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Psychodoping, Kraftverstärker oder Placebo? Was Kinesiotapes wirklich leisten Bei den olympischen Spielen in London waren sie massenhaft zu bestaunen: mit Kinesiotapes quietschbunt beklebte Arme, Beine, Rücken, Bäuche und Hälse von Athleten. Die luftdurchlässigen, wasserfesten Klebestreifen werden mittler- weile in den verschiedensten Bereichen eingesetzt, etwa bei Muskelverletzungen und -verspannungen, Achillessehnenreizungen, Bänderdehnungen, aber auch zur Schmerzlinderung sowie zur Stabilisierung und Funktionverbesserung be- stimmter Muskelbereiche. Die Haut wird an den getapten Stellen etwas angehoben. Die resultierende Druckentlastung soll die Blut- und Lymphzirkulation anregen und einen gewissen Massageeffekt haben. Je nachdem, wie die Bänder angebracht werden, kommt es zur Anspannung oder Entspannung der entsprechenden Muskulatur. Speziel- le Schmerztapes sollen die Mechanorezeptoren der Haut aktivieren und Schmerz- rezeptoren blockieren. Mittlerweile sind die Tapes in 17 Farben im Handel: rotes Band soll die Durchblutung steigern, blaues beruhigen, grünes die Regeneration fördern, beiges den Lymphfluss erhöhen etc. Zahlreichen Studien zum Trotz stehen handfeste wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit des Kinesiotapings noch aus. In einer aktuellen Metaanalyse [ Sports Medicine 2012; 42(2): 153–164] neuseeländischer Wissenschaftler zu den Effekten der Kinesiotapes hielten nur zehn der 97 publizierten Studien den Ein- schlusskriterien der Autoren stand. Zwar zeigten sich in einigen Bereichen einzel- ne positive Effekte, doch besteht nach Ansicht der Autoren bislang insgesamt noch keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz, die eine therapeutische Empfehlung des Kinesiotapings rechtfertigen würde. Dr. Christine Starostzik Schlecht verheilte Brüche stören Patienten offenbar kaum Dislozierte Klavikelfraktur: Operation oder Schlinge? Anstelle der konventionellen Ruhigstellung in der Schlinge oder im Rucksackverband werden bei dislozierten Frakturen der Klaviku- la immer öfter primär operative Verfahren propagiert. In einer ran- domisierten Vergleichsstudie hat nun ein finnisches Ärzteteam beide Strategien verglichen. Bei 32 Patienten wurde die dislozierte geschlossene Schlüsselbeinfraktur für drei Wochen mit einer Schlin- ge versorgt. 28 Patienten erhielten eine Plattenosteosynthese mit Kortikalisschrauben (Durchmesser 3,5 mm) und anschließender Schlingenimmobilisierung, ebenfalls für drei Wochen [Virtanen KJ et al. J Bone Joint Surg Am. 2012; 94: 1–8]. Nach einem Jahr zeigte sich bei den auswertbaren 51 Patienten weder im Hinblick auf die Funktion noch auf die Behinderung ein nennenswerter Unterschied. Gemessen wurden diese Parameter im Constant Score bzw. im DASH (Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand). Als sekundäre Endpunkte wurden Schmerzen, Frakturhei- lung und Komplikationen definiert. Die Schmerzen waren nach ei- nem Jahr in beiden Gruppen vergleichbar, nicht aber die Heilungs- raten: Im Röntgenbild zeigte sich, dass nur 19 der 25 ausgewerteten konservativ behandelten Frakturen (76 %) gut zusammengewachsen waren. Der Erfolg der OP lag dagegen bei 100 %. Bei den schlecht verheilten Frakturen war der Behinderungsgrad objektiv zwar höher mit schlechteren Werten im DASH-Score, sub- jektiv schien dies die Betroffenen jedoch nicht übermäßig zu stören. Die Funktion war trotz suboptimaler Heilung überwiegend gut und die Patienten verspürten erstaunlich wenig Symptome. Nur dreien machte der schlecht verheilte Bruch zu schaffen. Dr. Elke Oberhofer Alltagstaugliche Prophylaxe Öfter auf einem Bein stehen – das kann Stürze verhindern Der Schlüssel zur effektiven Sturzprophylaxe ist die Integration des Kraft- und Gleichgewichts- trainings in den normalen Tagesablauf. Eine Möglichkeit hierzu bietet das sogenannte LiFE- Progreamm (Lifestyle Integrated Functional Exercise), wie eine australische Forschergruppe der Universität Sydney in einer dreiarmigen Prä- ventionsstudie mit 317 sturzgefährdeten Perso- nen über 70 Jahren zeigen konnte [Clemson L et al. Integration of balance and strength training into daily life activity to reduce rate of falls in ol- der people; the LiFE study; BMJ 2012;345:e4547 doi: 10.1136/bmj.e4547]. Alle Studienteilnehmer waren im Jahr vor Studienbeginn mindestens zweimal gestürzt, wiesen aber keine kognitiven oder motorischen Probleme auf. Beim LiFE-Programms bauen die Teilnehmer die Kraft- und Gleichgewichtsübungen in ihren All- tag ein. Sie gehen beispielsweise öfter mal seit- wärts, verlagern das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, stehen auf nur einem Bein oder wechseln zwischendurch abrupt die Richtung. Dabei durften sie sich zunächst noch gut festhal- ten, sollten aber mit der Zeit versuchen, immer weniger Halt zu benötigen. Einer Kontrollgruppe wurden zwölf leichte Übungen gelehrt, die sie im Sitzen oder Liegen ausführen konnten, etwa die Beine zu schwingen. Nach einem Jahr verzeichneten die Forscher in der Kontrollgruppe 224 Stürze, aber nur 172 in der LiFE-Gruppe. Insgesamt war das Sturzrisiko mit LIFE um 31 % geringer als in der Kontroll- gruppe. Thomas Müller © Neil Munns/EPA/dpa Knappe Sportbekleidung bringt es an den Tag: Bunte Klebebänder sind bei Athleten höchst beliebt. 8 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2012; 15 (5) Panorama

