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Aktueller Forschungsstand der Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern und Jugendlichen nach DSM-5 und ICD-10(11) 2. Schleswig-Holsteinische Fachtage Neumünster, 20.04.2018 Prof. Dr. I. Kamp-Becker Dr. T. Stehr Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Psychosomatik und Psychotherapie, Philipps- Universität, Marburg www.asd-net.de

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Aktueller Forschungsstand der Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern und

Jugendlichen nach DSM-5 und ICD-10(11)

2. Schleswig-Holsteinische Fachtage Neumünster, 20.04.2018

Prof. Dr. I. Kamp-BeckerDr. T. Stehr

Klinik für Kinder- und JugendpsychiatriePsychosomatik und Psychotherapie, Philipps-

Universität, Marburg

www.asd-net.de

Aktueller Forschungsstand der Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern und Jugendlichen nach DSM-5

und ICD-10(11)

Gliederung

1. Historisches

2. Diagnostische Kriterien des DSM-5: Was ist neu und warum?I. Unterscheidung der Subtypen

II. diagnostische Validität der Kategorie PDD-NOS

III. Dimensional oder kategorial?

IV. Anzahl der definierten Bereiche

V. Beginn der Störung (age of onset)

VI. hohe Heterogenität von autistischen Störungen

VII. Begleitende Erkrankungen

3. Die Spezifität der diagnostischen Kriterien

4. Störungskonzept und Implikationen für – Diagnostik

Konsequenz für die Praxis

ASD= Autism Spectrum Disorder = Autismus

Historisches zum Begriff des Autismus

• Heller (1908): dementia infantilis, Heller‘sche Demenz

• Bleuler (1911): Autismus als Grundsymptom der Schizophrenie mit deutlichem Kommunikationsverlust und Rückzug in eigene Gedankenwelt

• Kanner (1943): frühkindlicher Autismus; von Geburt an Defizite am Aufbau sozialer Interaktionen

• Asperger (1944): „autistische Psychopathie“, keine Sprachentwicklungs-störungen und durchschnittliche Intelligenz; Lorna Wing (1981): Asperger-Syndrom

Historisches zum DSM

• DSM-I (1952) & DSM-II (1968): Keine Nennung “Autism” oder“Pervasive Developmental Disorder”

• DSM-III (1980): erstmals „Pervasive Developmental Disorders(PDD): Childhood Onset PDD, Infantile Autism, Atypical Autism“

• DSM-III-R (1987): PDD-NOS, Autistic Disorder

• DSM-IV (1994): Asperger Disorder, Childhood DisintegrativeDisorder, Rett syndrome

Autism Spectrum Disorder (ASD)Autismus-Spektrum-Störung

Neue Kategorie im DSM-5 (und auch in der ICD 11, 2018), die übergreifend gilt für:

• Frühkindlichen Autismus

• Asperger-Syndrom

• PDD-NOS/atypischer Autismus

Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung

• Intellektuelle Beeinträchtigungen

• Kommunikationsstörung– Sprachstörung– Artikulationsstörung– Redeflussstörung (Stottern)– Soziale (Pragmatische) Kommunikationsstörung

• Autismus-Spektrum-Störung

• Aufmkersamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

• Spezifische Lernstörung

• Motorische Störungen– Entwicklungsbezogene Koordinationsstörung– Stereotype Bewegungsstörung– Tic-Störungen

Klassifikation nach DSM-5: Autismus-Spektrum-Störung

A. Anhaltende Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion über verschiedene Kontexte hinweg (alle drei)1. Defizite in der sozio-emotionalen Gegenseitigkeit2. Defizite im nonverbalen Kommunikationsverhalten3. Defizite in der Aufnahme, Aufrechterhaltung und dem Verständnis von Beziehungen

B. Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, mindestens zwei1. Stereotype motorische Bewegungsabläufe, stereotyper oder repetititver

Gebrauch von Objekten oder von Sprache2. Festhalten von Gleichbleibendem, unflexibles Festhalten an Routinen

oder an ritualisierten Mustern verbalen und nonverbalen Verhalten3. Hochgradig begrenzte, fixierte Interessen, die in ihrer Intensität oder

ihrem Inhalt abnorm sind4. Hyper- oder Hyporeaktivität auf sensorische Reize oder ungewöhnliches

