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Organisation der Regulierung - Regulierung der Organisation

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Matthias Kussin

Organisation der Regulierung – Regulierung der Organisation

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Matthias Kussin

Organisation der Regulierung – Regulierung der Organisation Zum erweiterten Fokus internationaler Bankenaufsicht

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1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Katrin Emmerich / Marianne Schultheis

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-16275-1

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Zugl. Dissertation an der Universität Bielefeld, 2008

Für Sarah

Gefördert von der VolkswagenStiftung

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Inhalt

Vorwort ............................................................................................9

I Einleitung ..................................................................................11

II Kontinuitäten.............................................................................27

1 Organisation und Gesellschaft ........................................................... 28 1.1 Zur Trivialität von Bankorganisationen in der

„Organisationsgesellschaft“..........................................................................28 1.1.1 Zur fehlenden Differenz von Bankorganisation und

Bankensystem ....................................................................................32 1.1.2 Zur ‚Einebnung’ innerorganisationaler Differenzierung.....................39 1.1.3 Grenzen der Entdifferenzierung..........................................................42

1.2 Multireferenz und Emergenz – Bankensystem und Banken in der Systemtheorie ..............................................................................................43 1.2.1 Das Bankensystem als selbstreferentielles

gesellschaftliches System....................................................................46 1.2.2 Organisationen als emergente Sozialsysteme .................................... 52

2 Komplexität, Kontingenz und Risiko ................................................ 58 2.1 Leistungen und Funktionen formaler Organisationen...................................59

2.1.1 Exkurs: Erwartungssicherung und Vertrauenskonstitution in der Vormoderne ..................................................................................61

2.1.2 Bearbeitung von Komplexität durch Organisationen..........................73 2.1.3 Interdependenzunterbrechung und Risikoverarbeitung durch

Organisationen ....................................................................................82 2.2 Herausforderungen und Risiken organisationaler Komplexität ....................90

2.2.1 Zur Ambivalenz von Technik .............................................................93 2.2.2 Zur Riskanz von struktureller Kopplung.............................................97

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6 Inhalt

3 Regulierung und Integration ............................................................ 103 3.1 Zur gesellschaftlichen Funktion und Verankerung der

Bankenaufsicht ...........................................................................................104 3.1.1 Zur Bedeutung von Erwartungsbildung und -stabilisierung .............105 3.1.2 Zur Bedingung der Möglichkeit von Erwartungsbildung

und -stabilisierung.............................................................................111 3.2 Zu Begriff und Bedeutung gesellschaftlicher Integration ...........................118

III Diskontinuitäten ......................................................................123

4 Die Konstitution internationaler Aufsicht........................................ 125 4.1 Zur Institutionalisierung eines internationalen

Bankenregulierungsregimes........................................................................127 4.2 Zur kommunikativen Selbstpositionierung des Baseler Komitees..............130

5 Die Globalisierung (in) der Weltgesellschaft .................................. 142 5.1 Zur Koevolution moderner Staatlichkeit und

transkontinentaler Weltwirtschaft ...............................................................144 5.2 Zur Entfaltung von Informations- und Kommunikationstechnologien.......167

5.2.1 Der Primat der Ökonomie.................................................................170 5.2.2 Entbettung und Integration ...............................................................175

5.3 Zum Aufstieg multinationaler Wirtschaftsorganisationen .........................179 5.3.1 Transformation von Interaktion und Organisation............................182 5.3.2 Transformation von Gesellschaft ......................................................192

6 Die Dynamisierung von Innovation und Risiko .............................. 195 6.1 Globalisierung und Finanzwirtschaft als Beförderer von

Innovationsprozessen..................................................................................196 6.2 Risiken und Gefahren einer globalisierten Finanzökonomie ......................201 6.3 Zwischenfazit. Folgerungen für das politische System...............................210

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Inhalt 7

IV Paradigmen .............................................................................213

7 Zur Herausbildung internationaler regulatorischer Wissensordnungen........................................................................... 217 7.1 Die Baseler Rahmenwerke ‚verstehen’ – zum methodischen Ansatz.........217 7.2 Die Regulierung des Kapitals und seiner Messung – Basel I .....................223

7.2.1 Basel I – Titel und „Einleitung”........................................................225 7.2.2 Basel I – Das „Konzept“ ...................................................................239

7.3 Die Regulierung der Organisation und ihrer Prämissen – Basel II .............247 7.3.1 Basel II – Titel und „Einleitung” ......................................................249 7.3.2 Basel II – Die erste „Säule“ ..............................................................261 7.3.3 Basel II – Die zweite „Säule“ ...........................................................270

7.4 Zwischenfazit und Ausblick .......................................................................290

8 Zur Implementierung von Basel II................................................... 298 8.1 Wandlungsprozesse politischer Bankenaufsicht 1 –

der Fall ‘Deutschland’ ................................................................................300 8.1.1 Die Gärtner des „Zahlenfriedhofs“ – ein Blick zurück .....................300 8.1.2 „Ein Sprung ins kalte Wasser“ – der Weg nach vorn .......................306

8.2 Wandlungsprozesse politischer Bankenaufsicht 2 – der Fall ‘USA’ ..........317 8.2.1 ”These guys are bullshitting me“ – beeing ”on site“ ......................317 8.2.2 ”Lots of enhancements” – being under the ”umbrella“.....................323

8.3 ”The grey zone will never disappear“ – Herausforderungen ‚angemessener’ Aufsicht.............................................................................326 8.3.1 Von der Routine zur Relationierung .................................................328 8.3.2 Von der Segmentierung zur Vernetzung...........................................333

V Fazit und Folgerungen ............................................................341

Literatur........................................................................................364

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Vorwort

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Mai dieses Jahres an der Fakultät für Soziologie der Univer-sität Bielefeld angenommen wurde. Inhaltlicher Ausgangspunkt der Studie sind dabei Forschungsarbeiten, die im Rahmen des Projektes ”Regulatory Innovation through collective Intelligence?“, von der VolkswagenStiftung gefördert, am Institut für Weltgesellschaft der Universität Bielefeld durchgeführt wurden.

Ohne die Hilfe und Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen sowie verschiedener Institutionen wäre die Fertigstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen. Ich bin deshalb zu großem Dank verpflichtet: meinen beiden Gutach-tern, Helmut Willke und Veronika Tacke, für die konstruktive und hilfreiche Betreuung des Promotionsprojektes; Sven Kette, Torsten Strulik, Alexandra Hessling sowie vielen weiteren Kollegen an der Faktultät für die fruchtbaren Gespräche und kritische Kommentare zu den verschiedenen Textentwürfen im Laufe des Entstehungsprozesses; Tim Sinclair für Anregungen und Einschätzun-gen aus politökonomischer Perspektive; Andreas Leutzsch für die Durchsicht der historischen Passagen; Matthias Übelhör/Hauser für die Spiegelung der ökono-mischen und finanzwirtschaftlichen Facetten der Arbeit; der "Sekte" (Sascha Dickel, Marc Mölders, Janina Schirmer, David Kaldewey und Kai Buchholz) für die Ausdauer bei der hermeneutischen Interpretation der relevanten Regulie-rungstexte; der ‚Friedrich-Naumann-Stiftung-für die Freiheit’ für die Gewährung eines Promotionsstipendiums sowie dem ‚EU Garnet-Network of Excellence’ für die finanzielle Unterstützung meines Forschungsaufenthaltes am ‚Center for the Study of Globalisation and Regionalisation’ der University of Warwick.

