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ACHTUNG, FREILAUFENDE KINDER! LASST EUCH NICHT VERUNSICHERN! Interview mit Prof. Dr. Jürgen Oelkers NR. 23 MRZ/2014

NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

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ACHTUNG, FREILAUFENDE KINDER!

LASST EUCH NICHT VERUNSICHERN!Interview mit Prof. Dr. Jürgen Oelkers

NR. 23 MRZ/2014

Die Broschüre zeigt unterrichtliche Praxis im kompetenzorientierten, fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundar-stufe I. Sie integriert dabei aktuelle Ansätze und Ergebnisse der Bildungs-forschung. Am Phänomen Sehen wird nachvollziehbar, wie Unterricht von der Idee und einem konkreten Thema her geplant und vorbereitet werden kann. Der Band illustriert, wie Lernszenarien gesteuert werden können, die das individuelle Lernen der Schülerinnen und Schüler in den Fokus stellen. Das Prozessmodell und das Planungsraster bilden den Rahmen für die Planung des Unterrichtes. Die Broschüre zeigt praxistaugliche In-strumente und Methoden auf und bietet Hilfs- und Planungsinstrumente. Zahlreiche Aspekte des Phänomens Sehen werden fächerverbindend bearbeitet, indem physikalische und biologische Wissensbestände mit-einander vernetzt werden.

1. Aufl. Dezember 2013, 76 SeitenBestell-Nr.:10009Preis: 8,80 € (zzgl. Versandkosten)

Die Broschüre ist zu beziehen bei:Landeschulamt und Lehrkräfteakademie Rothwestener Str. 2-14, 34233 FuldatalFax: 0561-8101180, E-Mail: [email protected]

Kinder begegnen ihm mit großer Neugier und Vorfreude auf eine aktive Auseinandersetzung. Mit dieser Unterrichtseinheit für die Klassen 5 und 6 er-möglichen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern eine Erstbegegnung mit der Welt der Stoffe und ihren chemischen Veränderungen. „Feuer und Flamme“ bietet Ihnen eine gelungene Mischung praxiserprobter Unterrichtsmateriali-en und fachdidaktisch fundierter Konzepte. Die spannenden Versuchsreihen beinhalten Lehrkräftebögen für die Planung des Unterrichts sowie konkrete Arbeitsblätter für die Schülerinnen und Schüler. Diese Unterrichtseinheit ist bewusst als Loseblattsammlung in einem Ordner arrangiert worden, der auf-grund seiner Größe weitere kompetenzorientierte Materialien für den natur-wissenschaftlichen Unterricht der Klassen 5 und 6 aufnehmen kann.

1. Aufl. Oktober 2013, 120 SeitenBestell-Nr.:10008Preis: 16,80 € (zzgl. Versandkosten)

Der Ordner ist zu beziehen bei:Landeschulamt und Lehrkräfteakademie Rothwestener Str. 2-14, 34233 FuldatalFax: 0561-8101180, E-Mail: [email protected]

NEUE VERÖFFENTLICHUNGEN

Ich sehe was, was du nicht siehst – Das Phänomen Sehen im kompetenzorientierten und fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe I

Feuer und Flamme – was für ein faszinierendes Naturphänomen!

Landesschulamt und LehrkräfteakademieKirchgasse 2, 65185 Wiesbadenwww.lsa.hessen.de

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BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2013 352 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

EDITORIAL

„ELTERN WERDEN IST NICHT SCHWER, …

… Eltern sein dagegen sehr!“ So könnte der Ausruf eines Helikopter-Papas klingen, der täglich den Erfolgsdruck spürt und voller Sorge ist, in der Rolle als erziehender Vater zu versagen. Er würde mit diesem Satz vermutlich vielen Eltern aus der Seele sprechen, die spüren, dass die Erziehungsverant-wortung immer größer wird; Eltern, die mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kämpfen, die bei ihren Kindern alles richtig machen wollen und am Ende doch als „Helikoptereltern“ bezeichnet werden.

Inzwischen widmet sich eine ganze Reihe von Zeitungsartikeln und Büchern diesen sehr fürsorglichen Müttern und Vätern, die immer dabei sein wollen, die sich einmischen und den Luftraum über den Köpfen ihres Nachwuchses besetzen, weil sie beispielsweise Gefahr von ihren Kindern abwenden oder ihnen die bestmögliche schulische Ausgangssituation sichern möchten.

Aber handelt es sich bei den Helikoptereltern vielleicht nur um das Produkt einer Medienkampagne? Oder deutet sich ein ernst zu nehmendes Phänomen an, aus dessen Fahrwasser reihenweise unmündige Kinder hervorgehen? Sollten kundige Leserinnen und Leser die Aufregung um über- behütende Eltern lediglich amüsiert zur Kenntnis nehmen oder besteht echter Handlungsbedarf? Die Einschätzungen gehen hier auseinander.

Auf jeden Fall gesichert ist die Erkenntnis, dass die Deutungshoheit über den Erfolg oder Misser-folg von Erziehungsbemühungen schon lange nicht mehr nur bei den Eltern liegt. Das Verhalten der Elternschaft wird öffentlich be- und auch verurteilt und medial genüsslich aufbereitet. Hunderte an Ratgebern weisen den richtigen Weg. Von „Pathologien“ ist dort die Rede. Mal leiden wir unter Erziehungsnotstand, dann wieder unter einem Erziehungsstil á la „Overprotection“.

In dieser Gemengelage scheint es am besten, sich in dem Parcours aus Überbehütung, Frühoptimie-rung, „Quality Time“, Elternführerschein und Gefahrenvermeidung eine eigene Meinung zu bilden.

BILDUNG BEWEGT wünscht Ihnen mit der 23. Ausgabe viel Freude beim Kennenlernen verschiedener Perspektiven und bei der Meinungsbildung.

Jörg Meyer-Scholten Sabine StahlPräsident des Landesschulamtes (k.m.d.W.b.) Chefredakteurin BILDUNG BEWEGT

Jörg Meyer-Scholten Präsident des Landesschulamtes (k.m.d.W.b.)

Sabine Stahl Chefredakteurin BILDUNG BEWEGT

ADRESSEN & ANSPRECHPARTNER

Landesschulamt und LehrkräfteakademieHauptsitz: Kirchgasse 2, 65185 [email protected] Tel.: +49 (0) 611 368 2657

Präsident des LSAJörg Meyer-ScholtenTel. + 49 (0) 611 368 2657

Abteilung ZZentrale Dienste und ServiceleistungenJoachim Schmidt Tel. +49 (0) 611 368 2659

Abteilung ISchulaufsicht und SchulberatungDr. Marion Steudel Tel. +49 (0) 611 368 2204

Abteilung IIAkademie für Lehrerbildung und PersonalentwicklungFrank SauerlandTel. +49 (0) 69 38989 300

Abteilung IIIQualitätsentwicklung und EvaluationJoachim Schmidt (komm. m.d.W.d.G.b.)Tel. +49 (0) 611 5827 400

Die Tagungseinrichtungen Rhein-Main-GebietErwin-Stein-HausStuttgarter Straße 18 – 2460329 FrankfurtTel. + 49 (0) 69 38989 330

Nordhessen/Reinhardswaldschule Rothwestener Straße 2 – 1434233 FuldatalTel. + 49 (0) 561 8101 0

Mittelhessen/WeilburgFrankfurter Straße 20 – 2235781 WeilburgTel. + 49 (0) 6471 3281 00

IMPRESSUM

Herausgeber: Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

Gesamtverantwortung: Sabine Stahl

Kontakt: [email protected]

Redaktion: Sandra Buschmüller, Julia Gülich, Kerstin Rheingans, Sabine Stahl

Layout und Gestaltung: www.sixfeetone.de, Frankfurt/Main

Druck und Verarbeitung: Druckerei Hesse, Fuldabrück

Mediadaten und Anzeigenannahme: Kerstin Rheingans

Erscheinungsweise: vierteljährlich

Auflage: 5.000

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 15. April 2014

Landesschulamt und LehrkräfteakademieStuttgarter Straße 18 – 2460329 Frankfurt

[email protected]

PINBOARD

TERMINHINWEISE

Veranstaltungen im März 2014

13. Deutscher Lehrertag 2014 – Frühjahrstagung

Ort: Congress Center Leipzig Nähere Informationen:

www.bildungsmedien.de

24.03.- SchulKinoWochen Hessen04.04. Ort: Kinos im Rhein-Main-Gebiet,

Region Mitte, Nord- und Südhessen Nähere Informationen:

www.schulkinowochen-hessen.de

25.-29. didacta Bildungsmesse Ort: Landesmesse Stuttgart Nähere Informationen:

www.gew-berlin.de/ssl/526_781.php

Veranstaltungen im April 2014

02. 4. Ausbildertagung 2014 Ort: Hotel Esperanto, 36037 Fulda Nähere Informationen:

www.smadias.de/veranstaltung/ 4-ausbildertagung-2014-in-fulda/

Veranstaltungen im Mai 2014

09.-11. 18. Bundeskongress Legasthenie und Dyskalkulie

Ort: Congress Center Erfurt Nähere Informationen:

http://bvl-legasthenie.de/kongress2014

Veranstaltungen im Juni 2014

06.-15. 54. Hessentag Ort: Bensheim Nähere Informationen:

www.hessentag2014.de/

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INHALT

Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

10 LASST EUCH NICHT VERUNSICHERN!

ELTERN HANDELN VIEL NORMALER, ALS ES

IN DEN MEDIEN DISKUTIERT WIRD

Interview mit Prof. Dr. Jürgen Oelkers

19 UNBEKANNTE EINFLUSSGRÖSSE LEHRKRÄFTEAUSBILDUNG Wirksamkeitsaussagen brauchen Forschung und eine fundierte Datenlage

4 ACHTUNG, FREILAUFENDE KINDER!

EDITORIAL

„Eltern werden ist nicht schwer, … .................................... 2

LEITARTIKEL

Achtung, freilaufende Kinder! ............................................ 4

NACHGEFRAGT

Lasst euch nicht verunsichern!Eltern handeln viel normaler, als es in den Medien diskutiert wird ................................. 10Interview mit Prof. Dr. Jürgen Oelkers

BILDUNG IM BLICK

Classroom-Management ................................................... 16

Unbekannte Einflussgröße Lehrkräfteausbildung Wirksamkeitsaussagen brauchen Forschung und eine fundierte Datenlage .......................... 19

TAFF: Flüssig lesen lernen durch Lautlesetandems – Ein Fortbildungsprojekt zur Förderung der Leseflüssigkeit ............................................ 22

ERFORSCHT UND ENTWICKELT

Hatties „big ideas“ für die schulische Praxis (Teil 2): Anregungen für einen gelungenen Unterrichtsverlauf ... 26

PINBOARD 31

ADRESSEN & ANSPRECHPARTNER 35IMPRESSUM

BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 3

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LEITARTIKEL

Fünf weitere Kinder radeln an diesem Nachmittag behelmt und mit Ellbogenschützern aus-

staffiert in der Grünanlage umher.

Konsequent beobachtet von min-destens 14 Augen, die jede Nuance, jedes Abweichen der Bewegungs-muster vom Normalfall besorgt regist-

rieren, immer bereit, fürsorglich und punktgenau hinzuzustoßen. Das Erste-Hilfe-Päckchen in der Hand, die Notruf-nummer bereits im Telefon gespeichert

Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit ihrem Dreirad auf dem Spielplatz Runde um Runde durch den weichen Sand dreht. Ihre Beinchen treten und zirkeln, der Lenker schlägt ein ums andere Mal bedenklich nach links und rechts aus. Das fragile System schrappt mehrfach haarscharf am Kollaps vorbei, gefährliche Schräglagen werden im Sekundentakt über-wunden. Dabei lacht Lisa, die Wangen vor Aufregung gerötet, das kleine Herz wild pumpend. Gerötet sind auch die Wangen der sieben Eltern, die an diesem Nachmittag ebenfalls in der Parkanlage umherstreifen und neben ihrem eigenen Sprössling natürlich auch Lisa beobachten. Gerötet vor Empö-rung. Auch ihre Herzen pumpen, denn sie sind entrüstet. „Wie fahrlässig“, ist da zu hören. „So eine leichtsinnige Mutter!“, wird von der Nebenseite gerügt. „Da müsste man fast das Jugendamt einschalten“, steigert sich die Empörung. Lisa trägt keinen Helm.

ACHTUNG, FREILAUFENDE KINDER!

ACHTUNG, FREILAUFENDE KINDER!

4 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

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LEITARTIKEL

und auf dem Schoß die aktuelle Ausga-be der Zeitschrift „Kindesmotorik“ mit neuesten Studienergebnissen zum gesundheitlichen Wert translatorisch-rotatorischer Bewegungsmuster im Kleinkindalter während der sensiblen motorischen Phase.

Der tägliche ÜberwachungswahnDen umherradelnden Kindern bleiben noch zehn Minuten, dann wird zum Auf-bruch geblasen. Klavier steht bei Leon auf dem Programm, Sprachtherapie bei Tina, bei Tom und Mehmet hingegen Frühförderung. Sara hat noch etwas mehr Zeit. Sie hat erst in einer halben Stunde ein Gespräch beim Kinderpsy-chologen. Abgesichert, allroundbeob-achtet, durchgetaktet. „Bubble Wrap Kids“, also Kinder in Luftpolsterver-packung, werden in den Vereinigten Staaten Jugendliche genannt, die von ihren Eltern vor allen erdenklichen Ge-fährdungen geschützt werden sollen. Sie behüten ihren Nachwuchs rund um

die Uhr, mischen sich ein, auch wenn ihr Kind eine Herausforderung durchaus alleine stemmen könnte. Sie schweben überfürsorglich in allen Lebenslagen und sogar bis in das Erwachsenenal-ter über den Köpfen ihrer Söhne und Töchter, was ihnen die Bezeichnung „Helikoptereltern“ eingebracht hat. Be-klagten Lehrkräfte in den letzten Jahren noch die nachlassende Erziehungsbe-reitschaft, regt sich jetzt ein Widerstand gegen jene hochengagierten Eltern, die

überbehüten und auf so anstrengende Weise alles besser wissen (müssen).

Allerdings gilt heute mehr denn je: Eltern stehen unter Beobachtung. Ihnen wird schnell die Schuld zuge-

wiesen, wenn ihre Kinder auffällig sind oder wenn sie nicht der Norm entspre-chen. „Die Visibilität abweichenden Verhaltens von Kindern und Jugend-lichen nimmt zu“, diagnostiziert der Schweizer Professor Jürgen Oelkers (OELKERS 2013, S.3) und damit steigt auch der Druck auf die Mütter und Väter. Oelkers beobachtet, dass die Erziehung inzwischen eine öffentli-che Wahrnehmung und Bedeutung erreicht hat, wie sie es in den letzten

Jahrhunderten nicht gegeben hat. Die gestiegene externe Erwartung an den Erziehungserfolg der Eltern schlägt sich in deren eigenem Anspruch nie-der. Und der lautet: Erziehe dein Kind

Erziehung hat inzwischen eine öffentliche Wahrnehmung und Bedeutung erreicht, wie sie es in den letzten Jahrhunderten nicht gegeben hat.

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LEITARTIKEL

perfekt! Brost und Wefing, zwei Jour-nalisten, die ihre Gedanken über die Vereinbarkeit von Kind und Karriere niedergeschrieben haben, sprechen von „unendlich vielen Erwartungen, weil es unendlich viele Möglichkei-ten gibt, eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein, und deswegen scheint es das Beste zu sein, einfach alle Erwartungen zu erfüllen“ (BROST/WEFING 2014, S. 6). Erste Gehversu-che des Nachwuchses werden daher nicht mehr einfach nur freudig auf-genommen, sondern auch analysiert, dokumentiert und mit Normwerten abgeglichen. Jeder Entwicklungsfort-schritt wird bestätigend zur Kenntnis genommen, jeder Rückschritt wirkt alamierend. Auch kleinste Verände-rungen werden genau erfasst und mit aktuellen Ratgebern abgeglichen, die penibel auflisten, was ein Kind in sei-nem Alter können müsste.

Der Abgleich erfolgt allerdings nicht nur im familiären Schonraum. Immer häufiger vollzieht er sich auch außerhalb des Privaten. Das Gespräch mit anderen Eltern mutiert da schnell zur Vergleichsstudie. „Mein Kind kann schon buchstabieren“, „Meines rollt erfolgreich von der Seite auf den Rü-cken“ und „Meines kann schon schrei-ben, und dabei kommt es erst nächstes Jahr in die Schule“. Erziehungserfolg macht sich auch an der Erfüllung von Normen und damit am ständigen Vergleich mit anderen fest. Er ist Teil

der alltäglichen Leistungserwartung, die Erziehende keinesfalls unterschrei-ten dürfen, sonst droht Imageverlust.

Deswegen ist es keine Selten-heit, dass eine Mutter ihre Arbeit von Voll- auf Teilzeit reduziert, damit sie bei den Hausaufgaben helfen kann. Manche Eltern besuchen an der Volks-hochschule Kurse, um ihre Kinder in Mathe unterstützen zu können, ande-

re schreiben ein Referat für ihr Kind gleich selbst. Und seit einigen Jahren gibt es sogar „Messen extra für Eltern (…), auf denen sie sich über die Stu-diermöglichkeiten ihrer Kinder infor-mieren können“ (BECKER 2014) und an mancher Universität Erstsemester-Familientage, die wegen der großen Nachfrage inzwischen im Fußballsta-dion stattfinden.

Die Macht des MisstrauensFast scheint es, als übernähmen manche Eltern die Komplettverantwortung auch für den schulischen Erfolg ihrer Kinder. Als säßen sie selbst in einer Prüfung, in der ihre gesamterzieherische Leistung bewertet wird und nicht der Lernerfolg des Nachwuchses. Wie verräterisch wirkt es, wenn sich ein Vater beim Klas-senlehrer mit den Worten „Warum ha-ben wir nur eine Vier bekommen?“ über eine mäßige Note beschwert.

Es irritiert, wenn Eltern die Leis-tungseinschätzung durch Lehrkräfte und deren Urteilsvermögen einerseits grundsätzlich in Frage stellen, deren Urteil aber zugleich fürchten. Wenn sie ihre Kinder zu selbstständigen, konflikt-fähigen Menschen erziehen möchten, ihnen aber keine Verantwortung mehr übertragen und die Last des Scheiterns ersparen möchten, indem sie eine Hausarbeit gleich selbst schreiben.

Eltern und Lehrkräfte sollten Bünd-nispartnerinnen und -partner sein, die ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Wo jedoch Vertrauen fehlt, werden Schwierigkeiten im schulischen Leben des Kindes gar nicht mit dem schuli-schen Partner in der Bildungs- und Erziehungsarbeit besprochen und beraten, sondern gleich in die nächst-höhere behördliche Instanz eskaliert. Dies klingt nach Misstrauenskultur. Und es zieht jene Kritik nach sich, wie die von Josef Kraus, dem Präsidenten

des Deutschen Lehrerverbandes. Der sah sich in seiner Tätigkeit als Gymna-sialdirektor wohl derart intensiv mit überfürsorglichen Eltern konfrontiert, dass er ein Buch mit dem Titel „Heli-kopter-Eltern. Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“ schrieb. Er meint damit auch Beispiele wie das einer Mutter, die sich direkt an das Ministeri-um wendet, weil bei ihrem elfjährigen Kind der Unterricht in einem Neben-fach mehrfach krankheitsbedingt ausgefallen ist. Die Mutter fürchtet, ihr Kind könne den Anschluss an die kommenden Schuljahre und an das Abitur verlieren. Statt mit der Klassen- oder Schulleitung zu reden, die Situa-tion vielleicht auf einem Elternabend zu besprechen, macht sie es sich Mission, sämtliche Bestimmungen und Verordnungen bis ins Detail zu durch-dringen, Lehrpläne zu inhalieren und derart gewappnet in die Konfrontation zu ziehen. In einer solchen Konstellati-on nehmen Eltern und Lehrkräfte sich gegenseitig eher als lästige Begleit-umstände, denn als Team wahr.

Erziehung ist eine Gratwanderung. Eltern sollen sensibel sein für die Be-dürfnisse ihres Kindes, Fort- und Rück-schritte bemerken und es optimal bei der Weiterentwicklung unterstützen. Sie sollen ihr Kind vor Gefahren schüt-zen und zugleich zu einem selbstbe-stimmten Wesen erziehen. Ohne Ver-trauen funktioniert dies nicht. Vertrauen bildet sich dort, wo Eltern da sind, wenn es darauf ankommt. Vertrauen bedeu-tet allerdings nicht, immer da zu sein – ein schwieriger Balanceakt.

Gründe? Gründe!Was hat sich also verändert, dass man-che Eltern plötzlich den Flugraum über den Köpfen ihrer Kindern wie Drohnen besetzen, kindliche Freiräu-me verplanen, auf Karriereberaterinnen und -berater setzen und externe Förde-rung schon vorgeburtlich mitdenken?

Die Veränderung familiärer Struk-turen kann Teile des Phänomens er-klären helfen. Es gibt immer weniger Großfamilien, in denen die Aufsicht und Fürsorge auch einmal auf andere Schultern gepackt werden könnte. Wo früher vielleicht drei Geschwister um-hertollten, steht heute eher ein Einzel-kind, das wie ein Magnet die Aufmerk-samkeit der Eltern auf sich zieht und auf dem sich alle Zukunftshoffnungen und -ängste fokussieren (können).

Ein Vater, der sich bei Spiegel-On-line als Helikopter-Papa bekennt,

Erziehung ist eine Gratwanderung. Eltern sollen sensibel sein für die Bedürfnisse ihres Kindes, Fort- und Rückschritte bemerken und es optimal bei der Weiterentwicklung unterstützen. Sie sollen ihr Kind vor Gefahren schützen und zugleich zu einem selbstbestimmten Wesen erziehen. Ohne Vertrauen funktioniert dies nicht. Vertrauen bildet sich dort, wo Eltern da sind, wenn es darauf ankommt. Vertrauen bedeutet allerdings nicht, immer da zu sein – ein schwieriger Balanceakt.

6 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

Page 7: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

LEITARTIKEL

schreibt, dass das Vertrauen vieler El-tern in den Bildungsort Schule zerstört und die Nervosität der Mittelschicht nachvollziehbar sei, die um den ver-gänglichen Status von Beruf und Bank-konto wüssten (FÜLLER 2013). Dahin-

ter stehen Ängste vor dem sozialen Abstieg, weswegen dem schulischen Erfolg immer größere Bedeutung bei-gemessen wird. Sicherlich ein Grund, warum sich die rund 15 Prozent soge-nannter Helikopter-Eltern sehr intensiv einmischen. Es ist allgemein bekannt, dass der Anteil derjenigen Berufe zu-nimmt, für die eine höhere Qualifika-tion benötigt wird. Die Technisierung und Hinwendung zum Dienstleist- ungssektor stellt höhere Ansprüche an Schulabgängerinnen und -abgänger. Wer also Erfolg haben und zum Erhalt des sozialen Status‘ beitragen möchte, der muss die besten schulischen Vor-aussetzungen mitbringen.

Auch die Lebenswelt dieser Eltern- generation hat sich im Vergleich zu älteren Jahrgängen verändert. „Wenn ein durchschnittlicher Deutscher im Jahr 1962 seinen ersten Arbeitsver-trag unterschrieb, dann blieb er bis zur Rente in seinem Betrieb. Wenn er eine Frau heiratete, dann, um mit ihr sein Leben zu verbringen. Wenn er ein Haus baute, dann, um darin alt zu werden (…). Die Welt war ge-prägt von Stetigkeit, vielleicht auch von Eintönigkeit, in jedem Fall aber waren Anfänge eher die Ausnahme als die Regel“ (LOBENSTEIN 2014, S. 12). Die Eltern aktuell schulpflich-tiger Kinder wissen, dass Ungebun-denheit und Flexibilität als Vorausset-zung für Erfolg, Brüche im Lebenslauf nicht mehr als Makel, sondern als Ausdruck von Beweglichkeit, Neuan-fänge als Regel und weniger als Aus-nahmen gelten.