Interesse an Umweltreizen

Schweregrad

Soziale Kommunikation Restriktive, repetitive Verhaltensweisen

Ebene 3 „Sehr umfangreiche

Unterstützung erforderlich“

Starke Einschränkungen der verbalen und nonverbalen sozial- Kommunikationsfähigkeiten verursachen schwerwiegende funktionelle Beeinträchtigungen, eine sehr begrenzte Initiierung sozialer Interaktionen und eine minimale Reaktion auf soziale Angebote von anderen…..

Unflexibilität des Verhaltens, extreme Schwierigkeiten im Umgang mit Veränderungen oder andere restriktive/repetitive Verhaltensweisen mit ausgeprägten Funktionsbeeinträchtigungen in allen Bereichen. …

Ebene 2 „Umfangreiche Unterstützung erforderlich“

Ausgeprägte Beeinträchtigungen in der verbalen und nonverbalen sozialen Kommunikationsfähigkeit. Die sozialen Beeinträchtigungen sind auch mit r Unterstützung deutlich vorhanden, reduzierte Initiierung von sozialen Interaktionen oder abnormale Reaktion auf soziale Angebote von anderen….

Unflexibilität des Verhaltens, Schwierigkeiten im Umgang mit Veränderungen oder andere restriktive/repetitive Verhaltensweisen treten häufig genug auf, um auch frü den ungeschulten Beobachter offensichtlich zu sein, und sie beeinträchtigen das Funktionsniveau in einer Vielzahl von Kontexten .

Ebene 1 „Unterstützung erforderlich“

Die Einschränkungen in der sozialen Kommunikation verursachen ohne Unterstützung bemerkbare Beeinträchtigungen. Schwierigkeiten bei der Liniierung sozialer Interaktionen sowie einzelne deutliche Beispiele von unüblichen oder erfolglosen Reaktionen aus soziale Kontaktangebote anderer. Scheinbar vermindertes Interessen an sozialen Interaktionenr….

Unflexibilität des Verhaltens führt zu deutlichen Funktionsbeeinträchtigungen in einem oder mehreren Bereichen. Schwierigkeiten, zwischen Aktivitäten zu wechseln. Probleme in der Organisation und Planung beeinträchtigen die Selbständigkeit.

Klassifikation nach DSM-5: Schweregrade

Klassifikation nach DSM-5: ASD

C. Die Symptome müssen bereits in der frühen Entwicklungsphase vorliegen

D. Die Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen

E. Die Störung kann nicht besser durch eine intellektuelle Beeinträchtigung oder eine allgemeine Entwicklungsverzögerung erklärt werden.

Personen, die deutliche Defizite in der sozialen Kommunikation haben, jedoch nicht die Kriterien für ASD erfüllen, sollen die Diagnose Soziale (Pragmatische) Kommunikationsstörung erhalten

Klassifikation nach DSM-5: ASD

Zusatzcodierungen- mit oder ohne begleitende intellektuelle Beeinträchtigung

- mit oder ohne begleitende sprachliche Beeinträchtigung

- in Verbindung mit einer bekannten körperlichen Erkrankung, genetischen oder Umweltbedingung (z. B. Fragiles-X-Syndrom, Epilepsie, fetales Alkoholsyndrom)

- in Verbindung mit einer anderen Störung der neuronalen oder mentalen Entwicklung oder einer anderen psychischen Verhaltensstörung (z. B. ADHS, Angst, Tic, Selbstverletzung, Ausscheidungsstörung etc.)