Schließlich danke ich vor allem meiner Familie und meiner lieben Sarah Thabet für Rückhalt und Verständnis in dieser Zeit, die für uns alle nicht immer einfach war. Ich hoffe, dass es sich gelohnt hat.

Hamm im Juli 2008 Matthias Kussin

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I Einleitung

Ansätze und Praktiken zur Regulierung des globalen Bankensystems stellen bereits seit einigen Jahren ein viel beachtetes Thema politikwissenschaftlicher aber auch sozialwissenschaftlicher Forschung dar. Insbesondere die Phänomene der Globalisierung des Bankensystems und die Liberalisierung des globalen Kapitalverkehrs haben Fragen nach dem Verhältnis zwischen nationalstaatlichen Aufsichtsbehörden und einer Bankwirtschaft, die in weiten Teilen entterritoriali-siert operiert, virulent werden lassen. Eine weitere wissenschaftliche Betrachtung dieses Forschungsfeldes trotz bereits vorliegender reichhaltiger Analysen ist zunächst vor allem der Veränderungsdynamik des empirischen Feldes geschul-det. Bereits vor dem Ausbruch der jüngsten Finanzkrise im Jahr 2007 haben die Regulierungsbehörden mit einer grundsätzlichen Reform ihrer Aufsichtstätigkei-ten begonnen. So kommt es im Zuge der Implementierung des supranationalen Regulierungsstandards „Basel II“ in den führenden Industriestaaten zu Formen der Bankenaufsicht, die in vielerlei Hinsicht mit bisherigen Regulierungskulturen brechen. Zu Beobachten ist die Entwicklung hin zu einem Modus öffentlicher Regulierung, der nicht mehr allein Zahlen und Bilanzen, sondern zudem auch „Menschen, Prozesse und Systeme“ berücksichtigt. Reguliert werden demnach nicht mehr allein die Ergebnisse bankinterner Abläufe, sondern vielmehr auch die Abläufe selbst. In den Fokus geraten zudem die Kompetenzen einzelner Mit-arbeiter und ihr Verständnis der Arbeitsabläufe. Relevant werden die bankinter-nen Kommunikationswege, die Dokumentation interner Entscheidungsprozesse sowie die Unternehmensentscheidungen als solche.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die zentrale Logik dieses Paradigmen-wechsels zu analysieren und aus einer soziologischen Perspektive die entschei-denden Konsequenzen für die Operationsweise des Bankensystems sowie seine Regulierung in der modernen Gesellschaft herauszuarbeiten. In den wirtschafts- und finanzwissenschaftlichen Arbeiten, aber auch in Politik und Öffentlichkeit sind bisher mit Blick auf Basel II vor allem die Leistungsfähigkeit neuer mathe-matischer Risikomodelle und ihre Auswirkungen auf die Bankenlandschaft so-wie die Gesamtwirtschaft ins Zentrum der Analyse gestellt worden – und auch angesichts der dramtischen Verluste an den Finanzmärkten in der jüngsten Zeit wurden Diskussionen laut, ob die Basel II-Modelle die Krise abgefedert, oder gar befördert haben (z.B. von der Hagen 2008, 28). Dagegen sollen in diesem Text

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12 Einleitung

nun Veränderungen der Regulierung thematisiert werden, die womöglich in noch grundsätzlicherer Weise für einen veränderten Regulierungsstil stehen: einen Regulierungsstil, mit dessen vollständiger Implementierung ein anderer Umgang mit bestimmten Gefährdungslagen ermöglicht wird.

Die zu beobachtende Form der Neuorientierung der Aufsicht ist insbesonde-re vor dem Hintergrund der ablaufenden Globalisierungsprozesse erklärungsbe-dürftig, da wir es mit zwei scheinbar gegenläufigen Entwicklungen zu tun haben. Auf der einen Seite treibt ein globalisiertes Finanzsystem und dem entsprechend auch das Bankensystem als dessen Subsystem seine Entbettung unaufhörlich voran, überwindet Ort- und Zeitgrenzen und gewinnt im Rahmen dieser Ent-wicklung fortlaufend an Binnenkomplexität. Auf der anderen Seite zeichnen sich Regulierungsstrategien ab, die – möglicherweise gerade als Antwort darauf – ein Objekt mit festen Grenzen und formaler Hierarchie ins Zentrum rücken: Die Bank als formale Organisation. Auf den ersten Blick ist die angesprochene Ge-genläufigkeit nicht offensichtlich. Schließlich operieren viele Banken oder Insti-tutsgruppen heute ebenfalls grenzübergreifend, sie unterhalten Filialen, unter Umständen auch verschiedene Abteilungen in verschiedenen Ländern, sind in unterschiedlichen Erdteilen tätig und partizipieren an den Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten. Möglicherweise forcieren international tätige Banken – wie von Vertretern der Internationalen politischen Ökonomie (IPÖ) beschrieben – die Allokation wirtschaftlicher Macht, setzen einen Steuerwettbe-werb zwischen den Staaten in Gang und tragen zur Aushöhlung nationalstaatli-cher Legitimität bei.

Aus Perspektive einer gesellschaftstheoretischen Beschreibung der Organi-sation wird jedoch deutlich: Eine Bank besitzt spezifische Merkmale, die sie bei allem Globalisierungsdrang nicht ablegen kann, will sie nicht aufhören, weiter-hin Organisation zu sein. Als diese verfügt sie über (mindestens) eine Adresse, sie beruft bestimmte Personen als ihre Mitarbeiter auf entsprechende Stellen und stattet sie mit Verantwortlichkeit aus. Sie unterliegt weiter der Notwendigkeit, intern bindende Entscheidungen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu produzieren und sie besitzt die Kompetenz, diese nach außen zu kommunizieren. Auf einer Beaufsichtigung auch dieser Aspekte liegt ein Hauptaugenmerk des neuen Stils der Bankenregulierung: Es geht um die Abläufe „vor Ort“ – und ihre Risiken. Es geht darum, welcher Mitarbeiter mit welcher Kompetenz für welche Prozesse zuständig ist, welche Entscheidungen wann, wie, auf welcher Informationslage getroffen wurden und wer davon unter welchen Umständen in Kenntnis gesetzt wurde.

Damit verändert sich – so unser zentrales Argument – angesichts neuer Herausforderungen die Ausgestaltung der Aufsicht von einer Regulierung des Bankensystems hin zu einer kombinatorischen Regulierungsform von Banken-

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Einleitung 13

system und Bankenorganisationen. Zwar bewegten und bewegen sich Banken seit jeher in einem engen Rahmen rechtlicher Regulierung. In Deutschland sind die Eröffnung und das Betreiben eines Bankinstituts an voraussetzungsvolle Bedingungen geknüpft, die im Gesetz über das Kreditwesen (KWG) formuliert sind. Relevant wurden organisationale Abläufe jedoch erst im Fall des Verdachts von rechtlich relevanten Vergehen. Auch im Bankenaufsichtssystem der Verei-nigten Staaten existieren mit dem so genannten „risk focussed approach“ bereits seit Mitte der 90er Jahre Aufsichtsverfahren, die verschiedenen Empfehlungen aus dem Baseler Rahmenwerk deutlich ähneln (Deferrari/Palmer 2001). Mit der Implementierung von Basel II geht es jedoch um eine Festlegung organisations-fokussierter Regulierungsverfahren im globalen Maßstab zwecks einer Stabilisie-rung des globalen Bankensystems.

