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Oasen unter Wasser

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Nr. 3 | 35. Jahrgang 2005 | Biol. Unserer Zeit | 143

| E D I TO R I A L

Moderne Korallenriffe, die wir schnorchelnd, tauchendoder auch auf Bildern und in Filmen in ihrer bunten Viel-

falt bewundern, werden insbesondere von Scleractinia (Stein-korallen) aufgebaut. Auch der weiße Sandstrand der Koral-lenküsten ist ein Produkt der Kalkbildner der Riffe. Der Traum-strand vieler Menschen ist also biogen und ein Sammelsuriumvon Tier- und Algenresten, oft mit einer speziellen Interstitial-fauna. Welcher Tourist hat schon darüber nachgedacht, wo-rauf er seine Badematte eigentlich ausbreitet? Wer hat diesenSand gar einmal mit dem Binokular angesehen und versucht,die wunderschönen Gehäuse, Skelettreste und auch lebendenOrganismen zu identifizieren?

In der Tat ist das Gefühl für Ästhetik ein Grund, weswegenviele Menschen geradezu euphorisch werden, wenn sie ein

Korallenriff für sich entdecken. Doch indem Thema steckt noch viel mehr: DerLebensraum Korallenriff kann Biologenden besten Einblick in die Vielfalt derTiere vermitteln, stellt uns vor ungelösteFragen, wenn es um Raumaufteilung,Konkurrenz und Kooperation geht – undwird mit einer nie dagewesenen Ge-schwindigkeit zerstört.

Moderne Korallenriffe stellen neben den tropischen Re-genwäldern das artenreichste Ökosystem auf der Erde dar.

Wer das erste Mal ein Korallenriff besucht, wird zunächst praktisch nur Tiere ganz verschiedener systematischer Zu-gehörigkeit sehen. Sie bauen ihren eigenen, sehr differenzier-ten Lebensraum auf, existieren in unglaublicher Dichte, oft inKolonien, oft in Symbiose, und leuchten in den buntesten Farben. Dieses Leben bildet jedoch nur eine außerordentlichdünne und empfindliche Schicht auf einem Calciumcarbonat-sockel, der kilometerdick sein kann und im Laufe vieler Jahreentstand.

In den nährstoffarmen Weiten der warmen Ozeane sind Ko-rallenriffe Oasen in einer Wasserwüste und nachwachsender

Küstenschutz für Meeresanrainer. Sie verdienen Schutz, werdenjedoch – ähnlich wie die tropischen Regenwälder – über dieMaßen ausgebeutet. Man schätzt, dass 40 Prozent der Welt-erdöl- und Welterdgasvorkommen in Riffkalken liegen, die zu-dem selbst eine wichtige Rohstoffquelle darstellen und welt-weit abgebaut, fischereiwirtschaftlich oder touristisch genutztwerden. Riffe sind nicht nur Lebensräume, sondern in vielerHinsicht auch in unserer ökonomisierten Welt im Focus.

Dieser Problematik ist das vorliegende Heft gewidmet. Fe-derführend bei der Zusammenstellung der Artikel zum

Thema Korallenriffe war Professor Helmut Schuhmacher von

Oasen unter Wasser

Volker Storch ist Professor für Zoologiean der Universität Heidelberg und Kuratorvon Biologie in unsererZeit.

der Universität Essen, der mit seiner Arbeitsgruppe seit fastdrei Jahrzehnten intensiv über Riffe arbeitet.

Die gefährdeten modernen Korallenriffe haben sich erst inder Erdneuzeit entfaltet; ihre Ursprünge liegen vermut-

lich im Mesozoikum. Wahrscheinlich nehmen sie nur wenigeProzent der gesamten Zeitspanne ein, in welcher es bereits Riffe auf der Erde gegeben hat. Vor zwei Milliarden Jahren be-ginnend, waren zunächst Prokaryoten (Stromatolithen) wich-tige Riffbauer. Im Erdaltertum dominierten die Korallengruppender Rugosa und Tabulata, die fossil mit den Stromatoporen auchin verschiedenen Regionen Mitteleuropas zu finden sind, ins-besondere im Rheinland. Ende des Paläozoikums fielen sie demgrößten Massenaussterben aller Zeiten zum Opfer. Im Erdmittel-alter erlebten die Rudisten eine besondere Entfaltung, insbe-

sondere in der Kreide, als der Meeres-spiegel einen Höchststand erreichte.Kurz vor Ende des Mesozoikums starbenauch sie aus und hinterließen den so ge-nannten Rudistenkalk.