Öfter auf einem Bein stehen — das kann Stürze verhindern

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Psychodoping, Kraftverstärker oder Placebo?

Was Kinesiotapes wirklich leisten — Bei den olympischen Spielen in London waren sie massenhaft zu bestaunen:

mit Kinesiotapes quietschbunt beklebte Arme, Beine, Rücken, Bäuche und Hälse von Athleten. Die luftdurchlässigen, wasserfesten Klebestreifen werden mittler-weile in den verschiedensten Bereichen eingesetzt, etwa bei Muskelverletzungen und -verspannungen, Achillessehnenreizungen, Bänderdehnungen, aber auch zur Schmerzlinderung sowie zur Stabilisierung und Funktionverbesserung be-stimmter Muskelbereiche.Die Haut wird an den getapten Stellen etwas angehoben. Die resultierende Druckentlastung soll die Blut- und Lymphzirkulation anregen und einen gewissen Massageeffekt haben. Je nachdem, wie die Bänder angebracht werden, kommt es zur Anspannung oder Entspannung der entsprechenden Muskulatur. Speziel-le Schmerztapes sollen die Mechanorezeptoren der Haut aktivieren und Schmerz-rezeptoren blockieren. Mittlerweile sind die Tapes in 17 Farben im Handel: rotes Band soll die Durchblutung steigern, blaues beruhigen, grünes die Regeneration fördern, beiges den Lymphfluss erhöhen etc.Zahlreichen Studien zum Trotz stehen handfeste wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit des Kinesiotapings noch aus. In einer aktuellen Metaanalyse [Sports Medicine 2012; 42(2): 153–164] neuseeländischer Wissenschaftler zu den Effekten der Kinesiotapes hielten nur zehn der 97 publizierten Studien den Ein-schlusskriterien der Autoren stand. Zwar zeigten sich in einigen Bereichen einzel-ne positive Effekte, doch besteht nach Ansicht der Autoren bislang insgesamt noch keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz, die eine therapeutische Empfehlung des Kinesiotapings rechtfertigen würde. Dr. Christine Starostzik

Schlecht verheilte Brüche stören Patienten offenbar kaum

Dislozierte Klavikelfraktur: Operation oder Schlinge? — Anstelle der konventionellen Ruhigstellung in der Schlinge oder

im Rucksackverband werden bei dislozierten Frakturen der Klaviku-la immer öfter primär operative Verfahren propagiert. In einer ran-domisierten Vergleichsstudie hat nun ein finnisches Ärzteteam beide Strategien verglichen. Bei 32 Patienten wurde die dislozierte geschlossene Schlüsselbeinfraktur für drei Wochen mit einer Schlin-ge versorgt. 28 Patienten erhielten eine Plattenosteosynthese mit Kortikalisschrauben (Durchmesser 3,5 mm) und anschließender Schlingenimmobilisierung, ebenfalls für drei Wochen [Virtanen KJ et al. J Bone Joint Surg Am. 2012; 94: 1–8].Nach einem Jahr zeigte sich bei den auswertbaren 51 Patienten weder im Hinblick auf die Funktion noch auf die Behinderung ein nennenswerter Unterschied. Gemessen wurden diese Parameter im

Constant Score bzw. im DASH (Disabilities of the Arm, Shoulder and Hand). Als sekundäre Endpunkte wurden Schmerzen, Frakturhei-lung und Komplikationen definiert. Die Schmerzen waren nach ei-nem Jahr in beiden Gruppen vergleichbar, nicht aber die Heilungs-raten: Im Röntgenbild zeigte sich, dass nur 19 der 25 ausgewerteten konservativ behandelten Frakturen (76 %) gut zusammengewachsen waren. Der Erfolg der OP lag dagegen bei 100 %. Bei den schlecht verheilten Frakturen war der Behinderungsgrad objektiv zwar höher mit schlechteren Werten im DASH-Score, sub-jektiv schien dies die Betroffenen jedoch nicht übermäßig zu stören. Die Funktion war trotz suboptimaler Heilung überwiegend gut und die Patienten verspürten erstaunlich wenig Symptome. Nur dreien machte der schlecht verheilte Bruch zu schaffen. Dr. Elke Oberhofer

Alltagstaugliche Prophylaxe

Öfter auf einem Bein stehen – das kann Stürze verhindern

— Der Schlüssel zur effektiven Sturzprophylaxe ist die Integration des Kraft- und Gleichgewichts-trainings in den normalen Tagesablauf. Eine Möglichkeit hierzu bietet das sogenannte LiFE-Progreamm (Lifestyle Integrated Functional Exercise), wie eine australische Forschergruppe der Universität Sydney in einer dreiarmigen Prä-ventionsstudie mit 317 sturzgefährdeten Perso-nen über 70 Jahren zeigen konnte [Clemson L et al. Integration of balance and strength training into daily life activity to reduce rate of falls in ol-der people; the LiFE study; BMJ 2012;345:e4547 doi: 10.1136/bmj.e4547]. Alle Studienteilnehmer waren im Jahr vor Studienbeginn mindestens zweimal gestürzt, wiesen aber keine kognitiven oder motorischen Probleme auf. Beim LiFE-Programms bauen die Teilnehmer die Kraft- und Gleichgewichtsübungen in ihren All-tag ein. Sie gehen beispielsweise öfter mal seit-wärts, verlagern das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, stehen auf nur einem Bein oder wechseln zwischendurch abrupt die Richtung. Dabei durften sie sich zunächst noch gut festhal-ten, sollten aber mit der Zeit versuchen, immer weniger Halt zu benötigen. Einer Kontrollgruppe wurden zwölf leichte Übungen gelehrt, die sie im Sitzen oder Liegen ausführen konnten, etwa die Beine zu schwingen. Nach einem Jahr verzeichneten die Forscher in der Kontrollgruppe 224 Stürze, aber nur 172 in der LiFE-Gruppe. Insgesamt war das Sturzrisiko mit LIFE um 31 % geringer als in der Kontroll-gruppe. Thomas Müller

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Knappe Sportbekleidung bringt es an den Tag: Bunte Klebebänder sind bei Athleten höchst beliebt.

8 ORTHOPÄDIE & RHEUMA 2012; 15 (5)

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