Bankorganisation und Bankensystem – Umrisse einer zentralen theoretischen Differenz

Mit der Unterscheidung von Bankorganisation und Bankensystem schließt die Arbeit an die abstraktere systemtheoretische Unterscheidung von Organisations- und Funktionssystem an.1 Zugleich grenzt sie sich damit in ihrem konzeptionel-len Ausgangspunkt von politikwissenschaftlichen Arbeiten ab, die Begriffe von Unternehmen und Kapital nahezu als Synonyme oder zumindest ohne explizite Trennschärfe behandeln2 und damit keine analytische Unterscheidung zwischen dem Finanzsystem und Organisationen aufzeigen können.

Darüber hinaus verlässt die Arbeit zugleich hinsichtlich ihres konzeptionel-len Zuschnitts das in den Sozialwissenschaften vertraute Mikro-/Meso-/Makro Schema, das die Gesamtwirtschaft als Makrostruktur, die Operationen einzelner Banken auf der Mesoebene und beispielsweise das „Verhalten“ einzelner Bank-angestellter auf der Mikroebene beschreiben würde.3 Derartige hierarchische Anordnungen erscheinen – wie deutlich werden wird – nicht hilfreich, um die spezifischen Risikokonstellationen im Bankensystem, auf die mit entsprechend veränderten Formen der Bankenaufsicht reagiert wird, in den Blick zu bekom-men. Stattdessen geht es um die Analyse einer nicht hierarchischen Ko-Evolution zwischen einzelnen Bankorganisationen und dem Bankensystem.

1 Siehe dazu bei Niklas Luhmann (Luhmann 2005g). 2 Darauf wird im Folgenden noch explizit eingegangen werden. Siehe zunächst exemplarisch bei Stephen Gill und David Law oder auch bei Margaret Karns und Karen Mingest (Gill/Law 2004; Karns/Mingst 2004, 360ff.). 3 Siehe zu diesem Schema grundlegend bei James Coleman (Coleman 1994, 6-10). Im konkreten Themenkontext Bankenregulierung arbeitet beispielsweise Andreas Busch mit derartigen Begriff-lichkeiten (Busch 2003, 238)

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14 Einleitung

Diese wird im Kontext der Bankenaufsicht in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Zum einen (1) halten die internen Abläufe von Bankorganisationen Risikopoten-tiale bereit, die sich zu Problemen für das gesamte Finanzsystem entwickeln können. Zum anderen (2) besitzt die Organisation als Sozialsystem Struktur-merkmale, die für die Abfederung finanzsystemischer Krisen eine wichtige Funktion übernehmen (können).

(1) Der Kollaps der britischen Barings-Bank – ausgelöst durch einen einzel-nen leitenden Angestellten, der ohne Rücksprache mit der Geschäftsführung über lange Zeit riskanten Börsenspekulationen nachging – hat aufgezeigt, in welcher Weise die (kriminellen) Handlungen eines Mitarbeiters die älteste Bank Eng-lands zur Geschäftsaufgabe zwingen und die globalen Finanzmärkte in Aufruhr versetzen kann. Diese Konstellation ist kein singuläres Phänomen des Finanzsys-tems. Als vergleichbar prominente Fälle, die ähnlich gelagert sind, können si-cherlich die Spekulationsaffäre der WestLB im Jahre 1998 oder die Skandale der Société Générale zu Beginn des Jahres 2008 gesehen werden.4

Auch bei diesen Vorgängen eröffneten mangelnde Transparenz und fehlen-de Kontrollen die Möglichkeit zu nicht-legalen Aktivitäten, die im Zuge ihre Aufdeckung zu sektorübergreifenden Erschütterungen des Wirtschaftsgesche-hens führten und zudem Irritationen im politischen System auslösten. Die Fälle Barings, WestLB oder auch Société Générale geben einen Hinweis darauf, dass wirtschaftliche Kennziffern als Kontrollindikatoren nicht unbedingt ausreichen, um das Risiko des „menschlichen Faktors“ auszuschalten. Dabei muss es sich nicht allein um Vorgänge handeln, die als kriminelle Handlungen in Form von Betrugsfällen oder als nicht autorisierte Handlungen begriffen werden.

Darüber hinaus können in diesem Zusammenhang auch Risiken angeführt werden, die in vielen Kontexten unter dem Begriff des menschlichen Versagens5

geführt werden. Insbesondere im Zuge der Digitalisierung und der weltweiten Vernetzung der Finanzmärkte enthalten auch kleinteilige Arbeitsschritte ein hohes Maß an Krisenpotentialen. So musste im Dezember 2005 der Vorstand der Börse Japans zurücktreten, allein, weil einem Händler an der dortigen Börse ein „Tippfehler“ unterlaufen war. Dieser konnte jedoch nicht mehr in ausreichender Zeit revidiert werden und löste schließlich ein Computerversagen aus, das zu chaotischen Szenen auf dem Börsenparkett führte. Der daraus resultierende

4 Im Falle der WestLB brachtet die Londoner Investmentbankerin Robin Saunders durch Risikoge-schäfte, die bis 2003 etwa 1,7 Milliarden Euro kosteten, an den Rand der Liquidität und führte zur Ablösung des Vorstandschefs Sengera. (Meiritz 2008). Das französische Finanzinstitut Société Générale musste gar einen Verlust von 4,9 Milliarden Euro verkraften, die durch die riskanten Trans-aktionen des Händlers Jérome Kerviel entstanden waren (O.A. 2008; Zydra 2008). Die Konsequen-zen sind in diesem Fall noch nicht absehbar. 5 Aufschlussreich ist in diesem Kontext eine psychologische Einordnung des Begriffs (Dörner 2003).

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Einleitung 15

Schaden belief sich auf einen neunstelligen Betrag (O.A. 2005c). Im Zuge des vermehrten Einsatzes von Informationstechnologien und ihrer globalen Vernet-zung zeigen sich neue Risikoquellen, deren Schadenspotential organisationsge-fährdende Ausmaße annehmen kann (Rossnagel/Wedde/Hammer/Pordesch 1989). Organisatorische Abläufe halten damit ein Risikopotential bereit, das zu den originären Risiken des Finanzsystems hinzukommt und deren Vermeidung durch die Analyse der Geschäftszahlen allein schwerlich verhindert werden kann.

(2) Organisationen und ihre Prozesse geraten jedoch nicht allein in den Fo-kus der Aufsicht, weil sie Gefährdungen des Finanzsystems erzeugen können. Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass sich in ihren Strukturen Potentiale auftun, um genuine Risiken des Finanzsystems zu verhindern oder zumindest abzuschwächen. Gemeint sind Risiken, die sich mit der Entbettung des Finanz-systems aus nationalstaatlichen Kontexten und der damit einhergehenden Entte-ritorialisierung des Finanzsystems (O'Brian 1992) konstituiert haben. Bis in die siebziger Jahre hinein war das globale Bankensystem weitestgehend in national-staatliche Subeinheiten segmentiert, was gleichfalls eine Stabilität und Effektivi-tät der nationalen Aufsichtsregime ermöglichte. Zwar waren in diesem System verschiedene Banken international tätig. Eine multinationale Form der Ge-schäftsaktivitäten war vor dem Bretton-Woods-System jedoch nicht zu verzeich-nen (Dale 1985, 1-20).6 Auf diese Weise wurden zum einen Möglichkeiten (fi-nanz-)wirtschaftlicher Entwicklung limitiert. Zum anderen wurde jedoch auch die Ausbreitung internationaler Finanzkrisen nahezu unmöglich gemacht. Natio-nalstaatliche Grenzen dienten gewissermaßen als Pufferzonen, die ein Über-springen der Bankenkrise in einem Land auf ein anderes verhinderte, oder zu-mindest verzögerte.