Doch zurück zur Gegenwart: Andersals in üblichen Ausgaben von „Bio-

logie in unserer Zeit“ beginnt dieses Heftmit einer Reihe von Unterwasserauf-

nahmen. Sie wurden von Winfried Werzmirzowsky aufgenom-men, der in seinen Berufsjahren als Pilot tausende und aber-tausende Menschen in Großraumflugzeugen sicher durch dieLüfte transportiert hat und sich jetzt möglichst viel Zeit nimmt,um Schönheit und Vielfalt unter Wasser zu dokumentieren. Andieser Stelle sei den Autoren und ihm für ihre Unterstützungbei dieser Ausgabe der BIUZ gedankt!

Leider bietet der weltweite Zustand der Riffe nicht geradeAnlass zu Optimismus. Es gibt jedoch auch, wenngleich in

geringem Umfang, positive Nachrichten: Zunehmend gelingtdie Fortpflanzung von Riffkorallen in Farmen und Aquarien. Eine teilweise Riffrestauration scheint möglich zu sein. Auchdarüber berichten wir in diesem Heft.

Doch wohin wird die Reise gehen – über „Riffprothesen“in die Zukunft? Oder kommt Homo sapiens doch noch zu

der Einsicht, dass Riffe unser besonderes Augenmerk verdie-nen? Lesen Sie dieses Heft!

Ihr

VOLKER STORCH

„RIFFE SIND OASEN IN DER

WASSERWÜSTE UND NACH-

WACHSENDER KÜSTENSCHUTZ

FÜR ANRAINER.“

A B B . 1Scleractinia (Steinkorallen)bauen einenwesentlichen Teildes Riffkalkes auf.Lange wurden siedaher von den Ge-lehrten des Abend-landes als Steineoder als speziellePflanzen („Litho-phyta“) interpre-tiert. Sie gehöreninnerhalb der Anthozoa zu denHexacorallia. Bild: Winfried Werzmirzowsky

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A B B . 2 Unmenge von Fischen an einer Riffkante. Ein Viertel aller marinen Fischarten weltweit lebt imBereich von Korallenriffen. Bild: Winfried Werzmirzowsky

A B B . 3 Die Polypen der Octocorallia besitzen je acht gefiederte Tentakel. Bild: Winfried Werzmirzowsky

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A B B . 5 Auch die größte Muschel der heutigen Fauna, die Riesenmuschel Tridacna, lebt zwischen Riffkorallen und wie diese mit einzelligen Algen inSymbiose. Bild: Winfried Werzmirzowsky

A B B . 4 Steinkorallen-Stöcke sind lebendige Architektur: Das Gemeinschaftswerk tausender Polypen einer Kolonie, die ursprünglich auf eine einzige Planula-Larve zurückgehen, wird an- und umgebaut, aber auch von diversen Organismen angefressen und angebohrt. Hier eine Assoziationvon Ascidien und Polychaeten in einem besonders langsam wachsenden Steinkorallenblock. Bild: Winfried Werzmirzowsky

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A B B . 6 Echinodermata, die zum Beispiel mit den wunderbaren Haarsternen im Riff vorkommen, gehören ebenfalls zu den Kalkbildnern. Viele halten sich am Tage verborgen und entfalten ihre Krone nachts, um Nahrung einzustrudeln. Bild: Winfried Werzmirzowsky

A B B . 7 Tunicaten sind Strudler, die einzeln oder auch in Kolonien vorkommen. Sie gehören zu den Chordatieren, besitzen einen umfangreichen Kie-menkorb und im Larvalstadium eine Chorda dorsalis. Vermutlich sind diese Tunicaten durch Stolonen alle asexuell aus einem Tier hervorgegangen.Bild: Winfried Werzmirzowsky

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A B B . 8 Dichter ist eine Besiedlung kaum vorstellbar: Hier sitzt eine Ascidie an der nächsten, hier und da auch in Nachbarschaft einer Octokoralle,eines Schwammes oder einer Moostier-Kolonie. Bild: Winfried Werzmirzowsky

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