- mit oder ohne Katatonie

Aktueller Forschungsstand der Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen bei Kindern und Jugendlichen nach DSM-5

und ICD-10(11)

Gliederung

1. Historisches

2. Diagnostische Kriterien des DSM-5: Was ist neu und warum?I. Unterscheidung der Subtypen

II. diagnostische Validität der Kategorie PDD-NOS

III. Dimensional oder kategorial?

IV. Anzahl der definierten Bereiche

V. Beginn der Störung (age of onset)

VI. hohe Heterogenität von autistischen Störungen

VII. Begleitende Erkrankungen

3. Die Spezifität der diagnostischen Kriterien

4. Störungskonzept und Implikationen für – Diagnostik

ASD= Autism Spectrum Disorder = Autismus

Tiefgreifende EntwicklungsstörungenKlassifikation ICD 10

F 84.0 Frühkindlicher Autismus

F 84.1 Atypischer Autismus

F 84.2 Rett-Syndrom

F 84.3 Desintegrative Störungen des Kindesalters

F 84.4 überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien

F 84.5 Asperger-Syndrom

F 84.8 sonstige TES

F 84.9 nicht näher bezeichnete TES

Asperger-Syndrom

Unterscheidung der Subtypen

Kategorialer Ansatz im ICD-10 und DSM-IV

Frühkindl.Autismus

PDD-NOS/Atypischer Autismus

• eng definierte diagnostische Kategorien, hohe Spezifität!• Annahme der diagnostischen Homogenität trotz Überlappung von Symptomen

Unterscheidung der Subtypen

• Viele Studien konnten keine qualitativen Unterschiede zwischen den Subtypen identifizieren

Bennett et al., 2008; Cederlund et al. 2008; Kamp-Becker et al., 2010; Klin & Volkmar 2003; Leekamet al. 2000; Mayes et al. 2001; Miller & Ozonoff 2000; Sanders 2009; South et al., 2005; Woodbury-Smith et al., 2005; Szatmari et al. 2009

• Nur geringe Übereinstimmung hinsichtlich der Differenzierung: Autismus, PDD-NOS oder Asperger Syndrom auch unter Experten (Kappa 0.31) Lord et al., 2012; Williams et al., 2008

Asperger-Syndrom

Unterscheidung der Subtypen DSM-5

Frühkindl.Autismus

PDD-NOS/Atypischer Autismus

→ Ziele DSM-5 entsprechend der empirischen Evidenz wird die Aufteilung in

Subtypen zugunsten der Bezeichnung Autismus-Spektrum-Störung aufgegeben

Klinische Realität und die Heterogenität von ASD wird besser abgebildet DSM-5, p 17

Autismus-Spektrum-Störung

Pervasive Developmental Disorders- not other specified –

PDD-NOSKlassifikation DSM-IV

299.0 Autistic Disorder

299.10 Childhood Disintegrative Disorder

299.80 Pervasive Developmental Disorders not other specified„category should be used where there is a severe and pervasive impairment of reciprocal social interaction orverbal and nonverbal communication skills, or when stereotyped behavior, interests, and activities are present” (DSM-IV, p 77).

299.80 Rett´s Disorder

299.80 Asperger´s Disorder

Pervasive Developmental Disorders not other specified

97% der Probanden mit PDD-NOS zeigen keine repetitiven, stereotypen Verhaltensweisen Mandy et al. 2011; s.a.Walker et al. 2004

Sehr geringe Interrater-Reliabilität - selbst unter Experten (0.18)! Mandy et al. 2011

Sensitivität = .98, Spezifität = .26 Volkmar et al., 2000

Stabilität der Diagnose insbesondere bei jüngeren Kindern fraglich Berry 2009; Helt et al. 2008; Lordet al. 2006 Rondeau et al. 2011; van Daalen et al.,, 2009; Woolfenden et al., 2012; Brennan et al., 2015

Mehr allgemeine Verhaltensprobleme, geringere Intensität der ASD-SymptomatikGreaves-Lord et al., 2013

Mandy et al., 2011, p. 6

N = 256

Mean age = 9.1 years

Klassifikation nach DSM-5

• Geringere Sensitivität, Prävalenz der ASD↓ Kulage et al., 2014

• Höhere Spezifität, bessere Abgrenzbarkeit zu anderen Störungen ↑Gibbs et al.2012; McPartland et al. 2012; Worley and Matson 2012

• Vorhandensein von repetitiven, stereotypen Verhaltensweisen erhöht die Abgrenzbarkeit/Spezifität der Diagnose Kim & Lord, 2010; Le Couteur et al., 2008; McChonachie et al., 2005

• keine ASD-Diagnose nach DSM-5 bei bis zu 70% der Fälle Smith, Reichow & Volkmar 2015, p 2547

→ Ziel DSM-5: Erhöhung der Spezifität der Diagnose ohne Sensitivität zu gefährden

Dimensional oder kategorial?Kategoriale Diagnosen!