Heute steht dieser Stoppmechanismus nicht mehr zur Verfügung. Die Fi-nanzströme können sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nahezu ohne politisch auferlegte Beschränkungen bewegen und dabei allein der Logik des Finanzsystems auf Basis der Unterscheidung von Investment/Nicht-Investment folgen (Willke 2005a, 23). Die Asienkrise am Ende der 90er Jahre aber auch die Bankenkrisen in Südamerika haben bereits angedeutet, in welcher Weise Krisen Ländergrenzen passieren und sich auf Regionen ausbreiten können.7 Möglicher-weise lieferten sie einen Vorgeschmack auf Ereignisse, die auch für den globalen Kontext nicht mehr auszuschließen sind. Verstärkt wird diese Entwicklung durch

6 Unbestritten ist, dass es bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts so etwas wie eine europäische Hochfinanz gab, die supranational agierte. Jedoch war auch diese in hohem Maße von politischen Konstellationen abhängig und kann somit hinsichtlich ihrer operativen Autonomie nicht mit multina-tionalen Unternehmen verglichen werden (Polanyi 1977). 7 Siehe dazu bei Athur Wilmarth (Wilmarth 2004, 80).

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16 Einleitung

Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnologie, die den weltweiten Transfer von Daten und damit auch Zahlungen nahezu ohne Zeitver-lust ermöglichen. Auf der einen Seite wird durch diese Form der Entgrenzung die Leistungsfähigkeit des Finanzsystems vorangetrieben. Die Entwicklung neu-er Finanzinstrumente und ihre weltweite Distribution schaffen zudem beachtli-che Möglichkeiten für Investitionen sowie eine weitere systeminterne Ausdiffe-renzierung. Auf der anderen Seite hat diese Form der Ausdifferenzierung das System verwundbarer für die Entstehung und Ausbreitung so genannter System-risiken gemacht. Diese Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht mehr nur einzelne Komponenten eines arbeitsteiligen, mechanistischen Zusammen-hangs betreffen. Stattdessen handelt es sich um Risiken, die durch die Vernet-zung verschiedener Elemente eine Destabilisierung des gesamten Systems her-vorrufen können. Dadurch ergeben sich Folgen für die Operationsweise eines Systems insgesamt (Hellwig 1997, 126). Weder der Entstehung noch der Aus-breitung dieser Risiken kann mit linearen Modellen und anderen Formen wahr-scheinlichkeitstheoretischen Risikomanagements wirkungsvoll begegnet werden.

In den Finanzwissenschaften sind bis heute immer wieder Stimmen zu ver-nehmen, von denen gefordert wird, diese Risikopotentiale durch eine (partielle) Re-Territorialisierung abzuschwächen. Eines der bekanntesten Beispiele stellt zweifellos das Konzept der so genannten „Tobin Steuer“ dar, das auf den ameri-kanischen Wirtschaftswissenschaftler James Tobin zurückgeht. Grundgedanke dabei ist es, durch eine weltweit erhobene Steuer „Sand ins Getriebe“ des inter-nationalen Finanzsystems zu streuen (Eichengreen/Tobin/Wyplosz 1994, 164). Durch eine Steuer auf internationale Devisengeschäfte soll die hohe Volatilität und damit auch die Krisenanfälligkeit des Systems eingeschränkt werden und nationale Politiken dazu wieder Möglichkeiten einer langfristigen Geldpolitik erhalten. Die kritische politische Ökonomie macht deutlich, dass der Finanzsek-tor auf diese Weise durch das Politische zu sichern sei, da es sich um ein öffent-liches Gut handele (Huffschmid 2002, 257). Eine Entwicklung in Richtung Re-Territorialisierung scheint nach derzeitigem Stand jedoch nicht absehbar. Statt-dessen zeichnen sich – wie in den Kapiteln 7 und 8 analysiert wird – Formen der Regulierung ab, die in spezifischen Charakteristika der Organisation ein funktio-nales Äquivalent zu politischen Grenzen sehen.

Gesellschaftstheoretisch gewinnt die Bedeutung organisierter Sozialsysteme dann an Plausibilität, wenn wir die dargestellte Entwicklung der Risikokonstella-tionen auf die verschiedenen Operationslogiken von Organisations- und Funkti-onssystem rückbeziehen. Das Finanzsystem operiert als Funktionssystem auf der Basis und nur auf der Basis seines systemeigenen Codes. Gefährdungen und negative Externalitäten für andere Gesellschaftsbereiche werden diesem Ver-ständnis nach nur in selektiver Weise – nämlich wiederum auf Basis der eigenen

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Einleitung 17

Unterscheidung – reflektiert.8 Helmut Willke macht deutlich, dass im Kontext der weltweiten funktionalen Ausdifferenzierung von Systemen dies zum Prob-lem werden kann. So bezeichnet er diesen Umstand als „Einäugigkeit der Zyklo-pen“. Funktionssysteme operieren insofern einäugig, als das eine gesamtgesell-schaftliche Reflexion ihrer Operationen noch weniger möglich ist, nachdem sie sich aus nationalstaatlichen Kontexten gelöst haben (Willke 2001a). Insbesonde-re im Kontext des Finanzsystems erscheint eine daraus resultierende mangelnde Einbindung in andere gesellschaftliche Prozesse problematisch, da die damit verbundenen Risiken beträchtliche gesellschaftliche Externalitäten erzeugen und somit Krisen in Politik und Gesellschaft auslösen können.9

Die den Funktionssystemen zugesprochene Einäugigkeit ist dagegen für Organisationen nicht unbedingt charakteristisch, da diese immer auch in ver-schiedene gesellschaftliche Kontexte eingebunden sind und in ihrer internen Ausgestaltung bereits unterschiedlichen Logiken folgen. Argumente für die Ei-genkomplexität unseres empirischen Forschungsgegenstands, der Bankorganisa-tion, und einer damit zusammenhängenden Orientierung an verschiedenen Rati-onalitäten, deuten sich bereits in der Bankbetriebslehre selbst an. So wird in diesem wissenschaftlichen Kontext beispielsweise zwischen „dem liquiditätsmä-ßig-finanziellen Bereich“ und dem technisch-organisatorischen Bereich unter-schieden (Büschgen/Börner 2003; Deppe 1969, 21). Während es sich beim ersten Bereich um „monetäre Faktoren“ und den Aspekt der „Zahlungsnutzung“ han-delt, mit denen „Wachstum und finanzielles Gleichgewicht angestrebt werden, umfasst der technologisch-organisatorische Bereich die „Hilfsmittel“, die zur Bearbeitung und Abwicklung erst notwendig sind (Deppe 1969, 22f.). Aufgrund von Strukturveränderungen im Bankengeschäft ist sogar davon auszugehen, dass ein störungsfreies Zusammenwirken „nichtmonetärer Einsatzfaktoren“ für den „Erfolg und die Existenzsicherung des Bankbetriebes zunehmend an Bedeutung“ gewinnt (Gebauer 1990, 73).

