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Olaf-Axel Burow Die Individualisierungsfalle Kreativität gibt es nur im Plural Klett-Cotta

Olaf-Axel Burow Die Individualisierungsfalle

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Olaf-Axel Burow

Die IndividualisierungsfalleKreativität gibt es nur im Plural

Klett-Cotta

Herauszufinden, wozu man sich eignet,und eine Gelegenheit zu finden, das zu tun,ist der Schlüssel zum Glücklichsein.

John Dewey

ProLog: Ein Freund, ein guter Freund ••• 7 ~l'O.c

Mit Teamkreativität zum ErfoLgc

1. 13 -Vom einsamen Genie zum "Kreativen Feld" 13Kreativität und Improvisation: Die Jazzbandals

FührungsmodeU der Zukunft 18Die heilsamen Kräfte der Unordnung 20Zwei Arten zu musizieren 21Revision des Bewußtseins 22Revision des Ortes 23Revision derÜberzeugungen 25Methoden zur Schaffung Kreativer Felder 26Ausblick - "Jammen" in Kreativen Feldern 27

2. Kreativität gibt es nurim PLuraL 29Die Kosten der Individualisierung 29Das Ende der Zwangsindividualisierung: Entstehung

kreativer Gemeinschaften 33Der Ortder Kreativität 37Kreative Tätigkeitsformen 43

3. Kreativität und FeLd 48Ein anti-kreativer Arbeitsplatz 48Aha-Erlebnisse 49Kreativität in der Feldtheorie Lewins 51Vom Wappen zumLebensraum 54Das Feld ist ein "erlebnismäßig strukturierter Raum" 55Die Beschreibung des .Lebensraums" bei Lewin 57Selbstbezug als wirksame KraftqueUe 58LebensraumdarsteUung - Das Feld meiner Möglichkeiten 61Welche Valenzen setze ich in meinem Umfeld? 62Wie ich meine Umwelt bewerte 70Wie ich die vierKonflikte erkenne, die meine Kreativität

behindern 72

Kreativität erfordert Grenzüberschreitung 76

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~ 4. Möglichkeiten der Förderung persönlicherca.c Kreativität 80c- Das richtige Feld finden oder selberformen 81

Selbstähnlichkeit bewahren 84

Kante zeigen 85

Negative Glaubenssysteme erkennen und überwinden 90

Persönliche Paradigmen steuern unsere Feldwahrnehmung 94

Was sind "Persönliche Paradigmen"? 95

Tod einesHandlungsreisenden 98

Der Wechsel desPersönlichen Paradigmas: Eine Fallstudie 100

Durch den offenenRaum die innere Berufung entdecken 103

Ein anregendes, stimulierendes Umfeld schaffen 105

Die optimale Arbeitsumgebung schaffen 108

Die Fähigkeit zumStaunenbewahren 111

Die Kultivierung von "Flow im Alltag" 115

Grenzen despersönlichen Wandels 118

S. Kann man Kreative Felder erzeugen? 121

Das Prinzip Ermutigung 121

Was ist ein Kreatives Feld? Eine Definition undein Schlüsselkonzept 123

Schlüsselkonzepte zur Schaffung eines Kreativen Feldes 124

Die Schaffung Kreativer Felder als experimenteller Vorgang 135

Das Kreative Feld als Tanzfläche 139

"Anziehende" Freiräume für Selbstorganisation schaffen 141

Synergieanalyse: Wo findeich Partner, die zu mirpassen? 143

6. Der notwendige Abschied vom Genie 147

Literatur 153Namenverzeichnis 160Danksagung 162

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Am18. Dezember1927 erschien im Berliner Lokal-Anzeigereineunscheinbare Anzeige.

'!lc~ttt1tg+ edtcn.~enor, Q)aB (Q)erufsfän­ger, nid)t ü&er 25), fe~r

mufiftaCifd), fd)önftfingen­ben 6timmen, für einoigbafte~enbes (infem&feunter Q!nga&e ber tägCid)lJerfüg&aren 3eit gefuc~t.(ij. 25 - 6c~er(flCiafe,

~riebric~ftr. 136. [:)465

Die Anzeige, die Harry Frommermann und sein NachbarsfreundTheodor Steiner in einer Zeit aufgaben, als sich die drohendenAnzeichen der kommenden Wirtschaftskrise, Massenarbeits­losigkeit und Verelendung schon bemerkbar machten, stieß aufzweifelhafte Resonanz. Am nächsten Morgen drängten sichmehr als 70 Menschen, fast alle ohne jede musikalische Vorbil­dung, vor der Tür. Aber Lohn und Brot, worauf die Arbeit­suchenden hofften, konnte Frommermann ihnen am allerwenig­sten bieten.

Erbesaß nicht viel mehr als den utopischen Plan zur Gründungeines völlig neuen Gesangsensembles, deren Vorbild die Revellerssein sollten. Die Revellers waren eine bekannte A-capella-For­mation aus den USA, Gesangsartisten, die in ihren Konzertenund Plattenaufnahmen eine bisher einzigartige Harmonie derStimmen erzeugen konnten. Aber in ihrem Gesangsstil bliebensie weitgehend auf ein sehr schmales Repertoire des Jazz undJig Walk beschränkt. Der Stil, der Frommermann vorschwebte,sollte die gleiche Leichtigkeit und Qualität erreichen, darüberhinaus aber alle Musikrichtungen vom klassischen Konzert überden Schlager bis hin zum Volkslied einbeziehen. Frommermannhatte bereits mehr als ein Dutzend Arrangements in sechsmona­tiger Arbeit geschrieben. Und nun stand er zusammen mit Theo­dor Steiner vor dem Problem, diejenigen auszuwählen, mitdenen zusammen er seinen Traum verwirklichen konnte. Dabeihätten die Chancen kaum schlechter stehen können. Frommer-

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mann besaß zwar eine erstaunliche Musikalität, konnte Musik­instrumente täuschend echt imitieren, verfügte aber über kei­nerlei Ausbildung. Seine Kontakte zum Musikgeschäft be­schränkten sich auf einen Verwandten, der als Musikagentarbeitete. Und er wargänzlichmittellos. Für die Zeitder Probenin den folgenden Monaten lebte er ständig auf Pump. Als Ate­lier mußte sein kleines Dachzimmer herhalten.

Unterden vielenBewerbern ragte allein Bibertiheraus, ein Baßmit einer wunderbaren Stimme, Autodidaktwie Frommermann.Und Bibern ließ sich von Frommermanns Vision anstecken. Alsihm Frommermann auf dem billigen, altersschwachen Klavierseine ersten Partituren vorspielte, erkannte er augenblicklichdie Möglichkeiten, die in dem Projekt steckten: "Einmalig wardas, völlig abseits von allem, was wir bisher auf diesem Gebietkannten. Ich roch, daß es eine Sensation werden konnte." Bi­berti war auf der Stellebereit - ebensowie Frommermann ohneAussicht auf Bezahlung -, alles in diesen Traum zu investieren.Gemeinsam mitFrommermann machte ersich daran, weitere Kol­legen zu gewinnen.

Es folgte eine Zeit des tastenden Suchens und vieler Rückschlä­ge. Bis die Gruppe endlich in der endgültigen Formation bestand,vergingen Monate. Frommermann schrieb fieberhaft, Tag undNacht, an den Arrangements: "Eigentlich war ich weder ein ge­schulter Musiker noch Sänger, und die Bearbeitungen, die ichschrieb, entstanden sehr mühselig." Die Vision, die ihm vor­schwebte, der völlig neuartige Gesangsstil, schien sich der Ver­wirklichung zu sperren. Die erstenVersuche klangen noch wie dieProben eines altmodischen Männerquartetts. "Mühselig mußtewirdie Tugenden erlernen, Zurückhaltung zuüben,um hörenzukön­nen, was der Nebenmann sang." Dennoch, Frommermann trugnun nicht mehr allein an seinerVision. Biberti faßt rückblickenddie Motive zusammen, diejedeneinzelnen in den schwierigen er­sten Monaten zur dauernder Mitarbeit antrieben und dazubrach­ten, sich zu disziplinieren und der Gruppe unterzuordnen: fI Wennich hier die Möglichkeit finde, innerhalb einer Gruppe etwas Neuesmit aufzubauen, dann schaffe ich für mich eine Zukunft undkomme weg von der Herde, aus der ich hervorging. 11

In dieser ersten Krise erfuhr Frommermann, daß seine Fähig­keiten bei weitem nicht ausreichend waren. Und hier schien ­vielleicht zum erstenmal - das unerbittliche Qualitätsbewußt­sein der Gruppe auf, das über alle persönlichen Differenzen hin­weg die Gemeinschaft trug und an den entscheidenden Wende­punkten immer wieder vorwärts treiben soUte. Frommermannverzichtete auf die musikalische Leitung sowie die Alleinverant­wortlichkeit für die Arrangements, und man engagierte den Pia­nisten Erwin Bootz.

Mit Bootz gewann die Gruppe einen Musiker, der über brillan­te Fähigkeiten als Pianist und über ein atemberaubendes musi­kalisches Gedächtnis verfügte und für Frommermann die idealeErgänzung darstellte. Bootz war, wie er freimütig zugab, voneiner gewissen Bequemlichkeit und weit davon entfernt, From­mermann aus seiner Position verdrängen zu wollen. Alseinzigerder Gruppe lebte er ohne Existenzängste und konnte, währenddie anderen arbeiten mußten, mit den regelmäßigen Zuweisun­gen seiner Mutter rechnen. Er besaß die Ausbildung und dieFähigkeit, den Arrangements von Frommermann den musikali­schen Schliff zu geben: "Er (sc, Frommermann) hatte tatsäch­lich hübsche Einfälle, aber er kannte eben das Handwerk nicht.Das hat er erst nach und nach von mir gelernt, also unter mei­ner Anleitung. Und dann hat er sehr gute Arrangements ge­macht, wirklich sehr gute."

Ende März 1928, kurz nachdem Bootz zur Gruppe gestoßenwar, und drei Monate nachdem die Gruppe erstmals ihre Probenaufgenommen hatte, stellte man sich erstmals fremder Kritik.Das Vorsingen beim Besitzer des wichtigsten Berliner Va­rietetheaters war, wie sich Biberti schaudernd erinnert, ein Fias­ko, "eine 'Niederlage ersten Ranges. Wir standen in unserenStraßenanzügen auf der riesigen Bühne, über uns brannte eineeinsame Arbeitslampe, nichts klappte mehr. Wir sangen völligauseinander. Es war nur noch ein Sammelsurium von unver­ständlichen Worten und ununterscheidbaren Stimmen." Der Di­rektor besann sich nicht lange und lehnte ab; böse Worte fielen:"wohl mehr etwas für ein Beerdigungsinstitut".

Die Gruppe dachte nicht ans Aufgeben. "Wir hatten trotz un-

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serer Katastrophenstimmung mehr oder minder im Unterbe­wußtsein begriffen, daß das, was wir machten, etwas völligNeues war und daß sich dieses Neue eines Tages gut verkaufenlassen mußte". Biberti brachte auf den Punkt, was alle dachten:"Jetzt wird feste geprobt. Wir werden diese ganzen Fehler besei­tigen. Wir werden es schaffen, dagibtes garkeinen Zweifel. "Tat­sächlich sollte die Ablehnung zu einem Wendepunkt werden,der die Tragfähigkeit von Frommermanns Vision erneut unterBeweis stellte und das Ensemble endgültig zum Erfolg führte.Aus einem Kokonvon sechs Amateuren schlüpfte ein professio­nelles Ensemble.

Schon wenige Tage nach der Ablehnung formierten sich dieMusiker zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts und nanntensich "MelodyMakers". Der Vertrag, den die sechs Musiker mitein­ander schlossen, sah völlige Gleichberechtigung der Mitgliedervor, und jeder sollte zu einem Sechstel an dem künftigen Ge­winn beteiligt werden. Gemeinsam ging man nun daran, Fehlerzu beseitigen. Das verpatzte Vorsingen hatte deutlich ,vorOhren' geführt, daß Frommermanns Atelier für Proben völlig un­geeignet war. Die sechs Musiker begannen noch einmal vonvorn, arbeiteten nun härter als je zuvor. Vier Stunden täglich,vier Monate lang, zumeist mitten in der Nacht, probten die Mit­glieder, weil sie tagsüber ihren Lebensunterhalt verdienen muß­ten. Durch ständiges Abhören und Durchproben erst einzelner,dann zweier und dreier Stimmen verbesserten sie ständig ihr Ge­fühl für Harmonie und die Genauigkeit der Stimmführung."Wichtigwar auch, daß wir wie aus einem Gußsprachen, daß wirlernten, synchron zu artikulieren und jedes Wort von uns fün­fen so gesprochen wurde, daß jeder es im Saale verstand." ImVerlauf dieser vier Monate entstand jene Leichtigkeit, jener un­verwechselbare Charme und jener geheimnisvolle Zusammen­klang der Stimmen, der entscheidend warfür den späteren Erfolg.

Und wieder war es das unerbittliche Qualitätsbewußtsein derGruppe, das keine persönlichen Rücksichten kannte. Frommer­manns Freund, Theodor Steiner, Mitbegründer der ersten Stun­de, dessen stimmliche Mittel dem hohen Anspruch des Ensem­bles nicht mehr gerecht wurden, mußte gehen; für ihn kam

Roman Cycowski. Das Ensemble war komplett. Bevor sie zum er­stenmal auftraten, gaben sie sich den Namen, unter dem siedann auch bekannt wurden: "Comedian Harmonists".

Der künstlerische Durchbruch kam schlagartig, in atemberau­bendem Tempo. Das erste eigene Konzert im Januar 1930 imLeipziger Schauspielhaus, zwei Jahre nachdem sich die Gruppezu ihren ersten Proben getroffen hatte, geriet zum vollkomme­nen Triumph. DieErfolgsserie, die auch in den folgenden Jahrennicht mehr abriß, beschränkte sich nicht auf Deutschland, son­dern führte die Comedian Harmonists auf gefeierte Tourneenrund um die Welt.

Nachdem sich der Erfolg endlich eingestellt hatte, versuchtenviele Ensembles, die Comedian Harmonists zu kopieren, docherwuchs daraus nie eine ernsthafte Konkurrenz. "Vielleichtdarum", faßt Roman Cycowski rückblickend zusammen, "weilniemand so schwer gearbeitet hat wie wir. Immerzu haben wiran uns gearbeitet wie die Akrobaten. Und obwohl wir so ver­schiedene Charaktere hatten, waren wir uns in der Arbeit einig ­die Comedian Harmonists, nicht Biberti, nicht Cycowski, nichtFrommermann, nicht Collin - nur: die Comedian Harmonists.Deshalb haben wir als Menschen so gut harmonisiert und sindauch fast immer gut miteinander ausgekommen."Auch außerhalb der Proben und Konzerte wurde zusammenge­

arbeitet. Es schälte sich dabei eine Arbeitsteilung heraus, inner­halb derer jedernach seinen Mitteln undFähigkeiten zum Gelin­gen des Erfolges beitrug. Bootz und Frommermann schrieben diePartituren. Ari Leschnikoff, der einzige mit Offiziersausbildung,kontrollierte vor jedem Auftritt die Kleidung, bügelte, wennnötig, eigenhändig Hemd, Frack, Hose. Der sprachbegabte Collinbesorgte Korrespondenz und Planung der Reisen. Der redege­wandte Biberti führte die geschäftlichen Verhandlungen undkonzipierte die langfristige Planung.

Gemeinsam verwirklichten sie einen Traum, erreichten unge­ahnte Höhen gemeinsamer Kreativität und ergänzten sich musi­kalisch in einer erstaunlichen Intensität, wie Erwin Bootz ­noch immer fasziniert - sich erinnert: "Heute finde ich es er­staunlich, daß so etwas wie die Comedian Harmonists überhaupt

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zustande gekommen ist. Wenn man bedenkt, was alles dazu­gehört, ein Tenormit einer so enormen Höhe, der aber nicht Fal­sett singt, wie Ari Leschnikoff; dann ein zweiter Tenor, ErichCollin, der ausgerechnet so wenig Eigentimbre hat, daß sichseine Stimme gut mischen läßt; dann ein mit Idealismus gefüll­tes Musikantentum, wie das von Frommermann, der neben sei­nen vielen schönen Arrangements plötzlich die Fähigkeit ent­wickelt, Instrumente zu imitieren, obwohl er eigentlich keinebesonderen stimmlichen Mittel besitzt, und der dafür sorgt, daßalle Klänge harmonisieren; dann Cycowski, diese herrliche vor­nehme Stimme, mit ihrer enormen Höhe - der konnte so hochwie ein Tenor singen, und schließlich Biberti, ein samtener,leichter, aber wohlklingender Baß. Und zu allem auch noch diepersönlichen Gleichungen dieser sechs Leute untereinander, dieso ausbalanciert waren, daß niemals die Gefahr bestand, daßunsere Gruppe zerplatzen würde, was ja meistens das Ende derKarriere solcher Ensemblesgeworden ist. Und wenn es keine Ein­mischung von außerhalb gegeben hätte, wäre die Gruppe bis inihr Alter zusammengeblieben und hätte die Leute erfreuen kön­nen."

DasEnsemble löste sich 1938 unter dem Druck der Nationalso­zialisten auf. Keiner der sechs Künstler hat jemals wieder an dieErfolge der Comedian Harmonists anknüpfen können.

",Was hältst du davon?', fragte michJohn sichtlichnervös, nachdem er zu

Ende gespielthatte ...Benommen erwiderte ich: .Das warstark. Das ist

wirklich ein starker Song. Wie willst du ihn machen?'

.Ich dachte, das sagst du mir!'konterte er lachend."

John Lennon im Gespräch mit George Martin

Vom einsamen Genie zum "Kreativen FeLd"

Im einleitenden Prologsind fast alle Elemente enthalten, die be­schreiben, wie ein Kreatives Feld entsteht. Die von mir kursivhervorgehobenen Textstellen verweisen auf Erfolgsprinzipiengemeinsamer Kreativität, wie sie die Comedian Harmonists be­reits in ihrer Gründungsphase intuitiv umsetzten. Wenn Siejetzt den Prolog unter diesem Gesichtspunkt noch einmal lesenund sich fragen, welche Hinweise die kursiv gesetzten Iextstel­len auf Elemente kollektiver Kreativität geben, dann erhaltenSie so etwas wie einen roten Faden, der Sie bei der Lektüre die­ses Buches leiten wird. Wie ich in dieser Studie herausarbeitenwerde, gibt es eine Reihe von relativ einfachen Prinzipien, wel­che die Wahrscheinlichkeit erhöhen, daß fast jeder von uns auchmit begrenzten Fähigkeiten zu überragenden schöpferischenLeistungen beitragen kann. Kreativität ist weniger in der iso­lierten Leistung eines herausragenden Individuums zu verorten,sie entsteht vielmehr in Feldern, die in sehr spezifischer Weiseaufgebaut sind.In dieser Perspektive war Harry Frommermann, der Gründer

der Comedian Harmonists, ein Kristallisationskern im Feld.Indem er eine faszinierende Vision entwickelte, zog er die nöti­gen Talente zur Verwirklichung seiner Idee einer neuartigenMusikgruppe an. Das Neue entstand - angestoßen durch einenVisionär - als Synergieleistung unterschiedlichster Personen,die ihre unterschiedlichen Fähigkeiten zu einem Kreativen Feldformierten. Gleichzeitig verfügte Frommermann als Arrangeuroffenbar über die Fähigkeit, unterschiedlichste Einflüsse in sei­nem Schaffen zu verdichten. Auch hier war er der Visionär, deranstieß und vorantrieb. Doch ohne die korrigierenden und er-

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gänzenden Beiträge seiner Gruppenmitglieder hätten nie dieLieder entstehen können, die wir noch heute mit Bewunderunghören.

Am Ausgang des 20. Jahrhunderts stehen wir in Firmen undInstitutionen genau vor dieser Herausforderung: Wie könnenwir die ungenutzten kreativen Potentiale unserer Mitarbeiterhervorlocken und so koordinieren, daß eine neue Stufe kollek­tiver Kreativität bzw. gemeinsamen Schöpfertums erreicht wird,auf der ungeahnte kreative Leistungen entstehen? Umauf dieseFragen eine Antwort zu erhalten, müssen wir zunächst den Pro­zeß der spontanen Bildung Kreativer Felder eingehender verfol­gen. In diesem Band werden wir einige theoretische Grundlagenbeleuchten, während im zweiten Band (Kreative Felder) be­währte Verfahren zur gezielten Einrichtung Kreativer Feldervor­gestellt werden. Bei unserem Weg durch theoretische Hinter­gründe soll uns die faszinierende Geschichte der ComedianHarmonists als Leitbild dienen. Die ComedianHarmonists habenin ihrer Domäne etwas Neues geschaffen. Es liegt also nahe, zu­nächst zu untersuchen, was wir über die Entstehung von Neuemwissen.

Wenn wir über Kreativität nachdenken, dann fallen uns in derRegel zunächst die Namen überragender Persönlichkeiten wieMozart, Einstein oder Freud ein. Ihnen ist gemeinsam, daß sieuns als wahre Titanen erscheinen, die in ihrer jeweiligen Diszi­plin bahnbrechende Neuerungen geschaffen haben und unserDenken und Empfinden bis heute nachhaltig beeinflussen. Alslegendäre Gestalten erscheinen sie uns so herausgehoben undentrückt, daß wir uns daneben als klein und unbedeutend emp­finden. Obwohl jeder von uns tagtäglich kreativ ist und über einunerschlossenes Potential an kreativen Fähigkeiten verfügt, er­scheint es völlig lächerlich, unsere Kreativität mit den Schöp­fungen dieser unerreichbaren Lichtgestalten zu vergleichen.Und doch haben wir eine gemeinsame Basis.

Diese gemeinsame Basis können wir oft nicht erkennen, weilKreativität überwiegend als individuelle Leistung herausragendbegabter Personen gesehen wird. Wenn ich auch nicht bezwei­feln möchte, daß es solche besonderen Begabungen gibt, so wird

dabei doch übersehen, daß Kreativität immer auch Ausdruckeines besonders günstig strukturierten Feldes, eines "KreativenFeldes" ist. Jeder von uns ist im Laufe seines Lebens, ob er esnun weiß oder nicht, wichtiger Bestandteil solcher Kreativen Fel­der. In diesem Sinne kann jeder von uns zu schöpferischen Lei­stungen beitragen. Wennwir Kreativität aus der Feldperspektivebetrachten, dann erkennen wir, daß wir uns nicht prinzipiell vonden legendären kreativen Überfiguren unterscheiden.

Deren Begabung allein reicht nämlich zur Erklärung ihrerbahnbrechenden Schöpfungen nicht aus; wir müssen auch diebesonders günstigen Feldbedingungen betrachten, die es ihnenerst ermöglichten, zu solchen Gipfelpunkten aufzusteigen. Füreine Theorie Kreativer Felder sind für die Freisetzung des eige­nen kreativen Potentials vor allem folgende Faktoren entschei­dend.

• Kreative sind frühzeitig in der Lage, ihre Berufung zu erken­nen.

• Sie formulieren diese Berufung als eine anziehende Visionund folgen ihr, selbst gegen große Widerstände.

• Kreativen gelingt es, sich ein geeignetes Unterstützer- bzw.Synergiejeld zu suchen oder zu schaffen.

• Und schließlich verfügen sie über die Intuition, zur richtigenZeit das Gespür für das geeignete Feld zu entwickeln.

Aufgrund der Zwängeunserer einseitig auf kalkulierbare Ergeb­nisse fixierten Leistungsgesellschaft haben sich viele von unsvorschnell an die von außen an sie herangetragenen Anforde­rungen angepaßt und verfehlen somit ihre innere Berufung.Meine innere Berufung ist so etwas wie meine innere Stimme,mein Traumkörper, der sich immer dann meldet, wenn ich gegenihn angehe. Dinge, die mir leicht fallen, die mich anziehen, dieich aus innerem Antrieb machen möchte, weisen in die Richtungmeiner inneren Berufung. Widerstände, die sich in Anstrengung,Müdigkeit bis hin zu psychosomatischen Symptomen äußern,können Anzeichen dafür sein, daß ich meine innere Berufungverfehle.

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Noch immer wird in Schulen, Hochschulen, Institutionen undFirmen allzuoft Anpassung an äußerliche Normen verlangt, ob­wohl wir wissen, daß das ungenutzte kreative Potential vonMenschen nur dann erschlossen werden kann, wenn sie die Mög­lichkeiten erhalten, ihre wahre Berufung zu erkennen und ihrzu folgen. Um aber mein kreatives Potential optimal erfüllen zukönnen, bin ich auf ein geeignetes Umfeld angewiesen. HarryFrommermann wußte, daß er Synergiepartner brauchte, umseine Schwächen auszugleichen, aber auch um seine besonderenTalente zum Tragen kommen zu lassen. Jeder von uns spielt imübertragenen Sinne in einer "Band", ist Mitspieler in einemkomplexen Feld und benötigt geeignete Mitspieler, um sein Po­tential ausschöpfen zu können.

Die Bedingungen für die Bildung solcher kreativen Synergiege­meinschaften sind günstiger geworden, denn in der sich abzeich­nenden globalisierten Wissensgesellschaft neuen Typs sind neueQualifikationen gefordert. DieKomplexität der gesellschaftlichenArbeitsteilung und das explosionsartig sich erweiternde Wissenläßt jeden von uns zu einem Spezialisten werden, der nur einenTeil des Elefanten sehen kann. Wollen wir aber den ganzen Ele­fanten verstehen, dann brauchen wir Teams, deren MitgliederihreBerufung erkannt haben und in der Lage sind, ihre unterschied­lichen Fähigkeiten miteinander zu kombinieren. Insofern be­schreibt der Titel dieses Buches Die Individualisierungsjalle. Krea­tivitätgibt es nur im Plural den Weg aus der Sackgasse.

Eine zentrale Herausforderung beim Übergang zur Wissensge­sellschaft wird sein, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die esuns allen ermöglichen, unser ungenutztes kreatives Potentialfreizusetzen, um zu den notwendigen schöpferischen Prozessenbeitragen zu können. Das Zeitalter der Zwangsindividualisie­rung neigt sich seinem Ende zu, und am Horizont taucht dieChance zur Bildung neuer Gemeinschaften auf. Wir müssen unsverabschieden von der heroisierenden Legende vom einsamenKünstler, die wie Kris &Kurz schon 1934 gezeigt haben, ein ver­zerrtes und überhöhtes Bild vom schöpferischen Prozeß zeigtund dennoch in unserer auf das Individuum fixierten Medien­gesellschaft immer weiter fortgeschrieben wird.

Meine Betrachtung der Hintergründe kreativer Prozesse wirdzeigen, daß es neben dem göttlichen Funken eine Reihe von ra­tional erklärbaren Faktoren gibt, deren Erkenntnis uns allenhelfen kann, kreativer zu werden. Wirwerden sehen, daß es einIrrtum ist, allein auf die individualisierende Förderung beson­ders begabter Einzelpersonen zu setzen. Erfolgversprechendscheint vielmehr die Schaffung Kreativer Felder zu sein.

Solche Felder existieren in vielfältiger Form in unserer Gesell­schaft. Aber wir haben es bislang versäumt, ihre besonderenLeistungen zu würdigen. So gibt es vielfältige Formen der Paar­Kreativität, die aus der Zusammenarbeit zweier Personen ent­steht, die einander in besonderer Weise herausfordern und er­gänzen. Wir alle leben diese Formen, doch wir sind uns in derRegel der besonderen Chancen, die sich aus solchen Beziehun­gen ergeben, nicht bewußt. Die Beziehungen von Simone deBeauvoir und Jean-Paul Sartre oder von John Lennon und YokoOno zeigen anschaulich, was wir alle erfahren können: In derBegegnung mit dem anderen kann ich Potentiale freisetzen, diemir allein nicht bewußt sind und die ich allein nicht erschließenkann.

DerManagement-ForscherWarren Bennis hat kürzlich eine Un­tersuchung über geniale Teams vorgelegt, die anschaulich zeigt,daß nicht nur die Erfindung des PCs, sondern auch WaltDisneysZeichentrickfilme das Resultat entwickelter Teamkreativitätsind. Stellvertretend für viele andere hat der französische Phi­losoph Pierre Levy gezeigt, daß wir mit dem Cyberspace zuneuen Formen digitaler Kreativität und kollektiver Intelligenzvordringen. Das Konzept der "Lernenden Organisation" vonPeter Senge zeigt, daß wir uns mitten in einem Prozeß befinden,uns auf die Leistungen von Personen zu besinnen, die vernetztmiteinander arbeiten. Die schöpferischen Kräfte der zukünfti­gen Wissensgesellschaft werden in Synergiegemeinschaften frei­gesetzt, in Kreativen Feldern, in denen vernetzt arbeitendeMenschenjeweils ihre einzigartige Leistung einbringen können.Insofern zeichnen sich die Umrisse einer Kreativitätsrevolutionab, deren Konturen ich zunächst anhand der Jazzmetapher skiz­zieren möchte.

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Kreativität und ImprovisationDie Jazzband als FührungsmodeU derZukunft

"Beim Jammengeht es darum, ein bestimmtes Umfeld für einebestimmte

Form der Unordnung zu schaffen.

Es handelt sich dabeiimmer um einen Balanceakt

zwischen Form und Freiheit, Disziplin und Kunst:

Formales und Neues sind ständig miteinander konfrontiert,

und so entsteht ständigetwas Neues."John Kao

Wenn wir überlegen, wie wir die Kreativität von einzelnen oderOrganisationen fördern können, dann denken wir oft an spezi­elle Formen des systematischen Kreativitätstrainings. Untersu­chungen zeigen jedoch, daß solche Methoden nur wenig zu dengewünschten Kreativitätssprüngen beitragen. Der große Erfolgder Industriegesellschaft modernen Typs beruhte auf einer An­wendung von wissenschaftlichen Erkenntnissen innerhalb klarvorgegebener Organisationsstrukturen, die ständig verbessertwurden. Wie der amerikanische Wissenschaftsjournalist JohnHorgan gezeigt hat, kommen wir mit diesem systematischenVerfahren immer häufiger an die "Grenzen des Wissens", wieauch der Titel seines Buches lautet. Während Horgan als eine derUrsachen die erstaunlichen Wissensfortschritte im 20. Jahrhun­dert ansieht, die es immer schwieriger machen, Neues zu ent­decken, weil das Grundlegendebereits erforscht sei, verweist deritalienische Wissenschaftshistoriker Federico Di Trocchio (1998)in seinem Buch "Newtons Koffer" auf eine andere Barriere: DieWissenschaft laufe gerade wegen ihrer erstaunlichen Erfolge Ge­fahr, dogmatischer als die katholische Kirche zu werden. An­hand zahlreicher Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwartzeigt er, wie bestimmte Wissenschaftler bemüht sind, originelleQuerdenker und Personen, die neuartige Fragestellungen ent­wickeln, auszugrenzen und ihnen Arbeits- und Publikations­möglichkeiten zu nehmen. Viele neue Erkenntnisse wurden ge­rade deswegen gewonnen, weil deren Urheber nicht strengwissenschaftlich vorgingen. Bekanntestes Beispiel ist Kolum-

bus, der trotz oder gerade wegen seiner fehlerhaften Berech­nungen Amerika entdeckte. Auch Robert Mayers intuitive For­mulierung des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik wurdejahrzehntelang nicht ernst genommen, weil sie von einemGrenzgänger in einer Sprache verfaßt wurde, auf die sich dieetablierten Wissenschaftler nicht einließen.

Di Trocchio zieht aus seiner erhellenden Untersuchung denSchluß, daß Wissenschaftler sich grundsätzlich auch für "schrä­ge" Fragestellungen öffnen und das Wort "unmöglich" aus ihremVokabular streichen sollten. Auch die Wissenschaft neigt zurSelbstüberschätzung. So haben Wissenschaftler im letzten Jahr­hundert lange Zeit die Möglichkeit der Stoffumwandlung aus­geschlossen, sie verwarfen die Idee einer funktionierendenGlühbirne, hielten das Radio, das' Flugzeug und die chemisch­physikalische Analyse von Sternen für unmöglich.

Das entscheidende Hindernis sieht DiTrocchioin der fehlendenAnerkennung dessen, "was an Gutem in Ideen stecken kann, dieden Horizont von Theorien und Meinungen übersteigen, welchezu einem gegebenen Zeitpunkt für vernünftig gehalten werden.Innerhalb bestimmter Grenzen bedarf die Wissenschaft gerade­zu des Irrationalen und kann darauf nicht verzichten." (1998)

Eine Abhilfe sieht er in einem Toleranzgebot, das Wissen­schaftler zur vorurteilslosen Offenheit gegenüber ungewöhnli­chen Ideen verpflichtet. Zusätzlich sollten 10 Prozent aller For­schungsmittel von unabhängigen Gremien an Querdenker undaußerhalb der etablierten Institutionen stehende Forscher ver­geben werden.

Erinnern wir uns an das Beispiel der Entstehung der ComedianHarmonists: Harry Frommermannwar vielleicht gerade deswegenin der Lage, eine neuartige Musikgruppe zu formieren, weiler überkeine klassisch musikalische Ausbildung verfügte und beinahenaiv an seine Arrangements heranging. Doch der Querdenkerbe­darf der Korrektur durch einen Fachmann, der das Handwerk be­herrscht, wie den Pianisten Erwin Bootz. Dessenbesondere Fähig­keit bestand darin, daß er trotz seiner soliden Ausbildung in derLage war, das Neue zu erkennen, das Frommermannschuf, und esauf eine solide Basis zu stellen. Wissen und die Einhaltung von

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"SI als notwendig erachteten Standards können den Erkenntnispro-~ zeß behindern. Voraussetzung für die Entstehung von NeuemS scheint in einem gewissen Maß das Zulassen von intuitiven,~ scheinbar naiven, chaotischen, querdenkerischen Ideen in offe-19 nen Räumen, die nochkeiner Regel unterstellt wurden.;g Der Querdenker bedarf in diesem Sinneeines unterstützendenm Feldes. Wenn man Neues schaffenwill, muß man allerdings die'E herrschenden Ordnung überschreiten und zunächst einen freien.2! Raum ("Open Space") schaffen. Wie auf diese Weise Neues ent-~ steht, kann uns anschaulich das Beispiel der Jazzband zeigen.:E:.-i

Die heilsamen Kräfte derUnordnung

In seinem Aufsatz "Die Vorzüge der betrieblichen ,Unordnung'"bahnt John Kao, Gründer einer "Ideas Factory", einen faszinie­renden Perspektivwechsel an, wobei ihm die Jazzband als Leit­bild dient: Voraussetzung für die Freisetzung von Kreativitätscheint ein gewisses Maß an Unordnung und die Fähigkeit zurImprovisation in offenenRäumen zu sein.

Wie ich an andererStelle ausgeführt habe (vgl. Burow 1998),vergegenwärtigt die Jazzbandmetapher ausgezeichnet dieFührungsanforderungen, die wirberücksichtigen müssen, wennwirKreativität freisetzen wollen. In einer Jazzband spielen un­terschiedliche Personen miteinander, die aUe ihr Instrument be­herrschen und über ein gemeinsam vereinbartes Thema - ohneFührung von oben - improvisieren. Wenn es ihnen gelingt, gutaufeinander zu hören, sich synergetisch zu ergänzen, dannkann etwas Neues entstehen, das so faszinierend ist, daß esauch die Zuhörer ergreift. Diese lösen sich aus ihrer passivenRolle, klatschen den Rhythmus, feuern die Musiker durch Zuru­fe an. Musiker und Zuhörer verbinden sich zu einem KreativenFeld, das bei aUen Beteiligten eine signifikante Energiekonzen­tration bewirkt. Das Erlebnis gemeinsamen Mit-Schwingens löstoft eine machtvolle Resonanz aus, die dazu führt, daß Musikerund Zuhörer beflügeltwerden und mit neuen Ideen und einemerhöhten Energiezustand aus der Begegnung herausgehen.

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Wenn wir demgegenüber etwa die Mehrzahl der durch vorge­plante Tagesordnungen und sterile Abläufe geprägten Sitzungenin unseren Institutionen betrachten, dann können wir über dasmusikalische Synergiephänomen nur neidvoll staunen. Es stelltsich die Frage: Wie können wir das Jazzbandmodell auf unserenArbeitsalltag übertragen und zur Freisetzung ungenutzter krea­tiver Potentiale nutzen? Wie können wir lernen, gemeinsam zuimprovisieren?

Zwei Arten zu musizieren

Kaos Unterscheidung zweier grundverschiedener Arten des Mu­sizierens kann uns erste Hinweise geben.

• Die erste Art besteht aus dem Nachspielen einer vorgegebe­nen Partitur, anhand derer wir entscheiden können, ob "rich­tig" oder "falsch" gespielt wurde. Das Talent von Partituren­spielern besteht vor allem in der Fähigkeit, vorgebendeNotentexte fehlerfrei nachzuvollziehen.

• Die zweite Art finden wir im Jamming aus dem Jazz, bei demaufgrund einiger stillschweigender Übereinkünfte über eingemeinsames Thema improvisiert wird. Das Talent von Jazz­musikern besteht darin, daß sie aus der Begegnung herausspontan neue Notenkombinationen entwickeln, die überra­schend sind und gut klingen.

Kao meint nun, daß die Fähigkeit zur Improvisation eine derwichtigsten Fähigkeiten ist, die sich Unternehmen und Institu­tionen in Zukunft aneignen müssen. Worin besteht der Kern desJammens?

Wie wir uns erinnern, hat Kao Jammen als "einen Balanceaktzwischen Form und Freiheit, Disziplin und Kunst" beschrieben(S. 325).

Da wir uns in einer Gesellschaft beschleunigten Wandels be­finden, die zudem in vielen Bereichen überreglementiert ist,benötigen wir Freiräume, in denen wir die Kunst des Improvi-

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sierens erlernen und Neues generieren können. So wie in derWissenschaft eine zu starke Orientierung an den eigenen Stan­dards und an dem für vernünftig gehaltenen Wissen zum Auf­bau blinder Flecken beitragen kann, so kann zu starke Regle­mentierung in unseren Organisationen uns lähmen und daranhindern, neue, originelle Wege einzuschlagen.

"Die Nützlichkeit von Notenblättern steht nicht zur Debatte,aber zugleich ist offensichtlich, daß diese Nützlichkeit in einerWelt, in der man schnell, clever, extrem anpassungsfähig undvor allem äußerst kreativ sein muß, um im Wettbewerb zu be­stehen, ihre Grenzen hat." (S. 325)

Worinbestehen nun die Voraussetzungen für kreatives Impro­visieren? Kao nennt drei Aspekte, die uns zugleich wichtige Hin­weise dafür liefern, was wir tun müssen, wenn wir unser unge­nutztes kreatives Potential erschließen wollen: "In derWirtschaft wie in der Musiksind für die Improvisation drei Dingevon zentraler Bedeutung: eine Revision (clearing) des Bewußt­seins, eine Revision des Ortes und eine Revision der Überzeu­gungen." (S. 325)

Revision des Bewußtseins

Jazzmusiker betreten die Bühne nicht, um Noten nachzuspie­len, sondern in der Absicht, Neues zu produzieren, sich auf einunbekanntes Terrain zu wagen. In den meisten Organisationendagegen bewegt man sich allzuoft auf bekanntem Terrain, in be­kannten Routinen, Denkmodellen, Ablaufstrukturen und Ritua­len. Revision des Bewußtseins bedeutet also, die Herausforde­rung anzunehmen, das bekannte Terrain zu verlassen und mitneuen Formen und Inhalten zu experimentieren. Es geht auchdarum, sich die eigenen Konstruktionsmuster von Wirklichkeitbewußt zu machen, blinde Flecken zu entdecken und neueRäume zu öffnen.

Damit eine Revision des Bewußtseins möglich wird, brauchenMusikgruppen - aber auch Institutionen - Querdenker, die sichtrauen, Gewohntes in Frage zu stellen, und die in der Lage sind,

scheinbar Unzusammenhängendes neu zu kombinieren. HarryFrommermann war eine solche Person. Hätte er sich in jungenJahren um die Aufnahme an einer traditionellen Musikakademiebeworben, so hätte er keine Chance gehabt, seine einzigartigenIdeen in die Realität umzusetzen. Ähnliches geschieht in Fir­men und Institutionen: In der Regelsortieren wir unangepaßte,originelle Querdenker aus. Wenn wir an der Schaffung vonNeuem interessiert sind, dann müssen wir lernen, diejenigenMitarbeiter zu identifizieren, die über die Fähigkeit verfügen,als "KristaUisationskerne im Feld", als originelle "Verdichter"eine Revision des Bewußtseins anzustoßen.

Revision des Ortes

Kao erwähnt das Beispiel Charlie Parkers, der mit der Redewen­dung "I'm going to the woodsheet" auf seinen Holzschuppenhinwies, in den er ging, wenn er versuchte, neue Jazzstücke zuentwickeln. Der "Holzschuppen" steht für einen geschütztenOrt, an dem man es wagen kann, Neuland zu erkunden. GanzimSinne meiner Theorie Kreativer Felder weist Kao mit folgendenFragen auf die Bedeutung des Umfeldes für das Entstehenschöpferischer Prozesse hin.

• Wie revidiert man den Ort?• Wo steht der "Holzschuppen" in Ihrem Unternehmen?• Wo gibt es in Ihrer Organisation einen Ort, der es Ihren Mit­

arbeitern erlaubt, auf andere Gedanken zu kommen?• Welche Umgebung signalisiert, daß hier "die Post abgeht"

und sich wichtige neue Dinge tun?• Wo ist diese Umgebung?• Wo ist die Umgebung, die es Ihnen ermöglicht, einen großen

Sprung nach vorn zu tun und Neues zu produzieren?

Cummings & Oldham (1998) haben in einer Studie nachgewie­sen, daß es wesentlich von einer geeigneten Arbeitsplatzumge­bung abhängt, ob kreative Persönlichkeiten ihr Potential ent-

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falten können. Bei einer Revision des Ortes sind demnach vorallem folgende Faktoren von Bedeutung:

• Komplexität der Tätigkeit• Nicht-autoritativer Führungsstil• Unterstützende Vorgesetzte• Anregende Arbeitskollegen• Kreative Konkurrenz (motivierende Herausforderungen)

Besonders die ersten beiden Aspekte werden oft unterschätzt.Mitarbeiter mit einer kreativen Persönlichkeit leisteten nurdann einfallsreichere Arbeit als Personen mit einem niedrigerenKreativitäts-Testwert, wenn sie komplexe Aufgaben zu bewälti­gen hatten und von nicht-autoritativen Vorgesetzten unter­stützt wurden.

