pathologischen Glücksspielern
- mögliche Ansätze für Hilfe und Prävention
Dr. Jens Kalke & Sven Buth
gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit (2012/2013)
Inhalt
1. Hintergrund und Zielsetzung
2. Methodische Anlage
3. Untersuchungsgruppen
4. Ausgewählte Ergebnisse
5. Fazit
Hintergrund und Zielsetzung
Hintergrund
Lebenszeitprävalenz path. Glücksspielens: 1,0% 530.000 Personen
remittierte PGS (≈ 339.000 Personen)
aktuelle PGS (≈191.000 Personen)
64% 36%
Quelle: PAGE-Studie; Meyer et al. 2011
≈
80% 20%
Selbstheiler (remittiert ohne formelle Hilfe)(≈ 271.000 Personen)
Remittiert mit formeller Hilfe(≈ 68.000 Personen)
Studie
Anzahl/Erhebungs-
modus
Lifetimepräva-lenz pathl.
Spielen
Überwindung der Spielprobleme (mit und
ohne prof. Hilfe)
davon durch Selbstheilung
Slutske et. al. 2006 (USA)
N=43.093Face-to-face 0,40% 36% 89%
Slutske et. al. 2006 (USA)
N=2.417telefonisch 0,80% 38,9% 89%
Cunningham et al. 2009 (Kanada)
N=8.467telefonisch
14,2% (CLiP-Kriterium) 37,3% 98%
Slutske et. al. 2009(Australien)
N=4.764telefonisch 2,2% 42,3% 82%
Meyer et al. 2011PAGE-Studie (D)
N=15.023 telefonisch 1,0 63,9% 80%
Internationale Studien mit Angaben zur Prävalenz der Selbstheilung
Mechanismen zur Überwindung der Spielsucht
(Tonneato et al. 2008, N=37)
Mechanismen zur SelbstheilungVermeidung des Besuchs von Spieletablissements 63%
Etablierung eines Lebensstils, der mit dem Glücksspielen nur schwer in Einklang zu bringen ist
60%
Restriktion des Geldzugangs 26%
sich Dritten anvertrauen 23%
Bewusstwerdung der negativen Konsequenzen des Glücksspielens
20%
Gebrauch des eigenen Verstandes / Suche nach den wichtigen Dingen des Lebens
N=25
Festlegen von Limits und dabei bleiben / keine Kreditkarten dabei haben
N=18
Meiden von Spielstätten N=15
andere Hobbys oder Aktivitäten / war beschäftigt N=6
Zusammensein mit anderen Spielern unterbunden / Wegzug/ Entfernen von Versuchungen zu spielen
N=3
Gebete N=3
keinerlei Strategie für den Ausstieg N=66
Strategien der Selbstheilung (Cunningham et al. 2009, N=130)
Förderung von (Selbst-)Heilungsprozessen – Thesen
(nach Toneatto al. 2008)
• Trainingsprogramme für ProblemspielerInnen (→ Vermeidung von Kontrollillusionen)
• Sensibilisierung für Spielsuchtfolgeprobleme• Ausbau Sperrsysteme• Einschränkung Geldzugang (→ Banken)• Angebote alternativer Freizeitgestaltung
Zielsetzung der Selbstheilerstudie
Identifizierung von Faktoren, die eine Selbstheilung befördern bzw. behindern
Verbesserung der Maßnahmen des Spielerschutzes mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse
Erhöhung der Selbstheilerquote
Methodische Anlage
Ablauf der Studie
• Rekrutierung von vier Untersuchungsgruppen – anvisierte Gruppen(größen)
100 geheilte ehemalige pathologische Spieler (PGS), die keine glücksspielbezogene professionelle (formelle) Hilfe in Anspruch nahmen
100 geheilte ehemalige PGS, die formelle Hilfe in Anspruch nahmen 100 aktuelle PGS ohne Inanspruchnahme von Hilfe 100 aktuelle PGS mit Inanspruchnahme von Hilfe
• Telefonische bzw. schriftliche Befragung der Teilnehmer• vergleichende (Gruppen-)Analysen• Bewertung und Einordnung der Ergebnisse• Veröffentlichung der Ergebnisse (Bericht, Publikationen)• Diskussion der Ergebnisse mit Verantwortlichen aus den Bereichen
Politik und Prävention
Definition der Analysegruppen (I)
ohne formelle Hilfe mit formeller Hilfe
remittiert
aktuell pathologisch spielend
Selbstheiler remittiert mit formeller Hilfe
PGS ohne formelle Hilfe PGS mit formeller Hilfe
DSM-IV-aktuell = 5 Kriterien
? ?