Organisationen und daher auch Bankorganisationen sind ebenso nach einer soziologisch-systemtheoretischen Beschreibung – und dann vor allem aufgrund der bereits aufgezeigten Charakteristika formaler Organisation – keinem Auto-matismus des „Investments“ unterworfen, wie es für das Finanzsystem gilt. Stattdessen reproduzieren sich Organisationen als autonome Systeme auf der

8 Diese selektive Wahrnehmung wird beispielsweise in dem Umstand deutlich, dass das Finanzsys-tem sowohl für Transaktionen von Microsoft und Coca Cola, gleichzeitig aber auch für die von AlQuaida offen ist. Das politische, aber auch das Rechtssystem stehen bislang noch vergleichsweise hilflos dem Umstand gegenüber, dass sich der Topterrorismus der Dynamik der internationalen Finanzmärkte bedient und bedienen kann. Siehe dazu auch (Schneider 2004a). 9 Niklas Luhmann vergleicht bereits die Risikopotentiale des Wirtschaftssystems mit denen des ökologischen Systems (Luhmann 1991c).

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Basis von Entscheidungen. Diese können sich zwar in ihrer Präferenz am Code von Investment/Nichtinvestment mit der Präferenz für Investment orientieren. Ein Determinismus ist jedoch – wie später auch in Abgrenzung zur vorherr-schenden soziologischen Meinung gezeigt werden soll – nicht gegeben. Zwar ist nicht abzustreiten, dass die Gewinnorientierung einen zentralen, wenn nicht denzentralen Orientierungsgesichtspunkt von Banken darstellt. Dennoch können Banken dies nicht in einer Rücksichtslosigkeit betreiben, wie es für den Operati-onsmodus des Funktionssystems gilt. Plausibel wird diese Konstellation mit Blick auf den Umstand, dass Organisationen – wie auch in bankbetriebswirt-schaftlichen Studien thematisiert – in viele weitere Kontexte eingebunden sind. Sie unterhalten Rechtsabteilungen, die immer auch den Code Recht/Unrecht in Betracht ziehen. Sie betreiben Produktentwicklung, die auf wissenschaftliche Wahrheit, vor allem aber auf technische Machbarkeit rekurrieren. Und sie betrei-ben möglicherweise auch Öffentlichkeitsarbeit, wofür ein Rekurs auf den mas-senmedialen Code von Information/Nichtinformation eine Voraussetzung dar-stellt. Damit offenbart sich die Ambivalenz organisationaler Prozesse mit Blick auf das Risiko der Ausbreitung von Krisen im Finanzsystem. Auf der einen Seite können viele organisationale Vorgänge auf das Finanzsystem und seine Krisen-potentiale zurückschlagen. Betrugsfälle können die Fundamente des Finanzsys-tems erschüttern, falsche Berechnungen eines Risikomessverfahrens oder auch die Anfälligkeit von Finanzprodukten können Banken in den Konkurs treiben und auch eine zweifelhafte Kommunikationspolitik kann das Vertrauen der An- und Einleger nachträglich erschüttern und damit auf die Dynamik des Finanzsys-tems einwirken. Diese Aspekte gewinnen darüber hinaus durch Entwicklungen der Globalisierung und Innovationsdynamik an Relevanz. Ein Beispiel dafür liefert das Problem des Umgangs mit unterschiedlichen und sich kontinuierlich wandelnder Rechtsordnungen in den Nationalstaaten. Nicht nur für das leitende Management multinational operierender Banken sowie von Institutsgruppen wird es immer voraussetzungsvoller, diese verschiedenen Gesetzgebungen zu berück-sichtigen und die Geschäftsfelder darauf abzustimmen.10 Auch die Mitglieder der Organisation an den entsprechenden Standorten stehen vor der Herausforderung, (oftmals globale) Geschäftsstrategien mit jeweiligen nationalen rechtlichen Kon-texten zu vereinbaren (Ferguson 2006, 4; Schilder 2006).

Auf der anderen Seite kann die Berücksichtigung dieser nichtfinanz-systemischen Rationalitäten Grenzen markieren, die für das Funktionssystem selbst ansonsten irrelevant zu sein scheinen. So reduziert die Berücksichtigung

10 Der Chairman der BCBS Accounting Task Force Arnold Schilder bemerkt dazu: „As the laws, regulations and standards are continuously changing, compliance becomes a moving target“ (Schilder 2006, 3).

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Einleitung 19

des rechtlichen Codes eine Fülle von Optionen, die mittels der puren finanzsys-temischen Logik vielleicht zunächst gewinnmaximierend, aber juristisch als mindestens zweifelhaft anzusehen sind. Auch die Berücksichtigung von Ergeb-nissen des Risikomanagements kann zur Vernichtung von Möglichkeiten führen, die – in finanzwirtschaftlicher Sprache – möglicherweise zunächst als Chancen, aber nicht als Risiken eingestuft werden. Schließlich können auch die Erwartun-gen, der Enttäuschung oder Entrüstung der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein, den „Wert“ mancher finanzwirtschaftlich viel versprechender Transaktion relativie-ren.

„Organisation“ als Bezugspunkt globaler Regulierung

Forderungen und Appelle zur stärkeren Berücksichtigung organisationaler Pro-zesse unter risikospezifischen Gesichtspunkten werden bereits seit längerer Zeit an Banken und nationale Bankenaufseher mit dem Hinweis angetragen, dass nur dadurch die Stabilität des Bankensystems gestärkt werden könne. Ein frühes Beispiel stellt dafür eine Erklärung des Baseler Komitees für Bankenaufsicht (BCBS) zur „Verhütung des Missbrauchs des Bankensystems für die Geldwä-sche“ dar (BCBS 1988b). So plädiert das Baseler Komitee in diesem Papier für verschiedene Maßnahmen der Banken, um die „Wachsamkeit gegenüber dem Missbrauch des Zahlungssystems“ zu erhöhen (BCBS 1988b, 3). Dazu zählt für das Komitee unter anderem eine Kundenidentifikation, eine sorgfältige Prüfung, ob Transaktionen mit einer strafbaren Handlung zusammenhängen könnten, aber auch die Bereitschaft, mit staatlichen Vollzugsorganen zusammen zu arbeiten (BCBS 1988b). Dabei sieht das Baseler Komitee einen direkten Zusammenhang zwischen strafbaren Handlungen und der Stabilität des Bankensystems, da nega-tive Publizität das öffentliche Vertrauen in die Banken schädigen kann (BCBS 1988, 1).

Ein anderes Beispiel für den vom Baseler Komitee beobachteten Bedeu-tungszuwachs organisationaler Aspekte stellt das Papier „Risks in computer and telecommunication systems“, das im Juli 1989 veröffentlicht wurde, dar (BCBS 1989). Auch in diesem, an die nationalen Aufsichtsbehörden adressierten Doku-ment wird die Bedeutung operationeller, in diesem Fall technischer Aspekte und die in diesem Kontext vorhandenen Risiken für das Gesamtsystem herausge-stellt, die insbesondere durch technologische Innovationen in Computer- und Telekommunikationstechnologie in den vergangenen Jahren beträchtlich gestie-gen sei (BCBS 1989, 1).11

11 Es ließen sich in diesem Zusammenhang noch viele weitere Papiere anführen. Die Auswahl der beiden Papiere ist hier zunächst eher illustrativen als systematischen Gesichtspunkten geschuldet.