→ Ziele DSM-5

– Kategoriale Diagnosen bleiben weiter bestehen, da „es wissenschaftlich verfrüht ist, derartige alternative Definitionen für viele Störungen einzuführen“ DSM-5, p 18

– „Neugruppierung von verwandten Störungen innerhalb der bestehenden kategorialen Ordnung“ DSM-5, p 17

• „Neurodevelopmental Disorders / Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung

Dimensional oder kategorial?Kategoriale Diagnosen!

Konsequenz für die Praxis

Abgrenzbarkeit zu anderen Störungen möglich und notwendig –wenngleich manchmal nicht einfach….

Es gibt nicht den Menschen, der ein „bißchen“ im autistischenSpektrum, sondern es gibt mehr oder weniger schwerbetroffene Patienten mit ASD, es gibt Gesunde und es gibtMenschen mit anderen psychiatrischen Störungen

auch: Sprachauffälligkeiten

(Echolalie, stereotyper Sprachgebrauch, verbale Rituale)

Anzahl der definierten Bereiche

Begrenzte Interessen & stereotype

Verhaltensmuster

Störung der sozialen

Kommunikation Autismus

Constantino et al., 2004; Frazier et al., 2008, Georgiades et al., 2013; Gotham et al., 2007; Kamp-Becker, et al., 2009; Lecavalier et al., 2006;

Mandy et al., 2012

→ Ziel: DSM-5 entsprechend der empirischen Evidenz = zwei Bereiche

Beginn der Störung

• Kein Zweifel an der empirisch gesicherten Erkenntnis, dass ASD eine Störung ist, deren Beginn bereits im zweiten Lebensjahr oder früher zu beobachten ist.

Constantino & Charman, The Lancet, 2016, p 287

Ellis Weismer et al., 2010; Guthrie et al., 2013; Landa et al., 2006; Messinger et al., 2013; Mitchell et al., 2006; Lord et al., 2012; Ozonoff et al., 2011, 2014; Warren & Jones, 2013; Zwaigenbaum et al., 2005

Gesichter anschauen

Gerichtete Vokalisation

Soziales Lächeln

Soziale Beteiligung

Beginn der Störung

Ziele DSM-5:

– Es muss sichergestellt werden, dass der Störungsbeginn in der frühen Kindheit liegt

– Informationen sollten auf mehreren Informationsquellen beruhen, die die frühe Kindheit mit berücksichtigen

s.a. Nice Guidelines, 2011, S3 Leitlinien Autismus

Hohe Heterogenität von autistischen Störungen

• Hohe Heterogenität durch Subtypen und Beschreibung der Symptomatik im DSM-IV und ICD-10 nicht gut beschreibbar

• die Zusatzcodierungen im DSM-5 beschreiben– Schweregrad beschreibt die notwendige Unterstützung aufgrund Defiziten in der

sozialen Kommunikation und restriktiver, repetitiver Verhaltensweisen

– Intellektuelle Beeinträchtigung

– Sprachliche Beeinträchtigung

→ Ziel DSM-5:

Definition differenzierter Kriterien und Beschreibungen mit dem Ziel einer genauen Phänotypiseriung

Verlauf/Outcome insgesamt

• Intelligenz, insbesondere Verbal-IQ

• Sprachfähigkeit im Alter von 6 Jahren

• Schwere der Symptomatik

• komorbide StörungenKamp-Becker et al., 2009; Taylor et al., 2009; Kjellmer et al., 2012; Gotham et al. 2012; Fountain et al., 2012;Strauss et al., 2013; Magiati et al., 2014; Vivanti et al., 2014; Lord et al., 2015; Gillberg et.al., 2016

Konsequenz für die Praxis:

Sprachliche Förderung bei jüngeren Kindern zentral

Verlaufsdiagnostik hat hohen Stellenwert

Hohe Heterogenität von autistischen Störungen: Prognose

Begleitende Erkrankungen

• Vielzahl von möglichen begleitenden Erkrankungen, genetischen Bedingungen

• Intellektuelle Beeinträchtigung: IQ<70 bei 65 – 71 % Nice Guidelines, 2011, S3 Leitlinien Autismus

• Sprachentwicklungsstörung ca. 63% der Fälle Levy et al., 2010

Veenstra-VanderWeele & Blakely, 2012, p. 197

Begleitende ErkrankungenAufmerksamkeitsdefizit-

/Hyperaktivitätstörung (ADHS)

• Zwischen 21- 41% der Patienten mit ASD haben ADHSNice Guidelines, 2011; Simonoff et al., 2008, Levy et al., 2010

• Ca. ein Drittel der Patienten mit ADHS haben einige autistische Symptome van der Meer et al., 2012

ADHS ist mögliche Komorbidität und mögliche Differentialdiagnose

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätstörung (ADHS)

Gemeinsamkeiten mit ASD• genetischer Hintergrund Rommelse et al., 2010; Rommelse et al., 2011

– Deutliche genetische Gemeinsamkeiten für kommunikative Defizite und ADHS-Symptome, (genetic correlations = .47-.51), moderate für repetitives Verhalten (.12-.33) und weniger für soziale Defizite (.05-.11) Taylor et al., 2015

• neuronale Korrelate Brieber et al., 2007; Gargaro et al., 2011

• Defizite in der Inhibitionskontrolle Xiao et al., 2012, Sinzig et al., 2008

• Defizite in den sozialen Kognitionen (Emotionserkennung, Theory of Mind, Empathie)Buhler et al., 2011; Nyden et al., 2010; Rumpf et al., 2012; Uekermann et al., 2010; Reiersen, 2011; Bons et al., 2013:

• Defizite in der Fähigkeit zur sozialen Interaktion/sozialen Kompetenz Ames & White, 2011; Reiersen, 2011; Green et al., 2015, Green et al., 2016

• ADHS: 21% über ADOS cut-off, 30% über ADI cut-off

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätstörung (ADHS)

Unterschiede im Vergleich zu ASD• weniger Defizite in der sozialen Reziprozität, nonverbalen Kommunikation

und repetitive, stereotype Verhaltensweisen Dickerson Mayes et al., 2012

• Defizite der „Theory of mind“ entwickeln sich erst im Verlauf Bühler et al., 2011

• Bei Autismus + ADHS– deutlichere Autismus-Symptomatik– schlechtere Prognose

Yers et al., 2009, Sprenger et al. 2015, Kamp-Becker et al., submitted, Craig et al., 2015

Konsequenz für die Praxis• Symptomatik des ADHS leitliniengetreu behandeln • ASD-Diagnostik erst nach Behandlung der ADHS!

Begleitende Erkrankungenweitere psychiatrische Störungen

70 – 80% haben mindestens eine,

ca. 40% zwei komorbide Störungen

Nice Guidelines, 2011; S3 Leitlinie Autismus-Spektrum-Störungenhttp://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-018.html

0

10

20

30

40

50

60

70

autism ASD

Angstst.

selbstverl.

Schlafstr.

ADHS

SSV

opp.St.

Depression

Zwangstr.

Tic

Tourette

Epilepsie

Zerebralparese

Sinnesbe.

Ziel DSM-5: Individuelle Variation abbilden und entsprechende Behandlungsmöglichkeiten anzeigen

A Anhaltende Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion über verschiedene Kontexte hinweg:

1. Defizite in der sozial-emotionalen Gegenseitigkeit, z.B.

• Abnorme soziale Kontaktaufnahme

• Fehlen von normaler wechselseitiger Konversation

• Verminderter Austausch von Interessen, Gefühlen und Affekten

• Unvermögen, auf soziale Interaktionen zu reagieren bzw. diese zu initiieren Defizite in den Bereichen: Emotionserkennung, Theory of Mind, Empathie

Klassifikation nach DSM-5Autismus-Spektrum-Störung

F84.0

In Studien belegte Defizite bei – ADHS– Störungen des Sozialverhaltens– Depressionen – Emotionalstörungen, AngststörungenBuitelaar et al. 1999; Pine et al., 2008; Sinzig et al., 2008; Bühler et al. 2011; van der Meer

et al. 2012; Stroth et al., in prep.