Definition der Analysegruppen (II)
ohne formelle Hilfe• Befragte mit keiner bzw. sehr geringen Inanspruchnahme formeller Hilfe:• Personen ohne jegliche glücksspielbezogene formelle Hilfe• 1 bis 2 Mal: Beratung wegen Glücksspielens in psychiatrischer Klinik, Spielersprechstunde,
Selbsthilfegruppe, Online-Beratung, Suchtberatungsstelle, Forum oder Chat zur Glücksspielsucht, Glücksspielhotline, Psychologe
• keine Behandlung in psychiatrischer oder auf Glücksspielen spezialisierte Klinik, keine amb. Reha in glücksspielbezogener Einrichtung
mit formeller Hilfe• Befragte mit intensiverer Inanspruchnahme formeller Hilfe:• >4 Mal: Beratung wegen Glücksspielens in psychiatrischer Klinik, Spielersprechstunde,
Online-Beratung, Suchtberatungsstelle, Glücksspielhotline, Psychologe• >5 Mal: Forum oder Chat zur Glücksspielsucht• >9 Mal: Besuch einer Selbsthilfegruppe• Mindestens eine Behandlung in psychiatrischer oder auf Glücksspielen spezialisierte Klinik
oder in amb. Reha in glücksspielbezogener Einrichtung
Rekrutierungswege• Anzeigen in Wochenblättern (Auflage mehrere Millionen) und Hamburger-
Morgenpost• Platzieren von Hinweisen zur Studie in glücksspielbezogenen
Internetforen • Platzieren von Hinweisen zur Studie auf Spielerschutzseiten • Platzieren von Hinweisen zur Studie im Internet in Kleinanzeigenportalen,
Arbeitslosen- und Schuldnerberatungsforen• Anschreiben gesperrter Spieler der Berliner Spielbank• Plakate in öffentlichen Verkehrsmitteln (Hamburg, Köln, Leipzig)• Auslegen von Flyern im Fahrkartenverkaufsbereich großer Bahnhöfe
(Frankfurt/Main, Kaiserslautern, Magdeburg, Berlin, Bremen, Hannover, Mainz)
• Aushänge bzw. Ansprache von Betroffenen in Hilfeeinrichtungen • Auslegen von Flyern in Stadtteilen mit hoher Automatendichte• Ansprechen von Spielern in türkischen Cafés bzw. Kulturvereinen• Auslage von Flyern in Schuldnerberatungsstellen• Anschreiben von Studienteilnehmern aus der PAGE-Studie (nur Geheilte,
nur Selbstmelder)
Beispiele für geschaltete Anzeigen
Bedeutung der verschiedenen Rekrutierungswege
20,5%
18,0%
14,7%
8,5% 7,6%5,3% 5,1% 4,9%
2,7%
8,2%
4,5%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
Im Fragebogen verwendete Instrumente
• Demografie & Biografie• Früheres und aktuelles Spielverhalten• Frühere und aktuelle Spielprobleme + daraus resultierende Folgen• Motive der Spielteilnahme (Gambling Motives Questionnaire - GMQ)• Inanspruchnahme von Hilfe• Strategien der Vermeidung exzessiven Spielens• Gründe für Beendigung des Spielverhaltens• Fragebogen zur sozialen Unterstützung (F-SozU: Kurzform K-14)• Kognitive Verzerrungen (Gamblers Beliefs Questionaire - GBQ)• Strategien zur Aufrechterhaltung des Spielstopps (Coping Behaviours
Inventory - CBI)• Gesundheit und Befinden (SLC-27)• Selbstwirksamkeit nach Jerusalem & Schwarzer• Impulsives-Verhalten (Kurzskala I-8)• State-Trait-Angstinventar (STAI-Trait)• Adverse Childhood Experiences Questionnaire (ACE)• Fragebogen zur Lebensqualität und Befindlichkeit (MSLQ)
Bestimmung der AnalysestichprobenGesamtstichprobe: N=347
remittiert: N=116 aktuelle PGS: N=144
Selbstheiler: N=62
Remittiert mit formeller Hilfe: N=54
Aktuelle PGS ohne formelle Hilfe: N=84
Ausschluss von Teilnehmern die…• 3 oder 4 DSM-IV-Kriterien als aktuellen Problemstatus aufwiesen (N=27),• die 4 DSM-IV-Kriterien als maximalen Lifetime-Problemstatus aufwiesen (N=14),• die geringe formelle Hilfe in Anspruch nahmen (N=13),• deren Angaben im Hauptfragebogen nicht dem DSM-IV-Screening korrespondierten
(N=33).