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20 Einleitung

Jedoch handelte es sich dabei zunächst um eher unverbindliche Arbeitspapiere. Die faktischen Auswirkungen auf die Regulierungspraxis blieben äußerst be-grenzt. Erst im Falle der Baseler Akkorde haben wir es mit Dokumenten zu tun, deren Inhalte bedeutsame Konsequenzen für die Aufsichtsbehörden mit sich brachten. Dabei blieben die organisationalen Aspekte im Rahmen von Basel I noch unbenannt. Erst Basel II führt diese Dinge als wichtige Bausteine für die Regulierung des Bankensystems in sein Regelwerk ein und drängt damit auf eine Veränderung der Aufsichtsform. So werden beispielsweise Risiken aufgrund betrügerischer Aktivitäten oder aufgrund technischen Versagens unter der Kate-gorie der operationellen Risiken verbindlich als zu regulierende Risikoquellen betrachtet.

Am Beispiel des Umgangs mit so genannten operationellen Risiken zeigt sich die Veränderung der Aufsichtspraxis zunächst ausschließlich hinsichtlich des Objektes, nicht aber bezüglich der Verfahrensform der Regulierung. Wie auch für Risiken, die im Kontext von Kreditgeschäften entstehen, sieht das Base-ler Komitee zunächst eine Quantifizierung, Berechnung und Kalkulation dieser Risiken vor. Auf der Basis der erstellten Indikatoren soll entsprechendes Kapital zurückgelegt werden, um Schäden finanziell ausgleichen zu können. Eine solche Regulierungsform entspricht zweifellos der zahlenorientierten Logik des Finanz-systems sowie auch den bisherigen Formen politischer und rechtlicher Finanz-marktregulierung. Interessant ist deshalb zu beobachten, dass dieses Verfahren nicht als hinreichende Möglichkeit betrachtet wird, um die unwillkommenen Auswirkungen auf das Finanzsystem mittels dieses kapitalbasierten Verfahrens abfedern zu lassen, die aufgrund von Betrugsfällen, technischem Versagen oder externen Katastrophen12 entstehen.

Komplementär zur Messung organisationaler Risikopotentiale durch die Banken schreibt Basel II einen Regulierungsmodus vor, durch den vor allem die Risiken des Risikomanagements sowie Risiken jenseits der Kapitalunterle-gungsmodelle bearbeitet werden sollen. Mit der dafür geschaffenen zweiten Säule im Rahmenwerk haben wir es nicht allein mit einer Ausweitung des Regu-lierungsobjekts – vom Banksystem zu Bankorganisation zu tun. Darüber hinaus sind im Kontext des hier zu findenden Supervisory Review Process (SRP) auch neue Regulierungsverfahren zu finden. In diesem Teil des Aufsichtsprozesses geht es nicht um die Messung und Kalkulation von Risiken mit dem Ziel einer angemessenen Kapitalunterlegung. Stattdessen steht in diesen Fällen die Identifi-

Eine ausführlichere Erläuterung der Erklärungen des Baseler Komitees in diesem Kontext findet sich in Kapitel 6. 12 So stellen auch terroristische Ereignisse wie der 11. September ein operationelles Risiko dar, deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe künftig statistisch berechnet werden soll und wofür dann Kapital zurückgehalten werden soll.

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Einleitung 21

zierung und Behebung von potentiellen Schadenquellen im Zentrum des Ansat-zes. Im Rahmen regelmäßiger Vor-Ort-Prüfungen in den Gebäuden der Bankin-stitute soll durch die Bankenaufsicht überprüft werden, zu welchem Grad die Risikosysteme funktionsfähig sind, und ob die Kommunikationswege zwischen den einzelnen Abteilungen und dem leitenden Management „angemessen“13

verlaufen. Bei diesen Aufsichtsformen, die in verschiedenen Kontexten auch als qualitative Bankaufsicht bezeichnet werden14, stehen am Ende keine Ergebnisse auf der Basis von Zahlenwerken und auch keine Direktiven, die allein auf die Erhöhung und Absenkung von Kapital abzielen.

Der damit hier angedeutete und im Rahmen dieser Arbeit thematisierte Pa-radigmenwechsel von Regulierungsobjekt und -verfahren ist möglicherweise auch unter soziologischen Gesichtspunkten folgenreicher, als auf den ersten Blick zu vermuten. So zeigt er nicht allein für den konkreten Fall der Bankenre-gulierung neue Formen der Aufsicht auf, sondern präsentiert auch ein Beispiel für die Grenzen der Wirkungsmächtigkeit von Zahlen. Statistische und stochasti-sche Kalküle aber auch Techniken des Rechnens boten mit dem Aufkommen moderner Wirtschaftsformen nicht allein für die Ökonomie einen zentralen Mo-dus zur Beschreibung und Bearbeitung sozialer Realität. Im Zuge der Konstituti-on des modernen Staates entwickelten sich mathematische Kalküle zu einem Instrument von Politik und Recht, um soziale Kontrolle in Form staatlicher Herr-schaft zu realisieren.15 Vor allem in verschiedenen Studien der kritischen Ac-countingforschung wird aufgezeigt, wie sich mittels dieser Instrumente ein be-stimmter Typus der Erzeugung von Wissen herauskristallisiert, deren Legitimität vergleichsweise unumstritten ist (siehe dazu beispielsweise bei: Vollmer 2004; Vormbusch 2004). Basel II als Instrument öffentlicher Regulierung schreibt – wie wir zeigen werden – auf der einen Seite die Erfolgsgeschichte dieses quanti-tativen Paradigmas fort. Insbesondere in der so genannten ersten Säule finden sich finanzwissenschaftliche Mess- und Kalkulationsmethoden zur Erfassung und Kalkulation von Risikosituationen der Banken. Ein Beispiel dafür liefert der Ansatz einer Quantifizierung operationeller Risiken.

13 Der Begriff der Angemessenheit ist in dem hier besprochenen Textabschnitt ein zentrales Kriteri-um, auf das im späteren noch ausführlich Bezug genommen werden wird. 14 Im wissenschaftlichen Kontext z.B. bei Torsten Strulik (Strulik 2000, 228) aber auch kritisch verwendet (Paul 2000). Der Begriff der qualitativen Aufsicht wird zudem von Aufsehern für neue Aufsichtsformen verwendet, die es im Kontext von Basel II zu implementieren gilt (Schmidt Bies 2006). 15 Ian Hacking beschreibt in seiner Studie “The avalanche of printed numbers”, wie im 19.. Jahrhun-dert die Zahlenbasiertheit von Politik in exponentieller Weise wächst (Hacking 1982, 282). Michel Foucault hat unter dem Begriff der Gouvernmentalität einen bestimmten Typus des Regierens aus-gemacht, der sich nicht mehr auf einzelne Subjekte, sondern auf statistische Entwicklungen stützt (Foucault 2000). Darauf kommen wir in Abschnitt 5.1 zurück.