– Lese- und RechtschreibstörungenClark et al. 2008; Grossman & Tager-Flusberg 2008

– SprachentwicklungsstörungenHomer & Rutherford 2008; Gross, 2004

– sozialer Phobie Wong et al. 2012

– EssstörungenCaglar-Nazali et al., 2014

→ Konsequenz für die Praxis: Defizite in der Fähigkeit Emotionen zuzuordnen, können sehr verschiedene Hintergründe haben

Defizite in der Fähigkeit Emotionen in Gesichtern zu erkennen

Identifikation

TheoryofMind

Perspektiven-Übernahme

KognitiveEmpathie

EmotionaleEmpathie

„EmotionalContagion“

Theory of Mind / Empathie

Fähigkeit zur Theory of Mind und Empathie

Reifung

Sprachliche Fertigkeiten

Kognitive Fertigkeiten

Aufmerksamkeit

Motivation

Motorik

Defizite in der Fähigkeit zur Theory of Mind und Empathie

– Sprachstörungen Andres-Roqueta et al. 2013; Dyck & Piek 2010; Farrar et al. 2009; Wisdom et al. 2007

– ADHS Ueckermann et al., 2010; Bühler et al. 2011; Rumpf et al. 2012; Miranda et la. 2013

– Sozial-pragmatische Kommunikationsstörung Burkner-Wertman et al., 2016

– Schizophrenie Übersicht in: Bora et al.,2006, 2008

– Störung des Sozialverhaltens O'Nions et al., 2014; Pasalich et al., 2014; Schwenck et al., 2014; Sebastian et al., 2012

– Essstörungen Caglar-Nazali et al., 2014

– Persönlichkeitsstörungen Shamay-Tsoory et al. 2010; Strunz et al. 2014

• Psychopathie, antisoziale PS Jones et al., 2010; Blair 2008

• Borderline PS Dziobek etal. 2011; Harari et al., 2010

• Narzisstische PS Wiehe, 2003

– neurologische Störungen vgl. Freedman & Stuss 2011; Siegal & Varley 2002; Stone & Gerrans 2006

– Sinnesbeeinträchtigungen Fazzi et al., 2007; Williams et al., 2013; Dammeyeret al., 2014; Hobson & Bishop 2003

s.a. Decety & Moriguchi, 2007; Korkmaz, 2011; Thoma et al., 2013; Nuske et al., 2013

Identifikation

TheoryofMind

Perspektiven-Übernahme

KognitiveEmpathie

EmotionaleEmpathie

„EmotionalContagion“

Theory of Mind / Empathie

Defizite in der Theory of Mind und Empathie

Reifung

Sprachliche Fertigkeiten

Kognitive Fertigkeiten

Aufmerksamkeit

Motivation

Motorik

Konsequenz für die Praxis: Können sehr unterschiedliche

Hintergründe haben

A Anhaltende Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion über verschiedene Kontexte hinweg: 2. Defizite im nonverbalen Kommunikationsverhalten, das

in sozialen Interaktionen eingesetzt wird z.B.

• schlecht aufeinander abgestimmten verbalen und nonverbalen Kommunikation

• abnormer Blickkontakt und abnormer Körpersprache• Defizite im Verständnis und Gebrauch von Gestik• vollständiges Fehlen von Mimik und nonverbaler Kommunikation

Klassifikation nach DSM-5Autismus-Spektrum-Störung

Ebenfalls auffällig bei

• Depression

• emotionale Störungen, soziale Phobie, Mutismus

• Schizophrenie

• Aufmerksamkeitsstörungen Tyson & Cruess 2012

A Anhaltende Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion über verschiedene Kontexte hinweg: 3. Defizite in der Aufnahme, Aufrechterhaltung und dem

Verständnis von Beziehungen z.B.