Aktuelle PGS mit formeller Hilfe: N=60
Untersuchungsgruppen
Beschreibung der Gruppen
Selbstheiler Geheilt mit formeller Hilfe
Anteil Männer 87,1% 77,8%
Alter (Spanne: 18-78 Jahre) 43,5 47,1
Realschule oder höher 64,5% 75,9%
Migrationshintergrund 22,6% 16,7%
erwerbslos 11,1% 10,0%
Monate mit Arbeitslosigkeit im Leben (Median) 18 18
HH-Einkommen
Glücksspielbezogene Probleme
Selbstheiler Geheilt mit formeller Hilfe
DSM-IV (Lifetime) 7,4 8,3
Dauer der Spielprobleme in Jahren (Median) 9,0 10,0
Versuche, das Spielen einzuschränken oder zu beenden (Median) 5,0 4,5
Selbsteinschätzung der Problemschwere (Anteil „schwer“ oder „sehr schwer“) 52,5% 84,6%
>10tsd Euro Verlust in einem Jahr 23,0% 60,0%
Illegale Handlungen wegen Glücksspiel 16,4% 27,8%
Arbeitsplatz wegen des Spielens (fast) verloren 8,2% 27,8%
Bedeutung der Spielarten für die Entwicklung eines Spielproblems*
Selbstheiler Geheilt mit formeller Hilfe
Lotto 8,5% 3,8%
Sportwetten (terrestrisch) 13,8% 18,9%
Sportwetten (Internet) 12,1% 15,1%
Kasinospiele (terrestrisch) 29,3% 30,2%
Poker (Internet) 13,8% 7,5%
Automaten im Kasino 25,4% 55,6%
Automaten in Spielhalle 60,7% 79,2%
*) Wiedergegeben sind die Anteile der Personen, die auf einer Skala von 1 (gar keine Bedeutung) bis 7 (sehr große Bedeutung) Angaben zwischen 5 und 7 vornahmen
Psychische Belastungen
Selbstheiler Geheilt mit formeller Hilfe
depressive Symptome (aktuell) 30,6% 42,6%
jemals amb. Behandlung wegen Depression 9,7% 29,6%
jemals stat. Behandlung wegen Depression 4,8% 24,1%
Angstsymptome (Trait) 40,3% 44,4%
Mangel an sozialer Unterstützung (aktuell) 19,4% 24,1%
geringe Selbstwirksamkeit 14,5% 9,6%
4 oder mehr Traumata jemals im Leben 25,8% 37,0%
Zusammenfassung Selbstheiler
• Selbstheiler zeigen bzgl. soziodemografischer Merkmale kaum besondere Merkmale.
• Selbstheiler zeigen ein leicht geringeres Ausmaß der früheren Spielprobleme nach DSM-IV.
• Selbstheiler bewerten aber die eigene Spielsucht weniger häufig als schwerwiegend.
• Selbstheiler sind weniger häufig von spielsuchtbedingten (Folge-)Problemen betroffen.
• Selbstheiler sind psychisch weniger stark belastet.
Ergebnisse
Vorbemerkung
• Die im Folgenden ausgewerteten Fragen beziehen sich vorwiegend auf Aspekte, die (potentiell) durch Maßnahmen der Prävention & Hilfe beeinflusst werden könnten.
(sehr) große persönliche Bedeutung für die Überwindung der Glücksspielprobleme
Selbstheiler (N=62) Geheilt mit form. Hilfe (N=54)
Selbsthilfe-Bücher 15,3% 28,0%
Spielersperre 15,0% 15,1%
Informationen aus dem Internet 8,5% 23,1%
Schuldnerberatung 8,3% 39,6%
Angehörige, die in Beratung wegen meines Spielproblems waren 8,3% 17,3%
Beratungsangebote im Internet 5,1% 13,5%
Lebensberatung 5,0% 30,2%
Familienberatung 3,4% 15,4%
Kirchengemeinde/Pfarrer 3,4% 5,9%
Bankberater 1,7% 7,7%
Schon einmal erlebte Interventionen von Glücksspielanbietern
Selbstheiler (N=61) Geheilt mit form. Hilfe
(N=54)
Hausverbot 13,1% 16,7%
Spielersperre 11,5% 22,2%
Ansprache Personal 8,2% 11,1%
Kognitive Verzerrungen - Gamblers’ Beliefs Questionnaire (GBQ)
21 Items, von 1 „stimmt gar nicht“ bis 7 „stimmt vollkommen“, Gesamtscore 21 bis 147 Punkte möglich, je höher der Wert, desto größer die kognitiven Verzerrungen.