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22 Einleitung

Auf der anderen Seite konstituieren sich im Kontext von Basel II auch Formen des Misstrauens gegenüber einer Reduktion der Komplexität sozialer (Risiko-) Wirklichkeiten auf „pure“ Formeln und Zahlen. Statt eines statistischen Durch-schnitts werden der Einzelfall und dabei die volle kommunikative Komplexität zum Thema der Regulierung. Das zentrale Beispiel dafür liefert – wie im Rah-men der Arbeit gezeigt werden soll – die Regulierungslogik des bereits ange-sprochenen „Supervisory Review Process“. Der damit eingeleitete Paradigmen-wechsel skizziert somit zugleich eine neue Form des Umgangs sowohl mit spezi-fischem als auch unspezifischem Nichtwissen in der modernen Gesellschaft.16

Daher kommt es zu einer Ausweitung des Beobachtungsfokus, weil Wissen über organisationale Abläufe, aber auch die Grenzen der Möglichkeiten eines regula-torischen Wissens darüber sowie schließlich Nichtwissen aus Risikoaspekten relevant werden. Die Reduktion sozialer Wirklichkeit auf statistische Annahmen mag im Kontext von Bevölkerungsentwicklungen sowie Einkommensverteilun-gen für Politik und Verwaltung ein ausreichendes Wissen sowie ein vertretbares Maß an Nichtwissen bereithalten. In dem von uns thematisierten gesellschaftli-chen Feld, in dem einzelne Operationen aufgrund komplexer Finanzarchitekturen unkalkulierbare Entwicklungen auslösen können, erscheint der Rekurs auf diese Formen wissensbasierter Regulierung nicht ausreichend. Vielmehr gewinnt auch der Einzelfall an Relevanz, da es nicht um eine statistische Einkalkulierung son-dern eine mögliche Vermeidung unerwünschter Vorgänge innerhalb der Organi-sation geht.

Regulierung der Organisation – Anknüpfungspunkte an bisherige Forschung und Aufbau der Arbeit

Die Relevanz organisationaler Aspekte im Kontext der Bankenregulierung hat bereits vor der Verabschiedung des Baseler Rahmenwerkes in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Arbeiten zur Bankenregulierung Beachtung gefunden. Wolfgang Reinicke zeigt in seiner Fallstudie auf, in welcher Weise seit etwa 1995 organisationale Prozesse für die Aufsicht insbesondere im Kontext des Risikomanagements an Bedeutung gewinnen (Reinicke 1998, 122). Reinicke macht deutlich, dass vor allem die Zulassung interner Modelle der Banken zur Berechnung von Marktrisiken diese Entwicklung gefördert hat, wenngleich eine wirkungsvolle Regulierung des bankinternen Risikomanagements zu diesem Zeitpunkt nach seiner Einschätzung noch längst nicht ausgeschöpft ist. Über eine

16 Siehe zur grundsätzlichen Definition von Nichtwissen und Formen seiner Unterscheidung bei Klaus Japp (Japp 2000).

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Einleitung 23

bloße Beschreibung hinaus macht Reinicke bereits 1995 Vorschläge für eine effektive Bankenaufsicht, von deren Grundüberlegungen auch die Baseler Rah-menvereinbarung heute geprägt ist. So äußert er die Einschätzung, dass nicht die Modelle sondern die organisationale Verankerung der Modelle letztlich von zentralerer Bedeutung ist.17

Torsten Strulik legt fünf Jahre später in seiner Studie dar, in welcher Weise „leistungsfähige Formen organisationaler Selbststeuerung dadurch angeregt bzw. rechtlich flankiert werden“ (Strulik 2000, 207), dass in bestimmten Bereichen der Bankenaufsicht die Steuerung der Risiken zunächst den Banken selbst über-lassen wird. Gleichzeitig verlagert sich die Überprüfung durch die Bankenauf-sicht auf den „organisationalen Prozeß der Risikosteuerung sowie entsprechende bankinterne Voraussetzungen zur Bewertung von Risiken“ (Strulik 2000, 207). In seiner Argumentation wird vor allem deutlich, in welcher Weise diese Formen der regulierten Selbstregulierung produktive Anschlüsse für Bankenaufsicht und Banken erzeugen. Durch diese Neuordnung der Regulierungsform, die sich be-reits 1996 mit der „Änderung der Eigenkapitalvereinbarung zur Einbeziehung von Marktrisiken“ im Jahr 1996 andeutet (BCBS 1996), wird unter anderem auch den Potentialen bankinterner Lernprozesse zur Schaffung eines leistungsfä-higen Risikomanagements sowie den Anreizen des ökonomischen Eigeninteres-ses Rechnung getragen (Strulik 2000, 227).

Susanne Lütz fasst die gestiegene Bedeutung organisationaler Aspekte für die Bankenaufsicht unter dem Begriff der Re-Regulierung zusammen. So weist sie darauf hin, dass die Globalisierung von Finanzmärkten nicht weniger, son-dern eher mehr Regulierung mit sich brächte. Ein charakteristisches Merkmal im Rahmen dieser Entwicklung ist danach der Umstand, dass nun auch das „Innen-leben der Banken“ untersucht werde (Lütz 2004, 119). Mit Rückgriff auf das nun vorliegende Rahmenwerk (Basel II) sowie die Leitunterscheidung von Funkti-ons- und Organisationssystem erscheint es möglich, an die in diesen Arbeiten geleisteten Analysen anzuschließen und auf der Basis der theoretischen Aus-gangsunterscheidung sowie den empirischen Ergebnissen aus dem neueren Da-tenmaterial weiter zu führen.

Um die Tragweite dieses Ansatzes aufzeigen zu können, werden im ersten Teil der Arbeit die theoretischen und konzeptionellen Grundlagen der Argumen-tation ausgearbeitet (II). Ziel ist es, die spezifischen strukturellen Ausprägungen und funktionalen Zusammenhänge der modernen Gesellschaft in ihrer Kontinui-tät zu klären, die für unsere Argumentation relevant sein werden. Dabei geht es zunächst darum, den systemtheoretischen Organisationsbegriff von handlungs-

17 Dazu Reinicke im Original-Wortlaut: „Having a top-rated risk measurement model but a poor risk management and control process could be worse than having a poor internal VAR model but good risk control“ (Reinicke 1998, 125).