In einer zweiten Studie untersuchten Cummings &Oldham dieRolle des Faktors Stimulation durch Kollegen und Wettbewerbuntereinander.

"Diese zweite Studie bestätigte das Ergebnis der ersten: Ver­schiedene Typen von Mitarbeitern reagierten auf ihre Arbeits­umgebung recht unterschiedlich. WieStudie 2 zeigt, waren Mit­arbeiter mit einer generell kreativen Persönlichkeit und eineminnovativen Poblemlösungsstil zu starker Konkurrenz unter Kol­legen positiv eingestellt. Mitarbeiter mit einer wenig kreativenPersönlichkeit dagegen nicht. In dieser letzten Gruppe hatte dieStärke der Konkurrenz unter Kollegen nur geringe Auswirkun­gen auf die Zahl der kreativen Vorschläge. In der anderen Grup­pe führte hoher Wettbewerbsdruck zu einer Fülle an kreativenVorschlägen,während bei geringerer Konkurrenz unter Kollegendie Kreativen auffällig wenig fruchtbringende Vorschläge ein­brachten." (S. 40)

Eine wichtige Aufgabe besteht also darin, ein anregendesUmfeld zu schaffen, um das in der Gruppe vorhandene kreativeProblemlösungspotential freizusetzen. Wenn es darüber hinausgelingt, die Gruppenmitglieder in kreativer Konkurrenz gegen­seitig zu stimulieren, dann wird etwas ganz Neues entstehen.

In diesem Sinne war die sicher auch belastende Konkurrenz

zwischen Harry Frommermann, Robert Biberti und Erwin Bootzdurchaus ein wichtiges Element, das zum Erfolg der ComedianHarmonists beitrug. Ein Kreatives Feld zeichnet sich nicht nurdurch synergetische Harmonie aus, sondern auch durch ein ge­wisses Maß an konkurrenzorlentierter Spannung.

Revision der Überzeugungen

Negative Glaubenssysteme, die uns hemmen, soUen überwun­den, positive Visionen und identitätsstiftende Symbole ent­wickelt und ein persönlich überzeugendes Bedeutungssystemgeschaffen werden. Es soU eine Organisationskultur geschaffenwerden, die zum Querdenken, zum Begehen neuer Felder, diezur Kreativität auffordert und einlädt. Aber es ist sehr schwie­rig, über Absichtserklärungen hinaus ein Umfeld und eine Kul­tur zu verwirklichen, in der sich Kreativität auf möglichst viel­fältigen Ebenen ausbreiten kann. In diesem Sinne fragt Kao:

• Dank welcher spezifischer Maßnahmen trägt Ihre Unterneh­menskultur zur Steigerung des Bemühens um Kreativität bei?

• Wie wirkt sich diese Unternehmenskultur auf das Gesamtsy­stern, die Strukturen, Gratifikationen und SteUenbeschrei­bungen aus?

• Wie machen Sie Kreativität zu etwas Greifbarem und Hand­lungsrelevantem, so daß die Mitarbeiter selbst den Wert derKreativität begreifen?

Die Notwendigkeit eines Freiraums, der eine Revision der Über­zeugungen überhaupt erst ermöglicht, erklärt vieUeicht, warumEinzigartiges so oft in Randzonen oder außerhalb unserer eta­blierten Organisationen entsteht. Wenn wir das Entstehen vonEinzigartigem fördern wollen, dann müssen wir solche Randzo­nen und Freiräume einrichten.

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Methoden zur Schaffung Kreativer Felder

Nur wenn das Spezialistentum überwunden werden kann unddie Bildung von Diskursgemeinschaften möglich wird, eröffnensich ungewöhnliche Perspektiven. Dieser Gedanke ist alt: Schonin den sechziger Jahren schwebte Jonathan Salk, dem Nobel­preisträger und Entdecker des Polio-Impfstoffes, die Gründungeines Instituts vor, an dem Fachleute aus unterschiedlichstenFachgebieten einen interdisziplinären Diskurs führen sollten. Erwar seiner Zeit voraus, denn er stieß auf wenig Verständnis fürsein Vorhaben. In einigen Forschungsbereichen, wie etwa derHirnforschung, scheint man inzwischen die Zeichen der Zeit er­kannt zu haben. Wie Ernst Pöppel ausführt, erwarte man hieraufgrund der ungeheuren Komplexität des Gegenstandes Fort­schritte vor allem auch durch syntopische Kongresse, die dazudienen sollen, die engen Denkgrenzen der Teilkulturen unsererGesellschaft zu überschreiten. Nur durch das Zusammenwirkenvon Natur-, und Geisteswissenschaftlern sowie Künstlern ließensich komplexe Problemelösen. Syntopie ist die gemeinsame psy­chische Verortung von denkenden Menschen: "Die Verwirkli­chung dieses Prinzips sind syntopische Kongresse, auf denenMenschen aus verschiedenen Geographien an einern Ort zusam­mengebracht werden, um ein gemeinsames Wirkfeld zu erkun­den." (Maar, Pöppel & Christaller 1997, S. 22)

Bei der Verwirklichung solch ungewohnter Begegnungsformengeht es dem Jazzbandmodell entsprechend um ein erfolgreichesKreativitätsmanagement als Balanceakt zwischen den PolenFormund Chaos. DiesePole verkörpern im Kreativen Feld unter­schiedliche Personen mit ihren spezifischen Fähigkeiten. Inso­fern können eine Band, eine Institution nur in dem Maß Ein­zigartiges entstehen lassen, wie sie auch Vielfalt und kreativeSpannung zulassen. Kreativität entsteht aus der Fähigkeit zurSynergiebalance im Feld, die von einer oder mehreren Personen.angestoßen wird, die Kristallisationskerne im Feld bilden. Er­folgversprechende Führungsmodelle zeichnet es aus, daß sieeinen offenen Rahmen gestalten, der die Wahrscheinlichkeit er­höht, ungenutzte kreative Potentiale freizusetzen. Wie kann

nun eine Revision des Bewußtseins, eine Revision des Ortes undeine Revision der Überzeugung erreicht werden?

Die Antwort erscheint einfach: indem man ein Kreatives Feldschafft. Mit meiner Idee des Kreativen Feldes stelle ich mich be­wußt gegen den Trend zur Zwangsindividualisierung: Kreativitätin der Wissensgesellschaft entsteht nicht im stillen Kämmerleindes einsam vor sich hindenkenden Genies, sondern aus der Im­provisation innerhalb einer Gruppe. Die Einrichtung KreativerFelder erfordert ein Minimum an Maßnahmen, die einen Frei­raum zum gemeinsamen Improvisieren schaffen:

• ein anregender, offener Ort• eine möglichst geringe Anzahl von hilfreichen Verhaltensre­

geln• die Einigung auf ein faszinierendes gemeinsam geteiltes

Thema, über das improvisiert werden soll• eine vielfältig zusammengesetzte Diskursgruppe• ein offener Zeitrahmen• eine vorurteilsfreie, offene, nicht bewertende, dialogische

Denk- und Kommunikationskultur• die Lust am Improvisieren• eine Struktur, die Selbstorganisation und Begegnung ermög­

licht.

Ausblick - "Jammen" in Kreativen Feldern

Musizieren nach Noten wird weiterhin wichtig sein; auch dieEntwicklung komplexer Führungspartituren bleibt notwendig.Wenn es aber darum gehen soll, kreative Potentiale freizuset­zen, völlig neue Perspektiven zu entwickeln, Teamgeist und Ei­geninitiative zu fördern, dann müssen wir darüber nachdenken,wie wir die einseitig konkurrenzorientierte Zwangsindividuali­sierung überwinden, indem wir Kreative Felder schaffen, diezum gemeinsamen "Jammen" einladen. Spezialisten können soihre spezifischen Fähigkeiten, ihren speziellen Ton, ihre beson­dere Phrasierung in das gemeinsame Konzert der nach Lösungen

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,SI suchenden Musikanten der Wissensgesellschaft einbringen. Wir~ dürfengespanntsein auf die einzigartigenStücke, die auf dieseE Weise hervorgebracht werden. Auf jeden Fall wird die Wissens-~ musik der Zukunft vielfältiger und überraschender sein alsalles,..

:.:g was wiruns bishervorstellen können.'S:pltl

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"Kreativitätist das Ermöglichen neuer Wirkungseinheiten.

Kreativitätist ein kollektives Phänomen"

Gerd Binnig

"We don't need another hero!"

Tina Turner

Die Kosten derIndividuaLisierung

Wenn meine These zutrifft, daß wir vor dem Abschied vom my­thisch überfrachteten Schöpfergenie stehen und eine Vervielfäl­tigung schöpferischer Gemeinschaften etwa nach dem Jazz­bandmodell erleben werden, dann fragt man sich, was vomeinsamen Genie übrigbleibt. Ist meine These im Zeitalter derfortschreitenden Individualisierung überhaupt haltbar? Sind dieComedian Harmonists nicht die seltene Ausnahme von derRegel? Löst sich Gemeinschaft nicht überall auf, und läuft derTrend nicht auf eine konkurrenzorientierte, individualisierendeEllenbogengesellschaft hinaus? Was berechtigt mich zu derHoffnung auf kollektive Kreativität?Seit Ulrich Becks (1986) vielzitierter Schrift .Risikoqesell­

schaft" ist das Individualisierungstheorem in aller Munde. Wasbesagt es? Beck beschreibt den Doppelcharakter der Individua­lisierung folgendermaßen:

"Individualisierung meint zum einen die Auflösung vorgegebe­ner sozialer Lebensformen - zum Beispiel das Brüchigwerdenvon lebensweltlichen Kategorien wie Klasse und Stand, Ge­schlechterrollen, Familie, Nachbarschaft usw.; oder auch, wie imFall der DDR und anderer Ostblockstaaten, den Zusammenbruchstaatlich verordneter Normalbiographien, Orientierungsrahmenund Leitbilder. Wo immer solche Auflösungstendenzen sich zei­gen, stellt sich zugleich die Frage: Welche neuen Lebensformenentstehen dort, wo die alten, qua Religion, Tradition oder Staatzugewiesenen, zerbrechen?

Die Antwort, auf die zweite Seite der Individualisierung ver­weisend, heißt schlicht: In der modernen Gesellschaft kommen

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auf den einzelnen neue institutionelle Anforderungen, Kontrol­len und Zwänge zu. Über Arbeitsmarkt, Wohlfahrtsstaat, undBürokratie wird er in Netze von Regelungen, Maßgaben, An­spruchsvoraussetzungen eingebunden. Vom Rentenrecht biszum Versicherungsschutz, vom Erziehungsgeld bis zu den Steu­ertarifen: All dies sind institutionelle Vorgaben, mit dem be­sonderen Aufforderungscharakter, ein eigenes Leben zu füh­ren." (1994, S. 11 ff.)

Individualisierung hat einen Doppelcharakter: Auf der einenSeite eröffnet sie uns durch die Freisetzung aus Traditions­verbänden und fixierten Normalbiographien die historisch ein­malige Chance, unser Leben weitgehend selbst zu gestalten.Andererseits erhöht diese Freisetzung die Risiken und Entschei­dungszwänge: Nichts ist mehr sicher, alles muß entschieden undverhandelt werden. DieGestaltung des eigenen Lebenslaufs wirdzu einem mit Risiken besetzten Hindernisrennen, bei dem wirnie wissen, ob wir die "richtigen" Entscheidungen treffen.

Mit dem Aufkommen neuer Wahlmöglichkeiten entstehen auchEntscheidungszwänge, die nicht selten den einzelnen überfor­dern. Sie betreffen fast aUe Bereiche der persönlichen und be­ruflichen Lebensführung. Nicht nur das Konsumangebot hatsich derartig vervielfältigt, daß ich etwa zwischen Dutzendenvon Autotypen wählen kann; auch im Bereich des Zusammen­lebens sind neben das tradierte Familienmodell bis zu 16 unter­schiedliche Formen getreten. Die 34 Fernsehkanäle, zwischendenen ich derzeit wählen kann, bilden auch erst den Beginneines Medienzeitalters der scheinbaren Vielfalt. Manche Planerrechnen mit bis zu 500 Spartenkanälen. Wersich einmal als mo­derner Flaneur auf einen virtuellen Spaziergang durchs Internetbegeben hat, wird von der Vielfalt gebotener Informationen er­schlagen sein und verzweifelt nach Orientierung suchen. Nachdem Moorsehen Gesetz verdoppelt sich zwar die Verarbeitungs­kapazität von Computerchips alle 18 Monate, aber nach dem.Burowschen Gesetz" verringert sich damit auch permanent dieMöglichkeit, über meine freie Zeit zu verfügen. Nicht nur, daßich gezwungen werde, in immer kürzeren Zeitabschnitten immerneue Programme zu erlernen, um an Informationen zu gelan-

gen; darüber hinaus ist überhaupt nicht klar, was ich mit diesenInformationen anfangen kann. Denn Informationsfülle alleinbedeutet noch nicht mehr Wissen. In einem turbulenten gesell­schaftlichen Umfeld, in dem nichts mehr sicher ist außer dempermanenten Wandel, wird der einzelne schnell zu einem Spiel­ball. Während ich diesen Text an meinem pe schreibe, werde ichregelmäßig durch einen Signalton gestört, der mir anzeigt, daßim Hintergrund eine E-mail angekommen ist. Soll ich sie lesenoder weiterarbeiten? Soll ich mich aus dem Trend zur Vernet­zung ausklinken und auf Fax, Anrufbeantworter, E-mail undHandy verzichten, um endlich wieder Zeit für das Wesentlichezu haben? Aber was ist das Wesentliche? Muß ich nicht geradein einer Gesellschaft schnellen Wandels auf allen Kanälen dabeisein, um den Anschluß nicht zu verpassen? Müssen nicht gera­de Kreative im Zentrum des Wandels stehen? Aber wie kann ichder absehbaren Überforderung entgehen? Wie kann ich die Ko­sten der Individualisierung minimieren? Fast grenzenlose Infor­mationsfreiheit und die Vervielfältigung der Wahlmöglichkeitenlaufen paradoxerweise auf eine Verschärfung der Selbstzwangs­apparatur hinaus. Freiheit ist Zwang - wenn ich nicht Wegefinde, die neuen Freiheiten so für mich nutzbar zu machen, daßich von ihnen profitiere.

In dieser Situation des Überangebots an Wahlmöglichkeitenmüssen wir immer mehr entscheiden, ohne daß die uns zur Ver­fügungen stehende Zeit sich ausweitet. Ganz im Gegenteil wirdder Entscheidungsdruck durch die unablässige Vervielfältigungder uns zur Verfügung stehenden Informationen erhöht. Er­schwerend tritt hinzu, daß viele Informationen widersprüchlichsind und eigene Prioritätensetzungen erfordern. AlsinformierterKonsument der Wissensgesellschaft muß ich mich beim Kaufeines Produkts nicht nur um den Nutzen, das Leistungsspektrumund ähnliches kümmern, sondern mich belasten auch Informa­tionen zur ökologischen und sozialen Bedeutung des Produktsvon seiner Herstellung bis zu seiner Entsorgung. Die Auflösungstaatlicher Monopole wie der Telekommunikation entlastet michnicht nur, sondern zwingt mich nun auch noch, in Tabellenkom­plizierteste Tarifezu vergleichen. Freiheit kann Zwang bedeuten.

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Jetzt schlägt die Stunde der Berater und Experten. Sie sind dieProfiteure des Trends zur Individualisierung und Ausdifferen­zierung. Wer von uns kann noch seine Steuererklärung ohneSteuerberater machen? Wer kann von sich behaupten, die tech­nischen Geräte, die ihn umstellen, ohne Tips durch kompetenteExperten zu beherrschen? Das ist die Kehrseite der schönenneuen Freiheit: Von der Partnerwahl über die Kindererziehungbis zur Frage der Unternehmensführung werden fast aUe Berei­che unseres privaten und beruflichen Lebens beratungsbedürf­tig. Waren wir früher abhängig von Sozial- und Traditionsver­bänden, denen wir ohne unsere Entscheidung angehörten, sostehen wir freigesetzte Individuen des ausgehenden 20. Jahr­hunderts in der Gefahr, zu permanent Beratungsbedürftigen zuwerden, welche die Wahlfreiheiten, die sie wegen Überforderungnicht ausüben können, an eine neue Kaste der Berater undOrientierungsgeber delegieren.

Dies ist auch die Stunde der großen Vereinfacher. die ange­sichts unübersichtlich werdender Lebensumstände mit einfa­chen Rezepten Orientierung versprechen. Die Ratgeberliteratur,mit zum Teil grotesken Rezepten, boomt und trifft auf einedankbare Abnehmerschaft. Das ist verständlich: Angesichts desEntscheidungsdrucks, der auf den einzelnen lastet, kapitulierenimmer mehr Menschenund werden anfällig für simple Botschaf­ten.

Die Kosten der Individualisierung werden sichtbar in der wach­senden Zahl von Personen, die heillos überfordert sind und Zu­flucht in Therapien suchen.

Profiteure dieser l1neuen Unübersichtlichkeit" (Habermas) sindaber auch die modemen Heldengestalten: einsame Helden, diemutig Schneisen in den Entscheidungsdschungel schlagen undunerschütterliche Gewißheit ausstrahlen. Von Politikern überTherapeuten bis hin zu Sektengründern reicht die Skala derer,die dem verunsicherten Individuum mit einfachen Heilsbot­schaften Entlastung vom Entscheidungsdruck bieten.

Viele Individuen scheinen auf die Überforderungssituation miteinem Trend zu noch stärkerer Individualisierung zu reagieren.Soleben in Städten wie Berlin oder Frankfurt schon über 50 Pro-

zent der Einwohner in Einpersonenhaushalten. In den Medienbewundern wir die Personality-Shows der Eqomanen, die ihre In­dividualität stilisieren und auf einen Selbstverwirklichungstripgehen, der keinerlei Rücksicht auf soziale Verantwortlichkeitenmehr zu nehmen braucht. Das Ziel ist, groß herauszukommen,koste es, was es wolle. Fast scheint es so, als wäre dieser Zug zuegomanischer Individualisierung nicht aufzuhalten, und dochzeichnet sich ein Gegentrend ab: die Bildung kreativer Gemein­schaften.

Das Ende der Zwangsindividualisierung:Entstehung kreativer Gemeinschaften

Wir stehen also vor einem Paradox: Individualisierung ist sowohlBefreiungals auch Last. Vonuns wird erwartet, daß wir fast allesselbst entscheiden, und wir werden in immer mehr Bereichenauf uns selbst zurückgeworfen, mit dem Effekt, daß immer mehrMenschen vereinsamen. Dieses Paradox verschärft sich durchden Effektivierungsdruck, unter dem die Wirtschaft steht:Einerseits wird in immer mehr Bereichen die Fähigkeit zu selb­ständiger Teamarbeit gefordert, andererseits werden die Be­schäftigten aufgrund zunehmender Rationalisierung in einenWettbewerb um ihre Arbeitsplätze gezwungen. Hierdurch ent­steht das Bedürfnis, sich abzugrenzen, seine eigenen Einfällezurückzuhalten, um sich selbst besser vermarkten zu können:"Individualisierung, so gesehen, ist eine gesellschaftliche Dyna­mik, die nicht auf einer freien Entscheidung der Individuen be­ruht. Um es mit Jean-Paul Sartre zu sagen: Die Menschen sindzur Individualisierung verdammt. Individualisierung ist einZwang, ein paradoxer Zwang allerdings, zur Herstellung, Selbst­gestaltung, Selbstinszenierung, nicht nur der eigenen Biogra­phie, sondern auch ihrer Einbindungen und Netzwerke, unddies im Wechsel der Präferenzen und Lebensphasen und unterdauernder Abstimmung mit anderen und den Vorgaben von Ar­beitsmarkt, Bildungssystem, Wohlfahrtsstaat usw,' (Beck 1994,S.14)

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Auf diese Weise bildet sich ein IIMarkt-Individuum"heraus. Daes als Einzelperson versuchen muß, sich in Konkurrenz mit an­deren flexibel den wechselnden Anforderungen des Marktes an­zupassen, ist es daran gehindert, kollektive Identitäten undHandlungseinheiten zu schaffen. In einer Situation, in der fastalles im Wandel und fast nichts vorhersehbar ist, erhalten per­sönliche Kreativität und die Ausbildung synergetischer Gemein­schaften eine neue Chance: Gibt es keine eindeutigen, verbind­lichen Maßstäbe mehr, dann finde ich Sicherheit nur darin, daßich meiner inneren Stimme, meiner inneren Berufung folge.Dochdiese egozentrische Regression auf die eigene Basis reichtnicht aus, um Sicherheit, Orientierung und Handlungsfähigkeitzu gewinnen. In unübersichtlichen Situationen braucht jedervon uns einen Kreis von Unterstützern, Helfern, Gleichgesinn­ten, deren Urteilen und Kenntnissen ich vertrauen kann. DieserUnterstützerkreis kann nur zum Teil aus professionellen Bera­tern bestehen, die zwangsläufig ihren eigenen Interessen ver­pflichtet sind. Die Vervielfältigung der Möglichkeiten, die Zu­nahme an Informationen, der Zwang, in immer mehr Bereichenselbst Entscheidungen treffen zu müssen - dies alles zwingt zurAusbildungneuer Formender Gemeinschaft. MeineThese lautet:Der Prozeß der fortschreitenden Individualisierung undAusdiffe­renzierung ist nur ein kurzes Übergangsstadium. Ab einer be­stimmten Schwelle der Individualisierung wird einGegentrend zurGemeinschajtsbildung notwendig. Meines Erachtens haben wirden Höhepunkt der Individualisierung überschritten, denn invielen Bereichen werden die Kosten für den einzelnen höher alsder Nutzen. Darüber hinaus macht es die Komplexität der An­forderungen, vor die fast jeder von uns gestellt ist, nötig, neueFormen gemeinschaftlichen Entscheidens und Handelns zu ent­wickeln.

Diese neue Stufe bedeutet allerdings auch eine neue Qualitätder Gemeinschaft. Jeder von uns ist gefordert, seine Individua­lität auszudifferenzieren, sein ungenutztes kreatives Potentialfreizusetzen. Doch dies wird nur in dem Maße gelingen, wie wirdie Gemeinschaft als "fruchtbaren Boden" nutzen, aus demunser Ego seine IINährstoffell zieht. Diesbedeutet aber auch, daß

wir den Boden nicht einseitig ausbeuten dürfen, sondern pfle­gen müssen. Das Beispiel der Comedian Harmonists bestätigtdiese Einsicht: Solange die Mitglieder eine gleichberechtigte Ar­beitsteilung umsetzten, bei der jeder das einbrachte, was seinenbesonderen Fähigkeiten entsprach, war diese Gruppe kreativund erfolgreich. Sie scheiterte aber, als sie mit diesen Team­prinzipien brach. Das Nachfolgeensemble, das "Meisterquar­tett", in dem Biberti als selbsternannter Leiter sein Ego auf Ko­sten der anderen durchzusetzen suchte, zerfiel schnell. DiePhase der extensiven Individualisierung muß einer Phase der In­dividualisierung in und zum Nutzen der Gemeinschaft weichen.Individualisierung ist unter diesem Aspekt eine notwendige Vor­aussetzung für die Entstehung von kreativer Vielfalt. Nicht los­gelöster Ego-Trip, sondern kollektive Kreativität ist gefragt.

Gleichzeitig befreien wir uns mit neuen kreativen Synergiege­meinschaften von der Zwangsindividualisierung. Im Team kannich fast alles mitentscheiden, aber ich bin zugleich durch dieKompetenz der anderen entlastet. Die Vielfalt der zu berück­sichtigenden Informationen ist im Idealfall durch die Unter­schiedlichkeit der Teammitglieder und ihrer Zugänge angemes­sen repräsentiert. Der einzelne wird von der unrealistischenZumutung entlastet, alles können zu müssen, und kann sich aufdie Ausbildung seiner spezifischen Fähigkeiten konzentrieren,ohne den Gesamtzusammenhang zu verlieren. "Kreativität gibtes nur im Plural" kann so zu einer erfolgversprechenden Bewäl­tigungsformel inmitten der neuen Unübersichtlichkeit werden.An die Stelle von außengeleiteter Anpassung, wie sie in tradi­tionellen Gemeinschaften üblich war, tritt die Möglichkeit, ei­gensinnig seinen inneren Antrieben zu folgen und sich geeig­nete Felder zu schaffen. Der Soziologe OskarNegt hob in einemInterview, das ich mit ihm führte, diesen Aspekt der Ausbildungeines "eigen-sinnigen" persönlichen Profils besonders hervor:

"Der Begriff der Flexibilität, der den Menschen auf eine uni­verselle Verfügbarkeit reduziert, widerspricht im Grunde denentwickelten Produktionsprinzipien heute. Dort heißt es näm­lich, nicht der universell verfügbare Mensch ist derjenige, derkreativ in die Prozesse, auch die Produktionsprozesse eingeht,

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der notwendig ist für diese intelligenten Produktionsprozesse,sondern der eher Eigensinnige, der auf Um- und Abwegen Ge­hende, der eigenständig Suchende, Lernende." (Negt & Burow1998)

Doch was folgt daraus für unseren Zusammenhang? Ich ziehefünf Schlußfolgerungen.

• Individualisierte Schaffensprozesse sind häufig Ergebnis vonIndividualisierungszwängen und marktkonformen Selbststili­sierungen. Die Legende vorn einsamen Genie dient in diesemSinne der kompensierenden Heroisierung. Kollektive Kreati­vität wird durch Marktzwänge behindert.

• Mit der Überwindung des Individualisierungszwanges bietetsich die Chance für jeden von uns, nicht nur zu befriedigen­deren Formen schöpferischer Arbeit zu kommen und das un­genutzte eigene kreative Potential besser zu erschließen,sondern auch zu völlig neuen Dimensionen kollektiver Krea­tivität vorzustoßen.

• In der Wissensgesellschaft wird es - jedenfalls im Bereichkomplexer kreativer Schöpfungsprozesse - notwendig, schonaufgrund der geänderten Anforderungen die Zwangsindividu­alisierung zu überwinden. Dem Gegentrend der Teambildungtragen Firmen und Institutionen zunehmend Rechnung undfördern ihn.

• Eine zeitgemäße Form des schöpferischen Prozesses in derWissensgesellschaft ist die Team-Kreativität nach dem Jazz­band-Modell gemäß der Formel: "Kreativität gibt es nur imPlural".

• Dieneuen Formen kollektiver Kreativität eröffnen eine Chan­ce zur Ausbildung von schöpferischen Gemeinschaften, indenen der einzelne ein großes Spektrum seines kreativen Po­tentials verwirklichen kann, indern er Synergiepartner imFeld wird.

Bevorwir uns mit der Frage der Bildung von geeigneten Feldernbeschäftigen, möchte ich skizzieren, was wir über die Hinter­gründe kreativer Persönlichkeiten wissen. DieAnalyse ihrer be-

sonderen Fähigkeiten wird wichtige Hinweise dafür geben, wel­che Eigenschaften in einem kreativen Teamvorhanden sein soll­ten. Was der Geniekult ins Individuum projiziert hat, kann näm­lich ohne Ausnahme in einem Kreativteam durch vielfältigzusammengesetzte Mitglieder ausgefüllt werden. Wir müssennicht genial sein, aber wir sollten in der Lage sein, für unserebesondere Fähigkeit ein unterstützendes Synergiefeld zu fin­den.

Der Ort der Kreativität

Mihaly Csikszentmihalyi und Howard Gardner haben mit Hilfevon Lebenslaufstudien versucht, eine Antwort auf die Fragenach förderlichen Umfeldern zu finden. Während Gardner die"Schöpfer der Moderne" (Picasso, Freud, Einstein. Gandhi, Stra­winsky, Graham) in vergleichenden Lebenslaufstudien unter­suchte, hat sich Csikszentmihalyi auch mit Normalsterblichenbeschäftigt. Die Frage nach dem Ort der Kreativität versuchenbeide mit folgendem Modellzu beantworten:

IndividuellesTalent

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Feld (Kritiker/Institutionen) ... Domäne/

Disziplin

Abb. 1: Wo findet Kreativität statt? Nach Gardner (1996, S. 59)

Demnach bedingt die Freisetzung der eigenen Kreativität nichtallein ein gewisses Maß an individuellem Talent, sondern auchdie Wahl einer geeigneten Domäneoder Disziplin, in der sich die

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eigenen Fähigkeiten optimalentfalten können. Darüber hinausmußmanaberauchüber dasverfügen, wasSternberg (19gB) alsErjolgsintelligenz bezeichnet. Analytische Intelligenz, die inSchulen und Universitäten gefördert wird, reicht nicht aus. ZurBegabung und zur Wahl des geeigneten Faches muß auch nochdie Fähigkeit hinzutreten, soziale Beziehungen zu knüpfenundZugang zu Feldern zu finden, die darüber entscheiden, ob eineSchöpfung als kreativ zu bewerten ist. Analytische, praktischeund kreative Intelligenz sind die Bestandteile von Erfolgsintelli­genz. Das Team ist ein geeigneter Ort, um diese verschiedeneAkzentsetzungen zusammenzuführen.

Die Geschichte kennt viele Legenden über das kreative, abereinsame und verkannte Genie. Wenn an die Stelle der Genie­legende ein Feldmodell zur Verortung von kreativenLeistungengesetzt wird, dann darf man ganz im Sinnemeiner Thesen ver­muten, daß es eineVielzahl vonbislang unerkannten Kreativenunter uns gibt, denen es nur unzureichend gelungen ist, dieFaktoren von individueller Begabung, Wahl einer geeignetenDomäne und Zugang zum aufnahmebereiten Feld mit Hilfe vonErfolgsinteUigenz angemessen aufeinander abzustimmen.

Gardner arbeitet anhand einer vergleichenden Analyse der Le­bensläufe der Schöpfer der Moderne weitere Einsichten heraus.So ist es ein Kennzeichen kreativer Genies, daß sie in der Lagesind, diese Faktoren - trotz bisweilen ungünstiger Vorausset­zungen - optimal zu koordinieren.

Den Schöpfern der Moderne ist demnach zunächstgemeinsam,daß sie zeitlebens über einen intensiven Zugang zufrühen Kind­heitserlebnissen verfügten und sicheine gewisse Kindlichkeit be­wahrt haben. Offensichtlich gibt es eine Verbindung zwischender noch weitgehend offen strukturierten Welt des Kindes undder des reifen schöpferischen Menschen: "Meiner Ansicht nachsetzt jeder kreative Durchbruch die Verbindung zwischen zweidem Anschein nach disparaten Bereichen voraus: a) eine gründ­liche, oft frühreife Meisterschaft in den einschlägigen Tätig­keitsbereichen und b) eine Denkweise, eine Art der Intuition,wie man sie gewöhnlich dem menschlichen Bewußtsein früherAltersstufen zuordnet. Die erfolgreiche Fusion dieser beiden

Faktoren ist die Voraussetzung des schöpferischen Durchbruchsund zugleich die Bedingung der Möglichkeit, daß andere ihn er­fassen." (Gardner 1996, S. 473)

Gardner beschreibt frühe Spezialbegabungen der Schöpfer, dievon ihrem Umfeld erkannt und gefördert wurden. So durfte Pi­cassoschon als Kinderleben, daß seine Zeichnungen von seinemVater bewundert und gesammelt wurden. Kennzeichnend istaber auch, daß kreative Persönlichkeiten in der Lage sind, sichin einen Gegensatz zu den beherrschenden Auffassungen ihrerUmgebung zu setzen, Asynchronien auszuhalten und sie pro­duktiv zu verarbeiten. Schließlich zeichnet es die Schöpfer aus,daß sie sehr konsequent an ihren Projekten arbeiten. Dabeischeint es so etwas wie eine Zehnjahresregel zu geben: Allebrauchten etwa eine zehnjährige "Einarbeitungszeit", bis sie inder Lage waren, in ihrem Gebiet kreative Durchbrüche zu erzie­len.

Im Lichte neuerer Forschungen muß man diese Aussagejedochzumindest für den Bereich künstlerischen Schaffens relativie­ren. So hat David Galenson, Wirtschaftswissenschaftler an derUniversität Chicago, in einer selbst schon kreativ zu nennendenUntersuchung Arbeitsmarktforschung mit der Analyse modernerKunst verknüpft (vgl. Duff 1998). Während die herkömmlicheWirtschaftslehre- in Übereinstimmung mit Ansichten Gardners ­davon ausgeht, Menschen würden mit zunehmendem Alter undgrößeren Erfahrungen produktiver, kann Galenson zeigen, daßerfolgreiche Künstler immer jünger werden: "Galenson hat einenverborgenen Datenschatz gehoben, indem er an Hand der Preis­entwicklung für moderne Kunst herausgefunden hat, wie es sichim Arbeitsleben verhält. Monatelang durchforstete er Aufzeich­nungen von Auktionshäusern, vertiefte sich in die Literaturüber Kunstgeschichte und befragte Kunsthändler. $0 rekonstru­ierte er die Tendenzen der Preisentwicklung auf dem Kunst­markt seit 1980. Dabei entdeckte er ein überraschend konsi­stentes Muster: Moderne amerikanische Maler, die zwischen1880 und 1940 geboren wurden, produzierten im allgemeinenihre besten Werke über 40. Das Durchschnittsalter, in dem diefrüheren Generationen am erfolgreichsten waren, betrug 52

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Jahre, das der späteren Generationen dagegen 32 Jahre." (Duff1998)

Eine Erklärung für diese Verjüngung besteht im Entwicklungs­stand der Domäneund der spezifischen Marktverhältnisse: "Diemoderne Malerei kann am besten als Technologie in der Entwick­lungsphase verstanden werden", schrieb der Kunstkritiker LeeSteinberg 1972. "Der Künstler als Ingenieur und Forschungs­techniker wird wichtig, sofern er Lösungen für die richtigen Pro­bleme vorlegt. In solchen Zeiten haben die Jungen einen ent­scheidenden Vorteil", fügt Galenson hinzu, sie können "ganzeinfach Dinge wahrnehmen, weil sie nicht auf den ausgetrete­nen Pfaden gehen" (a.a.G.).

Galensons Untersuchung ist ein weiterer Beleg für meineThese, daß die Bedingungen für menschliche Kreativität nichtnur intrinsischer Natur sind, sondern von der Umwelt mit be­stimmt werden. Selbst scheinbar äußerliche Bedingungen wiedie Verhältnisse am Kunstmarkt entscheiden darüber, ob einKünstler sein kreatives "Coming-out" erst nach zehn Jahrenoder schon früher hat. Kreative müssen, wenn sie erfolgreichsein woUen, also die spezifischen "Marktbedingungen" der vonihnen gewählte Domänebzw. des Feldesberücksichtigen. Bega­bung auf einem Gebiet allein reicht nicht. Auch diese Einsichtist ein Argument für Team-Kreativität, weil Individuen nur sel­ten über alle Fähigkeiten verfügen, die benötigt werden, umnicht nur kreativ zu sein, sondern auch die nötige Anerkennungzu finden.Interessant ist in diesem Zusammenhang, was Gardner über

den Preis der Genie-Kreativität herausgefunden hat: Drastischspricht er von der Blutspur der Kreativen und etikettiert damitseine Einsicht, daß überragende Schöpfer häufig derart enga­giert an der Durchsetzung ihrer Projekte arbeiten, daß sie in Ex­tremfällen buchstäblich über Leichen gehen und beispielsweisedem Erreichen ihres Zieles bedenkenlos soziale Beziehungen op­fern. So ist von Binstein. über Gandhi bis Picasso der rück­sichtslose Umgang mit Angehörigen bekannt.

So beeindruckend Gardners Einsichten sind, so sehr leiden siedoch unter einem Mangel: Indem er sich auf herausragende Per-

sönlichkeiten konzentriert, bleibt die Alltagskreativität - überdie wir alle verfügen - unbeachtet. Problematischer noch: Gard­ner bleibt einem Geniekult verhaftet, der überragende Leistun­gen vor allem auf das Wirken überragend begabter Individuenzurückführt. So schreibt er auf seine Art die heroisierendeGenie-Legende weiter. Immerhin ist es sein Verdienst, mit demvon Csikszentmihalyi übernommenen Kreativitätsdreieck denBlick auf die Feldbedingungen gelenkt zu haben. Doch er tutdies aus meiner Sicht nur unzureichend. Zu sehr wird in seinerPerspektive die Leistung des Einzelgenies überbewertet. DieSynergieleistungen der Mitglieder des jeweiligen Kreativen Fel­des bleiben demgegenüber unterbelichtet.

Mit meiner Theorie Kreativer Felder komme ich zu einem ver­änderten Blickwinkel. Kreativität erscheint in meiner Sicht vorallem als Effekt besonders aufgebauter Felder.Ausschließlich dieLebensläufe von überragend Kreativen zu untersuchen führtzwangsläufig in die Irre, weil der Ort der Kreativität - wie Gard­ner ja selbst sieht - nur zum Teil im Individuum zu finden ist.Wie ich zu zeigen versuche, ist das Auftreten von Kreativität vorallem als Effekt spezifisch aufgebauter sozialer Felder anzuse­hen. Solche Felder nenne ich "Kreative Felder".

Während Gardner die Bedeutung überragender Begabungenschon in der frühen Kindheit hervorhebt, vertrete ich die These,daß fast jeder von uns zu überragenden kreativen Leistungenfähig ist, wenn er ein geeignetes Kreatives Feld findet oder esaufbaut. Als einen Beleg für diese These betrachte ich die Ent­stehung von drei Kreativen Feldern, die die letzten 40 Jahre un­seres Jahrhunderts entscheidend geprägt, wenn nicht sogarverändert haben: die Musik der Beatles, die Erfindung des Per­sonalcomputers und die Schaffung entsprechender Programme.Wie ich im zweiten Band anhand der Entstehung der Musik derBeatles, der Entwicklung des Apple-Personalcomputers und derEntstehung von Microsoft detailliert zeigen werde (vgl. Burow1999), sind diese kreativen Produkte nicht von frühbegabtenGenies, sondern von vergleichsweise durchschnittlich begabtenPersonen vollbracht worden. Die MusikerJohn Lennon und PaulMcCartney zeichnete es ebenso wie die Apple-Begründer Steve

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Jobs und Stephen Wozniak aus, daß es ihnen gelang, passendeSynergiepartner zu finden und ein Kreatives Feldzu schaffen, indem sie ihre vergleichsweise unspektakulären Begabungen opti­mal einsetzen konnten. Und auch Bill Gates fand in seinemSchulfreund Paul Allart schon früh einen Partner, der es ihmermöglichte, seine persönlichen Grenzen zu überwinden. "Wirwaren füreinander so etwas wie interaktive Quellen", resümiertGates den Einfluß seines Schulfreundes und Mitbegründers vonMicrosoft. DieBeatles, Jobs & Wozniak, Allan & Gates verbindetnicht nur die Fähigkeit zur Bildung von Synergiepartnerschaf­ten um eine gemeinsam entworfene Vision, sondern auch, daßsie selbst die Entstehung entsprechender Kreativteams initiier­ten. Die Eingangsgeschichte über die Gründung der ComedianHarmonists zeigt, wie unspektakulär solche Synergiepartner­schaften häufig beginnen: Zwei Jugendfreunde verbindet eineVision, die sie zum Kristallisationskem im Feld werden läßt. Sieziehen so die nötigen Talente und Fähigkeiten an, die sie be­nötigen, um ihre Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Gleich­zeitig gestalten sie ein Kreatives Feld, das ihre vergleichsweisebegrenzten individuellen Fähigkeiten plötzlich in einer nie fürmöglich gehaltenen Weise steigert. Frommermanns originelle,aber laienhafte Partituren werden durch Bootz' handwerklichesKönnen veredelt und durch die interessante Mischung der Sän­ger zu einem unverwechselbaren kreativen Produkt.

Diese Beispiele stehen in einem gewissen Widerspruch zuGardners Thesen. Wir müssen sie wie folgt revidieren bzw. er­gänzen: Frühe Meisterschaft kann eine wichtige Bedingung fürkreative Durchbrüche sein. Sie ist aber keine notwendige Be­dingung. Zu schöpferischen Höchstleistungen kann fast jedervon uns vordringen, wenn er das Glück hatte, sein KreativesFeld zu finden oder zu schaffen. Kreativität kann durch gelun­gene Synergiebalance im Feldentstehen. Ein Schlüssel zur Ent­faltung meiner ungenutzten kreativen Potentiale liegt imFinden geeigneter Synergiepartner. Nicht einer muß alles kön­nen, wie im Geniemythos phantasiert, vielmehr sind die not­wendigen Fähigkeiten und Kenntnisse im Teamfeldvorhanden.Jeder bringt seinen spezifischen Beitrag, sein "Bestes" ein und

erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, daß ein Spitzenproduktentsteht. Mit dieser wechselseitig sich verstärkenden Syn­ergieleistung wird nicht nur die Qualität des Produkts gestei­gert, sondern auch die Leistung von Team und Ego. Das Teamwächst über sich hinaus, weil die Egosin der Gemeinschaft ihrespezifischen Fähigkeiten, ihre "Berufung" entdecken und ein­bringen konnten.

Transfer:> Worin besteht Ihre ganz persönliche Begabung bzw.Berufung?> Wie können Sie Ihre Begabung optimal fördern?> In welcher Domäne/Disziplin haben Sie die bestenChancen, Ihr kreatives Potential optimal zu entfalten?> Welche Chancen sehen Sie, mit Ihren besonderenFähigkeiten Anerkennung und Wertschätzung zufinden?> In welchem Umfeld könnten Sie sich verwirklichen?> Gibt es ein persönliches Ziel, das Sie mit derEntfaltung Ihres Kreativen Potentials erreichen wollen?Beschreiben Sie dieses Ziel möglichst genau! Ambesten notieren Sie Ihre Antworten!

Kreative Tätigkeitsformen

Bevor wir uns der Frage zuwenden, was ein Kreatives Feldüber­haupt ist, möchte ich hier eine nützliche Typisierung kreativerTätigkeiten problematisieren. MeineThese lautet: Tätigkeitsfor­men lassen sich nicht sinnvoll betrachten, wenn man sie vomFeldloslöst, aus dem heraus sie entstanden sind. Gardner (1996,S. 444 f.) unterscheidet fünf Hauptformen:

• Lösung eines bestimmten, in derRegel wissenschaftlichen Pro­blems. Beispiele: Einsteins Auseinandersetzung mit der Mole­kularbewegung und Strawinskys Reorchestrierung klassischerStücke.