Selbstheiler (N=58) Geheilt mit form. Hilfe
(N=51)
Score (21 Items, 21 bis 147)
78,8 95,4
Andere Studien Steenbergh et al. 2002 MacKillop et al. 2006 Mitrovic & Brown 2009
Ø 10mal gespielt letzte 12 Monate, mehr als 3
Stunden bei jeder Gelegenheit (N=403)
Pathologische Glücksspieler nach SOGS (N=24)
Problematische Pokerspieler nach Canadian Problem Gambling Index (N=24)
Score (21 Items, 21 bis 147) 54,6 91 80,1
Persönliche Strategien zur Vermeidung des Spielens (einzelne Items, Kategorien: „oft/meistens“)
Selbstheiler (N=62) Geheilt mit form. Hilfe
(N=54)
CBI
Ich habe mich in der Gesellschaft von Menschen aufgehalten, die nicht spielen. 54,8% 66,7%
Ich habe mich von Menschen ferngehalten, die spielen. 37,7% 70,4%
Ich habe Orte gemieden, wo ich gespielt habe. 47,5% 72,2%
Ich habe mein Geld zuhause gelassen. 27,4% 33,3%
Ich bin zu einem Treffen einer Selbsthilfegruppe gegangen. 4,8% 61,1%
Nicht CBI
Ich habe Spielstätten bewusst gemieden. 59,0% 77,8%
Ich habe dafür gesorgt. dass ich nur eingeschränkten Zugang zu Geld hatte. 14,5% 37,0%
Barrieren der Inanspruchnahme von Hilfe(Anteil Nennungen „triff (genau) zu“)
Selbstheiler (N=62) Geheilt mit form. Hilfe (N=54)
Hilfeangebot
keine spezialisierten Hilfen im Wohnort 11,3% 18,9%
schlechte Erfahrungen mit Hilfeangeboten 9,7% 5,6%
Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, um Hilfe zu bekommen 19,4% 24,1%
Angst vor Stigmatisierung
wollte nicht als süchtig/psychisch krank eingestuft werden 45,2% 68,5%
unangenehm oder peinlich, Hilfe in Anspruch zu nehmen 41,9% 66,7%
Zweifel am Erfolg der Hilfe
geglaubt, dass eine Behandlung mir nicht helfen würde 38,7% 47,2%
gedacht, dass eine Behandlung mich zu viel und Energie kostet 25,8% 32,1%
Fazit
Mögliche Ansätze für Prävention & Hilfe
• keine spezifischen Empfehlungen für Selbstheilungs-prozesse, sondern generell für den Bereich der Prävention & Hilfe →
• Entwicklung von Tipps „Vermeidungsstrategien des Spielens“• Maßnahmen/Materialien zum Thema „Kognitive
Verzerrungen“ anbieten• Werbung darf keine Kontroll-Illusionen fördern • Sperrsystem ausweiten• Kooperation mit Schuldnerberatung verstärken• Selbsthilfe-Materialen ausbauen• Entstigmatisierung von Hilfen & Behandlung
Herzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit!
Studie zur Selbstheilung bei �pathologischen Glücksspielern��- mögliche Ansätze für Hilfe und Prävention���InhaltFoliennummer 3HintergrundFoliennummer 5Mechanismen zur Überwindung �der Spielsucht �(Tonneato et al. 2008, N=37)Foliennummer 7Förderung von �(Selbst-)Heilungsprozessen – Thesen�(nach Toneatto al. 2008)Zielsetzung der SelbstheilerstudieFoliennummer 10Ablauf der StudieDefinition der Analysegruppen (I)Definition der Analysegruppen (II)RekrutierungswegeBeispiele für geschaltete AnzeigenBedeutung der verschiedenen RekrutierungswegeIm Fragebogen verwendete InstrumenteBestimmung der AnalysestichprobenFoliennummer 19Beschreibung der GruppenGlücksspielbezogene ProblemeBedeutung der Spielarten für die Entwicklung eines Spielproblems*Psychische BelastungenZusammenfassung SelbstheilerFoliennummer 25Vorbemerkung(sehr) große persönliche Bedeutung für die Überwindung der GlücksspielproblemeSchon einmal erlebte Interventionen von GlücksspielanbieternKognitive Verzerrungen - Gamblers’ Beliefs Questionnaire (GBQ)Persönliche Strategien �zur Vermeidung des Spielens �(einzelne Items, Kategorien: „oft/meistens“)Barrieren der Inanspruchnahme von Hilfe�(Anteil Nennungen „triff (genau) zu“)Foliennummer 32Mögliche Ansätze �für Prävention & HilfeHerzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit!