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Nicole Hug Anästhesie Kantonsspital Aarau Diplomarbeit im Rahmen des Nachdiplomstudiums HF Aargauische Fachschule für Anästhesie-, Intensiv- und Notfallpflege Rupperswil, 27. November 2015

Nicole Hug Anästhesie Kantonsspital Aarau … · Die Regionalanästhesie Die RSI als logische Schlussfolgerung, wenn zwingend eine Allgemeinanästhesie bei einem Patienten mit erhöhtem

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Nicole Hug

Anästhesie Kantonsspital Aarau

Diplomarbeit im Rahmen des Nachdiplomstudiums HF

Aargauische Fachschule für Anästhesie-, Intensiv- und Notfallpflege

Rupperswil, 27. November 2015

Vermerk

Diese Arbeit wurde im Rahmen des Nachdiplomstudiums an der Aargauischen

Fachschule für Anästhesie-, Intensiv- und Notfallpflege Aarau und Baden verfasst.

Anmerkung der Autorin

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

Deklaration

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt und

die mit ihr unmittelbar verbundenen Tätigkeiten selbst erbracht habe. Ich erkläre, dass

ich keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.

Alle ausgedruckten, ungedruckten oder im Internet im Wortlaut oder im wesentlichen

Inhalt übernommenen Formulierungen sind durch genaue Quellenangaben

gekennzeichnet.

Ort, Datum:_____________________ Unterschrift:________________________

Danksagung

Vielen Dank an alle Personen, welche mich während dieses Prozesses unterstützt

haben. Insbesondere erwähnen möchte ich aus der Praxis S. Gross und M. Gautschi,

vielen Dank für all die kritischen Fragen, Anregungen und für die Geduld. Ein

herzliches Dankeschön auch an Dr. A. Rohr, der sich die Zeit nahm, mein gewähltes

Thema in Bezug auf die Durchführung in der Praxis zu beleuchten. D. Schmied hat

nebst intensiven Fachgesprächen mit mir die Arbeit auf inhaltliche Verständlichkeit

überprüft, dafür bin ich sehr dankbar. Kaum in Worte fassen kann ich meine

Dankbarkeit gegenüber zwei Personen, die sehr viel Freizeit zum einen in die

Rechtschreibung und in die Grammatik und zum anderen in die Einhaltung der

formalen Kriterien gesteckt haben. Corina und Francine, ich bin immer noch

überwältigt von so viel Hilfsbereitschaft, vielen Dank dafür.

Auch meinem sozialen Umfeld, speziell N. Stempfel, danke ich für all die motivierenden

Worte und die Unterstützung in dieser Zeit.

Zusammenfassung

Es gibt keine Massnahme, die eine Aspiration mit Sicherheit verhindern kann.

Die auslösenden und beeinflussenden Faktoren, welche schliesslich zu einer

Aspiration bei der Narkoseeinleitung führen, sind vielfältig. Das Wissen um die

physiologischen/pathophysiologischen Einwirkungen sind essentiell, um ein erhöhtes

Aspirationsrisiko feststellen zu können. Gewisse Traumata, Erkrankungen der oberen

Atemwege, neurologische und endokrinologische Pathophysiologien können eine

erhöhte Aspirationsgefahr in sich bergen. Einen grossen Einfluss hat die pathologisch

verzögerte Magenentleerung oder fehlende Magenpassage.

Um die Bedeutsamkeit der Aspirationsprophylaxe ersichtlich zu machen, müssen die

möglichen Folgen und Komplikationen einer erlittenen Aspiration bekannt sein. Die

therapeutischen Massnahmen nach einer erfolgten Aspiration sollten unverzüglich

eingeleitet werden. Dabei ist es von Bedeutung, den Ablauf mit den

Sofortmassnahmen und der weiterführenden Therapie, falls nötig, zu kennen. Dies

verhindert Unruhe und Hektik während dieser heiklen Situation.

Das Thema der Aspirationsprophylaxe darf nicht nur auf den Moment der

Narkoseeinleitung reduziert werden. In dieser Arbeit werden die Schwerpunkte zur

Minimierung des Aspirationsrisikos genauer beschrieben. Es wird aufgezeigt, dass ein

Teil dieser „Massnahmen“ schon weit vor der Einleitungssequenz der eigentlichen

Narkose beginnt. Hervorgehoben wird, dass das Wissen um die beeinflussenden

Faktoren an sich schon eine wichtige Massnahme zur Verminderung des

Aspirationsrisikos ist. Auch wurde dem Punkt der RSI (rapid sequence induction)

verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Die RSI ist eine Massnahme zur

Aspirationsprophylaxe. Die Durchführung der RSI beinhaltet wiederum einzelne

Komponenten, die in der Literatur wie auch in der Praxis kontrovers diskutiert werden.

Eine seriös durchgeführte RSI bedarf im Vorfeld einer guten Planung und

Vorbereitung.

Die Pfeiler der Aspirationsprophylaxe sind:

Die Nüchternheit und die Überprüfung deren Einhaltung

Das Wissen um beeinflussende Faktoren für ein erhöhtes Aspirationsrisiko

Die Möglichkeit der Durchführung einer medikamentösen Aspirationsprophylaxe

Die Einlage einer Magensonde vor Narkoseeinleitung bei geltender Indikation

Die Regionalanästhesie

Die RSI als logische Schlussfolgerung, wenn zwingend eine Allgemeinanästhesie

bei einem Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko indiziert ist

Weder bei den beeinflussenden Faktoren noch bei den zu ergreifenden Massnahmen

wird Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ............................................................................................................. 1

1.1 Begründung der Themenwahl und Fallvorstellung ........................................ 1

1.2 Relevanz für die Praxis .................................................................................. 3

1.3 Fragestellung und Zielsetzung ...................................................................... 3

1.4 Methode des Vorgehens und Aufbau der Arbeit ............................................ 4

2 Hauptteil ............................................................................................................... 4

2.1 Definition der Aspiration und der Regurgitation ............................................. 4

2.2 Aspiration während der Narkoseeinleitung: Ursachen und Einflüsse ............ 5

2.2.1 Medikamentöse Einflüsse ....................................................................... 5

2.2.2 Gründe für eine verzögerte Magenentleerung ........................................ 6

2.2.3 Hinweise auf eine erfolgte Aspiration ...................................................... 9

2.3 Die Aspiration und ihre möglichen Folgen ................................................... 10

2.4 Interdisziplinäre Sofortmassnahmen nach einer erfolgten Aspiration .......... 12

2.5 Massnahmen zur Minimierung eines Aspirationrisikos ................................ 15

2.5.1 Die Nüchternheit ................................................................................... 15

2.5.2 Die medikamentöse Prophylaxe ........................................................... 16

2.5.3 Präoperatives Einführen einer Magensonde ......................................... 18

2.5.4 Die Regionalanästhesie ........................................................................ 19

2.5.5 RSI/Crush oder Blitzeinleitung .............................................................. 19

2.5.6 Der Krikoiddruck ................................................................................... 24

3 Schlussteil .......................................................................................................... 26

3.1 Abschliessende Beantwortung der Fragestellung ....................................... 26

3.2 Bezug zu meinem Fall ................................................................................. 27

3.3 Erkenntnisse und Schlussfolgerungen ........................................................ 28

3.4 Reflexion des persönlichen Lernprozesses und der eigenen Rolle ............. 28

4 Quellen ............................................................................................................... 30

5 Anhang ............................................................................................................... 32

Nicole Hug Seite 1

1 Einleitung

1.1 Begründung der Themenwahl und Fallvorstellung

Die Ausgangslage, die zur Wahl dieses Themas führte, war eine Situation, welche ich

während einer Narkoseeinleitung miterlebt habe. Das Erlebte hat mich noch lange

beschäftigt. Es war ein kurzer Augenblick, der alles veränderte; der Moment, als der

Patient regurgitierte.

Der Fall

Wir haben einen ASA-IV Patienten mit einem komplexen Krankheitsbild von der

Intensivstation übernommen. Geplant war ein 10-minütiger Eingriff, nämlich ein

Epigardwechsel am Unterschenkel nach einem embolischen Verschluss am Übergang

Arteria iliaca externa auf Arteria femoralis communis und einem darauf folgenden

Kompartementsyndrom mit Rhabdomyolyse.

Unser Team

erfahrener Oberarzt

Assistenzärztin Anästhesie

hinzugezogene erfahrene dipl. Anästhesiepflege

und ich, Nachdiplomstudentin Anästhesiepflege

Lagerungsexperte OP

In der Schleuse

Die Übergabe an das Anästhesieteam in der Schleuse erfolgte von der zuständigen

Assistenzärztin der Intensivstation, anwesend war auch die betreuende Expertin

Intensivpflege. Die Schwerpunkte bei der Übergabe lagen auf der

Herzkreislaufsituation und der Niereninsuffizienz infolge der Rhabdomyolyse. Die

suffiziente Spontanatmung mit Sauerstoff wurde erwähnt, auch konnten wir einen

SpO₂-Wert von 98% bei flach liegender Lagerung ablesen, nachdem wir den Patienten

monitorisiert hatten. Auf den Ernährungsstatus und die Nüchternheit wurde nicht

explizit eingegangen und wurde von uns auch nicht weiter nachgefragt. Der Patient

präsentierte sich mir eher benommen, er schien das Treiben um sich herum nicht

wirklich wahrzunehmen. Auf meine Begrüssung reagierte er nur verzögert mit einem

angedeuteten Nicken.

Die Apathie des Patienten wurde mir von der Intensivpflege bestätigt; die

Kommunikation mit dem Patienten sei von Anfang an erschwert gewesen. Auch diese

Tatsache wurde von unserer Seite her nicht weiter hinterfragt.

Nach erfolgreicher Umlagerung vom Bett auf den OP-Tisch erfolgte der Transport

direkt in den Saal.

Nicole Hug Seite 2

Im Saal

Nachdem wir in dem Saal eingetroffen waren, stiess auch der zuständige Oberarzt

hinzu und blieb danach während der ganzen Narkose über. Die Aufgabenteilung vor

der Einleitung wurde klar kommuniziert. Gemäss der Prämedikation vom Vorabend

durch den Anästhesisten wurde eine ITN (Intubationsnarkose) vorgeschlagen,

nachdem der Patient schon zwei und fünf Tage zuvor jeweils eine ITN, eingeleitet mit

Etomidate, gut überstanden hatte. Während der einen Narkose hatte der Patient

allerdings einen Myokardinfarkt erlitten. Da es sich aber bei dem aktuellen Eingriff nur

um einen Epigardwechsel handelte, entschied sich der Oberarzt für eine

Allgemeinanästhesie mit einer Larynxmaske.

Der Patient hatte eine suffiziente Spontanatmung, die Kreislaufsituation war unter

Noradrenalin, Milrinon und Dopamin auf einem tiefen Niveau stabil, ein MAP von 60

mmHg konnte gehalten werden. Zur Narkoseeinleitung übernahm ich die Kopfposition.

Die Spontanatmung mit dicht sitzender Maske erwies sich als problemlos. Nach dem

Aussetzen der Spontanatmung habe ich die Maskenbeatmung übernommen. Ich

konnte beobachten, wie sich der Thorax des Patienten hob und senkte, aber die

etCO₂-Kurve, welche dazu gepasst hätte, fehlte. Über die Maskendichtigkeit war ich

mir absolut sicher. Ich habe meine Beobachtung sofort weitergeleitet und gleichzeitig

die Maske entfernt. In diesem Moment ergoss sich eine grosse Menge Magensaft aus

dem Mund des Patienten. Während ich nach der Absaugung verlangte, reagierte der

Lagerungsexperte geistesgegenwärtig; er schlug die kopftiefe Seitenlagerung vor und

führte diese Lagerung mit dem restlichen Team auch umgehend durch.

Ich habe Magensaft oral und oropharyngeal abgesaugt und danach den Patienten

problemlos intubieren können. Nach der Intubation habe ich den Patienten noch

tracheal abgesaugt. Es zeigte sich, dass auch Magensaft aus der Trachea aspiriert

werden konnte. Die Aspiration von Magensaft nach der Regurgitation konnte ich nicht

mehr verhindern. Nach Rücksprache mit dem OA legte ich dann noch eine

Magensonde ein. Postoperativ wurde der Patient nachbeatmet zurück auf die

Intensivstation verlegt.

Diese Situation war sehr eindrücklich für mich. Ich habe mich danach gefragt, ob ich

im Ablauf etwas hätte optimieren können. Wieso hat der Patient regurgitiert und

aspiriert? Aus welchen Gründen kam es zu dieser Aspiration? Wie hätte ich sie

vermeiden können? Sind uns Fehler unterlaufen? Wenn ja, wo und welche?

Nicole Hug Seite 3

1.2 Relevanz für die Praxis

Das Thema erscheint mir von zentraler Bedeutung für unsere tägliche Arbeit. Die

Komplexität der Nicht-Nüchternheit und deren verschiedenste Ursachen dürfen nicht

unterschätzt werden.

Die Folgen für den Patienten können umfangreich sein: eine Aspiration während der

Narkoseeinleitung kann nicht nur gesundheitliche Folgen für den Patienten

postoperativ generieren, sie kann auch unmittelbare Auswirkungen auf die

Narkoseführung haben; wie zum Beispiel plötzliche Oxygenierungschwierigkeiten,

steigende Beatmungsdrücke, Auftreten eines Bronchospasmus, Laryngospasmus

oder gar einer vasovagalen Reaktion aufgrund der Reizung durch das Aspirat selbst

oder auf die darauf folgenden invasiven Massnahmen durch die Pflege. Im weiteren

Verlauf der Narkose kann es unter anderem auch durch die ergriffenen Massnahmen

zur Instabilität der Herzkreislaufsituation kommen, was die Narkoseführung nicht

vereinfacht und weitere Massnahmen erfordert.

1.3 Fragestellung und Zielsetzung

Aufgrund der erlebten Situation wollte ich wissen, wie man bei einer Aspiration

während der Narkoseeinleitung optimal reagiert oder - noch besser - diese gar

vermeiden kann.

Kernfrage

Wie kann das Risiko einer Aspiration bei der Narkoseeinleitung reduziert werden?

Leitfragen

Wie kommt es zur Aspiration bei der Narkoseeinleitung?

Welche Gründe gibt es für die Nicht-Nüchternheit bei der Narkoseeinleitung?

Welche beobachtbaren und messbaren Parameter liefern mir Anzeichen für eine

Aspiration?

Worin unterscheidet sich eine Rapid Sequence Induction von einer normalen

Intubation?

Was sind die Komplikationen und die möglichen Folgen einer Aspiration bei der

Narkoseeinleitung?

Wie sieht das Beatmungsmanagement nach einer Aspiration aus?

Mein Ziel ist es, durch die Aneignung von Wissen aus der Fachliteratur und der

Auseinandersetzung mit den hauseigenen Standards und Gepflogenheiten zur

Reduktion des Aspirationsrisikos während der Narkoseeinleitung beitragen zu können.

Meine Diplomarbeit soll Risikoquellen, welche zu einer Aspiration führen können,

sichtbar machen und somit wieder vermehrt ins Bewusstsein aller Beteiligten rücken.

Durch meine Diplomarbeit möchte ich zur Patientensicherheit beitragen, indem ich

mich intensiv mit dem Thema beschäftige und mich und meine Arbeitskolleginnen für

diese heikle Thematik wieder sensibilisiere.

Nicole Hug Seite 4

1.4 Methode des Vorgehens und Aufbau der Arbeit

Am Anfang der Arbeit habe ich mir ein sogenanntes Mindmap erstellt. Des Weiteren

habe ich mich auf die Suche nach der geeigneten Fachliteratur begeben. Fündig

geworden bin ich unter anderem im Internet bei www.pumed.com, scholar.google.ch.

Aber auch in den Unterrichtsunterlagen von der afsain habe ich nützliche Skripts

gefunden. Weitere Fachinformationen habe ich zum Beispiel aus folgenden Bücher

entnehmen können: „Die Anästhesiologie“ von Springer (meinem

Hauptnachschlagewerk schon seit Anfang der Weiterbildung) und dem Buch

„Intensivpflege und Anästhesie“ von Thieme, ausserdem „Anästhesie von Larsen“.

Auch habe ich mich mit erfahrenen Berufskolleginnen und Fachärzten ausgetauscht

und so auch das neu angeeignete theoretische Wissen in die Praxis mitnehmen

können. Durch die Vertiefung in die Theorie und den anschliessenden Transfer in mein

Arbeitsfeld konnte ich meine Fragen beantworten und mein Fallbeispiel analysieren.

Der restliche Aufbau richtet sich nach der Kernfrage und den Leitfragen.

2 Hauptteil

2.1 Definition der Aspiration und der Regurgitation

Für den Anfang wollte ich mir Klarheit über die Fachbegriffe Aspiration und

Regurgitation schaffen. So suchte ich zuerst nach der Definition dieser beiden Begriffe.

Je nach Literatur gibt es verschiedene Formulierungen. Folgende fand ich am

verständlichsten.

Aspiration

„Eindringen von körpereigenem oder fremden Material über die Glottis in Trachea und

Lunge infolge abgeschwächter Schutzreflexe durch aktives Erbrechen oder passive

Regurgitation.“

(Klinikleitfaden Anästhesie, 2010, S. 336)

Nicole Hug Seite 5

Regurgitation

„Als Regurgitation bezeichnet man das pathologische Zurückströmen des Inhalts von

Hohlorganen, zum Beispiel den Rückfluss von Speisebrei aus dem Ösophagus in den

Mund.“

(http://flexikon.doccheck.com/de/Regurgitation)

„Regurgitation entsteht beim anästhesierten Patienten durch Erhöhung des

intragastralen Drucks (z.B. Muskelfaszikulationen durch Succinylcholin,

Schwangerschaft) und/oder Erschlaffung des Tonus des unteren

Ösophagussphinkters z.B. durch Anästhetika, Sedativa, Hypnotika, Opioide, Atropin,

Droperidol. Die Regurgitation kann hierbei nur dann erfolgen, wenn zwischen Magen

und Ösophagus ein Druckgradient besteht, d.h., der intragastrale Druck höher ist als

der Druck im unteren Ösophagus.“ (Larsen, 2013, S. 877, 878)

Regurgitation muss nicht zwingend zu einer Aspiration führen.

2.2 Aspiration während der Narkoseeinleitung: Ursachen und Einflüsse

Durch die Einleitung der Anästhesie kann es zur pulmonalen Aspiration kommen, da

der Patient medikamentös in seiner Vigilanz gemindert und die Schutzreflexe des

oberen Atemweges so aufgehoben werden.

Der wache Patient mit intakten Schutzreflexen würde nicht aspirieren, da beim

Erbrechen wie auch sonst bei der Nahrungsaufnahme die Epiglottis den

Kehlkopfeingang verschliesst. Die Regurgitation würde beim wachen Patienten durch

den Tonus des unteren Ösophagussphinkter verhindert werden.

2.2.1 Medikamentöse Einflüsse

Weiter hatte ich mich gefragt, welchen Einfluss die Induktionsmedikamente auf das

Aspirationsrisiko haben.

Die Opioidgabe

Die Wirkungsweise der Opioide hinsichtlich des Aspirationsrisikos ist komplex.

Opioide bewirken eine Verminderung der Vigilanz und führen dosisabhängig zu einer

Atemdepression bis hin zum Atemstillstand. (Larsen, 2013)

Opioide haben eine spasmogene Wirkung auf die glatte Muskulatur des

Gastrointestinaltrakts. Die Folgen können unter anderem eine verzögerte

Magenentleerung, spastische Obstipation und Sekretstau in Gallen- und

Pankreaswegen sein. (Klinikleitfaden Anästhesie, 2010)

Durch die durch Opioide ausgelöste verzögerte Magen-Darm-Passage kann es zu

Übelkeit und Erbrechen kommen. (Larsen, 2013)

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Hypnotika

Hypnotika wie zum Beispiel Thiopental können in seltenen Fällen als direkte Wirkung

Nausea und Emesis hervorrufen, haben aber während der Narkoseeinleitung eine

verschwindende Bedeutung auf das Aspirationsrisiko. Barbiturate führen zu Hypnose

und Anästhesie, also zu einer Einbusse der Schutzreflexe. Sie haben aber keinen

Einfluss auf Analgesie und Muskelrelaxation.

(https://compendium.ch/mpro/mnr/4525/html/de)

Muskelrelaxantien

Muskelrelaxantien werden im Hinblick auf die direkte Beeinflussung des

Aspirationsrisikos kontrovers diskutiert. Einheitlich wird beschrieben, dass es zu einer

Abnahme des muskulären Tonus und somit zu einer Reduktion der Schutzreflexe

kommt. Speziell erwähnt wird Succinylcholin. Der positive Effekt dieses

Muskelrelaxans beruht auf der schnellen Anschlagszeit und der kurzen

Wirkungsdauer. Negativ werden die durch Succinylcholin ausgelöste

Muskelfaszikulation und die dadurch kurzzeitige Erhöhung des intragastralen Drucks

beschrieben. (Die Anästhesiologie, 2012) Der hauptsächlich negative Einfluss der

Induktionsmedikamente liegt im Verlust der Schutzreflexe durch verminderte Vigilanz

und Abnahme des Muskeltonus.

2.2.2 Gründe für eine verzögerte Magenentleerung

Wieso aspiriert nicht jeder Patient bei der Narkoseeinleitung? Nach der kurzen

Beleuchtung der medikamentösen Induktion wende ich mich nun dem Aspekt der

physiologischen Magenentleerung zu. Danach suche ich nach möglichen Ursachen,

welche einer verzögerten Magenentleerung oder fehlenden Magenpassage zugrunde

liegen können. Ich erhebe dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Physiologie der Magenpassage Abbildung 1

„Normalerweise ist die Speiseröhre

an ihrem Beginn, dem oberen

Ösophagussphinkter (OÖS) und am

Ende, dem unteren

Ösophagussphinkter (UÖS)

verschlossen. Dies kommt durch

den erhöhten Spannungszustand

der Muskulatur in diesen

Abschnitten zustande.

Nach Beginn des

Schluckvorganges erschlafft der obere Ösophagussphinkter, und der Bissen kann vom

Rachen in den Ösophagus übertreten. Durch die Peristaltik der Ösophagus-

Muskulatur wird der Bissen Richtung Magen transportiert. Erreicht er das Ende der

Speiseröhre, öffnet sich der UÖS unwillkürlich und die Nahrung kann in den Magen

eintreten.“

(Biologie, Anatomie, Physiologie, 2000, S. 299)

Nicole Hug Seite 7

„Der proximale Anteil des Magens umfasst den Fundus und ein Drittel des Korpus; er

dient als Reservoir für Nahrung und Flüssigkeiten. Seine Muskelspannung bestimmt,

zusammen mit dem Füllungsgrad, den Mageninnendruck. Eine vagal vermittelte

reflektorische Relaxation sorgt dafür, dass er auch bei starker Füllung den

ösophagealen Verschlussmechanismus nicht überwinden kann. Korpus und Antrum

dienen dem chemischen und mechanischen Aufschluss der Nahrung vor dem

Weitertransport ins Duodenum.“

(G.Weiss, M.Jacob, 2008, S. 860)

„Die Magenperistaltik hängt vom Füllungsgrad ab. Flüssigkeiten passieren den Magen

ohne Verzögerung, der Transport fester Nahrung in das Duodenum verläuft

biphasisch. Die zunächst weitgehend fehlende Passage lässt sich auf ihre

Durchmischung und Zerkleinerung bei verschlossenem Pylorus während der

Verdauungsphase zurückführen. Klare Flüssigkeit durchläuft den Magen beinahe

ungehindert, die Magenpassagezeit steigt mit der kalorischen Dichte, bei fester

Nahrung ist die Magenentleerungszeit eher von der Menge als von der

Zusammensetzung des Nahrungsbreis abhängig.“ (G.Weiss, M.Jacob, 2008, S. 861)

Die verzögerte Magenentleerung gilt als Risikofaktor für Regurgitation und Aspiration.

Die Physiologie der Magenpassage ist komplex und unberechenbar, wenn sie in ihrem

Ablauf gestört ist.

Ab wann der Magen nach der letzten Nahrungsaufnahme als leer bezeichnet werden

kann, hängt von diversen Begleitfaktoren ab und lässt sich nicht genau festlegen.

Einflussfaktoren auf die Magenentleerungszeit:

„Art und Menge der Nahrung

Vegetative und psychische Einflüsse

Wirkung von Medikamenten

Obstruktion im Magen-Darm-Trakt“

(Larsen, 2013, S.877)

Die pulmonale Aspiration von Mageninhalt gehört zu den meist gefürchteten

anästhesiologischen Komplikationen mit möglicherweise tödlichem Ausgang.

Prinzipiell hat jeder nichtnüchterne Patient ein erhöhtes Aspirationsrisiko.

„Vorerkrankungen, welche den gastroösophagealen Verschlussmechanismus

beeinträchtigen, machen schon die Nüchternsekretmenge zum Aspirationsrisiko.“

(Die Anästhesiologie, 2012, S. 592)

Nicht nur die Nichtnüchternheit, betrachtet vom Zeitpunkt der letzten

Nahrungsaufnahme her, sondern auch diverse Grund- und Begleiterkrankungen des

Patienten haben Einfluss auf das Aspirationsrisiko. Folgende Erkrankungen haben

entweder direkt oder indirekt Einfluss auf die Magenentleerung und auf den

intragastralen Druck (Tabelle 1):

Nicole Hug Seite 8

Faktoren einer erhöhten Aspiratonsgefahr

Komorbidität Perioperative

Risikofaktoren

Sonstige Gründe

Adipositas Nicht nüchterne Patienten Schwieriger Atemweg

Gastroösophagaler Reflux Notfalloperation Schwierige Intubation

Hiatushernie Ambulante Patienten Inadäquate Narkosetiefe

Diabetes mellitus Operationen in der Nacht Nasogastrale Tuben

Obstruktives Schlaf-

Apnoe- Syndrom

Schmerzen, Stress Enterale Ernährung

Hohe ASA-Klassifikation Bauchchirurgische

Eingriffe

Künstlicher Atemweg

Neurologische

Erkrankungen mit

Schluckstörungen

Akutes Abdomen (Ileus,

obere gastrointestinale

Blutung)

Prähospitale Intubation

Verzögerte

Magenentleerung

Geriatrische Patienten

Gravidität

Trauma

Beeinträchtigte

Schutzreflexe

Bestehendes Erbrechen

Blutungen im

Nasopharynx

Tabelle 1

Spezielle Erwähnung zum Traumapatienten

Larsen schreibt, dass bei einem Trauma die Magenentleerung teilweise erheblich

verzögert wird. Wichtig ist die Zeit zwischen der letzten Nahrungsaufnahme und dem

Zeitpunkt des Unfalls. Somit kann ungefähr erahnt werden, inwieweit mit einem vollen

Magen gerechnet werden muss. G. Weiss und M. Jacob schreiben, dass eine grosse

Anzahl der Patienten, welche eine Aspiration durchlebten, schon im Vorfeld eine

abdominelle oder neurologische Pathologie aufwiesen.

Nicole Hug Seite 9

Weitere pathophysiologische Einflussfaktoren

Aber nicht nur die gastrointestinalen Komponenten haben Einfluss auf das

Aspirationsrisiko. Eine abgeschwächte Vigilanz durch vorbestehende neurologische

Erkrankungen, exogene Ursachen wie das Erleiden eines Schädelhirntraumas,

Intoxikation und die Allgemeinanästhesie gelten als weitere Risikofaktoren. Ebenso

gehen Erkrankungen der oberen Atemwege wie zum Beispiel eine Stimmbandparese

oder eine gestörte mukoziliäre Clearance mit einem erhöhten Aspirationsrisiko einher.

(J.M. Hohlfeld, H. Fabel, 2000)

Warner et al. beschreiben den Zusammenhang der ASA-Einstufung und der

Aspirationswahrscheinlichkeit. Bei Notfalleingriffen und bei Patienten ab einer ASA-

Einstufung > III besteht eine erhöhte Aspirationsgefahr im Vergleich zu Patienten mit

einer der ASA-Kategorie I-II und Elektiveingriffen.

Spezielle Erwähnung des Diabetes mellitus-Patienten

Beim Diabetes mellitus wird in der Langzeitkomplikation unter anderem die diabetische

Neuropathie aufgelistet. Diese äussert sich sowohl sensomotorisch wie auch autonom.

Erwähnenswert sind die folglich resultierende Motilitätsstörung des Ösophagus und

die ebenso beschriebene Magenhypotonie, die wiederum mit einem erhöhten

Aspirationsrisiko einhergehen. (A. Gloor, 2015)

2.2.3 Hinweise auf eine erfolgte Aspiration

Bei meinem erlebten Fall beeindruckte und erschreckte mich gleichermassen die

Tatsache, wie schnell die Aspiration ablief.

Da es sich um einen beobachteten Vorgang handelte und ich anschliessend

Magensaft aus der Trachea absaugen konnte, war die Diagnosestellung in diesem Fall

einfach.

Nicht immer präsentiert sich die Sachlage so klar. Die Aspiration kann zu jedem

Zeitpunkt der Narkose auftreten. Wenn der Atemweg mit einem Tubus gesichert ist,

gilt das Risiko einer Aspiration als gering, wird aber nicht ausgeschlossen. Ein

erhöhtes Risiko tritt jedoch bei Allgemeinnarkose mit der Larynxmaske auf, da hier

keine Sicherung der Atemwege vorliegt.

Kommt es intraoperativ unbeobachtet zu einer Aspiration, kann dies bei dem

bewusstlosen Patienten zu erkennbaren Sofortreaktionen führen. Diese

Sofortreaktionen treten auch bei kleineren Mengen sauren Magensaftes auf. Larsen

unterscheidet in der Einteilung der Symptome, ob flüssiges oder festes Material

aspiriert wurde.

Nicole Hug Seite 10

Die klinischen Zeichen bei Kontakt des oberen und unteren Respirationstrakts mit

saurem Magensaft sind:

Bronchospasmus

Rasselgeräusche

Zyanose

pulmonale Gefässkonstriktion

Hypoxämie

(Larsen, 2013, S. 878)

Bei einer Aspiration von festen Stoffen kann es durch den teilweisen oder kompletten

Verschluss des nachfolgenden Respirationstrakts zu Atelektasen und einem

Reflexbronchospasmus kommen.

Bei festen Stoffen sind folgende mögliche Zeichen zu beobachten:

Tachykardie

Atemnot (wenn wach)

Tachypnoe (bei Spontanatmung)

paradoxe Atmung (bei kompletter Obstruktion)

Dazwischenatmen bei kontrollierter Beatmung (wenn nicht relaxiert)

Zyanose

verminderte oder aufgehobene Atemgeräusche

(Larsen, 2013, S. 878)

Stille Aspiration

Von der sogenannten „stillen Aspiration“ spricht man, wenn sich zu Beginn keine

Symptome zeigen. Später können sich aber ausgeprägte Zeichen einer

Aspirationspneumonitits manifestieren.

„Bei erhaltenem Bewusstsein erfolgt auf eine Aspiration meist eine heftige

Hustenattacke. Die bronchiale Irritation induziert häufig einen Bronchospasmus, der

auch bei bewusstseinseingetrübten Patienten beobachtet wird und nicht mit einem

Asthmaanfall verwechselt werden darf.“

(J.M. Hohlfeld, H. Fabel, 2000, S. 300)

2.3 Die Aspiration und ihre möglichen Folgen

Durch die herabgesetzte Vigilanz und damit den Ausfall der Schutzreflexe der oberen

Atemwege sowie durch die vorbestehenden Risikofaktoren, welche der Patient mit sich

bringt, kann es während der Narkoseeinleitung zur Aspiration kommen.

Durch die passive Regurgitation von Mageninhalt in den Rachenraum kommt es zur

anschliessenden Aspiration der regurgitierten Substanz in die Trachea bis hin in den

bronchopulmonalen Bereich.

Dies kann durch aktive Einatmung durch den Patienten selbst oder durch die manuelle

Maskenbeatmung gefördert werden.

Nicole Hug Seite 11

Bis jetzt habe ich nur eine einzige Aspiration miterlebt. Die von mir verwendete

Literatur und auch die Aussagen meiner erfahrenen Berufskollegen bestätigten mir,

dass die Aspiration während der Narkoseeinleitung ein seltenes Ereignis ist.

Die pulmonalen Probleme variieren in Abhängigkeit vom aspirierten Material.

Eine pathogenetische Einteilung der Aspiration unterscheidet:

Das Einatmen toxischer Substanzen

Das Einatmen von primär obstruierenden Substanzen / Fremdkörpern

Das Eindringen von bakteriell kontaminiertem Material

Die toxische Aspiration

„Das klassische Beispiel einer primär toxischen Aspiration ist das Mendelson-

Syndrom, welches vom gleichnamigen Autor 1946 bei schwangeren Frauen im

Rahmen einer Intubationsnarkose zur Schnittentbindung beschrieben wurde. Hierbei

handelt es sich um eine chemische Pneumonitis; einen akuten Lungenschaden durch

die Aspiration von saurem Magensaft mit einem pH ≤ 2,5. Der saure Magensaft kann

eine heftige und persistierende Entzündung mit bronchopulmonaler Hämorrhagie

induzieren. Der saure Magensaft wird zwar in sehr kurzer Zeit von der vorhandenen

Atemwegsflüssigkeit und einströmenden Plasmabestandteilen neutralisiert. Aber

gerade diese Plasmabestandteile, insbesondere Proteine sind es, die über eine

massive Inaktivierung des pulmonalen Surfactant zu den deletären Folgen mit

Entstehung eines Lungenödems und Atelektasenbildung führen, wodurch es zur

schweren Hypoxämie kommt.“(J.M. Hohlfeld, H. Fabel, 2000, S. 299)

Es kann zu einem Ungleichgewicht zwischen der alveolären Ventilation und der

Perfusion kommen. Die Folge ist eine Einschränkung der Lungenfunktion mit einer

möglichen Eskalation bis hin zum ARDS (acute respiratory distress syndrome).

(O. Bartusch, M. Finkl, U. Jaschinski, 2008)

Die Fremdkörperaspiration

„Die überwiegende Mehrheit der Fremdkörperaspirationen tritt bei Kindern unter 3

Jahren auf. In 81% der Fälle handelt es sich um organisches Material.

Der aspirierte Fremdkörper kann einerseits zu einer partiellen oder sogar vollständigen

Obstruktion der poststenotischen Lungenareale führen, mit Resorptionsatelektasen

und konsekutiven Pneumonien.

Anderseits kann der Fremdkörper eine exspiratorische Ventilstenose bewirken, so

dass Luft während der Inspiration in die nachgeschalteten Lungenareale ein-, aber

während der Exspiration nicht mehr auszuströmen vermag. Dieser Mechanismus führt

zur Überblähung der betroffenen Lungenabschnitte, mit der Gefahr von einem

(Spannungs)pneumothorax.“(Die Anästhesiologie, 2012, S.897)

Nicole Hug Seite 12

Eindringen von bakteriell kontaminiertem Material

Wenn mit dem aspirierten Material Mikroorganismen in das Lungenparenchym

eindringen und dort eine Infektion verursachen, dann wird von einer

Aspirationspneumonie gesprochen.

Die weiteren Komplikationen einer Pneumonie können unter anderem ein

Lungenabszess oder ein Pleuraempyem sein.

Die klinischen Symptome einer Pneumonie und einer Pneumonitis lassen sich in den

ersten Stunden nach der Aspiration nicht unterscheiden. Sie bestehen aus

nichtproduktivem Husten, Laryngospasmus, Bronchospasmus, Dyspnoe, Tachypnoe

und Hypoxie. (O. Bartusch, M. Finkl, U. Jaschinski, 2008)

2.4 Interdisziplinäre Sofortmassnahmen nach einer erfolgten Aspiration

„Die therapeutischen Bestrebungen müssen den zeitlichen Ablauf der

aspirationsbedingten pulmonalen Schädigung berücksichtigen. Gerade bei der

toxischen Aspiration ist die Schädigung derart schnell und ausgeprägt, dass

Bemühungen zur Elimination des aspirierten Materials in der Regel zu spät kommen“

(J.M. Hohlfeld, H. Fabel, 2000, S 301)

In meinen Literaturrecherchen deckten sich die folgenden Aussagen und

Empfehlungen in allen von mir genutzten Quellen. Differenzen und Ergänzungen

werden erwähnt.

Ich habe die zu ergreifenden Massnahmen als einzelne Handlungen aufgeführt.

Die Aufsplitterung des Ablaufs soll nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich in

diesem Moment um eine Notfallsituation handelt und zügiges, strukturiertes Handeln

unabdingbar ist.

Die Lagerung

Die Lagerung noch während oder unmittelbar nach der Regurgitation / Aspiration ist

entscheidend.

Einheitlich wird eine Kopftieflagerung empfohlen, in dem Buch „Die Anästhesiologie“

wird eine Kopftieflagerung zusätzlich mit einer Seitenlagerung erwähnt. Bestrebt wird,

die aktive oder passive Aspiration des Mageninhaltes in die Trachea und

anschliessend in die Lunge auf ein Minimum zu reduzieren.

Intubation

Das primäre Ziel ist die Sicherung des Atemweges und der Oxygenierung. Dies wird

mit der sofortigen Intubation erreicht. Vor der eigentlichen Intubation sollen Mund und

Rachenraum zügig und gründlich abgesaugt werden, mit dem Ziel, während

Laryngoskopie und Intubation eine freie Sicht zu haben. Weiter soll so eine

Kontamination der Lunge mit (weiterem) Mageninhalt vermieden werden.

Nicole Hug Seite 13

Endotracheale Absaugung

In allen meinen Literaturangaben wird bei der gesicherten / beobachteten Aspiration

die endotracheale Absaugung als selbstverständliche und erste der weiteren

Massnahmen, nach der Sicherung der Oxygenierung durch die Intubation,

beschrieben.

Die erste endotracheale Absaugung sollte möglichst vor Beginn der Beatmung

erfolgen, um eine Verteilung des Aspirats in die peripheren Lungenkompartimente zu

vermeiden. (J.M. Hohlfeld, M. Fabel, 2000)

Beatmung

Die Einstellung der Beatmung hat einen ähnlich hohen Stellenwert.

Nach der Intubation wird eine Beatmung mit 100% Sauerstoff und einem PEEP von

5-7 mbar und einer verlängerten Exspiration empfohlen. (Das genaue Verhältnis von

Inspiration zu Exspiration wird nicht erwähnt.)

Die Einstellung der zu verabreichenden Sauerstoffkonzentration, des PEEP und des

Atemminutenvolumens erfolgen anhand der arteriellen Blutgasanalysen und den

Beatmungsdrücken.

(Die Anästhesiologie, 2012)

Therapie des Bronchospasmus

Die Beatmung wird erleichtert, wenn die Therapie des Bronchospasmus, welcher

durch die akute toxische Schädigung des Aspirats entstehen kann, zeitnah

angegangen wird. Im Skript von Kurt Sperl wird die Gabe von Bronchodilatoren

empfohlen, wenn sich Symptome des Bronchospasmus zeigen.

Im Praxisalltag im KSA wird bei Symptomen eines Bronchospasmus, nach

Rücksprache mit dem zuständigen Oberarzt, Ventolin als Aerosol pulmonal

verabreicht. Ventolin wird hier als ein Beispiel aufgeführt. Die Wahl der

medikamentösen Therapie obliegt dem zuständigen Oberarzt.

Bronchiallavage

Bronchiallavagen unmittelbar nach der Aspiration (beim Intubierten) gelten als

kontraindiziert.

Durch die Lavage würde es zu einer weiteren intrapulmonalen Verteilung des Aspirats

kommen. Auch kann die schnell ablaufende Schädigung des Lungenparenchyms

(Aspirat-bedingt) durch die Lavage nicht aufgehalten werden; sie hat somit keinen

therapeutischen Effekt. Es könnte sogar weiter zu einer Reduktion der Compliance

und einer Erhöhung des intrapulmonalen Shuntanteils kommen. (Die Anästhesiologie,

2012)

J.M. Hohlenfeld, H.Fabel erwähnen in ihrer Arbeit, dass durch die Spülung das

ohnehin schon schwer geschädigte Surfactantmaterial entfernt und die

Atelektasenbildung somit begünstigt wird.

Nicole Hug Seite 14

Antibiotika

Der routinemässige prophylaktische Einsatz von Antibiotika wird nicht empfohlen. Es

wird eine Abhängigkeit der Keimbelastung vom aspirierten Material aufgezeigt. Die

Therapie erfolgt erregerspezifisch und anhand der Resistenzbestimmung aus dem

gewonnenen Aspirat. (Die Anästhesiologie, 2012)

Steroide

Steroide werden bei Bedarf zur Therapie des Bronchospasmus erwähnt, gelten jedoch

im Zusammenhang mit der Therapie der Aspiration als nicht indiziert.

(J.M. Hohlfeld, H. Fabel, 2000)

Kreislaufstabilisierung

Es wird eine Stabilisierung des Kreislaufs mit Volumen und Katecholaminen nach der

sich präsentierenden Klinik empfohlen.

(Die Anästhesiologie, 2012)

Erweiterte postaspirative und postoperative Massnahmen

In der Literatur wird die weiterführende Überwachung des Patienten unterschiedlich

gehandhabt oder empfohlen. Der entscheidende Punkt ist hier wieder die Klinik.

Zeigt der Patient Sofortreaktionen oder Symptome und wird die Gesamtsituation

instabil, muss entschieden werden, ob der Eingriff verschoben werden kann oder soll.

Das Gleiche gilt für die postoperative Nachbetreuung und Überwachung. Zeigt der

Patient keinerlei Symptome und ist kreislaufstabil, kann er postoperativ nach Plan

extubiert werden. Jedoch empfiehlt sich eine Überwachung der Atemfunktion über 24

Stunden und der Körpertemperatur für 72 Stunden.

Andernfalls empfiehlt sich eine postoperative Betreuung auf der Intensivstation mit der

Möglichkeit der verzögerten Extubation und der anschliessenden nichtinvasiven

Beatmungstherapie. Weiter können Komplikationen wie Atelektasen,

Bronchospasmus, die Entstehung einer Aspirationspneumonie und weiterführend

sogar ein ARDS frühzeitig erkannt und therapiert werden.

Eine Thoraxaufnahme und eine Verlaufskontrolle gehören zum Ablauf der

Nachbetreuung nach einer symptomatischen Aspiration dazu.

(Die Anästhesiologie 2012)

Falls die Patienten innerhalb der ersten zwei Stunden nach dem Ereignis keine

Symptome aufweisen, ist, laut Warner et al., mit keinen weiteren Komplikationen zu

rechnen.

Nicole Hug Seite 15

2.5 Massnahmen zur Minimierung eines Aspirationrisikos

Aktuell gibt es keine Massnahmen, die eine Aspiration mit Sicherheit verhindern

können. Es werden verschiedene Massnahmen und Vorgehensweisen angewandt,

deren Wirksamkeit teilweise nicht einheitlich als erwiesen / anerkannt gilt. Zu diesem

Aspekt der Arbeit habe ich viele Empfehlungen und Handhabungen gelesen.

Zusätzlich habe ich im Gespräch mit Instruktoren, Dozenten und Anästhesisten nach

Schwerpunkten und gemeinsamen Nennern gesucht und für mich zusammengefasst.

Durch die Zusammenführung meiner Literaturrecherche bin ich auf folgende Punkte

gekommen, welche mir wichtig erscheinen.

Die Pfeiler der Aspirationsprophylaxe sind:

Die Nüchternheit und die Überprüfung deren Einhaltung

Das Wissen um beeinflussende Faktoren für ein erhöhtes Aspirationsrisiko

Die Möglichkeit der medikamentösen Aspirationsprophylaxe

Die Einlage einer Magensonde vor Narkoseeinleitung bei Indikation

Die Regionalanästhesie

Die RSI als einzig logische Schlussfolgerung, wenn zwingend eine

Allgemeinanästhesie bei einem Patienten mit erhöhtem Aspirationssrisiko ist

Folgende Punkte werden sowohl in Thiemes „Intensivpflege und Anästhesie“, als auch

in „Der Anästhesiologie“ und bei Larsen erwähnt. Abweichungen und Ergänzungen

werden hervorgehoben und zugeordnet.

2.5.1 Die Nüchternheit

Die präoperative Nahrungskarenz ist elementar zur Minimierung des

Aspirationsrisikos. Jedoch gibt auch die Einhaltung der vorgegebenen und einheitlich

anerkannten Nüchternzeit keine Garantie für einen vollständig entleerten Magen.

„Die amerikanische Anästhesiegesellschaft (ASA) empfiehlt in ihren Leitlinien von

2011 folgende Nüchternzeiten für ansonsten gesunde Patienten vor Elektiveingriffen:

klare Flüssigkeiten (Wasser, schwarzer Kaffee, Fruchtsaft ohne

Fruchtfleisch, Sprudelgetränke) 2h

Muttermilch 4h

leichtes Essen, Kuhmilch, Kindernahrung 6h

frittiertes oder sehr fetthaltiges Essen, Fleisch 8h“

(Die Anästhesiologie, 2012, S.538)

Nicole Hug Seite 16

Die Empfehlungen des KSA decken sich mit denen der ASA, ergänzen aber in Bezug

auf die Zufuhr von klarer Flüssigkeit präoperativ:

„Bis zum Zeitpunkt der Prämedikation ist Trinken von Wasser ohne Kohlensäure, Sirup

oder Tee in einer Menge von 150 ml pro Stunde erlaubt (Kinder 3 ml/kg/Stunde bis

maximal 150 ml).“ (Dr. B. Hartmann, 2012)

Auch wird im KSA aus organisatorischen Gründen auf die Zufuhr von fester Nahrung

am OP-Tag verzichtet. (Dr. B. Hartmann) Die oben genannten Empfehlungen gelten

unter der Voraussetzung, dass der Patient normale Motilitäts- und

Resorptionsverhältnisse aufweist. Patienten mit erhöhten Risikofaktoren für eine

Aspiration (siehe unter 2.2.2.) sind davon ausgenommen.

Durchführung in der Praxis

Die Verordnung der präoperativen Nahrungskarenz obliegt im KSA dem zuständigen

Anästhesisten. Für die Einhaltung, nach entsprechender Aufklärung, sind der Patient

selbst und die betreuende Pflegefachkraft auf der Abteilung verantwortlich.

Der zuständige Anästhesist prüft unter anderem weiter, ob Hinweise auf die Gefahr für

ein erhöhtes Aspirationsrisiko bestehen und führt dies auf dem

Prämedikationsdokument auf.

Bei der Übernahme des Patienten durch die Anästhesie wird die Einhaltung der

Nüchternheit überprüft. Dies geschieht im Rahmen der Abfragung nach der

standardisierten Sicherheitscheckliste. Bei Kindern werden die Eltern befragt. Weist

der Patient in der Anamnese eine erhöhte Aspirationsgefährdung auf, wird dieser

Risikofaktor nochmals nachgefragt, wie z.B. die Aktualität eines anamnestisch

vorhandenen Refluxes.

Die Entscheidung, ob der Patient aktuell als nüchtern gilt, wird nach Erhebung aller zur

Verfügung stehenden Daten und Fakten in diesem Moment gefällt.

2.5.2 Die medikamentöse Prophylaxe

Bei bekannten oder nicht zu behebenden Risikofaktoren wird eine medikamentöse

Aspirationsprophylaxe empfohlen.

Das Ziel dieser Pharmaka ist es, den pH-Wert des Magens anzuheben und das

Magensaftvolumen zu vermindern. (Die Anästhesiologie)

Larsen (S.448) führt die medikamentöse Prophylaxe ausführlicher auf. Folgende

Substanzen gehören zu diesen Pharmaka:

H₂-Rezeptor-Antagonisten

Protonenpumpenhemmer

Natriumcitrat

Metoclopramid

Nicole Hug Seite 17

H₂-Rezeptor-Antagonisten

„H₂-Rezeptor-Antagonisten wie Cimetidin, Ranitidin, Famotizidin und Nizatidin

hemmen kompetitiv, selektiv und reversibel die histaminvermittelte Säure- und

Pepsinproduktion des Magens am H₂-Rezeptor. Die durch Histamin, Acetylcholin und

Gastrin ausgelöste Sekretion von Magensaft wird gehemmt und die Konzentration von

H⁺-Ionen vermindert: Der pH-Wert des Magensafts steigt an, das Magensaftvolumen

nimmt ab.“ (Larsen, 2013, S. 448)

Protonenpumpenhemmer

„Protonenpumpenhemmer (PPH) wie Esmoprazol und Omeprazol hemmen die H⁺/K⁺-

ATPase in den Belegzellen des Magens. Klinische Dosen vermindern die

Säuresekretion des Magens um etwa 90%, also deutlich effektiver als die H₂-Blocker

(ca. 60%).

Bei Patienten, die PPH als Dauermedikation erhalten, sollte die Zufuhr fortgesetzt

werden. Die gleichzeitige Gabe von H₂-Rezeptorenblockern ist kontraindiziert, weil

hierdurch keine Verstärkung der Wirkung zu erwarten ist.“ (Larsen, 2013, S.448-449)

Natriumcitrat

„Dieses lösliche Antazidum, als Einzeldosis 15-30 min vor Narkose zugeführt, erhöht

bei nahezu allen Patienten den pH-Wert des Magensafts auf >2,5; allerdings kann das

Magensaftvolumen zunehmen. Bei einer Aspiration von Magensaft, der Natriumcitrat

enthält, muss jedoch nicht mit einer zusätzlichen Lungenschädigung gerechnet

werden. Anders als bei den H₂-Rezeptor-Antagonisten setzt die Wirkung von

Natriumcitrat sofort ein und verändert den pH-Wert des bereits im Magen vorhandenen

Volumens.“ (Larsen 2013, S. 449)

Metoclopramid

„Dieser Dopaminantagonist stimuliert die Motilität des oberen Gastrointestinaltraktes

und beschleunigt die Magenentleerung: das Magensaftvolumen nimmt ab, der Tonus

des unteren Ösophagussphinkters wird erhöht. Metoclopramid beeinflusst nicht die

Säureproduktion des Magens und den pH-Wert des Magensafts.“ (Larsen, 2013,

S.450)

Larsen schreibt weiter, dass die Medikamente, welche den Magensaft-pH anheben

und das Volumen verringern, die pulmonalen Schäden nach Aspiration verhindern

oder abschwächen können. Einen absoluten Schutz vor schwerer Pneumonitis bieten

sie aber nicht. Darum müssen auch bei einer medikamentösen Aspirationsprophylaxe

die geltenden Regeln und Vorsichtsmassnahmen zum Schutz der Aspiration strikt

beachtet werden.

Nicole Hug Seite 18

Leitlinienempfehlung der ASA-Task-Force

„Die routinemässige Zufuhr von Antazida, H₂-Antagonisten,

Protonenpumpenhemmern und Gastroprokinetika bei Patienten ohne erhöhtes

pulmonales Aspirationsrisiko wird nicht empfohlen.“ (Larsen S.450)

Handhabung bei uns im Haus

Die medikamentöse Prophylaxe bei Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko wird im

KSA nicht standardmässig durchgeführt, es gibt keine internen Richtlinien dafür und

obliegt der situativen Entscheidung durch den jeweils zuständigen Facharzt.

Im Unterricht habe ich durch meine Mitstudierenden vernommen, dass gewisse

Häuser die medikamentöse Aspirationsprophylaxe bei vorhandener Indikation

durchführen.

2.5.3 Präoperatives Einführen einer Magensonde

Ziele der präoperativ eingelegten Magensonde sind die Minimierung des

Aspirationsrisikos durch Absaugen des flüssigen Mageninhaltes und die Senkung des

intragastralen Drucks. „Die Anästhesiologie“ weist darauf hin, dass Magensoden nur

bei Patienten mit erhaltenen Schutzreflexen vor der Einleitung gelegt werden sollen.

Larsen ergänzt die genaue Indikation für das Legen einer Magensonde vor der

Narkoseeinleitung:

Ileus

Peritonitis

Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt

Pylorospasmus

„Ob vor jeder RSI, auch ohne Ileussympthomatik, eine Magensonde gelegt und

belassen oder unmittelbar vor der Einleitung wieder gezogen werden sollte, wird

kontrovers diskutiert. Es finden sich Hinweise darauf, dass durch die liegende

Magensode der Krikoiddruck weniger effektiv ist und die Sonde als Leitschiene für eine

Regurgitation dienen kann, sodass wir die Entfernung der Magensonde empfehlen,

bevor die Narkose eingeleitet wird.“ (O. Bartusch, M. Finkl, U. Jaschinski, S. 523)

Durchführung und Handhabung in der Praxis

Das Legen einer Magensonde beim wachen Patienten habe ich während meiner

jetzigen Weiterbildung noch nicht angetroffen.

Durch Gespräche mit Dr. A. Rohr und meinen erfahrenen Berufskollegen nahm ich

Folgendes mit:

Liegt die Indikation für eine Magensonde vor, soll die Einlage wenn möglich vor der

Intubation erfolgen. Die Einlage sollte unter Berücksichtigung des grösstmöglichen

Patientenkomforts geschehen. Situativ soll überlegt werden, ob der Patient

medikamentös leicht sediert werden soll.

Liegende Magensonden werden vor der Intubation gründlich abgesaugt und belassen.

Nach dem aktiven Absaugen der Sonde wird diese an ein Ableitungssystem

angeschlossen. Die Gefahr der möglichen Schienung durch die liegende Magensonde

Nicole Hug Seite 19

wird als gering erachtet. Situativ kann eine erhöhte Oberkörperlagerung schon vor der

eigentlichen Einleitung dem entgegen wirken.

Wie genau der Umgang mit liegenden Magensonden gehandhabt wird, wird situativ

evaluiert und obliegt der Entscheidung durch den Facharzt.

2.5.4 Die Regionalanästhesie

Bei Risikopatienten sollten kleinere Eingriffe wenn möglich in Regionalanästhesie

durchgeführt werden. Ist eine Allgemeinanästhesie notwendig, wird immer eine

endotracheale Intubation empfohlen. Larsen schreibt dazu folgendes:

„Keine Maskennarkose und keine Maskenbeatmung beim nicht nüchternen Patienten!

Dies gilt ebenso für Larynxmasken.“ (Larsen, 2013, S. 879)

Handhabung bei uns im Haus

Die Möglichkeit der Durchführung der Operation in Regionalanästhesie wird durch den

Anästhesisten im Rahmen der Prämedikationsvisite geprüft.

2.5.5 RSI/Crush oder Blitzeinleitung

Zuerst möchte ich noch erwähnen, weshalb die rapid sequence induction (RSI) hier so

ausführlich erwähnt wird.

Ich habe mich intensiv mit dem Thema Aspiration, den Risikofaktoren, den möglichen

Folgen, den Akutmassnahmen und der Prophylaxe auseinander gesetzt.

Das Allerwichtigste ist die Sensibilisierung dafür, ob es Anzeichen für eine erhöhte

Aspirationsgefahr gibt. Wird ein erhöhtes Aspirationsrisiko erkannt und eine

Allgemeinanästhesie ist in diesem Moment unumgänglich, kann die RSI einen

erhöhten Aspirationsschutz bieten.

Planung, Struktur und eine gute Kommunikation im Team tragen zum Gelingen einer

RSI bei.

Einheitlich wird bei Patienten mit einem erhöhtem Aspirationsrisiko und erforderlicher

Allgemeinanästhesie eine rapid sequence induction (RSI) empfohlen.

Die RSI ist weiter auch unter Crush- oder Blitzeinleitung bekannt und umschreibt

eine Einleitungssequenz mit schneller Intubation. (Die Anästhesiologie, S.563)

Der Atemweg soll möglichst schnell durch die tracheale Intubation gesichert sein.

Die Vorbereitung bei einer RSI ist von zentraler Bedeutung, um eine zusätzliche

Gefährdung des Patienten zu vermeiden.

Nicole Hug Seite 20

Der Patient

Die Vorbesprechung der Patientensituation im Team hilft, den Ablauf zu optimieren.

Dabei sollte die Indikation der RSI nochmals hinterfragt und verdeutlicht werden.

Die Patientenanamnese, die Operationsindikation und die aktuelle Situation des

Patienten spielen eine ebenso grosse Rolle. Hieraus ergeben sich wertvolle

Information für die Planung des Ablaufs während der Einleitung. Weiter beeinflussen

sie die Wahl der medikamentösen Substanzen zur Narkoseführung.

Das Team

Die Teamkonstellation sollte kritisch hinterfragt werden und die Aufgabenteilung muss

im Vorfeld geklärt sein. Ist ein junges unerfahrenes Team eingeteilt, sollte auf jeden

Fall der zuständige Oberarzt von Anfang an zugegen sein. Die Indikation zur weiteren

Anforderung von unterstützendem Personal sollte grosszügig gestellt werden.

Die Kommunikation während der RSI ist wichtig. Konzentration und eine ruhige

Atmosphäre sind wünschenswert.

Der Arbeitsplatz

Im Vorfeld muss überprüft werden, ob alle benötigten Materialen vorhanden und die

Geräte funktionsbereit sind.

Der OP-Tisch

Fragen, welche vor der Einleitung geklärt werden müssen:

Auf was für einem Operationstisch liegt der Patient?

Kann der Tisch bewegt werden?

Kann der Tisch in Trendelenburg- und Anti-Trendelenburgstellung gebracht

werden?

Ist der Zugang zum Kopf des Patienten von allen Seiten möglich?

Ist die Erreichbarkeit der Absaugvorrichtung gewährleistet?

Die Lagerung des Patienten zur RSI

Die Lagerung wird kontrovers diskutiert und sollte situationsbedingt und nach

Philosophie des Hauses erfolgen.

Nach O.Bartusch und M.Finkl wurde die ideale Lagerung von Patienten mit erhöhtem

Aspirationsrisiko zur Narkoseeinleitung in nur wenigen Studien untersucht. Folglich

gibt es keine einheitlichen Empfehlungen. In meiner Literaturauswahl habe ich

Folgendes gefunden:

Die Oberkörperhochlagerung von 30 – 45° reduziert die Häufigkeit der Regurgitation,

und eine rasche und wirksame Präoxygenation ist gewährleistet.

Die Oberkörpertieflagerung hat den Vorteil, dass bei Regurgitation der Larynx über

dem Mageninhalt steht. Das Erbrochene kann abfliessen und abgesaugt werden. Als

Nachteil wird beschrieben, dass es in der Trendelenburglagerung häufiger zu

Regurgitationen kommt, die Intubation als schwieriger empfunden wird und die Lage

von Patienten mit abdomineller und pulmonaler Dekompensation schlechter toleriert

wird. (O.Bartusch, 2008, Die Anästhesiologie, 2012)

Nicole Hug Seite 21

Die Lagerung bezieht sich aber nicht nur auf Trendelenburg oder Anti-Trendelenburg,

sondern beinhaltet auch:

Die Arbeitshöhe des Tisches muss für das Team passen. Ist dies nicht der Fall,

muss abgeklärt werden, ob der Tisch in der Höhe verstellt werden kann.

Ist der Patient für das Atemwegsmanagement optimal gelagert oder braucht es

noch zusätzliches Lagerungsmaterial?

Kommt das zuständige Teammitglied an die funktionierende intravenöse

Zuspritzleitung?

Usus bei uns im Haus

Verstellbarkeit des Tisches wird vor der Einleitung geprüft. Die Oberkörperlagerung ist

individuell der Situation angepasst.

Die Absaugvorrichtung

Die Absaugvorrichtung muss funktionstüchtig und aktiviert sein, ein dicker

Absaugkatheter sollte fest konnektiert schon an der laufenden Saugvorrichtung

angebracht sein. Die Absaugvorrichtung sollte sich in Greifnähe zur Person befinden,

welche die Position am Kopf des Patienten einnimmt. Falls der Patient schon eine

liegende Magensonde mitbringt, muss geprüft werden, ob die Absaugvorrichtung an

die Magensonde angeschlossen werden kann.

Das Material

Das benötigte Material sollte im Voraus schon übersichtlich bereit gelegt sein.

„Die Anästhesiologie“ empfiehlt, schon im Vorfeld den Tubus mit einem Führungsdraht

zu versehen. (Denn einen Führungsdraht bei Bedarf nachzufordern, bedeutet eine

verlängerte Intubationszeit und Hektik.) Der Führungsdraht sollte gleitfähig gemacht

werden, damit er nach erfolgreicher Tubusplatzierung ohne (unerwünschte)

Tubusdislokation schnell entfernt werden kann.

Die Cuffspritze gehört schon konnektiert an das Cufflumen oder sollte mindestens

ausgepackt und bereit liegen.

Material zur RSI-Intubation bei uns im Haus:

Maske und Filter (befinden sich schon installiert an Beatmungsmaschine)

Güdel

Laryngoskop

Tubus mit Führungsdraht (gleitfähig) und konnektierter Cuffspritze

Stethoskop

Laufende Absaugeinheit mit konnektiertem Katheter in Griffnähe

Tubusfixationsmaterial

unsterile Handschuhe

Nicole Hug Seite 22

Medikamente

Die Wahl der Medikamente muss im Team vorab besprochen werden

Indikation und Kontraindikationen für gewisse Induktionsmedikamente müssen

fallspezifisch abgewogen werden.

Ob Vasoaktiva zum Einsatz kommen, muss vorab besprochen werden. Sie werden vor

der Einleitung vorbereitet, um Hektik zu vermeiden.

Opiate

„Die Anästhesiologie“ empfiehlt, Opiate in reduzierter Dosis zu verabreichen. Dies

geschieht mit dem Ziel, dass die Kooperation und die Schutzreflexe nicht vorzeitig

aufgehoben werden.

Hypnotika

Die RSI-Intubation wird immer intravenös eingeleitet.

Verwendet werden Substanzen mit einer kurzen Anschlagszeit wie Thiopental oder

Propofol.

Vermutete Volumendefizite sollten vor der Induktion behoben werden, da Propofol wie

auch Thiopental eine erhebliche Hypotonie (durch Reduktion des peripheren

Widerstandes und der negativen Inotropie) hervorrufen können.

Alternativ wird auch Etomidat erwähnt.

Etomidat induziert bei der Einleitung keine oder eine stark verminderte Hypotonie. Der

Einsatz von Etomidat wird aber bei kritisch kranken Patienten nicht bedenkenlos

empfohlen, da bereits eine einmalige Gabe eine zeitlich begrenzte, aber relevante

Suppression der Nebennierenfunktion bewirken kann.

Muskelrelaxation

Succinylcholin

Succinylcholin ist aufgrund seiner schnellen Anschlagzeit und kurzen Wirkungsdauer

das Muskelrelaxans (MR) der Wahl für eine RSI.

Präcurarisierung - die Gabe eines nichtdepolarisierenden Muskelrelaxans (NDMR) in

einer niedrigen Dosierung - vor der Gabe von Succinylcholin wird in der Literatur mit

verschiedenen Standpunkten vertreten. „Die Anästhesiologie“ schreibt: „Die

Präcurarisierung reduziert die Succinylcholin-bedingte Muskelfaszikulation, die

Erhöhung des intraabdominellen Drucks durch Bauchdeckenkontraktion bleibt aus.

Gleichzeitig mit dem intraabdominellen Druck erhöht Succinylcholin aber auch den

Ösophagusverschlussdruck, sodass der Nettoeffekt umstritten ist.“

(Anästhesiologie, 2012, S. 563)

Larsen schreibt weiter, dass die Gabe durch ein NDMR den Wirkungseintritt von

Succinylcholin verzögert und die Intensität der Blockade abschwächt. O. Bartusch, M.

Finkl und U. Jaschinski erwähnen das Konzept von Priming und Timing und lehnen

dieses ab. Aufgrund der Möglichkeit des vorzeitigen Verlusts der protektiven

Atemwegsreflexe.

Nicole Hug Seite 23

Rocuronium

Als Alternative bei Kontraindikation gegen Succinylcholin wird einheitlich Rocuronium

genannt. Rocuronium gewinnt immer mehr an Bedeutung. Seine verlängerte

Wirkungsdauer (im Vergleich zu Succinylcholin) kann durch Suggamadex zuverlässig

selbst in der höchsten Relaxationsstufe innerhalb kürzester Zeit antagonisiert werden.

(Die Anästhesiologie, 2012, S.563/564)

Medikamentöse Narkoseeinleitung bei RSI in unserem Haus

Bei uns im Haus wird zur Intubation eine tiefe Narkose angestrebt. Opiate werden nicht

niedriger dosiert verabreicht; die Begründung liegt mehrheitlich bei dem starken

Schmerzreiz durch die Laryngoskopie während der Intubation.

Propofol und Thiopental sind die üblichen Induktionshypnotika, Ketamin und Etomidat

werden seltener gebraucht.

Das Muskelrelaxans der Wahl, sofern es keine Kontraindikation gibt, ist auch bei uns

im Haus Succinylcholin. Alternativ wird Rocuronium angewendet.

Dieses Kapitel wurde unterstützt durch „Arbeitsempfehlung und Grundsätzliches zur

RSI im KSA“ (für den internen Gebrauch) von A. Rohr.

Einleitung der Allgemeinanästhesie bei RSI

Präoxygenierung

Eine ausreichende Präoxygenierung vor der Narkoseeinleitung von mehreren Minuten

ist nötig, damit genügend Zeit für die endotracheale Intubation zur Verfügung steht.

Die Präoxygenation erfolgt über eine dicht sitzende Gesichtsmaske und mit 100%

Sauerstoff. (O. Bartusch, M. Finkl, 2008, S.526)

Die Zwischenbeatmung

Die Zwischenbeatmung wird in der Regel bei der RSI nicht durchgeführt, jedoch gibt

es dazu verschiedene Meinungen.

„Die Anästhesiologie“ und Larsen erwähnen die Wichtigkeit der Präoxygenation zur

Vermeidung der Hypoxie im Hinblick auf die Apnoephase, in der auf die Wirkung des

Muskelrelaxans gewartet wird. Sie rechtfertigen damit die gewollte Unterlassung der

Zwischenbeatmung zur Verhinderung der Regurgitation von Mageninhalt durch

Insufflation von Luft in den Magen. Falls auf eine Maskenventilation wegen

Intubationsschwierigkeiten nicht verzichtet werden kann, sollte sie unter Krikoiddruck

nach Sellick durchgeführt werden.

(Die Anästhesiologie, 2012, S. 563)

Präoxygenation und Zwischenbeatmung bei uns im Haus

Bei uns im Haus ist es üblich, die Präoxygenation so lange durchzuführen, bis ein

etO₂-Wert > 80% erreicht ist.

A.Rohr äussert dazu, dass die Möglichkeit einer sanften Maskenbeatmung zu Gunsten

der Oxygenierung mit Beatmungsdrücken < 12 cmH₂0 zu erwägen ist.

Nicole Hug Seite 24

2.5.6 Der Krikoiddruck

Die Durchführung des Krikoiddrucks nach Sellick, oder auch einfach Sellick-Handgriff

genannt, gilt heute noch als Standard bei der RSI. (O.Bartusch, M. Finkel)

Was verspricht man sich vom Sellick-

Handgriff?

Der Krikoiddruck soll die Regurgitation und

Aspiration von Mageninhalt während der

Narkoseeinleitung verhindern.

Nach Einleitung der Narkose nimmt der Tonus

des oberen Ösophagussphinkters ab, bei

erhöhtem Druck im Magen kann es so zur

Regurgitation kommen. (O. Bartusch, M.

Finkel) Abbildung 2

Sellick beschrieb die Technik 1961:

Durch Druck auf den Krikoidknorpel gegen die Halswirbelsäule kommt es zu einer

Okklusion des Ösophagus und somit kann eine Regurgitation von Magen- oder

Ösophagusinhalt vermieden oder das Aufblähen des Magens während der

Maskenbeatmung verhindert werden. (D. Steinmann, H.J. Priebe, 2009)

Vorgehensweise:

„Daumen und Zeigefinger des vor dem Patienten stehenden Helfers erfassen den

Schildknorpel und drücken den Kehlkopf mit einem Gewicht von ca. 4.5 Kg gegen die

Hinterwand des Pharynx. Hierdurch wird der Ösophagus verschlossen.

Der Druck sollte erst nachgelassen werden wenn sich der Tubus sicher und geblockt

in der Trachea befindet.“ (Larsen, 2013, S.490)

Bei aktivem Erbechen muss der Krikoiddruck sofort aufgehoben werden, da es sonst

durch den schnellen Druckanstieg zu einer Ösophagusruptur kommen kann. (Larsen,

2013)

Der Sellick-Handgriff kann aber auch Nachteile haben:

Durch Druck auf den Ringknorpel wird der Tonus im unteren Ösophagussphinkter

abgeschwächt und so wiederum die Gefahr einer Regurgitation begünstigt.

Bei ungenügender Narkosetiefe kann der Krikoiddruck Würgen und Erbrechen

beim Patienten auslösen.

Erschwerte Sicht auf den Kehlkopf

Erschwertes Einführen des Laryngoskops

Erschwerte Passage für Einführungshilfen

Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz

(Larsen, 2013/ Die Anästhesiologie, 2012/ O. Bartusch, M. Finkl, U. Jaschinski 2008)

Nicole Hug Seite 25

Der Krikoiddruck wird kontrovers diskutiert. Eine interessante, dem Krikoiddruck

gegenüber kritisch eingestellte Arbeit von D. Steinmann und H.J. Priebe, würde ich als

ergänzende Literatur gerne weiter empfehlen. Sie ist meiner Meinung nach interessant

zu lesen und wird diesem Thema in seiner Umfänglichkeit gerecht.

Beim Studium der Literatur ist mir aufgefallen, dass der Krikoiddruck in jeder meiner

Quellen kritisch hinterfragt wird.

Wird aber anschliessend die RSI abgehandelt, welche als unbestritten bei der

Narkoseeinleitung des Nichtnüchternen gilt, ist der Krikoiddruck beim Ablauf der RSI-

Intubation ohne weiteren Kommentar aufgelistet.

In der Praxis habe ich persönlich die Ausübung des Krikoiddrucks noch nicht miterlebt.

Laut Dr. A. Rohr ist die Entscheidung für eine RSI mit oder ohne Krikoiddruck situativ

zu stellen und obliegt dem zuständigen leitenden Arzt.

Erfahrungsgemäss erhöht sich aber die Konzentration auf den Patienten und die

Situation enorm, alleine schon dadurch, weil eine zusätzliche Person „nur“ für den

Sellick-Handgriff zuständig ist. Weiter bemerkt Dr. A. Rohr, dass der Krikoiddruck erst

unmittelbar nach dem Bewusstseinsverlust des Patienten durchgeführt werden soll.

Hierbei ist wieder die rasche Vertiefung der Narkose bei der Einleitung wichtig.

Die Ausleitung bei erhöhtem Aspirationsrisiko

Das Aspirationsrisiko besteht nicht nur während der kritischen Phase der

Narkoseeinleitung, sondern auch während der Narkoseausleitung und der frühen

postoperativen Phase.

Besonders gefährdet sind Patienten, welche schon Risikofaktoren für eine Aspiration

während der Narkoseeinleitung aufwiesen. Diese Patienten müssen nicht nur während

der Extubation, sondern auch im Aufwachraum genau beobachtet werden.

„Bei mangelhafter Vigilanz und nicht ausreichenden Schutzreflexen (z.B. durch

Relaxansüberhang) kann es zur stillen Aspiration kommen. Etwa 20% der Patienten

weisen bis zu 4 h nach einer Vollnarkose beeinträchtigte laryngeale Schutzreflexe auf.“

( O. Bartusch, M. Finkl, U. Jaschinski, S.528)

Vor der Extubation sollen noch beim tief schlafenden Patienten Mund- und

Rachenraum und Magensonde abgesaugt werden, die Magensonde soll geöffnet-und

mit einem Ablaufbeutel konnektiert sein.

Für Dr. A. Rohr steht fest, dass die Extubation eines aspirationsgefährdeten Patienten

erst erfolgt, wenn dieser wach und die Schutzreflexe zurückgekehrt sind.

Der weitere Ablauf der Extubation richtet sich nach den geltenden internen Richtlinien

des KSA.

Nach der Extubation soll der Patient noch mit der Beatmungsmaske für einige Minuten

Sauerstoff erhalten. Die Atmung soll klinisch überprüft werden. Auf Zeichen der

respiratorischen Insuffizienz ist zu achten.

Nicole Hug Seite 26

3 Schlussteil

3.1 Abschliessende Beantwortung der Fragestellung

Die Erarbeitung der Diplomarbeit ermöglichte es mir, mich mit einem sehr spannenden

und, wie sich herausstellte, auch komplexen Thema auseinander zu setzen.

Dank vielen informativen Fachgesprächen mit Anästhesisten, Dozenten und meinen

erfahrenen Berufskollegen habe ich wertvolle Ansichten und zu berücksichtigende

Aspekte aufnehmen können, die ich wiederum in die Arbeit einfliessen liess. Durch

Studium der Fachliteratur konnte ich mein theoretisches Wissen zu diesem Thema

vertiefen.

Durch Orientierung an den Leitfragen war es mir möglich, folgende Kernfrage für mich

zu beantworten.

Wie kann das Risiko einer Aspiration bei der Narkoseeinleitung reduziert

werden?

Während des Schreibens der Diplomarbeit wurde mir bewusst, dass das Thema

Aspirationsprophylaxe nicht nur auf den Moment der Narkoseeinleitung reduziert

werden kann.

Der Begriff „Aspirationsprophylaxe“ hat sich für mich, im übertragenen Sinne, inhaltlich

neu definiert.

Aspirationsprophylaxe bedeutet aufmerksam zu sein und den Patienten unter

Einbezug seiner Anamnese in seiner jetzigen Situation genau zu betrachten.

Es gibt Massnahmen, welche das Risiko der Aspiration während der Narkoseeinleitung

reduzieren können, mit Sicherheit verhindern können sie es aber nicht.

Folgende Punkte erscheinen mir wichtig zur Minimierung des

Aspirationsrisikos:

Die Nüchternheit und die Überprüfung deren Einhaltung

Das Wissen um beeinflussende Faktoren für ein erhöhtes Aspirationsrisiko

Die Möglichkeit der medikamentösen Aspirationsprophylaxe

Die Einlage einer Magensonde vor Narkoseeinleitung bei Indikation

Die Regionalanästhesie

Die RSI als einzig logische Schlussfolgerung, wenn zwingend eine

Allgemeinanästhesie bei einem Patienten mit erhöhtem Aspirationsrisiko indiziert ist

Der Entscheid für ein gewähltes Narkoseverfahren darf meiner Meinung nach auch

von der Pflege kritisch hinterfragt werden. Zum Wohle des Patienten ist Mitdenken

erwünscht.

Nicole Hug Seite 27

3.2 Bezug zu meinem Fall

Nach Erarbeitung meiner Diplomarbeit bin ich bezüglich der erlebten Aspiration zu

folgendem Schluss gekommen:

Das ursprüngliche Anästhesieteam war zu unerfahren. Ich beziehe mich auf meinen

damaligen Ausbildungsstand während der Weiterbildung und auf die noch unerfahrene

Assistenzärztin.

Jedoch haben wir in dieser kritischen Situation um zusätzliche Hilfe gebeten und diese

auch durch die Unterstützung einer erfahrenen diplomierten Anästhesiepflege

erhalten.

In der Schleuse habe ich mich zusammen mit der dipl. Anästhesiepflege um die

Perfusoren und um das Monitoring gekümmert und die Übergabe nur am Rand

mitgehört. Die Nüchternheit wurde von unserer Seite her gar nie in Frage gestellt. Ich

bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass sich der Patient auf Grund der reduzierten

Vigilanz und des stark verminderten Allgemeinzustandes nicht adäquat zu möglichem

Unwohlsein oder evtl. bestehender Nausea äussern könnte.

Nach der Erarbeitung der Diplomarbeit würde ich aufmerksamer und konzentrierter

zuhören. Ich würde mich für eine strukturierte Übergabe in der Schleuse einsetzen.

Retrospektiv erkenne ich, dass wir in der damaligen Konstellation unseren zuständigen

Oberarzt schon mit in die Schleuse hätten bitten müssen.

Der Patient wurde direkt im Saal eingeleitet und war eigentlich für eine

Allgemeinanästhesie mit Tubus geplant. Mit der Begründung der kurzen OP-Zeit

wurde jedoch spontan auf eine Laryngsmaske umentschieden.

Mit meinem jetzigen Wissen würde ich auf die hohe ASA-Klassifizierung, den stark

reduzierten Allgemeinzustand und die verminderte Vigilanz hinweisen und die Wahl

des Narkoseverfahrens aktiv hinterfragen.

Durch die Gespräche im Team mit meinen erfahrenen Berufskollegen und durch das

Studium der Fachliteratur bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass wir nach erfolgter

Aspiration nach Lehrbuch gehandelt haben. Der unmittelbare Ablauf nach der

Aspiration wurde von uns richtig angegangen.

Würde ich heute nochmals in eine ähnliche Situation wie im beschriebenen Fall

geraten, gehe ich davon aus, dass ich durch das erlangte Wissen und die gemachte

Erfahrung den Überblick, den nötigen Respekt und die Ruhe mitbringen würde.

Nicole Hug Seite 28

3.3 Erkenntnisse und Schlussfolgerungen

Die Aspiration wird in der Fachliteratur von unterschiedlicher Seite beleuchtet. Die

Herausforderung war es, unter dieser Flut von Literatur meine Frage nicht aus dem

Fokus zu verlieren.

Einen grossen Raum bei der Diplomarbeit nahmen die möglichen beeinflussenden

Faktoren für eine Aspiration ein. Diese Faktoren werden in der Literatur und im

ärztlichen Alltag unterschiedlich gewertet. Dieses Problem wird kontrovers diskutiert,

gemäss der Aussage: „Vieles kann, aber nichts muss!“ So habe ich nach

Übereinstimmungen oder einheitlichen Aussagen gesucht, später dann noch nach

Ergänzungen. Die Quintessenz aus der Arbeit zu diesem Thema ist, dass das Wissen

um die beeinflussenden Faktoren an sich schon eine wichtige Massnahme zur

Verminderung des Aspirationsrisikos ist.

Ein grosser Teil meiner Arbeit handelt von der Abhandlung der RSI selbst. Dies ist mir

sehr wohl bewusst und auch gewollt. Wird bei einer zwingenden Operation in

Allgemeinanästhesie ein erhöhtes Aspirationsrisiko vermutet oder erwartet, dann

bietet die Intubation eine Sicherung des Atemweges. Das Ziel einer RSI ist, durch eine

zügige Intubation den Atemweg schnell zu sichern. Die RSI hat eigene Schwerpunkte,

welche ich bei der Bearbeitung sehr spannend fand. Wiederum gab es Sequenzen,

welche die Literatur einheitlich abhandelt, und andere, wo sich die Geister in der

Literatur wie auch in der Praxis scheiden. Hier spreche ich insbesondere den

Krikoiddruck und die Zwischenbeatmung an.

Hier habe ich versucht, die Besonderheiten und die Vor- und Nachteile hervorzuheben.

Essenziell für das Gelingen der RSI ist, dass eine gute Vorbereitung, eine klare

Absprache und Aufgabenverteilung im Vorfeld stattfinden müssen. Es braucht einen

Plan.

3.4 Reflexion des persönlichen Lernprozesses und der eigenen Rolle

Ziehe ich den Bogen vom Beginn der Weiterbildung zu jetzt, kann ich sagen, in der

Anästhesie angekommen zu sein. Am Anfang war ich zu sehr darauf konzentriert, mich

in den Arbeitsablauf sinnvoll einzubringen. Der vorausschauende Blick war mir damals

vorübergehend etwas abhanden gekommen. Während der Erarbeitung der

Diplomarbeit habe ich gemerkt, wie sehr ich mich in dieser Zeit weiter entwickelt habe.

Durch das erlangte Wissen und die zunehmende praktische Erfahrung in dieser Zeit

habe ich viel gelernt und bin sicherer und ruhiger geworden.

Mir hat die Bearbeitung dieses Themas viel gebracht, ich konnte in Bezug auf meinen

Arbeitsalltag davon profitieren. Wenn ich heute einen Patienten mit geplanter RSI

betreue, fühle ich mich sicherer. Ich kann durch das erlangte Wissen und die

wachsende Erfahrung meinen Beitrag zu einer erfolgreichen RSI erbringen.

Nicole Hug Seite 29

Ich hoffe, den einen oder anderen Leser mit dieser Arbeit zu erreichen und für das

Thema der möglichen Aspiration während der Narkoseeinleitung zu sensibilisieren und

somit zur Patientensicherheit beitragen zu können.

Das Schreiben der Diplomarbeit war eine aussergewöhnliche Situation für mich. Sie

war mit vielen Hochs und Tiefs verbunden. Es war eine sehr intensive Zeit. Ich habe

viel über mich und meine Stärken und Schwächen gelernt.

Ich bin froh, dass es mir gelungen ist, unter Ausschöpfung all meiner zur Verfügung

stehenden Ressourcen diese Arbeit zu schreiben.

Nicole Hug Seite 30

4 Quellen

Bücher

Schäfer R., Söding P. (2010) Klinikleitfaden Anästhesie. München: Urban & Fischer

Larsen R. (2013) Anästhesie. München: Urban & Fischer

Ullrich, Stolecki, Grünewald (2005). Intensivpflege und Anästhesie. Stuttgart: Georg

Thieme Verlag

Rossaint, Werner, Zwissler (2012). Die Anästhesiologie. Berlin Heidelberg: Springer

Schäffler A., Menche N. (2000). Biologie Anatomie Physiologie. München: Urban &

Fischer

Fachzeitschriften

Hohlfeld J.M, Fabel H. (2000). Aspiration und „Near drowning“. Intensivmed 37, 298 –

306

Bartusch O., Finkl M., Jaschinski U. (2008). Aspirationssyndrom. Anästhesist 57, 519

- 532

Steinmann D., Priebe H.-J. (2009). Krikoiddruck. Anästhesist 58, 695 – 707

Warner M.A, Warner M.E., Weber J. (1993). Clinical Significance of Pulmonary

Aspiration during the Perioperative Period. Anesthesiology 78, 56 – 62

Weiss G., Jacob M., (2008). Präoperative Nüchternheit. Anästhesist 57, 857 - 872

Unterrichtsunterlagen

Gloor A. (Juni 2015). Anästhesie und endokrine Erkrankungen.

Internet

Anonymus, Puplikationsdatum unbekannt, Regurgitation, Abgefragt am 10.10.2015,

von http://flexikon.doccheck.com/de/Regurgitation

Compendium.ch (2011) Fachinformation des Arzneimittel-Kompendium, Pentothal®.

Abgefragt am 31.10.2015 von https://compendium.ch/mpro/mnr/4525/html/de

Fachgespräch

Rohr, A. Leitender Oberarzt Anästhesie KSA, 29.10.2015

Nicole Hug Seite 31

Bilder

Abbildung 1. Motilität des Ösophagus nach S. Cohen. (Silbernagel, S. Taschenatlas

Physiologie, 2007, S.241)

Abbildung 2. Sellick – Handgriff („Krikoiddruck“) zur Aspirationsprophylaxe ( Larsen,

2013, S. 490)

Tabelle 1

ASA American Society of Anesthesiologists, (Bartusch, O., Finkl, M., Jaschinski, U.,

Aspirationssyndrom, S. 522)Bücher

Nicole Hug Seite 32

5 Anhang

g

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