• Schwierigkeiten das eigene Verhalten an verschiedene soziale Kontexte anzupassen

• Schwierigkeiten sich in Rollenspielen auszutauschen oder Freundschaften zu schließen

• Fehlen von Interesse an Gleichaltrigen

Klassifikation nach DSM-5Autismus-Spektrum-Störung

Keine Spezifität für ASD, kommt bei nahezu allen psychiatrischen Störungsbildern vorMeyer-Lindenberg & Tost, 2012

B Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, die sich in mindestens zwei der folgenden aktuell oder in der Vergangenheit erfüllten Merkmalen manifestieren:

1. Stereotype oder repetitive motorische Bewegungs-abläufe, stereotyper oder repetitiver Gebrauch von Objekten oder der Sprache, z.B.• einfache motorische Stereotypien• Aufreihen von Spielzeug • Hin- und Herbewegen von Objekten• Echolalie• idiosynkratrischer Sprachgebrauch

Klassifikation nach DSM-5Autismus-Spektrum-Störung

Kommen ebenfalls vor bei: Intelligenzminderung, Sinnesbeeinträchtigungen; Sprachstörungen

Carcani-Rathwell et al. 2006; Ventola et al. 2007; Wilkins and Matson 2009; Muthugovindan and Singer 2009; Matson et al. 1997, 2010; Guttmann-Steinmetz et al. 2010; Renno & Wood 2013; van Steensel et al., 2013; Bejerot et al., 2014; Green et al., 2016

B Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, die sich in mindestens zwei der folgenden aktuell oder in der Vergangenheit erfüllten Merkmalen manifestieren:

2. Festhalten an Gleichbleibendem, unflexibles Festhalten an Routinen oder an ritualisierten Mustern verbalen oder nonverbalen Verhaltens, z.B.• Extremes Unbehagen bei kleinen Veränderungen• Schwierigkeiten bei Übergängen• Rigide Denkmuster oder Begrüßungsrituale• Bedürfnis täglich den gleichen Weg zu gehen oder das gleiche

Essen zu sich zu nehmen

Klassifikation nach DSM-5Autismus-Spektrum-Störung

Carcani-Rathwell et al. 2006; Ventola et al. 2007; Wilkins and Matson 2009; Muthugovindan and Singer 2009; Matson et al. 1997, 2010; Guttmann-Steinmetz et al. 2010; Renno & Wood 2013; van Steensel et al., 2013; Bejerot et al., 2014; Green et al., 2016

Kommen ebenfalls vor bei: Normalität, emotionale Störungen, Zwangsstörungen, oppositionelle Störungen, Intelligenzminderung; ADHS

B Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, die sich in mindestens zwei der folgenden aktuell oder in der Vergangenheit erfüllten Merkmalen manifestieren:

3. Hochgradig begrenzte, fixierte Interessen, die in ihrer Intensität oder ihrem Inhalt abnorm sind, z.B.

• Starke Beschäftigung mit ungewöhnlichen Objekten

• Extrem umschriebene und perseverierende Interessen

Klassifikation nach DSM-5Autismus-Spektrum-Störung

Kommen ebenfalls vor bei: Normalität, ADHS, emotionale Störungen

Carcani-Rathwell et al. 2006; Ventola et al. 2007; Wilkins and Matson 2009; Muthugovindan and Singer 2009; Matson et al. 1997, 2010; Guttmann-Steinmetz et al. 2010; Renno & Wood 2013; van Steensel et al., 2013; Bejerot et al., 2014

Zusammenfassung diagnostische Kriterien und ihre Spezifität

Grundlegende, früh beginnende und situationsübergreifende Beeinträchtigung

in der gegenseitigen Interaktion und Kommunikation,

in Kombination mit deutlich eingeschränkten, repetitiven Verhaltensmustern, Interessen oder Aktivitäten

Die einzelnen Symptome sind nicht spezifisch, sondern lediglich die Symptomkonstellation!