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• Entwicklung neuer allgemeiner Denkmodelle. Beispiele: Ein­steins Relativitätstheorie und Freuds psychoanalytischeTheorie unbewußter Seelenvorgänge.

• Erschaffen eines Produkts. Beispiele: einzigartige, originelle,aus dem bisherigen Rahmen eines Genres fallende Produktewie etwa Skizzen, Gedichte, Wandbilder, Opern, Romane etc.

• Stilisierte öffentliche Darstellungen. Beispiele: Tanz, Theater­stücke, Performances etc.

• Aktionen mit hohem Risiko. Beispiel dafür ist Gandhis Prakti­zierung und Durchsetzung der Methode des gewaltfreien Wi­derstands.Kreative Tätigkeitsformen nach Gardner (1996, S. 444 f.)

Kreative Tätigkeitsjormen lassen sich Gardner zufolge durchdreiAspekte allgemein charakterisieren:

1. die Wahl eines spezifischen Symbolsystems2. die Art der kreativen Tätigkeit3. besondere Momente im Verlauf kreativer Durchbrüche oder

Aktionen

Oft werden Domänen durch ein Paradigma beherrscht. InAnlehnung an Thomas Kuhns Untersuchung zur Struktur wis­senschaftlicher Revolutionen wird darunter eine Reihe vonLehrmeinungen und Grundsätzen verstanden. Kreative Persön­lichkeiten zeichnen sich häufig dadurch aus, daß sie vorherr­schende Paradigmen in Frage stellen oder zur Formulierungneuer Paradigmen beitragen, indem sie wie Einstein eine neueBetrachtung von Naturvorgängen vorlegen, wie Freud einenneuartigen Zugang zum Seelenleben oder wie Strawinsky, Eliotund Graham zu neuen künstlerischen Ausdrucksformen oderwieGandhi zu neuen politischen Aktionsformen beitragen.Wie einegenauere Analyse unter der Feldperspektive zeigt, sind aUedieseneuartigenZugänge letztlich Ergebnisse von"Teamarbeit".Was wäre Freud ohne Breuer und seine Patienten und Schüler?Was wäre Gandhi ohne die politische Bewegung, deren Bestand­teil er wurde, und die er ebenso wie sie ihn formte?

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Gardnerbleibt in weiten Teileneiner Darstellungsweiseverhaf­tet, die in der Tradition des Genie-Mythos oder der Künstlerle­gende steht. Wie wir spätestens seit Thomas Kuhns Untersu­chung zum Wandel wissenschaftlicher Auffassungen wissen,werden grundlegende Lehrmeinungen von sozialen Gruppierun­gen gestützt, die an deren Aufrechterhaltung oder Weiterent­wicklung ein wie auch immer geartetes Interesse haben. Jedekreative Tätigkeitsform stößt zwangsläufig auf Widerstand,wenn sich die Möglichkeit einer radikalen Neuerung abzeichnet,weil damit die Traditionalisten von Abwertung bedroht werden.Kreative sind so gesehen "Agenten" eines gesellschaftlichenund kulturellen Wandels und damit ihrerseits - ob sie es wollenoder nicht - Vertreter bestimmter gesellschaftlicher Interessen.Jede kreative Tätigkeitsform findet in einem sozio-kulturellenKräftefeld statt und wirkt auf dieses ein. Eine genauere Analy­se der Lebensläufe der Schöpfer der Moderne aus dem Blickwin­kel einer Theorie Kreativer Felder zeigt - so meine These -, daßsie letztlich Kristallisationskeme in einem Kreativen Feldwaren,das sie unterstützte. Die Schöpfer der Moderne konnten erst zuden einsamen Lichtgestalten umfunktioniert werden, als dieLeistungen ihres kreativen Umfeldes ausgeblendet, die kreativeSynergiegemeinschaft nicht angemessen berücksichtigt wurdeund das Bedürfnis nach Heroisierung sich durchsetzte. Kreati­vität gibt es aber nun einmal nur im Plural.

Die als Leistung eines individuellen "Schöpfers" beschriebenenkreativen Tätigkeitsformen sind letztlich verschiedene Typender Synergie- bzw. Feldkreativität. Wir wissen noch wenig überdie Wirkungen, die miteinander improvisierende Personen vordem Hintergrund günstiger Feldfaktoren aufeinander ausüben.Zur Aufklärung dieser Zusammenhänge bräuchten wir Untersu­chungen, wie sie in der Rowohlt-Reihe "Paare" begonnen wur­den: Anhand Walter Rossums brillanter Nachzeichnung dergegenseitigen Beeinflussung von Simone de Beauvoirund Jean­Paul Sartre kann man nacherleben, wie zwei Personen sich inkreativer Konkurrenz gegenseitig zu Höchstleistungen steigernkönnen, die nicht auf das geniale Individuum zurückzuführensind, sondern Ausdruck eines besonderen Paar-Feldes sind. Mag

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dies auch ein besonders spektakuläres Beispiel sein, so leben wirdoch alle in unserem Alltag solche Formen, ohne daß dies unsbewußt wäre.

Übertragen auf die Personalentwicklung erfordert diese Ein­sieht, daß wir die Leistungen von Mitarbeitern vor dem Hinter­grund ihres Umgebungsfelds betrachten sollten. Wenn Leistun­gen unzureichend sind, dann soUten wir auch über möglicheSynergiebildungen nachdenken. Übertragen auf Bildung und Er­ziehung bedeutet dies, daß wir uns für einzelne Schüler über­legen müssen, welche Teambildungen, welche sozialen Feldergeeignet sind, dem Lernenden zu helfen, sein kreatives Poten­tial zu entfalten. Die individualisierende Betrachtung kreativerTätigkeitsformen verhindert oft deren Freisetzung. So glaubenwir, jemand sei unfähig, und erkennen nicht, welche Möglich­keiten bei geeigneter Beziehungsbildungen in ihm liegen. DieFörderung kreativer Fähigkeiten ist somit immer auch ein so­zialer Prozeß.

Aber auch unter dem Gesichtspunkt, wie schwierig es ist,scheinbar bewährte Paradigmen oder Konzepte in Frage zu stel­len,erscheint es plausibel, daß kreative Tätigkeitsformen sehrviel wirksamer sein könnten, wenn wir uns nicht auf genialeEinzelkämpfer konzentrierten, sondern nach neuen Wegen zurFörderung von Team-Kreativität suchten. In Synergieteams be­stehen sehr viel bessere Voraussetzungen, die Komplexitätdurch Perspektivenwechsel angemessener zu erfassen und diesozialen Verunsicherungen auszuhalten, die mit dem Vordringenin Neuland verbunden sind. Die kreative Tätigkeit könnte sovielfältiger und produktiver werden. Die passende Antwort aufden wachsenden Bedarf an kreativen Leistungen sind das krea­tive Team und die dialogische Diskursgemeinschaft (Bohm1998). Darin liegt zugleich die Hoffnung begründet, daß esunter günstigen Bedingungen mehr Menschen möglich seinwird, kreativ zu sein. Das Zukunftsbild ist nicht der genialischeEinzelne in seinem Atelier, sondern das miteinander schwingen­de, aber auch konkurrierende Paar, die sich spielerisch mit vielSpaß ergänzende Band, das vielfältig gestaltete Kreative Feldinnerhalb einer Firma oder Institution.

Transfer:> Überlegen Sie: Welche kreative Tätigkeit liegt Ihnenbesonders?> Paßt Ihr IIProjekt" in dieses Schema, oder wie würdenSie die von Ihnen gewählte Tätigkeitsform charakteri­sieren?> Welche persönliche Fähigkeit könnten Sie in ein Teameinbringen?> Welche Ergänzungen im Sinne von fordernden/fördernden Synergiepartnern brauchen Sie?> In welchen Kreativen Feldern arbeiten Sie bereits?Wo gibt es entsprechende Partnerschaften, Gruppenetc.?

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"Felder sind überall gleichzeitig und könnenentfernte, einzelne Aktionen verbinden.

DaFelder Verhalten beeinflussen,

ist es ihnen möglich, separate Ereignisse

zusammenzuhalten und zu organisieren."Margaret J. Wheatley

Ein anti-kreativer Arbeitsplatz

Als ich daran ging, diesen Text zu schreiben, war ich zunächstfasziniert von der Fragestellung nach dem Ort der Kreativität.Den Grund für diese Faszination kennt jeder. Intuitiv spürteich selbst seit Jahren, daß es Felder gab, in denen ich kreativsein konnte, und Felder, die mich blockierten. So litt ich jah­relang unter einem Arbeitsplatz, der durch ein unbefriedigen­des soziales Klimaund eine verdeckte Konkurrenz geprägt war.FachlicheAuseinandersetzungen wurden oft durch kleinkarier­tes Machtgerangelüberdeckt. Aber schlimmer noch - ein anre­gender fachlicher Austausch fand kaum statt, und jeder forsch­te in seiner Nischevor sich hin. In Gremiensitzungen, die sehroft stattfanden, bemerkte ich ein körperliches Unwohlsein. Ichbekam Kopfschmerzen, fühlte mich müde und zerschlagen. DieErgebnisse solcher langwierigen Sitzungen waren oft nieder­schmetternd gering, obwohl an ihnen eine Vielzahl hochranqi­ger Wissenschaftler und Wissenschaftlerlnnen teilnahmen.Leider war ich nicht in der Lage, zu einer Verbesserung derunbefriedigenden Situation beizutragen. Diese frustrierendenErfahrungen führten dazu, daß ich mich nach und nach zu­rückzog und mich auf meine eigene Forschungsarbeit konzen­trierte. Ich verhielt mich also wie die Mehrzahl meiner Kolle­gen und Kolleginnen: Rückzug - und die anderen möglichstwenig in die eigenen Karten schauen lassen.

Nach und nach versuchte ich, meine Kontakte mit diesem Ar­beitsplatz auf ein Minimum zu reduzieren, weil ich mich dortoft als blockiert erlebte. Ich hatte das Gefühl, daß die Umge­bung dieser Institution für meine persönliche Entwicklung

schädigend war. Zunächst dachte ich, mein Unbehagen, meineBlockaden, mein Rückzugsverhalten seien Ausdruck meines in­dividuellen Unvermögens, mit den Strukturen dieses Arbeits­platzes produktiv umzugehen. Deshalb unternahm ich immerwieder Anläufe, dort doch noch Engagement zu entwickeln. Ingelegentlichen Gesprächen mit Kollegenentdeckte ich aber, daßes vielen ähnlich ging. Ich begann mich zu fragen, wie es mög­lich war, daß ein Ort wie die Universität, mit dem man dochKreativität und faszinierende Entdeckungsreisen zu neuen Er­kenntnissen assoziiert, zu einem solchen entfremdenden Ar­beitsplatz entartete. Nach und nach begann ich zu ahnen, daßhinter meinen Erfahrungen bestimmte allgemeine Prinzipienstehen mußten, die es mir einmal leichter und ein anderes Malschwerer machten, mich zu entfalten und meine Blockaden zuüberwinden. Offenbar gab es allgemeine Rahmenbedingungen,die dazu beitrugen, den Arbeitsplatz zu einem anti-kreativenFeld werden zu lassen, in dem die Mitarbeiter sich gezwungenfühlten, ihren hart erkämpften Besitzstand zu verteidigen.Wirkliche Entwicklung und Innovation war in diesem Rahmenoffenbar nur schwer zu realisieren.

Aha-Erlebnisse

Als Forscher hatte ich mich auf die Entwicklung der Gestalt­pädagogik konzentriert und dabei das fachliche Umfeld meinerDomäne Erziehungswissenschaft aus dem Blickfeld verloren. Ob­wohl ich aufwendige empirische Forschung betrieb, fiel es mirschwer, in der Scientific community der Erziehungswissenschaft­ler Fuß zu fassen. Zumeinem Entsetzen mußte ich erkennen, daßich mich mit meiner Forschungsarbeit auf ein Spezialgebiet kon­zentriert hatte, das vom Mainstream zu weit entfernt war. Ichhatte mich, ohne es zu bemerken, an den Rand des Feldes bege­ben und wurde nun durch die etablierten Mitgliedergezwungen,auch ihre Arbeit zu würdigen. LangeZeit hielt ich viele von ihnenfür verknöcherte Ignoranten, die Innovatives nicht zu schätzenwußten. Doch nach und nach wurde mir klar, daß ich mich zu

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::s wenig umdieEigengesetzlichkeiten desFeldes gekümmert hatte..f In einem solchen Fall schlägtdasFeld - vertreten durch seinean-"C§ erkannten Mitglieder - zurück. Mir drohte die Ausgrenzung. Ich~ begann, mich in die Fachdiskussionen einzuschalten, diskutierte'S; mit Kollegen, setzte mich mit ihren Positionen kritisch ausein-".Ci10 ander und wurde so nach und nach zu einem anerkannten Mit-~ glied des Feldes. Ja, ich konnte sogar erleben, daß hier und dort('1'1 meine Positionen Eingang in die Fachdebatte fanden. Dies war

abererst dadurch möglich geworden, daß ich mich von der Rand­position wegbewegt und die Mitglieder des Feldes nicht als Geg­ner, sondern alsSynergiepartner begriffen hatte.

Als ich Bourdieus Untersuchungen über den"Homo academicus"las, verstand ich plötzlich, wie das Feld der Universität funktio­nierte. Ich verstand, warum ich nicht egozentriert, losgelöst vonmeinem Bezugsfeld Anerkennung finden konnte. Mir wurde klar,daß Kreativität erst imEingehen auf die Mitglieder des Zielfeldesfruchtbar wird. Die Einsichten Gardners brachten mir weitereAha-Erlebnisse, und mein bisheriges Wissen verdichtete sich zueinem Muster: Ich erkannte, daß die Wahl des Ortes für die Krea­tivität von entscheidender Bedeutung ist. Also suchte ich nachErkenntnissen, die Genaueres über kreativitätsfördernde Orteaussagten. Zweifellos mußtees bestimmte Feldstrukturen geben,die erklären konnten, warum wir uns an unseren Arbeitsplätzenoft so offensichtlich anti-kreativ, ja sogar selbstschädigend ver­halten. Auf der anderen Seite schien ich aber auch über ein in­tuitives Wissen zu verfügen, was ich tun konnte, um mir einenproduktiven und anregenden Arbeitsplatz zu schaffen. MeinRückzug war so gesehen nichts anderes als ein problematischerVersuch zur. Selbsthilfe. Ohne bewußt einerbestimmten Strategiezu folgen, gestaltete ich mir nach und nach eine förderliche Ar­beitsumgebung, die vonderAusstattung meiner Arbeitsräume bishin zur aktiven Suche nachSynergiepartnern reichte.

Dies war ein wechselvoller Prozeß mit vielen Rückschlägen.Doch ich entdeckte, daß es Rahmenbedingungen gab, in denenmein Unbehagen und meine Widerstände verflogen waren, dieIdeen nur so aus mir heraussprudelten und die Schaffenslustnicht versiegte. Wie ich heute weiß, hing dies mit den Feldern

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zusammen, in denen ich mich bewegte oder die ich mir aktivschuf.

Eine wichtige Stufe auf diesem Weg war, daß ich mich an Au­toren erinnerte, die ich früher gelesen hatte, deren Schriften ichbisher aber nicht in ein Gesamtsystem einordnen konnte. Ich er­kannte, daß die unterschiedlichen Feldbegriffe, die es in ver­schiedenen Disziplinen gab, trotz sehr spezieller Fachterminolo­gien einen gemeinsamen Grund zu haben schienen. Dieserbesteht in der Erkenntnis, daß es so etwas wie allgemeine Feld­Prinzipien gibt, deren Berücksichtigung die Wahrscheinlichkeitdeutlich erhöht, daß ein Kreatives Feld entsteht. Nachfolgendwerde ich die wesentlichen Feldprinzipien skizzieren, die sichaus der sozialpsychologischen Feldtheorie Lewins ergeben. Sieweisen übrigens große Übereinstimmung mit Einsichten der so­ziologischen Feldtheorie Bourdieus, der physikalischen Feld­theorie Wheatleys und der biologischen Feldtheorie Kellys auf.Mit diesen so gewonnenen Prinzipien erhalten wir einen Schlüs­sel zur Freisetzung ungenutzter kreativer Potentiale in uns undunseren Arbeits- und Beziehungsfeldern.

Kreativität in der FeLdtheorie Lewins

Hier ist nun der Moment gekommen, wo wir uns mit den ver­schiedenen Facetten des Begriffs "Feld" genauer auseinander­setzen müssen. Betrachten wir zunächst die Feldtheorie KurtLewins. Die Entwicklung der sozialpsychologischen Feldtheorieist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Bekannt gewor­den ist er allerdings durch seine Führungsstilexperimente. Sofand er experimentell drei grundlegende Führungsstile heraus,die unter den Begriffen .Laisser-faire, demokratisch und auto­ritär" Verbreitung fanden.

Sein Lebensweg kann seine besondere Kreativität erklären.Kurt Tsadek Lewin wurde am 9. September 1890 in Mogilno (beiPosen) geboren und jüdisch erzogen. Erbegann sein Studium beiRudolf Virchow mit dem Ziel, Landarzt zu werden, wandte sichaber schon bald der Psychologie, Philosophie und Wissenschafts-

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theorie zu. Seine Habilitationsschrift "Der Begriff der Genese inPhysik, Biologie und Entwicklungsgeschichte" übersteigt denHorizont der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms­Universität. Bereits wenige Monate später reicht er eine Erweite­rung seiner Dissertation als Alternative ein. Dabei handelt essich um experimentelle Arbeiten zum Grundgesetz der Assozia­tion. In der Folge hält er Lehrveranstaltungen zur Philosophieund Psychologie ab und engagiert sich in der Lehrerfortbildung.Er dreht Filme und benutzt sie alsLehrmaterial. Auf einem inter­nationalen Kongreß der Yale-Universität (1930) referiert er an­hand von eigenen Filmen über die "Auswirkung von Umwelt­kräften". Dieser Vortrag scheint so beeindruckend gewesen zusein, daß er eine Gastprofessur an der Stanford-Universität er­hielt. Durch dierassistischen Beamtengesetze zur Emigration ge­zwungen, führt er alsKinderpsychologe seinein Berlin begonne­nen Forschungsarbeiten an der Cornell University in Ithaca undderIowa State University in denUSA fort. Mit seinem neuartigenUntersuchungsverfahren wird er zu den Begründern einer expe­rimentellen Sozialpsychologie gezählt (Lück 1996, S. 13-19).

Sicher nicht zufällig war es ein besonderes Anliegen des Emi­grantenKurt Lewin, der gerade erst den Fängen einer totalitärenDiktatur entronnen war, die Überlegenheit des demokratischenFührungsstils zu belegen, der ein Ideal der amerikanischen Ge­sellschaft beschrieb. Sowies Lewin in Experimenten mit Studie­renden nach, daß Gruppen auch ohne hierarchische Führungarbeitenkönnen und daß eine selbstgesteuerte Führung der au­toritären Führung bei vielenAufqabenstellunqen überlegen ist.Interessant ist an seinen Konzepten, daß er in ihnen grundle­gende Lebenserfahrungen, die unser Jahrhundert prägten, ver­arbeitete. Auch die Entwicklung der in unserem Zusammenhanginteressierenden Feldtheorie hat einen biographischen Hinter­grund.

Lewin dient im ErstenWeltkrieg wie viele seiner Zeitgenossenals Kriegsfreiwilliger. Er wird im August 1918 bei einem Sturm­angriff verwundet und verläßt die Armee als Leutnant derReserve im FeldartiUerieregiment 94 - ausgezeichnet mit demEisernen Kreuz. In seiner ersten Veröffentlichung (1917) hat er

sich mit der "KriegslandschaftlJ auseinandergesetzt. Durch seineErlebnisse als Soldat kam er auf die Idee, daß die Wahrnehmungdes jeweiligen Feldessubjektiv strukturiert wird. Sobeobachteteer an sich und seinen Kameraden eine Reduzierung der belebtenLandschaft auf den Aspekt eines Gefechtsfeldes. Der Soldatsieht - aufgrund seiner gefährdeten Lage - in der Landschaftetwas ganz anderes als etwa der Tourist.

Lück (1996, S. 20 f.) hat den Stellenwert dieses Aufsatzes fürdie Entwicklung der Feldtheorie herausgearbeitet, indem er dieSchlüsselzitate Lewins hervorhob:

"Nicht die physikalische Beschaffenheit der Umgebung desSoldaten, sondern der erlebnismäßig strukturierte Raum, vonLewin später auch als Lebensraum bezeichnet, findet sein Inter­esse. Bereits hier, im Aufsatz über die Kriegslandschaft, findetsich die von seinem Lehrer Carl Stumpf übernommene und vonLewin auch selbst ausdrücklich benannte Phänomenologie, undhier findet man auch schon zentrale Begriffe der späteren Feld­theorie wie Grenze, Zone, Gerichtetheit. Die runde Friedens­landschaft und die durch die Front begrenzte Kriegslandschaftwerden verglichen: ,Wenn man von der Etappe sich wieder derFront nähert, so erlebt man eine eigentümliche Umformung desLandschaftsbildes. Mag man auch schon weiter zurück hin undwieder auf zerstörte Häuser und andere Kriegsspuren gestoßensein, so hatte man sich doch in einem gewissen Sinne in einerreinen Friedenslandschaft befunden: Die Gegend schien sichnach allen Seiten hin ungefähr gleichmäßig ins Unendliche zuerstrecken. (... ) Nähert man sich jedoch der Frontzone, so giltdie Ausdehnung ins Unendliche nicht mehr unbedingt. Nach derFrontseite hin scheint die Gegend irgendwo aufzuhören; dieLandschaft ist begrenzt' (Lewin 1917, S. 441, KLW 4,315 f.). Dieanschauliche, durch Erfahrung geprägte Beschreibung beziehtin seinem kurzen Aufsatz über die ,Kriegslandschaft' auch Ge­genstände und Personen ein: ,Was innerhalb der Gefechtszoneliegt, gehört dem Soldaten als sein rechtmäßiger Besitz, nichtweil es erobert ist (... ), sondern weil es als Gefechtsgebilde einmilitärisches Ding ist, das naturgemäß für den Soldaten da ist.Selbst etwas so Barbarisches, wie das Verbrennen von Fußböden,

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Türen und Möbeln ist völlig unvergleichbar mit einem derarti­genVerbrauch von Möbeln in einernHause nach Friedensbegrif­fen. Denn, wenn auch diese Dinge ihre Friedensmerkmale nichtganz verloren zu haben pflegen, so tritt doch sehr viel stärkerder ihnen als Kriegsding zukommende Charakter in den Vorder­grund, der sie häufig unter ganz andre Begriffskategorien zuordnen veranlaßt' (1917, S. 445)."

Lewins Beschreibung ist - wie wir sehen werden - für unsereFrage nach den Grundlagen kollektiver Kreativität deshalb in­teressant, weil er herausarbeitet, daß Felder nicht objektiv ge­geben, sondern in Teilen subjektiv konstruiert werden. DieseFähigkeit zur Umkonstruktion ist aber eine Grundvoraussetzungfür Kreativität. Der Kreative verfügt insbesondere über dieFähigkeit, in Bestehendem Neues zu sehen. Das Kreative Feld istnur zumTeil durchRahmenbedingungen gegeben, es kann auchaktiv kreiert werden. Lewin nähert sich hier seinem spezifi­schen Feldbegriff, den er später näher differenzieren wird.Worin unterscheidet er sich von traditionellen Feldbegriffen?

Vom Wappen zum Lebensraum

Der Begriff Feld bezeichnete ursprünglich die Gesamtflächeeines Wappens: "Newton sprachals erster von einemFeld, näm­lich dem der Schwerkraft. Nach seinem Modell hatte die Gravi­tation ihren Ursprung in einemKraftzentrum, wie zum Beispieldem Mittelpunkt der Erde, und breitete sich von da ausgehendin den Raum aus. Imaginäre Kraftlinien durchschnitten denWeltraum und zogen Objekte in Richtung Kraftzentrum, in die­sem Fall die Erde. In Newtons Modell der Gravitation ging eineKraft von einem Ursprung aus und wirkte auf andere Kräfteein." (Wheatley 1997, S. 69)

Was versteht nun Lewin unter einem Feld? Lewin hat den Feld­begriff der Physik entlehnt und mit seinen Erlebnissen aufgela­den. Ein "Feld" ist demnach zunächst ganzimSinne Newtons "einRaum, dem an jedem Punkt einebestimmte Charakteristik zuzu­schreiben ist. Das Gravitationsfeld beschreibt beispielsweise eine,

bestimmte Energieverteilung, die erst wirksam wird, wenn "etwasmit ihm geschieht", etwa wenn man eine Kompaßnadeleinbringt,die dann, je nach den im Feld wirkenden Anziehungs- oder Ab­stoßungskräften, in eine bestimmte Richtung ausschlägt.

"Mit dem Terminus Feld bezeichnet man in der Physik in derRegelnicht die in einem bestimmten Raume verteilten Energien,sondern die in einem bestimmten Raume bestehenden, durchKraftlinien dargestellten Zug- und Druckkräfte" (Lück 1996,S. 8). Lewins genialer, wenngleich umstrittener Kunstgriff be­steht nun darin, daß er diese physikalische Betrachtungsweise indie Psychologieeinführt: "Auch der Menschsteht in Spannungs­feldern, und die Zug-und Druckkräfte können menschliches Ver­halten besser beschreiben als die herkömmlichen Begriffe."(a.a.O.)

Kompaßnadeln gleich sind wir sozialen und kulturellen "Ener­giefeldern" ausgesetzt, die einen gewichtigen Einfluß daraufhaben, wie wir unser Potential entfalten. Aber wir selbst kön­nen aufgrund bewußter Wahrnehmung den Ausschlag der Nadelbeeinflussen.

Das Feld ist ein "erlebnismäßig strukturierter Raum"

Wennwir den Menschen in diesem Sinne als "Kompaßnadel" be­trachten, die sich in unterschiedlich magnetisierten Feldern be­wegt, dann können wir uns vorstellen, daß verschiedene Felderunterschiedliche Richtungsanzeigen zur Folge haben. Oder an­ders gesprochen: Wir suchen nicht nur aktiv bestimmte Felderauf; Felder wirken auch auf uns ein. Ähnlich wie bei physikali­schen Gravitations-, Magnet- und Elektrofeldern, die für uns un­sichtbar sind, ist uns meist nicht bewußt, welche Wirkungen"soziale Felder" auf uns haben können. Lewins Interesse giltdem erlebnismäßig strukturierten Raum, den er später als .Le­bensraum JI bezeichnet und den er durch eine Nachzeichnung derin ihm wirkenden Druck- undZugkräjte genauer bestimmen will.Dabei gilt, daß der Lebensraum nicht durch objektiv gegebeneKräfte allein geprägt ist, sondern daß er vom Betrachter selbst

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::s aktiv strukturiert wird. Die Kompaßnadel ist also - um im Bild.f zu bleiben - selbst aktiv."C§ "Erlebnismäßig strukturiert" meint also, daß der Raum nicht~ etwas "objektiv" Gegebenes ist, sondern zumTeil vom BetrachteroIJ

] selbst erschaffen wird. Lück (1996, S. 21) vermutet, daß Lewin"' hier an Vorstellungen Wlassaks (1892) anknüpft, derin einerAr-~ beit über die"Psychologie der Landschaft" meinte, beim Betrach-M ten einer Landschaft sei das psychische Gesamterleben des Be­

trachters ausschlaggebend: "Das Selbst des Betrachters werde indie Landschaft hineingetragen, und es erfolge eine entsprechen­de Auslese der Teile, die sich zu einem Bild zusammenfügen."

Mit seiner Beschreibung der Veränderung der Wahrnehmungeiner Landschaft durch den gefechtsfeldzentrierten Blick desSoldaten zeigt Lewin, wiebestimmteEinstellungen und Interes­sen dazu führen, daß wir Landschaften, Personen und Gegen­ständen unterschiedliche Bedeutungen geben. Für unseren Zu­sammenhang, nämlich die Frage, wie sich Kreative Feldererzeugen lassen, ergibt sich also die Einsicht, daß die Wahrneh­mung des Feldes nicht "objektiv" gegeben ist, sondern von derEinstellung desBetrachters abhängt, von der Art und Weise, wieer sein ,Selbst' in die Landschaft einbringt. Die Landschaft istalso immer erlebte Landschaft. Mit anderen Worten: Ob ein Feldfür die Entfaltung meines kreativen Potentials günstig ist,hängt nicht nur von der gegebenen Struktur des Feldes ab, son­dern auch von der Art und Weise, wie ich mir das Feld er­schließe; oder anders gesagt: Aufwelche spezifische Weise ichdas Bild der Landschaft persönlich akzentuiere. Sowohl in mirals auchin derLandschaft liegt eine unerschlossene Potentialitätvon Möglichkeiten, die erst dadurch real wird, daß ich mich füreine besondere Wahrnehmung entscheide oder eine bestimmteWahrnehmung an mich herangetragen wird. Die Art und Weise,wie ich mein Selbstin die Betrachtung der Landschaft einbrin­ge und sie damit strukturiere, sagt etwas darüber aus, wie weitich in der Lage bin, meinen kreativen Spielraum auszunutzen.

Kreative Teams sinddurch Anregung und Austausch in derLage,besondere Zugänge zu Feldern zu bekommen, ihnen einenbeson­deren Sinn zu geben und gestaltenso ganzneue Landschaften.

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Die Beschreibung des "Lebensraums" bei Lewin

Durch meine spezifische Art der subjektiven Wahrnehmung er­schaffe ich mir meinen Lebensraum, so ein SchlüsselbegriffLewins. Wie kann nun der Lebensraum so beschrieben werden,daß die Muster unserer persönlichen Wahrnehmungsakzentu­ierungen nachvollziehbar werden? Lewin weist hier auf dieSchwierigkeiten hin, einen wissenschaftlichen Zugang zu ge­winnen, der hinreichend aussagekräftig ist: "Die (...) bestenSituationsbeschreibungen finden wir bei Dichtern wie etwa Do­stojewski. Hier ist vor allem das erreicht, was bei allen Durch­schnittscharakterisierungen notwendig fehlt, nämlich eine hin­reichend eindeutige Bestimmung, wie die verschiedenen Fakten,die in der Umwelt der betreffenden Person vorkommen, zuein­ander stehen, wo sich die Person selbst innerhalb dieser Situa­tion befindet, und was ihre psychologische Beziehung zu denverschiedenen Gebilden ihrer Umwelt ausmacht." (1936, zitiertnach Lück 1996, S. 46).

Lewin versuchte, diesem Mangel abzuhelfen, indem er eine.topoloqische" Darstellung des Lebensraums erfand. Er benutz­te dazu die sogenannte Jordankurve (ovale begrenzte Fläche).

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Lebensraum dargestellt durch die Jordankurve mit Person P.Regionen des Lebensraums mit positiven und negativen Valenzen.

Ein unzugänglicher Bereich des Lebensraums ist schraffiert dargestellt.

Abb. 2: Lewins topologische Darstellung desLebensraums nachLück (1996, S. 51)

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:9 "Der durchdieJordankurve dargestellte Lebensraum umfaßt die.2 Person - dargestellt als Punkt. Veränderungen im Lebensraum-a§ sind das Ergebnis von Feldkräften. Regionen des Lebensraums

:'lO mit positiven Valenzen veranlassendie Person, diese Region als~ Zielregion anzustreben und dabei Regionen mit negativem Auf-III forderungscharakter zu meiden." (Lück 1996, S. 50)l!!~.M

Selbstbezug als wirksame Kraftquelle

Was bedeutet diese Lebensraumdarstellung für die Erschließungunseres kreativen Potentials? Kreativität findet in einem sub­jektiv strukturierten Lebensraumstatt, d.h., wir selbst steckendurch die Bewertung, die Setzungvon positiven oder negativenValenzen die Grenzen unserer Entfaltungsmöglichkeiten ab.Diese Auffassung von der aktiven Gestaltung der Grenzen unse­res Lebensraums scheint nicht nur allem zu widersprechen, waswir intuitiv vermuten, sondern setzt uns auch unter einem er­heblichen Druck: Wir sindin weiten Teilen selbstverantwortlichfür dieUmgebung, die wiruns schaffen. Viele Leser werden die­ser Auffassung Lewins widersprechen. Solchen Skeptikern emp­fehle ich, sich einmal mit demLebenslauf Charlie Chaplins aus­einanderzusetzen. Ohne Vater und in erdrückenden materiellenVerhältnissen aufgewachsen, gelang es Chaplin schon als Kind,einerettende Vision zu entwickeln und sich nach und nach dieUmwelt zu schaffen, die er benötigte, um sein Talent zur Ent­faltung zu bringen. Es wäre ein lohnendes Unterfangen, einqe­henderzu verfolgen, welche "Valenzen" des Feldes auf der einenSeite und welche inneren Zustände auf der anderen Seite Chap­lin dazu befähigten, seine Umwelt und sein Schicksal anderswahrzunehmen als seine Mitmenschen (phänomenologischerAspekt); sich aufgrund seines besonderen Blickwinkels ein ei~

genes Umfeld zu schaffen (Veränderungsaspekt) und aus demSelbstbezug heraus Kraft zu schöpfen (Selbstbezug).

Eine solche Untersuchung, so meineThese, würdezeigen, daßähnlich wie bei Frommermann am Anfang die Entdeckungeiner eigenen Begabung steht, die sich aber erst durch erfolg-

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reiche Suche nach den geeigneten Synergiepartnern entfaltenkann.

Chaplin war wie Frommermann ein KristaUisationskern, derdurch den Glauben an seine innere Berufung - auch unter wi­drigsten Bedingungen - Partner anzog. Steve Jobs beharrte alsLaie auf seinem Traum vom Personalcomputer und begeistertemit dieser Idee Synergiepartner, die aus seiner Idee den Macin­tosh entwickelten. Die Beatles probten mit einer armseligentechnischen Ausstattung in schmuddeligen Kellern Liverpoolsund verfügten nur über rudimentäre musikalische Kenntnisse.Und doch "groovte" es in ihnen, in ihrer Vision. Sie beharrtenauf ihrer größenwahnsinnig anmutenden Idee und schufen soein Anziehungsfeld, das ungeahnte Kräfte freisetzen sollte.

Dies alles war nicht zuletzt auch dadurch möglich, daß sie imKontakt mit sich selbst waren. Wir wissen aus der Führungs­forschung (Gardner 1997), daß Selbstähnlichkeit ein Erfolgs­geheimnis charismatischer Führer ist. Wenn ich meine innereBerufung erkenne und sie glaubwürdig lebe, dann werde ich an­dere Personen anziehen, die ebenfalls auf der Suche nach Selbst­ähnlichkeit sind.

Hierzu bedarf es biographischer Selbstreflexion, die deutlichmachen kann, aus welchem Kontext meine .Lebensthemen","Leitmotive" oder "Persönlichen Paradigmen" (Burow (1993)stammen. Es geht um die Erschließung des biographisch akzen­tuierten persönlichen Hintergrundes bzw. Feldes, aus dem sichmeine Kreativität speist. Mit der Offenlegung dieses Hintergrun­des ergibt sich zugleich ein Weg zur Erschließung der Quellenmeiner kreativen Potentiale.

Hierzu kann gehören, mir bewußt zu sein, daß jeder von unsüber seine spezifische Stellung im Familienverband zum Trägergenerationenübergreifender Botschaften werden kann. Sulloway(1997) glaubt, anhand der Analyse TausenderBiographien nach­weisen zu können, daß jüngste Geschwister besonders kreativsein müssen, weil sie in ein von den älteren besetztes Feld hin­einwachsen. Vielleicht habe ich also im Familiensystem eine be­sondere Rolle eingenommen und führe Aufgaben weiter, dieetwa mein Großvater nicht erfüllen konnte. Vielleicht sind wir

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also in diesem SinneTräger von Aufgaben, die aus einern über"greifenden Hintergrund stammen. Es könnte sein, daß diese hi­storischen Systeme im Sinne einer metabiologischen Evolutionüber Familienbotschaften und Erziehungsmechanismen weiter"wirken. Mit der Bewußtwerdung dieses aus derVergangenheit inmeine Gegenwart wirkenden biographischen Feldes eröffnet sichfür mich ein Spielraum zu entscheiden, obich die "Aufträge" er"füllen oder einen anderen Weg wählenmöchte.

Auch wenn es auf den ersten Blick wenig plausibel erscheinenmag, Mangelsituationen beschränken nicht zwangsläufig dieEntfaltung unseres Potentials - sie können auch ein sehr frucht­barerAnsporn sein und verborgene Kräfte in uns freisetzen. Vordem Hintergrund meiner bisherigen Überlegungen ist ein Grunddafür auch klar: Mangelsituationen sind so etwas wie freieRäume, die Kreativität geradezu herausfordern. Aufder anderenSeite folgt aus vermeintlich optimalen Rahmenbedingungennoch keineswegs, daß sich hier in besonderer Weise Kreativitätentfaltet. Entscheidend ist vielmehr, in welcher Weise ich mitden gegebenen Bedingungen umgehe, wie ich sie bewerte undwie weit es mir gelingt, günstigeFelder zu erschließen.

Wie Goleman (1996) jüngst gezeigt hat, spielt hier die "emo"tionale Intelligenz" eine entscheidende Rolle, also die Frage, wieich die Felder, in denen ich mich bewege, bewerte und als An~triebskräfte nutzen kann. Eine besonders wirksame Kraft istdabei die Übereinstimmung mit mir selbst. Selbstbezug kann alseine der wichtigsten Antriebskräfte für die Selbstentfaltung be­trachtet werden. Wenn ich mit den in mir wirkenden Kräftenübereinstimme, entwickle ich eine Energiekonzentrierung, dieauf die im Feld wirkenden Kräfte Einfluß hat. Die Entwicklungeiner überzeugenden persönlichen Zukunftsvision kann - wiewir am Beispiel Harry Frommermanns gesehen haben - eine derwirksamsten Möglichkeiten sein, um dem Feld seinen eigenenStempel aufzudrücken und sich- zumindest ein Stückweit- vonden deterministisch wirkenden Kräften zu befreien. rrommer­manns Lage schien ebenso wie die Chaplins aussichtslos, unddoch gelang es beiden, das Feld als Möglichkeitsraum zu sehenund es mit Hilfe ihrerVisionen aktiv zu gestalten. Günstige Um-

stände mögen beiden hilfreich gewesen sein, doch ohne Visionhätten sie diese nicht nutzen können. Mit unserer Vision schaf­fen wir Anziehungspunkte im gesellschaftlichen Feld für unsselbst und für mögliche Synergiepartner. Wir bringen gewisser­maßen Anziehungskräfte ins Spiel, die nicht nur bewirken kön­nen, daß wir für uns neue Möglichkeiten entdecken, sondernauch dazu beitragen können, daß wir von einer unbeachtetenPerson zu einem Kristallisationskern im Feld werden. Die Visionkann so zu einer Art positiver self-fulfilling prophecy werden, zueinem "Schopf", an dem wir uns aus dem "Sumpf" ziehen.

Lebensraumdarstellung - Das Feld meiner Möglichkeiten

Um in diesem Bereich mehr Bewußtheit zu entwickeln, kann esin Analogie zu Lewins Jordankurve hilfreich sein, von Zeit zuZeit den eigenen Lebensraum zu skizzieren. Dadurch erhält manein topologisches Analyseinstrument, mit dessen Hilfe man sichklarer darüber wird, in welchen Räumen man sich bewegt, wel­che Bewertungen man vornimmt und welche Räume man als un­erreichbar einschätzt; auf welche Weise ich also meinen Lebens­raum begrenzen oder erweitern kann.

In Seminaren haben wir - ohne die Lewinsehe Darstellung zukennen - in Anknüpfung an MorenosSoziogramm und an Mind­map-DarsteUungen (vgl. Buzan & Buzan 1996) versucht, Le­bensräume von Seminarteilnehmern graphisch zu erfassen, unddabei die Erfahrung gemacht, daß diese vergleichsweise einfa­chen Verfahren gut geeignet sind, Bewußtheit über die eigeneVerortung im sozialen Raum zu erhalten und darüber hinausHinweise auf diejenigen Bereiche zu erhalten, die man gezieltentwickeln möchte. Oft wird den Teilnehmern bei der Skizzie­rung der eigenen Lebensraumkonstruktion bewußt, inwieweitsie sich von wichtigen Zielen entfernt haben. Indem sie einegrößere Bewußtheit über ihren persönlichen Lebensraument­wurf erhalten, können sie darüber nachdenken, ob sie wichtigeAspekte übersehen haben oder neue Akzente setzen wollen,Viele entdecken ein Feld ungenutzter Möglichkeiten.

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Welche Valenzen setze ich in meinem Umfeld?

In nachfolgender Abbildung stelle ich ein Beispiel dafürvor, wieman in Analogie zu Lewin die positiven, negativen und uner­reichbaren Räume, die den eigenen Lebensraum kennzeichnen,verbildlichen kann. Jeder sollte seine eigene Darstellungsformfinden. Wichtig ist nur, daß die gewählte Form geeignetist, einhinreichend differenziertes räumliches Bild des eigenen Lebens­raums undder in ihm wirkenden Druck- undZugkräjte zu liefern,mit dessen Hilfe man denIst-Zustandoderden gewünschten Zu­stand oder das Zielfeld beschreiben kann. Weiter unten werdenwir eine andere Darstellung kennenlernen, in welcher der eige­ne Lebensraum in Beziehung zu möglichen Synergiepartnernbeschrieben wird. Zunächst unterscheide ich hier die Darstel­lung sozialer Beziehungsjelder (Beziehungen zu Personen) undthematischer Zielfelder (Beziehungen zu Sachgegenständen).

Zur Zielklärung und Selbstanalyse kann es sinnvoll sein, ent­sprechende Darstellungen für die privatenund beruflichen Felderzu erstellen, in denen man lebt. Durch die Darstellung der posi­tiven und negativen Valenzen sowie der unerreichbaren Räumekönnen Sie eine größere Bewußtheit über Ihre Ist-Situation er­reichen. Wenn wir uns an Lewins Darstellung des Lebensraumsmit Hilfe der Jordankurve erinnern, dann können wirselbstun­seren eigenen Lebensraum nach diesem Muster skizzieren.

lngeErfolgsdruck

Rainer

Termindruck

Pflichterfüllung

+

Familie

Gestaltszene

RenatePeter

Partnerin

"Berufung" 0Kreatives Schreiben

Lesen SchwimmenWandern Radfahren

Reisen

Lebensraum dargestellt durch dieJordankurve mitPerson P.Regionen des Lebensraums mitpositiven undnegativen Valenzen.

Bin unzugänglicher Bereich des Lebensraums ist schraffiert dargestellt.

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Stufe 1: Mein .Lebensraum"im Hier-und-Jetzt1. Sortieren Sie den von Ihnen wahrgenommenen "Lebens­

raum" nach positiven, negativen und unerreichbarenValenzen.Beantworten Sie die Frage:Welche Personen, Gegenstände, Aktivitäten etc. haben eineanziehende oderabstoßende Wirkung auf mich? Welche halte ich für uner­reichbar?

2. Nach dieser Grobsortierung ordnen Sie die einzelnen"Elemente" (Personen, Gegenstände, Aktivitäten etc.)räumlich so an, daß die Nähe zu Ihrer Person (P) ausdrückt,wie wichtig sie Ihnen sind.

Erläuterung zur AbbildungIm Zentrum meiner Lebensraumskizze stehe ich als Person (P).Ich teile meinen Lebensraum in positiv (+) und negativ (-) be­setzte Felder. In diese Felder schreibe ich diejenigen Personenoder Gegenstände, die einen positiven oder negativen Aufforde­rungscharakter für mich haben. Eine weitere Differenzierung er­gibt sich dadurch, daß die räumliche Entfernung, welche diePersonen oder Gegenstände zu mir (P) haben, etwas darüberaussagt, wie ich zu ihnen stehe. In dieser Abbildung bilden dieBeziehungen zur Partnerin, zur Familie, zur eigenen Berufungund zum kreativen Schreiben den inneren Kern derjenigen Per­sonen, Gegenstände oder Tätigkeiten etc., die mich besondersanziehen. Herbert, beispielsweise ist ein Freund, aber Petersteht mir erheblich näher, deshalb ist er räumlich näher zu (P)angeordnet. Ich kann auch Gruppen um mich herum bilden undso feststellen, wie das Feld aufgebaut ist, in dem ich mich be­wege und das ich zum Teil selbst gestalte.

Die schraffiert gekennzeichneten Bereiche halte ich im Mo­ment für unerreichbar. Das müssen sie aber nicht bleiben. Hierist der Bereich der persönlichen Vision zu verorten. Wie wir wis­sen, können Visionen erstaunliche Anziehungskräfte auf Perso­nen und Gruppen ausüben. Kreative Persönlichkeiten zeichnensich ja gerade durch ihre visionären Fähigkeiten aus, die sie erst

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zu KristaUisationskernen im Feld werden läßt. Insofern ist derfür unerreichbar gehaltene Bereich meiner Sehnsüchte undWünsche eine wichtige KraftqueUefür die Erschließung des un­genutzten kreativen Potentials in mir und im Feld.

Zur Illustration, wie folgenreich sich schon frühe intuitive Le­bensraumdarstellungen eines Schülers auswirken können, soUeine Äußerung des Filmemachers Werner Herzog über seineSchulzeit dienen: "Ich war sehr unglücklich in der Schule, wirk­lich sehr unglücklich. Auch die Art, wie Literatur betriebenwurde, habe ich mit solchem Abscheu gehaßt, daß ich es bisheute nicht fertiggebracht habe, den Faust zu lesen. Bis heutenicht. Zum Glück ist die Schule, also die letzten zweieinhalbJahre, fast völlig an mir vorbeigegangen, weil ich nämlich Geldverdienen wollte, um Filme machen, zu können. Ich wußte, ichmuß selber produzieren, ich würde nie einen Film machen kön­nen, weil ich überall hinausgeworfen wurde. Und von Zuhausehatte ich nichts, wir waren sehr arm. Ich habe dann nachts ineiner Stahlwarenfabrik gearbeitet. Auch während des Abiturshabe ich übrigens gearbeitet. Und das wurde auch respektiert.Die meisten Lehrer haben gemerkt, irgend etwas stimmt mitdem nicht ganz. Aber lassen wir ihn besser in Frieden." (Gun­tern 1996, S.60)

Herzog hat den Bereich der Schule überwiegend mit negativenValenzen versehen, während die Vorstellung, Filme zu machen,die stärkste positive Valenz war. Gleichzeitig lag sie aufgrundseiner materiellen Lage im Bereich des Unerreichbaren. Dochseine Visionwar so stark, daß das scheinbar Unerreichbare Wirk­lichkeit wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daßdie Lehrer ihn mit ihren Themen nicht erreichen konnten. Mitanderen Worten:Wennwir gemeinsam lernen woUen, dann müs­sen wir unsere impliziten Lebensentwürfe berücksichtigen. Diebeste Didaktik nützt nichts, wenn der Gegenstand vom Lernen­den - aus welchen Gründen auch immer - mit negativen Valen­zen versehen ist. Erfolgreiches Lehren und Führen setzt alsovoraus, wirkungsvoll positive Valenzen in die Lebensraument­würfe der Mitarbeiter einbringen zu können.

Stufe 2: Mein .Lebensraum"aus derPerspektive andererDie obige LebensraumdarsteUung beschreibt mit ihren Berei­chen meine augenblicklich von mir wahrgenommenen persönli­chen Beziehungen zu Personen und Gegenständen. Sie ist einsubjektiver Entwurf der von mir im Hier-und-Jetzt wahrgenom­menen Situation. Wer mich kennt und von außen betrachtet,könnte einen ganz anderen Eindruck haben. Insofern kann esinteressant sein, wenn man Partner, Freunde oder Bekanntedarum bittet, ihre Sicht meines Lebensraums zu skizzieren.Hierdurch kann ich Aufschluß über Wahrnehmungsverzerrun­gen und blinde Flecken erhalten.

Stufe 3: Mein"Wunsch" oder "Ziel-Lebensraum"Nachdem ich die von mir wahrgenommene Hier-und-Jetzt-Si­tuation skizziert habe, kann ich überprüfen, inwieweit ich mitden derzeit von mir vorgenommenen Bewertungen zufriedenoder unzufrieden bin. Eine Möglichkeit, mit der wir in Zu­kunftswerkstätten und Zukunftskonferenzen arbeiten, bestehtdarin, eine Phantasiereise in mein Leben der Zukunft zu unter­nehmen. Ich stelle mir vor, wie mein Lebensraum aussehenkönnte, wenn er sich nach meinen Wunschvorstellungen ent­wickelt. Wie würde sich die Anordnung der Personen, Gegen­stände oder Aktivitäten ändern? Wie würde ich sie umgruppie­ren und welche veränderten Valenzen würde ich setzen? Beidieser Übung ist es wichtig, sich vorzustellen, alles sei möglich.Der Zukunftsforscher Robert Jungk wies mich im Gespräch aufdie phantasietötende Wirkung der "Verwirklichungsschere" hin,die wir alle im Kopftragen.

Diese Darstellung meines erträumten Lebensraums kann ichnun mit meiner Darstellung des Ist-Zustandes vergleichen undmir überlegen, was ich tun will, um meiner Visionnäher zu kom­men.

Stufe 4: Lebensraumdarstellung als Tage- und DrehbuchWenn man Lewinund manchen Vertretern des Konstruktivismusfolgt, dann sind wir - zumindest in Teilen - Regisseure unseresLebens. Wir schreiben das Drehbuch unseres Leben über weite

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Strecken selbst. Die LebensraumdarsteUung eröffnet die Mög­lichkeit, eine stärkere Bewußtheit über die von uns gewählteDramaturgie unseres Lebens zu erhalten. Ein vergleichsweiseunaufwendiges Instrument dazu besteht darin, in Abständenvon 6 bis 12 Monaten die Hier-und-Jetzt sowie die Wunschdar­stellung zu wiederholen. Ich erhalte so eine Art Tagebuch undkann verfolgen, wie sich meine Vorstellungen unter dem Druckder Umstände verändern. Ich kann die Bewegungen nachzeich­nen, die ich in meinem sozio-kultureUen Umfeld beschreibe. Mitder Zeit kann ich so regelmäßige Muster und Themen meiner Le­bensgestaltung erkennen. Mit der wachsenden Bewußtheit übermeine Bewegungsrichtung in Raum und Zeitwächstdie Chance,daß ich als bewußter Regisseur meiner Umstände eingreifenkann. Wie klein odergroß auch die Möglichkeiten bewußterLe­bensgestaltung sein mögen, so erhalte ich doch auf jeden FallmehrTransparenz über meinenWeg. Ichweiß somehrübermeinEgo und erkenne leichter, was für ein Team ich zur Ergänzungbrauche.

Stufe 5: Der .Lebensraum" meines TeamsWenn ich ein Kreatives Feld bildenwiU, um meine Möglichkeitenzu erweitern und ein Ziel zu erreichen, das mir aUein verstelltbleibt, dann kann es sinnvoll sein, den gemeinsamen Lebens­raum zu erkunden. Da es sich hier um ein gruppendynamischesVerfahren handelt, können sich Spannungen und Verletzungenergeben. Deshalb ist es sinnvoll, die Lebensraumklärung desTeams unter Anleitung eines erfahrenen Moderators durchzu­führen. Voraussetzung ist unbedingte Freiwilligkeit der Teilnah­me. Vor der Durchführung sollte man sich sehr klar daraufeini­gen, auf welche Bereiche, Themen etc. sich die Darstellungbeschränken soll. In der Regel wird man sich auf aufgaben- oderprojektbezogene Themen konzentrieren.

Mit Hilfe desMetaplan-Verfahrens (Visualisierung allerThemenauf farbigen Karten) kann man eine gemeinsame Lebensraumer­kundung leicht umsetzen: Jedes Teammitglied erhält rote,grüneund gelbe Karten. Auf die grünen schreibtjeder seinepo­sitivenValenzen, auf die roten seine negativen und auf die gel-

ben, die für unerreichbar gehaltenen Bereiche. Auf Packpapierist eine ausreichend große Jordankurve mit den drei Zonen ge­malt, und jeder Teilnehmer kann nun seine Karten entsprechendanordnen. Auf einen Blick erhalten alle Teammitglieder einenÜberblick darüber, welche positiven und negativen Valenzen be­zogen auf das gemeinsame Projekt im Team vorhanden sind.In einer Diskussion kann man sich über die unterschiedlichen

Ansichten austauschen, wobei es wichtig ist, jede einzelne geltenzu lassen. Daran anschließend kann man sich auf eine gemein­same Darstellung der positiven, negativen und unerreichbarenValenzen einigen. Man kann herausfinden, welche persönlichenPräferenzen jedes Teammitglied hat, und die zu leistenden Auf­gaben den Personen zuordnen, die über entsprechende Fähigkei­ten und Motivationen verfügen.

Stufe 6: Der"Wunsch- oder Zielraum " meines TeamsAnalog zu dem oben beschriebenen Verfahren kann man mitHilfe einer gemeinsamen Phantasiereise oder eines Brainstor­mings den Wunsch- oder Zielraum des Teams erheben: Wir stel­len uns zunächst einzelnen vor, wie unsere Teamarbeit aussehenwürde, wenn es möglich wäre, sie optimal zu gestalten. Hierbeigibt es allerdings keine unerreichbaren Räume, sondern nur po­sitive Valenzen. Diese Wünsche schreibt zunächst jeder für sichauf gelbe Karten. (Die Farbe Gelb soll den visionären Charaktersymbolisieren, d.h. den schraffierten Bereich der Lebensraum­darstellung.) Im Anschluß findet ein dialogischer Austauschüber die unterschiedlichen Vorstellungen statt, und es wird diegemeinsame Basis herausgearbeitet. Vondieser Basis aus treffenwir konkrete Projektvereinbarungen, denen sich dann die Team­mitglieder zuordnen.

Frommermann kannte Lewin vermutlich nicht und hat seinen"Wunschraum" nicht mit Hilfe einer Lebensraumdarstellung ge­funden. Er ist in der Auswahl der Ensemblemitglieder der Come­dian Harmonists offenbar erfolgreich seiner Intuition und derseiner Kollegen gefolgt. Dabei gelang es ihm offenbar, mit derAuswahl aus der Vielzahl möglicher Mitglieder passende Anzie-

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hungskräfte wahrzunehmen und auf diese Weise ein für ihn för­derliches Kreatives Feldzu schaffen. Mit Hilfe der Intuition kar­tieren wir laufend unbewußt unseren Lebensraum. schaffenNähe oder Abstand zu Personen und Gegenständen. Die Hoff­nung ist, durch eine bewußte Kartierung ein Instrument zurFormung eines persönlichen Kreativen Feldes zu finden, das un­serer inneren Berufung entspricht und den Horizont unsererEntfaltungsmöglichkeiten erweitert.

Ausmeiner eigenen Erfahrung weiß ich, daß Kartierungen einenachhaltige Wirkung auf die Gestaltung des eigenen Lebens­weges haben können. Immer wieder bin ich überrascht, wennich in Tagebüchern auf alte Darstellungen stoße und feststelle,daß ich - trotz vieler mühsamer Umwege - mich am Ende dochmeinem erträumten Zielraum angenähert habe. Offensichtlichgraben sich solche klärenden Diagramme - auch wenn wir siezunächst einmal vergessen - tief in das Unterbewußtsein einund können gleichsam als mentale Hintergrundkartierung unse­re Lebenswege wirkungsvoll beeinflussen.

Kartierungen sind mächtige Hilfsmittel, mit denen wir unseremeist zu wenig beachtete emotionale Intelligenz besser nutzenkönnen. Indem wir Personen und Aufgaben mit positiven odernegativen Valenzen auszeichnen, bekommen wir mehr Klarheitüber unsere emotionale Befindlichkeit, die uns im Sinne eineremotional-intelligenten Kompaßnadel Hinweise geben kann, obwir uns in einer Richtung bewegen, die unserer Entfaltung dientoder eine Blockierung bei uns bewirkt. Wenn ich schon vor 15Jahren mehr über die Einsichten gewußt hätte, die sich aus denFeldtheorien ergeben, vielleicht wäre mein Lebensweg angeneh­mer und weniger anstrengend verlaufen; ja, vielleicht hätte ichmir völlig andere Feldererschließen und interessante Beziehun­gen aufbauen können.

Mit Hilfe von persönlichen Feldkartierungen werden mir dieWirkkräfte bewußter, die meinen Lebensraum beeinflussen, undich kann im Sinne von Sternbergs bereits erwähntem Konzeptder Erfolgsintelligenz nach analytischen, kreativen oder prakti­schen Möglichkeiten suchen, diese Kräfte in meinem Sinne zubeeinflussen. Eine solche Darstellung hat durchaus einen

schockierenden Effekt, wenn ich mich nämlich in einer Radika­lität, die ich normalerweise scheue, mit meiner augenblick­lichen Lagekonfrontiere. Vielleicht erkenne ich, daß ich mich ineinem eingeengten Lebensraum ohne lohnende Perspektiven be­finde. Doch aus dieser Konfrontation wächst erst die kreativeSpannung, mich auf meine neuen Ziele zu besinnen. Sie kannEnergien freisetzen, mein Verhalten von Grund auf zu ändern.Die Lebensraumdarstellung kann zu einem wichtigen Orientie­rungs- und Selbstfindungsinstrument werden, das mir die Chan­ce eröffnet, zum Regisseur meines Lebens zu werden, indem ichmir das Feld schaffe, das zu mir paßt.

Transfer:> Beschreiben Sie Ihren aktuellen Lebensraum.Benutzen Sie eine Lewinsche Jordankurve. Tragen SieAnziehungs- und Abstoßungskräfte und unerreichbareBereiche ein.> Machen Sie sich klar, daß das entstehende SchaubildIhre Strukturierung abbildet. Sind Sie mit dem so ent­standenen Lebensraum zufrieden?> Gibt es Bereiche, in denen Sie Grenzerweiterungenoder Grenzüberschreitungen vornehmen wollen?> Stellen Sie sich vor, alles wäre möglich und Sie könn­ten in dem Lebensraum leben, den Sie sich erträumen:einem Lebensraum, derganz individuell von Ihnen ge­staltet würde und von Ihrer Persönlichkeit geprägt ist.Skizzieren Sie die Vision Ihres Wunschraums.> Vergleichen Sie den aktuellen und den gewünschtenLebensraum. Wo sind sie deckungsgleich, wo gibt esAbweichungen?> Markieren Sie die Bereiche, in denen Sie Verän­derungen vornehmen möchten. Beschreiben Sie einenkonkreten Schritt in Richtung auf Ihren "Wunschraum",den Sie sofort einleiten können.> Suchen Sie sich Partner, mit denen Sie mehr aus IhrenFähigkeiten machen können.

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Wie ich meine Umwelt bewerte

Ganz im Sinne des Kurt Lewin zugerechneten Ausspruchs"Nichts ist praktischer als eine gute Theorie" möchte ich nunweitere Möglichkeiten anregen, wie man einige Aspekte seinerFeldtheorie bei der Analyse des eigenen kreativen Potentialsnutzen kann. Dabei wird es vor allem darum gehen, typischeSelbsteinschränkungsmuster zu beachten, wie wir sie etwa inForm negativer Glaubenssysteme kennen. Da es mir hier nichtum eine Weiterentwicklung der Feldtheorie im streng wissen­schaftlichen Sinn geht, sondern um eine pragmatische Nutzungder mit ihr verbundenen Perspektiverweiterung, verzichte ichauf eine Problematisierung der Kontroversen um diese Theorie.Worin liegen nun mögliche Nutzanwendungen?

Interessant für unsere Fragestellung ist die Idee Lewins, daßdas Verhalten zumindest in Teilen zugleich auch eine Funktionder Felder ist, die wir konstruieren bzw. in denen wir uns bewe­gen. Zentral ist - wie wir gesehen haben - das Konzept des er­lebnismäßig strukturierten Lebensraums. Die Umgebung, dereine Person ausgesetzt ist, hat für Lewin einen IIAufforderungs­charakier": Sie besteht aus "Valenzen", also Wertigkeiten, Prä­ferenzen, Bedeutungen. Dabei ist es wichtig festzuhalten, daßsich die Stärke der Valenzen aus biographisch fixierten Wahr­nehmungs- und Verhaltensmustern, aber auch den momentanenBedürfnissen der Person sowie den Bedingungen des Umfeldesbestimmen. Die gleiche Situation kann zu unterschiedlichenZeiten völlig verschiedene Bedeutungen für die Person haben.Dies ist ein Grund, warum wir oft Entwicklungschancen, die fürandere offen zutage liegen, nicht nutzen. Wir sind noch nichtsoweit und wundern uns im nachhinein, warum wir die Chancenicht ergriffen haben. Lück schreibt: "Man muß sich deshalbden Lebensraum des Individuums in steter Veränderungvorstel­len: Einige Dinge gewinnen an Reiz, andere verlieren ihn; man­che positiven Valenzen des Lebensraums sind nur zu erreichen,wenn Regionen mit negativen Valenzen durchschritten werden.So ist der akademische Grad (positiver Aufforderungscharakter)nur zu erreichen, wenn eine Region mit negativer Valenz (Arbeit

und Entbehrungen im Studium) durchlaufen wurde." (1996,S.45)

Ein Problem ist nun, daß die Wahl der Regionen, denen wir unsaussetzen, nur selten bewußt ablaufen dürfte, weswegen sich jaauch nicht wenige Personen im nachhinein als Opfer äußererUmstände wähnen. Aus Sicht einer psychologischen Feldtheoriemüssen wir dieser deterministischen Auffassung allerdings wi­dersprechen. In Abhängigkeit vom aktuellen Erleben und vonbiographisch bestimmten Wahrnehmungsprägungen lassen wiruns aktiv von bestimmten Valenzen im Feld anziehen; wir bil­den "Gestalten". Einzelne Dinge werden für uns Vordergrund,während der Rest des Feldes mehr oder minder belangloser Hin­tergrund bleibt. Wir selbstsindes,jedenfalls in weiten Bereichen,die den Raum erlebnismäßig strukturieren.

Insofern sollte man sich'~on Zeit zu Zeit klar darüber werden,welchen Aufforderungscharakter die Felder haben, in denen wiruns bewegen, und welche Möglichkeiten wir durch unsere sub­jektiven Strukturierungen zulassen oder beschneiden. Gestalt­psychologie und Gestalttherapie haben herausgearbeitet, wie un­sere individuell ausgeprägten Muster derKontaktaufnahme undKontaktunterbrechung unsere Wahrnehmung des jeweiligen Fel­des bestimmen (vgl. Burow 1988; 1993). In diesem Gestaltbil­dungsprozeß kann es vielfältige Störungen geben, die wir bis­weilen als Schaffens- und Kreativitätsblockaden schmerzhafterleben, oder wenn wir zeitweilig kein anziehendes Thema ent­decken, das wir zum Gegenstand unserer schöpferischen Tätig­keit machen können. Wir können den Aufforderungscharakterdes Feldes nicht erschließen; vielleicht weil wir noch nicht inder richtigen Feldfrequenz mitschwingen. Jeder kreative Schaf­fensprozeß ist von Momenten der Orientierungslosigkeit, derSuche nach anziehenden Valenzen durchzogen. Zum kreativenProzeß gehört das Zulassen und Aushalten dieser chaotischenLeerstellen, das Ertragen der eigenen Ungewißheit. Aber schwerzu ertragende Leerstellen erweisen sich andererseits oft als ent­scheidende Wendepunkte. Wie wir auch aus der Physik wissen,können komplexe Systeme im Gang ihrer Evolution ohne zeit­weiliges Chaos keinen Zustand höherer Ordnung erreichen. Wir

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~ möchten uns verständlicherweise vor verunsichernden, unkla-~ ren Situationen schützen. Doch der Weg zur Kreativität führt-0§ immer auch durchChaos, durch Phasen, in denenwir keineein-:t; deutigen Valenzen setzen können und in denen wir auf der""":~ Suche nach geeigneten Feldern sind.

'"f!!~ Wie ich die vier Konflikte erkenne, die meine Kreativität.M behindern

Da wirUnsicherheit und Chaos in der Regel zu meiden suchen,habenwiraUe - Individuen und Organisationen - ein wirksamesSystem von Abwehrroutinen aufgebaut, das darauf abzielt, denerreichtenStatus quo zu sichernund Anforderungen, denenwirnicht gewachsen sind, zu vermeiden. Eine Überwindung solcherfixierten Verhaltensmuster führt uns fast immer in Konfliktezwischen verschiedenen Werten. Lewin hat eine eigene Kon­flikttypologie entworfen, die beschreiben soU, welche Barrierendie Zielerreichung im Feld schwierig machen. Demnach ergebensich vier Grundkonflikte, die Einfluß auf die immer auch ris­kante Freisetzung von kreativen Potentialen nehmen können.

1. Der Appetenz-Appetenz-Konjlikt (+ +)Zwei annäherndgleichstarke Valenzen wirken auf die Personein, etwa die Frage, ob man sich für eine sichere Beamten­laufbahn entscheiden soU oder den riskanten Weg einer un­sicheren, aber freie Entfaltung versprechenden Künstlerexi­stenz wählen möchte (anschaulich in dem Roman "Bye, byeRonstein" vonJohler &Olly dargestellt).

Transfer:> Beschreiben Sie BeispieLe für diesen KonfLikttyp ausIhrem eigenen Leben.> Beschreiben Sie die beiden ALternativen und steLLenSie sie einander gegenüber.> Was spricht für KonfLiktLösung A? Was für B? Sinddiese ALternativen wirklich absoLut zu sehen, oder gibtes eine KompromißLösung?

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2. Der Aversions-Aversions-Konflikt (- -)Eine Entscheidung muß zwischen zwei negativen Valenzengetroffen werden. In der Regel versucht man, eine Valenz zuwählen, hinter der man das kleinere Übel vermutet.

Transfer:> Beschreiben Sie Beispiele für diesen Konflikttyp ausIhrem eigenen Leben.> Beschreiben Sie die beiden Alternativen und ver­gleichen Sie sie miteinander.> Listen Sie die Nachteile von Konfliktlösung A und Bauf. Sind diese Alternativen wirklich absolut zu sehen,oder gibt es eine andere Lösung, auf die Sie bishernoch nicht gekommen sind? Sprechen Sie mit Außen­stehenden darüber. Versuchen Sie, den Konflikt ausverschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

3. Der Appetenz-Aversions-Konflikt (+ -)Lück nennt als Beispiel: "Ein Kind möchte zum Beispiel einenHund streicheln, vor dem es aber Angst hat, oder es möchtevon einer Torte essen, was aber verboten worden ist." Einpositiver und ein negativer Aufforderungscharakter wirkenauf die Person gleichermaßen ein und bringen sie in ein Di­lemma.

Transfer:> Beschreiben Sie ähnliche Konflikttypen aus Ihremeigenen Leben, die Sie zur Zeit beschäftigen.> Welche positiven und negativen Valenzen wirken aufSie ein? Beschreiben Sie diese Valenzen, und stellenSie die entstehenden Listen gegenüber. Lassen Sie dieDarstellung auf sich wirken.> Gibt es Alternativen zu dem Dilemma? Wie würden Sieden Konflikt lösen, wenn alles möglich wäre? Was hin­dert Sie daran, diese Lösung zu realisieren? Welche AL­ternativen gibt es? Stimmt Ihre Konfliktbeschreibung?> Sprechen Sie mit anderen darüber.

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4. Der doppelte Appetenz-Aversionskonjlikt (+ - +-)"Ein Junge möchtezum Beispiel vomFünf-Meter-Brett sprin­gen. Springter, bekommter Anerkennung, hat aber den Mutfür einen möglicherweise schmerzhaften Aufprall aufsWasseraufzubringen. Springt er nicht, dann wird er möglicherweiseausgelacht, vermeidet aber auch den unangenehmenSprung." (Lück 1996, S. 48)Beide Entscheidungen enthalten positivewienegative Valen­zen etwa gleicher Stärke.

Transfer:> Beschreiben Sie wieder ein konkretes Beispiel.Stellen Sie die positiven und negativen Valenzen derbeiden Entscheidungsmöglichkeiten einander gegen­über und vergleichen Sie die möglichen Konsequenzen.> Welche Grundannahmen stehen hinter den Bewer­tungen, die Sie vornehmen?> Welche Alternativen gibt es?

Gerade das letztere Beispiel verdeutlicht, daß die Art des Kon­flikts davon abhängt, wie wir selbst das Dilemma konstruierenund in welchem Feld wir uns bewegen. Denn das jeweilige Di­lemma ist nicht "objektiv" gegeben, sondern Teil der psychi­schen Umwelt, diewir uns in Teilen selbst schaffen. Trotzdem hal­ten wir meistens daran fest, daß die Dilemmata, denen wir unsausgesetztsehen, objektivgegeben sind, und suchen in frucht­loserWeise nach Sündenböcken. Dieses bewährteVorgehen magEntlastungsfunktion haben, doch hindert es uns an einer krea­tiven Bewältigung der jeweiligen Situation. Wir blockieren unsselbst mit dem Muster "Die-Umstände-sind-schuld" oder "Die­anderen-sind-schuld". Wenn wir in solchen Entlastungsroutinenverfangen sind, machen wiruns nur selten klar,daß unsereKon­struktionen auf bestimmten, uns selbst einschränkenden Ein­schätzungen beruhen könnten.

Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Vor einigenJahren konnteich beobachten, wie einige Männer auf einen etwa7 Meter hohenFelsen an der kretischen Südküste geklettert waren. Sie hatten

darum gewettet, wer sich wohl traue, über die Klippen hinwegins Meer zu springen. Während einige anscheinend problemlosdiese Prüfung überstanden und sich ohne großes Zögern in dieTiefe stürzten, sah man anderen die Angst und die Mühe an.Dennoch sprangen auch sie. Ein Mann durchbrach allerdings die­ses Muster, indem er sich entschied, innerhalb seiner gewohntenGrenzen zu bleiben und den möglichen Spott der Zuschauer hin­zunehmen. Er teilte uns mit, ihm mache dieser Sprung zuvielAngst, und kletterte den Felsen hinab. Und nun geschah genaudas Gegenteil dessen, was zu erwarten war: Besonders die Frau­en bewunderten seinen Mut, mit einem eingespielten männli­chen Muster zu brechen und seine Angst zuzugeben. Die Situa­tion, die man aus traditioneller Macho-Perspektive als peinlicheNiederlage hätte beschreiben müssen, erwies sich jetzt als muti­ger Durchbruch zu einem neuen Verhaltensmuster.An diesem Beispiel läßt sich gut zeigen, wie sowohl die Kon­

fliktwahrnehmung als auch die Konfliktlösung von der subjek­tiven Bewertung und der Bewertung durch das soziale Feld ab­hängen. Wie Gardner gezeigt hat, kann es also durchaus sein,daß irgend etwas, das zu einer bestimmten Zeit in einer be­stimmten Gruppeals kreativ gilt, an einem anderen Ort zu eineranderen Zeit ganz anders gesehen wird.

Kreativität manifestiert sich also auch in der Fähigkeit, dieKonflikte an der Grenze auszuhalten und allem gesellschaft­lichen Druck zum Trotz seiner "inneren Stimme" zu folgen. Indiesem Sinne muß man also "individualisiert" sein. Gleichzeitigbezieht man aber die Anregungen, denen die "innere Stimme"folgt, aus seinen biographischen und aktuellen sozio-kulturel­len Hintergrundfeldern, und man benötigt Synergiepartner fürden Kraftakt, sich in Gegensatz zu den herrschenden Auffas­sungen zu setzen. Die Entfaltung des eigenen kreativen Poten­tials gelingt nur im geeigneten Feld.

Wenn man erfolgreiche kreative Schöpfungen untersucht, diewie Strawinskys "Feuervogel" oder Brechts "Dreigroschenoper"zunächst massiv bekämpft wurden, dann zeigt sich heute, daßes Kreative wagten, Grenzüberschreitungen vorzunehmen, dieaber bereits von anderen "vorgedacht" waren. So bezog Prom-

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mermann seine Ideen für die ComedianHarmonists von der ame­rikanischen Vorläufergruppe, den ReveUers.

Hat das Neue erst einmal einen ersten gesellschaftlichenDurchbruch erzielt, fühlen sich oft Nachahmer ermutigt, eben­falls ihre "innere Stimme" zu artikulieren und somit den gesell­schaftlichen Raum der Entfaltungsmöglichkeiten insgesamt zuerweitern. In diesem Sinne zielt der kreative Akt nicht nur aufeinen individuellen Schöpfungsprozeß ab, sondern auf einesozio-kultureUe Grenzerweiterung insgesamt. Der soziale Le­bensraum erweitert sich nicht nur für den Schöpfer, sondernauch für seine Adressaten und Epigonen.

Transfer:> Überlegen Sie sich konkrete Konfliktsituationen ausIhrem Alltag und versuchen Sie, diese Situationen mitLewins Konflikttypologie zu beschreiben.> Versuchen Sie, wiederkehrende Muster, mit denen SieKonfliktsituationen zu bewältigen suchen, zu beschrei­ben. Welchen Vorteil haben Ihre Bewältigungsmuster?Inwiefern schränken Sie Ihren Lebensraum ein?

Kreativität erfordert Grenzüberschreitung

Kreativität findet an der Grenze statt, und Grenzen woUen über­wunden sein. Persönliche Paradigmen beschreiben mächtige in­dividuelle Grenzen, die allerdings eine sozio-kulturelle Basishaben. Die Kräfte des Beharrens und der Besitzstandsverteidi­gung sind stark und haben durchaus ihre Berechtigung. Kreati­vität ist ein Durchbruch zu einem neuen Raum. Nun sind solchemassiven Durchbrüche eher selten, und wir entwickeln unsereAUtagskreativität aus guten Gründen oft in kleinen, unspekta­kulären Schritten. Was "Genies" oder geniale Teams dagegenauszeichnet, sind radikale Neuanfänge. Sie scheuen die Erfah­rung des Ungleichgewichtes nicht, sondern suchen diese sogarbewußt auf. Schließlich woUen sie den konsequenten Aufbruchzu neuen Räumen um fast jeden Preis.

Dabei stellt sich immer auch die Frage nach den Motiven, dieden Kreativen zu solch extremen Einsätzen treiben. Nicht vonungefähr spricht ja der Volksmund vom Zusammenhang zwi­schen Genie und Wahnsinn. Könnte es nicht sein, daß allzu ab­rupte Vorstöße sowohl den Schöpfer als auch das Feld überfor­dern? Huldigt der Geniekult also dem fragwürdigen Ideal einerim Kern asozialen Kreativität? Sollten wir uns nicht auch ausdiesem Grunde von der naiven Bewunderung der Genies verab­schieden?

Auf jeden Fall sollten wir uns klarmachen. daß Grenzüber­schreitungen nicht vorhersehbare Wirkungen auf unser Selbst,aber auch unser soziales Umfeld zeitigen können. Wirverlassendas eingespielte Gleichgewicht und gehen das Risiko ein, unsneuen, unberechenbaren Zug- und Druckkräften auszusetzen.Es gehört zum Wesen eines kreativen Prozesses, daß er sich anden Extrem- bzw. Grenzpunkten stabilisierter Felder abspieltund somit die auf Beharrung und Stabilität setzenden Gegen­kräfte auf den Plan ruft. Oft sind Kreative über diese heftige Ge­genreaktion erstaunt. Dabei sollten sie sich aber klarmachen,daß sie die Grenzgänger sind. Und gegen diese wurde in der Ge­schichte schon immer mit mehr oder minder massiver Gewaltbishin zur physischen Eliminierung vorgegangen.

Ein Vorstoß zu neuen Räumen bedeutet immer auch, in unbe­kannte Landschaften vorzudringen, neue Aspekte unseresSelbst in die Betrachtung der Landschaft einzubringen. Wirdurchlaufen widersprüchliche Phasen der Zerrissenheit, desChaos - spüren aber auch eine beunruhigende, faszinierendeSteigerung der Intensität unseres Erlebens, die Joachim ErnstBerendt anschaulich beschrieben hat: "Niemand hat den Raum,in dem Intensität geschieht, verständlicher erhellt als Teilhardde Chardin. Er gebraucht das Bild des startenden Flugzeugs:Indernes seine Geschwindigkeit steigert, geht die BewegungdesRoUens in die des Fliegens über. Die Intensivierung schafft eineneue Qualität. Fliegen ist nicht nur einfach schnelleres und in­tensiveres, effektiveres Rollen. Es ist etwas anderes. Durch dieIntensivierung überschreiten wir - auch dies ein Bild von Teil­hard - eine Schwelle, wir treten in eine andere Dimension- was

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::g auch quantenphysikalisch verstanden werden kann. Natura non.f facit saltus haben wir früher geglaubt. Die Natur springt nicht."'Cl§ Heute wissen wir: Sie springt nur. Das ist der eigentliche Sinn~ desVermehrens vonIntensität - zumBeispiel von Geschwindig-:s keit, Kraft, Lautstärke, persönlichem Engagement, Emotion:.~ nicht einfach nur ein Mehr, sondern das Mehr als Medium, um~ eine Schwelle zu überschreiten. Einen anderen Raum zu betre-M ten. Eine neue Dimension zu gewinnen." (Berendt1996,S. 310)

Diese neue Dimension kann auch als ein Wechsel des persönli­chen Paradigmas oder als das Entdecken eines für mich geeig­neten Kreativen Feldes beschrieben werden. Allerdings müssenwir uns klarmachen, daß der Kreative in einer anderen RoUe alsder Passagier eines Linienfluges ist: Er benutzt keine bewährteund sichere Technik, sondern er erfindet das Fliegen und es istbei solchen Erfindungen keineswegs sicher, ob sie gelingen. DerPionier des Fliegens, Otto Lilienthal, bezahlte seinen Versuch,neue Räume zuerschließen, mit dem Tod. Wahrscheinlich machtdieextreme Herausforderung beimBetreten neuer Räume einenwesentlichen Anreiz fürkreative Unternehmungen aus. Oft gehtesbuchstäblich um alles: um die Eroberung eines neuen Raumsund die damit verbundene grandiose Anerkennung oder denSturz in den Abgrund desNichts.

Eine britische Untersuchung aus dem Jahr 1994 (DER SPIEGEL32/1997, S. 162) kommt zu dem Ergebnis, daß 95 Prozent dergenialen Wissenschaftler, Künstler, Politiker, Maler, Musiker,Schauspieler und Schriftsteller, die in den letzten 200 Jahrengelebt haben, psychische Störungen hatten. Auch wenn manden Krankheitsbegriff dieser Untersuchung anzweifeln könnte,so scheintdoch aus der Perspektive einer Feldtheorie die Hypo­these plausibel zu sein, daß herausragende Kreative besondersgefährdet sind: Sie begeben sich innerhalb des gesellschaftli­chen Feldes in Extremsituationen, die wir "Normalbürger" ausguten Gründen zu meiden suchen.In einerausgeglichenen Mittelposition im Feld kann man zwar

kaum fabelhafte Gipfelerlebnisse erwarten, aber der Lebensver­lauf scheint berechenbar zu sein. Wahrscheinlich werden nurPersonen mit einem besonderen psychischen Profil von außer-

gewöhnlichen Herausforderungssituationen angezogen. In derRegel dürften ihnen die Motive, die sie nach solchen Extremer­fahrungen streben lassen, verborgen bleiben. Wahrscheinlichist, daß ihnen aufgrund traumatischer Kindheitserfahrungen,gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder besonderer Entwick­lungsbedingungen meist gar keine andere Wahl bleibt, als sichExtremsituationen auszusetzen.

Doch ich möchte Sie beruhigen: Die Erschließung des eigenenkreativen Potentials ist nur selten mit derartig existentiellenBegleitumständen verbunden. Und schließlich haben wir uns javomModell des einsamen Genies verabschiedet und wissen, daßes angenehmere und gesündere Wege gibt, seine Kreativität zuentfalten, etwa wenn man aktiv daran arbeitet, sich unterstüt­zende Bedingungen zu schaffen. Der Mythos vom einsamenGenie verdeckt die banale Tatsache, welche der GlücksforscherCsikszentmihalyi anhand der Befragung von Tausenden von»Normalbürqem" herausgefunden hat: Kreativität ist ein "nor­males", alltägliches Phänomen, das - unter bestimmten Bedin­gungen - jeder von uns erfahren kann.

Transfer:> Zu welchen Grenzüberschreitungen sind Sie bereit,und in welchen Bereichen?> Worin besteht der mögLiche Gewinn, worin der Preis?

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"Inmitten von Schwierigkeiten

liegengünstigeGelegenheiten."

Albert Einstein

Mit Hilfe vonLewins Feldtheorie erkennen wir, daß wir in Teilenselbst darüber entscheiden, welchen Lebens- und damit Mög­lichkeitsraum wir für uns konstruieren. Frommermanns genialeIdeebestanddemnach darin, mit seinerVision eines neuartigenMusikensembles seinen persönlichen Lebensraum zu erweitern.Diese Vision hatte - angesichts seines bescheidenen musikali­schenKönnens - durchaus etwasGrößenwahnsinniges. Aber ge­rade mit diesem übertrieben ehrgeizigen Ziel, gerade mit diesemSchuß Irrsinn (oder Irrationalität) schlug er andere in seinenBann. Der Managementforscher Warren Bennis (1998) zeigt inseinerUntersuchung genialer Teams, daß dieFormulierung einerbegeisternden Vision durch einen mitreißenden Initiator Aus­gangspunkt für die Entstehung erfolgreicher kreativer Teamsist. Der Initiator mußnicht unbedingt über die handwerklichenoder sonstigen Fähigkeiten verfügen, um dieses Ziel zu errei­chen. Seine Aufgabe ist es vielmehr, die nötige Visionsenergiezu mobilisieren. Kreative Querdenker können so nicht nur fürsich selbst, sondern auch für die Personen, die sich von ihnenanziehen lassen, neue Lebensräume erschließen. Sie tun diesje­doch nicht allein. IhrerVision wird nur durch die Auswirkungendessozio-kulturellen Feldes realisierbar, das sie selbst mitschaf­fen. In wechselseitiger Anregung steigern alle Beteiligten ihreunterschiedlichen Fähigkeiten, die sie immer besser koordinie­ren und auf das gemeinsame Ziel ausrichten.

Ziel meiner Untersuchung ist es zu zeigen, wie es jedem vonuns gelingen kann, besonders günstige Lebensräume in Formkreativer Felder zu finden oderzu schaffen. Kreative Felder öff­nen einen Ausweg aus der Sackgasse konkurrenzorientierterZwangsindividualisierung und lenken den Blick auf die Chancenkollektiver Kreativität. Bevor ich mich mit der Frage der Schaf­fung Kreativer Felder beschäftige, möchte ich in diesem Kapitelzunächstauf die Förderung individueller Kreativität eingehen.

Wie wir wissen, ist ein Training von "Kreativitätstechniken"fernab jeder Lebenspraxis oft wenig sinnvoll. Dennoch gibt eseine Reihe von vergleichsweise einfach erscheinenden Einsich­ten, die uns Hinweise darüber geben, wie wir unsere individuel­le Kreativität erweitern können. Ich werde hier in knapper Formeinige Erkenntnisse referieren, die aus der Analyse von Lebens­läufen kreativer Persönlichkeiten gewonnen wurden, und siemit eigenen Einsichten verbinden.

Unsere übertriebene Bewunderung herausragender Persönlich­keiten erweist sich - wie wir gesehen haben - oft als nachhalti­ge Hemmung, die eigene Kreativität zu entwickeln. Deren gran­diose Leistungen scheinen uns zu bestätigen, daß wir selbstnicht kreativ sind oder daß solche Schöpfungsakte für uns un­erreichbar sind. Natürlich kann niemand von uns allein durcheinen Willensakt zu einem überragenden Künstler wie etwa Pi­casso oder Strawinsky werden; selbst dann nicht, wenn er sichein optimales Synergiefeld organisiert hat. Aber dennochstecken in jedem von uns unentdeckte Potentiale, die unter ge­eigneten Rahmenbedingungen freigesetzt, uns zur überraschen­den Einsicht führen, daß in jedem von uns mehr steckt, als wiruns normalerweise zutrauen. Die bisherigen Ausführungen soll­ten aber auch deutlich gemacht haben, daß in aller Regel auchGenies"nur mit Wasserkochen". Csikszentmihalyi formuliert alsBilanz seiner Interviews mit 91 kreativen Persönlichkeiten fol­gende schlichte Erkenntnis: "Wie inzwischen klar sein dürfte,braucht man, um zur kulturellen Kreativität zu gelangen, Ta­lent, Training und eine Riesenportion Glück. Ohne Zugang zueiner Domäne und ohne Unterstützung eines Feldes hat der ein­zelne keine Aussicht auf Anerkennunq." (1997, S. 489)

Das richtige Feld finden oder selber formen

Wer diese Erkenntnisse realisiert, der kann sich immerhin damittrösten, daß mangelnde Anerkennung nicht ausschließlich aufein Defizit an eigener Kreativität zurückgeführt werden muß,sondern daß hier auch eine Reihe von Umständen eine Rolle

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spielen können, die man nur selten beeinflussen kann. Wiekeinanderer hat Pierre Bourdieu mit seiner soziologischen Feldfor­schung die gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren unter­sucht, die darüber entscheiden, ob jemand anerkannt wird undsozial aufsteigt. Er hat insbesondere herausgearbeitet, daßneben der kaum zu beeinflussenden gesellschaftlichen Nachfra­gesituation auch der - aufgrund der sozialen Herkunft - ausge­bildete "Habitus" eine zentrale RoUe dabei spielt, ob man Zu­gang zu einem bestimmten Feld und Anerkennung findet.

In meinem Körper sind alle meine Herkunftserfahrungen undmeine Bildungsbemühungen verankert und formen eine diffe­renzierte Gestalt, die unterschwellig wahrgenommen wird. Mei­nen Habitus kann ich nur eingeschränkt beeinflussen. Vertrack­terweise ist oft der frühe Zugang zu günstigen Feldern einewichtige Voraussetzung, um die eigene Kreativität optimal ent­falten zu können. Wer etwa mit einer Privatbibliothek von40000 Büchern und in einer bestimmten familiären Tradition imUmgang mit Wissen und kultivierten Umgangsformen aufge­wachsen ist, der hat in seinem gesamten Denken, Fühlen undHandeln Normen und Verhaltensweisen internalisiert, die wieein Schüssel zu dem entsprechenden Feldpassen. Was aber kanneiner unternehmen, der nicht über diese exklusiven Vorausset­zungen verfügt?

Es liegt auf der Hand, daß derjenige, der diese Voraussetzun­gen nicht mitbringt, ganz andere Hürden zu überwinden hat. Ermuß Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsformen entwickelnsowie das nötige ökonomische, soziale und kulturelle Kapitalansparen, um sich einen Zugang zum erwählten Feld zu ver­schaffen. Allerdings können diese Hürden auch motivierendwirken. Die Position des Ein-, Um- oder Aufsteigers muß nichtzwangsläufig ungünstig sein, weil gerade Außenseiter sehr vielschärfer wahrnehmen, wie verkrustet ein etabliertes Feld ist.DerAußenseiter ist zwangsläufig ein Grenzgänger zwischen denDomänen. Da aber innovative Durchbrüche vor allem an denGrenzen stattfinden, handelt es sich unter dem Gesichtspunktder Kreativität um eine privilegierte Position. In sozialer Hin­sicht kann sie allerdings sehr belastend sein. Etablierte Felder

besitzen in der Regel eine konservative Struktur und suchen imSinne des Selbsterhalts und der Wahrung der eigenen Identität,aber auch der Privilegien kreative Außenseiter fernzuhalten. In­sofern will der Kreative zwar in das jeweilige Feld, befürchtetaber zugleich, mit seiner Mitgliedschaft den Anpassungszwän­gen zu unterliegen und damit seine Kreativität opfern zu müs­sen.

Kreative Persönlichkeiten entgehen diesem Dilemma, indemsie auf ihrem Ego beharren, bewußt die Regeln verletzen oderselbst ein neues Feld mit eigenen Regeln begründen. Gemäß derErfolgsformel "Kreativität gibt es nur im Plural" beharren sie aufihrem unverwechselbaren Profil. Bourdieu beschreibt dies für denHochschulbereich am Beispiel der Entmachtung der Philosophiedurch profilierte Quereinsteiger in den sechziger Jahren, diesich der Sozialwissenschaften und der Linguistik bedienten. MitCsikszentmihalyi könnte man Bourdieu so ergänzen: Im Rahmender kulturellen Evolution konkurrieren Meme-Produzenten(Meme sind menschliche Erfindungen vom Ziegelstein bis zurPsychoanalyse, die sich durch kulturelle Überlieferung "fort­pflanzen") in der Domäne des symbolischen Kapitals um Defini­tionshoheit, die sie durch spezifische Distinktionsstrategien zuerringen suchen. Hier gibt es Gewinner und Verlierer, jedenfallssolange die Fähigkeit zu syntopischer bzw. dialogischer Koope­ration noch nicht verbreitet ist.

Interessanterweise hat auch Csikszentmihalyi selbst die be­währte Außenseiterstrategie gewählt. Indem er nämlich eineneue Richtung der empirischen Sozialpsychologie definierte, dieer als "Glücksforschung" bezeichnete, gründete er sein ein eige­nes Feld. Da er es aber vermied, seine Erkenntnisse in einemschwer verständlichen und nur wenigen Wissenschaftlern zu­gänglichen Fachchinesisch zu formulieren und statt dessen einepopulärwissenschaftliche Darstellungsweise wählte, erreichte ernicht nur sehr viele Menschen, sondern vermehrte gleichzeitigmit seinem kulturellen Kapital auch sein soziales (das Feld derSynergiebeziehungen) und ökonomisches Kapital (verstandenals Verfügung über Besitz). Auf diese Weise akkumulierte er alsSumme dieser Bemühungen ein so hohes Maß an symbolischem

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Kapital (laut Bourdieu die Verdichtung von kulturellem, sozia­lem und ökonomischem Kapital), daß ihn selbst die Fachweltanerkennen mußte.

Selbstähnlichkeit bewahren

Ein Mehran symbolischemKapital erwirbt man sich auch, wennman zusätzlich zu erworbenen Titeln Mitglied eines Golfklubswird und dadurch Zugang zu Kreisen erhält, von denen man imnormalen Berufsleben ausgeschlossen ist. Allerdings sollte mansich auch klarmachen, daß exklusive Kreiseüber Strategien ver­fügen, sich "Aufsteiger" vom Halse zu halten. Als Punker mußich mir vielleicht eine Glatze rasieren und mich piercen lassen.In einer ausgeflippten Kunst-Avantgarde-Szene müßte ich infein nuancierten Botschaften zum Ausdruck bringen, daß ichnicht einfach ein Punker, sondern ein kreatives Genie bin. DasProblem bei all dieser Aufmachung ist, daß Insider schnell er­kennen, ob das jeweilige Äußere echtem Habitus entspricht odernur angepaßt ist. Wer sich solchermaßen habituell stylt, be­schädigt seine persönliche Identität durch außengeleitete An­passung. Erfolgreiche Kreative zeichnen sich ganz im Gegenteildurch eine gewisse Unangepaßtheit aus, insbesondere durcheine Übereinstimmung zwischen dem, was sie "predigen", unddem, was sie )eben". Selbstähnlichkeit und Selbstbezug sindwirksame Feldprinzipien. die über ein klar profiliertes Ego zumErfolg beitragen. Der befriedigendere Weg besteht darin, her­auszufinden, welche Talente und Bedürfnisse mich wirklich be­wegen, die innere Berufung also - selbst wenn ich dafür aufoberflächliche Anerkennung verzichten muß.

Wer seine Kreativität entwickeln möchte, sollte deshalb nichtnur die Passung zwischen seinem Habitus und den Erwartungendes jeweiligen Feldes überprüfen, sondern sich auch überlegen,welchen Preis er zu zahlen bereit ist, um die gewünschte Aner­kennung zu erringen. Wer sein Ego der Anpassung opfert, istnur selten ein guter Synergiepartner in einem kreativen Team.Eskann für das eigene Wohlbefindengünstiger sein, sich ein an-

deres Feld zu suchen oder Anerkennung in anderen Bereichenanzustreben, die besser zur eigenen Person passen und mit demeigenen Habitus übereinstimmen. Vieleoriginelle Persönlichkei­ten sind an den Anpassungszwängen, denen sie sich in ihremStreben nach Anerkennung aussetzten, zerbrochen. Vielleichtrührt hier ein Teildes Mythos vom einsamen Genie her, das vonseiner Mitweltverkannt und - wenn überhaupt - erst nach sei­nem Tod anerkannt wird.

Wer darunter leidet, nicht genügend Anerkennung zu finden,muß sich andererseits fragen, welchen eigenen Anteil er an derfehlenden Wertschätzung hat. Häufig korrespondiert die Krän­kung durch das Zielfeld mit einer reaktiven Abwertung durchden Bewerber. Entweder steht er dem Feld und seinen Normenzwiespältig gegenüber, oder er versucht, die Kränkung dadurchzu verarbeiten, daß er die etablierten Mitglieder des Feldes alsunkreative, verknöcherte Ignoranten betrachtet - was sie häu­fig auch sind. Doch ist diese unbewußte Einstellung eineäußerst ungünstige Voraussetzung, um die Mitgliederdes Feldesdavon zu überzeugen, man selbst sei ein den exklusiven Clubbereicherndes Mitglied. Oft fühlen sich die etablierten Mitglie­der des Feldes - nicht zu Unrecht - von dem Kandidaten be­droht.

Kante zeigen

Dies gilt um so mehr, wenn es sich - wie etwa im Fall des Pro­fessorenstandes - um ein Feld handelt, das sich Kleinbürgerdurch hart erarbeitetes kulturelles Kapital erkämpft haben,nicht selten in harter Konkurrenz zueinander - so jedenfallsBourdieus zugespitzte Analyse der Verhältnisse im französi­schen Hochschulsystem. In seiner lesenswerten Untersuchung"Homo Academicus" beschreibt er sehr detailliert, daß bei­spielsweise in den Geisteswissenschaften ein souveränes Verfü­gen über angemessene kulturelle Praktiken, also ein bürgerli­cher Habitus, oft wichtiger ist als die Fähigkeit zu soliderForschung. Ganz im Gegenteil sind es gerade die Aufsteiger, die

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durch harte Forschungsarbeit versuchen, sich Prestige zu erwer­ben. Folgt man Bourdieu, dann sind gesellschaftliche Feldereher Kampf- als Spielfelder, in denen es um Macht und Unter­scheidung geht.

Der permanente Konkurrenzdruck ist für ihn der entscheiden­de Grund, warum etablierte Felder es der nachfolgenden Gene­ration so schwer machen, in sie einzudringen. Oft werden dabeiAnforderungen gestellt, die die Begründer selbst nie erfüllthaben. Freud, um ein Beispiel zu nennen, war Autodidakt undverfügte natürlich über keine psychoanalytische Ausbildung,die er doch selbst erfand. Alsorigineller Querdenker schuf er einSystem, das viele Anhänger fand. Doch die meisten seiner Schü­ler vergaßen, daß ihre Heilkunst von einem kreativen Querein­steiger herstammte. Die psychoanalytischen Vereinigungenschraubten die Standards so hoch, daß selbst ein bedeutenderPsychoanalytiker wie Erich Fromm keinen Zugang erhielt, weiter Soziologe war und über keine medizinische Ausbildung ver­fügte. Fromms Reaktion auf diese Zurückweisung ist ein be­zeichnendes Beispiel dafür, wie ein Kreativer mit der Abstoßungdurch das Feld umgeht: Er wechselte das Land und gründete inMexiko - mit großem Erfolg - sein eigenes Feld.

Nur wenige werden den nötigen Mut zu einem so aufwendigenund selbstbewußten Schritt aufbringen. Wichtig ist, daß mansich sehr genau klar macht, ob man überhaupt in ein bestimm­tes Feld will. Zwiespältige Haltungen eines Bewerbers beruhenoft auf seiner unbewußt ablehnenden Einstellung, die von denMitgliedern des Zielfeldes wahrgenommen wird und ihrerseitsablehnende Stimmungen mobilisiert. Das Feld lernt! Im Feldgehen keine Energien verloren! Ebenso üben zurückgehalteneEmpfindungen Wirkungen auf das Feld aus. Gerade ein unmiß­verständlicher Standpunkt, das Flaggezeigen kann Zweifel, dieim Feld vorhanden sind, zerstreuen und die Entscheidung er­leichtern. Personen, die Anerkennung in einem bestimmten Feldsuchen, sind sich oft erstaunlich unklar über die Effekte, die siedurch ihre eigene Haltung auslösen. Ich habe selbst erlebt, daßman nicht durch oberflächliche Anpassung an die Erwartungendes Feldes Erfolg hat, sondern durch eine klar konturierte Posi-

tion, zu der es auch gehört, sich gegen Zumutungen abzugren­zen. Das Feld honoriert in der Regel eher Selbstähnlichkeit alsleicht zu durchschauende Anpassung. GenialeTeamswissen des­halb das Angebot eines klaren Egos zu würdigen. Sie wissen,daß sie nur durch kritische Auseinandersetzung weiterkommen.

Wie aus Gardners Untersuchung hervorgeht, wird der bisweilentotale Einsatz für das eigene Werkmit einem hohen Preis im Be­reich des persönlichen Glücks bezahlt. Dieser Auffassung wider­spricht Csikszentmihalyi vehement, dessen interviewte Perso­nen fast ausnahmslos ein überaus glückliches Beziehungslebenzu führen schienen und selbst das hohe Alter als Bereicherungerlebten. Vielleicht erliegt hier der Flow- und Glücksforschersei­nem eigenen Wunschbild. Jeder, der mit den Höhen und Tiefen,die kreatives Schaffen begleiten, vertraut ist, wird an denGlücksberichten, die Csikszentmihalyi vorstellt, einigen Zweifelhegen. Ungeklärt bleibt die Frage nach den Schattenseiten.Nicht nur dank Gardner sehen wir dieses konfliktfreie und Er­

füllung versprechende Bild des Kreativen etwas differenzierter.Die Enthüllungen etwa über Picassos Umgang mit Frauen zeigenein ähnlich befremdliches Bild wie jüngst entdeckte Briefe Ein­steins, in denen er den Umgang mit seiner ersten Frau, MilevaMarie unglaublich unpersönlich und starrsinnig zu regeln such­te: "A. Du hast Sorge zu tragen, daß Du 1) meine Kleidung undWäsche sauberhältst ; 2) mir drei Mahlzeiten am Tage in meinemRaum servierst; 3) mein Schlaf- und Arbeitszimmer immer auf­räumst und dabei aufpaßt, daß niemand außer mir die Sachenauf meinem Schreibtisch anrührt." Weiter verlangte der damals35jährige, der an der Relativitätstheorie arbeitete und bereitseine Liebesaffäre mit seiner Cousine unterhielt: "Du versprichstvor allem die folgenden Punkte zu beachten: 1) Du wirst keineZuneigung von mir erwarten und mir deshalb keine Vorwürfemachen; 2) Du hast mir sofort zu antworten, wenn ich mit Dirspreche; 3) Du hast mein Schlaf- und Arbeitszimmer sofort undohne Protest zu verlassen, wenn ich Dich darum bitte ..." (DieWelt, 31.10.1996, S. 12)

Lion Feuchtwanger bezeichnete Brecht, dessen Kreatives Feldvor allem von engagierten Frauen mitgestaltet wurde, schon

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früh als einen, der "Menschen fraß". Wenngleich die FraueninBrechts Kreativem Feld über ein beachtliches Maß an Gestal­tungsraum verfügten, so stand doch Brecht im Mittelpunkt underntete den Hauptteil der Anerkennung. Für eine derart heraus­gehobene Stellung bezahlt man seinen Preis: Nicht nur, daß dieBeziehungen zu den Mitgliedern des Kreativen Feldes zwangs­läufig getrübt sind; darüber hinaus nimmt man sich die Chance,die Erleichterungen und Anregungen, die ein gut funktionie­rendes Teambietet, voll auszuschöpfen. Zwarmag die bereits er­wähnte populäre These der Nähe zwischen Genie und Wahnsinnvereinfachend sein, doch leuchtet bei einer feldtheoretischenBetrachtung im Sinne Lewins ein, daß Personen, die sich in eineExtremposition zu ihrem umgebenden sozialen und kulturellenFeld begeben, sich zu Persönlichkeiten mit extremen Persön­lichkeitszügen entwickeln können, nicht zuletzt weil sie alsGrenzüberschreiter stärkeren psychischen Belastungen und Ge­fährdungen ausgesetzt sind.

Hier kann ein funktionierendes Team eine wichtige psychischeSchutzfunktion bieten: Da der Team-Kreative sich und sein Pro­dukt als Ergebnis gemeinsamer Anstrengung sieht, ist die Gefahrgeringer, daß er in Größenphantasien abdriftet, die ihm nicht zuselten von der bewundernden Mitwelt nahegelegt werden. Mitder Formel "Kreativität gibt es nur im Plural" erhalte ich eineChance, mein eigenes kreatives Potential zu erschließen, ohneden hohen Preis psychischer Überspanntheit und sozialer Isolie­rung zu bezahlen, der oft mit dem fragwürdigen Genie- und Eli­tekult verbunden ist. Im Teamkann ich lernen, meine besonde­ren Qualitäten zu entwickeln und zu schätzen, ohne mich inübersteigertem Maß über andere zu erheben. Im Sinne meinesSynergiekonzepts finde ich meinen Platz im Rahmen interakti­ver Kreativität in der Gemeinschaft und erhalte ein realistischesBildüber meinen Anteil am kreativen Prozeß. Arbeitszufrieden­heit, psychisches und gesundheitliches Wohlbefinden sowieeinegute soziale Verankerung sind der Gewinn einer solchen Hal­tung.

Ganz in diesem Sinne argumentiert Csikszentmihalyi, wenn erein Loblied auf die Förderung der "persönlichen Kreativität" an-

stimmt, über die wir alle verfügen und die sich jeder erschließenkann: "Auch wenn die persönliche Kreativität vielleicht nicht zuRuhm oder Reichtum führt, kann sie etwas leisten, das für deneinzelnen weit wichtiger ist: Sie kann das AUtagsleben lebendi­ger, aufregender und lohnender machen. Wenn wir kreativleben, gibt es keine Langeweile,und jeder Augenblick versprichteine neue, aufregende Entdeckung. Eine kreative Lebensweiseverbindet uns mit dem Prozeß der Evolution, gleichgültig ob dieEntdeckungen über unser persönliches Leben auch die Kulturbereichern." (1997, S. 489)

So mündet seine Untersuchung von 91 überragenden kreativenPersönlichkeiten in eine Reihe überraschend einfacher, alltags­praktischer Ratschläge, von denen ich in den nachfolgenden Ab­schnitten die wichtigsten kurz erörtere. Doch zunächst wiedereinige Anregungen für den Transfer dieser allgemeinen Ausfüh­rungen auf Ihre persönliche Situation.

Transfer:> Treten Sie einen Augenblick neben sich und ver­suchen Sie sich durch die Augen derjenigen Personenzu betrachten, von denen Sie Anerkennung wünschen.Wie sehen Sie sich durch die Augen dieser Personen?> Versuchen Sie, Ihren Habituszu analysieren, indemSie sich Ihre persönlicheAusstrahlung vergegenwärti­gen. Was charakterisiert Ihren sprachlichen Ausdruck,Ihre körperliche Haltung, Ihre Art sich zu kleiden, Ihrekulturellen Vorlieben und die Musik, die Sie hören?Welche sozio-kulturellen Einflüsse haben Ihr Denkenund Handeln nachhaltig geprägt?> Entdecken Sie aufgrund Ihrer Habitusanalyse eineNähe zu bestimmten gesellschaftlichen und/oderinstitutionellen Feldern? Wo würden Sie gut "hinein­passen", wo erfahren Sie aufgrund Ihres HabitusAblehnung?> Sind Sie mit Ihrem Habitus zufrieden? Inwiefernwollen oder können Sie einzelne Dimensionen ver-

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ändern? Welchen Gewinn versprechen Sie sich davon?Welchen Preis müßten Sie zahlen?> Welche für Sie günstigen Felder gibt es, um Be­schränkungen, die sich aus Ihrem Habitus ergeben,zu überwinden?> Welche Möglichkeit sehen Sie, ohne sich zu "ver~

biegen", die Anerkennung zu finden, die Sie sichwünschen?

Negative Glaubenssysteme erkennen und überwinden

Ein Problem bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Krea­tivität besteht darin, daß wir aUe schon früh durch negativeGlaubenssysteme, die z. T. aus unserer Erziehung und aus demsozialen Umfeld stammen, an der Möglichkeit zweifeln, wirkönnten besonders kreativ sein. Ganze Therapiezweige, wieetwa das Neurolinguistische Programmieren, leben von demVer­sprechen, solche die Entfaltung des kreativen Potentials behin­dernden Überzeugungen bewußt machen und verändern zu kön­nen. Freilich zeigen Untersuchungen, darunter auch meineeigenen (Burow 1993), daß sich negative Glaubenssysteme nurschwer verändern lassen, wenn nicht gleichzeitig ein Feld kon­struiert oder aufgesucht wird, das die Person bei der Ausbildungneuer Sicht- und Verhaltensweisen unterstützt. Das ist auchvöllig einleuchtend, wenn man der Auffassung folgt, daß Krea­tivität nicht allein in der Person, sondern in einer bestimmtenräumlichen und historischen Konstellation zu verorten ist.

So spielen sicher auch der "Zeitgeist" und unser Lebensumfeldeine wichtige Rolle, wenn wir - etwa trotz jahrelanger Thera­pie - überraschend schnell wieder in unsere alten Verhaltens­weisen zurückfallen. Dieser Umstand hat zwei Gründe: Zumeinen handelt es sich bei negativen Glaubenssystemen umerlernte, routinisierte Verhaltensmuster, die entwicklungsge­schichtlich wichtig waren und uns oft vor Enttäuschungenschützen, und zum anderen dienen die Zurückweisungen desFeldes, die diese Glaubenssysteme bestärken - wie wir gesehen

haben - auch der Aufrechterhaltung sozialer Stabilität. Indemein Feld bestimmte Zugangsregeln formuliert und Personen ab­stößt, die weder über das nötige Selbstbewußtsein noch die ge­forderten Haltungen und Fähigkeiten verfügen, sichert es sichseine privilegierte Stellung. Insofern sorgen psychologische undsoziologische Faktoren für die relative Stabilität negativer Glau­benssysteme. Ein Kennzeichen der Kreativen scheint es zu sein,daß sie Zurückweisungen positivumdeuten können und wie zumBeispiel der vielfach von Plattenfirmen abgelehnte Beatles-Ma­nager Brian Epstein diese Zurückweisungen nicht als Entmuti­gung, sondern vielmehr als Ansporn begreifen. In einem Kreati­ven Feld gibt es immer auch die Person des Ermutigers. Wirerinnern uns an den Prolog, in dem Robert Biberti nach dem er­folglosen Vorsingen der Comedian Harmonists die Gruppenmit­glieder zu verbesserten Leistungen anspornte.

Diewirksamste Methode zur Überwindung negativer Glaubens­systerne scheint mir darin zu bestehen, zusammen mit Syner­giepartnern eine faszinierende Zukunftsgeschichte zu erfinden,die man gemeinsam zu verwirklichen sucht. John Lennon hatselbst erkannt, daß er mit seinem schlichten Glaubenssatz, dieBeatles seien die beste Band der Welt, zugleich einen Grund­stein für den Erfolg gelegt hat. Lewins Feldtheorie macht deut­lich: Mit unseren Absichten schaffen wirunserUmfeld. Man mußan das glauben, was man erreichen will. Nur so kann man zueinem Anziehungspunkt im Feld werden.

Wenn man ein positives Glaubenssystem zusammen mit ande­ren aufbaut, wird es wahrscheinlicher, daß es sich gegen die An­fechtungen der Umwelt behaupten läßt. Allerdings muß manhier auch auf die problematischen Erscheinungen solcher posi­tiven Selbstsuggestionen verweisen. Man denke nur an extremi­stische Politgruppen, Religionsgemeinschaften oder Sekten mitihren hermetisch abgeschotteten Glaubenssystemen. Ein positi­ves Glaubenssystemzielt keineswegs auf die Leugnung oder Ver­zerrung der Realität, sondern fordert auf, das gemeinsam zuentfaltende kreative Potential als positiven Fokus im Blick zubehalten. Es geht hier um Selbstbewußtheit und Selbstbehaup­tung.

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Mankann selbst-behauptendes Verhalten erlernen. So bereitensich Hochleistungssportler auf schwierige Situationen durch einmentales Training vor. Ein Eiskunstläufer konzentriert sich vordem Start und läßt noch einmal jeden Schritt seiner Kürvor deminneren Auge vorüberziehen, gleichzeitig ruft er sich positiveSätze ins Bewußtsein zurück, die sein Selbstvertrauen stärkensollen. Dasmentale Training wurde zwar für den Hochleistungs­sport entwickelt, hat sich aber auch als sehr alltagstauglich er­wiesen. Auch Sie sind in der Lage, sich Grundfertigkeiten desmentalen Trainings selbst beizubringen. Wichtig ist, daß Siesich die jeweilige Anforderungssituation möglichst konkret vor­stellen und die Gefühlebeachten, die diese Antizipation der An­forderungssituation auslöst. Durch positive Suggestionen kön­nen Sie Ihre selbstunterstützenden Kräfte (den "Self-Support")mobilisieren. Positive Suggestionen könnten etwa Sätze sein,wie "es wird mir leicht fallen", "es wird mir Spaß machen", "ichverfüge über ein großes Wissen", "ich werde das schaffen" etc.Mentales Training in diesem Sinne bedeutet, daß ich mir nichtnur die Schwierigkeiten der zu bewältigenden Situation mög­lichst konkret vorstelle, sondern mir auch die Fähigkeiten be­wußt mache, über die ich zu deren Bewältigung verfüge.

Eine Richtung der Lern- und Kreativitätsförderung, die vondem bulgarischen Forscher Lozanov entwickelte Suggestopädie,die unter dem Namen "Superlearning" vermarktet wurde, ver­sucht durch die Schaffung einer entspannten, spielerischenAtmosphäre und durch positive Suggestionen ("Es wird Ihnenleicht fallen") lernerleichternde Zustände zu erreichen, die eswahrscheinlicher machen, daß man Kreativitäts- und Lern­blockaden überwindet und sein Potential besser nutzt. LozanovsUntersuchungen haben gezeigt, daß das Hören von Barock­musik, die einem Metrumfolgt, das in etwa unserem Herzschlagentspricht, positive Wirkungen erzeugt. Die Suggestopädie be­ruht auf einer recht einfachen Einsicht: Wenn man etwas Schwie­riges bewältigen will, muß man es sich leicht machen, muß mansich günstige, lustmachende, entspannende Rahmenbedingungenschaffen.

Aber wenn man sich anschaut, wie Lernen an Schulen und

Hochschulen organisiert ist, dann kann man sich nur wundern,wie anti-kreativ diese Institutionen häufig noch gestaltet sindund wie selten sie einfachste Erkenntnisse der Lernforschungberücksichtigen. Allerdings muß man auch hier wieder differen­zieren. Entspannung allein verhilft noch nicht zu mehr Kreati­vität. Es muß eine den eigenen Fähigkeiten angemessene undselbstgewählte Herausforderung hinzukommen. Phasen intensi­ver Konzentration, des An-die-Grenzen-Gehens und der An­strengung sollten sich mit entspannenden Phasen abwechseln,in denen man mehr der Intuition und der Phantasie Raum läßt.

Ein Kennzeichen der Kreativen scheint zu sein, daß sie miteinem fordernden Elternteil aufwuchsen, der hohe Ansprüchestellte, ohne mit primitivem Druck und Zwang zu arbeiten, undso dafür sorgte, daß das Kind schon früh anspruchsvolle Maß­stäbe für sich selbst entwickelte. Doch nicht jeder, der zu ge­meinsamen Schöpfungen beiträgt, muß über diese Erfahrungenverfügen. In einem Kreativen Feldkann ein entsprechender Syn­ergiepartner die Rolle des herausfordernden Partners überneh­men, so daß man selbst von der kreativen Konkurrenz motiviertwird. Dies läßt sich an der Konkurrenz zwischen den Mitgliedernder Comedian Harmonists, Frommermann, Bootz und Biberti,zeigen. Aber auch das Komponistenduo Lennon und McCartney,dessen Arbeitsweise ich im zweiten Band analysieren werde, bie­tet dafür ein überzeugendes Beispiel. Zwischenbeiden Musikernherrschte eine produktive Spannung. Dagegen ist ein zwanghaf­tes, dauerhaft angestrengtes Vorgehen, mit dem man sich selbstund andere unter Druck setzt, ungeeignet, kreative Potentialezur Entfaltung zu bringen.

DieseBeispiele zeigen, daß es eine vielversprechende Alterna­tive ist, negative Glaubenssysteme durch die Schaffung einesKreativen Feldes zu überwinden. Wir erinnern uns an die ein­gangs zitierte Untersuchung von Oldham & Cummings, die be­legt, daß kreative Mitarbeiter auf ein förderliches Arbeitsumfeldangewiesen sind. Kreative verfügen demnach zwar über ein po­sitives Glaubenssystem, aber sie können ihre kreativen Eigen­schaften nur umsetzen, wenn ihre Tätigkeit komplex und her­ausfordernd ist, wenn sie einen nicht autoritativen Vorgesetzten

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und anregende Arbeitskollegen haben. Auch wenn es mir pro­blematisch erscheint, so weit zu gehen wie Wanen Bennis, derals Bedingung für den Erfolg von Teams ein klares Feindbildsieht (zum Beispiel die Garagenfirma Apple gegen den mächti­gen Konzern IBM), so ist doch belegt, daß ein gewisses Maß anKonkurrenz und kreativer Spannung für die Erzielung von Spit­zenleistungen förderlich ist.

Individualisierende Persönlichkeitstrainings, die an der Über­windung negativer Glaubenssysteme arbeiten, reichen alsonicht aus, um eine begeisternde Motivation zu schaffen. DasFeld muß insgesamt so verändert werden, daß es motivierendeAnziehungspunkte bietet. In einem attraktiven Feld mit anre­genden Synergiepartnern verlieren negative Glaubenssystemeauch ohne spezifische Persönlichkeitstrainings schnell an Be­deutung: Die Kraft des Teams, das mit einer überzeugenden Vi­sion an einer faszinierenden Herausforderung arbeitet, reißt aUemit.

Persönliche Paradigmen steuern unsere Feldwahrnehmung

"Mit demWunder der eigenenAchtsamkeit vertraut zu werden,dieses Wunder zu bemerken,

ist die wichtigste ,Kreativitätstechnik'.n

Karl-Heinz Brodbeck

"Entscheidung zur Kreativität" - nicht von ungefähr hat Karl­Heinz Brodbeck (1995) für seine Untersuchung über Faktoren,die für kreative Leistungen verantwortlich sind, diesen Titel ge­wählt. Brodbeck zeigt, daß die Frage, inwieweit wir unsere Mög­lichkeiten ausschöpfen, vor allem davon abhängt, für welcheSelbst- und Feldwahrnehmungen wir uns entscheiden. EinSchlüssel zur Freisetzung der eigenen Kreativität ist deshalb dieAchtsamkeit und das Bewußtmachen der grundlegenden Wahr­nehmungsmuster, die unser Handeln leiten. In diesem Sinnehaben wir erheblich mehr Einflußmöglichkeiten auf die optima­le Gestaltung unseres Lebensraumes als wir gemeinhin glauben.

Wie wir gesehen haben, besteht ein entscheidendes Hindernisfür die Freisetzung unserer Kreativität im Festhalten an tradier­ten Normen, Glaubenssystemen, Gewißheiten, Denkmodellenusw., die wie Barrieren wirken können. Diese Kreativitätsbarrie­ren haben sowohl Ursachen im Umfeld der Personen wie auch inbiographischen Erfahrungen. Aus der Perspektive individualisie­render Kreativitätstrainings besteht ein Schlüssel zur Erweite­rung unserer Möglichkeiten darin, unsere Bewußtheit zu er­höhen oder unseren Wahrnehmungsraum zu erweitern.

Die Theorie des Kreativen Feldes zeigt uns, daß die Aufnahmevon ergänzenden Beziehungen zu passenden Synergiepartnernein vorzügliches Mittel ist, den eigenen Wahrnehmungs- unddamit Möglichkeitsraum zu erweitern. Hier stellt sich die Frage:Warum sind wir nur selten in der Lage, befriedigende Synergie­beziehungen einzugehen? Warum erleben wir in unserem Alltagoft eher Abgrenzung als Zusammenarbeit? In meinen eigenenForschungen (Burow 1993) habe ich eine Antwort gefunden:Persönliche Paradigmen hindern uns daran, unseren Möglich­keitsraum auszuschöpfen.

Was sind "Persönliche Paradigmen"?

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen: Was sind PersönlicheParadigmen und in welchem Verhältnis stehen sie zu Prozessender Teambildung in Kreativteams? Persönliche Paradigmen bil­den eine wichtige Basis für die Teambildung. In Glücksfällenscheinen die Paradigmen der Gruppenmitglieder gut zueinanderzu passen; aus leidvoller Erfahrung wissen wir, daß oft das Ge­genteil der Fall ist. Starre Persönliche Paradigmen können nichtnur den eigenen Lebensraum einschränken, sondern auch dieWahrnehmung von Bindungsmöglichkeiten. Sie behindern dieso wichtige Fähigkeit zum freien Dialog. Ich verstehe unter Per­sönlichen Paradigmen ein System von Wahrnehmungsmustern,das sich im Verlaufe der persönlichen Entwicklung herausgebil­det hat und durch übergreifende leitmotivische Sätze gesteuertwird. Solche wahrnehmungssteuernden Leitmotive sind Sätze

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wie: "Ich muß mich anstrengen, damit ich akzeptiert werde"oder "Was ich sage, ist nichts wert". Es handelt sich also umgrundlegenden Kodierungen, die aus einer Vielzahl im Verlaufeder persönlichen Entwicklung erworbener Sätze bestehen undsich wie ein Filter vor unsere Wahrnehmungen schieben. DieseFilter entscheiden darüber, inwieweit wir unser kreatives Poten­tial ausschöpfen können. Wiewir mit Bourdieus Feldtheorie ver­muten, hängt die Entwicklung solcher Paradigmen in weitenTeilen vom sozialstrukturellen Ort meiner Herkunft, aber auchvon angeborenen Prädispositionen wie etwa dem Temperamentoder meiner spezifischen Stellung in der Geschwisterreihe ab.Persönliche Paradigmen sind somit immer auch durch das Her­kunftsfeld geprägt - ein Umstand, den individualisierende Trai­nings- und Therapieverfahren allzuoft übersehen. Doch woherkommt die Idee der Persönlichen Paradigmen?

Zur Beantwortung dieser Frage muß ich weiter ausholen. DerWissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn (1967) hat eindrucks­voll gezeigt, wie ein wissenschaftliches Paradigma, das aus all­gemein akzeptierten Grundannahmen besteht, die Wahrneh­mung von Zeitgenossen bestimmt und beispielsweise dazugeführt hat, daß man sich jahrhundertelang die Erde als Schei­be vorgestellte.

Wir, die wir das Glück haben, einige Jahrhunderte später aufdie Welt gekommen zu sein, können über solche offenkundigfalschen Auffassungen nur den Kopfschütteln. Daswissende La­chen würde aber den meisten von uns im Halse steckenbleiben,würden wir die Untersuchung Gardners (1993) zum Denken desungeschulten Kopfes lesen. Er weist dort anhand einer Reihevon einleuchtenden Beispielen nach, daß wir alle - auch Wis­senschaftler - eine Vielzahl von ziemlich absurden Auffassun­gen über die Welt mit uns herumtragen, die sich bis zum fünf­ten Lebensjahr herausbilden und sich als ziemlich resistentgegen jegliche Art wissenschaftlicher Aufklärungsbemühungenerweisen. Bourdieu hat uns gezeigt, wie wir aufgrund unserersozialen Herkunft und unserer aktuellen Interessen unsere Feld­wahrnehmung konturieren und überzeugt sind, daß wir dieWirklichkeit sehen. Doch wir sehen oft nur unsere Wirklichkeit.

Zum wissenschaftlichen Paradigma, das nur so lange gilt, bis wirein "besseres", "einleuchtenderes" gefunden haben, kommt nunauch noch das Persönliche Paradigma. Washat es mit diesem aufsich?

In ähnlicher Weise wie das wissenschaftliche Paradigma be­steht das Persönliche Paradigma aus unhinterfragten, persönlichbedeutsamen Grundannahmen. mit deren Hilfe der Mensch sei­nen Lebensraum aktiv strukturiert. Persönliche Paradigmenkönnen sich an leitmotivischen Sätzen festmachen wie die be­reits erwähnten Beispielssätze: "Ich muß mich anstrengen,damit ich akzeptiert werde" oder "Was ich sage, ist nichts wert".Jeder von uns verfügt über eine Reihe solcher impliziten Sätze,die sowohl die Wahrnehmung seines Lebensraums strukturierenals auch die Reichweite persönlichen Handelns begrenzen. EinePerson, die vorrangig nach dem Anstrengungsparadigma lebt,wird selbst entspannende Situationen als Herausforderung erle­ben und unter Umständen einen Hang zu zwanghaftem Perfek­tionismus entwickeln. Solche Personen überfordern oft sichselbst und andere. Wer dagegen mit dem Selbstabwertungspara­digma lebt, wird viele Chancen, die sich ihm bieten, nicht wahr­nehmen, weil er glaubt, daß ihm die nötigen Fähigkeiten feh­len. Mit unserem Persönlichen Paradigma schaffen wir unsunseren Lebensraum. Problematisch dabei ist, daß sich die mei­sten Menschen ihres persönlichen Paradigmensystems nicht be­wußt sind.

Denn normalerweise besteht kein Anlaß, das Persönliche Para­digma kritisch zu hinterfragen, denn es funktioniert so langeals optimales Abbild meiner sozialen Welt, wie ich mit ihm lebenkann. Nur in dem Maße, wie es meinen Lebensraum einschränktund mir diese Einschränkung auch bewußt wird, werden sichneue Wahrnehmungen einstellen, die mich schließlich zu einemWechsel der Grundannahmen und zur Aufgabe meines Persönli­chen Paradigmas zwingen können. Dies ist .häufiq der Fall beieinem Partnerwechsel: In der Auseinandersetzung mit demneuen Partner werden mir plötzlich meine für selbstverständlichgehaltenen Verhaltensmuster bewußt.

Die Erweiterung oder der Wechsel des Paradigmas ist allerdings

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ein schmerzhafter Prozeß, der bisweilen auf große Abwehrstößt. Giordano Bruno etwa endete auf dem Scheiterhaufen. Erstarb für seine Erkenntnisse, mit denen er ein "wissenschaftli­ches" Paradigma umstieß, und erst nach großen Widerständenkonnte sich das völlig andere Weltbild durchsetzen. Aber auchwir können uns subjektiv massiver Bedrohung ausgesetztfühlen, wenn wir unseren persönlichen Lebensraum grundle­gend verändern woUen. Wenn wir mit demWechsel des Paradig­masunser Feld erweitern oder in neue Räume vorstoßen, dannwissen wirimvoraus nie, welche Chancen aber auch Gefährdun­gensie uns bringen. Zudem wirken die persönlichen Strukturenaus unserer Sozialisation ebenso wie die Beharrungskräfte dessozio-kultureUen Umfeldes auf uns ein.

Persönliche Paradigmen erweisen sich so - faUs es keinen mas­siven Veränderungsanreiz gibt - als ziemlich stabil. Schließlichspielen auch die Freundesgruppen und die dominantenBezugs­felder eine wichtige RoUe bei der Abwehr neuer Paradigmen.Zudem haben die meistenvon uns eine verständliche Angst vorradikalen Veränderungen mit ungewissem Ausgang: Wir könnennie wissen, obes uns mit der verändertenPerspektive auchbes­ser geht.

Tod eines Handlungsreisenden

Die Theorie der Persönlichen Paradigmen beruht auf einer breitangelegten empirischen Untersuchung, in der ich anhand vonFallstudien zeige, wie es Teilnehmern einer dreijährigen berufs­begleitenden Fortbildung mit Methoden der Gestalttherapie ge­lingt, ihre Persönlichen Paradigmen zu entschlüsseln (BuroW1993). Ich beschreibe die Theorie zunächst anhand von ArthurMiUers Theaterstück "Der Tod des Handlungsreisenden".

Der überragende Erfolg dieses Stücks erklärt sich daraus, daßes Miller gelang, mit dem Handlungsreisenden Willy Loman einefür die amerikanische Gesellschaft typische Figur zu beschrei­ben: Unter verschärften Konkurrenzbedingungen kämpft derVertreter Loman vergeblich umseineExistenz. SeinPersönliches

Paradigma wird durch die übertriebene Verinnerlichung desamerikanischen Traums gesteuert: So predigt er seinen Söhnen,daß jeder die Chance hat, etwas Großartiges zu erreichen, wenner es nur will. Aus meiner bisherigen Darstellung könnte dasMißverständnis entstehen, daß Loman auf dem "richtigen" Wegist, denn schließlich entscheidet er sich doch selbst unter wi­drigen Umständen für ein positives Glaubenssystem. Was istdaran problematisch?

Für unseren Zusammenhang ist diese Geschichte deshalb in­teressant, weil Loman in Analogie zum Geniekult Erfolg aus­schließlich als Resultat individuellen Bemühens ansieht. SeineLebensumstände beweisen allerdings das Gegenteil: Loman be­findet sich in einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale, aus der erohne Unterstützung durch andere keinen Ausweg finden kann.Ersteht vor dem existentiellen Nichts. Die Tragik seines Lebens­entwurfs besteht nun darin, daß er unerschütterlich an derIdeologie des Selfmademans festhält und deshalb Hilfsangeboteablehnen muß. All seine Hoffnungen setzt er in seinen SohnBiff, der sich zunächst der Lebensraumkonstruktion seines Va­ters unterwirft. Loman ist stolz auf seinen Sohn und entwirft inihm das Wunschbildeines erfolgreichen jungen Mannes, dem dieWelt offensteht. Doch auch hier ist das Gegenteil der Fall: Biffscheitert in Schule und Beruf. Ebenso wie sein eigenes Scheiternversucht der Vater auch das Scheitern seines Sohnes zu verleug­nen. Die Einsicht in seine wahre Lage bedroht sein Selbstbild.Dieses Selbstbild wird überformt durch die Ideologie ausschließ­lich individueller Verantwortlichkeit für persönlichen Erfolg.Das Persönliche Paradigma erweist sich für Loman als tödlicheIndividualisierungsfalle.

Als Biff das Lügengebäude seines Vaters durchschaut, beginnter sich selbst zu befreien, indem er eine realitätsnähere Feld­wahrnehmung entwickelt: Er konfrontiert den Vater mit beiderVersagen. Diese Konfrontation böte die Chance für eine echtezwischenmenschliche Begegnung und einen Wechsel des Per­sönlichen Paradigmas. Doch Loman kann sich vom Druck desamerikanischen Traums nicht befreien. Er weicht der Selbster­kenntnis aus und nimmt sich das Leben.

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MiUers Stück illustriert in anschaulicher Weise, in welchemAusmaß Persönliche Paradigmen, die aus gesellschaftlichenUmfeldern und biographischen Prägungen stammen, unsereWahrnehmung strukturieren und unseren Handlungsspielraumbegrenzen. Sicherlich handelt es sich bei Loman um einen ex­tremen Fall. Doch wir aUe haben bisweilen Schwierigkeiten, unsvonpersönlichen Barrieren zu befreienund mit Hilfe von Syner­giepartnern Kreative Felder zu bilden. In extremen Fällen kannes deshalb sogar notwendig sein, mit Hilfe professioneller Bera­tung einen Wechsel des einengenden Persönlichen Paradigmasherbeizuführen. Glaubenssysteme positiver oder negativer Artkönnenzu einern "Wahrnehmungsgefängnis" erstarren,wenn siekeine soziale Rückbindung haben. Nachfolgende Fallstudie ausmeiner Untersuchung soU ein Beispiel dafür geben, wie es einernMenschen, der unter extremen biographischen Belastungen lei­det, gelingt, einen Paradigmenwechsel vorzunehmen.

Der Wechsel des Persönlichen Paradigmas: Eine Fallstudie

Astrid arbeitete seit langen Jahren als Lehrerin. Ihr Lebenswegist durchbelastendeAuseinandersetzungen mit der nationalso­zialistischen Vergangenheit ihrer Eltern bzw. Verwandten cha­rakterisiert. Aufgrund dieses besonderen biographischen Hin­tergrundsentwickelte sie ein Bedürfnis, sichvon ihrer Herkunftabzugrenzen. In einem Interview äußerte sie als ein zentralesMotiv ihres Handelns, daß sie den "Nazi in sich" bekämpfenmüsse. Als eine Art persönlicher Wiedergutmachung engagiertesie sich in ihrer Studienzeit in einer linken politischen Grup­pierung und erhielt Berufsverbot. Schließlich bekam sie eineAnstellung an einer Privatschule. Die persönlichen und politi­schen Auseinandersetzungen haben tiefe Spuren in ihren Le­bensweg eingegraben und sie kam in der Lebensmitte in eineKrise. Diese äußerte sich zunächst in unklaren psychosomati­schen Symptomen wie etwa fortdauernden Magenschmerzen.

Feldtheoretisch könnten wir sagen, daß sie sich mit ihrem Ver­halten aus dem gesellschaftlichen Toleranzbereich in eine ex-

treme Randzone bewegt hat. Kennzeichen dieser Randzone sindextreme politische Ansichten und übersteigerte moralische An­forderungen an sich selbst. In einer im nachhinein grotesk an­mutenden Selbstüberschätzung fühlte sie sich persönlich ver­antwortlich für eine Vielzahl von Problemen, die aus einerungerechten Weltordnung resultieren. Randzonen sind aberauch Orte, an denen in besonderer Weise Wandelmöglich ist. Siesetzen die Personen, die sich dorthin begeben, besonderen Be­lastungen aus. Für den, der sich darüber im klaren ist und eineinnere Bestimmung für sein Engagement fühlt, kann die Erfah­rung der Randzone eine die eigenen Potentiale befreiende Er­fahrung sein. Ein Problem Astrids besteht allerdings darin, daßsie sich zunächst kaum über ihre Antriebe im klaren ist, die siezu einem Engagement in einer Randzone veranlassen. Wie wirsehen werden, hat sie Probleme, das Feldprinzip der Selbstähn­lichkeit zu realisieren. Sie handelt nicht aus einem inneren An­trieb, sondern wird durch introjizierte moralische Normen ge­steuert, die im Widerspruch zu ihren persönlichen Bedürfnissenstehen. Unter solchen Widersprüchen - wenn auch nicht so ex­trem - stehen wir bisweilen alle. Als ein Mittel, diese Wider­sprüche sichtbar zu machen, kann man kreative Lebensraum­darstellungen benutzen. Wenn wir beispielsweise versuchen,unser Empfinden in einem Symbol darzustellen, erhalten wireinen direkten Zugang zu uns selbst. Wie sieht eine solche Le­bensraumdarstellung aus, und welchen Erkenntniswert besitztsie? Zur Charakterisierung ihrer Lebenssituation zu Beginn derFortbildung zeichnet Astrid eine starre Linie, die innerhalb desvorgegebenen Kreises bleibt. Sie schreibt dazu die Sätze: "Ichwußte immer wo es langgeht. Mein Weg war klar."

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Die starre Linie, die innerhalb des vorgegebenen Rahmensbleibt, drückt gut das Empfinden aus, eingeengt und begrenztzu sein. Die Analyse zeigt, daß Astrids Verhalten von relativstarren kognitiven Konstrukten gesteuert wird, die ihre emotio­nale Basis auch in Kindheitserlebnissen haben.

Im Verlaufe der Gestaltfortbildung gibt es ein Schlüsselerleb­nis, das den Wandel des Persönlichen Paradigmas anbahnt.Einern Trainer fällt auf, daß sie ständig ihre Hände zu Fäustenballt. Er fordert sie in einer Selbsterfahrungsübung auf, sich mitdiesen Fäusten zu identifizieren und zu überlegen, welche Bot­schaft sie transportieren. Astrid begreift ihren Perfektionismusund ihren inneren Zwang, den "richtigen" Weg zu kennen. Sieerinnert sich, daß sie 1967 von einem Maler porträtiert wurde,sucht diesen Maler auf und zeigt mir das Portrait. Auf diesemBild ist sie in angestrengter Haltung mit gebaUten Fäusten zusehen.

Die Fäuste stehen für wesentliche Aspekte ihres Habitus, alsofür ihre persönlichen gesellschaftlichen und biographischen Er­fahrungen, die sich Bourdieu zufolge in der Körperhaltung ma­nifestieren. DieStarre, unter der sie leidet, hat also eine kogni­tive und eine körperliche Dimension. Ihr persönlicherLebensraumentwurf wird durch ihren rigiden Habitus massivbe­grenzt. Sie ist in engen Wahrnehmungs- und Verhaltensmusterngefangen, die es ihr erschweren, kreative Lösungen für ihre be­ruflichen und privaten Probleme zu entwickeln.

Ausgehend von der Wahrnehmung eigener Anspannungsmu­ster gewissermaßen an der körperlichen Oberfläche bis hin zurdifferenzierteren Untersuchung von Kindheitserfahrungen er­kennt sie nach und nach eine Reihe von persönlichen Kon­strukten, die ihre persönliche Art der Feldwahrnehmung cha­rakterisieren. Die Einsicht in Mikromuster des Verhaltens undWahrnehmens führt schließlich zur Einsicht in ein übergreifen­des Persönliches Paradigmensystem. Sie untersucht die Vorteileund Nachteile, die ihr Wahrnehmungssystem bietet. Allmählicherkennt sie, daß sie ihr altes Persönliches Paradigma umstoßenmuß. In der nachfolgenden Abbildung beschreibt Astrid ihrenWeg in der Fortbildung.

"Ich erkennemehrereWege für mich"

Die Konfrontation mit den abgespaltenen persönlichen Musternführt sie in die Krise. Ihr gesamtes Wertesystem gerät laut eige­ner Aussage "ins Rutschen". Die Krise, die sie durchläuft, hat sieals abwärtslaufende schwarzgezackte Linie gezeichnet, die dannaber einen Wendepunkt noch oben findet und schließlich dievorgegebenen Begrenzungen des Kreises durchbricht. Diese aus­brechende Linie hat sie in einem flammenden Gelb koloriert, dasdie neu gewonnene Energie symbolisieren soll. Auf meine Frage,was der Kern dieser neuen Freiheit ist, sagt sie: "Ja! Keine Ant­wort haben zu müssen!" (a.a.O.)

Während Astrid zu Beginn der Fortbildung den Kern ihres Per­sönlichen Paradigmas mit den Worten: "Ich wußte immer, wo eslang geht, mein Weg war klar", beschrieben hat, lautet nun ihrneuer leitmotivischer Satz, der ihr Wahrnehmen und Handelnleitet: "Ich erkenne mehrere Wege für mich. Jf Dieses veränderteParadigma wirktsich auch auf veränderte private und beruflicheHaltungen aus und wird von ihr als Befreiung erlebt: "Ja. Ichdenke, deshalb noch mal dieser Satz: Ich erkenne mehrere Wegefür mich. Das habe ich wirklich als eine Befreiung erlebt. Jf

Durch den offenen Raum die innere Berufung entdecken

So extrem die Persönlichen Paradigmen WillyLomansund Astridsuns auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, so zeichnet esdoch uns alle aus, daß wir in mehr oder minder starkem Ausmaßvon Leitmotiven beeinflußt werden, die meist weitgehend unbe­wußt unser Handeln leiten und begrenzen. Loman hatte nichtdie Chance, mit Hilfe einer therapeutischen Unterstützung aus

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der Falle seiner selbstschädigenden Lebensraumkonstruktionenzu entweichen, während es Astrid gelang, sich zu befreien. In­sofern zeigen meine beiden Fallbeispiele typische Momente auf,die wir beachten müssen, wenn wir Kreative Felder schaffen wol­len. Wir müssen uns klarmachen, daß unsere möglichen Syner­giepartner komplizierte biographische Hintergründe mitbringen,die der Zusammenarbeit und dem freien Gestalten Grenzen set­zen können. Nur selten werden therapeutische Interventionennotwendig sein. Kreatives Handeln setzt aber voraus, daß wirunser Ego finden, indern wir uns von äußerlichen Normierungenbefreien. Indern Astrid Schritt für Schritt die Muster der Fremd­bestimmung erkennt, die aus ihrem Herkunftsfeld stammen,kann sie sich von Verhaltensroutinen befreien und sich auf denWeg machen, ihre innere Berufung zu entdecken.

Das Aufgeben des alten Paradigmas führt Astrid zunächst ineinen offenen, nicht reglementierten Raum, eine Art "Openspace". Wenn wir unser kreatives Potential erschließen wollen,dann müssen wir den Mut haben, .Leerräume" zu ertragen .WiUy Loman hatte nicht die Kraft, sich mit sich selbst zu kon­frontieren und den Abgrund zu ertragen, der sich damit in ihmaufgetan hätte. Kreativität entsteht im Sinne von Brodbeck erstaus der Entscheidung zur Kreativität. Diese Entscheidung ent­steht nicht durch Verleugnen der eigenen Schwächen, sonderndurch Akzeptieren. Das Ego kann erstsein Team finden, wenn eszu sich selbst steht.

Transfer:> Gibt es leitmotivische Sätze, die im Sinne einesPersönlichen Paradigmas Ihr Wahrnehmen, Denken undHandeln beeinflussen? Schreiben Sie diese Sätze (z.B.FamiLiensprüche, wie "Aus dir wird sowieso nichts", "Erist unser Schlaumeier" usw.) auf und beachten Sie, wel­che Wirkung diese haben.> Versuchen Sie, Ihr Persönliches Paradigma zu be­schreiben, also das System von Sätzen, EinsteLLungen,Empfindungen, das Ihr Lebensgefühl prägt. BeschreibenSie Ihr LebensgefühL.

> Inwiefern ist Ihr Paradigma hilfreich oder hinderlichbei der Erschließung Ihres kreativen Potentials oder derErweiterung Ihres Möglichkeitsraums?> Experimentieren Sie mit neuen leitmotivischenSätzen, die Sie Ihrem Wahrnehmen, Denken undHandeln voranstellen möchten. Achten Sie darauf, wiesich Ihr Gefühl und Ihre Feldwahrnehmung ändern.

Ein anregendes, stimulierendes Umfeld schaffen

Mit meinem Exkurs zu Wirkungen Persönlicher Paradigmen habeich ein Schlaglicht auf mögliche Grenzen des persönlichen Wan­dels geworfen und es könnte der falsche Eindruck entstehen,daß jeder, der Mitglied eines schöpferischen Teams werdenmöchte, sich erst einmal einer aufwendigen Therapie unterzie­hen muß. In der individualisierten Risikogesellschaft versuchenin der Tat immer mehr Individuen ihre Wahrnehmungsbegren­zungen mit Hilfe von Therapien zu überwinden. Meine Untersu­chung zeigt aber auch den begrenzten Erfolg dieser Versuche:Wenn sich im Umfeld nichts ändert, dann fallen auch Teilneh­mer langjähriger Therapien schnell in ihre alten Verhaltensmu­ster zurück. In Fällen extremer persönlicher Belastung kanneine Therapie notwendig sein. In allen anderen Fällen scheint esmir aber erfolgversprechender zu sein, die Begrenzungen desEgos als Chance zu nutzen, indern ich mir ein ergänzendes Teamsuche, das mir vermittels unterschiedlicher Egosden Weg zur Er­weiterung meines Persönlichen Paradigmas verhilft. Es erscheintwenig erfolgversprechend, die problematischen Folgen derIndivi­dualisierung vor allem mit Hilfe individualisierender Verfahrenbearbeiten zu wollen. Der Königsweg bestehtin der Schaffung vonstimulierenden Umfeldern bis hin zur Verbindung der unter­schiedlichen Egos zu schöpferischen Gemeinschaften.

Kreativität scheint sich in der Tat durch eine Reihe von er­staunlich simplen und einleuchtenden Maßnahmen fördern zulassen, über die wir uns tagtäglich informieren können. DieÜberwindung von negativen Glaubenssystemen ist dagegen eine

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schwierige Aufgabe, der wir uns lebenslang stellen müssen.Schnellere Erfolge werden wir erzielen, wenn wir uns mit derFrage auseinandersetzen, wie wir unseren Arbeitsplatz in eineanregende und stimulierende Umgebung verwandeln können, sodaß vermeidbare Belastungen erst gar nicht auftreten. KreativeMenschen verfügen fast ausnahmslos über die Fähigkeit, Umge­bungen so zu gestalten, daß sie sich wohl fühlen. Dabeihandeltes sich keinesfalls um eine Frage teurer materieller Ausstattung;einfache, persönlich bedeutsame Gegenstände wie Talismane,Familienbilder, eine Lieblingstasse usw. können ein stabilisie­rendes Gefühl der Vertrautheit vermitteln. Wichtig ist, daß Siesich eine Wohlfühlatmosphäre schaffen (vgl. Csikszentmihalyi1997, S.185 f.).

Wenn Sie nun daran gehen, Ihren Arbeitsplatz angenehmer zugestalten, sollten Sie sich auf Maßnahmen beschränken, dieIhnen wirklich zu einer förderlichen Arbeitsatmosphäre verhel­fen. Vermeiden Sie es, Wunschträumen nachzuhängen. Sie wis­sen ja: Wen die Götter hassen, den erhören sie auch. Ich selbstwar jahrelang von der naiven Vorstellung beseelt, eine Terrassemit Seeblick auf einer griechischen Insel müßte sich als Arbeits­umgebung doch wunderbar auf meine Kreativität auswirken. Alsich mir diesen Wunschtraum erfüllt hatte, trat das genaue Ge­genteil ein: DieHitze machte mich fertig, ich fühlte mich unru­hig, sozial isoliert, und am Ende hatte ich nichts Nennenswer­tes geleistet. Da Sie ja bereits mit den Grundzügen meinerTheorie Kreativer Felder vertraut sind, wird sie der enttäu­schende Ausgang des Unternehmens kaum überrascht haben.

Zum einen ist es wichtig, daß ich mir meinen Raum selbst ge­stalte. Nur dann kann sich dieser ästhetisch und atmosphärischpositiv auf mein Befinden auswirken. Csikszentmihalyi, der inseiner Untersuchung der Frage nach dem geeigneten Ort derKreativität nachgegangen ist, hob diesen Aspekt besonders her­vor: "Seit undenklichen Zeiten haben Künstler, Dichter, Gelehr­te und Wissenschaftler auch die Schönheit der Natur gesucht,weil sie sich Inspiration von majestätischen Gipfeln oder don­nernder Brandung erhofften. Aber was kreative Individuenletztlich von anderen Menschen unterscheidet, ist die Fähigkeit,

ihrer Umgebung, sei sie nun luxuriös oder ärmlich, eine ganzpersönliche Note zu geben, die dem Rhythmus ihrer Gedankenund Gewohnheiten entspricht:' (Csikszentmihalyi, 1997, S. 185)

Zudemgehören zu einer angenehmen Umgebung Synergiepart­ner, die mich sozial stabilisieren und mir inhaltliche Anregun­gen geben können. Für mich als Mitglied einer solchen Syner­giepartnerschaft stellt bereits die Gemeinschaft eine förderlicheUmgebung dar. Die reale räumliche Umgebung scheint demge­genüber häufig zweitrangig. Auch Warren Bennis kommt in sei­ner Untersuchung über Erfolgsteams zu dem Schluß, daß dieäußerliche Umgebung sekundär ist. Entscheidend ist der Team­geist, der "Spirit", der Glaube an die gemeinsame Mission.

Wir erinnern uns: Die Comedian Harmonists probten im ärmli­chen DachzimmerFrommermanns, das sie euphemistisch als das,Atelier' bezeichneten. Die Beatles übten anfänglich mit ihrenprimitiven Instrumenten in feuchten, dunklen KeUerlöchern.Steve Jobs und Stephen Wozniakentwickelten den ersten Apple­PC in einer Garage. Kreative Gemeinschaften, die sich einer Ideeverschrieben haben, scheinen gegenüber einer unwirtlichen Um­gebung viel unempfindlicher zu sein als der einzelne.

Aber die verschiedenen Mitglieder einer Synergiegemeinschaftsind nicht beliebig austauschbar. Als die Schriftsteller BertoltBrecht und Lion Feuchtwanger emigrieren mußten, konnten siesich ihre Kreativität nur bewahren, indem sie wichtige Men­schen aus ihrem persönlichen Umfeld dazu bewogen, ihnen anden neuen Ort zu folgen. Den Comedian Harmonists gelang esdagegen nicht, ihre Synergiepartnerschaft aufrechtzuerhalten.Als sich Biberti, Bootz und Leschnikoff von den drei jüdischenMitgliedern aufgrund der Rassengesetze trennten, gründetenbeide Restgemeinschaften eigene Nachfolgeensembles. Aberdiese konnten nicht mehr an die kreativen Spitzenleistungender Anfangszeit anknüpfen. Ein funktionierendes Kreatives Feldzeichnet sich durch eine unverwechselbare Mischung der Egos imTeam aus, die nur selten austauschbar sind. Insofern ist Team­Kreativität nicht unpersönlich: Den "Produkten" sieht man diepersönliche und unverwechselbare "Handschrift" ihrer Mit·glieder an.

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Die optimale Arbeitsumgebung schaffen

Csikszentmihalyi kommt zu der Einsicht, daß es für manchePersonen wichtig sein kann, das Land oder die Landschaft zuwechseln. Wenn man bedenkt, daß die Arbeit einen großen Teildes Lebens ausmacht, dann sollten Arbeitgeber und Arbeitneh­mer der Frage nach dem geeigneten Ort und der stimulierendenGestaltung einen größeren Stellenwert beimessen. Für die mei­sten, besonders diejenigen, die in festen Arbeitsverhältnissenstehen, sind grundlegende Veränderungen schwierig. Nur seltenmüssen sie allerdings dramatisch sein. Oft helfen schon ein­fachste Maßnahmen: den Schreibtisch verrücken, ein schönesBild aufhängen, Pflanzen arrangieren, einige persönliche Ge­genstände aufstellen, sich alle zwei Tage mit einem unterstüt­zenden Kollegen treffen, einen kollegialen Gesprächskreis orga­nisieren, seinen eigenen Rhythmus finden und anderes mehr.Durch diese einfachen Maßnahmen entsteht nicht gleich einKreatives Feld. Doch sie können die Stimmung am Arbeitsplatzganz erheblich verbessern. Einen Schritt weiter kommt man,indem man das Wissen der Mitarbeiter nutzt.

Veranstaltet man mit Mitarbeitern einer Institution oder Firmaeine Zukunjtswerkstatt und schickt sie auf eine Phantasiereisein die Zukunft, in der sie sich den optimalen Arbeitsplatz vor­stellen sollen, erhält man durchweg vernünftige Vorschläge. Ineiner Vielzahl von Werkstätten konnten wir feststellen, daßSchüler, Lehrer und Eltern ganz andere Schulen gestalteten, alssie sich Experten wie Architekten und Planer ausdenken. Mei­stens wünschen sich die Beteiligten ein rundes Gebäude miteinem offenen Versammlungsort in der Mitte, um den herumsich Rückzugszonen gruppieren. Sie entwerfen vielfältig gestal­tete Räume für die Arbeit in einzelnen Disziplinen, aber auchoffene Kreativitäts- und Ruheräume. Es gibt keine Ecken undKanten. Das Gebäude ist in der Regellichtdurchflutet und paßtsich harmonisch in die umgebende Natur ein. Es gibt einladen­de Treffpunkte, Cafes mit üppigen Pflanzen und Räume, die zukörperlichen Betätigungen einladen. In keiner einzigen unsererWerkstätten wurden vollklimatisierte, rechtwinkelige, mehr-

stöckige Kästen konstruiert, wie sie die Architekten noch immerzu bevorzugen scheinen. Mit anderen Worten: Wenn Sie begin­nen, über die Gestaltung Ihres Arbeitsplatzes nachzudenken,dann erschließen Sie ein mächtiges Potential ungenutzten Wis­sens über die Bedingungen für optimales Arbeiten und Lernen.So utopisch es für manche auch klingen mag, eine solche Zu­kunftswerkstatt kann selbst unter ungünstigen BedingungenAnstoß für einen grundlegenden Wandelsein. So haben Schülereiner Wittenberger Schule, die in einem grauen Plattenbau un­tergebracht waren, ihren Phantasien freien Lauf gelassen. Siesind zu Gestaltungen gekommen, wie wir sie vom Wiener Archi­tekten Friedensreich Hundertwasser kennen. Auf einen BriefderSchüler hin und als Konsequenz erfolgreicher Öffentlichkeitsar­beit wurde vereinbart, die Schule mit Unterstützung Hundert­wassers nach den Vorstellungen der Schüler umzugestalten.

Vielleicht gibt es ein archetypisch verankertes Wissenüber op­timal gestaltete Lern- und Arbeitsumgebungen. DieErfahrungenaus einer Vielzahl solcher Werkstätten berechtigt mich jeden­falls zu der Vermutung. Obwohl fast jeder die Unzulänglichkei­ten seines Arbeitsplatzes beklagt, interessiert sich kaum jemandfür dieses ungenutzte Wissen. Der Arbeitsplatz kann zu einemKreativen Feld werden (vgl. Burow1998), wenn man dieses Wis­sen von Zeit zu Zeit abfragt und in die gemeinsame Gestaltungeinfließen läßt. Ihr Arbeitgeber täte im eigenen Interesse gutdaran, dieses Wissen zu erschließen und zu fördern, denn derZusammenhang zwischen ansprechender Arbeitsumgebung undProduktivität ist empirisch belegt. In Firmen, die die Arbeits­umgebung nach neuesten Gesichtspunkten unter Mitwirkungder Mitarbeiter qestalten, verbessert sich die Arbeitsatmosphä­re und sinken die Krankenstände drastisch.

Die für viele kaum realisierbare radikale Strategie eines Orts­wechsels kann auch Symptom für ein Vermeidungsverhaltensein. Indem ich hoffe, im Dort-und-Dann werde alles besser, ver­meideich es, die notwendigen Veränderungen im Hier-und-Jetztanzugehen. In der Hoffnung, daß ein anderer Ort einen grund­legenden Wandel bringen möge, vergessen viele, daß sie sich mitihrer fixierten Persönlichkeitsstruktur mitnehmen. Wie wir den

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jeweiligen Ort sehen, hängt - wie ich mit Lewin gezeigt habe ­nicht nur von seiner objektiven Struktur ab, sondern von unse­ren persönlich akzentuierten Wahrnehmungs- und Bewertungs­mustern. Für die Comedian Harmonists und die Beatles war derOrt sekundär.

Deshalb sollte man sich vergegenwärtigen, daß Kreative oftauch in sehr einfachen und wenig ansprechenden Umgebungenarbeiten konnten. Dies dürfte an ihrer Fähigkeit liegen, ungün­stige Rahmenbedingungen als Anreiz zu nutzen. Esgilt das Leit­motiv: Es gibt keine völlig ungeeigneten Umgebungen. Vielmehrkommt es draufan, was man daraus macht.

Andererseits sollten Sie sich fragen: Für welches meiner Zieleist welche Umgebung besonders günstig? In manchen Domänenkann die Wahl des Ortes von Bedeutung sein. Nicht von unge­fähr war Paris um die Jahrhundertwende ein Ort, an dem vielekreative Spitzenleistungen vollbracht wurden. DieAnsammlungvon Intellektuellen, Künstlern, die vielfältigen Anregungen ausKunst, Kultur und Politik auf vergleichsweise engem Raumließen Kreative Felder entstehen. Interessante, suchende Per­sönlichkeiten aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen undkulturellen Kontexten trafen hier aufeinander und regten ein­ander an. Im Zeitalter der digitalen Kommunikationsrevolutionwird die Bedeutung solcher Zentren vielleicht andere Formenannehmen, etwa indem man seine Synergiepartner ortsunab­hängig im Internet (vgl. Levy 1996) finden kann. Andererseitszeigt sich zunehmend, daß direkter zwischenmenschlicher Kon­takt kaum ersetzbar ist, und so entstehen neue Zentren der Be­gegnung.

Transfer:> Wie fühlen Sie sich an Ihrem Arbeitsplatz? Was fehltIhnen?> Wie ist er gestaltet? Was könnten Sie tun, um sicheine anregende Atmosphäre zu schaffen?> Wie sähe der optimale Ort für Sie aus? Was könnenSie tun, um an ihn zu gelangen oder sich ihn zuschaffen?

Die Fähigkeit zum Staunen bewahren

Wie wir gesehen haben, verfügen kreative Persönlichkeitenauch im hohen Alter noch über einen Zugang zu ihrer eigenenKindlichkeit. Die Neugier und das Staunen werden den meistenvon uns schon früh in der Schule abgewöhnt, in der wir aUzuoftlernen, daß die Welt keine Geheimnisse mehr enthält, sondernin Lehrbüchern und Aufgaben abgehandelt werden kann, derenLösungen im Lösungsheft nachzulesen ist.

Eine ganz andere Haltung vermittelte mir der Mitbegründerdes Konstruktivismus, Heinz v. Foerster. Anläßlich eines Vortra­ges in der Berliner Akademie der Wissenschaften (1997) berich­tete dieser Wissenschaftler eine Episode aus seiner Studenten­zeit, die uns eine weitere Perspektive zu den Wurzeln derKreativität öffnet.

1942 hatte er sich in eine Veranstaltung der führenden Physi­ker geschmuggelt und erlebt, wie Max von der Laue ein relativsimples physikalisches Experiment vorführte und erläuterte.Heinz v. Foerster war überrascht, daß sich ein berühmter Physi­ker mit etwas so Unbedeutendem befaßte. Noch überraschterwar er, als er beobachtete, daß Max Planck den Ausführungenvon der Laues mit größtem Interesse folgte. Das war, wie ersagte, ein Schlüsselerlebnis. Eben noch ein wissendes Überle­genheitsgefühl auskostend, verspürte er plötzlich einen er­schreckenden Abgrund an Nichtwissen bei sich. Eine bleibendeErkenntnis durchzuckte ihn: Wenn dieser bedeutende PhysikerMax Planck auch nach Jahren des Forschens einem vergleichs­weise einfachen Vorgang mit größtem Interesse, größter Neu­gier, ja mit fasziniertem Staunen folgen konnte, dann mußte erdie Fähigkeit haben, in scheinbar Bekanntem Neues zu ent­decken. Heinz v. Foerster wurde intuitiv auf das Phänomen des"kindlichen Staunens" aufmerksam, das als Anzeichen besonde­rer Begabung gedeutet wird. Die Fähigkeit zum Staunen und dieständige Bereitschaft, in Bekanntem Neues zu entdecken, hat ersich seit dieser Zeit bewahren können. Sie macht seiner Meinungnach den großen Wissenschaftler aus. Aus seiner Sicht ist es dieTragödie heutiger Bildungseinrichtungen, daß sie vielen das

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Staunen austreiben, weswegen er die Schule als eine gigantische"Trivialisierungsmaschine" bezeichnet.

Diese auf den ersten Blick überraschende Bezeichnung erläu­terte er in seinem faszinierenden Vortrag .Letholoqie" (1993):"Eine ,Maschine' ist in diesem Zusammenhang eine Anordnungvon Regeln, durch die gewisse Tatbestände in andere transfor­miert werden. Für unser Thema reicht es aus, zwei Arten dieserMaschinen zu unterscheiden: eine, die im allgemeinen als ,tri­viale Maschine' firmiert, arbeitet nach einer festgesetztenRegel, die getreulich gewisse Tatbestände in andere überführt."Eine triviale Maschine ist demnach eine Maschine, in die manetwas Bekanntes hineingibt und aus der etwas Bekanntes her­auskommt. "Die andere, ,nicht-triviale Maschine' hat jedoch Re­geln, die die soeben beschriebenen, tatbestandsändernden Re­geln selbst wieder ändern: eine Maschine in einer Maschine,sozusagen eine ,Maschine zweiter Ordnung'." (1993, S. 135 f.)Ein Problem besteht nun darin, daß sich ihr innerer Zustandeiner genaueren Beschreibung entzieht.

DiePointe seiner Ausführung besteht nun darin, daß nicht-tri­viale Maschinen aufgrund der Vielzahl von Möglichkeiten derZustandsveränderung in ihrem Verhalten nicht eindeutig vor­hersagbar sind. Sie folgen Kellys (1997) neuntem Gesetz der Bio­Logik: Verändere Veränderungen! Lebende Systeme, auch wennsie sich aus einfachen Bestandteilen zusammensetzen, habeneine Tendenz, in unvorhersehbarer Weise immer wieder neuKomplexität zu erzeugen. Sie verändern sich unablässig. Anamüsanten Beispielen zeigt nun v. Foerster, daß Schule undTeile der westlichen Wissenschaft bestrebt sind, die kränkendeEinsicht dieser prinzipiellen Nichtvorhersagbarkeit zu verdrän­gen. Mit Hilfe der Bildung von Begriffen für das prinzipiell Un­erklärliche trivialisieren sie die Wunder des Lebens: Wenn einKind den Vater fragt, wie die Erde und das Leben entstandenseien, dann könnte der Vater antworten: Ja, da war Gott, undder schuf Adam und Eva usw. Fragte das Kind einen Wissen­schaftler, dann würde der vielleicht sagen: Ja, das war ganz ein­fach. Da gab es den Urknall, und dann begann die Evolution ...

Erklärungen dieser Art ist gemeinsam, daß sie das Staunen aus

der Welt vertreiben, indem sie etwas prinzipiell Unerklärlicheserklärbar zu machen suchen. Darunter versteht v. Foerster Be­griffe wie "Instinkt", "Triebe" oder "Geist". Sie sind seiner Auf­fassung zufolge wenig mehr als Notbehelfe der Forschung, wel­che immer dann produziert würden, wenn man nicht genauwisse, was vor sich gehe. Diese "Erklärungsprinzipien" erklärennichts, verkommen vielfach zu leeren Begriffsschablonen,haben aber den angenehmen und beruhigenden Vorzug, die ei­gene Unkenntnis über den Gegenstand zu verschleiern. DieFolge ist eine Trivialisierung der Welt, die nichts mehr Uner­klärliches bereitzuhalten scheint.

Besonders verheerend ist laut v. Foerster nun, daß diese Tri­vialisierung in der Schule bei der "Formung" junger Menscheneine wesentliche Rolle spielt. Die Schule wird zur trivialen Ma­schine, die nicht nur die Erklärung der Welt, sondern auch un­sere Kinder trivialisiert. "Da unser Erziehungssystem daraufhinangelegt ist, berechenbare Staatsbürger zu erzeugen, bestehtsein Zweck darin, alle jenen ärgerlichen inneren Zustände aus­zuschalten, die Unberechenbarkeit und Kreativität ermögli­chen. Dies zeigt sich am deutlichsten in unserer Methode desPriifens, die nur Fragen zuläßt, auf die die Antworten bereitsbekannt (oder definiert) sind, und die folglich vom Schüler aus­wendig gelernt werden müssen. Ich möchte diese Fragen als,illegitime Fragen' bezeichnen. Wäre es dagegen nicht faszinie­rend, sich ein Erziehungssystem vorzustellen, das die zu Erzie­henden ent-trivialisiert, indem sie es lehrt, ,legitime Fragen' zustellen, d.h. Fragen, deren Antworten noch unbekannt sind?"(1993, S. 170 f.)

Nun sind wir aber fast alle durch ein System gegangen, das unsauf die Beantwortung illegitimer Fragen trainiert, und entspre­chend groß sind unsere Schwierigkeiten, kreativ zu sein. In un­serer auf Kontrolle und Beherrschung abzielenden Kultur habenwir es einfach nicht gelernt, die Konfrontation mit offenen Fra­gen zu ertragen. Eine Betrachtung aus psychologischer Perspek­tive würde wahrscheinlich zutage fördern, daß dieses Verhaltender Vermeidung von Unsicherheit und vielleicht sogar derAngstabwehr dient. Kreative Persönlichkeiten zeichnet es dem-

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gegenüber aus, daß sie nicht vor dem offenen Raum zurück­schrecken, der sich bei intensivem Nachdenken und Nachfragenauftun mag. Interdisziplinären Teams gelingt es leichter, sichoffenen Fragen zu stellen.

Ganz in diesem Sinne vermutet Csikszentmihalyi, daß das Ver­meiden vorschneller Antworten zugunsten eines Offenhaltens dereigenen Neugier und der Fähigkeit zum kindlichen Staunen ein"Königsweg" zur Förderung der persönlichen Kreativität sei.Seine Interviews zeigen, daß die meisten Kreativen den tri­vialisierenden Charakter vieler Bildungsanstalten schon früherkannten und vor allem die Schule als eine langweilige undanti-kreative Einrichtung empfanden. Um unsere persönliche,kindliche Kreativität zurückzugewinnen, müssen wir, so seineSchlußfolgerung, den Alltag wieder der staunenden Betrachtungöffnen. Viele Ratschläge scheinen auf den ersten Blick einfach,manches läßt sich im Alltag nur schwer realisieren, etwa, wenner empfiehlt, selbst alltägliche Tätigkeiten, wie etwa das Zäh­neputzen, affektiv aufzuladen und zu einer spannenden undanregenden Tätigkeit zu machen.

Auch wenn uns ein pedantisches Befolgen derartiger Ratschlägenur wenig weiterbringt, sollten wir nicht vorschnell spotten, son­dern den Kerngedanken, auf dem diese Ratschläge letztlich beru­hen, im Auge behalten. Aus persönlicher Erfahrung und eigenenUntersuchungen weiß ich, daß wirksame Veränderungen des ei­genen Verhaltens und der Wahrnehmung oft mit unscheinbarenund auf den ersten Blick albern wirkenden Schritten beginnenkönnen. Indern man beginnt, seine Wahrnehmungs- und Bewer­tungsrichtung in kleinen Schritten zu verändern, kann man - wiewir aus Lewins Lebensraumkonzept ersehen konnten - allmählicheine neue Sicht entwickeln, die sich für die Entdeckung der krea­tiven Möglichkeiten der Alltagswirklichkeit öffnet.

Transfer:> Wann haben Sie das letzte Mal gestaunt? Wie steht esmit Ihrer kindlichen Neugier?> Wie können Sie das Staunen in Ihren ALLtag zurück­holen?

> Versuchen Sie mindestens einmalam Tag etwas Stau­nenswertes in Ihrem Alltag zu entdecken.

Die KuLtivierung von "FLow im Alltag"

Als "Glücksforscher" hat Csikszentmihalyi in seinen früherenBüchern untersucht, wie es Menschen gelingt, Erlebnisse und Si­tuationen herbeizuführen, die sie besonders erfüllen. SolcheGipfelerlebnisse hat er mit dem Begriff "Flow" bezeichnet. ImPrinzip war das ein geschicktes Marketing für ein bekanntesPhänomen: Schon Maria Montessori hatte ja zur Jahrhundert­wende anhand der genauen Beobachtung des kindlichen Spielsherausgefunden, daß es beim Spielen und Lernen das Phänomendes völlig selbstvergessenen Aufgehens im Gegenstand derTätigkeit gibt. Der Pädagoge Copeisprach vom "fruchtbaren Mo­ment". Der Motivationspsychologe Heckhausen hatte ein solchesLernen "intrinsisches" Lernen genannt, und in der Gestalt­pädagogik wird vom "Kontaktvollzug" gesprochen, einem Zu­stand, in dem die Grenze zwischen Individuum und dem Gegen­stand der Beschäftigung aufgehoben ist. Man ist beim Höreneines Musikstücks "ganz Ohr" oder beim Betrachten eines Bildes"ganz versunken". Nichts stört einen bei diesem selbstvergesse­nen Kontakt, der Lernprozesse größter Intensität begleitenkann.

Csikszentmihalyis besondere Leistung besteht nicht in der Ent­deckung dieses Phänomens, sondern in der Beschreibung we­sentlicher Elemente, die ein Lernen im Flow auszeichnen. Eshandelt sich dabei um folgende Punkte:

Charakteristika von Lernen im Flow• Jede Phase des Prozesses ist durch klare Ziele gekennzeich-

net.• Man erhält unmittelbares Feedback für das eigene Handeln.• Aufgaben und Fähigkeiten befinden sich im Gleichgewicht.• Handeln und Bewußtheit bilden eine Einheit.• Ablenkungen werden vom Bewußtsein ausgeschlossen.

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• Man hat keine Versagensängste.• Selbstvergessenheit.• Das Zeitgefühl wird aufgehoben.• Die Aktivität wird autotelisch.

nach Csikszentmihalyi (1997, S. 163-166)

Diese Charakteristika hat er anhand der Befragung zahlreicherPersonen überprüft. Er gelangt zu der für unseren Zusammen­hang wichtigen Erkenntnis, daß Flow bei fast jeder Tätigkeitauftreten kann. DieFlow-Erfahrungist kein Phänomen, das nurbesonders begabten Menschen zukommt, sondern sie kann vonjedem erlebt werden, der eine Tätigkeit ausübt, die ihn tief be­friedigt. Selbst der Straßenkehrer kann beim Kehren der StraßeFlow-Erlebnisse haben.

Csikszentmihalyi vermutet, daß Flow-Erlebnisse im Dienste derEvolution stehen, indem sie uns nämlich antreiben, nach be­friedigenden Tätigkeiten zu suchen. Diese Suche hilft uns, ausAUtagsroutinen auszubrechen und nach neuen Wegen zu su­chen. Flow-Erfahrungen scheinen ein mächtiger Antrieb fürunser Streben nach Entfaltung unserer Kreativität zu sein.

Hier drängt sich eine schwierige Frage auf: Wenn Flow einGrundbedürfnis ist, das durch positive Gefühle belohnt wird,warum leiden dann so viele Menschen unter unbefriedigendenTätigkeiten? Ein mögliches Erklärungsmuster, das ich den Über­legungen des Soziologen Norbert Elias (1976) in seinem Haupt­werk "Der Prozeß der Zivilisation" entnehme, ist die These, daßder allmähliche Prozeß der Zivilisierung mit der Ausbildungeiner "Selbstzwangsapparatur" einhergeht. Um ein funktionie­rendes menschliches Gemeinwesen zu erschaffen, sind wir dem­nach in immer mehr Bereichen gezwungen, unsere Triebe undBedürfnisse einer rigiden Kontrolle zu unterwerfen, die zurAusbildung eines differenzierten Systems von .selbstswänsen"führt. Wenn diese Selbstzwänge überhand nehmen und uns be­herrschen, dann entfremden wir uns von unseren inneren Be­dürfnissen. Flowfindet nur noch selten statt, und wir empfin­den unser Leben als unbefriedigend.

Csikszentmihalyis (1997, S. 496 ff.) Ratschläge zielen deshalb

darauf ab, Bedingungen zu schaffen, die Flowermöglichen. Seinzentraler Ansatzpunkt besteht dabei - ganz im Sinne von Brod­becks These der "Entscheidung zur Kreativität" - in einer Ver­änderung der Feldwahrnehmung. Umkonstruktion und Erweite­rung der eigenen Wahrnehmung sollen helfen, die Chancen zunutzen, die in einer aktiven Gestaltung des eigenen Umfeldesliegen. Seine Ratschläge klingen zunächst einleuchtend, dochauf den zweiten Blick zu einfach.

• Beginnen Sie jeden Morgenmit einem konkreten Ziel, auf dasSie sich freuen können.

• Alles, was Sie gut tun, bereitet Freude.• Um die Freude an einer Aktivität zu bewahren, müssen Sie

die Komplexität erhöhen.• Bestimmen Sie selbst über Ihre Zeiteinteilung.• Nehmen Sie sich Zeit für Reflexion und Entspannung.• Finden Sie heraus, was Sie am Leben lieben und was Sie has­

sen.

Die meisten von uns werden das Problem haben, daß sie nichtwissen, wie sie diese einfachen Ratschläge im einzelnen umset­zen können. Vielleicht sind wir zu sehr in Routinen verfangen,vielleicht leben wir in ungünstigen Feldern, vielleicht sind wirauf vielfältige Weise so blockiert, daß wir nicht aus eigenerKraft den Weg zur Veränderung finden können. Andererseits be­ginnt persönliche Veränderung oft mit simplen Schritten. Essind die kleinen Schritte, die schwierig anzugehen sind.

Transfer:> Wann, wo und bei welcher Tätigkeit haben Sie Flowerlebt? Welche Rahmenbedingungen brauchen Sie, umFlow zu erleben?> Was können Sie tun, um Ihren Alltag interessanterund anregenderzu gestalten?> Überprüfen Sie einige Ihrer Tätigkeiten nach den obenaufgeführten Flow-Kriterien und überlegen Sie was Sietun können, um diese stärker zu berücksichtigen.

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> Wie können Sie sich eine kreativitätsfördemdeUmgebung schaffen bzw. wo können Sie entsprechendeUmgebungen aufsuchen?

Grenzen des persönlichen Wandels

Was Csikszentmihalyi in seinem optimistischen, tiefe Befriedi­gung und Erfüllung versprechenden Flow-Konzept nicht erklärt,ist die entmutigende Tatsache, daß wir uns oftmals selbstschä­digend verhalten und vergleichsweise selten die lustvollen Flow­Erlebnisse suchen. Anstatt eine komplexe, Befriedigung ver­sprechende Tätigkeit auszuüben, zappen wir uns gelangweiltdurch öde Fernsehprogramme. Wie ist das möglich, wenn Flowdoch so viel mehr Befriedigung verspricht? Sollten in der Evolu­tion noch andere Kräfte wirken als die auf Höherentwicklungabzielenden Flow-Gratifikationen?

Csikszentmihalyis und Gardners Verdienste bestehen darin,durch ihre Untersuchungen gezeigt zu haben, daß KreativitätErgebnis einer komplexen Wechselwirkung vielfältiger Faktorenist, von denen die besondere Begabung nur ein Faktor und oft­mals nicht einmal der ausschlaggebende sein muß. So weit sogut. Die vergleichsweise simplen Appelle, die Csikszentmihalyizur Förderung der persönlichen Kreativität ausspricht, mögen ineinem gewissen Umfang hilfreich sein; sie werden aber proble­matisch, wenn sie - entgegen seinen eigenen komplexen Ein­sichten - fast ausschließlich an das Individuum gerichtet sind.Die Ratschläge suggerieren, der einzelne könne sich einfach ameigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen.

Unsere alltägliche Erfahrung zeigt uns, daß wir einfache Rat­schläge oft nicht befolgen, obwohl sie uns doch Hilfe verspre­chen. Meines Erachtens liegt dies zum Teil daran, daß die Vor­schläge den Charakter eines Paradoxons tragen und auf dieForderung hinauslaufen: "Sei spontan!" Wie Watzlawick (1974)gezeigt hat, ist es das Wesen solcher Vorschriften oder Rat­schläge, daß es unmöglich ist, sie zu befolgen. Niemand kannauf eine Aufforderung hin kreativ sein, auch nicht nach der Lek-

türe von Untersuchungen über Kreativität. Wir wissen, daßselbst expertengeleitete Persönlichkeits- und Kreativitätstrai­nings nur eine sehr begrenzte Wirkung haben. Sicher ist es einwichtiger Schritt, wenn man eigene Verhaltensmuster analysiertund sich mit Ratschlägen etwa in Form guter Vorsätze ausein­andersetzt. Aber wir wissen auch, daß uns Persönliche Paradig­men und unser sozio-kulturelles Umfeld daran hindern können,Ratschläge einfach umzusetzen. Auch wenn wir eine individuel­le Entscheidung zur Kreativität treffen, dann benötigen wireinen stützenden Rahmen.

Wenn wir aber wirklich Kreativität fördern wollen, dann müs­sen wir einen Schritt weiter gehen und unser Umfeld schrittwei­se so ändern, daß es zu einem Kreativen Feld wird. Flow wirddann entstehen, wenn das Feld, in dem ich lebe und arbeite, sostrukturiert ist, daß es Flow herausfordert. Wie wir wissen, istdie Mehrzahl unserer Institutionen und Organisationen nachPrinzipien konstruiert, die eher zur Demotivierung der Kreati­ven geeignet sind, weswegen es doch erheblich schwerer ist,sich entsprechende Bedingungen zu schaffen, als Csikszentmi­halyis Ratschläge es nahelegen.Allerdings müssen wir bei dem Versuch, unsere soziale Umwelt

umzugestalten, nicht bei Null anfangen. Schon seit langemhaben Psychologen und Pädagogen erkannt, daß die Gestaltungdes Umfeldes ein wirksames Instrument der Kreativitäts- undEntwicklungsförderung ist. Verschiedene pädagogische Ansätze,wie etwa die Montessori-Pädagogik oder die Freinet-Pädagogikversuchen genau das. Sie gehen von der empirisch belegtenThese aus, daß eine entsprechend vorbereitete, anregungsrei­che Umgebung Schüler dazu führt, Interesse an der Ausübungkomplexer Tätigkeiten und an eigenständigem Lernen zu ent­wickeln. Hierzu sind zahlreiche Gestaltungsvorschläge undUnterrichtskonzepte entwickelt worden, die die Selbstorgani­sationsfähigkeit des Individuums durch eine entsprechend ge­staltete Umgebung fördern. Die bereits erwähnten ForscherCummings & Oldhamhaben die Bedeutung einer kreativitätsför­dernden Arbeitsumgebung für den Bereich von Betrieben nach­gewiesen. Eine vielfältig gemischte Gruppe zu bilden, die sich

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innerhalb gewisser Grenzen selbst regulieren kann, ist wahr­scheinlich der beste Weg, um Flow-Erlebnisse und kreative Kon­kurrenz herauszufordern. Leider aber werden schon unsereJüngsten nach Alterskohorten sortiert und rücken nach demFließbandmodeU durch die Jahrgangsstufen des Bildungssy­stems auf. Auf diese Weise wird Vielfalt eliminiert. Unsere In­stitutionen und Organisationen verkommen oft zu anti-kreati­ven Feldern, weil sie sich von der Mitarbeiterauswahl bis hin zurArbeitsplatzgestaltung an engen Zielen orientieren und zuwenig Gestaltungsspielraum geben. AUzuoft erleben wir Fru­stration statt Flow.

"Das Erzeugen von Feldern

ist nicht nur die Aufgabe der Führungskräfte,

sondernebenso die einesjeden Mitarbeiters.

In einemvon Feldern erfülltenRaum

gibt es keineunwichtigen Mitspieler. "

Margaret J. Wheatley

"Wenn eineralleinträumt,

so ist das nur ein Traum.

Wenn vielegemeinsam träumen,

so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit."

Dom Helder Camara

In diesem Kapitel werden wir uns mit der Frage beschäftigen,auf welche Weise es möglich ist, Kreative Felder bewußt zu kon­struieren. Wir werden eine Definition Kreativer Felder kennen­lernen und Schlüsselkonzepte. Wir werden sehen, daß das Ent­stehen Kreativer Felder überraschende Parallelen mit demGeschehen auf einer Tanzfläche zeigt. Und schließlich werde ichals ersten Schritt hin zu einem persönlichen Kreativen FeldeineSynergieanalyse vorstellen. Wirwerden sehen, wie mit Hilfe die­ses Verfahrens aus Schwächen Stärken werden können.

Das Prinzip Ermutigung

"In jedemvon uns steckt sehr vielmehr,

als er selberweiß."

Robert Jungk

Die Idee des Kreativen Feldes ist untrennbar mit dem Futurolo­gen und Begründer der Zukunftswerkstatt Robert Jungk ver­bunden. In seiner Autobiographie "Trotzdem - Mein Leben fürdie Zukunft" (1993) zeigt er in seiner aufregenden Reise durchdieses Jahrhundert, wie es einem kreativen Menschen gelingenkann, selbst unter extremsten gesellschaftlichen Bedingungen

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am Ziel engagierter Zukunftsgestaltung festzuhalten. Im Jahr1991 führte ich mit ihm ein Interview. Auf meine Frage, wie erseinen Optimismus in den düsteren Zeiten der faschistischenDiktatur bewahren konnte, erzählte er von einem magischen Ge­genstand, der ihn sein Leben lang begleitete. Als Kind hatte erein Stehaufmännchen geschenkt bekommen. Sooft man es auchumzuwerfen sucht, steht es doch gleich wieder auf. Dieses ver­innerlichte Bilddes Stehaufmännchens sei zum Leitmotiv seinesLebens geworden und habe ihn davor bewahrt aufzugeben. Aufmeine Frage, ob es noch einen Traum gebe, der ihm in seiner ver­bleibenden Lebenszeit am Herzen liege, antwortete er ganz imSinne seines lebenslang vertretenen Prinzips "Ermutigung":"Meine größte Sehnsucht ist, daß die vielen unterdrückten, nieins Spiel gekommenen Kräfte der vielen Menschen, die an vielzu frühen Momenten abschalten, ausschalten, nur noch mitma­chen, mitlaufen, daß dieser enorme .schatz, der in MilliardenMenschen steckt, daß der gehoben wird. Ich glaube, daß dasmöglich ist." (Burow &Neumann-Schönwetter 1995, S. 104)

Ich gebe zu, daß ich - bei aller Skepsis - von diesem Optimis­mus angesteckt bin, der mich auch ermutigt hat, eine Vision zuentwerfen, wie man Kreative Felder bewußt einrichten kann.Dieser naiv anmutende Optimismus ist mir jedenfalls sympathi­scher als ein resigniertes Sich-Abfinden mit den sich zuspitzen­den Problemlagen. Unabhängig davon, ob diese ermutigendeHaltung einer wissenschaftlichen Überprüfung standhaltenmag, beschreibt sie doch eine Position, die das Leben selbstunter den Bedingungen der Risikogesellschaft lebenswert undsinnvoll machen kann. Doch Jungk ist nicht bei der Formulie­rung seiner Visionstehengeblieben, sondern hat als wacher Be­obachter sozialer Innovationen neue Formen kollektiver Kreati­vität untersucht. In seinen Büchern "Katalog der Hoffnung. 51Zukunftsmodelle" (1990) und "Delphin-Lösungen. Das Jahrbuch93 der kreativen Antworten" (1993) gibt er einen anregendenEinblick in Initiativen und Gruppen, die nach neuen Wegen ge­meinsamer Problemlösung suchen. Er liefert mit seinen Praxis­beispielen eine weitere Basis für meine Theorie Kreativer Felder,deren Kern ich jetzt definieren möchte.

Was ist ein Kreatives Feld?Eine Definition und ein Schlüsselkonzept

Im Prolog habe ich anhand der Gründungsgeschichte der Come­dian Harmonists ein Beispiel dafür gegeben, wie ein KreativesFeld entsteht. Wenn Sie sich noch einmal die kursiv gesetztenTextstellen des Prologs ansehen, dann werden Sie bemerken,daß die Comedian Harmonists intuitiv einige der Schlüsselkon­zepte realisiert haben, die ich nachfolgend als Mittel zur Bil­dung Kreativer Felderbeschreibe.

Um eine tragfähige Definition des Kreativen Feldes zu finden,müssen wir uns zunächst an Kapitel 3 erinnern, in dem ich ei­nige Überlegungen zum Zusammenhang von Kreativität undFeld skizziert habe. Wie wir sahen, zieht Lewin Parallelen zwi­schen den Konstruktionsprinzipien, die ein physikalisches Feldmit seinen Druck- und Zugkräften bestimmen und dem persön­lichen Feldbzw. .Lebensraum", in dem die Person ebenfalls Va­lenzen ausgesetzt ist. Weiter haben wir erstaunliche Parallelenzwischen den Feldbetrachtungen aus unterschiedlichen Wissen­schaftsdisziplinen erkannt. Aber wie muß nun ein Feldbeschaf­fen sein, das günstige Rahmenbedingungen für die Entfaltungunserer schöpferischen Potentiale bieten kann?

Das Kreative Feld zeichnet sich durch den Zusammenschluß vonPersönlichkeiten mit stark unterschiedlich ausgeprägten Fähig­keiten aus, die eine gemeinsam geteilte Vision verbindet: Zwei(oder mehr) unverwechselbare Egos, die sich trotz ihrer Verschie­denheit ihres gemeinsamen Grundes bewußt sind, versuchen ineinem wechselseitigen Lernprozeß ihr kreatives Potential gegen­seitig hervorzulocken, zu erweitern und zu entfalten.

Die wesentlichen Elemente des kreativen Schaffens, nämlichdie begabte Persönlichkeit, ein kreativer Schaffensprozeß unddas Produkt werden durch die Struktur des Feldesin besondererWeise organisiert. Kreative Felder sind durch eine dialogischeBeziehungsstruktur (Dialog), durch ein gemeinsames Interesse(Produktorientierung) , durch eine Vielfalt unterschiedlicher Fä­higkeitsprofile (Vielfalt und Personenzentrierung), durch eineKonzentration auf die Entfaltung der gemeinsamen Kreativität

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(Synergieprozeß), durch eine gleichberechtigte Teilhabe, ohneBevormundung durch "Experten" (Partizipation) sowie durchein kreativitätsfördemdes soziales und ökologisches Umfeld(Nachhaltigkeit) charakterisiert. Mit diesen Begriffen sind zen­trale Schlüsselkonzepte benannt, die zur Ausbildung eines Krea­tiven Feldes beitragen.

Schlüsselkonzepte zur Schaffung eines Kreativen Feldes

1. Dialog2. Vision und Produktorientierung3. Vielfalt4. Personenzentriemng5. Synergieprozeß6. Partizipation7. Nachhaltigkeit

CD Institut für Synergie und soziale Innovationen (ISI) 1998

DialogMartin Bubers (1962) Untersuchung mit dem Titel "Das dialogi­sche Prinzip" zeigt sehr anschaulich, wie sich das, was wir sind,also unsere einmalige, unverwechselbare Persönlichkeit sich erstim Dialog zwischen Ich und Du konturiert. Seine Untersuchungbestätigt mich in meiner Auffassung, daß das kreative Produktnicht aus den unergründlichen Tiefen eines isolierten Geistesentsteht, sondern immer auch Ergebnis einer Kette berührenderzwischenmenschlicher Begegnungen ist. Ähnlich argumentiertauch der Paartherapeut Jürg Willi (1996), der mit dem Begriffder Ko-Evolution den Aspekt der gemeinsamen Entwicklung her­vorhebt. Anhand von Beispielen aus seiner therapeutischenPraxis zeigt er, wie Paare ein gemeinsames Anregungsfeld bil­den, das über die Entfaltungsmöglichkeiten des (scheinbar) ein­zelnen entscheidet. Anhand von familiendynamischen Analysenvertritt er sogar die These, daß die familiären Beziehungsfelder,aus denen eine Person kommt, einen bestimmenden Einfluß dar­auf ausüben, welche Synergiepartner sie wählt. Die persönliche

Entfaltung ist so immer auch Ausdruck heutiger und frühererBeziehungsfelder, die auf mich einwirken, auch wenn ich mirdieser Kräfte nicht bewußt bin.

DerPhysiker DavidBohm (1998) stellte die These auf, daß un­sere Kreativität vor allem durch den Umstand behindert wird,daß wir zu wenig die Struktur unseres Denkens im Bezug auf an­dere beachten. Wir nehmen häufig eine bestimmte Position imFeld ein und identifizieren uns völlig mit ihr. Wenn ein Gegen­argument kommt, fassen wir das als persönlichen Angriff aufund nehmen eine Verteidigungs- oder Angriffshaltung ein.Jeder Erkenntnisfortschritt wird auf diese Weise wirkungsvollverhindert. Eine Lösung liegt Bohm zufolge im Bilden von Dia­loggemeinschaften: 20-40 Personen treffen sich zu einem sie in­teressierenden Thema und versuchen, aufmerksam der Strukturihres Denkens und ihrer Empfindungen zu folgen. Ziel ist es,einen Zustand des Schwebenlassens zu erreichen, in dem nie­mand vorschnell Position bezieht, sondern alle darauf achten,welche Wirkungen verschiedene Argumente auf die einzelnenhaben. Nach und nach entsteht so eine dialogische Haltung ab­seits aller Macht- und Verteidigungsspiele, und echter Erkennt­nisfortschritt wird möglich.

Der Dialog zielt auf einfühlendes Verstehen als gegenseitigesHervorlocken und Anregen und nicht auf Beherrschen und Zer­stören ab. Dialogfähigkeit erfordert im Sinne v. Foersters dieKultivierung der Fähigkeit, sich sowohl verunsichern als auchanregen zu lassen. Erst im Dialog sind wir fähig, den Reichtumwahrzunehmen, der uns umgibt und nur der Dialog gibt uns dieMöglichkeit, die nötigen Anregungspotentiale zu erschließen,um zu echter Kreativität durchdringen zu können.

Im ersten Kapitel habe ich die Jazzband als Führungsmodellder Zukunft beschrieben, weil Jazzmusiker über hervorragendeDialogfähigkeiten verfügen müssen. Nur wenn sie auf ihre Mit­spieler hören, deren Themen aufgreifen und weiterentwickeln,sich aber auch wieder zurücknehmen und anderen Raum lassen,wird ein interessantes Stück entstehen. Die Comedian Harmo­nists mußten hart daran arbeiten, diese Fähigkeit zum Aufein­anderhören zu entwickeln. Harmonie, Rhythmus, Polyphonie,

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Lautstärke etc, müssen in einem Kreativen Feld optimal aufein­ander abgestimmt sein. Der Dialog macht es möglich.

Vision und ProduktorientierungProduktorientierung bedeutet, daß wir uns gemeinsam auf einZiel einigen, für dessen Erreichung wir unser kreatives Potenti­al in gegenseitiger Anregung koordinieren und entwickeln wol­len.

Produktorientierung soUte aber andererseits nicht dazu verlei­ten, ein genau umrissenes Ziel zu früh verbindlich festzuschrei­ben. Eine solche Sicht verkennt, daß schöpferische Prozessekomplizierten Mustern folgen. Die tastende gegenseitige Anre­gung im Dialog gehört ebenso dazu wie das Formulieren ersterFragen und Hypothesen. Ebenso selbstverständlich sind aberauch Phasen des Verwerfens und Neuformulierens der Aufga­bensteUung. Die Mitglieder haben sich zwar aUe einer gemein­sam geteilten Vision verschrieben und sind bereit, miteinanderNeues zu schaffen, ohne daß einzelne im vorhinein bestimmenkönnten, was am Ende dabei herauskommt.

Bei einer Vielzahl von Autoren herrscht eine große Einigkeit,daß für die Initüerung eines erfolgreichen kreativen Prozessesdrei Voraussetzungen gegeben sein müssen: Es muß eine Visionvorhanden sein, einer oder mehrere müssen diese Vision über­zeugend verkörpern, und diese Vision muß andere faszinieren.Harry Frommermann war beflügelt von der Vision einer neuarti­gen Gesangsgruppe und in der Lage, diesen Zukunftstraum sopackend zu vermitteln, daß er zum Anziehungspunkt bzw. Kri­stallisationskern im Feld wurde. Die Beatles, ihren ManagerBrian Epstein und ihren Produzenten George Martin verband dieVision, gemeinsam den "Durchbruch" zu schaffen. BillGates undPaul Allan, die Gründer von Microsoft, träumten schon frühdavon, etwas mit Computern zu machen. Steve Jobs und Ste­phen Wozniak, die Gründervon Apple, träumten von der Befrei­ung von Big Blue (IBM).

Der Managementexperte Warren Bennis hat die "Geheimnissekreativer Zusammenarbeit" (The secrets of creative coUabora­tion) anhand einer Analyse hochleistungsfähiger Gruppen un-

tersucht: "Und in diesen Gruppen gab es jedesmal, wenn wirkli­che Durchbrüche erzielt wurden, einen ,Anführer', der es ver­stand, andere auf eine faszinierende, außergewöhnliche, signi­fikante Vision einzuschwören. Da war also jemand, der in derLage war, Anhänger, ,Fans' zur Zusammenarbeit zu begeistern.Alle waren davon überzeugt, sie könnten Berge versetzen."(Bennis 1997, 240)

Aber Vorsicht, so beeindruckend Bennis' Analyse im einzelnenauch sein mag, der Ausdruck "Anführer" weckt falscheAssozia­tionen. Besser wäre es, von "Anregern", ,,Impulsgebern imFeld", .Kristallisationskemen". "Verdichtern" etc. zu sprechen.

DasAnführermodell ist linearem Denken verhaftet. Meine Un­tersuchungen haben ergeben, daß fast alle Mitglieder einesfunktionierenden Feldes im Sinne der Aufgabenrotation zeit­weise zu "Anführern" werden können. Anhand der Arbeitstei­lung der Comedian Harmonists haben wir gesehen, daß sich dieFührung aufgaben- und fähigkeitsbezogen auf verschiedeneSchultern verteilte. Die projilierten Egos koordinierten ihre un­terschiedlichen Fähigkeiten im Team. Erst dadurch war der krea­tive Fortschritt möglich. Wenngleich Harry Frommermann ohneZweifel der entscheidende Kristallisationskern war, der zurSchaffung des Kreativen Feldes der Comedian Harmonists denAnstoß gab, nahmen doch auch Robert Biberti und Erwin Bootzin kritischen Phasen eine herausragende Position ein. Die Funk­tion des Kristallisationskerns kann von verschiedenen Mitglie­dern des Feldes ausgefüllt werden, oft gibt aber eine einzelnebegeisterte Person den Anstoß zum Feldbildungsprozeß. DieseFührungsfunktion fällt zunächst ihr zu, weil sie in der Lage ist,die Vision einleuchtend und anziehend zu vermitteln. Insofernkönnte man auch sagen, daß sich das Feld aktiv seinen Kristal­lisationskern sucht. Produktorientierung verstehe ich also alseine verbindende, allen gemeinsame optimistische Zuversicht,die davon ausgeht, daß wir in der Lage sind, gemeinsam einkreatives Produkt zu schaffen. Zielorientierung und Offenheit alsscheinbar sich ausschließende Gegensätze sind elementare Be­standteile des Kreativen Prozesses. Anders als bei der individua­lisierten Genie-Kreativität können im Fall kollektiver Kreati-

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vität Rückschläge besser verkraftet werden, weil sie durch dasKreative Feld besser abgefedert werden können. Wir erinnernuns: Als Frommermann aufgrund des gescheiterten Vorsingensgeknickt war, richtete Biberti die Gruppe wieder auf.

VielfaltDer Kreative Prozeß, so wie ich ihn hier verstehe, lebt davon,Vielfalt zuzulassen. Indem ich meinen begrenzten Blickwinkelüberwinde und mich von den verschiedenartigen Reizen einesKreativen Feldes anregen lasse, entwickle ich mich selbst, dasFeldund das kreative Produkt. Frommermann wollte ein unver­wechselbares Ensemble schaffen und schrieb Arrangements füreine Gruppe, die zunächst nur in seiner Vorstellung existierte.Mankönnte sagen, daß Frommermann ein "virtuelles Feld" ent­worfen hatte, das ihn und andere anzog. Doch dieses virtuelleFeld wurde erst dadurch zu einem realen Feld, daß er passendeMitgliedersuchte und ihnen gestattete, ihre Egos mit ihren un­verwechselbaren persönlichen Profilen in seinen Traum einzu­bringen. Wäre seine Vision zu eng gewesen und hätte er sichnicht auf die Ideen und Anregungen der neuen Mitglieder ein­gelassen, dann hätten die Lieder nie die einzigartige Qualitäterreicht, die wir noch heute bewundern.

Kreativität gibt es nur im Plural, weil erst die besondere Mi­schung von für sich genommen unspektakulären "Zutaten" dasNeue entstehen läßt. In der Regel glauben wir, daß ein kreati­ver Prozeß völlig neuartige Fähigkeiten voraussetzt. Doch dieAnalyse des gemeinsamen Schöpferturns der Comedian Harmo­nists zeigt, daß die nötigen "Zutaten" im wesentlichen bereitsvorhanden waren. Nicht allein Bootz' professionelle Überarbei­tung der laienhaften Arrangements Frommermanns, sondern vorallem auch die Zusammenführung der unterschiedlichen Fähig­keiten der übrigen Mitglieder, ließen diese unverwechselbareMischung entstehen, die den Kern des Neuen ausmacht. DasBei­spiel zeigt: Wenn wir uns von dem Bild des genialen Einzel­schöpfertums freimachen und es ertragen, unsere Vision, durchandere anreichern und verändern zu lassen, dann kann auseinem persönlichen Traum ein faszinierendes Produkt entste-

hen, das wir gemeinsam schaffen. DiesesProdukt ist gerade des­halb so anziehend, weil es in seiner Gestalt die Vielfalt verkör­pert, die profilierte Persönlichkeiten eingebracht haben.

Jeder von uns trägt ungenutzte Potentiale in sich, von denener oft nichts weiß. Manchmal entdecken wir sie bei anderen,etwa wenn wir erleben, daß ein Mensch, den wir zu kennenglauben, plötzlich Fähigkeiten zeigt, die uns überraschen undunser Bildder von der Person grundlegend verändern. Der Grunddafür liegt in der Wirkung desveränderten Kontextes. Ein verän­dertes Kräftefeld, eine neue Mischung, die durch das Zulassenvon Vielfalt in der Begegnung entsteht, ermöglicht es, Fähig­keiten zu zeigen, von denen wir nichts wissen. Wir sprechendann oft davon, daß jemand über sich hinauswächst. In diesemBild des Über-sich-Hinauswachsens steckt ein intuitives Wissenüber den kollektiven Charakter des kreativen Prozesses: MeineStärken und Schwächen verbinden sich nicht nur mit denenmeiner Synergiepartner, sondern ich werde auch herausgefor­dert, meine ungenutzten schöpferischen Fähigkeiten zu entfal­ten. Überragende schöpferische Leistungen, die oft aus dem"Nichts" zu entstehen scheinen, sind Ergebnis einer Neukombi­nation von Fähigkeiten der Egos im Kreativen Feld. Kreativitätgibt es nur im Plural: Sie entsteht aus der "richtigenJi Mischung.

PersonzentrierungPersonzentrierung meint, daß sich nur profilierte Egos zu einemKreativen Feldzusammenschließen können. DerIdee kollektiverKreativität haftet die Vorstellung an, man müsse zugunsten desKollektivs seine Individualität aufgeben. Wie ich gezeigt habeist das Gegenteil der Fall: Frommermann beharrte eigensinnigauf seiner Vision, obwohl von seinen persönlichen Fähigkeitenund den materiellen Umständen her die nötigen Voraussetzun­gen nicht gegeben schienen. Gerade sein profiliertes Ego, zudem auch seine Schwächen gehörten, machten ihn zu einem at­traktiven Anziehungspunkt für andere, die über die nötigenFähigkeiten verfügten, die ihm fehlten. Dieses Beispiel zeigt:Mit einem unverwechselbaren persönlichen Profil kann ich zueinem Kristallisationskern im Feld werden. Um dies zu errei-

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ehen, muß ich mich von dem falschen Anspruch lösen, daß ichalles selbst können muß. Wie ich in meiner Synergieanalyse ge­zeigt habe, können gerade die Schwächen zu attraktiven Anzie­hungspunkten für mögliche Synergiepartner werden.

Warren Bennis hat anhand von Erfolgsteams gezeigt, daß sieaus einer vielfältigen Mischung unverwechselbarer Egos beste­hen. Manche dieser profilierten Persönlichkeiten könnten unsin anderen Kontexten durchaus als skurrile Gestalten erschei­nen. Erst das Kreative Feld gibt ihnen die Möglichkeit, aus ihrenStärken und Schwächen das Beste zu machen. Kreativität gibtesnurim Plural der konstruktiv miteinander arbeitenden Egos. Vor­aussetzung dafür ist, daß ich lerne, mein persönliches Profil zuerkennen und zu akzeptieren. Wir müssen uns freimachen vonder illusionären Vorstellung der unerreichbaren kreativen Per­sönlichkeit. Jeder von uns kann kreativ sein, wenn er zu sichselbst findet und seine eigene "Berufung" entdeckt. Die eigeneBerufung ist das, was mich aus meinem Innersten heraus an­treibt. Sie zeigt sich in Tätigkeiten, in denen ich "Flow" erlebe.Ob ich aus meinem Ego etwas machen kann, hängt davon ab, obich den für mich passenden Kontext, also mein persönliches Feldfinde.

Von Maria Montessori über Celestin Freinet, Carl Rogers - umnur einige zu nennen - zieht sich eine breite Argumentations­linie von Pädagogen und Psychologen durch unser Jahrhundert,welche die Bedeutung des Konzepts der Personzentrierung fürdie Entfaltung des kreativen Potentials betonen. Aufgrund ge­nauer Beobachtung haben sie herausgefunden, daß es bei deroptimalen Entfaltung darauf ankommt, die subjektiven Lern­strategien und Lernerpraxen der Individuen ernst zu nehmen.Jeder von uns lernt ein wenig anders, weil jeder seinen Lebens­raum, sein Umfeld mit seinen persönlichen Valenzen versieht.Deshalb muß ich auch jedem die Möglichkeit geben, seinen ei­genen Weg zu finden. Wenn wir also Kreative Felder schaffenwollen, dann geht es weder darum, Personen mit Druck auf eingemeinsames Ziel einzuschwören, noch darum, Bildungs- undQualifizierungsprozesse zu organisieren, die alle auf ein "glei­ches" Niveau heben wollen. Vielmehr müssen wir offene Räume

schaffen, in dem die Beteiligten ihre Stärken und Schwächen er­forschen können und Wege finden, wie sie diese - bezogen aufdas gemeinsame Ziel - so kombinieren können, daß alle übersich hinauswachsen.

Gemeinsames Schöpfertumfunktioniert erstauf derBasis profi­lierter Individualität. Das Zulassen von Eigensinn ist eine Vor­aussetzung für das Entstehen von Gemeinsinn.

SynergieprozeßDen kreativen Prozeß verstehe ich als Synergieprozeß: Wennzwei oder mehr Personen so zusammenarbeiten, daß sie sich inkreativer Konkurrenz gegenseitig herausfordern, kann jeder derBeteiligten über sich hinauswachsen. Das kreative Produkt ent­hält dann "mehr", als man aus der bloßen Addition der Einzel­fähigkeiten erwarten könnte. In Synergieprozessen gilt die For­mel 1+ 1= 2 nicht mehr, sondern 1+1 kann durchaus 2,5 oder 3ergeben. Diese erstaunliche Steigerung ergibt sich aus dem Um­stand, daß in der Begegnung verborgene Kräfte freigesetzt undmiteinander kombiniert werden können, die das Feld' her­vorlockt. Viele Menschen leben unter ihrem Wert, weil sie dieMöglichkeiten, die in günstigen Synergiebeziehungen liegen,nicht nutzen können. Erst das geeignete Feld gibt mir die Chan­ce, persönlich zu wachsen. So ergeben sechs bestens ausgebil­dete Musiker allein noch lange nicht die Comedian Harmonists.Es kommt vielmehr auf die richtige Mischung an, die erst Syn­ergie ermöglicht.

Wie ich zu zeigen suchte, ist Kreativität nur als Synergiepro­zeß denkbar, auch wenn unsere vereinfachende Betrachtungüberragende Neuschöpfungen allein den als genial bewundertenIndividuen zurechnet. Synergieprozesse sind nicht nur Grundla­ge der Musik der Comedian Harmonists oder der Beatles. Ange­sichts zahlreicher Beispiel auch in anderen Disziplinen, etwa derLiteratur, sollten wir von der Glorifizierung des Einzelautors Ab­schied nehmen. Wer sich zum Beispiel mit dem SchaffensprozeßBertolt Brechts auseinandersetzt, trifft auf ein ganzes Netz vonSynergiebeziehungen, in denen insbesondere Frauen eineSchlüsselstellung einnahmen. "Ich fragte nicht nach meinem

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Anteil" betitelt Sabine Kebirihre Untersuchung, in der sie zeigt,daß Elisabeth Hauptmann, aber auch eine Reihe anderer Auto­rinnen einen wesentlichen Anteil an Brechts Werk hatten.

Wenn meine These stimmt, dann besteht eine Grundbedingungfür die optimale Entfaltung unseres nicht genutzten kreativenPotentials in der bewußten Gestaltung eines solchen Synergie­prozesses. Wiewir sehen werden, gehört dazu eine Synergieana­lyse, in der ich meine eigenen Synergiepotentiale entdecke. Dar­unter verstehe ich Bereiche, in denen ich Ergänzung wünsche,sowie die Bereiche, in denen ich selbst ein günstiger Synergie­partner bin.

Der Pianist der Comedian Harmonists Erwin Bootz weist zwardarauf hin, daß Harry Frommermann das musikalische Hand­werk von ihm gelernt habe, doch die einfallsreichen Arrange­ments schrieb Frommermann: "Und dann hat er sehr gute Ar­rangements gemacht, wirklich sehr gute, denn für mich wäredas zuviel gewesen. Alles allein machen zu wollen, dazu war ichzu faul."

Wennman die passenden Synergiepartner findet, dann brauchtman nicht alles allein zu machen - ja, man kann sogar durch"Faulsein" die Qualität des kreativen Produkts noch steigern.Denn Kreativität istSynergiebalance im Feld, ist Ausbalancierungder Egos im Team. In der Entdeckung unseres gemeinsamen Grun­des und der Nutzung unserer Unterschiede zur gegenseitigenHervorlockung unserer Potentiale entfalten wir eine synergeti­sche Kreativität. Diesem Konzept liegt die Einsicht zugrunde,daß niemand wirklich unbegabt ist. Es kommt darauf an, wasman aus den vorhandenen Fähigkeiten macht. Es kommt daraufan, aus vermeintlichen Nachteilen Vorteile zu machen. Ob ich mitmeinen begrenzten Fähigkeiten etwas Schöpferisches leistenkann, hängt nicht allein von meiner Person ab, sondern davon,ob es mir gelingt, ein geeignetes Synergiefeld zu finden oder zuschaffen. Der Schlüssel dazu ist die Ausbildung einer differen­zierten Selbst- undFeldwahrnehmung.

DerSynergieprozeß zwischen zwei oder mehreren Personen ba­siert nicht auf unbedingter Harmonie. Ganz im Gegenteil kön­nen konstruktive Formender Kreativen Konkurrenz dazu beitra-

gen, daß man sich wechselseitig zu Bestleistungen anspornt.Durch die Kreative Konkurrenz entsteht im Synergiefeld die not­wendige Spannung, die es dem einzelnen erst ermöglicht, seinunerschlossenes kreatives Potential zu bergen.

PartizipationDas Konzept des Kreativen Feldes zielt auch darauf ab, beschei­dener zu werden und unsere Größen- und Allmachtsphantasienauf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Csikszentmihalyis Un­tersuchung hat deutlich gemacht, in welchem Ausmaß es daraufankommt, zur richtigen Zeit in der richtigen Disziplin im richti­gen Feld zu sein, um als kreativer Schöpfer anerkannt zu wer­den. Mit Gardner ist uns deutlich geworden, daß Kreativitätnicht allein in der Person zu verorten ist, sondern in Wechsel­wirkung mit der Umwelt entsteht.

Wir wissen nun auch, daß komplexe soziale Systeme nur dannwirkungsvoll zu beeinflussen sind, wenn man die Mitglieder die­ses Feldes erreicht und ihre Kompetenzen nutzt. In vielen kom­plexen Feldern wie Firmen und Institutionen wissen die Mitglie­der um die Probleme des Feldes, aber ihr Wissen wird häufignicht abgefragt. Statt dessen versucht man die Mängeldurch Ex­pertenrat von außerhalb zu erfassen. Aus diesen und anderenGründen werden seit einiger Zeit Konzepte einer "Lernenden Or­ganisation 11 (Senge 1996) diskutiert, in denen es darum geht,das Wissen der Beteiligten selbst zu organisieren, so daß diesein einern kontinuierlichen Selbstverbesserungsprozeß (Imai 1991)lernen, ihr Wissenauszutauschen und eigene Verbesserungsvor­schläge zu entwickeln.

An die Stelle von Expertenabhängigkeit tritt so ein institutio­nell verankertes System zur Entwicklung von Selbst- und Feld­kompetenz. Wir lernen, unsere ungenutzten persönlichen Res­sourcen zu erschließen und sie so miteinander zu vernetzen,daß der Vorgang der Neuschöpfung zu einern kontinuierlichenProzeß aller Beteiligten wird. So entsteht durch den allmähli­chen Aufbau einer Lernenden Organisation ein Kreatives Feld.Lernende Organisationen lassen sich nur dann aufbauen, wenndie Mitglieder der Felder beteiligt werden. Auch bei bewährten

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Verfahren zur Etablierung Kreativer Felder wie der "Zukunfts­werkstatt" und der Zukunftskonferenz bildet Partizipation einesder zentralenSchlüsselkonzepte. Ja, mankönnte sagen,daß dieComedian Harmonists eine Art Lernende Organisation waren,indem es ihnen gelang, aus eigener Kraft alle diejenigen Fähig­keiten zu entwickeln, die sie benötigten, um eine Bühnenshowzu entwickeln, sie erfolgreich zu präsentierenund zu verkaufensowie eine Firma zu führen. Und dies alles gelang unter demVorzeichen völliger Gleichberechtigung.

Partizipation bedeutet, daß wir unsere Probleme nicht an Ex­perten delegieren können, sondern daß wir alle gefordert sind,gemeinsam unsereProbleme zu lösen. Jeder von uns ist Expertefür einen Teil des Elefanten, den wir nur gemeinsam erkennenkönnen.

NachhaltigkeitDer Begriff des "sustainable development", der "nachhaltigenEntwicklung" (vgl. Schub 1996) ist aus dem Ökologiebereichentnommen und erfährt zur Zeit eine beachtliche Konjunktur.So erfordert nachhaltiges Wirtschaften die Entwicklung einerForm der Wirtschaft, die nicht fortwährend eine Zunahme vonEntropie durch die Vernichtung organischen Materials produ­ziert, sondern im Sinneeiner Kreislaufwirtschaft Stoffe so wie­derverwertet, daß unsere natürlichen Lebensgrundlagen nichtnur erhalten, sondern - soweit möglich - verbessertwerden. DerBegriff "Nachhaltigkeit" mag auf den ersten Blick für unserenZusammenhang als unpassend erscheinen. Was hat "Nachhaltig­keit" mit dem kreativen Prozeß zu tun?

Wenn wirals ein wesentliches Charakteristikum der gegenwär­tigen Entwicklung unseres Planeten die allmähliche Verdrän­gung derbiologischen Evolution durch eine menschengemachtemetabiologische Evolution erkennen, dann wird klar, daß wirir­gendeine Form der Kontrolle oder Bewertung brauchen.Bezogen auf die Schaffung Kreativer Felder kann uns das

Konzept der Nachhaltigkeit deutlich machen, daß KreativitätkeinWert an sichist, sondern immer auch auf ihre Folgen bezo­gen werden muß. Insofern ist bei der Konstruktion Kreativer

Felder eine vorausschauende "Risikofolgenabschätzung" unseresSchöpferturns unabdingbar.

Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, daß innerhalb des Kreati­ven Feldes eine Gewinner-Gewinner-Koalition aufgebaut wird.Anders als die Mitarbeiterinnen des Kreativen Feldesum BertoltBrecht waren die Comedian Harmonists völlig gleichberechtigtund erhielten den gleichen Anteil an den Tantiemen. Als RobertBiberti nach der Trennung von den jüdischen Mitgliedern desEnsembles eine Nachfolgegruppe gründete, verstieß er in mehr­facher Hinsicht gegen diesen Grundsatz. Die neuen Mitgliederwurden als AngesteUte geführt. Es entstand ein schlecht balan­ciertes Feld. Eswar kein Kreatives Feldund erreichte nie die Lei­stungen der Ursprungsgruppe. Wenn Kreativität aus Energieba­lance der gleichberechtigten Egos im Team entsteht, wird klar,warum das Jazzbandmodell ein überlegenes Führungsmodell zusein verspricht.

Die Schaffung Kreativer Felder als experimenteller Vorgang

Nachdemich nun die Schlüsselkonzepte vorgesteUt habe, möch­te ich einige Hinweise geben, wie man Kreative Felder schaffenkann. Die Schaffung eines Kreativen Feldes ist ein experimen­teUer Vorgang, in dem sich die optimale Zusammenstellung desFeldes aus den sich spontan entwickelnden Anziehungs- undAbstoßungskräften aUmählich herausbildet. Da es sich um kom­plizierte Prozesse dersozialen Selbstorganisation handelt und daes für die meisten von uns ungewohnt ist, sich gemeinsamschöpferisch zu betätigen, kann es günstig sein, den Feldbil­dungsprozeß durch entsprechend qualifizierte Prozeßbegleiterbzw. Moderatoren und entsprechende Verfahren zu unterstützen.

Die Schaffung eines Kreativen Feldes ist ein Vorgang, der aufdie Erforschung der eigenen Person in ihrem Umfeld fokussiert:Indem wir uns einem offenen Raum aussetzen und Anziehungs­und Abstoßungskräfte wahrnehmen, entdecken wir, was unswirklich interessiert und mit wem wir unsere Ideen umsetzenwollen. Indem ich mich auf den Prozeß der Feldbildung einlas-

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rc se, erfahre ich nicht nur mehr über meine spezifischen Fähig-~ keiten und Grenzen, sondern auch etwas über die Struktur der::J~ für meine Entwicklung günstigen Felder.Wie kann man sich nunC1I ein Kreatives Feld vorstellen? In nachfolgender Skizze unter-...:9 nehme ich einen Versuch, einige allgemeine Strukturmomente.f zu visualisieren.~:g Kreatives Feld in Analogie zu Lewin

~::.::cIIIEcc~.10

Vier Personen Pi, P2,P3,P4bildengemeinsam ein Kreatives Feld, indemsiedie positiven Valenzen ihres Lebensraumes mit denen der andereninBerührung bringen.Siefindensichan einemOrtzusammen, der eine Schnitt­stelleihrer Lebensräume bildet. Durch die Begegnung mit unterschiedlichenLebensräumen eröffnetsich die Chance, unzugängliche Bereiche (schraffiertdargestellt) zu erreichen und sich gegenseitig zu ergänzen.

Wie ist dieses Schaubild zu lesen? In Analogie zu Lewins Dar­stellung des individuellen Lebensraums als Jordankurve habeich hier versucht, die Lebensräume von vier Personen (Pl, P2,P3, P4) zueinander in Beziehung zu setzen. Die positiven Va­lenzen (+) beschreiben die Zielräume, die die Personen anstre­ben; die negativen Valenzen (-) die Bereiche, die sie meiden unddie schraffierten Flächen beschreiben unerreichbare Räume. Diegroße Jordankurve beschreibt das sozio-kulturelle "Hinter­grundfeld", das die individuellen Lebensraumentwürfe beein­flußt, ohne daß dies den Beteiligten oft bewußt wäre. PierreBourdieu (1987) hat in seiner faszinierenden Untersuchung "Diefeinen Unterschiede" den Aufbau und die Wirkungen dieses

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Hintergrundfeldes auf unsere persönliche Lebensführung be­schrieben. Auch wenn ich mich hier auf die Darstellung der zu­sammenarbeitenden Personen im Vordergrundbeschränke, wirdklar, daß der sozio-kulturelle Hintergrund entscheidenden Ein­fluß auf Möglichkeiten zur Kooperation ausübt.

Das Kreative Feld ist nun ein Raum, der in besonderer Weisedurch die unterschiedlichen Egos energetisch aufgeladen ist. ImVerlaufe der Interaktion tritt eine Idee oder Vision in der Vor­dergrund und wird zum Anziehungspunkt im Feld. Dieser An­ziehungspunkt, der eine Art "Kristallisationskem im Feld" ist,lockt die unterschiedlichen Fähigkeiten der Mitglieder hervor.Die Mitglieder lagern sich mit ihren spezifischen Fähigkeiten andiesen Kern an und schaffen durch Verdichtung allmählich eineneue Gestalt. Solche Kerne, die zu neuartigen Schöpfungenführten, waren beispielsweise Frommermanns Idee einer neuar­tigen Musikgruppe oder Jobs & Wozniaks Vision des persönli­chen Computers. Jeder von uns kann zu einem solchen Anzie­hungspunkt im Feld werden, wenn er eine faszinierende Ideeentwickelt, zu deren Verwirklichung er Partner sucht.

Geeignete Visionen und ihre Protagonisten entwickeln einederartige Anziehungskraft, daß sie zur stärksten positiven Va­lenz im Feld werden können. Die vielfältigen persönlichen An­ziehungspunkte, denen die Mitglieder des Feldes ausgesetztsind, treten in den Hintergrund, und die Vision wird zum allesüberdeckenden Vordergrund. Eine Ursache für diese erstaunlicheUmorganisation der Kräfte des Feldes, für diesen "Gestaltwan­del", besteht in der faszinierenden Erfahrung, daß man in derge­meinsamen Arbeit über sich selbsthinauswachsen kann. KreativeFelder können jeden von unszum Mitschöpfer machen: In derge­genseitigen Anregung wird unser ungenutztes kreatives Potentialhervorgelockt - eine Erfahrung, die wir als lustvoll erleben. Be­sonders motivierend ist auch, daß man mit seinen vorhandenenFähigkeiten einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung der ge­meinsam geteilten Vision leisten kann. Indem man - ausgehendvon einer gemeinsamen Basis - Unterschiede nutzt, gelingt es,Neues inderSache, beisich undbeianderen bezogen auf dieRea­lisierung des gemeinsamen Ziels zu entdecken. Der gemeinsame

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Grundwird durch die Fläche beschrieben, in der sich die mit po­sitiven Valenzen versehenen Lebensräume überlappen (vgl. Ka­pitel S - Lebensraumdarstellung).

Wie ich im zweiten Band zur Praxis Kreativer Felder (Burow1999) anhand einer Analyse des Kreativen Feldes der Beatles be­schreibe, bildet den Kern des Kreativen Feldes eine Vision, dievon allen Beteiligten geteilt wird. DieseVision muß nicht expli­zit formuliert sein - es kann sich auch um ein diffuses Bedürf­nis, eine Ahnung, eine Bewegungsrichtung usw. handeln. Soverband die Beatles, ihren Managet Brian Epstein und ihren Pro­duzenten George Martin die leidenschaftliche Suche nach etwasNeuem und der Wunsch, etwas Bedeutendes zu schaffen. DieserWunsch war für alle zunächst im schraffierten, unerreichbarenBereich ihrer persönlichen Lebensraumkonstruktionen. Keinervon ihnen verfügte allein über die nötigen Fähigkeiten, das Zielzu erreichen. Erst durch die Begegnung und die Koordinationihrer Lebensraumkonstruktionen unter dem Ordner einer ge­meinsamen Vision wurde für alle der schraffierte Bereich all­mählich zu einer erreichbaren Pluszone. In der gemeinsamenSuchbewegung gelang es ihnen, das im Feld vorhandene Poten­tial hervorzulocken und so neu zu kombinieren, so daß ein ge­meinsam geteilter Lebensraumentwurf entstand.

Meine bildliehe Darstellung ist allerdings noch zu schematisch.Sie kann nur eine Ahnung davon vermitteln, inwieweit sichdurch die dialogische Begegnung die Lebensräume der einzel­nen erweitern und sie darüber hinaus neue Gebiete erschließen,die für sie vorher unerreichbar gewesen sind. Umgekehrt kanndas Kreative Feld dieser vier Personen auf den einzelnen auchdie Wirkunghaben, daß Valenzen, die ihn in seinem eigenen Le­bensraum anzogen, in der Gruppe an Attraktivität verlieren,weil eine Person im Felddiesen Bereichbereits besetzt hat. Kon­kret: Wennich erkenne, daß jemand Fähigkeiten besitzt, die esihm ermöglichen, Aufgaben besser als ich zu lösen, kann essein, daß ich meine Interessen verlagere und entdecke, daß mirandere Tätigkeiten mehr liegen. Das heißt: Der interaktz've krea­tive Prozeß verändert zugleich auch meine eigenen Valenzen. DasFeld strukturiert mich ebenso wie ich das Feld mitstrukturiere.

Das Kreative Feld als Tanzfläche

Ein Beispiel soll die Wirkung des Kreativen Feldesverdeutlichen:WennSie in einer Diskothek auf einer halb gefüllten Tanzflächefür sich allein tanzen, werden Sie bei entsprechender "Feldsen­sibilität" Anziehungs- und Abstoßungskräfte bemerken. Be­stimmte Personen tanzen in einem ähnlichen Rhythmus wie Sieund ziehen Sie an; oder Ihnen gefällt eine Bewegung, die Sienachahmen, und plötzlich bemerken Sie, daß Sie nicht mehr al­lein tanzen, sondern Teil eines rhythmischen Feldes aus zweioder mehreren Personen sind. Vielleicht entdecken Sie sogarMuster in den Tanzbewegungen. Im Feld der Tanzfläche wirkenverschiedene "Feldordner", die das scheinbare Chaosstrukturie­ren: Es bilden sich Paare oder Gruppen, die näher beieinander­stehen oder aufeinander abgestimmte Bewegungen machen; Sienehmen Sympathien und Antipathien wahr, entdecken Ähn­lichkeiten und Unterschiede. Ob Sie es wollen oder nicht, Siewerden Teil von Bewegungs- und Begegnungsfeldern, oder Sieerleben, wie Sie abgestoßen werden.

Kompliziert wird die Sache noch dadurch, daß nicht nur diespezifische Musikund die jeweilige Beziehungsdynamik die Mu­ster im Feld strukturieren, sondern daß Sie ganz im SinneLewins Ihre Rolleim Tanzfeld selbst strukturieren - je nachdem,wie Sie aktuell gestimmt sind und welche Wahrnehmungsmusteraus Ihrer Biographie dominant sind. Es kann also sein, daß IhreTanzpartner ganz andere Strukturierungen vornehmen, die Sienicht bemerken oder mißdeuten: Auch die Art und Weise wie Siesich kleiden, wie Sie sich bewegen, wie Sie sich selbst stilisie­ren, also Ihr Habitus, hat Wirkungen auf die Mittanzenden.Im Verlauf dieses komplexen Geschehens geschieht es immer

wieder, daß sich ganz spontan "Passungen", Synergien zwischenzwei oder mehreren Personen ergeben und daß sich das auf denersten Blick chaotische Feld für einige Momente gliedert, bis eswieder neue Strukturen annimmt. Im Verlauf des Abends ent­stehen unzählige solcher Muster. Daneben bilden sich auch ei­nige stabile Strukturen heraus, die einen so starken Aufforde­rungscharakter entwickeln können, daß sich einzelne Personen

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näher kennenlernen möchten und die flüchtige Anziehung zueiner intensiven Begegnung wird. Was sagt uns diese zugegebe­nermaßen komplizierte und dennoch viel zu stark vereinfa­chende Beschreibung eines "Tanzfeldes"?

Die Einrichtung eines Kreativen Feldes erfordert es - analogzur Tanzsituation -, zunächst einen offenen Bewegungsraum("Open-Space") entstehen zu lassen, in dem die bestehendenStrukturen durcheinandergewirbelt und alte Bindungen aufge­löst werden, so daß wir frei werden für spontan entstehendeBindungen. DieKonstruktion eines solchen zunächst unstruktu­rierten, chaotischen Raums kann verunsichernde, aber auch be­freiende Wirkungen haben, denn oft sind wir in unserem Bezie­hungsverhalten und unserer Feldwahrnehmung so festgelegt,daß wir neue Möglichkeiten erst gar nicht erkennen oder sieaufgrund der damit verbundenen Unsicherheit meiden. Erst dasentstehende Chaos bzw. der offene Raum ermöglicht aber eineNeuorganisation. Wennman mit Hilfevon Moderationsverfahrenwie der Zukunftskonferenz ein Kreatives Feld schaffen will,dann ist es wichtig, für förderliche atmosphärische Rahmenbe­dingungen zu sorgen, die die Neustrukturierung erleichtern,indem sie den Angstpegel auf einem vernünftigen Niveaulassenund Orientierungshiljen geben. Denn die Veränderung von Fel­dern ist ein Vorgang, der Ängste und Widerstände auslöst unddaher einen gesicherten Rahmen braucht.Ähnliches gilt aber auch für die Rahmenbedingungen, die wir

in vielen unserer Organisationen schaffen. Sie sind selbst an re­lativ freien Organisationen wie etwa Universitäten wenig dazugeeignet, kollektive Kreativität zu fördern. Allzuoft trägt dietradierte Feldstruktur dazu bei, daß - entgegen den offiziellenVerlautbarungen - fachübergreifendes Begegnen und Denken,Spinnen neuer Ideen, spontane Gruppenbildungen und kreati­ves Teamwork eher behindert als gefördert werden. Oft sind dieStrukturen hier so versteinert, daß an die Stelle eines offenenExperimentierens die Befolgung von Traditionen und Ritualentritt. Häufig werden eher die alten Denk- und Fachstrukturen ingegenseitiger Abschottung gepflegt als neue Kombinationenfächerübergreifender Zusammenarbeit. Die Kräftefelder der In-

stitution sind so fixiert, daß kein Raum mehr für spontane Bin­dungen bleibt.

Wenn sich viele unserer Institutionen durch derartige Fixie­rungen auszeichnen, so ist es kein Wunder, daß Kreativität eheraußerhalb reglementierter Felder stattfindet. Neuschöpfungenfinden vor allem in Randzonen statt. DasSchaffen Kreativer Fel­der ist ein experimenteller Vorgang der Selbst- und Feldent­deckung mit unsicherem Ergebnis. Es widerspricht einer festge­legten, reglementierten Struktur und einem vorhersagbarenResultat.

"Anziehende" Freiräume fürSelbstorganisation schaffen

Meine Ausführungen sollen zeigen, wie man bewußt und plan­mäßig günstige Bedingungen für das Entstehen Kreativer Felderschaffen kann. Die Frage lautet nun, ob es nicht ein unmögli­ches Unterfangen ist, den Prozeß der spontanen Selbstorganisa­tion durch Schaffen entsprechender Rahmenbedingungen zusteuern. Auch hier vermittelt uns Heinz v. Foerster einen Ein­druck von der Kompliziertheit des Problems. Er setzt sich mitder Frageauseinander, was Lernen eigentlich ist und warum un­sere Bildungsinstitutionen trotz aller geplanten Bemühungenallzuoft Lernen eher verhindern als fördern. Seine Erörterungwar für mich sehr erhellend. Denn gerade in meiner Zeit alsHochschullehrer habe ich immer wieder erfahren müssen, wieleichtfertig offene Fragen unter schlagwortartigen Begriffen zu­geschüttet wurden; etwa, wenn ein Kollege einem Examenskan­didaten die Frage stellte: "Was verstehen Sie unter Lernen?",und sich dann mit der simplen Erklärungsformel"Lernen ist Ver­änderung durch Erfahrung" zufriedengab. Warum befriedigtviele diese Definition? Was erklärt sie? Hören wir v. Foerster:

"Und in der Tat, was ist Lernen wirklich? Wenn diese Frage imakademischen Kontext, d.h. im Fachbereich der Psychologenoder Pädagogen gestellt wird, erhalten wir viele Antworten.Wennjedoch diese Frageim operativen Kontext gestellt wird, er­halten wir überhaupt keine Antwort: Wir haben nicht die ge-

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ringsten Vorstellungen darüber, was in uns vorgeht, wenn wirsagen, wir hätten etwas gelernt.

Ich will damit sagen, daß wir ungefähr seit unserem zweitenLebensjahr laufen, sprechen und gesellig sind, obwohl wir wederKurse in unserer Muttersprache noch in der Kunst der Fortbewe­gung belegt haben. Für diese Fähigkeiten hat es niemals einenLehrplan gegeben, und wir wissen nicht, wie wir sie erworbenhaben.

Die denotative Schule des Spracherwerbs wird behaupten, daßwir darüber sehr gut informiert sind, wie wir sprechen lernen,und zwar indem wir diejenigen imitieren, die mit dem Finger aufetwas deuten und dazu das entsprechende Geräusch machen.Aberich habe von der Anthropologin Margaret Meadgelernt, deres nicht schwerfiel, sich die Umgangssprache vieler verschiede­ner Stämme, mit denen sie gearbeitet hat, anzueignen, daß dieskeineswegs den Tatsachen entspricht. Sie benutzte einmal dieseMethode, indem sie mit dem Finger auf verschiedene Sachenzeigte, um deren Namenzu erfahren. Zuihrem Entsetzen erhieltsie immer die gleiche Antwort: ,chu mulu; Anfangs glaubte sie,daß diese Leute eine sehr primitive Sprache besäßen, bis sieherausfand, daß .chu mulu' ,mit dem Finger zeigen' bedeutet."(1993, S. 128 f.)

Reinhard Kahl stellte sogar die Vermutung an, daß wir niemalsLaufen gelernt hätten, wenn wir es im normalen Lehrgangsver­fahren der Schule hätten lernen müssen: nämlich im Sitzen undmit Hilfe theoretischer Belehrung. In einer unserer Ausbildungs­gruppen wollte ein langjährig tätiger Lehrer deutlich machen,woran das didaktisch aufbereitete Lehrgangslernen der Schulekrankt. Erführte uns einen "Grundkurs im Lachen" vor. DerLeh­rer analysierte zunächst mit strengem Ton das Lachen und zer­legte den Vorgang nach fachsystematischer Logik in seine ein­zelnen Bestandteile, die wir dann Schritt für Schritt einübenmußten. Spätestens als wir zu Atemübungen als notwendige Vor­stufe des "richtigen" Lachens angeleitet wurden, platzten wirvor Lachen los. Die Situation war einfach urkomisch. Doch ob­wohl wir jetzt lachen konnten, wurden wir ermahnt, daß dies zufrüh sei. Wir könnten noch gar nicht lachen, weil wir die Ele-

mente des Lachens noch nicht verstanden hätten. Also soUtenwir uns so lange zurückhalten, bis wir die einzelnen Stufen desLachens erarbeitet und fachlich einwandfrei eingeübthätten. Alswir diese nun in einemlangwierigen und gekünstelt wirkendenVerfahren erarbeitet hatten, meinten wir nun, ganz genau zuwissen, wie Lachen funktioniert, aber merkwürdigerweise waruns das Lachen vergangen. Keiner von uns war in der Lage, beider "Abschlußprüfung" des .Lachtehrers" zu lachen.

Wir sind hier auf das Grundproblem der Zerlegung natürlicherLernvorgänge in didaktisch gemeinte Häppchen gestoßen, einGrundproblem. das auch das Scheiternaus demKontext gelösterKreativitätstrainings erklären kann.

Insofern muß man sich klar machen: Wer daran geht, KreativeFelder zu konstruieren, muß sich darauf beschränken, günstigeRahmenbedingungen zu setzen. Der Kreative Prozeßselbstkannnicht geplant und nur begrenzt gelehrt werden. Er erfolgtnur inspontaner Selbstorganisation. Unsere Aufgabe ist es also, Räumezu schaffen, die eine Vielzahl von "Zugkräjten 11 zurFörderung ge­meinsamer Kreativität freisetzen und die Selbstorganisation er­leichtern. Wir sind aber keinesfalls Tanzlehrer, die genaueSchrittfolgen vorgeben.

Synergieanalyse: Wo finde ich Partner, die zu mir passen?

"Bindung durchunterschiedliche Fähigkeiten ...

ist stabilerund vielleicht befriedigender

als Bindung durch gleichartige Talente."

Charles Perrow

Zu Beginn des Versuchs, ein Kreatives Feld zu konstruieren oderzu finden, sollte eine Analyse der Ziele und Wünsche stehen, dieich mit meiner Inszenierung eines entsprechenden Feldes errei­chen möchte.Diese Ziele geben die Richtung meinerSuche nachmöglichen Synergiepartnern vor, die sich an Gardners Kreati­vitätsmodeU orientiert. Nachfolgende Abbildung soU helfen,mögliche Suchrichtungen zu verdeutlichen.

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Abb. 7: Wo sind meineSynergie-Partner? e 151 1997.Ln

Wo liegenmeineTalente?

Wer oderwasunterstützt mich?

Feld (Kritiker/Institutionen)

Wer oderwasbehindertmich?

IndividuellesTalent Wo liegen

meineDefizite?

Welche Domäne/Disziplin liegt mir?

Domäne/Disziplin

Welche Domäne/Disziplinliegt mirgar nicht?

Injedem dieser Bereiche läßt sich die Einrichtung verschiedenerTypen von Kreativen Feldern denken. Wichtig ist der grundle­gende Perspektivenwechsel: Unter dem Druck konkurrenzorien­tierter Zwangsindividualisierung sind wir es gewohnt, unsereSchwächen möglichst zu verstecken und unsere Stärken heraus­zustreichen. Damit verhindern wir Lernen und echte Begeg­nung. Das Konzept des Kreativen Feldes zeigt uns aber, daß gera­de inunseren Schwächen unsere Chancen liegen. MeineSchwächeist nämlich zugleich der Beziehungs- und Bindungspunkt, demsich mein Synergiepartner nähern kann.

Um ein Beispiel zu geben: Eine meiner Stärken besteht darin,daß ich sehr schnell unterschiedliche Zusammenhänge ver­schriftlichen kann. Die stilistische Überarbeitung, die detail­orientierte Vertiefung liegt mir weniger. Ich habe aber einenFreund, der große Problememit dem Schreiben hat, weil er überjedes Detail sehr gründlich nachdenkt und unermüdlich an For­mulierungen feilt. Wenn wir zusammenarbeiten, dann gelingenuns in der Regelsehr brauchbare Texte.Ich schreibe meine Ideenschnell herunter, während er an den Details feilt. Durch michwerden seine Schreibblockaden überwunden, durch ihn werdenmeine Texte gehaltvoller, und zwar in einer Weise, daß ich von"unseren" Texten sprechen muß. Denn das, was ich vorgelegthabe, erkenne ich oft nach der Bearbeitung kaum noch wieder.

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Manchmalverwirft er seitenweise meine Texte. Am Ende wissenwir nicht mehr, was von ihm und was von mir stammt.

Wenn ich mir über meine Schwächen im klaren bin und zuihnen stehe, dann eröffnen sich für mich ungeahnte Möglich­keiten zur Bildung von Kreativen Feldern. Wenn ich mich nurauf die Suche nach geeigneten Synergiepartnern mache. Die Er­kenntnis meinerSchwäche ist geradezu die Voraussetzung für dieBildung befriedigender Partnerschaften. Aber unter dem Druckder Zwangsindividualisierung und der Künstlerlegende werdenSchwächen nur selten als Chancen und wichtige Bindungsres­sourcen gesehen. Statt dessen durchzieht sowohl unsere Bil­dungsinstitutionen als auch unsere Arbeitswelt nach wie vor dasillusionäre Bild des Alleskönners. Erstens kann niemand alleskönnen, und zweitens muß ich in einem Team nicht alles kön­nen. Teamkreativität bietet so eine Chance zur persönlichenEntlastung, zur besseren Ausnutzung der individuellen Fähig­keiten sowie zur Verbesserung der Ergebnisse. Im "Selbst"-be­wußten Umgang mit meinen Schwächen liegt die Chance zumDurchbruch zu neuen Ufern kollektiver Kreativität.

Transfer:> Betrachten Sie obenstehende Abbildung und nehmenSie eine "Synergieanalyse" Ihrer persönlichen Aus­gangssituation vor, um Bereiche zu entdecken, in denenes sinnvoll sein kann, nach Synergiepartnern Ausschauzu halten.> Betrachten Sie Ihre Talente: Was kann ich gut? Wohabe ich Begabungen? Durch welche geeignete Syner­giepartner kann ich diese Talente ausschöpfen? WelcheSynergiepartner brauche ich, um meine Defizite auszu­gleichen?> Betrachten Sie die Domäne bzw. Disziplin, in der Siearbeiten bzw. zu arbeiten wünschen: WelcheDomäne/Disziplin liegt mir? Welche Synergiepartnerbzw. sozialen Zusammenhänge, Netzwerke etc. braucheich, um die mir fehlenden Bereiche auszugleichen?> Betrachten Sie das institutionelle (gesellschaftliche)

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Feld, von dem Sie Anerkennung erwarten: Was muß ichtun, um in diesem Feld Anerkennung zu bekommen?Kann ich überhaupt in diesem Feld Anerkennung be­kommen, oder inwieweit muß ich mich an das Feld an­passen bzw. auf das Feld einwirken? Gibt es andere Fel­der, die für mein Anliegen günstiger sind?

"Von meinerSichtaus, heute, finde ich erstaunlich, daß so etwaswie die

Comedian Harmonists überhaupt zustandegekommen ist. Wenn man bedenkt,

wasallesdazugehört, ein Tenor mit einerso enormenHöhe, der aber nicht

Falsettsingt, wieAriLeschnikoff; dann ein zweiter Tenor, Erich CoUin, der

ausgerechnet so wenig Eigentimbre hat, daß sich seine Stimme gut mischen

läßt; dann ein Musikantentum, wie dasvon Frommermann, dernebenseinen

vielenschönenArrangements plötzlichdie Fähigkeit entwickelt, Instrumente

zu imitieren, obwohl er eigentlich keinebesonderen stimmlichen Mittel

besitzt, und der damit dafür sorgt, daß alle Klänge harmonisieren; dann

Cycowski, dieseherrliche, vornehme Stimme, mit ihrer enormen Höhe - der

konnte so hoch wieein Tenor singen- und schließlich Biherti, ein samtener

leichter, aber wohlklingender Baß.Undzu alledem auch die persönlichen

Gleichungen diesersechsLeuteuntereinander, die so ausbalanciert waren,

daß niemals die Gefahr bestand, daß unsereGruppe zerplatzen würde.. ."

Erwin Bootz

Nicht von ungefähr endete mein Prolog mit diesem Zitat. In denresümierenden Betrachtungen des Pianisten der Comedian Har­monists, Erwin Bootz, drückt sich auch noch vierzig Jahre nachAuflösung dieser Gruppe etwas von der ungeheuren Faszinationaus, die sie nicht nur auf Millionen Menschen, sondern die Mit­glieder selbst ausübte. Bootz selbst steht vor einern für ihn un­erklärlichen Phänomen. Und ist diese erstaunlich genaue Pas­sung ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten durch die sichKreativteams auszeichnen nicht erstaunlich? Ist es nicht be­wundernswert, wie es ihnen gelingt, alle ihre "Energien" auf dieVerwirklichung ihrer Vision zu konzentrieren und dabei übersich hinauszuwachsen? Diese Konzentration ihrer Fähigkeitenund Antriebe spiegelt sich im Kreativen Produkt wider und läßtsie selbst zu Anziehungspunkten für uns werden.

DerGründer der Comedian Harmonists, Harry Frommermann, lei­tete die Verwirklichung seines Traums mit einer unscheinbarenAnzeige ein: "Suche Team - biete Vision" und folgte damit intui­tiv der Einsicht "Kreativität gibt es nur im Plural": Dieserunspek­takuläre Schritt war der Beginn einer faszinierenden Geschichte.Auch Sie können einen solchen ersten Schritt einleiten. Dabei

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zeigt sich, daß die entscheidenden Schritte oft die kleinen Schrit­te sind. Wenn wir uns von übertriebenen Leistungsansprüchen anunser Ego freimachen und die Vorstellung aufgeben, uns an Ein­zelgenies messen zu müssen, dann können wir Erstaunliches er­reichen. Viele Egos in einem Team können etwas völlig Neues er­geben, denn Mehrist anders! Wiralle sind Mitglieder von Feldern,und jeder von uns hat die Möglichkeit, im Zusammenschluß mitanderen ein Kreatives Feld entstehen zu lassen.

Wie wir gesehen haben, führe ich Gedanken Gardners weiterund plädiere für einen Abschied vom überholten Genie-Kult:Nachdem wir nun einige theoretische Grundlagen geklärt haben,die zeigen, daß schöpferische Prozesse eine Funktion des Feldessind, meine ich, die These belegt zu haben, daß Kreativität nichtimmer an ein besonders begabtes und zu früher Meisterschaftgeführtes Individuum gebunden sein muß, das zudem oft mitumfangreichem ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitalausgestattet ist, sondern daß schöpferische Leistungen auchdurch die Kombination von vergleichsweise "durchschnittlich 11 be­gabten Personen mit einer relativ bescheidenen "Kapitalausstat­tung" entstehen können. Den Mangel an früher Meisterschaft,überragendem Talent und Kapital können Sie nämlich durch denZusammenschluß Ihrer begrenzten Einzeljähigkeiten mitgeeigne­ten "Synergieparmern" ausgleichen. Durch den Zusammen­schluß und die Neukombination auch "durchschnittlicher"Fähigkeiten kann dennoch etwas Herausragendes entstehen.

Leider haben sich meisten Kreativitätsforscher bisher überwie­gend mit herausragenden Persönlichkeiten beschäftigt undzudem die genialischen Leistungen dieser Schöpfer fast aus­schließlich der einzelnen Person zugerechnet. Die faszinierteBewunderung, die wir diesen Lichtgestalten und ihren Leistun­gen entgegenbringen hat eine Kehrseite: Mit unserer ehrfürch­tigen Bewunderung heben wir diese Personen oft in den Olympder unerreichbaren Genies und empfinden uns demgegenüberals klein, begrenzt und chancenlos. Wie wir im zweiten Band"Kreative Felder" erkennen werden, liegt diese Überhöhung derHeroen oft an erfolgreichen Selbststilisierungen, aber auch inunserem Bedürfnis nach bewundernswerten Idolen.

Diese Überhöhung schadet allerdings auch den Genies: Nach­dem sie von der Mitwelt zunächst auf einen unerreichbarenSockel gehoben wurden, treten gesetzmäßig die Denkmalstürzerauf den Plan, die allzuoft schockierende Details entdecken, diesie in einem ziemlich getrübten Licht erscheinen lassen unddramatische Denkmalsstürze zur Folge haben. Nicht nur Marx­und Lenin-Büsten wurden von ihren Sockeln gestürzt. Jederkennt auch andere Beispiele: War der Analytiker Bruno Bettel­heim zeitlebens ein mit einem Glorienschein versehenes Vorbildfür Pädagogen, so kamen kurz nach seinem Tode Berichte auf,die ihn in einem sehr zwiespältigen Licht erscheinen ließen: derFreund benachteiligter Kinder ein jähzorniger Prügler und pro­blematischer Vorgesetzter? Oder betrachten wir den genialenPhilosophen Martin Heidegger: Erwies er sich bei näherer Be­trachtung nicht als Mitläufer und Ehrgeizling?

Wie erklärt sich diese Diskrepanz zwischen unseren naivenGeniekulten und den ernüchternden Desillusionierungen? DieTendenz, Genies vom Sockel zu stürzen, ist eine Ausgleichsfunk­tion des sozialen Feldes. Jede Extremposition im Feld bringtsofort die Gegenkräfte ins Spiel. Zudem sind die posthumen Ent­larvungen nur die Kehrseite der vorangegangenen Glorifizierun­gen. Letztendlich erweist sich der Geniekult als eine besondereForm unseres Bedürfnisses nach Selbsttäuschung. Die Wirklich­keit ist zu schnöde, als daß wir sie ertrügen. Wir malen lieberromantisierende Glorienbilder. als uns der ernüchternden An­strengung eines realistischen Menschenbildes zu unterziehen.

Doch die Wirklichkeit konfrontiert uns immer auch mit der ba­nalen Tatsache, daß es keine überragenden Leistungen ohne einentsprechendes (oft ausgebeutetes) soziales Unterstützungssy­stem gibt. Man denke dabei nur an das Beispiel Brecht. DerLite­raturwissenschaftler John Fuegi versuchte 1994 mit der publi­kumswirksamen These .sex for text" den genialen Poeten vomSockel zu stürzen. Seine bewunderten Werke seien letztlichSchöpfungen seiner in mehrfacher Hinsicht ausgebeuteten Mitar­beiterinnen. Sabine Kebir (1997) hat jedoch in einer klugen Ana­lyse diese Vorwürfe zurückgewiesen und deutlich gemacht, daßBrecht eine kollektive Arbeitsweise entwickelt hat, die es seinen

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Mitarbeiterinnen erst ermöglichte, im Team ihre kreativenPoten­tiale in einer Intensität zu erschließen, die ihnen allein unmög­lich gewesen wäre. Ihre Untersuchung zeigt aber auch, wie sehrdie Verlage daran beteiligt waren, am Mythos des herausgehobe­nen Genies zu stricken und die Leistungen des Kreativen Feldes,den Anteil seiner Mitarbeiterinnen zu unterschlagen.

Mein Plädoyer für die Abschaffung des unangemessenenGeniekultes bedeutet letztlich nichts anderes, als den Versuch,ein realistisches Menschenbild, ohne Grandiositäts- und All­machtsphantasien zu entwickeln und eine Besinnung auf unse­re wahre Stärke als menschliche Spezies zu fördern: Gemeinsamin einem gleichberechtigten Team sind wir stark. Jeder kannetwas zu kreativen Durchbrüchen beitragen, wenn er bereit ist,nicht nur sein Bestes zu geben, sondern sich seinen Schwächenzu stellen und sie durch Partner ausgleichen zu lassen. Das, waswirim nachhinein als Genie phantasieren, erweistsichbei nähe­rer Betrachtung als eine Person im Feld, die über besondereFührungseigenschaften verfügt. Sieist so etwas wie ein Kristal­lisations- bzw. Verdichtungskern, der die im Feld vorhandenenFähigkeiten bündelt und in eine Form bringt.

Ichvertrete die These, daß - unter bestimmten Bedingungen ­in fast jedem von uns die Fähigkeit zu überdurchschnittlichenkreativen Leistungen vorhanden ist; daß also - wie wir bereitsmit der optimistischen Vision Robert Jungks erfahren haben ­in jedem von uns mehr steckt, als wir wissen; daß es möglichist, unsere verborgenen Schätze zu heben, wenn wir geeigneteBeziehungsfelder schaffen. Wir werden alle davon profitieren.Oder um es nüchterner auszudrücken:

Die Naturist - wiees der Vordenker des "vernetzten Denkens",Frederic Vester, einmal ausgedrückt hat, ein Erfolgsunterneh­men. Es hat in Millionen Jahren nicht pleite gemachtund funk­tioniert besser als alle von den Menschen erfundenen Systeme.Ihre überragende Leistung beruht auf dem Synergiefaktor, aufdem koordinierten Zusammenwirken vergleichsweise einfacherTeile, deren Zusammenwirken erst die von uns bewunderte Kom­plexität hervorbringt. Das Synergieprinzip erweist sich als einübergreifendes Erfolgsprinzip komplexer Systeme.

Überträgt man diesen Gedanken auf das Entstehen kreativerProzesse, dann wird deutlich, daß vom Feld losgelöste Kreati­vität eher unwahrscheinlich ist. Die ausschließliche Fixierungauf kreative Genies führt uns in eine Sackgasse, denn - wie iches mit Argumenten Binnigs eingangs beschrieben habe - Krea­tivität ist ein kollektives Phänomen, Ergebnis einer geeignetensozialen Mischung, eines in bestimmter Weise konfiguriertenKreativenFeldes. Ähnlichwiebeim Zusammenschluß von Perso­nalcomputern mit begrenzter Rechenleistung, wodurch komple­xere Leistungen möglich werden, sind auch durch den Zusam­menschluß von Personenmit begrenzten, aber sich ergänzendenFähigkeiten sehr weitgehende Leistungssteigerungen möglich.Daselbst die Gehirne der "beschränktesten" Geister um ein Viel­faches komplexer sind als die Leistungen hochentwickelterComputer, gibt es Anlaß zu der Hoffnung, daß nicht nur diezur Zeit wieder einmal propagierte Elitenbildung, sondern auchSynergiebildung schöpferische Spitzenleistungen hervorbringenkann.

Einwichtiger Einwand ist noch auszuräumen. Manche Autorensprechen von der "Teamlüge" und beschreiben damit die fru­strierende Erfahrung scheiternder Teams, in denen sich die Egosgegenseitig behindern. Natürlich gibt es eine Vielzahl von Pseu­doteams, die unter fremdbestimmtenZielsetzungen von Firmen­leitungen zwangsrekrutiert werden. Die Egos solcher Zwangs­teams blockieren sich häufig gegenseitig, weil sie nicht ihrerinneren Berufung folgen und über keine gemeinsam geteilte Vi­sion verfügen. Mit der Einrichtung von Zwangsteams schaffenwir oft anti-kreative Felder und verringern die Bereitschaft zurZusammenarbeit. Diese Teams funktionieren nicht, weilin ihnenkeine Bewußtheit über den Feldcharakter von gemeinsamenSchöpfungsprozessen existiert.

Wenn wir aber damit beginnen, den Ort der Kreativität aktivzu gestalten, dann müssen wirüber günstige Feldfaktoren nach­denken. Und wenn wir davon ausgehen, daß Kreativität eineFunktion des Feldes ist (oder wie Bourdieu sagen würde: ein Ef­fekt des Feldes), dann bedeutet dies, daß wir lernen sollten, ge­eignete Felder (d.h. "Orte der Kreativität") zu finden oder zu

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.~ konstruieren, in denen wir auch mit unseren begrenzten Fähig-e~ keiten kreativ sein können. Hier haben wir einen großen Nach-E holbedarf nicht nur in unseren persönlichen Beziehungen, son-g dern auch in unseren sozialen Organisationen, in Institutionen

'ClCIl und Firmen.:E::;: MeineUntersuchung hat eine Vielzahlvon Hinweisen gegeben,

,Q< die Sie schon jetzt umsetzen können. Ziel des vorliegenden, er-:g, sten Bandes war es, wesentliche Grundlagen zu beschreiben. Im....] zweiten werde ich ausgehend von dieser Basis Grundtypen von~ Kreativen Feldern praxisbezogen beschreiben. Von der Paar-e Kreativität, über Team-Kreativität, Netzwerk-Kreativität und di-~ gitale Kreativität im Cyberspace bis hin zur Zukunftswerkstatt,Il:i Future Search Conference, Perfeet Product Search Conference,

Open Space Technology, Erfolgsteam-Konzept und Dialog-Grup­pen werden dort praxiserprobte Verfahren zur Schaffung vonKreativen Feldern vorgestellt. Dieser zweite Band wird den mitmeinen bisherigen Ausführungen eingeleiteten Abschied voneinern individualisierten Leistungsbegriff und vorn überholtenGenie-Kult praktisch wenden und zeigen, daß es relativ einfa­che Möglichkeiten gibt, ungenutzte kreative Potentiale in Bil­dungsinstitutionen, Firmen und vielfältigen gesellschaftlichenFeldern freizusetzen.

Wenn wir uns die oft überraschend unspektakuläre Basis vielerkreativer Leistungen anschauen, dann werden wir erkennen,daß wir alle durchaus etwas tun können, um mit unseren ver­gleichsweise bescheidenen Fähigkeiten Erstaunliches zu errei­chen. In jedem von uns steckt mehr, als wir wissen, und in denFeldern, in denen wir uns bewegen, hält sich ein schier uner­schöpfliches, ungenutztes kreatives Potential verborgen. Wirbeginnen gerade damit, zu lernen, wie wir es erschließen kön­nen.

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12s.......I

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111....s::.c"'"....CUt!CU

E:CUel'Clz

160

AUan,Paul 42,126Beatles 41-42,59,91, 107,

110, 126, 131, 138Beauvoir, Simone de 17, 45Beck, Ulrich 29, 33Bennis, Warren 17,80,94,

107,126-127,130Berendt, JoachimErnst

77-78Bettelheim, Bruno 149Biberti, Robert 8-12, 25,

35,91,93, 107, 127-128,135,147

Binnig, Gerd 29, 151Bohm, David 46, 125Bootz, Erwin 9,11,19,25,

42,93, 107, 127-128, 132,147

Bourdieu, Pierre 50-51,82-85, 96, 102, 136, 151

Brecht, Bertolt 75,87,107,131, 135, 149

Brodbeck, Karl-Heinz 94,104, 117

Bruno, Giordano 98Buber, Martin 124Burow, Olaf-Axel 20, 30, 36,

41, 59, 71, 90, 95, 98,109, 122, 138

Buzan, Barry 61Buzan, Tony 61Camara, Dom Helder 121Ghaplin, Charlie 58-60Collin, Erich 11-12, 147Gomedian Harmonists

11-14, 19, 25, 29, 35,42,67, 76, 91, 93, 107, 110,

123, 125, 127-128,131-132, 134-135, 147

Copei, Friedrich 115Csikszentmihalyi, Mihaly

37,41, 79,81, 8~ 87-88,106, 108, 114-116,118-119, 133

Cummings, A. 23-24, 93,119

Cycowski, Roman 11-12,147

Dewey, John 4Dostojewski, Feodor 57Duff, Christopher 39-40Einstein, Albert 14,37,40,

43-44, 80, 87Elias, Norbert 116Eliot, Thomas Stearns 44Epstein, Brian 91, 126, 138Feuchtwanger, Lion 87, 107Foerster, Heinz v. 111-113,

125, 141Freinet, Celestin 119, 130Freud, Sigmund 14, 37,44,

86Fromm, Erich 86Frommermann, Harry 7-13,

16, 19, 23, 25, 42, 58-60,67,76,80,93,107,126-129, 132, 137, 147

Fuegi, John 149Galenson, David 39-40Gandhi, Mahatma 37, 40, 44Gardner, Howard 37-45, 50,

59, 75, 87,96,118,133,143, 148

Gates, Bill 42, 126

Goleman, Daniel 60Graham, Martha 37, 44Heckhausen, Heinz 115Heidegger, Martin 149Horgan, John 18Imai, Masaaki 133Jobs, Steve 42,59, 107,

126, 137Jungk, Robert 65, 121-122,

150Kahl, Reinhard 142Kao,John 18,20-23,25Kebir, Sabine 132, 149KeUy, Kevin 51, 112Kuhn, Thomas 44-45,96Laue, Max von der 111Lenin, Wladimir Iljitsch 149Lennon,John 13,17,41,

91, 93Leschnikoff, Ari 11-12,

107, 147Lewin, Kurt Tsadek 51-58,

61-62,65,67,69-70,72,76,80, 88, 91, 110, 114,123, 136, 139

Lilienthal, OUo 78Lozanov, Georgi 92Lück, Helmut 52-53, 55-58,

70, 73-74Martin, George 13, 126, 138Marx, Karl 149McCartney, Paul 41, 93Mead, Margaret 142Montessori, Maria 115,119,

130Moreno, Jakob 61

Negt, Oskar 35-36Neumann-Schänwetter,

Marina 122Newton, Isaac 54Oldham, G. R. 23-24, 93,

119Parker, Charlie 23Perrow, Charles 143Picasso, Pablo 37, 39-40,

81,87Planck, Max 111Pöppel, Ernst 26ReveUers 7, 76Rogers, Carl 130Rossum, Walter 45Salk, Jonathan 26Sartre, Jean-Paul 17,33,45Steinberg, Leo 40Steiner, Theodor 7, 10Strawinsky,Igor 37,43-44,

75,81Stumpf, Carl 53SuUoway, Frank 59Teilhard de Chardin, Pierre

77Trocchio, Federico Di 18-19Turner, Tina 29Vester, Frederic 150Watzlawick, Paul 118Wheatley, Margaret J. 48,

51,54,121Willi, Jürg 124Wlassak, R. 56Wozniak, Stephen 42, 107,

126,137Yoko Ono 17

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161

~ Der vorliegende Text ist ein Beleg für die Gültigkeit meinerg, Theorie des Kreativen Feldes.Angeregt durch die jahrelange Lei-rtIJ2 tung von Zukunftswerkstätten, Zukunftskonferenzen und Krea-c~ tivtrainings entstand allmählich die Idee zu diesem Buch.

Wenngleich ich der "Schöpfer" dieses Textes bin, so ist seineEntstehung doch undenkbar ohne die zahlreichen Anregungenvon Freunden und Kollegen.In der Tathabe ich von einem Krea­tiven Feldprofitiert, das ich zusammen mit anderen in den letz­ten Jahren geschaffen habe. Hervorheben möchte ich die Dis­kussionen mit den Mitgliedern unseres Instituts für Synergieund soziale Innovationen (ISI), insbesondere Dr. Heinz Hinz,Jörg Lechner und Dr. Alfred Messmann. Weiter erhielt ich wich­tige Hinweisedurch Prof. Dr, Heinrich Dauber. Der SchriftstellerJens Johler sorgte mit seiner Kritik an meiner zeitweise aus­ufernden Zitatensammlung dafür, daß ich die Herausforderungannahm, mich auf Wesentliches zu beschränken.

Nicht vergessen werden darf meine langjährige Partnerin Bri­gitte Delius-Voigt, die den spannungsreichen Schreibprozeßaufmunternd und kritisch begleitete.

Besonders hervorzuheben ist die ausgezeichnete Lektoratsbe­treuung durch den Klett-Cotta-Verlag. Ließ sich Eberhard Rath­geb von dem umfangreichen Ursprungsmanuskript nicht ab­schrecken und sorgte mit seinen Hinweisen für eine sinnvolleKonzentrierung, so begleiteten Dr. Bernhard Roll, Holger Hei­mann und Dr. Johannes Czaja die akribische Bearbeitung derDetails. Hannelore Ullrich sorgte für Korrekturen und die Ge­staltung.

Ich möchte auch all denen danken, die ich hier nicht erwäh­nen konnte, weil die Liste dann zu lang gewordenwäre oder weilich ihren Beitrag schlicht übersehen habe. Ich bin mir bewußt,daß viele, mit denen ich in den letzten Jahren gearbeitet habe,einzelne Mosaiksteine zum Gesamtbildbeigetragen haben.

162

Das Institut für Synergie und soziale Innovationen ist ein Aus­bildungs- und Forschungsinstitut, das sich mit der Weiterent­wicklung der Theorie und Praxis Kreativer Felder beschäftigt.

Informationen über:[email protected]: http://www.uni-kassel.de/-burow

163

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Stuttgart 1999AUe Rechte vorbehalten

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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Burow, Olaj-Axel:Die IndividualisierungsfaUe : Kreativität gibt es nur im Plural /

Olaf-Axel Burow. - Stuttgart : Klett-Cotta, 1999.ISBN 3-608-91977-5