Selbst Kindheit und Pädagogik werden kommerzialisiert und Trends jagen sich in immer knapperen Ab-

ständen. Auch das macht Druck, denn erfolglose Erziehung ist in dieser Welt nicht vorgesehen. Auf dem Markt gibt es augenscheinlich alles für eine glückliche Kindheit und die sichere Karriereanbahnung der

Sprösslinge. Wie sollen Eltern da begründen, warum manches nicht gelingt? Eine Fülle von Ratgebern erklärt das Ein-mal-Eins der Päda-gogik. Klappt es im Fachlichen nicht so, sorgen Nachhilfeangebote und Lernstudios für Abhilfe. Bei eventu-ell anzunehmenden Erziehungsde-fiziten kann die Familienaufstellung helfen und selbst Entspannung und Stressabbau werden ins Fitnessstudio oder in den Yogakurs ausgelagert.

Dies suggeriert, als gäbe es für alle Herausforderungen eine schnelle, einkaufbare Lösung. Ein gefährliches Gelingensversprechen, das der Er-ziehungswissenschaftler Oelkers als „Entlastungsindustrie“ bezeichnet.

Einerseits treten Eltern in Erfolgs-konkurrenz zu den zahlreichen Ange-boten, die gute Erziehung verspre-chen. Wenn sie sich entschließen, auf externe Angebote für Beratung, Lernen und Erziehung zurückgrei-fen, haben sie ein anderes Dilemma. Denn zum einen sind sie niemals wirklich frei von ihrer Erziehungsver-antwortung, zum anderen wird die Zeit immer knapper. Berufstätige El-tern haben ohnehin schon weniger gemeinsame Momente mit ihren Kindern. Wenn diese dann noch auf verschiedene außerfamiliäre Anbie-ter verteilt wird, schrumpft das Kon-tingent für die eigene Einwirkzeit wei-ter. Diese muss dann auf jeden Fall bestens durchgeplant und von Erfolg gekrönt sein.

Selbst die Vision vom lebenslan-gen Lernen bringt nicht zwingend Ent-lastung. Denn statt anzunehmen, dass sich das Lernen auf ein ganzes Leben bezieht, man eigentlich entspannt man-ches vertagen könnte, ist eben auch jene Auslegung möglich, die besagt, dass es nie zu früh ist zu lernen (vgl. LO-BENSTEIN). Also muss sofort damit be-gonnen werden. Der Innovationsdruck beginnt folglich im Kindergarten und manchmal förderfroh noch viel früher.

Zwischen wahrgenommener und tatsächlicher GefährdungNun sollte man annehmen, dass für-sorglich behütete Kinder doch opti-mistisch sein müssten. Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder zeigt

Selbst Kindheit und Pädagogik werden kommerzialisiert und Trends jagen sich in immer knapperen Abständen. Auch das macht Druck, denn erfolglose Erziehung ist in dieser Welt nicht vorgesehen. Auf dem Markt gibt es augenscheinlich alles für eine glückliche Kindheit und eine sichere Karriereanbahnung der Sprösslinge. Wie sollen Eltern da begründen, warum manches nicht gelingt?

Heutige Elterngenerationen müssen sich mit ganz anderen Gefahren oder Gefährdungen auseinandersetzen als denjenigen, denen sie sich in ihrer eigenen Kindheit ausgesetzt sahen.

BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 7

Page 8: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

hingegen, dass ein großer Anteil der Jugendlichen misserfolgsängstlich statt erfolgsorientiert ist. Immerhin 15 von 100 deutschen Mädchen und Jungen blicken negativ in die Zukunft (UNICEF: Reiche, kluge, glückliche Kinder?, 2013).

Obgleich Daten wie zum Einkom-men, zur Gesundheit oder zu Bildungs-chancen vergleichsweise gut sind, hat sich die subjektive Lebenszufrieden-heit der Kinder in Deutschland sogar leicht verschlechtert. Deutschland ran-giert bei dieser Frage nur im unteren Drittel aller verglichenen Länder. In keinem anderen Land ist der Kontrast zwischen einer „guten“ Lebensumwelt und der Zufriedenheit der Kinder so groß wie in Deutschland.

Daten und deren individuelle Be-wertung gehen also nicht immer Hand in Hand. Auch die subjektive Einschät-zung möglicher Gefährdungen orien-tiert sich nicht immer an Fakten. So führt beispielsweise die Sorge um die Gefahren des täglichen Straßenver-kehrs dazu, dass immer mehr Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. Folgt man der Unfallstatistik, müssten sie sich eigentlich anders ent-scheiden. Denn laut dieser verunglü-cken mehr Kinder im Straßenverkehr, die im PKW mitfahren, als solche, die zu Fuß gehen. Was sich rational an-fühlt, muss nicht zwingend rational sein. Woher rührt die Ängstlichkeit?

Heutige Elterngenerationen müs-sen sich mit anderen Gefahren oder Gefährdungen auseinandersetzen als denjenigen, denen sie sich in ihrer

eigenen Kindheit ausgesetzt sahen: So wird aktuell vor der Rückkehr der Pesterreger gewarnt. Handystrahlen stehen im Verdacht gefährlich zu sein. Cybermobbing greift um sich und selbst beim Essen herrscht Unsicher-heit, ob auch das darin ist, was außen

drauf steht. Die Welt von 2014 scheint schwerer zu deuten und schnellle-biger zu sein. Sie gilt als komplexer. Informationen stehen in Hülle und Fülle zur Verfügung und dennoch scheinen Gefahren subtiler und we-niger greifbar – und schon gar nicht beherrschbar. Die Hoffnung auf einen überschaubaren, kontrollierbaren (Er-ziehungs)Raum zerschlägt sich, denn das Leben und Lernen Jugendlicher findet an vielen Orten statt, auch au-ßerhalb von Schule und Zuhause. Der Wunsch, die Gegenwart und Zukunft

der Kinder fest in der Hand zu haben, ist nicht erfüllbar. Er war es aber auch in früheren Zeiten nicht.

Die schöne VerklärungWenn sich Kinder zum Spielen in di-gitalen Netzwerken organisieren und dort Stunden ihrer Freizeit verbringen, dann möchte dies nicht so recht mit

dem elterlichen pädagogischen Kon-strukt von einer glücklichen Kindheit zusammenpassen. Erwachsene glei-chen Bilder heutiger Kindheit mit ihrer eigenen ab. Dies scheint ihnen Pro-bleme zu bereiten, denn „sie haben Mühe, sich vom Bild der romantischen Kindheit zu lösen und die Paradiesme-taphern preiszugeben, die die Erwar-tungswelt von Erziehung nach wie vor bestimmen“ (OELKERS 2013, S.561).

Mit beseeltem Blick werden Erin-nerungen wachgerufen, die nach wil-dem Leben riechen, in denen bis spät abends alleine oder mit Freunden durch Felder und Wälder gestreift und sommers wie winters ein beschwer-licher Fußmarsch zur Schule in Kauf genommen wurde. Man fluchte und fühlte sich zugleich großen Heraus-forderungen und Anstrengungen aus-gesetzt, deren Bewältigung irgendwie zufrieden machte. Es gab viel Zeit, die nicht verplant und nicht beaufsichtigt war. Zeit voller Abenteuerlust oder auch Müßiggang. Das Freiheitsgefühl beim ersten Schaukeln im Wipfel ei-ner erkletterten Birke, die Aufregung beim heimlichen Schlittschuhlaufen auf einem frisch zugefrorenen Bag-gersee oder der tiefe Genuss beim spätabendlichen Lesen eines Romans unter der hochgezogenen Bettdecke, heimlich und mit Taschenlampe.

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Mensch zur Verklärung der eigenen Jugendjahre neigt. Denn das Zeitgefühl ist ein individuelles Konst-rukt, bei dem die emotionale Beurtei-lung und persönliche Bewertung ei-nes Ereignisses sowie der individuelle Erregungszustand maßgeblichen Ein-fluss haben. Das Empfinden von Zeit-

Die Hoffnung auf einen überschaubaren, kontrollierbaren (Erziehungs)Raum zerschlägt sich, denn das Leben und Lernen Jugendlicher findet an vielen Orten statt, auch außerhalb von Schule und Zuhause. Der Wunsch, die Gegenwart und Zukunft der Kinder fest in der Hand zu haben, ist nicht erfüllbar. Er war es aber auch in früheren Zeiten nicht.

Im Grunde klingt es seltsam, dass genau jene Generationen (beziehungsweise Teile davon) ihren Kindern nicht die gleichen Freiheiten und Gefährdungsräume zugesteht, die sie selbst hatten und die sie auch gerne in Anspruch nahmen.

LEITARTIKEL

8 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

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verläufen ist also eine Gedächtnisleist- ung und zwar in Form einer positiven Verklärung der eigenen Vergangen-heit. Früher war demnach sicher nicht alles besser, auch wenn es sich heute so anfühlt. Verklärung? Ja! Romanti-sierung eigener Kindheitsjahre? Ja!

Im Grunde klingt es seltsam, dass genau jene Generationen (bezie-hungsweise Teile davon) ihren Kin-dern nicht die gleichen Freiheiten und Gefährdungsräume zugesteht, die sie selbst hatten und die sie auch gerne in Anspruch nahmen. Die Bilder einer heilen Welt und unschuldigen Kindheit prägen ihr Gedächtnis. Sie bestimmen auch die Erwartung an eine glückli-che Kindheit im Jahre 2014. Doch die vollzieht sich in einem Umfeld, in dem Bilder, Modeerscheinungen, Erlebnis-welten und Erziehungstrends in atem-beraubendem Tempo wechseln, in der das Andeutungsweise die Nachhaltig-keit zu dominieren scheint. Eine solche Kindheit ist wenig geeignet, diese Er-wartungen der Erziehenden zu bestäti-gen (vgl. OELKERS 2002).

Irgendwo scheint eine unsichtbare Bruchlinie zu verlaufen, die Sicherheit über Freiheit, Risikominimierung über Risikobewusstsein, organisierte Frei-zeit über Eigeninitiative stellt. Eigent-lich müssten angesichts der medialen Möglichkeiten die Erfahrungsräume für Kinder immens sein. Stattdessen wirkt deren Lebenszeit mehr denn je durchorganisiert, getaktet und fremd-bestimmt.

Das verflixte ErwartungskonstruktDie Öffentlichkeit setzt bei der Er-ziehung Erfolg voraus. Bei dem, was in dieser Diskussion als gut oder schlecht gilt, handelt es sich vor al-lem um Zuschreibungen, die von außen an die Elternrolle herangetra-gen werden. Es sind Erwartungshal-tungen wie jene, dass Eltern aufop-

ferungsbereit und uneigennützig sein sollen, neben Karriere und Beruf ausreichend Zeit für Familie und Kin-der mitbringen, hingebungsvoll und natürlich immer erreichbar sind. Das hat nicht nur Konsequenzen für den Einzelnen, es wirkt auch auf die Dy-

namik der elterlichen Paarbeziehung: „Die Familie wird zur Fahrgemein-schaft, aus Paaren werden Partner der Logistikbranche“ (BROST/WEFING 2014, S. 6).

Dabei wird stillschweigend davon ausgegangen, dass alles miteinan-der vereinbar ist. Funktionieren gilt als oberstes Gebot. Die erfolgreiche Vor-standsvorsitzende mit vier glücklichen Kindern oder der erziehende Vater, der trotz seiner Erziehungszeit natürlich kei-nen Karriereknick erleidet, sind trügeri-sche, schönfärbende Bilder. Diese Bil-der werden von heimlichen Setzungen begeitet. Dass man beispielsweise ein Leben lang von seiner Kindheit zehrt: „Ein glückliches Leben kann nur führen, wer eine glückliche Kindheit hatte (…), als sei diese eine Ausrüstung für das Leben“ (OELKERS 2002, S. 555).

„Faktisch ist (…) vor allem die Be-lastung gestiegen, ohne dass der Er-trag absehbar wäre“, beschreibt Oel-kers die aktuelle Situation erziehender Eltern und analysiert weiter: „Das öf-fentliche Bild der guten Erziehung ist mit den neuen Realitäten nicht zu ver-einbaren. Das Bild unterstellt Selbst-losigkeit ebenso wie grenzenlose Belastungsfähigkeit, also die beiden hauptsächlichen Ursachen für das per-manent schlechte Gewissen. Und es ist ständig unklar, wie weit die notwen-dige Selbstlosigkeit gehen soll und wann definitiv die Belastungsgrenze erreicht ist.“

Die Möglichkeit zu scheitern ist nicht vorgesehen, weswegen die Erziehung zum glücklichen, erfolgreichen Kind gewissermaßen Norm ist. Das Abwei-

chen hiervon kommt einem massiven Versagen gleich. Wie harsch und öf-fentlich Elternschelte sein kann, erfuhr die amerikanische Journalistin Lenore Skenazy. Sie wagte es, ihren neunjäh-rigen Sohn alleine mit der New Yorker U-Bahn loszuschicken. Mit Stadtplan, einer Fahrkarte, Telefonmünzen und 20 Dollar für den Notfall ausgerüstet war er schließlich nach einer knappen Stunde wieder daheim. Als Skenazy darüber eine Kolumne schrieb, brach die ame-rikanische Öffentlichkeit die Lanze über ihr und verlieh ihr kurzerhand auf allen TV-Kanälen den Titel „schlechteste Mut-ter der Welt“.

Das bildhaft beschriebene Ein-packen der Kinder, das Verriegeln unbekannter Erfahrungswelten oder eine Vollzeitquarantäne können keine Antworten sein, die zufrieden stellen. Verantwortungsvoll Handeln bedeu-tet, Risiken abzuwägen und Chancen zu eröffnen. Die Tatsache, dass El-tern auf viele Erfahrungsräume ihres Nachwuchses keinen unmittelbaren Einfluss mehr haben, macht Erzie-hung anstrengend und darf durchaus auch Sorgen bereiten. Es bedeutet aber nicht zwingend, dass Unglück vorprogrammiert ist, nur weil sich be-kannte Muster und Formen von Kind-heit verändern.

SABINE STAHL

Literatur

BECKER, L.: Helikoptereltern. Und jetzt sogar Elternabende an der Uni, FAZ, www.faz.net 1.1.2014

BROST/ WEFING: ZEIT No 6, 2014, S. 6

FÜLLER, C.: Überbehütete Kinder. Ich bin ein Helikopter-Papa, Spiegel-Online 15. August 2013, 10:53

DEUTSCHER VERKEHRSSICHERHEITSRAT: Kinder bis 15 Jahre. Unfallgeschehen für aus-gewählte Altersgruppen; 28.1.2014, http://www.dvr.de/betriebe_bg/daten/unfallstatis-tik_kinder.htm

KLOEPFER, I.: Schluss mit dem Eltern-Bashing. Lob der Helikopter-Eltern, FAZ, www.faz.net, 19.08.2013

LOBENSTEIN, C.: ZEIT No 3.2014, S. 12

OELKERS, J.: Kindheit – Glück – Kommerz. 2002, S. 555

OELKERS, J.: Was ist Erziehung heute? Vortrag in der Universität Trier am 28. Januar 2002

OELKERS, J.: Erziehung heute. In Zeiten von Konsum und Medien, Vortrag in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung am 15. April 2013, S.561

UNICEF: Reiche, kluge, glückliche Kinder? Der UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2013.

Die Öffentlichkeit setzt bei der Erziehung Erfolg voraus. Was in dieser Diskussion als gut oder schlecht gilt, sind vor allem Zuschreibungen, die von außen an eine Elternrolle herange-tragen werden. Es sind Erwartungshaltungen wie jene, dass Eltern aufopferungsbereit, uneigennützig und belastbar sein sollen, neben Karriere und Beruf ausreichend Zeit für Familie und Kinder mitbringen, hingebungsvoll und natürlich immer erreichbar sind.

LEITARTIKEL

BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 9

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BB: Wie hat sich die Kindheit in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Was sind die Ursachen und welche Chancen und Risiken verbinden Sie mit dem Wandel?

Oelkers: Wenn Sie die 50er Jahre als Vergleichsepoche nehmen, werden Sie feststellen, dass Kinder damals sehr stark in Milieus, beispielsweise auch in der Kirche, eingebunden wa-ren. Zudem gab es Geschwisterreihen und weniger Alleinerziehende, da die Scheidungsrate damals deutlich ge-ringer war. Auch waren die Anforde-rungen seitens der Schule seinerzeit relativ strikt und gleich verteilt, weil die meisten Kinder in die Volksschule gingen und im Anschluss daran eine Berufslehre begannen. Diese Rah-menbedingungen haben sich grund-legend geändert.

War früher die Kindererziehung meist Sache der Mütter, sind heu-te beide Elternteile eingebunden. Statt einer größeren Geschwister-reihe gibt es ein bis zwei Kinder pro

Paar. Die Elternschaft insgesamt ist liberaler geworden als in den 50er Jahren. Jugendliche haben größe-re Einflussmöglichkeiten als früher und werden von ihren Eltern an im-mer mehr Entscheidungen beteiligt. Nehmen Sie Fragen, wohin in den Urlaub gefahren, welches Auto ge-kauft oder was angezogen wird. Bei diesen Entscheidungen wird auch der Nachwuchs gefragt. Manchmal ist es sogar alleinige Sache der Kin-der zu entscheiden.

Kinder wachsen heute in einer Konsumgesellschaft mit vielen Freihei-ten auf. Die Konsumorientierung stellt allerdings auch ein Problem dar, wenn Kinder nicht lernen, wie sie mit Geld umgehen sollen. Und da Medien rela-tiv frei zugänglich sind und Produkte unmittelbar gekauft werden können, erhöht das die Risiken für Jugendli-che, in Geldfallen zu tappen. Zusam-mengenommen lässt sich sagen, dass die Erziehungsaufgaben in den ver-gangenen Jahrzehnten gestiegen und nicht etwa gesunken sind.

BB: Was bedeutet dies für das Eltern-haus und die Erziehungspraxis?

Oelkers: Forschungsergebnisse zei-gen, dass bei den Eltern Erziehungs-stress erlebbar ist, weil die Verant-wortung größer geworden ist und die Belastung zugenommen hat. So fordern beispielsweise viele Schulen inzwischen selbstbewusster ein, dass Eltern in die Pflicht genommen wer-den und sich in die Erziehungsarbeit der Bildungseinrichtung einbringen.

Einerseits sind Eltern wegen der zahlreichen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten heutzutage freier darin, wie sie ihre Kinder erziehen oder was sie mit ihnen unternehmen. Denken Sie nur an die Mobilität. Die Freiheits-grade sind sehr groß.

Andererseits muss festgehalten werden, dass auch der Stress zu-nimmt. Der Umgang zwischen Eltern und Kindern zeichnet sich durch stän-dige Aushandlungsprozesse aus. Es gibt keine Entscheidungen mehr, die zehn Jahre gültig sind. Früher hat ein

LASST EUCH NICHT VERUNSICHERN! ELTERN HANDELN VIEL NORMALER, ALS ES IN DEN MEDIEN DISKUTIERT WIRDInterview mit Prof. Dr. Jürgen Oelkers

NACHGEFRAGT

10 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

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autoritärer Vater als Leittypus eine Ent-scheidung gefällt – mit allen positiven und negativen Folgen. Heute ist nicht einfach Macht maßgebend, sondern Argumente, Nervenstärke, Verhand-

lungs- und Kommunikationsgeschick. Ein Vater oder eine Mutter bestimmen nicht einfach, vielmehr wird über den Modus der Verhandlung und in Zu-sammenarbeit mit den Kindern ent-schieden – jedenfalls in der westlichen Erziehungskultur.

In westlichen Gesellschaften ist also der Trend beobachtbar, dass zwi-schen Erziehungsberechtigten und ihrem Nachwuchs mehr verhandelt wird. Eltern und Kinder teilen sich Zu-ständigkeiten. Söhne und Töchter sind nicht mehr wie früher unmündig, sie werden gefragt, wenn etwas entschie-den wird. Weil jedoch immer wieder neue Schlaufen an Entscheidungs-möglichkeiten durchlaufen werden müssen, nimmt der Stress zu. Dass eine Autoritätsperson definitiv be-stimmt: So ist das jetzt!, dies ist eher verschwunden.

Die Elternrolle ist komplizierter ge-worden als noch vor 30 Jahren. Auch Männer werden in die Verantwortung genommen, weil Frauen erwarten, dass die Aufgabe der Kindererziehung gerecht verteilt wird. Das kann zu Kri-sen führen. Vor allem aber muss diese Herausforderung mit den Arbeitswel-ten der Berufstätigen verträglich sein. Die Entwicklung der Ganztagsschule bildet solche Veränderungen und He-

rausforderungen ab. In Deutschland ist die Dynamik der Entwicklung nur dadurch erklärbar, weil beide Eltern-teile arbeiten gehen und sie die Ganz-tagsschule brauchen, damit ihre Kin-

der betreut sind. Insofern reagiert die Schulentwicklung auf eine veränderte Elternschaft.

BB: Wie steht es mit dem Erwar-tungskonstrukt, dass eine glückliche Kindheit eine Investition für das ganze Leben ist?

Oelkers: Es mag sein, dass Werbe- ikonen die glückliche Kindheit prokla-mieren. So entstehen Bilder, in denen davon ausgegangen wird, dass nur

eine glückliche Kindheit das notwen-dige Rüstzeug für ein ganzes Leben liefert. Interviews mit frisch gebacke-nen Eltern zeigen jedoch, dass sie das Bild von Kindheit sehr pragmatisch se-

hen und ihre Elternrolle realistisch ein-schätzen. Ihnen ist bewusst, dass sie sich mit der Geburt nicht in eine Para-dieswelt begeben. Zugleich haben sie Freude an ihren Kindern und begrei-fen die Erziehung als ihre Aufgabe.

Mütter und Väter sehen die Berufs-wahl und die Chancen im Leben als die große Herausforderung an und we-niger das glückliche Kind. Deswegen gibt es auch einen „Run“ auf das Gym-nasium. Und deswegen wird die Be-rufsausbildung häufig abgewertet. Vie-le Eltern in Deutschland sind nicht der Überzeugung, dass alle Kinder Abitur machen müssten, sondern dass für ihr Kind nur dieser Abschluss gut ist. Diese Überzeugung hängt auch mit der ge-stiegenen Verantwortung zusammen, denn Eltern wissen, dass Bildungsent-scheidungen für ihren Nachwuchs le-benslange Folgen haben.

In Deutschland existiert die freie Schulwahl. Eltern können sich also auch entgegen dem Rat von Grund-schullehrkräften für das Gymnasium entscheiden. Die freie Schulwahl gleicht in vielen Städten einem Hin-

dernislauf, den Mütter und Väter so gut wie möglich zu lösen versuchen. Aber nur weil sie dies tun, sind es noch lange keine überbehütenden Heli-koptereltern. Das Phänomen ist eine

In westlichen Gesellschaften ist also der Trend beobachtbar, dass zwischen Erziehungsberechtigten und ihrem Nachwuchs mehr verhandelt wird. Eltern und Kinder teilen sich Zuständig-keiten. Söhne und Töchter sind nicht mehr wie früher unmün-dig, sie werden gefragt, wenn etwas entschieden wird. Weil jedoch immer wieder neue Schlaufen an Entscheidungsmög-lichkeiten durchlaufen werden müssen, nimmt der Stress zu.

Forschungsergebnisse zeigen, dass bei den Eltern Erziehungs-stress erlebbar ist, weil die Verantwortung größer geworden ist und die Belastung zugenommen hat.

Jürgen Oelkers ist Erziehungswissenschaftler und emeritierter Professor der Universität Zürich. Er studierte Erziehungswissenschaft, Germanistik und Geschichte an der Universität Hamburg und hatte Professuren für Allgemeine Pädagogik an der damaligen Hochschule (jetzt Universität) Lüneburg und an der Universität Bern inne. 1999 wurde er Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Zürich. Prof. Dr. Oelkers war zudem Vorsitzender der Hamburger Kommission Lehrerbildung und Visiting Professor an der Universität Hiroshima (2006). Seine Forschungsschwerpunkte umfassen: Historische Bildungsforschung vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts, Reformpädagogik im internationalen Vergleich, Analytische Erziehungsphilosophie, Inhaltsanalysen öffentlicher Bildung, Bildungspolitik.

NACHGEFRAGT

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Erfindung von Herrn Kraus*. Es gibt häufig gute Gründe, weswegen sich Eltern für alles zuständig fühlen. Den-ken wir nur einmal an die Verkehrsla-ge in Großstädten. Wenn Eltern der Überzeugung sind, die Risiken nicht kalkulieren zu können, fahren sie ihre Kinder lieber selbst zur Schule.

BB: Ist nicht dennoch ein Trend beo- bachtbar, dass immer mehr Eltern ihre Kinder zu stark behüten? In den USA gibt es Fälle, in denen Kinder nicht einmal mehr ein Küchenmesser be-nutzen dürfen, aus Sorge, sie könnten sich schneiden?

Oelkers: Wie viele Fälle benötigt man, um einen Trend zu kreieren? Ich bin der Überzeugung, dass es bes-ser ist, Eltern Vernunft und Maß zuzu-trauen. Maß bedeutet auch, nicht bei jeder Gelegenheit auf ein paar Fälle der Überbehütung hinzuweisen und damit einen vermeintlichen Trend zu generieren! Für diese Aussage gibt es noch keine Zahlen. Die Metapher der Helikoptereltern basiert viel-mehr auf bestimmten Beobachtun-gen, die insbesondere auf Seiten der Lehrkräfte gemacht werden. Eltern handeln viel normaler und vernünf-tiger, als dies in den Medien aktuell diskutiert wird.

BB: Handelt es sich beim Phänomen der Helikoptereltern also nur um einen medialen Auswuchs?

Oelkers: Wenn Eltern in demoskopi-schen Erhebungen zum Schulsystem befragt werden, dann sagen sie meist, dass es zu wenig musische Bildung oder praktische Erziehung gibt oder dass sich das Gymnasium ändern müsse. Fragt man sie aber nach den Lehrkräften an den Schulen ihrer Kin-

der, dann erhalten diese meistens po-sitive Rückmeldungen. Eltern wissen also ziemlich genau, wie sie mit der Schule umgehen müssen. Natürlich gibt es immer Ausreißer, also Eltern, die sich nicht ausreichend oder zu viel um ihren Nachwuchs kümmern. Aber der Regelbetrieb ist wahrscheinlich deutlich unauffälliger, als ihn die Me-dien konstruieren wollen.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Erziehungsarbeit. Die Welt besteht nicht nur aus fettleibigen Kindern oder

aus Eltern, die ihre Erziehungsver-antwortung an der Schultür abgeben oder ihre Kinder überbehüten. Das ist

Alarmismus. Alle Daten, die ich kenne, gehen eher von pragmatischen, nor-malen Verhältnissen aus.

Dies bedeutet jedoch nicht auto-matisch, dass sich die Kindheit nicht verändert hat. Aber wenn Jugendliche heute twittern, geht davon die päda-gogische Welt nicht unter. Es handelt sich einfach nur um ein neues Medi-um. Erziehung und Kindheit waren und sind einem massiven Wandel un-terworfen. Eltern und Lehrkräfte müs-sen sich diesen Herausforderungen und dem Wandel anpassen. Und das tun sie auch.

BB: Wandel führt doch aber auch zu Verunsicherung?

Oelkers: Ja, wenn sie sich die Verun-sicherung einreden lassen! Klar, dann werden sie ganz schnell in eine Thera-pieindustrie eingeschleust. Aufgrund der Tatsache, dass medial ständig von Verunsicherung gesprochen wird, wird diese erst kommerzialisierbar. In der Schweiz werden Millionen damit verdient, der Ertrag ist jedoch eher bescheiden. Am Ende stellt man häu-fig fest, dass es sich bei solchen Ange-boten nur um Placeboeffekte handelt, deren Ergebnis gleich null ist.

Natürlich kann man sich von allem verunsichern lassen. Das gilt insbe-sondere für den Nahraum, also dort,

* An. d. Red.: Dem Präsidenten des deutschen Lehrerverbandes

Ich bin der Überzeugung, dass es besser ist, Eltern Vernunft und Maß zuzutrauen. Maß bedeutet auch, nicht bei jeder Gelegenheit auf ein paar Fälle der Überbehütung hinzuweisen und damit einen vermeintlichen Trend zu generieren!

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Erziehungsarbeit. Die Welt besteht nicht nur aus fettleibigen Kindern oder aus Eltern, die ihre Erziehungsverantwortung an der Schultür abgeben oder ihre Kinder überbehüten. Das ist Alarmismus. Alle Daten, die ich kenne, gehen eher von pragmatischen, normalen Verhältnissen aus.

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12 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

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wo es existenziell wird, nämlich bei den eigenen Kindern. Es gibt eine Alarmierungsindustrie, wie die zahl-reichen Bestseller zeigen. Ich kann nur sagen: „Lasst euch da nicht verun-sichern!“ Was weiß Herr Precht über eure Kinder? Nichts.

Die Rhetorik des Alarmismus ist eine Seite der Medaille. Eltern lassen sich leicht beunruhigen, wenn sie Schlagzeilen wie „Wohlstandsverwahr-losung“ oder „Erziehungsnotstand“ lesen. Wenn sie jedoch über ihre ei-genen Kinder sprechen, zeigt sich eine andere Seite, die von Routinen und Ge-lassenheit geprägt ist.

Natürlich verändert sich die Kind-heit und damit ändern sich auch die Bedingungen des Aufwachsens. Aber: Kinder können nichts dafür, dass sie in einer Konsumgesellschaft aufwachsen! Sie können auch nichts dafür, dass Medien omnipräsent sind oder dass sie bereits in jungen Jahren mit dem Internet zu tun haben.

Wenn die Konsumorientierung ne-gative Folgen hat oder Schwierigkeiten beim Umgang mit neuen Medien auf-treten, liegt die Herausforderung da-rin, genau das aufzufangen. Hier sind Eltern und Schulen gemeinsam gefor-dert. Schulen können nicht erwarten, dass Schülerinnen und Schüler passfer-tig an der Schultür abgegeben werden. Meiner Einschätzung nach tun Schulen in diesem Feld zu wenig. Viele Schullei-tungen und Lehrkräfte nehmen Eltern nicht ernst oder sehen in ihnen sogar einen Risikofaktor statt einen Partner oder Critical Friend. Ich spreche mich stark dafür aus, genau an dieser Stel-le Entwicklungsarbeit zu leisten und Eltern aktiv an Schulentwicklung zu beteiligen, insbesondere dann, wenn deren Kinder betroffen sind.

Mit der Erweiterung des Zugangs zum Gymnasium haben sich die Chan-cen der Kinder erhöht. Heute sind die

Erfolgsmöglichkeiten viel größer, als sie es in meiner Generation waren. Die letz-ten 40 Jahre sind nicht nur durch eine gestiegene Erziehungsverantwortung geprägt, sondern auch mit einer Expan-sion an höherer Bildung verbunden. Heute studiert die Hälfte eines Jahr-gangs (wenn man die Fachhochschul- und die Gymnasialquote zusammen-nimmt). Das gab es in der Geschichte der deutschen Schule bisher nicht. In Städten wie Hamburg ist das Gymnasi-um praktisch die neue Volksschule. Das ist ein sehr weitreichender Wandel.

Menschen, die andauernd die Alarm-glocken läuten, vergessen häufig, wel-che Chancen sich durch diesen Wandel bieten. Die Daten, die es über die heuti-ge Jugend gibt, sind ernüchternd positiv. Ich lasse mich daher von den ständigen Diskussionen nicht beeindrucken. Wenn Herr Sarrazin ein neues Buch veröffent-licht, kann man sich darüber aufregen. Wenn Jakob Augstein etwas zur Erzie-hung bei Spiegel-Online schreibt, dann gibt es dazu Äußerungen im dazuge- hörigen Blog. Ein Buch oder ein Blog än-dern jedoch nichts, denn Erziehung wan-delt sich nicht auf Zuruf oder weil etwas in irgendwelchen Büchern erschienen ist. Sie ändert sich durch gesellschaftli-chen Wandel.

BB: Sie bemängeln, dass Schulen Eltern als Risiko wahrnehmen, statt als Bündnispartner.

Oelkers: Wenn Eltern in einer Schule vorstellig werden, haben sie meist ein Anliegen. Häufig werden sie im Schul-betrieb jedoch als lästig betrachtet oder sogar zu Feindbildern aufge-baut. Das ist für mich die völlig falsche Strategie! In Zürich haben wir ein Ge-setz, das Schulen zur Kooperation mit den Eltern verpflichtet. Genau in diese Richtung muss es gehen. Schulge-meinden müssen Kooperationen mit den Eltern anstreben und sie wirklich beteiligen, wie beispielsweise bei der Evaluation von Schule.

Ich war lange beim Deutschen Schulpreis tätig. Der Dialog mit den Eltern stellte immer ein Highlight dar! Beim Gespräch über ihre Anliegen, er-gab sich ein ganz anderes Bild als in der Betrachtung durch Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler. Dort wurde Engagement für Schulen sichtbar und kein gegenseitiges Misstrauen.

Misstrauen ist der völlig falsche Weg, denn in einer solchen Kultur werden keine Lösungen generiert. Außerdem sind Schulen doch exis-tenziell auf die Elternarbeit angewie-sen. Wer soll denn sonst die Kinder morgens einigermaßen wach und mit Frühstück versorgt zur Schule brin-gen, wer unterstützt bei den Haus-aufgaben und wer übernimmt die Be-treuung? Es sind die Eltern. Sie sind die Erziehungsexperten, deren Er-fahrung von Schulen genutzt werden

Menschen, die andauernd die Alarmglocken läuten, vergessen häufig, welche Chancen sich durch diesen Wandel bieten. Die Daten, die es über die heutige Jugend gibt, sind ernüchternd positiv. Ich lasse mich daher von den ständigen Diskussionen nicht beeindrucken.

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BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 13

Page 14: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

sollte. Sie muss Eltern daher viel stär-ker als bisher einbinden.

BB: Erziehungsfragen haben an Be-deutung gewonnen. Es gibt immer mehr Ratgeber und Erziehungshilfen. Wie können Eltern erfolgreich mit dem Druck und der soziale Kontrolle umgehen?

Oelkers: Eltern müssen an sich glau-ben und davon überzeugt sein, ih-ren Erziehungsauftrag auch ohne Therapien und externe Hilfe erfüllen zu können. Durch die mediale Dar-stellung dürfen sie sich keine Erzie-hungsschwäche einreden lassen, die darauf hinausläuft, eine teure Ratge-berindustrie zu bezahlen, deren Ge-genleistung gering ist.

Eine Untersuchung zum Lesever-halten von Ratgebern hat gezeigt, dass diese zwar wegen des Titels ge-kauft werden, dass deren Nutzwert je-doch gering ist. Eltern verwenden vor allem solche Hilfen, die pragmatisch umzusetzen sind, wie Management-vorschläge für den Haushalt. Alarmis-tische Ideologien jedoch gehen zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus. Es entstehen immer neue Ratgeber, da es auf der Ebene der Ratgeber keine wirklichen Lösun-gen geben darf, sondern immer nur neue Ratgeber. Von der Verunsiche-

rung lebt schließlich eine gut verdie-nende Industrie. Wenn ein Autor wie Herr Spitzer die These der digitalen Demenz in die Welt setzt, dann lesen das die Menschen. Dies bedeutet aber nicht, dass sie an die Generalthe-se glauben.

Ich bin überzeugt, dass Eltern für sich Lösungen finden. Wenn sie an Grenzen stoßen, können sie sich im-mer noch Rat holen. Sie schützen sich am besten, indem sie an sich glauben. Dieser Zustand beschreibt auch den Normalzustand und nicht jener, bei dem die Medien sich permanent ver-unsicherte Eltern vorstellen, die gar nicht wissen, was sie tun sollen. Wäre dieses Bild Wirklichkeit, würden sol-che Eltern nicht einmal den nächsten Umzug schaffen.

BB: Heute sind viele unterschiedli-che Instanzen an Erziehung beteiligt. Schule und Elternhaus bilden keine Erziehungsmonopole mehr und El-tern sind nicht mehr die ausschließ-lichen Bezugspersonen. Der soziale Kontext zersplittert. Welche Rolle hat das Elternhaus dabei, diese verschie-denen Dimensionen wieder in einen Kontext zu bringen?

Oelkers: Die Befragung Jugendlicher zeigt, dass die Eltern immer die ersten Ansprechpartner sind, wenn Entschei-dungen getroffen, Probleme gelöst

werden müssen oder Kinder einen Rat benötigen. Jugendliche werden heute in offenen Erfahrungsräumen groß. Es gibt verschiedene Zuständigkeiten, Interes-sensgebiete und diverse Orte der Erzie-hung, nicht nur das Elternhaus oder die Schule. Mit zunehmendem Alter spielen Peers eine immer größere Rolle und da-mit findet eine Abgrenzung von Eltern und Lehrkräften statt. Und doch ist es so, dass Jugendliche bei entscheidenden Fragen wie Schul- und Laufbahnfragen, Berufswahl oder der Klärung bei Freund-schaftskonflikten nicht zum externen Ex-perten gehen sondern zu ihren Eltern.

BB: Häufig sind beide Elternteile berufstätig, der Druck an der Arbeit nimmt zu, Mobilität wird erwartet. Ist der Faktor Zeit nicht ein immanentes Problem?

Oelkers: Ja, das ist er. Allerdings ist da-bei nicht einfach das Vorhandensein von Zeit entscheidend, sondern wie die Zeit genutzt wird. Ich kann mir nicht vorstel-len, dass Kinder sich wünschen, ständig von ihrer Mutter oder ihrem Vater über-wacht zu werden. Kinder und Jugendli-che honorieren vielmehr Verlässlichkeit und die Anwesenheit von Eltern, wenn es darauf ankommt. Zeit sollte in dem Sinne genutzt werden, dass Eltern zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Die Literatur spricht hier von „Quality Time“. Übersetzt hieße dies, dass Mütter und Väter dann Zeit haben müssen, wenn es wichtig ist.

Ich glaube auch nicht, dass man darauf schließen kann, es mangele automatisch an Zeit, nur weil beide El-ternteile arbeiten. Hausfrauen hatten früher auch nicht unbedingt viel Zeit für die Kinder, weil sie zu sehr mit dem Haushalt beschäftigt waren.

BB: Bedeutet „Zeit für Erziehung = Zeit für die Zukunft der Kinder“?

Eltern müssen an sich glauben und davon überzeugt sein, ihren Erziehungsauftrag auch ohne Therapien und externe Hilfe erfüllen können. Durch die mediale Darstellung dürfen sie sich keine Erziehungsschwäche einreden lassen, die darauf hinausläuft, eine teure Ratgeberindustrie zu bezahlen, deren Gegenleistung gering ist.

NACHGEFRAGT

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Oelkers: Erstens ist die Zukunft der Kin-der gar nicht absehbar. Zweitens ent-scheidet sich Zukunft vor allem über die Berechtigung im Bildungswesen und drittens denke ich, dass Eltern genau dies wissen. Die reale Erziehungszeit va-riiert in den einzelnen Familien. Alleine auf den Zeitzuwachs zu setzen, bringt noch keinen Zukunftsgewinn mit sich.

Eltern haben eigene Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt. Sie stehen selbst unter Druck und sind froh, wenn sie auch einmal abschalten können. Kinder werden sich in den Zeitrahmen der Eltern beziehungsweise der Fami-lie einpassen, was vermutlich gar nicht schlimm ist, weil sie dann auch nicht von ihren Eltern überwacht werden.

Andererseits müssen Mütter und Vä-ter durchaus aufpassen, was ihre Kinder machen. Dieses Aufpassen benötigt Zeit. Die Tatsache, dass vielleicht mehr Mo-mente für die Erziehung zur Verfügung stehen, bedeutet nicht zwingend, dass sie deswegen auch besser genutzt werden!

BB: Die Räume, in denen sich Kinder aufhalten, sind immer weniger greif-bar. Früher spielten sie im Garten vor dem Haus und Eltern hatten zumin-dest das Gefühl, sie hätten die Dinge unter Kontrolle…

Oelkers: Sie hatten aber auch nur das Gefühl. Es ist doch nicht so, als ob Kin-

der transparent wären. Ich habe mei-nen Eltern sicherlich auch nicht alles erzählt. Eltern müssen vielmehr genau

dort hinschauen, wo Gefahren drohen. Ernährungsgewohnheiten wie Fast Food sind ein Problem, aber auch die Internetnutzung birgt Risiken, denn Kinderpornografie ist eine real be-stehende Gefährdung. Eltern sollten viel aufmerksamer darauf achten, was 11 bis 13-Jährige im Internet ma-chen, weil Kinder in diesem Alter eher naiv sind.

BB: Haben sich die Gefährdungen verlagert?

Oelkers: Viele Gefährdungen, von denen heute gesprochen wird, sind medial aufgebauscht. Aber es gibt durchaus reale Gefahren, wie das Cybermobbing, bestimmte Esskultu-ren, die zunehmende Verkehrsdichte, Umweltgefahren, aber auch Gefähr-dungen im Umgang mit Geld. Schul-denfallen sind wie gesagt ein ernst zu nehmendes Problem. Viele Eltern merken gar nicht, dass ihre Kinder Schulden haben, weil sie damit nicht rechnen. Dabei ist es heute so leicht

wie nie, sich irgendwo Geld zu leihen. Kinder und Jugendliche können stän-dig kaufen, weil Produkte jederzeit zu-gänglich sind. Sie werden permanent zum Kaufen aufgefordert und müssen sich in aggressiven Konsumkulturen zurechtfinden. Insofern haben sich Ge-fahrenräume verlagert. Aber man kann immer etwas dagegen unternehmen.

Allerdings ist dabei nicht einfach das Vorhandensein von Zeit ent-scheidend, sondern wie die Zeit genutzt wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kinder sich wünschen, ständig von ihrer Mutter oder ihrem Vater überwacht zu werden. Kinder und Jugendliche hono- rieren vielmehr Verlässlichkeit und die Anwesenheit von Eltern, wenn es darauf ankommt. Zeit sollte in dem Sinne genutzt werden, dass Eltern zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden.

Viele Gefährdungen, von denen heute gesprochen wird, sind medial aufgebauscht. Aber es gibt durchaus reale Gefahren, wie das Cybermobbing, bestimmte Esskulturen, die zunehmende Verkehrsdichte, Umweltgefahren, aber auch Gefährdungen im Umgang mit Geld.

NACHGEFRAGT

Ganze 19.848 Ratgeber zum Thema Eltern und Kinder können aktuell bei einem bekannten Online-Versandhaus bezogen werden. Unter anderem widmen sich 3.078 Fachbücher dem Thema Erziehung. Weitere 883 Publikationen beleuchten die Eltern-Kind-Beziehung und immerhin 229 Bücher versprechen Rat und Hilfe bei Entwicklung und Gesundheit von Babys.

INFOS ZUR RATGEBERFLUT

Das Interview für „BILDUNG BEWEGT“ führten

SANDRA BUSCHMÜLLER UND SABINE STAHL

BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 15

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Unterrichten, die tägliche Herkulesaufgabe Allen pädagogischen Revo-

lutionen, Reformen und unzähligen Verbesserungsvorschlägen für den Unterricht zum Trotz: Lehrerinnen und Lehrer stehen im Unterricht immer vor der großen Herausforderung, ihre Schülerinnen und Schüler dazu zu bringen, etwas zu tun, zu dem viele von ihnen keine Lust haben – näm-lich das Klassenzimmer ordentlich zu betreten, ruhig vom Sitzkreis an den Platz zu wechseln oder während eines Klassengesprächs nicht dazwi-schenzurufen. Das alles sollen die Schülerinnen und Schüler nicht nur einmal und mehr oder weniger richtig tun, sondern über einen langen Zeit-raum hinweg zuverlässig, korrekt und genau zu dem Zeitpunkt, den die je-

weilige Lehrperson für geeignet hält. Erst, wenn dieses Ziel erreicht ist, ist die Basis gelegt, auf der ein qualita-tiv hochwertiger Unterricht aufbauen kann (vgl. HELMKE / HATTIE).

Um zu einem geordneten Klas-senzimmer zu kommen, ist es wichtig, bewusst und gezielt Methoden auszu-wählen, die sozial angemessen, gut an-wendbar und wirksam sind. Und dies, ohne dass die Beziehung der Lehrkraft zu den Schülerinnen und Schüler durch zu harsche Maßnahmen Schaden nimmt.

Präventiv handeln ist das A und O für einen gut organisierten UnterrichtLehrerin Gabriel erklärt ihren Fünft-klässlern eine Aufgabe im Sitzkreis. Sie ist eigentlich schon damit fertig, als ein Schüler eine Frage stellt. Während Frau Gabriel darauf antwortet, stehen

die ersten Schülerinnen und Schüler auf, um an ihren Platz zu wechseln. Dabei gehen sie nicht direkt zu ihrem Platz, sondern schlagen kleine Umwe-ge durch das Klassenzimmer ein. Ein Schüler ergreift den Radiergummi ei-nes Mitschülers und wirft ihn in die Luft. Klar, dass dieser lautstark protestiert.

Was geschieht? Die Lehrerin kann dieses Verhalten nicht durchgehen lassen. Aber wie sollte es sanktioniert werden? Soll der Schüler eine Strafauf-gabe erhalten? Soll sie ihn vor der Klas-se zurechtweisen oder ihn unauffällig ermahnen? Angenommen, derselbe Schüler hat sich in letzter Zeit schon einige Male ähnlich verhalten. Soll sie dann ein Gespräch mit ihm führen, um ihm vor Augen zu führen, dass dieses Verhalten in Zukunft nicht mehr tole-riert wird? Wie sehen in diesem Fall die

Classroom-Management basiert auf der guten Beziehung der Lehrkraft zu ihren Schülerinnen und Schülern, einem guten Klassenklima und einer präventiv ausgerichteten Unterrichtsorganisation, die Störungen minimiert. Es schafft die Voraussetzungen dafür, damit sich Lehrkräfte und Lernende wohl fühlen und Lernen ermöglicht wird.

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CLASSROOM-MANAGEMENT

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Erfolgsaussichten aus? Führen Sanktio-nen dazu, dass der Schüler sein Verhal-ten zukünftig ändert?

Die Unterrichtspraxis zeigt, dass negative Sanktionen ein eher schwa-ches Instrument darstellen. Maßnah-men, die auf eine Bestrafung setzen, sind daher weniger geeignet, das Ver-halten von Schülerinnen und Schülern positiv zu beeinflussen. Classroom-Management zielt daher darauf ab, dass es zu diesen Störungen am bes-ten gar nicht oder nur in Ausnahme-fällen kommt. Jacob Kounin (1976) kommt der Verdienst zu, als Erster die enorme Bedeutung des Classroom-Managements erkannt zu haben. Er weist unter dem Stichwort „managing transitions“ darauf hin, dass Übergän-ge im Unterricht potenziell störungs-anfällige Situationen sind. Dazu zäh-len beispielsweise der Wechsel vom Sitzkreis zurück an den Sitzplatz, der Weg vom Klassenzimmer zur Turnhal-le oder das Aufstehen vom Sitzplatz, um sich mit Materialien zu versorgen. Auf derartige Situationen sind Rituale die beste Antwort. Sie geben Sicher-heit, Klarheit und die notwendige Orientierung und sorgen für einen reibungslosen Übergang.

Rituale nutzen, um Übergänge gut zu organisierenLehrerin Gabriel möchte, dass der Wechsel vom Sitzkreis an den Platz zukünftig anders erfolgen soll. Sie be-schließt folgendes Vorgehen: Sie über-prüft – noch während alle Schülerinnen und Schüler im Sitzkreis sind – ob alle den Arbeitsauftrag verstanden haben. Ein oder zwei Schüler werden gebeten, noch einmal allen den Arbeitsauftrag kurz zu erklären. Die Lernenden verlas-sen den Sitzkreis erst dann, nachdem die Lehrkraft ihnen die ausdrückliche Er-laubnis dazu gegeben hat, und zwar mit einem speziellen Signalton. Jedes Kind begibt sich auf direktem Weg an seinen Platz und beginnt dort unverzüglich mit der zu bearbeitenden Aufgabe.

Vor Einführung der Änderungen bespricht Gabriel diese mit ihren Schülerinnen und Schülern: „Ihr habt bemerkt, dass der Wechsel vom Sitz-kreis an den Platz nicht gut klappt. Wie sollte das in Zukunft anders gestaltet werden?“ Und im Anschluss: „Welche Vorteile hat es denn für euch, wenn dies in Zukunft besser läuft?“ Die Vor-teile notiert sie an der Tafel.

Aber bedeutet dies, dass ihre Schülerinnen und Schüler sich am nächsten Tag wirklich daran halten? Vermutlich nicht. Eine Lehrkraft muss

in der Regel mehr tun, um ihre Schü-lerinnen und Schüler dazu zu bringen, diesen Ablauf regelmäßig einzuhal-ten. Wie handelt Lehrerin Gabriel? Zunächst bespricht sie mit der Klasse, wie der Wechsel vom Sitzkreis an den Platz in Zukunft vonstattengehen soll. An die Tafel hat sie notiert: Ich verlas-se den Sitzkreis erst dann, wenn die Lehrerin das Signal dazu gegeben hat. Ich gehe auf direktem Weg an meinen Platz. Ich beginne dort unverzüglich mit meinem Auftrag.

Sie bittet eine Schülerin oder ei-nen Schüler, das Ritual noch einmal zu erklären. Dabei ist wichtig, dass die Schülerin bzw. der Schüler den Sachverhalt den Mitschülerinnen und Mitschülern erklärt und nicht der Lehrkraft. Unterstützend wirkt es auch, ein Kind, das sich in der Ver-gangenheit in vergleichbaren Situ-ationen auffällig verhalten hat, die neuen Regeln des Rituals erklären zu lassen. Auf diese Weise wird die Selbstinstruktion gestärkt und das Kind identifiziert sich stärker mit dem Ritual. Darüber hinaus bieten sich weitere Varianten an.

Normales Üben, die Klasse strukturierenNehmen wir an, die Lehrkraft hat das Ritual bereits zweimal geübt, aber es klappt immer noch nicht perfekt. Was tun? Statt anzumahnen, dass es immer noch nicht funktioniert und damit den Widerstand der Klasse anzuheizen, weist sie auf das hin, was klappt und fordert die Kinder erneut auf, das Ritual zu vollziehen. Ihre Stimme drückt Zu-versicht und Optimismus aus. Zugleich besteht sie auf hundertprozentiger Ein-haltung. Dies ist wichtig, damit die Schü-lerinnen und Schüler lernen, dass die Lehrkraft auch meint, was sie sagt. Die Lernenden gehen bei der nächsten Ar-beitsanweisung dann davon aus, dass sie auch dieser Anweisung hundertpro-zentig nachkommen müssen.

Während des Übens muss Lehre-rin Gabriel damit rechnen, dass von-seiten der Schülerinnen und Schüler Widerstand gegen das Üben entsteht; dadurch darf sie sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Sie darf sie sich auch nicht in lange Diskussionen verwickeln lassen und sollte auf For-men negativer Kommunikation verzich-ten. Stattdessen bleibt sie sachlich und freundlich. Indem sie positiv kommuni-ziert und die Schritte ihrer Schülerinnen und Schüler in die richtige Richtung po-sitiv hervorhebt, motiviert sie die Kinder, sich beim Üben anzustrengen.

Die Klasse zu strukturieren, stellt eine weitere praktikable Variante dar. Hierbei wird die Klasse in Gruppen unterteilt. Um vom Sitzkreis an den Platz zu wechseln, lautet die Anspra-che: „Gruppe 3 und 4 gehen an ih-ren Platz!“ Eine Gruppeneinteilung macht den Wechsel für die Lehrkraft übersichtlicher und bietet weniger Störanlässe, als wenn alle auf ein-mal aufstehen und loslaufen. Die Lehrkraft fordert die Gruppen nach dem Zufallsprinzip auf, so dass die Jugendlichen nicht wissen, wann ihre Gruppe an der Reihe ist. Auch der Gruppenwettbewerb ist ein geeigne-tes Hilfsmittel. Bei diesem an Hillen-brand und Pütz (2008) angelehnten Vorgehen bildet die Lehrkraft drei oder vier Gruppen. Die Gruppen spielen gegeneinander darum, wer den Wechsel am besten schafft.

Prozessbezogenes Lob für die ganze Klasse geben und Rituale langfristig festigenHat der Wechsel gut geklappt, lobt Lehrkraft Gabriel ihre Klasse: „Der Wechsel vom Sitzkreis an den Platz hat heute gut geklappt. Ihr seid auf mein Zeichen hin aufgestanden und direkt zu eurem Platz gegangen. Prima.“ In das Lob eingebettet, erklärt die Lehr-kraft der ganzen Klasse noch einmal die einzelnen Schritte des Rituals. Die entgegengebrachte Anerkennung macht es für die Klasse attraktiv, das nächste Mal das Ritual einzuhalten.

Präventives Handeln verbessert die BeziehungClassroom-Management fokussiert darauf, präventiv zu handeln, statt zu warten, bis eine Störung auftritt und dann mit Sanktionen zu reagie-ren. Ein solches Vorgehen prägt die Beziehung zwischen der Lehrper-son und ihren Schülerinnen und Schülern entscheidend. Je mehr sie ermahnen und zurecht weisen muss, weil einzelne Schülerinnen und Schüler stören, umso mehr ge-fährdet sie ihre Beziehung zu die-sen, mit weitreichenden Folgen für die Unterrichtsführung, wie Bennet und Smilanich (1995) nachdrück-lich zeigten: In Klassen, in denen die Lehrkräfte Schülerstörungen vorbeugten, verwendeten sie nur 1 bis 3,5 % der Unterrichtszeit für Dis-ziplinierung. In Klassen, in denen die Lehrkräfte auf Störungen reagierten, verwendeten sie 7 bis 18,5 % der Unterrichtszeit für Disziplinierung.

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Es ist wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer es nicht beim Üben bewenden lassen. Denn sonst bringen sie sich um die Früchte ihres Erfolges. Auch wenn ein Ritual ein paar Mal perfekt funktioniert hat, muss sich die Lehrkraft auch langfristig darum kümmern und Präsenz zeigen, ein zentraler Begriff im Classroom-Management: Lehrerin Gabriel achtet darauf, dass ihre Schü-lerinnen und Schüler sich wirklich an das von ihr vorgegebene Ritual hal-ten. Da sie von ihrem Vorgänger sehr differenzierte Informationen erhalten

hat und ihre Klasse schon ein bisschen kennt, überlegt sie sich im Voraus, wel-che Probleme beim Übergang vom Sitzkreis an den Platz auftreten könn-ten. Wie zum Beispiel, dass Lennart nicht direkt an seinen Platz geht, son-dern einen kleinen Umweg macht. Für diesen Fall begibt sie sich präventiv in Lennarts Nähe, um unauffällig und schnell eingreifen zu können.

Classroom-Management bedeu-tet vor allem, vorausschauend zu denken und zu handeln und sich un-auffällig einer drohenden Störung zu nähern, bevor sie eintritt. Dies bedeutet, „management by walking around“. Lehrerin Gabriel beobachtet aufmerksam diejenigen Schülerinnen und Schüler, von denen sie weiß, dass es ihnen schwer fällt, zügig mit einer Aufgabe zu beginnen, und begibt sich unauffällig in deren Nähe. Häu-fig beginnen diese statt zu arbeiten zu stören. Sie benötigen beim Start in die Arbeitsphase mehr Unterstützung. Bereits vor Ort sein und präventiv und unauffällig intervenieren, bevor eine Störung entsteht, lautet die Devise.

Unauffällig intervenieren Angenommen, alle Lernenden bis auf ein Kind arbeiten. Was tun? Es wäre eine ungünstige Intervention, durch die Klasse zu rufen und den Schüler oder die Schülerin zu bitten, mit der Arbeit zu beginnen. Denn dies lenkt die anderen in der Klasse ab. Stattdessen sollte die Lehrkraft Blickkontakt mit dem Schü-ler aufnehmen und sich unauffällig in dessen Nähe begeben: Leise sagt die Lehrerin zu Max: „Max, bitte bearbeite

die Aufgabe auf Seite 8.“ Sie steht direkt neben ihm und weist ihn kurz und direkt an, was er tun soll. Dann wartet sie ab, ob Max dem Auftrag nachkommt. Sie bleibt in seiner Nähe stehen und behält ihn weiter im Blick, um die Störung klein zu halten. Gleichzeitig beobachtet sie jetzt das Geschehen im Klassenzimmer, um mögliche Störungen frühzeitig zu registrieren, bevor sie sich ausweiten. Als Max seine erste Aufgabe gelöst hat, beugt sie sich kurz zu ihm runter und sagt in wertschätzendem Ton: „Prima, Max. Mach so weiter.“

Vorhersehbarkeit, Verlässlichkeit und Sicherheit im KlassenzimmerDas Geschehen im Unterricht muss für eine Lehrkraft und die Klasse verläss-lich und vorhersehbar sein. Es kann nicht sein, dass Lehrerinnen und Leh-rer permanent mit unvorhersehbaren Störungen durch Lernende rechnen müssen. Dann wird Unterrichten zur Schwerstarbeit, und auch die Schüle-rinnen und Schüler leiden unter dieser Situation. Kein Kind schätzt es, wenn es bereits am Morgen bei der Ankunft im Klassenzimmer angepöbelt wird, wenn Mitschülerinnen und Mitschüler immer wieder den Unterricht stören oder wenn sich die Lehrkraft nicht auf angemessene Weise Gehör verschaf-fen kann. Schulkinder erleben dann ihr Klassenzimmer als unsicheren Ort und fühlen sich von ihrer Lehrerin oder ih-rem Lehrer nicht geschützt.

In Unterrichtssituationen müssen immer wieder Hindernisse überwun-den werden, damit die Schülerinnen und Schüler das tun, was von ihnen im Unterricht gefordert wird. Viele Kin-der haben andere Interessen, als die, die schulisch gerade aktuell sind, und bringen nur geringes Durchhaltever-mögen, begrenzte Frustrationstole-ranz und eingeschränkte Möglich-keiten der Eigensteuerung mit. Viele haben nicht gelernt, Regeln einzuhal-ten. Zudem entsteht durch den Klas-senverband eine eigene Dynamik: Wo 20 oder 30 Schülerinnen und Schüler in einem Raum gemeinsam arbeiten, findet der Unterricht unter anderen Voraussetzungen statt, als wenn nur mit einem einzelnen Lernenden ge-

arbeitet wird. Hier braucht es verläss-liche Werkzeuge, um dieser Dynamik begegnen zu können.

Classroom-Management findet zwar im Klassenzimmer der jeweiligen Lehrkraft statt, doch in seiner Wirkung reicht es weit darüber hinaus. Die posi-tive Wirkung potenziert sich, wenn alle Lehrkräfte einer Schule daran arbeiten, dass ihr Unterricht geordnet verläuft, sie eine gute Beziehung zu ihren Schü-lerinnen und Schülern haben, wenn sie potenziell störanfällige Klassensitua-tionen mit Hilfe von Ritualen präven-tiv eindämmen und Schülerinnen und Schüler geltende Schul- und Klassen-regeln einhalten.

Einigen sich beispielsweise alle Lehr- kräfte, die eine Klasse unterrichten da-rauf, die gleichen Rituale einzusetzen, fällt für alle Beteiligten der Unterricht bedeutend leichter. Die Schülerinnen und Schüler spüren genau, ob die sie unterrichtenden Lehrkräfte am gleichen Strang ziehen und welche Lehrkräfte bei Störverhalten wegschauen, weil sie Auseinandersetzungen lieber aus dem Wege gehen. In einer Schule, die Class-room-Management eine hohe Bedeu-tung beimisst, können langfristig alle profitieren: Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und die Schule selbst.

CHRISTOPH EICHHORN

BILDUNG IM BLICK

Literatur

EICHHORN, C.: Classroom-Management – Be-ziehungen aufbauen. In: Appstore Apple und Google Playstore 2013a.

EICHHORN, C.: Classroom-Management: Wie Lehrer, Eltern und Schüler guten Unterricht ge-stalten. 6. Aufl., Stuttgart 2012.

EICHHORN, C.: Chaos im Klassenzimmer: Classroom-Management: Damit guter Unter-richt noch besser wird. 2. Aufl., Stuttgart 2013.

HATTIE, J.: Visible Learning. A Synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. London, New York 2009.

HELMKE, A.: Unterrichtsqualität: Erfassen, be-werten, verbessern. Stuttgart 2003.

HILLENBRAND, C., Pütz, K.: KlasseKinderSpiel. Spielerisch Verhaltensregeln lernen. Hamburg 2008.

HILLENBRAND, C., Hennemann, T.: Unter-richtsstörungen vermeiden – durch gutes Classroom Management. In: Schulverwaltung NRW 23/4 (2012), S. 109-111.

KOUNIN, J.: Techniken der Klassenführung. Münster 2006.

PIANTA, R., La Paro, K., Hamre, B.: CLASS. Di-mensions Guide. Baltimore 2011.

WONG, H., Wong, R.: The First Days Of School. Ort? 2004.

www.classroom-management.ch

Die Schülerinnen und Schüler spüren genau, ob die sie unter-richtenden Lehrkräfte am gleichen Strang ziehen und welche Lehrkräfte bei Störverhalten wegschauen, weil sie Auseinander- setzungen lieber aus dem Wege gehen.

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Der Bedarf an Fördermaßnah-men ist in der Bundesrepublik höher als anderswo. Das liegt

daran, dass die „Risikogruppe“ aus leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern vergleichsweise groß ist. Das deutsche Schulwesen ist zudem „sozial selektiv“. Herkunft und Aufstiegsgele-genheiten hängen eng zusammen: „Ein Kind aus einer Akademikerfamilie hat bei ansonsten gleichen intellektuellen Voraussetzungen deutlich mehr Aus-sicht, die höhere Schule zu besuchen, als ein Kind aus einem ‚bildungsfernen‘ Elternhaus“ (UHL 2007, S. 10). Kinder mit Migrationshintergrund schneiden ebenfalls verhältnismäßig schlecht ab, wobei allerdings die Schichtzugehö-rigkeit und die allgemeinen „kogniti-ven Lernvoraussetzungen“ möglicher-weise mehr ins Gewicht fallen als die sprachlichen Schwierigkeiten im Un-terricht oder sonst eine unmittelbar mit der Zuwanderung verbundene Größe (STANAT 2006).

Das ganze „Unternehmen Förde-rung“ steht und fällt damit, ob es ge-lingt, rasch und zuverlässig die Erfolgs-aussichten der Fördermaßnahmen bestimmen zu können. Die entschei-dende Frage ist genau die gleiche wie bei allen anderen pädagogischen Aufgabengebieten (UHL 1996): Was wirkt? Genauer: Welche Maßnahmen haben die größte Wirkung? Wie sieht

es mit den Nebenwirkungen aus? Was ist für welche Personengruppe am bes-ten geeignet? Gibt es Maßnahmen, die nur unter bestimmten Voraussetzun-gen zum Ziel führen? Und was könnte sich – entgegen den Erwartungen – als Zeit- und Geldverschwendung erwei-sen, weil es nur wenig oder überhaupt nichts bewirkt?

Die Persönlichkeit der Lehrkraft – innerschulischer Faktor für den LernerfolgDie Forschung hat gezeigt, dass der Er-folg von Fördermaßnahmen von vielen verschiedenen Bedingungen abhängt. Sie haben allerdings nicht alle das glei-che Gewicht: Einige sind unabdingbar, andere leicht zu ersetzen; einige sind ausschlaggebend, andere eher nach-rangig. Die Persönlichkeit und der all-gemeine Erziehungsstil der Lehrkräfte sind zum Beispiel wichtiger als irgend-welche besonderen Verfahren und Techniken, die sie im Unterricht einset-zen (UHL 2011). Auf den Lehrer kommt es an – „ganz gleich, welche Methode er verwendet“ (ALFES 1982). Seine Per-sönlichkeit ist „vielleicht sogar die ent-scheidende […] Variable“ für den Schu-lerfolg (PAUSE 1970, Sp. 1357).

Die letzte Feststellung gilt aller-dings nur unter Vorbehalt: Der Zusam-menhang, der zwischen der Lehrerper-sönlichkeit und den Schülerleistungen

besteht, ist in der Erziehungstheorie wie in der Unterrichtspraxis über die Jahrhunderte hinweg wahrscheinlich überschätzt worden. Heute sieht man aufgrund zahlreicher einschlägiger Forschungsergebnisse die Bedeutung der Lehrkräfte und der Schule nüchter-ner; der Schulerfolg ist wohl vornehm-lich auf außerschulische Einflussgrö-ßen wie die Sozialschicht, die Herkunft und das Elternhaus zurückzuführen (ALLMENDINGER 2003). Von den in-nerschulischen Einflussgrößen dürfte jedoch keine so viel Bedeutung haben wie die Lehrkraft – ihre Persönlichkeit, ihre Ausbildung, ihre Fähigkeiten und ihr Handeln im Unterricht (Forschungs-übersicht bei LIPOWSKY 2006). Das zeigt sich gerade beim leistungsschwä-cheren Teil der Schülerschaft: Schwä-chere Schülerinnen und Schüler ziehen aus dem Unterricht bei einer guten Lehrkraft vergleichsweise mehr Nutzen als die stärkeren, die auch bei einer weniger guten Lehrkraft noch etwas lernen. Umgekehrt schadet den schwä-cheren Schülerinnen und Schülern eine weniger gute Lehrkraft deutlich mehr, als das bei den stärkeren der Fall ist (BABU und MENDRO 2003).

Das immer wieder bestätigte Er-gebnis der Forschung, dass die Leis-tungen der Schülerinnen und Schüler zwar nicht ausschließlich, aber doch zu einem erheblichen Teil vom Berufs-

Wie vielerorts auf der Welt steht das Schulwesen auch in Deutschland vor großen Herausforderungen. Zwei sind besonders wichtig. Bei der einen geht es darum, wie das „PISA-Tal“ überwunden werden kann (BUSEMANN 2007). Die andere Herausforderung besteht darin, sich mehr als bisher um die schwächeren Schülerinnen und Schüler zu kümmern.

UNBEKANNTE EINFLUSSGRÖSSE LEHRKRÄFTEAUSBILDUNG WIRKSAMKEITSAUSSAGEN BRAUCHEN FORSCHUNG UND EINE FUNDIERTE DATENLAGE

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wissen, dem Berufskönnen und dem Berufsethos ihrer Lehrkräfte (hierzu BREZINKA, SCHWARZ und UHL 1995) bestimmt werden, hat die Aufmerksam-keit der Fachleute in den letzten Jahren stark auf Fragen der Auswahl und der Ausbildung der Lehrkräfte gelenkt.

Berufseignung feststellen, aber wie?In puncto Auswahl wird vor allem er-wogen, ob und inwieweit die diag-nostischen Tests aus der Arbeits-, Be-triebs- und Organisationspsychologie (SARGES und WOTTAWA 2004) auch bei den Bewerberinnen und Bewer-bern für den Lehrerberuf eingesetzt werden können. Dahinter steht eine einfache Absicht: Man möchte ohne großen Aufwand und möglichst schon zu Beginn des Hochschulstudiums he-rausfinden, ob sich die Studienanfän-gerinnen und -anfänger für ihren spä-teren Beruf eignen und mit den damit verbundenen Anforderungen gut oder wenigstens in ausreichendem Maß zurechtkommen werden. Bis vor Kur-zem hat es in Deutschland nirgendwo eine Verpflichtung gegeben, sich vor oder während der Ausbildung einer Eignungsüberprüfung zu unterziehen. Von den angehenden Lehramtsstu-dierenden wurde (mit Ausnahme der Fächer Kunst, Musik und Sport) im Regelfall nicht mehr verlangt als die Hochschulzugangsberechtigung und allenfalls ein bestimmter Notendurch-schnitt. Davon abgesehen, mussten sie so gut wie immer „aufgenommen wer-den […], selbst dann, wenn erkennbar war, dass zum Beispiel eine Studien-bewerberin bzw. ein Studienbewerber aufgrund gravierender Sprachprob-leme Unterrichtsinhalte nie angemes-sen verbalisieren können würde, oder Probleme im sozialen Umgang evident waren“ (SEIBERT 2008, S. 8). Für die spätere Einstellung in den Schuldienst hat es im Regelfall genügt, wenn die Anwärterin bzw. der Anwärter die nöti-gen Fachkenntnisse nachweisen konn-te und die gängigen Unterrichtsver-fahren beherrschte (UHL 2012). Heute schreiben einige deutsche Länder bzw. manche Hochschulen vor, dass die Bewerberinnen und Bewerber vor Aufnahme des Studiums ein Praktikum durchlaufen, sich einem Eignungstest unterziehen oder an einem Beratungs-gespräch teilnehmen (Übersicht unter www.monitor-lehrerbildung.de). Bei den Tests stehen weniger das Wissen, sondern mehr allgemeine Persönlichkeitsmerkmale wie „Motivation, Stressresistenz [und] Humor“ im Mittelpunkt, die jemand für den Lehrerberuf besonders geeignet erscheinen lassen (STAHL 2009).

Lehrkräftebildung als Forschungsfeld – wie wirksam ist die Ausbildung?In puncto Lehrerbildung geht es vor al-lem um Klarheit darüber, ob die Ausbil-dung an den Hochschulen und in den Studienseminaren den gewünschten Erfolg hat und in welchem Umfang die angehenden Lehrkräfte dort tatsäch-lich die für sie vorgesehenen Kennt-nisse und Fähigkeiten erwerben (ABEL

und FAUST 2010). Wenn man darüber empirisch etwas in Erfahrung bringen möchte, hat man grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder fragt man nur nach der Zufriedenheit der Beteiligten oder man versucht, auch auf anderem Weg etwas über die Wirksamkeit der Ausbildung herauszufinden.

Zufriedenheit und Wirksamkeit brauchen nicht unbedingt miteinan-der zusammenzuhängen: Eine Aus-bildung bringt möglicherweise die erwünschten Wirkungen nicht oder

nur teilweise hervor, obwohl die Be-teiligten mit ihr zufrieden sind. Als an der Ausbildung Beteiligte kommen in den Untersuchungen zur Zufrieden-heit nicht nur die Auszubildenden in Betracht, sondern auch die Ausbilde-rinnen und Ausbilder, die Leitungen der aufnehmenden Schulen, die Schulver-waltung, die Lehrerverbände und ähn-liche Personengruppen und Einrichtun-gen. Für die Datenerhebung genügt ein Fragebogen.

Schwieriger werden die Dinge, wenn die Wirksamkeit der Ausbildung ermittelt werden soll. Das ist methodisch anspruchsvoller als eine reine Zufrieden-heitsstudie, führt aber zu Ergebnissen von größerer Aussagekraft. Die unmittel-bare Wirkung der Ausbildung kann auf drei Hauptgebieten untersucht werden: erstens bei den Kenntnissen, die für die gute Ausübung des Lehrerberufs nötig sind; zweitens bei den Einstellungen

der künftigen Lehrkräfte und besonders bei ihrem Berufsethos (BREZINKA 1992 und 1993); drittens bei ihrem Verhalten im Unterricht. Die Güte der Lehreraus-bildung lässt sich außerdem mittelbar oder indirekt abschätzen. Als Maß wer-den meistens die Schülerleistungen he-rangezogen. Einfach ausgedrückt: Sind die Schülerleistungen gut, dann haben auch die Lehrkräfte mit einiger Sicher-

heit eine gute Ausbildung durchlaufen. Wenn es dagegen bei den Schülerleis-tungen hapert, dann gibt es wahrschein-lich auch Mängel in der Lehreraus- und -fortbildung.

In den letzten dreißig oder vierzig Jahren ist eine ganze Reihe von Un-tersuchungen über die Zusammen-hänge entstanden, die zwischen den verschiedenen Verfahren der Ausbil-dung, der Berufstüchtigkeit der Lehr-kräfte und den Schülerleistungen be-stehen könnten. Für die letzten Jahre

kann man sogar sagen, dass die em-pirischen Schulfachleute die Lehrer-bildung als Forschungsfeld geradezu neu „entdeckt“ haben und große An-strengungen auf diesem Gebiet un-ternommen werden (ZOUBEK 2010). Dennoch ist unser Wissen nach wie vor lückenhaft und vom Umfang her bescheiden im Vergleich zu den vielen Fragen, die noch unbeantwortet sind. Von einer erfahrungswissenschaftlich gut begründeten Vorstellung, wie die Lehrerausbildung im Idealfall gestaltet sein sollte, sind wir noch weit entfernt (BLÖMEKE 2004).

Heterogene LehrkräfteausbildungDas liegt nicht zuletzt daran, dass es in Deutschland keine einheitliche Lehrer-ausbildung gibt: weder vom äußeren Aufbau her noch mit Blick auf die Inhalte, die behandelt werden. Sie weichen bei-de von Land zu Land und mitunter sogar

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Sind die Schülerleistungen gut, dann haben auch die Lehrkräfte mit einiger Sicherheit eine gute Ausbildung durchlaufen. Wenn es dagegen bei den Schülerleistungen hapert, dann gibt es wahrscheinlich auch Mängel in der Lehreraus- und -fortbildung.

Von einer erfahrungswissenschaftlich gut begründeten Vorstellung, wie die Lehrerausbildung im Idealfall gestaltet sein sollte, sind wir noch weit entfernt (BLÖMEKE 2004).

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innerhalb desselben Landes von Hoch-schule zu Hochschule erheblich vonei-nander ab (UHL 2004a). Einige Länder halten zum Beispiel an den hergebrach-ten Staatsexamensstudiengängen fest. Einige andere haben die Lehramtsstu-diengänge genauso wie die meisten übrigen Studiengänge auf die neue Bachelor-Master-Abfolge umgestellt und die erste Staatsprüfung zugunsten des Master-Abschlusses aufgegeben. Wieder andere Länder haben ihre Lehr-amtsstudiengänge zwar in die gestufte Form überführt, verlangen am Ende des Studiums jedoch eine mündliche Prüfung unter staatlicher Aufsicht, die zusammen mit den vorausgegangenen akademischen Prüfungen (ohne staatli-che Aufsicht) die erste Staatsprüfung er-gibt. In einem Land (dem Freistaat Thü-ringen) gibt es die Lehrerausbildung in doppelter Gestalt: an einer Universität (Jena) im Staatsexamensstudiengang und an der anderen (Erfurt) als Bache-lor-Master-Studiengang (UHL 2009).

Ähnlich große Unterschiede wie beim Hochschulstudium gibt es auch beim zweiten Abschnitt der Lehreraus-bildung, dem Vorbereitungsdienst (teil-weise auch Referendariat genannt). Die Unterschiede betreffen die Dauer, die Inhalte und den Ablauf der Ausbildung, die Einrichtungen, wo sie stattfindet, Art und Umfang der Abschlussprüfung und anderes mehr (MÖGLING 2007).

Noch verwickelter wird die Angele-genheit, wenn man über Deutschland hinausgeht und die Lage im inner- und außereuropäischen Ausland betrachtet. Die Lehrerbildung kommt dort in vielen Spielarten vor: zwei- oder einphasig (d. h. mit oder ohne einen Vorberei-tungsdienst im Anschluss an das Hoch-schulstudium), als reiner Bachelor- oder als Bachelor-Master-Studiengang, mit einem oder zwei (oder noch weiteren) Unterrichtsfächern, mit oder ohne fach-wissenschaftliches Pflichtstudium, mit hohem oder geringem pädagogisch-psychologischen Ausbildungsanteil und mit oder ohne staatliche Abschluss-prüfung (BLÖMEKE 2006).

Die kunterbunten Regelungen in-nerhalb und außerhalb Deutschlands haben nicht nur die offensichtliche Schattenseite, dass sie unübersichtlich und beim Wechsel von einem Land in ein anderes für die angehenden Lehr-kräfte manchmal mit beträchtlichen Unannehmlichkeiten verbunden sind. Sie sind auch aus eher grundsätzlichen Erwägungen ein Grund zur Besorgnis: Anscheinend gibt es selbst nach Jahr-hunderten keine Übereinstimmung darüber, auf welchem Weg man die Lehramtskandidatinnen und -kandi-

daten einigermaßen zuverlässig zur Berufstüchtigkeit führen und mit dem nötigen Wissen und Können ausstatten kann. Die Befürworter der unterschied-lichen Verfahren nennen freilich je für sich gedanklich durchaus einleuchten-de Gründe, warum die Lehrerausbil-dung auf eine bestimmte Weise aufge-baut sein sollte und dann mit größeren Erfolgen zu rechnen sei als bei den übrigen Ausbildungsverfahren. Die Begründungen sind aber im Regelfall „mehr von Hoffnung als von empiri-scher Beweiskraft getragen“ (TERHART 2006b, S. 32). Die verschiedenen Auf-fassungen sind fast durch die Bank noch nicht oder nur ansatzweise empi-risch untersucht worden und bei stren-ger erkenntniskritischer Betrachtung kaum mehr als Annahmen mit unge-wissem Bezug zur Wirklichkeit.

Lückenhafte Datenlage erschwert die ForschungDass die Forschung gegenwärtig noch lückenhaft ist, hängt auch mit der Daten-lage zusammen. Die einschlägigen In-formationen sind zwar meistens vorhan-den, aber über viele Quellen verstreut und in der Flut von Angaben aus ande-ren Sachgebieten bisweilen nicht auf Anhieb zu finden. Noch vergleichsweise gut sieht es beim ersten Abschnitt der Lehrerbildung aus. Es gibt gedruckte Nachschlagewerke über die Lehramts-studiengänge an den Hochschulen und etliche digitale Auskunftsmöglichkeiten, die man heranziehen kann.

Das Angebot zum zweiten Aus-bildungsabschnitt ist weit weniger umfangreich. Die Kultusministerkonfe-renz lässt zum Beispiel jährlich ein Ver-zeichnis mit den Fundstellen für die rechtlichen Regelungen erscheinen, die die Länder der Bundesrepublik für die erste Staatsprüfung (bzw. die lehramtsbezogenen Masterabschlüs-se), den Vorbereitungsdienst und die zweite Staatsprüfung in Kraft gesetzt haben (Sekretariat der Ständigen Kon-ferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Dokumentations- und Bildungsinfor-mationsdienst 2012). Der Deutsche Bildungsserver bietet für die künfti-gen Referendarinnen und Referen-dare eine Aufstellung von Links zu den Seiten, wo die Kultusministerien jeweils den Vorbereitungsdienst in ihrem Land beschreiben. Der Lan-desverband Berlin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft veröffent-licht ebenfalls jährlich eine Broschüre für angehende Referendarinnen und Referendare, die in anderen Bundes-ländern in den Vorbereitungsdienst

eintreten möchten (Gewerkschaft Er-ziehung und Wissenschaft 2013). Da-rüber hinaus sieht es düster aus, vor allem wenn man eine Gesamtaufstel-lung für alle Länder der Bundesrepu-blik zu finden hofft.

Das ist schon deswegen unbefrie-digend, weil im Augenblick selbst die Fachleute und erst recht Außenstehen-de viel Zeit und Mühe für die Suche nach Informationen aufwenden müs-sen. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es wahrscheinlich kaum jemanden, der auf Anhieb die Lage in sämtlichen 16 Ländern zutreffend wiedergeben könnte. Eine Übersicht würde über die Arbeitsersparnis hinaus auch das Verständnis der Forschungsberichte erleichtern, die über die zweite Pha-se und ihre Wirksamkeit bereits vor-handen sind (z. B. von BUCHHOLTZ, DOHMEN, KÖLLER und TSCHACKERT 2012; DÖBRICH und STORCH 2012).

Meistens wird dort lediglich ein Land behandelt (BÖHNER 2012). Eine Über-sicht über den zweiten Abschnitt der Lehrerbildung in den deutschen Län-dern ist ein erster Schritt, diese For-schungslücke wenigstens vorläufig zu schließen. Sie ist zugleich eine Quelle für Schul- und Hochschulpolitikerin-nen und -politiker, die über die Umge-staltung der Lehrkräfteausbildung in ihrem Zuständigkeitsbereich nachden-ken und sich dafür Anregungen aus an-deren Ländern holen möchten.

DR. SIEGFRIED UHL

(Eine ausführliche Literaturliste finden Sie unter www.lsa.hessen.de)

KUNZ / SAUERLAND / UHL: Die zweite Phase der Lehrerbildung in Deutschland. Bücherpost-Verlag, 2014, 160 Seiten, ISBN 978-3-928199-44-5, Preis 10,- € . Bezug: POWER e.V., de-Neufville-Straße 24, 60599 Frankfurt am Main. Die Veröffentlichung wird vom Bundesprogramm XENOS gefördert.

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Es ist ein ungewohntes Bild, das sich den Besucherinnen und Besuchern der Klasse 3 bietet: Die Schüle-rinnen und Schüler sitzen zu zweit nebeneinander und lesen halblaut vor sich hin. Ein Murmeln erfüllt das Klassenzimmer, aber dies scheint die Kinder und auch die Lehrerin nicht zu stören. Die Kinder sind konzentriert bei der Sache, kein Kind unterbricht die Arbeit, als die Gäste das Klassenzimmer betreten. Bei näherem Hinsehen entdeckt man: In manchen Schülertandems lesen beide Kinder, in manchen nur eines. Immer aber fährt eines der beiden mit seinem Finger den Text entlang. Gelegentlich ist zu hören, wie sich ein Kind während des Lesens selbst korrigiert oder von seiner Partnerin bzw. seinem Partner auf einen Fehler hingewiesen wird. Die Lehrerin geht leise von einem Team zum nächsten, erklärt unbekannte Wörter, gibt individuelles Feedback, beobachtet und macht sich Notizen zu einzelnen Schülertandems.

BILDUNG IM BLICK

Den Besucherinnen und Besu-chern fällt auf, dass die Schü-lerinnen und Schüler die Texte

mehrmals lesen. Auf deren Frage, war-um sie die Texte wiederholt lesen, erhal-ten sie zur Antwort: „Damit wir schneller lesen und weniger Fehler machen.“ Und tatsächlich – der Unterschied nach der dritten Wiederholung des kurzen Textes ist deutlich erkennbar: der Leseprozess ist flüssiger und betonter, man spürt die zunehmende Textsicherheit, auch wenn eine Schülerin oder ein Schüler ohne Partner liest. Nach 20 Minuten erinnert die Lehrerin an das Ende der Tandem-Lesephase und weist die Schülerinnen und Schüler darauf hin, sich gegensei-tig Rückmeldungen zu geben. Hierbei gibt sie ihnen Hilfsfragen an die Hand. Nach Abschluss der Rückmeldephase räumen die Kinder die Texte weg und steigen nahtlos in den regulären Unter-richt ein.

Außenstehende mag diese Art des Unterrichts überraschen, doch „Insidern“ ist klar, was hier passiert:

Die Klasse 3 einer hessischen Grund-schule nimmt gemeinsam mit ihrer Lehrerin an einem Projekt zur Förde-rung der Leseflüssigkeit teil. Lautes Lesen im Tandem bildet hier eine grundlegende Methode zur Förde-rung der Leseflüssigkeit.

Das hessische Leseförderungsprojekt TAFF Das Projekt „Implementation der Lautlesetandems zur Förderung der Leseflüssigkeit durch eine Lehrer-fortbildung“, kurz „TAFF“, das in Zu-sammenarbeit des Studienseminars Fritzlar, der Universität Kassel und dem Projektbüro Individuelle För-derung Nordhessen durchgeführt wird, hat sich ganz der Leseförde-rung verschrieben. In TAFF werden Lehrkräfte der Grundschule und der Sekundarstufe I in die Förderung der Leseflüssigkeit eingeführt und in der Anwendung sogenannter „Laut-lesetandems“ über ein halbes Jahr begleitet und geschult. TAFF zielt we-

niger darauf ab, das Leseverständnis zu fördern. Vielmehr wird eine Ver-besserung und Automatisierung der Leseflüssigkeit angestrebt.

Das Programm zur Förderung der Leseflüssigkeit über Lautlesetan-dems wurde von der Frankfurter Ar-beitsgruppe um Cornelia Rosebrock entwickelt, bereits mehrfach erprobt und untersucht (ROSEBROCK u. a. 2011/RIECKMANN u. a. 2012). Laut-lesetandems stellen eine kooperative Methode des Lesens, ein spezielles Lautleseverfahren dar, bei dem zwei Grundprinzipien zur Anwendung kom-men: die Wiederholung und die Orien-tierung während des lauten Lesens an einem Lesemodell. Charakteristisch für Lautlesetandems ist, dass immer zwei Schülerinnen und Schüler – ein Kind mit einer eher überdurchschnittlich ausge-prägten Leseflüssigkeit und eines mit einer geringer ausgeprägten Leseflüs-sigkeit – dreimal 20 Minuten pro Wo-che über einen Zeitraum von etwa 4 bis 8 Wochen gemeinsam lesen. Wichtig

TAFF: FLÜSSIG LESEN LERNEN DURCH LAUTLESETANDEMS – EIN FORTBILDUNGSPROJEKT ZUR FÖRDERUNG DER LESEFLÜSSIGKEIT

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Page 23: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

VorVorZeiten

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BILDUNG IM BLICK

ist hierbei, dass die zu lesenden Texte, die auf das Leseniveau von Dritt- und Viertklässlern abgestimmt und in kurze Abschnitte gegliedert sind, mehrmals gelesen werden. Der oder die stärkere der beiden ist „Trainer“, die oder der schwächere „Sportler“.

Der Trainingsplan der Lautlesetandems In der Veröffentlichung „Leseflüssigkeit fördern“ von Cornelia Rosebrock und Kollegen wird die Methode der Le-setandems ausführlich dargestellt und anschaulich erläutert. Das Training der Lesetandems verläuft nach einem fest-gelegten Schema: Der stärkere Leser (der „Trainer“) und der schwächere Le-ser („Sportler“) lesen gleichzeitig einen Textabschnitt mehrmals halblaut vor. Dabei übernimmt die oder der Trainie-rende die Rolle des Lesemodells und erhält die Aufgabe, sich der Lesege-schwindigkeit seiner Partnerin bzw. sei-nes Partners anzupassen, seinen Finger entlang des zu lesenden Textes mitzu-führen und auf Lesefehler aufmerksam zu machen, falls der Sportler innerhalb einer Vier-Sekunden-Frist den Fehler nicht selbst korrigiert. Nach 4 bis 8 Wochen werden die Tandems neu zu-sammengestellt, da sich die Leistungs-niveaus der Schülerinnen und Schüler verändert haben können.

Für die Durchführung des Pro-gramms ist etwa ein halbes Jahr vor-gesehen, wobei nach Abschluss des Trainings die Übungen zur Steigerung

bzw. zum Erhalt der Leseflüssigkeit immer wieder in den Unterricht einge-baut werden sollten (ROSEBROCK u. a. 2011 / RIECKMANN u. a. 2012). Hierzu können auch Sachtexte herangezogen werden, sodass sich die Förderung der Leseflüssigkeit gut mit Inhalten anderer Fächer – wie beispielsweise aus dem Sachunterricht – verbinden lässt. In der Konzeption zu den Lautlesetandems wird bewusst auf Begriffe aus dem Sport zurückgegriffen: Auch im Sport ist der Trainer für die Weiterentwicklung seiner Schützlinge verantwortlich. Und um wirklich voranzukommen, ist aus-dauerndes Training erforderlich. Selbst Sportprofis müssen kontinuierlich und hart trainieren, um ihr Niveau zu halten. So lässt sich Grundschülerinnen und -schülern nachvollziehbar und verständ-lich vermitteln, dass man – um eine gute Leserin oder ein guter Leser zu werden – viel üben und trainieren muss, dass es aber auch auf eine gute Trainerin oder einen guten Trainer ankommt.

Regelmäßige Überprüfung der Leseleistung Grundlage für die Bildung neuer Trainer-Sportler-Tandems bilden re-gelmäßige Lernstandsdiagnosen, die jeweils am Ende der mehrwöchigen Übungsphasen durchgeführt werden. Dabei kommt ein kurzer Lückentext zum Einsatz, der an mehreren Stellen Textalternativen anbietet. Während des Lesens ist das jeweils richtige Wort von den Schülerinnen und Schülern

anzukreuzen. Diesen Text sollen die Kinder möglichst schnell und genau lesen, denn die Zeit der Bearbeitungs-dauer wird gestoppt. Fehler beim An-kreuzen der Textalternativen führen zu einem Aufschlag der benötigten Zeit.

Die Ergebnisse in diesen Lernstands-diagnosen dienen dazu, die Schülerin-nen und Schüler einer Klasse anhand eines solchen Tests zur Lesegeschwin-digkeit in eine Rangfolge zu bringen und dann in zwei Hälften – die Trainerinnen und Trainer und die Sportler – aufzutei-len. Dann startet mit neu zusammen-gesetzten Lautlesetandems die zweite, wiederum 4 bis 8 Wochen dauernde Übungsphase.

Leseflüssigkeit und Leseverständnis bedingen einander Wenn man allgemein von „Lesekom-petenz“ spricht, sind wissenschaftlich betrachtet unterschiedliche Fertigkei-ten und Fähigkeiten gemeint, die eine Schülerin oder ein Schüler erwerben muss. Aus kognitionspsychologischer Sicht setzt sich Lesekompetenz aus einer Wort- bzw. Satzerkennung zusammen (der Leseflüssigkeit) sowie einem text-erschließenden, interpretierenden und reflektierenden Lesen (dem Lesever-ständnis). Mit „Leseflüssigkeit“ sind die Lesegenauigkeit und die Lesegeschwin-digkeit gemeint, also Fähigkeiten, die es ermöglichen, automatisiert, genau und schnell lesen zu können (SCHNEIDER u. a. 2012). Die Leseflüssigkeit bildet eine wichtige Brückenfunktion zwischen

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BILDUNG IM BLICKBILDUNG IM BLICK

sogenannten hierarchiehohen und hie- rarchieniedrigen Teilprozessen. Unter hierarchiehohen Prozessen ist etwa das Erkennen sinnstiftender Zusam-menhänge von Aussagen eines Textes zu verstehen. Mit hierarchieniedrigen Prozessen sind Dekodierungsprozesse auf der Wort- und Satzebene gemeint, also das buchstabenweise Erkennen von Wörtern und größeren orthogra-fischen Einheiten. Wenn das Lesen zur Routine wird und die Aufmerksamkeit weniger für das Erlesen von Wörtern und Satzteilen beansprucht wird, fällt es Schülerinnen und Schülern zuneh-mend leichter, größere Texteinheiten genauer und schneller zu lesen. Da-durch werden kognitive Ressourcen für hierarchiehöhere Verstehensprozesse auf der Satz- und Textebene freigesetzt (ROSEBROCK u. a. 2011, MÜLLER u. a. 2013). Eine höhere Leseflüssigkeit geht daher meist auch mit einem besseren Leseverständnis einher.

Für eine umfassende Leseförde-rung in der Grundschule ist es wichtig, die Lesegeschwindigkeit und die Le-segenauigkeit der Schülerinnen und Schüler in regelmäßigen Abständen zu erfassen und systematisch zu fördern. In der 2012 veröffentlichten Experti-se „Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)“ wird nachdrücklich darauf ver-wiesen, dass nicht nur im Leseverständ-nis, sondern auch in der Leseflüssigkeit beträchtliche Unterschiede zwischen den Grundschülerinnen und -schülern bestehen. Entsprechende Schwächen in der Leseflüssigkeit haben erhebliche Leseprobleme in der Sekundarstufe zur Folge (SCHNEIDER u. a. 2012).

Besser, schneller und genauer lesen durch „repeated und assisted reading“ Alle Programme zur Förderung der Leseflüssigkeit beruhen letztlich auf ähnlichen Prinzipien. Beim wiederhol-ten Lautlesen („repeated reading“), bei dem es vorrangig um das Worterken-nen geht, lesen die Schülerinnen und Schüler kurze, bedeutungsvolle Text-abschnitte einer Lehrkraft oder einer Mitschülerin oder einem Mitschüler so lange halblaut vor, bis eine zufrieden-stellende Lesegeschwindigkeit erreicht ist. Anschließend wird diese Übung mit einem neuen Textabschnitt wiederholt (SAMUELS 1979 / THERRIEN 2004 / ROSEBROCK u. a. 2011). Während das wiederholte Lautlesen auf die Wieder-holung fokussiert, geht es beim beglei-tenden oder peergestützten Lautlesen („assisted reading“) um den positiven Einfluss eines Lesemodells. Hierbei rich-

tet sich ein schwächerer Leser an einem kompetenteren Leser aus und imitiert aktiv die vorgegebene Lesegeschwin-digkeit und Betonung. Ziel dieser Me-thode ist es, die Leseflüssigkeit auf der Satzebene zu steigern (ROSEBROCK u. a. 2011).

Auch bei den Lautlesetandems wird das Prinzip des wiederholten Le-sens mit Ansätzen peergestützten Ler-nens kombiniert. Für viele Lehrkräfte stellt das halblaute, wiederholte Lesen in Kombination mit Strategien, wie bei einem Fehler zu verfahren ist, eine Abkehr von dem häufig praktizierten stillen Lesen oder einmaligem Reih-umlesen dar, die in der Regel keine Effekte auf die Lesegeschwindigkeit haben (NICHD 2000). Dagegen er-geben sich vergleichsweise positive Effekte von Lautleseverfahren, bei de-nen schwächere Leserinnen und Le-ser zusammen mit lesekompetenteren Gleichaltrigen üben („paired repeated reading“). Auch Hattie (2009) und an-dere internationale Studien (NICHD 2000 / THERRIEN 2004) kommen zu dem Ergebnis, dass „repeated reading programs“ erhebliche Effekte vor allem auf die Leseflüssigkeit haben können. In Deutschland ist die Forschungsla-ge zur Förderung der Leseflüssigkeit jedoch bislang eher schmal. In den vorhandenen Studien, die sich auf die-sen Ansatz beziehen, zeigte sich, dass durch das Verfahren der Lautlesetan-dems nicht nur die Leseflüssigkeit, son-dern auch das Leseverständnis und das

Leseselbstkonzept gefördert werden (TRENK-HINTERBERGER u. a. 2008 / ROSEBROCK u. a. 2011 / RIECKMANN u. a. 2012). Allerdings liegen für die Anwendung des Programms in Grund-schulklassen bislang nur wenige Studi-en mit uneinheitlichen Befunden vor.

Zur Relevanz gezielter LeseförderungObwohl in den letzten Jahren auch bundesweit eine Fülle von Sprachför-derprogrammen und Lesefördermaß-nahmen konzipiert und durchgeführt wurden, wird nur ein verschwindend geringer Anteil dieser Maßnahmen wissenschaftlich begleitet und auf sei-ne Effekte hin untersucht (KERSTAN & SPIEWAK 2012). Es ist erforderlich,

mehr Wissen über die Wirksamkeit von Fördermaßnahmen und Lehr-kräftefortbildungen in diesem Bereich zu erhalten. Umgekehrt wird durch Studien immer wieder unterstrichen, dass die systematische und gezielte Leseförderung zu den drängendsten Aufgaben gehört – nicht nur in der Grundschule. So zeigt die aktuelle IGLU-Studie, dass sich die Lesekom-petenz deutscher Grundschülerinnen und -schüler 2011 nicht signifikant von der von 2001 unterschied. Und noch immer ist die Gruppe der Schü-lerinnen und Schüler mit geringen Le-sefähigkeiten in Deutschland verhält-nismäßig groß (BOS u. a. 2012). Die Autorinnen und Autoren der IGLU- Studie verweisen ausdrücklich auf die Notwendigkeit, Lehrkräfte gezielt fort-zubilden (TARELLI u. a. 2012).

Die Gestaltung der FortbildungIm TAFF-Projekt wird untersucht, ob es gelingt, die zentralen Komponenten dieses Förderprogramms den Lehr-kräften so näher zu bringen, dass sich deren Schülerinnen und Schüler in der Leseflüssigkeit günstiger entwickeln als solche, deren Lehrpersonen (noch) nicht an der Fortbildung teilgenom-men haben. Denn es ist keinesfalls zwingend davon auszugehen, dass jede Fortbildung auch die Ebene der Schülerinnen und Schüler erreicht.

Bei der Konzeption einer Lehrkräfte-fortbildung sind demnach bestimmte Bedingungen und Merkmale zu beach-

ten. Notwendig, wenngleich nicht hin-reichend ist es, dass sich die Fortbildung über einen längeren Zeitraum erstreckt. Wichtig ist hierbei, dass Inputphasen, in denen Lehrerinnen und Lehrer zentrales Wissen (hier: die wichtigsten Bestand-teile des Lautlesetandem-Programms und Grundlagen des Lesens) erwer-ben, Erprobungsphasen, in denen die Lehrpersonen ihr erworbenes Wissen direkt in ihrer Klasse anwenden (hier: die Durchführung der Lautlesetandems in ihren Klassen) und Reflexionsphasen, in denen gemeinsam mit den Fortbild-nerinnen und Fortbildnern über die gesammelten Erfahrungen und über Schwierigkeiten reflektiert wird, ver-bunden werden. Solche Fortbildungen

Es ist keinesfalls zwingend davon auszugehen, dass jede Fortbildung auch die Ebene der Schülerinnen und Schüler erreicht.

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Page 25: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

stellen somit auch bestimmte zeitliche Anforderungen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und bedeuten auch für Fortbildner erhebliche Herausforderun-gen. Daher erstreckt sich die TAFF-Fort-bildung auf ein halbes Jahr.

Darüber hinaus zielen wirksame Lehrkräftefortbildungen auf die Erwei-terung fachdidaktischen und diagnos-tischen Lehrerwissens ab, um besser zu verstehen, wie unterschiedlich Schüle-rinnen und Schüler lernen (hier: lesen) und welche besonderen Anforderun-gen und Schwierigkeiten mit dem Lesen verbunden sind. Dieser Aspekt wird in der Fortbildung aufgegriffen, indem die Lehrkräfte z. B. ihre Schülereinschätzun-gen mit den regelmäßigen Lernstands-diagnosen zum schnellen und genauen Lesen abgleichen und in den Präsenz-phasen mit Leseproben von Schülerin-nen und Schülern unterschiedlicher Lei- stungsstärke konfrontiert werden.

Der Forschungsfokus des TAFF-ProjektsAm Projekt TAFF nehmen insgesamt 71 Lehrerinnen und Lehrer der Klassenstu-fen 1 bis 7 aus Nordhessen teil. Davon unterrichten 28 Lehrkräfte in einem drit-ten oder vierten Schuljahr. Diese Lehr-personen und ihre Klassen wurden in den Forschungsteil des TAFF-Projekts einbezogen, indem sie zwei Gruppen zugewiesen wurden: Die eine Hälfte besucht die Fortbildung im ersten Halb-jahr des Schuljahres 2013/2014, die zweite Hälfte im zweiten Halbjahr des Schuljahres.

Für die Erforschung der Wirksam-keit des TAFF-Projekts erwies sich diese Aufteilung der Lehrpersonen mit ihren Klassen in zwei Gruppen als günstig: Diejenige Klassen, deren Lehrperso-nen die Fortbildung im ersten Halbjahr erhalten, stellen die Untersuchungs-gruppe, diejenigen Klassen, deren Lehrpersonen die Fortbildung im zwei-ten Halbjahr erhalten, bilden die War-tekontrollgruppe.

Der Forschungsteil des TAFF-Pro-jekts geht folgenden Fragen nach: • Wie entwickeln sich diejenigen

Grundschulkinder in ihrer Leseflüs-sigkeit und ihrem Leseverständnis,

die von Lehrpersonen der Untersu-chungsgruppe gefördert werden im Vergleich zu Grundschulkindern, de-ren Lehrerinnen die Fortbildung erst im zweiten Halbjahr absolvieren? Gibt es Unterschiede in der Wirk-

samkeit des Programms, wenn man schwächere und stärkere Schülerin-nen und Schüler vergleicht?

• Haben die Art der Umsetzung der Lautlesetandems in den Klassen durch die Lehrpersonen und die Zusammen-arbeit innerhalb der Schülertandems einen Einfluss auf die Wirksamkeit der Lautlesetandem-Methode?

Bisherige Erfahrungen der Lehrkräfte und der Schülerinnen und SchülerNoch liegen keine Ergebnisse zur Ent-wicklung der Leseleistungen vor. Die an TAFF beteiligten Lehrerinnen und Lehrer bewerten die Lautlesetandems nach ihren ersten Erfahrungen positiv: Die Regeln der Lautlesetandems ließen sich recht schnell einüben, den meisten Schülerinnen und Schüler mache die Methode Spaß. Als problematisch er-achten die Lehrkräfte die konsequente Fehlerkorrektur, die Verknüpfung der Texte mit den Inhalten des regulären Unterrichts und die Aufrechterhaltung der Motivation. Gegen Ende des sechs-Wochen-Rhythmus komme es bei manchen Tandems zu einem Motivati-onsabfall, dem aber die Neueinteilung der Tandems teilweise entgegenwirkt. Denn die Schülerinnen und Schüler sind gespannt auf die neue Partnerin oder den neuen Partner und darauf, wie es im neuen Lautlesetandem zu-künftig läuft. Bis die gegenseitige Feh-lerkorrektur durch die Schülerinnen und Schüler gut funktioniert, bedarf es einiger Wiederholungen und Trai-ningseinheiten. Die Lehrkräfte sind als Beobachterinnen und Beobachter, aber auch als Modell gefragt, indem sie die Korrekturroutinen den Schüle-rinnen und Schülern vormachen und ihr Handeln dabei sprachlich begleiten und kommentieren.

Auch die Schülerinnen und Schüler wurden zu ihren Erfahrungen schriftlich befragt. Positive Einschätzungen und Ursachenzuschreibungen wie beispiels-

weise „Ich glaube, dass ich mich verbes-sert habe, weil mein Trainer mir dabei geholfen hat und mir die Kraft gegeben hat.“ oder „Es hat mir sehr geholfen. Ich kann viel flüssiger lesen.“ lassen erken-nen, dass zumindest einem Teil der be-fragten Schülerinnen und Schülern der eigene Kompetenzzuwachs und die Be-deutung des peergestützten Trainings bewusst geworden sind.

MARINA STUCKERT

FRANK LIPOWSKY

GISELA DORST

Literatur

KERSTAN, T./M. SPIEWAK: Die Lesefreude ist gewachsen. Ein Gespräch mit dem Bildungs-forscher Wilfried Bos über den Unsinn kleiner Klassen und den Segen zusätzlicher Lehrkräf-te. In: ZEIT-ONLINE vom 13. Dezember 2012.

BOS, W./ A. BREMERICH-VOS/I. TARELLI/R. VALTIN: Lesekompetenzen im internationalen Vergleich. In: IGLU 2011. Lesekompetenzen von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich. Hrsg. v. W. Bos u. a. Münster 2012, S. 91-136.

HATTIE, J.: Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achieve-ment. London 2009.

MÜLLER, B. u. a.: Leseflüssigkeit im Grund-schulalter: Entwicklungsverlauf und Effekte systematischer Leseförderung. In: Lernen und Lernstörungen 2 (2013), S. 131-146.

National Institute of Child Health and Human Development (NICHD): Report of the National Reading Panel: „Teaching children to read” – An evidence-based assessment of the scientific re-search literature on reading and its implications for reading instruction. Washington 2000.

RIECKMANN, C./S. BEHRENDT/M. LAUER-SCHMALTZ: Im Team trainieren – das Pro-gramm Lautlesetandems. In: Selbstreguliertes Lesen. Ein Überblick über wirksame Leseför-deransätze. Hrsg. v. M. Philipp u. A. Schlicher. Seelze 2012, S. 88-99.

ROSEBROCK, C. u. a.: Leseflüssigkeit fördern. Lautleseverfahren für die Primar- und Sekun-darstufe. Seelze 2011.

SAMUELS, S. J.: The method of repeated rea-ding. The Reading Teacher, 32 (1979). S. 403-408.

SCHNEIDER, W. u. a.: Expertise „Bildung durch Sprache und Schrift (BISS)“. Bund-Län-der-Initiative zur Sprachförderung, Sprachdi-agnostik und Leseförderung. Hamburg 2012.

TARELLI, I. u. a.: IGLU 2011. Wichtige Ergeb-nisse im Überblick. In: IGLU 2011. Lesekom-petenzen von Grundschulkindern in Deutsch-land im internationalen Vergleich. Hrsg. v. W. Bos u. a. Münster 2012, S. 11-25.

THERRIEN, W. J.: Fluency and comprehension gains as a result of repeated reading. A meta-analysis. In: Remedial and Special Education, 25/4 (2004), S. 252-261.

TRENK-HINTERBERGER, I. u. a.: Förderung der Leseflüssigkeit bei schwachen Leser(inne)n in der sechsten Jahrgangsstufe. Erste Er-gebnisse einer Interventionsstudie. In: Check-point Literacy. Tagungsband 1 zum 15. Euro-päischen Lesekongress 2007 in Berlin. Hrsg. v. B. Hofmann, R. Valtin. Berlin 2008. S. 183–194.

BILDUNG IM BLICK

Positive Einschätzungen und Ursachenzuschreibungen lassen erkennen, dass zumindest einem Teil der befragten Schülerinnen und Schülern der eigene Kompetenzzuwachs und die Bedeu-tung des peergestützten Trainings bewusst geworden sind.

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HATTIES „BIG IDEAS“ FÜR DIE SCHULISCHE PRAXIS (TEIL 2): ANREGUNGEN FÜR EINEN GELUNGENEN UNTERRICHTSVERLAUF

In seinem 2012 erschienenen Buch „Visible Learning for Teachers – Maximizing impact on learning“ entwickelt John Hattie Leitlinien für ein praxisorientiertes Lehrerhandeln auf der Basis seiner pädago-gischen Konzeption. Er entfaltet seinen Ansatz vor dem Hintergrund der grundlegenden Einsichten („big ideas“), die er bereits 2009 in „Visible Learning“ beschrieben hat. Standen in Teil 1 von Hatties „big ideas“ (BILDUNG BEWEGT 22/2013) die Lehrpersonen und deren Selbstverständnis im Zentrum der Betrachtung, nimmt Teil 2 die Planung und Durchführung einer Unterrichtsstunde in den Blick und beschreibt die Unterrichtsprozesse, die nach Hattie während des Unterrichts ablaufen.

Die Unterrichtsstunde: Denkentwicklung und Lernprozesse

Unterricht ist ein komplexer Vorgang, der Lehrerinnen und Lehrern vielfälti-ge Fähigkeiten abverlangt. Sie müssen die Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler durch die verschiedenen Stadien ihrer Lernprozesse hindurch begleiten, diese verstehen und un-terstützen. Dies geschieht nach Hattie auf vier verschiedenen Ebenen, die sich teilweise überlagern: • Leistungsfähigkeit („capability“), • Aufnahmevermögen („capacity“), • Lernbeschleunigung („catalyst“) und • Kompetenz („competence“).

Bei der Entwicklung der Denkleis-tungen orientiert sich Hattie an dem Denkmodell des Schweizer Entwick-lungspsychologogen Jean Piaget. Er

unterscheidet vier universelle Grundsta-dien der Denkentwicklung, die nachein-ander durchlaufen werden: • die sensomotorische Phase

(0-2 Jahre), • die präoperationale Phase

(2-7 Jahre),• die konkret-operationale Phase

(7-12 Jahre) und • die formal-operationale Phase

(ab 12 Jahren).

Bezogen auf die unterrichtlichen Inter-ventionsmöglichkeiten ergeben sich nach Hattie aus Piagets Konzeption vor allem drei wesentliche, den Entwick-lungsprozess des Denkens vorantrei-bende Elemente: 1. Das Denken entwickelt sich als Ant-

wort auf Herausforderungen („chal-lenge“) und Ungleichgewichte („di-sequilibrium“). Dies bedeutet, dass

die Lernintervention einen kogni-tiven Konflikt („cognitive conflict“) auslösen muss, um wirksam zu sein.

2. Der Verstand zeigt die Fähigkeit zu wachsen. Die Kontrolle über die ei-genen Denkprozesse wird bewusst übernommen. Dies bedeutet, dass die Lerninterventionen es den Ler-nenden ermöglichen, über ihre ei-genen Lernprozesse nachzudenken.

3. Die kognitive Entwicklung ist ein so-zialer Prozess, eine qualitativ hoch-wertige Diskussion unter Gleichalt-rigen, moderiert von einer Lehrkraft.Das heißt, dass die Lerninterventio-nen zum Aufbau sozialer Beziehun-gen beitragen müssen.

Wichtig für Lehrpersonen ist es, den Schülerinnen und Schülern Lernstrate-gien zu vermitteln, die es ermöglichen, sowohl eine angemessene Kenntnis

ERFORSCHT UND ENTWICKELT

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an Wissen („surface“) als auch ein Verständnis der dahinter liegenden, komplexen Zusammenhänge („deep“) aufzubauen. Der hierbei zu gehende Weg führt von einer Idee zu mehre-ren Ideen, dann zu einer Verbindung dieser Ideen und schließlich zu einem Verstehen der erweiterten Wechsel-beziehungen zwischen den Ideen.

Für das Lernen motivieren und das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler berücksichtigen Die Lernenden befinden sich während einer Unterrichtsstunde nicht durch-gehend in einem hochmotivierten Zustand. Die Lehrkraft steht daher vor der Aufgabe, Motivationsschwankun-gen wahrzunehmen und mit diesen während des Unterrichtsverlaufs umzu-gehen. Hattie verweist auf ein Motiva-tionsmodell in vier Phasen („phases of motivation“), wobei es sich im Kern um ein gegliedertes Lernmodell handelt: • „See the gap“: Zunächst geht es da-

rum, den Abstand zu erkennen zwi-schen dem Ort, an dem sich der Ler-nende gerade befindet, und dem, zu dem er sich im Lernprozess hin entwickeln soll.

• „Goal-setting“: Wenn dem Lernen-den genügend Informationen vorlie-gen, geht es darum, eine Zielsetzung vorzugeben und einen geeigneten Weg dorthin zu planen.

• „Strategies“: Wenn das Ziel und eine Planung vorliegen, gilt es, geeignete Strategien auszuwählen, anzuwen-den und einzuleiten, um das gesetz-te Ziel zu erreichen.

• „Close the gap“: Der im ersten Schritt erkannte Abstand zwischen der Aus-gangslage und der im zweiten Schritt vorgenommenen Zielplanung sollte nun nicht mehr bestehen. Wenn der Lernende seine erfolgreiche Zielerrei-chung erkennt, ist er bereit für weite-re, sich anschließende Lernprozesse und Entwicklungen.

Hattie macht darauf aufmerksam, dass die Lernenden mit konkreten und oft weitreichenden Vorannahmen darü-ber in den Unterricht kommen, wie die Welt funktioniert und wie sich Grundaussagen zu bestimmten The-men in dieses Vorannahmen einfügen („preconceptions“). Für Lehrerinnen und Lehrer ist es unverzichtbar, bei ih-ren thematischen Angeboten für den Unterricht diese Zusammenhänge zu erkennen und auf eine Anschlussfä-higkeit ihrer inhaltlichen Angebote hinzuwirken. Ohne eine Verankerung des neu Erlernten in den bisherigen

konzeptuellen Vorstellungen der Ler-nenden ist ein nachhaltiges Lernen nicht möglich. Die Lernenden sollen schrittweise die Kontrolle über ihre Lernprozesse bekommen und diese selbstgesteuert umsetzen.

Hattie unterscheidet bei diesem Prozess drei Phasen der Kompetenz-entwicklung, die sich teilweise über-lagern: Anfänger („novice“), Fortge-schrittener („capable“) und umfassend Fachkundiger („proficient“). Die Pha-sen sind jeweils auf überschaubare thematische Zusammenhänge gerich-tet. Erreicht ein Lernender in einem Themenfeld die höchste Entwicklungs-stufe, ist es Aufgabe der Lehrkraft, mit schwierigeren Aufgabenstellungen einen neuen Lernprozess anzustoßen. Dabei beginnt der Lernende erneut als „Anfänger“ und durchläuft alle Stadien bis zum „Fachkundigen“.

Jedes Kind lernt anders: Differenzierte Lernangebote ermöglichen Lernerfolg Die unterschiedlichen Lernvorausset-zungen in einer Klasse machen es er-forderlich, dass Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schüler differenzier-te Lernangebote („differentiation“) zur Verfügung stellen. Sie bewirken, dass möglichst alle Schülerinnen und Schü-lern die Ziele der Unterrichtsstunde sinnerschließend und effizient errei-chen. Die Heterogenität in den Klassen erfordert angemessene Formen der Differenzierung im Unterricht, bei der es folgende Fragen zu berücksichtigen gilt: Ist der Lernende ein Anfänger, ein Fortgeschrittener oder ein Fachkundi-ger? Wo liegen seine Stärken? Welche

Form der Unterstützung benötigt er, um bestehende Lücken zu schließen und die gesteckten Ziele zu erreichen? Über welche Lernstrategien verfügt er bereits? Welche zusätzlichen benötigt er? Es ist die Aufgabe der Lehrkraft – je nach Stadium der individuellen Lernentwicklung – unterschiedliche Lernwege anzubieten, die es den Ler-

nenden ermöglichen, den Erfolgskri-terien der jeweiligen Lernprozesse zu entsprechen.

Durch die Augen der Lernenden unterrichtenLehrkräfte sind nach Hattie lernfähige Expertinnen und Experten („adaptive experts“), die wissen, wo ihre Schüle-rinnen und Schüler in ihrer Lernent-wicklung stehen. Sie wissen, ob sie ge-rade lernen oder nicht und wohin die Lernwege als Nächstes führen sollen. Lehrerinnen und Lehrer wirken zudem darauf hin, ein Klassenklima zu erzeu-gen, das erfolgreiche Lernprozesse fördert und unterstützt. Als lernfähige Expertinnen und Experten verfügen sie über ein hohes Maß an Empathie und sehen die Lernprozesse auch aus der Perspektive der Lernenden. Hattie betont, dass es ihm nicht um routinier-tes Expertenwissen geht. Vielmehr for-dert er eine pädagogische Expertise, die sich an die jeweilige Handlungssi-tuation anpasst („adaptive expertise“).

Lehrpersonen sind in der Lage, vielfältige Wege des Verstehens und vielfältige Formen des Interagierens zu vermitteln, wobei sie zugleich viel-fältige Gelegenheiten zum Handeln eröffnen. Eine „kognitive Flexibilität“ der Lehrerinnen und Lehrer ist bei der Ausgestaltung unterschiedlicher Verstehenswege in hohem Maß er-forderlich. Sie stellt ein wesentliches Kriterium für guten Unterricht dar und nimmt mit der Anzahl der gewählten Perspektiven, Fakten, zu berücksichti-genden Fähigkeiten, Vorgehenswei-sen und tiefgreifenden konzeptuellen Prinzipien zu.

Bei den Interaktionswegen ist zu beachten, dass die Schülerinnen und Schüler auch darin unterrichtet wer-den, wie Lernprozesse strukturiert sind und erfolgreich vorangebracht werden können. Komplexes Denken und Argumentieren wird im Unterricht beispielsweise dadurch gefördert, in-dem durch herausfordernde Problem-

ERFORSCHT UND ENTWICKELT

Die Heterogenität in den Klassen erfordert angemessene Formen der Differenzierung im Unterricht, bei der es folgende Fragen zu berücksichtigen gilt: Ist der Lernende ein Anfänger, ein Fortgeschrittener oder ein Fachkundiger? Wo liegen seine Stärken? Welche Form der Unterstützung benötigt er, um bestehende Lücken zu schließen und die gesteckten Ziele zu erreichen?

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Page 28: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

vorgaben eine Verunsicherung über das bisher Gelernte bei den Schüle-rinnen und Schülern ausgelöst wird. Das Hervorrufen von Hindernissen, Widersprüchen und Konflikten sollte als grundlegendes Gestaltungsprin-zip von Lernprozessen gesehen und demensprechend von den Lehrperso-nen thematisiert werden.

Hattie empfiehlt Lehrerinnen und Lehrern, die Lernprozesse in ihrer Klas-se stets aus der Perspektive der Lernen-den zu sehen („to see learning through the eyes of students“). Dabei gilt es, in einem dialogischen Prozess sicherzu-stellen, dass auch die Lernenden ihre

Lehrpersonen mit all jenen Informati-onen versorgen, die diese benötigen, um den Unterricht sachgerecht planen und durchführen zu können.

Umgang mit Fehlern im UnterrichtZum erfolgreichen Lernen gehören neben den Inhalten, Themen und Konzepten des Unterrichts auch die Veranschaulichung durch einprägsa-me Beispiele sowie vielfältige Gele-genheiten zum Üben und Wiederho-lungen, die das Behalten fördern. Bei jedem Lernen kommen Fehler vor. Für die Lernenden ist es wichtig, bei Feh-lern umgehend eine Rückmeldung durch die Lehrkraft zu erhalten, um die Ursache zu verstehen und den Fehler zukünftig zu vermeiden.

Hattie hebt drei Grundsätze be-sonders hervor: 1. Zum Lernen neuer Inhalte muss die

Bedeutung des vorherigen Wis-sens erkannt werden.

2. Das Neue muss mit dem Vorhan-denen stabil verbunden werden, sodass konzeptuelles Verstehen entsteht.

3. Es geht darum, ein Denken über das Denken zu verankern und zu nutzen: Solche Formen der meta- kognitiven Reflexion bilden die Grundlage einer gelingenden Selbstregulation im Zuge von Lernprozessen.

Lehrende und Lernende verfügen über vielfältige Strategien des Ler-nens. Die Zielsetzung und Zweckbe-stimmung für das Lernen haben sich nach Hattie als wirkungsmächtige Faktoren für ein erfolgreiches Lernens erwiesen. Als besonders wirksame metakognitive Strategien nennt Hattie• eine Neustrukturierung des Unter-

richtsmaterials (d = 0.85), • sinnvolle Schlussfolgerungen aus

Erfolgen und Misserfolgen zu zie-hen (d = 0.70) und

• eigenständiges Lernen und ein Überprüfen dieses Lernens zu orga-nisieren (d = 0.62).

In manchen Fällen kann es dabei erfor-derlich sein, dass die Lernenden – um neue und komplexe Lernstrategien an-wenden zu können – bislang verwen-dete, aber weniger wirksame Verfahren „verlernen“ müssen („unlearning“).

Lehrerinnen und Lehrer sollten ih-ren Planungen eine Art „Umkehr-De-sign“ („backward design“) zugrunde legen, indem sie von den gewünsch-ten Ergebnissen her einen Lernpro-zess entwerfen und mit Materialien und Zwischenüberschriften hinterle-gen, die ein Erreichen der definierten Erfolgskriterien ermöglichen.

Bewusste Lernpraxis, Konzentration und Beharrlichkeit Erfolgreiches Lernen erfordert nach Hattie vor allem zwei Fähigkeiten: be-wusste Lernpraxis und Konzentration. Er macht nachdrücklich darauf auf-merksam, dass Lernen nicht ununter-brochen Spaß machen kann. Vielmehr ergeben sich für jeden Lernenden län-gere Phasen einer notwendigen, aber eben nicht immer angenehmen harten Arbeit, bis es gelingt, eine bestimmte Fähigkeit mit hinreichender Geschwin-digkeit, Sicherheit und Effektivität auszuführen. Erfolgreiches Lernen erfordert von den Schülerinnen und Schülerinnen die Fähigkeit zur Selbst-beobachtung und Selbstbeurteilung sowie zu sachgerechten Reaktionen.

Hattie verweist in diesem Zusam-menhang auf die häufig unterschätzte Bedeutung von Konzentration („con-centration“) und Beharrlichkeit („persis-tence“). Gerade für Anfängerinnen und Anfänger ist es von entscheidender Be-deutung, dass es während des aktiven Lernprozesses wenig Ablenkung von den Inhalten und den Erschließungs-methoden gibt. Dies sicherzustellen, ist eine fortlaufende Aufgabe der unter-richtenden Lehrpersonen.

Lerner- und sachbezogenes Feed-back befördert guten Unterricht In seinen Publikationen geht John Hattie immer wieder auf die herausragende Bedeutung ein, die einem lernerbe-zogenen, einem sachbezogenen, häufigen Feedback zukommt. Diese Feedback-Form dient dem Zweck, die Lücke zwischen der Lernausgangslage und dem jeweiligen Ziel eines Lernpro-zesses zu schließen. Die Evidenz der Wirksamkeit hat Hattie in seiner Studie „Visible Learning“ eindrucksvoll he-rausgearbeitet, wo von einem durch-schnittlichen Effektmaß von d = 0.79 berichtet wird. Damit zählt das for-mative Feedback zu den wirksamsten Interventionen beim Unterrichten.

Hattie schlägt vor, dieses Feed-back im Unterricht als Antwort auf drei Fragengruppen zu verstehen: 1. „Where am I going?“ Wohin bewege ich mich in meinem

Lernprozess? Was sind dabei mei-ne Ziele?

2. „How am I going?“ Wie komme ich voran? Welchen

Fortschritt kann ich hinsichtlich mei-ner Ziele erkennen?

3. „Where to go next?“ Wohin bewegt sich mein Lernpro-

zess im nächstfolgenden Teilschritt? Was ist zu veranlassen, damit sich ein noch besseres Vorankommen ergeben kann?

Die Schlüsselkomponenten der ersten Frage („Where am I going?“) hängen eng zusammen mit den Lernintentio-nen der Unterrichtseinheit, ihren Zie-len, der Klarheit der Wegbeschreibung zu diesen Zielen, der Herausforderung und der Motivation der Aufgaben so-wie dem Engagement und der Leis-tungsbereitschaft der Lernenden. Der Schlüssel liegt nicht allein bei der Lehr-kraft; auch die Lernenden müssen mit dem angestrebten Lernprozess einver-standen und motiviert sein, den unter-richtlichen Lernprozess mitzugestalten.

Hinsichtlich der zweiten Frage („How am I going?“) geht es darum,

ERFORSCHT UND ENTWICKELT

Hattie empfiehlt Lehrerinnen und Lehrern, die Lernprozesse in ihrer Klasse stets aus der Perspektive der Lernenden zu sehen („to see learning through the eyes of students“). Dabei gilt es, in einem dialogischen Prozess sicherzustellen, dass auch die Lernenden ihre Lehrpersonen mit all jenen Informationen ver-sorgen, die diese benötigen, um den Unterricht sachgerecht planen und durchführen zu können.

28 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

Page 29: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

die Schülerinnen und Schüler zu mo-tivieren, an der Klärung und der Über-nahme der Lernintentionen und der Erfolgskriterien aktiv mitzuwirken, die Diskussionen in der Klasse voranzu-bringen und ein Feedback zu geben, das die Lernenden auf ihrem Weg vor-anbringt, indem es sie aktiviert.

Die Bestimmung des nächsten Lernschritts („Where to go next?“) zielt auf die Fähigkeit, die jeweils richtigen Lernstrategien auszuwählen – oder sie gegebenenfalls neu zu erlenen –, um zu einem tieferen, komplexeren Ver-ständnis der gerade zu bearbeitenden Aufgabe zu kommen. Die Schülerin-nen und Schüler sollen dazu ermutigt werden, ihre eigenen Fragen und Ant-worten einzubringen, zu diskutieren und kritisch zu reflektieren.

Aufgabe, Prozess, Selbstregulierung – Elemente eines wirksamen FeedbacksLehrerinnen und Lehrer sollten es als eine ihrer Kernaufgaben ansehen, ih-ren Schülerinnen und Schülern regel-mäßig Feedback zu geben. Die dabei zu berücksichtigenden Ebenen sind• die Aufgabe („task – where am I

going?“),• der Prozess („process – how am I

going?“) und • die Selbstregulierung und Weiterar-

beit („self-regulation – where to go next?”).

Auf der Ebene der Aufgabe und des Produkts geht es um eine informative inhaltliche Rückmeldung, oft mit ei-ner Aussage dazu, ob ein Produkt als falsch oder als richtig eingestuft wird und woran sich dies zeigt. Auf der Pro-zess-Ebene handelt es sich um die Ein-schätzung der Vorgehensweise und der dabei verwendeten Verfahren. Auf der Ebene der Selbst-Regulierung er-folgt die Überwachung der eigenen Lernschritte und -prozesse.

Hattie macht darauf aufmerksam, dass Feedback-Aussagen in Form eines Lobes, gerichtet an die Persön-lichkeit der Lernenden, durchaus ihre Bedeutung für die Motivation haben, aber von den zuvor angesprochenen Ebenen eines formativen Feedbacks unterschieden und auch getrennt davon verwendet werden sollten.

Von besonderer Bedeutung ist es, dass Feedback-Äußerungen auch tat-sächlich die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler erreichen. Bei Formen des Feedbacks, die sich eher an die ganze Klasse richten, kann nicht sichergestellt werden, ob die einzelnen Lernenden dies auch tatsächlich auf

sich selbst und ihren Lernprozess be-ziehen können. Entscheidend sind da-her die Häufigkeit und die Qualität des Feedbacks, das den einzelnen Lernen-den konkret weiterhilft, indem es ihnen Orientierung und Unterstützung bietet.

Fehlerfreundliches Unterrichtsklima ist für Feedback-Kultur grundlegendEin „fehlerfreundliches Unterrichten“ ist im Zusammenhang der hier darge-stellten Feedback-Kultur von großer Bedeutung. Fehler sollen dabei als Lerngelegenheiten gesehen werden. Formen der Beschämung oder Bloß-stellung sind auf jeden Fall zu vermei-den. Was für den Umgang zwischen Lehrenden und Lernenden gilt, sollte genauso für offene kollegiale Diskus-sionen gelten. Auch hier bilden Fehler, die beim Unterrichten geschehen, Ge-legenheiten zum Lernen und zur Feh-lervermeidung bei der Weiterarbeit.

Schülerinnen und Schüler sollten darin unterwiesen werden, die forma-tiven Einschätzungen ihrer Leistungen im Zuge des unterrichtlichen Feed-backs so zu nutzen, dass sie ihre Lern-

prozesse selbstständig weiterführen, bei Bedarf korrigieren und ihre Lern-ergebnisse verbessern können. Feed-back als häufige und schnelle Rückmel-

dung zum Lernverlauf („rapid formative assessment“) zählt nach Hattie zu den wirkungsvollsten Verfahren, um die Unterrichtsqualität zu erhöhen und die Schülerleistungen zu verbessern.

Für erfolgreiche Lernprozesse sind nach Hattie fünf Kriterien grundlegend: • Allen Lernenden wird regelmäßig

effektives Feedback gegeben. • Die Schülerinnen und Schüler sind

aktiv in ihren eigenen Lernprozess eingebunden.

• Die Unterrichtsaktivitäten stellen Antworten auf die Einschätzung der individuellen Lernprozesse dar.

• Die Lernenden sind in der Lage, sachgerechte Selbsteinschätzungen zu entwickeln.

• Der Einfluss des Feedbacks auf die Motivation und die Selbsteinschät-zung der Lernenden wird angemes-sen berücksichtigt.

In bestimmten Phasen des Lernpro-zesses kann es nach Hattie notwendig sein, für die Lernenden unterstützen-de „Leitplanken“ im Unterricht zu set-zen, um den Lernprozess insgesamt zu

stabilisieren („scaffolding“) und in die gewünschte Richtung zu lenken. Die Leitplanken müssen aber rechtzeitig wieder aus dem Prozess herausge-

ERFORSCHT UND ENTWICKELT

Feedback als häufige und schnelle Rückmeldung zum Lern-verlauf („rapid formative assessment“) zählt nach Hattie zu den wirkungsvollsten Verfahren, um die Unterrichtsqualität zu erhöhen und die Schülerleistungen zu verbessern.

DAS FEEDBACK-MODELL NACH HATTIE

Selbstregulierung („self-regulation“)

Where to go next? Wohin bewegt sich der Lernpro-zess im nächsten Teilschritt? Wie kann ein besseres Vorankommen

ermöglicht werden?

Prozess („process“)

How am I going? Wie komme ich voran? Welchen Fortschritt kann ich hinsichtlich

meiner Ziele erkennen?

Aufgabe („task“)

Where am I going? Wohin bewege ich mich in meinem Lernprozess? Was sind meine Ziele?

Feedback im Unterricht

BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 29

Page 30: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

nommen werden, wenn ihre Aufgabe erfüllt ist oder Orientierungshilfen nicht mehr erforderlich sind.

Der Unterrichtsverlauf aus Sicht der Schülerinnen und Schüler: Das Peer-Feedback Hattie schlägt vor, die Lernenden nach den Wirkungen des gegebenen Feed-backs zu fragen. Interessant erscheint hierbei, dass bis zu 80 % des gesam-ten Feedbacks in Lerngruppen durch die Schülerinnen und Schüler unter-einander gegeben wird („peer feed-back“). Daher ist es wichtig, an der Qualität und Akzeptanz dieser Rück-meldungen aktiv zu arbeiten.

Hattie unterscheidet mit Blick auf das angesprochene Peer-Feedback drei Ebenen solcher Rückmeldungen: • Feedback auf der Aufgabenebene:

Was ist falsch/richtig? Was wurde gut/falsch gemacht?

• Feedback auf der Prozessebene: Welche Strategien wurden verwen-det? Wie wird eine richtige/falsche Antwort erklärt?

• Feedback auf der Ebene der Selbst-regulierung: Wie kann die Arbeit durch den Lernenden selbst kontrol-liert werden? Wie können die vorlie-genden Informationen ausgewertet werden? Wie kann das Lernen re-flektiert werden?

Lehrkräfte, die mit dem hier entwickel-ten Feedback-Modell unterrichten, achten dabei auf folgende Aspekte: • Ihnen ist es ein Anliegen, wie die

Lernenden das Feedback aufneh-men und verarbeiten.

• Sie wissen, dass die Lernenden ein Feedback zu ihrem Vorankommen einem korrigierenden Feedback vorziehen.

• Sie wissen, dass die Lernenden mehr auf Feedback achten, wenn sie an herausfordernden Zielen ar-beiten.

• Sie unterrichten bewusst die Ler-nenden dahingehend, Feedback nachzufragen und zu verstehen.

• Sie kennen den Wert des Peer-Feedbacks und zeigen den Lernen-den, wie sie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern ein angemesse-nes Feedback geben können. Das Feedback soll in erster Linie auf die Aufgabe, nicht auf den Lernenden bezogen sein. Es soll fokussiert, spe-zifisch und klar sein.

Das Ende der Unterrichtsstunde John Hattie weist nachdrücklich darauf hin, dass der Unterricht mit dem Ende

der Stunde keineswegs abschlossen ist. Es kommt vielmehr darauf an, die während der letzten Unterrichtsstun-de stattgefundenen Lernprozesse gemeinsam mit den Lernenden zu re-flektieren, ohne dabei jedoch in nach-trägliche Rechtfertigungen zu verfal-len, wie Hattie dies oft beobachtet hat. Gegenstand der Reflexion ist eine Analyse darüber, wie die Lernprozes-se der Schülerinnen und Schüler vo-

rangekommen sind, oder aber – mit Blick auf die Lehrkraft –, welche Wir-kungen das Unterrichtshandeln auf die Lernenden gehabt hat.

Der Unterricht sollte so gestaltet sein, dass sich alle Schülerinnen und Schüler eingeladen fühlen, an Lern-prozessen auf der Grundlage von Respekt, Vertrauen und Optimismus teilzunehmen. Hinzu kommt die Kon-trollfrage, ob die Planung der Unter-richtsstunde so angelegt war, dass alle Schülerinnen und Schüler zu effizien-tem Lernen eingeladen wurden.

Zusammenfassung: Das Hattie‘sche Idealbild von Lehrenden und Lernenden Die von Hattie beschriebene Lehr-kraft verfügt über Wärme, Vertrauen, Empathie und die Fähigkeit, positive menschliche Beziehungen aufbauen zu können. Den Lernenden gegen-über zeigt sie Offenheit und Fairness sowie die Fähigkeit zum Dialog und zur Zusammenarbeit.

Lehrerinnen und Lehrer holen sich aktiv Rückmeldungen dazu ein, • inwieweit es ihnen gelungen ist, ei-

nen Wandel hin zu einem besseren Lernen zu bewirken,

• welches Maß an Inspiration sie ver-mitteln konnten und

• ob sie ihre Leidenschaft für ihr Fach an die Lernenden weitergeben konnten.

Die Schülerinnen und Schüler dis-kutieren untereinander das beab-sichtigte Lernen und die ihnen zu-geordneten Erfolgskriterien. Dabei überprüfen die Lehrkräfte, ob die Lernenden in der Lage sind, die Lern-ziele und Erfolgskriterien angemessen

zu formulieren, ob sie die Erfolgskri-terien erfüllen können und diese für hinreichend herausfordernd halten. Hattie geht es darum, dass die Leh-rerinnen und Lehrer genau diese In-formationen verwenden, wenn sie daran gehen, die nächste Lehr-/Lern- einheit zu konzipieren.

Zudem sollten Lehrpersonen im Unterricht Gelegenheiten für ein for-matives und summatives Verständnis

des Lernens schaffen und diese Analy-sen zur Planung ihrer Entscheidungen zum künftigen Lernen und Unterrich-ten in der jeweiligen Klasse nutzen. Auch hier unterstreicht Hattie sein generelles Anliegen, das Lehrende ihren Unterricht stets aus der (Lern-)Perspektive ihrer Schülerinnen und Schüler reflektieren sollten: Demnach endet jede Unterrichtseinheit damit, dass die Lehrpersonen den Lernertrag aus der Sicht der Lernenden und vor dem Hintergrund der beabsichtig-ten Lernintentionen reflektieren und Schlussfolgerungen für den weiteren Unterrichtsverlauf ableiten.

DIETER HÖFER

ULRICH STEFFENS

ERFORSCHT UND ENTWICKELT

Literatur

HATTIE, John A. C.: Visible Learning: A Syn-thesis of Over 800 Meta-Analyses Relating to Achievement. London, New York 2012.

HATTIE, John A. C.: Visible Learning for Teachers. Maximizing Impact on Learning. Lon-don, New York 2009

PIAGET, Jean: Das Wachsen des logischen Denkens von der Kindheit bis zur Pubertät, 1958

Vorschau auf Teil 3:

In der nächsten Ausgabe werden Grundlagen der Hattie‘sche Konzeption erläutert. Eine wesentliche Rolle spielen dabei Fragen des Gesamtsystems, die Schulleitung und das Modell des Wandels.

Der Unterricht sollte so gestaltet sein, dass sich alle Schülerinnen und Schüler eingeladen fühlen, an Lernprozessen auf der Grundlage von Respekt, Vertrauen und Optimismus teilzunehmen.

30 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

Page 31: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

Was ist eigentlich ein Eigenbrödler, ist das nicht jemand, der innerlich brodelt und mürrisch ist? Nein, denn Eigen-brötler wird mit „t“ geschrieben, denn er hat mit Brot zu tun: Ursprünglich be-zeichnet der Begriff Junggesellen, die ihr eigenes Brot backen. Sprachhistori-sche Herleitungen, die Besonderheiten der Getrennt- und Zusammenschrei-bung und viele weitere grammatika-lische Besonderheiten machen die deutsche Rechtschreibung schwierig. Allerdings gilt auch in Zeiten, in denen das Briefeschreiben ein wenig histo-risch anmutet, korrektes Schreiben als wichtig – auch in E-Mails und Apps. Denn Sprache ist eine der wichtigsten Kulturtechniken, auf der das gesell-schaftliche Miteinander fußt.

Wie aufregend und lehrreich der Umgang mit Sprache sein kann, zeigte wieder einmal der Wettbewerb „Frank-furt schreibt! Der große Diktatwettbe-werb“. 143 Oberstufenschülerinnen und -schüler, Lehrkräfte und Eltern aus 13 Frankfurter Schulen hatten sich am 27. Februar in Frankfurt einem an-spruchsvollen Diktat mit hohen Recht-schreibhürden gestellt. Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft hatte den Wettbewerb vor drei Jahren ins Leben gerufen. Seitdem erfreut er sich immer größerer Beliebtheit und hat sogar den Weg in das über 500 km entfernte Mai-land gefunden. Per Videokonferenz wa-ren die Wettbewerbsteilnehmerinnen und –teilnehmer aus der deutschen Schule in Mailand zugeschaltet.

Ob Aneinanderreihungen meh-rerer Wörter nun mit oder ohne Bin-destrich, feste Wortgruppen und Wendungen oder unbestimmte Zah-lenwörter groß- oder kleingeschrieben werden oder wie genau sich die Ge-trennt- und Zusammenschreibung bei Nomen und Verb gestalten, Übungs- und Lernfelder gab es im Vorfeld reichlich. Bereits lange vor dem Wett-bewerb konnten alle Kontrahentinnen und Kontrahenten trainieren, indem sie beispielsweise auf den Webseiten des Veranstalters Übungen wie Echtzeit-Diktate zum Mitschreiben, Lückentexte und Multiple-Choice-Übungen zur in-dividuellen Vorbereitung nutzten.

Im Dezember hatten die Schulen schließlich ihre Rechtschreibmeiste-rinnen und -meister nominiert, die jetzt im Finale zusammen mit Pro-minenten und Sprachprofis und der frisch gebackenen Konkurrenz aus Mailand antraten.

Die Sprachkultur, also Sprachbe-wusstsein, -beherrschung und -pflege, ist besonderen Herausforderungen ausgesetzt. So zeigte eine Studie zur „Li-teralität von Erwachsenen auf den unte-ren Kompetenzniveaus“ der Universität Hamburg, dass 13 Millionen Menschen in Deutschland trotz eines gebräuchli-chen Wortschatzes stark fehlerhaft schrei- ben. Es ist auch beobachtbar, dass der Umgang mit neuen Medien das Kom-munikationsverhalten verändert. Die schnelle Kommunikation dominiert im-mer häufiger zulasten der Qualität des schriftlichen Ausdrucks, Sorgfalt und korrektes Schreiben leiden. „Wir erleben ein Aufbrechen der Schriftkultur und des Schreibstils durch das Mündliche“, fasst die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main den Trend zusammen. Dabei ist die deutsche Sprache eine voll ausgebaute Sprache, die zudem grenz-überschreitend ist.

Der Wettbewerb trägt dazu bei, auf sportliche und informative Art und Weise Sprachkultur zu vermitteln. Dass dies große Freude bereiten kann, zeigten die Teilnehmerinnen und Teil-nehemr in Frankfurt jetzt sehr deutlich.

Und wer sich schon immer einmal der Herausforderung der deutschen Sprache stellen wollte: einfach auf http://www.frankfurt-schreibt.de klicken und loslegen!

SABINE STAHL

WER BRÖDELD, ÄH, BRÖDELT DENN DA?

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„Deutsch wird in 114 Ländern in der Schule gelernt“, Dr. Roland Kaehlbrandt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft (Foto: Sabine Stahl)

Constanze Angermann (hr) führte durch den Wettbwerb und gab sich beim Diktieren an der ein oder anderen Stelle als strenge Lehrerin (Foto: Sabine Stahl)

BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 31

Page 32: NR. 23 MRZ/2014 · 2017-11-17 · 2 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2014 BILDUNG BEWEGT NR.23 MRZ/2013 35 EDITORIAL ... Die kleine Lisa strahlt über das ganze Gesicht, während sie mit

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Vom 26. September bis 2. Oktober 2008 fuhr eine Gruppe von Schüle-rinnen und Schülern mit dem Fahrrad die ehemalige innerdeutsche Grenze entlang. Ihr Weg führte sie von Heil-genstadt nach Tann. Sie besuchten Gedenkstätten und sprachen mit Zeit-zeugen. Das Unterrichtsprojekt „Mit dem Rad Geschichte erfahren“ eines hessischen Geschichtslehrers wurde 2013 mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet – zu Recht.

Die Straße holpert unter den schmalen Rädern. Grün liegen links und rechts des Weges Wiesen. Büsche, Hecken und Wäldchen begleiten die Fahrt querfeldein. Vögel zwitschern, Bienen summen und die Fahrradket-ten klappern. In der Ferne sind abseits des breiten grünen Streifens, der sich durch das Land zieht, kleinere Ort-schaften und Städte zu erkennen. Wind weht den jugendlichen Radlerinnen und Radlern entgegen, das Treten wird beschwerlicher, es geht ein Stück berg-auf. Die Karte auf dem Lenker zeigt eine schwarze Linie, die sich zwischen Hessen und Thüringen entlangschlän-gelt und damit den Weg vorgibt – es ist Geschichtsunterricht an der hessischen Max-Beckmann-Schule.

Gut 220 Kilometer liegen vor den Schülerinnen und Schülern des Leistungskurses Geschichte. Ihr Weg führt sie entlang der ehemaligen in-nerdeutschen Grenze, die vielerorts – ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall – kaum mehr erkennbar ist. Hier, zwischen Hessen und Thüringen, bildet der Grenzverlauf einen bis zu fünf Kilometer breiten, grünen Strei-fen, der sich durch das Land zieht und die überwundene Trennung Deutsch-lands den Schülerinnen und Schülern

auf besondere Weise veranschaulicht. Auf die Idee gekommen, seinen

Schülerinnen und Schülern die jün-gere deutsche Geschichte auf einem Fahrradsattel statt auf einem Schul-stuhl näher zu bringen, ist Klaus-Jürgen Wetz. Der Geschichtslehrer aus Frankfurt am Main wurde für sein pädagogisches Engagement 2013 mit dem 3. Platz des Deutschen Leh-rerpreises in der Kategorie „Lehrer: Unterricht innovativ“ ausgezeichnet und konnte sich gegen rund 120 an-dere, bundesweit eingereichte Unter-richtsprojekte durchsetzen. Wetz ist nach Ansicht der hochrangig besetz-ten Wettbewerbs-Jury etwas gelun-gen, was im Rahmen des klassischen Schulunterrichts oftmals viel zu kurz kommt: Gelerntes um sinnliches Erle-ben und soziale Erfahrungen zu erwei-tern. Für die Schülerinnen und Schüler wurde der schulische Geschichtsun-terricht eine Woche lang ein Abenteu-er, das sie prägte und von dem sie ih-ren eigenen Kindern erzählen können.

Frank Junghändel, blondes Haar, Bart, sitzt lässig auf einem Stein, lä-chelt und berichtet über seinen eins-tigen Job: Grenzsoldat. „Es wurde nicht jeden Tag gesagt: Schießt. Es wurde immer gesagt: Im Notfall von der Schusswaffe Gebrauch machen. Das war der tägliche Hinweis. Und je-der hat gewusst, was das bedeutet.“ Die Schülerinnen und Schüler hören aufmerksam zu. Sie sind den Schick-salen hinter den geschichtlichen Er-eignissen einen Schritt näher gekom-men. Dass Deutschland einmal ein getrenntes Land war, ist eine Tatsache, die in den Geschichtsbüchern steht. 1.400 Kilometer zog sich die stark ge-sicherte Grenze durch Deutschland

und trennte nicht nur die BRD und die DDR, sondern auch den Westblock und den Ostblock, die Nato und den Warschauer Pakt zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Grenze wurde zum „Ei-sernen Vorhang“, bewacht von 30.000 Soldaten. Es herrschte Schießbefehl. Über 1.000 Menschen verloren bei dem Versuch, vom Osten in den Wes- ten zu fliehen, ihr Leben. Städte, Dörfer und Familien wurden durch die Zo-nengrenze getrennt. Für die radeln-den Schülerinnen und Schüler waren dies bislang nur nüchterne Zahlen auf trockenem Papier.

„Und dann bin ich hier entlang, die Böschung runter und war im Westen.“ Reinhard Müller steht vor den Schüle-rinnen und Schülern, die Arme stän-dig in Bewegung. Der DDR-Flüchtling erzählt von seiner Flucht, von seiner Angst, von seinem Glück, unversehrt die Grenze überwunden zu haben. Seine Hände weisen in die Richtung, aus der er damals den Schritt über die Grenze wagte – die Anspannung ist ihm heute noch anzumerken. Die Begegnung mit Zeitzeugen wurde sorgfältig vor Reiseantritt vorbereitet. Ein halbes Jahr bereitete die Gruppe an mehreren freiwilligen Projektnach-mittagen die gemeinsame Reise vor, plante Besichtigungen, Exkursionen, Gespräche, klärte organisatorische Fragen. Die detaillierte Arbeit hat sich im Rückblick gelohnt. Besonders ein-drücklich waren die persönlichen Be-gegnungen. „Die Empathie, die da erzeugt wird, beeindruckt die Schüler und führt zu einer erhöhten Nachhal-tigkeit“, davon ist Klaus-Jürgen Wetz überzeugt, „ich habe ein Interesse und eine Motivation bei den Schülern er-lebt, wie ich es mir vorher nicht habe vorstellen können. Ich habe gemerkt, da bewegt sich etwas.“ Wetz beklagt, dass die Lehrpläne immer weniger Raum für die Umsetzung derartiger Projekte lassen. Grundvoraussetzung ist eine Schule, die solchen Vorhaben positiv gegenübersteht, diese ermög-licht und unterstützt.

Die Radtour war nicht nur in curricu-larer Hinsicht ein Erfolg. Über die Fahrt und das gemeinsam Erlebte sind die Klassenkameradinnen und -kamera-den des Geschichtskurses zusammen-gewachsen und Freunde geworden. Auch das Verhältnis der Schülerinnen und Schüler zu ihrem Lehrer und die Verantwortung für ihr eigenes Lernen wurden durch das gemeinsame Ge-schichtsprojekt positiv beeinflusst. Für

QUERFELDEIN DURCH DIE DEUTSCHE GESCHICHTE

32 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

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DER POLYTECHNIK-PREIS – EINE WERTSCHÄTZUNG DER FACHDIDAKTIK

Am 12. November 2013 wurde in Frankfurt am Main zum zweiten Mal der Polytechnik-Preis für die Didaktik der Mathematik, Informatik, Natur-wissenschaften und Technik verliehen. Ausgezeichnet wurden die fünf besten Lehr- und Lernkonzepte für Kinder-tagesstätten und Grundschulen. Zur Preisverleihung im Senckenberg Na-turmuseum kamen Vertreterinnen und Vertreter Frankfurter Kindergärten, Grundschulen sowie der unterstützen-den Bildungseinrichtungen der Stadt Frankfurt, des Landesschulamtes und des Hessischen Kultusministeriums zusammen. Mit dem Polytechnik-Preis würdigt die Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main her-ausragende Konzepte, die in vorbild-licher Art und Weise mathematische, naturwissenschaftliche und technische Grundlagen im Elementar- und Pri-marbereich vermitteln.

Der erste, mit 50.000 Euro dotierte Preis ging an Prof. Dr. Kornelia Möller für ihr Unterrichtskonzept „Klasse(n)kisten“. Die Klassenkisten dienen dazu, Grundschullehrkräfte mit Materialien und Anleitungen auszustatten, damit diese ihren Schülerinnen und Schülern innovativen naturwissenschaftlichen Unterricht anbieten können – bei-spielsweise zu Themen wie „Schwim-men und Sinken“ oder „Luft und Luft-druck“. Möller gehört zu den ersten Fachdidaktikerinnen, die Anfang der 1990er-Jahre begannen, Materialien

zu entwickeln, die Lehrkräfte fachlich, didaktisch und organisatorisch darin unterstützten, naturwissenschaftlich-technischen Unterricht durchzuführen.

Vier zweite Preise, die jeweils mit 5.000 Euro dotiert sind, wurden ver-geben an: Prof. Dr. Hedwig Gasteiger von der Ludwig-Maximilians-Universi-tät München für ihr Konzept zur frühen mathematischen Bildung in Alltags- und Spielsituationen, Prof. Dr. Gisela Lück von der Universität Bielefeld für ihren Geschichten und Experimente kombinierenden Ansatz naturwissen-schaftlicher Bildung im frühen Kindes-alter, Prof. Dr. Brunhilde Marquardt-Mau von der Universität in Bremen für ihre Laborkonzepte ELISA-LAB und KIGA-LAB sowie Prof. Dr. Christoph Selter von der TU Dortmund für sein Konzept „PIK AS: Kompetenzorien-tierter Mathematikunterricht in der Grundschule“.

Allen ausgezeichneten Konzepten ist gemeinsam, dass sie sich an der Le-benswelt und den Alltagserfahrungen von Kindern und Schülerinnen und Schülern orientieren. Die Konzepte sind so angelegt, dass sich die Kinder auf Entdeckungsreise begeben und sich das Wissen selbst aneignen kön-nen. Die Lehrkräfte begleiten die Lern-prozesse ihrer Schülerinnen und Schü-ler und achten darauf, dass diese sich mit der Methodik naturwissenschaftli-chen Arbeitens vertraut machen. Bei der Ausarbeitung der Konzepte wurde

die Expertise von Hochschulwissen-schaftlerinnen und -wissenschaftlern, Lehrkräften und Studierenden einbe-zogen.

Wie wichtig es ist, Kinder bereits früh an naturwissenschaftliches Ex-perimentieren und Entdecken heran-zuführen, belegen die Befunde einer Längsschnittstudie, die Prof. Dr. Möller auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik im September 2013 präsentierte. Die Studie analysiert das Interesse und die Einstellung von Kindern sowie de-ren Unterricht im Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I. Das Ergebnis: Das nachlassende Inte-resse an den naturwissenschaftlichen Fächern könnte durch das abneh-mende Zutrauen in die eigenen Fä-higkeiten und das ebenfalls weniger ausgeprägte eigene Untersuchen und Erforschen von Phänomenen im Un-terricht mit verursacht sein.

Mit der Preisverleihung ist gleich-zeitig ein Transferprozess der ausge-zeichneten Projekte für den Frankfurter Raum verbunden. Die prämierten Kon-zepte werden in 20 Frankfurter Grund-schulen und 31 Kindertagesstätten um-gesetzt. Der Startschuss hierfür wurde mit fünf „Werkstätten“ am Nachmittag vor der Preisverleihung gesetzt.

CHRISTOPH MAITZEN

Die Dokumentation und Bilder zur Preisverleihung finden Sie im Internet unter www.sptg.de/polytechnik-preisverleihung.aspx.

manch eine Schülerin und manch ei-nen Schüler waren die Reise und der Unterricht so prägend, dass sie sogar den weiteren Werdegang und die Wahl des Berufs beeinflusst hat. Zum Unterrichtsprojekt sind zwischenzeit-lich eine Broschüre und ein Film ent-standen, die andere Schulen dazu er-mutigen möchten, sich ebenfalls auf historische Spurensuche zu begeben.

Heute steht der innerdeutsche Grenzverlauf unter Naturschutz. Viele Jahre unberührt, ist das Gebiet der ehemaligen deutsch-deutschen Gren-ze ein Refugium für seltene und be-drohte Tier- und Pflanzenarten. 1989, kurz nach dem Mauerfall, wurde auf Initiative des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und

des Freistaats Thüringen das Projekt „Grünes Band Deutschland“ gegrün-det, das große Teile des ursprüngli-chen Grenzstreifens umfasst. Der Grenzverlauf eignet sich insofern

nicht nur für Erkundungstouren von Geschichtslehrerinnen und -lehrern. Auch für Biologielehrkräfte gibt es hier viel zu entdecken. KERSTIN RHEINGANS

MATERIALIEN FÜR DEN UNTERRICHT:

Wetz, Klaus-Jürgen: Mit dem Rad Geschichte erfahren. Historische Spurensuche an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Wiesbaden: Hessische Landeszentrale für politi-sche Bildung 2012. Die Broschüre erläutert die Stationen der Radtour, legt die didak-tischen Überlegungen dar und gibt Tipps für die Planung und Durchführung eines solchen Projekts.

Mit dem Rad Geschichte erfahren. Ein Film von Jürgen Ritter und Dietrich Zarft. DVD (50 min, 16:9/PAL), 2009. Die historische Spurensuche der Schülerinnen und Schüler wurde damals filmisch begleitet. Der Film zeigt die einzelnen Stationen der Reise. Der Film kann bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung kostenlos ausge-liehen werden.

BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014 33

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Der bekannte neuseeländische Bil-dungsforscher John Hattie stellte am 20. November 2013 bei einer gemeinsa-men Veranstaltung des Hessischen Kul-tusministeriums und der Goethe-Univer-sität Frankfurt Ergebnisse seiner Studien vor. Rund 500 Teilnehmerinnen und Teil-nehmer aus Politik und Bildungsverwal-tung erlebten einen informativen und zugleich höchst unterhaltsamen Vortrag. Hattie nutzte die Veranstaltung, um seine polarisierende Aussage - die Reduktion der Klassengröße spiele keine Rolle – ge-nauer zu erläutern. Der Kern sei auch hier das vielzitierte Credo: „Auf den Lehrer kommt es an!“ Denn solange Lehrkräfte ihren Unterricht nicht verändern, könne beispielsweise auch eine Verkleinerung der Klassengröße keine Auswirkung auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler haben. Hattie verdeutlichte: „Es geht nicht um die Struktur, sondern darum, was wir in ihr machen!“ Zudem steige in kleineren Klassen der Redean-teil der Lehrkräfte deutlich. Zeit, die auch

für qualitätsvolles Feedback verloren gehe. Interessanterweise unterscheiden sich die Ansichten von Lehrkräften und Schülerinnen bzw. Schülern darüber, was gutes Feedback ausmache und wel-che Erwartungen damit verknüpft seien, deutlich. Hattie ist dem nachgegangen, indem er Lehrkräften die Frage stellte, worum es ihnen beim Feedback gehe. In ihren Antworten stellten sie zumeist den Lerninhalt in den Vordergrund und die Frage, ob die Schülerinnen und Schüler die Standards erreicht hätten. Frage man hingegen Schülerinnen und Schüler, was sie von einem Feedback erwarten, so lautet die Antwort klar und deutlich: „Sag mir, was die nächsten Schritte sind, um mein Ziel zu erreichen!“ (vgl. hierzu auch Bildung bewegt Nr. 22 „Das Lernen beflügeln“, Interview mit Helen Timper-ley). Aber wie hoch sollten die Anforde-rungen an die Schülerinnen und Schüler sein, um das Ziel zu erreichen? Dies zu bestimmen, sei eine große Herausforde-rung für Lehrkräfte. Hattie vergleicht die-

sen Prozess mit dem Märchen „Goldlöck-chen und die drei Bären“: Goldlöckchen probiert von den Breischüsseln der drei Bären und findet die erste zu kalt, die zweite zu heiß und erst die dritte genau richtig. Dementsprechend dürfe Unter-richt weder zu einfach noch zu schwer sein. Nur so könne die Motivation der Schülerinnen und Schüler aufrechterhal-ten werden. Einen ähnlichen Effekt habe laut Hattie jeder erlebt, der schon einmal Videospiele gespielt hat. Der Schwierig-keitsgrad ist stets individuell an die Fer-tigkeiten des Spielenden angepasst und ist ein Level erreicht, startet gleich das nächsthöhere und anspruchsvollere. Auch wenn es als kleinen Wermutstrop-fen keine abschließende Fragerunde gab, bot sich zumindest im Anschluss an den Vortrag die Gelegenheit, den charismatischen John Hattie persönlich kennenzulernen. Beides lohnt sich: Hat-tie lesen und Hattie erleben.

SANDRA BUSCHMÜLLER

JOHN HATTIE ZU GAST IN FRANKFURT

Die Stuhlreihen im Congress Center in Düsseldorf waren gut besetzt, als Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VEB) und Mi-chael Gloss, Geschäftsführer der Wolters Kluwer Deutschland GmbH, den dritten Deutschen Schulleiterkongress eröffne-ten. Die Zuhörerschaft – Schulleiterinnen und Schulleiter, Forscherinnen und For-scher sowie Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft – waren aus dem In- und Ausland angereist, um sich für die eige-ne Arbeit inspirieren zu lassen, anregen-de Vorträge zu hören, auf interessante Persönlichkeiten zu treffen und sich un-tereinander auszutauschen.

Der Schulleiterkongress, der vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) und der Verlagsgruppe Wolters Kluwer Deutschland veranstaltet wird, widmete sich dieses Jahr dem Thema „Schulleiter gehen in Führung“. Rund 2.000 Teilneh-merinnen und Teilnehmer besuchten über 90 Einzelveranstaltungen – Vorträ-ge, Praxisforen, Workshops und Round-Table-Gespräche –, die von über 80 Expertinnen und Experten aus der wis-senschaftlichen Forschung und der un-terrichtlichen Praxis angeboten wurden. Zu den Referentinnen und Referenten zählten auch bekannte Persönlichkeiten aus der Wirtschafts- und Unterhaltungs-welt wie Peter Maffay, Joey Kelly, Katja Saalfrank, Prof. Dr. Claus Hipp und Prof.

Dr. Gesine Schwan. Anmoderiert wurden die Hauptvorträge von Nina Ruge.

Peter Maffay berührte in seinem er-öffnenden Vortrag die Zuhörerinnen und Zuhörer mit seinem Plädoyer, dass jedes Kind einen Schutzraum brauche. Vor Jahren habe er erkannt, dass man sich im Leben – auch als Musiker – po-sitionieren müsse. Seitdem investiert er viel Kraft und Zeit in seine Stiftung und die damit verbundenen Projekte und Angebote. Katja Saalfrank, ehemalige RTL-Super-Nanny, lenkte nachdrücklich den Blick auf die Kinder. Die Kinder und ihr Wohlergehen sollten im Mittelpunkt jedes Erziehungsvorgangs stehen. Man sollte immer „mit Kindern reden, nicht über sie“. Unterrichten sei eine per-sönliche Sache, bei der die Güte der Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden entscheidend sei und nicht die ordnungspolitischen Rahmenbe-dingungen. Gebe es Störungen oder Probleme im Unterricht, so habe dies einen Grund, den es im Gespräch zwi-schen Lehrkraft und Kind zu erörtern gelte. Unterhaltsam stellte Joey Kelly in seinem Vortrag „No Limits“ anhand sei-nes eigenen Werdegangs – vom „Kelly“ zum Extremsportler – vor, dass man mit Ausdauer, Disziplin und klaren Zielen seinen inneren Schweinehund besie-gen und Ungeahntes erreichen könne. Respekt voreinander, Leistungsbereit-

schaft und eine gute Stimmung seien die Fundamente des Erfolgs.

Gesine Schwan hob in ihrem Beitrag „Wettbewerb oder Potenzialentfaltung – für welche Zukunft lernen wir?“ nach-drücklich hervor, dass kein Kind auf der Strecke bleiben dürfe. Jedes Kind ver-füge über ein Potenzial, das entdeckt und gehoben werden wolle. Im heuti-gen, stark wettbewerbsorientierten Bil-dungsumfeld werde stattdessen Ausle-se betrieben und die Ungleichheit und Ungerechtigkeit verschärft. Gleichzeitig verdeutlichte sie, welche gesellschaftli-che Relevanz das Menschenbild habe, das als Ideal den Erziehungsbemühun-gen zugrunde gelegt werde.

Insgesamt fällt auf, dass Schulleitun-gen und Schulen inzwischen eine inte-ressante Zielgruppe für die Wirtschaft darstellen. Die Balance zwischen päd-agogischem Angebot und wirtschaft-lichen Interessen zu wahren, wird eine spannende Herausforderung darstellen. Der Deutsche Schulleiterkongress stellt bundesweit das größte Forum für Schul-leitungsfragen dar. Ziel der Veranstalter ist es, das breite Aufgabenspektrum von Schulleiterinnen und Schulleitern zu verdeutlichen und auf eine erhöhte Auf-merksamkeit für die Belange und Hand-lungsnotwendigkeiten in der Öffentlich-keit zu erzielen. KERSTIN RHEINGANS

SCHULLEITUNGSKONGRESS RÜCKT DIE FÜHRUNGSKOMPETENZEN IN DEN FOKUS

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BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2013 352 BILDUNG BEWEGT NR. 23 MRZ/2014

EDITORIAL

„ELTERN WERDEN IST NICHT SCHWER, …

… Eltern sein dagegen sehr!“ So könnte der Ausruf eines Helikopter-Papas klingen, der täglich den Erfolgsdruck spürt und voller Sorge ist, in der Rolle als erziehender Vater zu versagen. Er würde mit diesem Satz vermutlich vielen Eltern aus der Seele sprechen, die spüren, dass die Erziehungsverant-wortung immer größer wird; Eltern, die mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kämpfen, die bei ihren Kindern alles richtig machen wollen und am Ende doch als „Helikoptereltern“ bezeichnet werden.

Inzwischen widmet sich eine ganze Reihe von Zeitungsartikeln und Büchern diesen sehr fürsorglichen Müttern und Vätern, die immer dabei sein wollen, die sich einmischen und den Luftraum über den Köpfen ihres Nachwuchses besetzen, weil sie beispielsweise Gefahr von ihren Kindern abwenden oder ihnen die bestmögliche schulische Ausgangssituation sichern möchten.

Aber handelt es sich bei den Helikoptereltern vielleicht nur um das Produkt einer Medienkampagne? Oder deutet sich ein ernst zu nehmendes Phänomen an, aus dessen Fahrwasser reihenweise unmündige Kinder hervorgehen? Sollten kundige Leserinnen und Leser die Aufregung um über- behütende Eltern lediglich amüsiert zur Kenntnis nehmen oder besteht echter Handlungsbedarf? Die Einschätzungen gehen hier auseinander.

Auf jeden Fall gesichert ist die Erkenntnis, dass die Deutungshoheit über den Erfolg oder Misser-folg von Erziehungsbemühungen schon lange nicht mehr nur bei den Eltern liegt. Das Verhalten der Elternschaft wird öffentlich be- und auch verurteilt und medial genüsslich aufbereitet. Hunderte an Ratgebern weisen den richtigen Weg. Von „Pathologien“ ist dort die Rede. Mal leiden wir unter Erziehungsnotstand, dann wieder unter einem Erziehungsstil á la „Overprotection“.

In dieser Gemengelage scheint es am besten, sich in dem Parcours aus Überbehütung, Frühoptimie-rung, „Quality Time“, Elternführerschein und Gefahrenvermeidung eine eigene Meinung zu bilden.

BILDUNG BEWEGT wünscht Ihnen mit der 23. Ausgabe viel Freude beim Kennenlernen verschiedener Perspektiven und bei der Meinungsbildung.

Jörg Meyer-Scholten Sabine StahlPräsident des Landesschulamtes (k.m.d.W.b.) Chefredakteurin BILDUNG BEWEGT

Jörg Meyer-Scholten Präsident des Landesschulamtes (k.m.d.W.b.)

Sabine Stahl Chefredakteurin BILDUNG BEWEGT

ADRESSEN & ANSPRECHPARTNER

Landesschulamt und LehrkräfteakademieHauptsitz: Kirchgasse 2, 65185 [email protected] Tel.: +49 (0) 611 368 2657

Präsident des LSAJörg Meyer-ScholtenTel. + 49 (0) 611 368 2657

Abteilung ZZentrale Dienste und ServiceleistungenJoachim Schmidt Tel. +49 (0) 611 368 2659

Abteilung ISchulaufsicht und SchulberatungDr. Marion Steudel Tel. +49 (0) 611 368 2204

Abteilung IIAkademie für Lehrerbildung und PersonalentwicklungFrank SauerlandTel. +49 (0) 69 38989 300

Abteilung IIIQualitätsentwicklung und EvaluationJoachim Schmidt (komm. m.d.W.d.G.b.)Tel. +49 (0) 611 5827 400

Die Tagungseinrichtungen Rhein-Main-GebietErwin-Stein-HausStuttgarter Straße 18 – 2460329 FrankfurtTel. + 49 (0) 69 38989 330

Nordhessen/Reinhardswaldschule Rothwestener Straße 2 – 1434233 FuldatalTel. + 49 (0) 561 8101 0

Mittelhessen/WeilburgFrankfurter Straße 20 – 2235781 WeilburgTel. + 49 (0) 6471 3281 00

IMPRESSUM

Herausgeber: Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

Gesamtverantwortung: Sabine Stahl

Kontakt: [email protected]

Redaktion: Sandra Buschmüller, Julia Gülich, Kerstin Rheingans, Sabine Stahl

Layout und Gestaltung: www.sixfeetone.de, Frankfurt/Main

Druck und Verarbeitung: Druckerei Hesse, Fuldabrück

Mediadaten und Anzeigenannahme: Kerstin Rheingans

Erscheinungsweise: vierteljährlich

Auflage: 5.000

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 15. April 2014

Landesschulamt und LehrkräfteakademieStuttgarter Straße 18 – 2460329 Frankfurt

[email protected]

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TERMINHINWEISE

Veranstaltungen im März 2014

13. Deutscher Lehrertag 2014 – Frühjahrstagung

Ort: Congress Center Leipzig Nähere Informationen:

www.bildungsmedien.de

24.03.- SchulKinoWochen Hessen04.04. Ort: Kinos im Rhein-Main-Gebiet,

Region Mitte, Nord- und Südhessen Nähere Informationen:

www.schulkinowochen-hessen.de

25.-29. didacta Bildungsmesse Ort: Landesmesse Stuttgart Nähere Informationen:

www.gew-berlin.de/ssl/526_781.php

Veranstaltungen im April 2014

02. 4. Ausbildertagung 2014 Ort: Hotel Esperanto, 36037 Fulda Nähere Informationen:

www.smadias.de/veranstaltung/ 4-ausbildertagung-2014-in-fulda/

Veranstaltungen im Mai 2014

09.-11. 18. Bundeskongress Legasthenie und Dyskalkulie

Ort: Congress Center Erfurt Nähere Informationen:

http://bvl-legasthenie.de/kongress2014

Veranstaltungen im Juni 2014

06.-15. 54. Hessentag Ort: Bensheim Nähere Informationen:

www.hessentag2014.de/

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ACHTUNG, FREILAUFENDE KINDER!

LASST EUCH NICHT VERUNSICHERN!Interview mit Prof. Dr. Jürgen Oelkers

NR. 23 MRZ/2014

Die Broschüre zeigt unterrichtliche Praxis im kompetenzorientierten, fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundar-stufe I. Sie integriert dabei aktuelle Ansätze und Ergebnisse der Bildungs-forschung. Am Phänomen Sehen wird nachvollziehbar, wie Unterricht von der Idee und einem konkreten Thema her geplant und vorbereitet werden kann. Der Band illustriert, wie Lernszenarien gesteuert werden können, die das individuelle Lernen der Schülerinnen und Schüler in den Fokus stellen. Das Prozessmodell und das Planungsraster bilden den Rahmen für die Planung des Unterrichtes. Die Broschüre zeigt praxistaugliche In-strumente und Methoden auf und bietet Hilfs- und Planungsinstrumente. Zahlreiche Aspekte des Phänomens Sehen werden fächerverbindend bearbeitet, indem physikalische und biologische Wissensbestände mit-einander vernetzt werden.

1. Aufl. Dezember 2013, 76 SeitenBestell-Nr.:10009Preis: 8,80 € (zzgl. Versandkosten)

Die Broschüre ist zu beziehen bei:Landeschulamt und Lehrkräfteakademie Rothwestener Str. 2-14, 34233 FuldatalFax: 0561-8101180, E-Mail: [email protected]

Kinder begegnen ihm mit großer Neugier und Vorfreude auf eine aktive Auseinandersetzung. Mit dieser Unterrichtseinheit für die Klassen 5 und 6 er-möglichen Sie Ihren Schülerinnen und Schülern eine Erstbegegnung mit der Welt der Stoffe und ihren chemischen Veränderungen. „Feuer und Flamme“ bietet Ihnen eine gelungene Mischung praxiserprobter Unterrichtsmateriali-en und fachdidaktisch fundierter Konzepte. Die spannenden Versuchsreihen beinhalten Lehrkräftebögen für die Planung des Unterrichts sowie konkrete Arbeitsblätter für die Schülerinnen und Schüler. Diese Unterrichtseinheit ist bewusst als Loseblattsammlung in einem Ordner arrangiert worden, der auf-grund seiner Größe weitere kompetenzorientierte Materialien für den natur-wissenschaftlichen Unterricht der Klassen 5 und 6 aufnehmen kann.

1. Aufl. Oktober 2013, 120 SeitenBestell-Nr.:10008Preis: 16,80 € (zzgl. Versandkosten)

Der Ordner ist zu beziehen bei:Landeschulamt und Lehrkräfteakademie Rothwestener Str. 2-14, 34233 FuldatalFax: 0561-8101180, E-Mail: [email protected]

NEUE VERÖFFENTLICHUNGEN

Ich sehe was, was du nicht siehst – Das Phänomen Sehen im kompetenzorientierten und fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht der Sekundarstufe I

Feuer und Flamme – was für ein faszinierendes Naturphänomen!

Landesschulamt und LehrkräfteakademieKirchgasse 2, 65185 Wiesbadenwww.lsa.hessen.de