„autistisch anmutende Züge/Traits“ bei vielen anderen Störungen

Störungskonzept

Abnormale genetische Codes für die Hirnentwicklung / Umweltfaktoren („Second hits“)

Abnormale Mechanismen für die Hirnentwicklung

Strukturelle und funktionale Abnormalitäten im Gehirn

Neuropsychologische Auffälligkeiten

Symptome

Störungskonzept: Implikationen für die Diagnostik

Abnormale genetische Codes für die Hirnentwicklung / Umweltfaktoren („Second hits“)

Abnormale Mechanismen für die Hirnentwicklung

Strukturelle und funktionale Abnormalitäten im Gehirn

Neuropsychologische Auffälligkeiten

Symptome

Beginn in der frühen Kindheit in allen Situationen

persistieren über die Lebensspanne Symptomatik ist nicht durch das Vorliegen anderer

Störungen ausreichend erklärbar

Störungskonzept: Implikationen für die Diagnostik

Constantino & Charman, The Lancet, 2016

• Verhaltensbeobachtung

– ADOS

– Home-Videos

• Vorbefunde aus anderen Institutionen

– KJP, Ergotherapie, Logopädie

– Sämtliche Schulzeugnisse

– Kindergartenberichte, Frühförderung

• Anamnese mit den Bezugspersonen

– ADI-R

• Intelligenzdiagnostik

• Körperlich-neurologische Untersuchung

• Differentialdiagnostische Abklärung

Zusammenfassung Diagnostikdurch spezialisierte Stelle

Sprachentwicklungsverzögerung oder -störung

Gemeinsamkeiten

• nicht altersgemäßer Gebrauch oder Verständnis der Sprache

• Spielfertigkeiten sowie die Fähigkeit zur Phantasie können ebenfalls nicht altersgerecht

• Probleme in der sozialen Kommunikation und Interaktionsfähigkeit

• Sprachauffälligkeiten (Echolalien, ein stereotyper Sprachgebrauch, Neologismen)

• Emotionserkennung und -interpretation, Theory of MindBishop, 2010; Bishop & Norbury, 2002; Andres-Roqueta et al., 2013; Dyck & Piek, 2010; Farrar et al., 2009; Wisdom et al., 2007; Homer & Rutherford, 2008; Howlin et al., 2000; Mawhood et al., 2000

Sprachentwicklungsverzögerung oder -störung

Unterschiede

• kompensatorischer Einsatz nonverbaler Kommunikationsmittel (Blickkontakt, geteilte Aufmerksamkeit, Gesten usw.) McArthur & Adamson, 1996

• soziale Motivation ist nicht beeinträchtigt

• geringe Auffälligkeiten der sozialen Interaktion und Empathiefähigkeit Ventola et al., 2007

Konsequenz für die Praxis•Nicht zu früh festlegen und erst die Sprachstörung behandeln•falsch positive Diagnose einer ASD hat negative Konsequenzen

Wirkungen und Nebenwirkungen einer falsch positiven Diagnose

ASD liegt nicht vor, Diagnose wird jedoch vergeben

• keine spezifische Behandlung!

• Annahme einer genetisch verursachten und nicht heilbaren, lebenslangen Störung!

– Leid, Enttäuschung, Angst

– Gefahr der „Schonhaltung“, geringer Veränderungsmotivation….

• langfristige Folge: Diagnose wird unglaubwürdig!

Wirkungen und Nebenwirkungen einer falsch negativen Diagnose

ASD wurde fälschlicherweise ausgeschlossen, liegt aber tatsächlich vor

• keine „frühe“ und spezifische Behandlung!

• Frustration und große Belastung für die Kinder/Familien

Zusammenfassung

• Frühe und valide Diagnose wichtig, Differentialdiagnostik hat hohen Stellenwert– Kliniker muss Erfahrung haben

• mit dem gesamten Spektrum von Autismus• mit sämtlichen Differentialdiagnosen

• Autismus-Spektrum-Störung ist eine kategoriale Diagnose

• eine falsch negative ist ebenso problematisch wie eine falsch positive Diagnose– aktuell eher „Gefahr“ von falsch positiven Diagnosen mit der langfristigen

Folge, dass die Diagnose unglaubwürdig wird

• den „Autisten“ gibt es nicht, nur Menschen mit sehr verschiedenen Problemen

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!