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24 Einleitung

theoretischen Ansätzen abzugrenzen und die Konsequenzen dieser Theorieent-scheidung für die fortlaufende Analyse aufzuzeigen (Kapitel 1). Diese theoreti-sche Klärung erlaubt anschließend eine Ausarbeitung des Verhältnisses zwischen Bankorganisation und Finanzsystem. Im Rahmen dieser Analyse sollen die For-men wechselseitiger Leistungserbringung zwischen beiden Systemtypen thema-tisiert werden. Diese zunächst allgemeinen Annäherungen an das Verhältnis beider Systeme werden anschließend mit Blick auf die Begriffe der Kontingenz sowie des Risikos historisch rekapituliert und systematisch spezifiziert (Kapitel 2). Dabei wird deutlich gemacht, inwieweit in ambivalenter Weise Risikopro-duktion und Risikoabsorption durch (Bank)Organisationen geleistet werden. Schließlich werden die Konsequenzen aufgezeigt, die sich aus diesem theoreti-schen Arrangement für die Möglichkeit einer öffentlichen (Risiko-)Regulierung herauskristallisieren (Kapitel 3). Der Teil endet mit einer Einordnung der gesell-schaftstheoretischen Funktion politischer Regulierung vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Politik und Bankensystem. Von diesem theoretischen Setting ausgehend, werden im zweiten Teil der Arbeit die gesellschaftlichen Diskontinuitäten aufgezeigt, in deren Kontext sich der regulatorische Paradigmenwechsel vollzieht (III). Zunächst rekurrieren wir auf die regulatorischen Initiativen, die sich in supranationaler Perspektive im Politikfeld der Bankenregulierung seit dem Ende des Bretton Woods Systems finden lassen (Kapitel 4). Im Stile einer funktionalen Analyse werden dann in den beiden folgenden Kapiteln die zentralen Dynamiken herausgearbeitet, auf welche diese Veränderungsprozesse im politischen System reagieren. Dazu zählt zum einen eine besondere Qualität der Globalisierung, die sich ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts herausbildet und die sich in dem Zusammenhang zwischen Staat und Weltwirtschaft, der Digitalisierung der Kommunikationsme-dien sowie der Genese multinationaler Bankorganisationen ausdrückt (Kapitel 5). Zum anderen wird in diesem Zusammenhang das Aufkommen neuer Finanz-innovationen als Impuls für veränderte Regulierungsformen angeführt (Kapitel 6). Im dritten Teil wird dann das zentrale Argument der Arbeit – der zu beo-bachtende Paradigmenwechsel – mittels einer Sequenzanalyse der Rahmenwer-ke Basel I und Basel II nach der Methode der objektiven Hermeneutik – empi-risch entfaltet (Kapitel 7). Dabei soll am Text nachvollzogen werden, inwieweit die Logik einer Regulierung des Kapitals durch die Logik einer Regulierung der Organisation ergänzt wird. Daran anschließend werden wir aufzeigen, in welcher Weise sich die durch Basel II festgelegten internationalen Regeln auf die natio-nalen Regulierungsregime auswirken. Am Beispiel der Staaten Deutschland und den USA wird dabei deutlich gemacht, in welcher Weise die entsprechenden Regulierungssysteme aufgrund verschiedener struktureller Ausprägungen mit

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Einleitung 25

unterschiedlichen Herausforderungen umzugehen haben und welche Konsequen-zen sich aufgrund des neuen Regulierungsstils für Bankaufseher aber auch die Banken darstellen lassen (Kapitel 8).

In den Folgerungen werden schließlich die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammengeführt. Dabei wird erkennbar, dass der Paradigmenwechsel nicht allein von politischen Zwecken und Motiven, sondern vor allem von gesell-schaftsstrukturellen Voraussetzungen und Veränderungen getragen wird, die die Transformationen in dieser Form plausibel erscheinen lassen. Diese gesell-schaftsstrukturellen Voraussetzungen und Veränderungen werden dann abschlie-ßend in den Fokus unseres Interesses rücken. Wir werden dabei der Frage nach-gehen, welche Konsequenzen sich aus diesem Paradigmenwechsel für das globa-le Bankensystem selbst ergeben. Dabei werden wir unsere Abschlussthese ent-wickeln, wonach mit Basel II auch eine Neujustierung des Bankensystems in der modernen Gesellschaft durch veränderte Mechanismen der Integration stattfin-det. Es wird ersichtlich, dass funktionssystemische Entgrenzungen und organisa-tionale Begrenzungen in ein Verhältnis geraten, das Hoffnungen auf ein stabiles und leistungsfähiges Bankensystem weckt.

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II Kontinuitäten

Im folgenden Teil der Arbeit geht es um die Beschreibung bestimmter Kontinui-täten der modernen Gesellschaft. Es geht darum, die theoretischen Grundlagen zu legen, die für die Klärung unserer empirischen Forschungsfrage notwendig sind. Zum einen erhalten wir auf diese Weise einen (theoretisch induzierten) Einblick in die zentralen Problemgesichtspunkte des Themenfeldes. Zum ande-ren bieten diese Ausführungen die Möglichkeit, empirische Sachverhalte später in abstraktere Zusammenhänge einzuordnen und auf ihre Plausibilität hin zu prüfen.

Der Teil gliedert sich in drei Kapitel: Im ersten Kapitel werden wir die Un-terscheidung von formalen Organisationen und Funktionssystemen herausarbei-ten und dabei ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu handlungstheoretischen Arbeiten aufzeigen. Wir werden deutlich machen, warum mit Blick auf unsere Fragestellung ein systemtheoretischer Zugang leistungsfähiger zu sein ver-spricht. Im zweiten Kapitel gilt es, die Zusammenhänge von Organisationen und Funktionssystemen unter dem Gesichtspunkt spezifischer Leistungsbeziehungen zu erörtern. Dabei werden vor allem Fragen der Bearbeitung von Unsicherheit sowie der Erzeugung von Risiken eine Rolle spielen. Das dritte Kapitel ist schließlich der Bankenaufsicht, ihrem Operationsmodus und ihren Funktionen für das politische System gewidmet. Es dient als theoretische Hintergrundfolie für viele empirische Entwicklungen, die wir in den weiteren Teilen betrachten werden.

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1 Organisation und Gesellschaft

Thema dieser Untersuchung ist die Relevanz organisationaler Aspekte im Kon-text einer supranationalen Bankenregulierung und die verstärkte Beobachtung dieser Relevanz durch die Bankenaufsicht. Bereits in der Einleitung wurde ange-deutet, dass sich der Fokus der Aufsicht verschiebt, fort von einer primären Beo-bachtung des Finanzsystems hin zu einer komplementären Aufsichtsform von Bankensystem und Bankorganisationen. Wo jedoch liegt der Unterschied dieses veränderten Blickwinkels? Wo liegt der Gewinn einer solchen perspektivischen Verschiebung des Beobachtungs-schwerpunktes? Welche Risiken und Folgeprobleme lassen sich gleichzeitig aufzeigen? Um diese Fragen in befriedigender Weise beantworten zu können, wird in diesem Kapitel die Unterscheidung von gesellschaftlichem Teilsystem und formaler Organisation herausgearbeitet. Wir wollen zunächst sozialtheore-tisch aufzeigen, dass es einen Unterschied macht, von der Regulierung des Ban-kensektors oder der Regulierung von Banken zu sprechen. Dabei geht es gleich-zeitig darum, die theoretischen Grundlagen zu sichten, die für unsere noch fol-gende Analyse anschlussfähig erscheinen. Ziel ist es dabei, auch die konzeptio-nellen Unterschiede zu anderen Forschungsansätzen zu rekonstruieren, die übli-cherweise beim Thema Regulierung einen zentralen Referenzpunkt darstellen.

1.1 Zur Trivialität von Bankorganisationen in der „Organisations- gesellschaft“

An der Bedeutung formaler Organisationen – und damit auch von Banken – für die Gegenwartsgesellschaft besteht in den Sozialwissenschaften über Disziplin- aber auch Theoriegrenzen hinweg wenig Zweifel.18 Begriffe wie die der „orga-

18 Als exponierte Beispiele können hier Luhmann (Luhmann 2000b, 7) und (Coleman 1986) ange-führt werden. Talcott Parsons bezeichnet politische aber auch ökonomische Organisationen gar als evolutionäre Universalien entwickelter Gesellschaften. Derartige evolutionäre Universalien erschei-nen als zentrale Bedingung für Formen der weiteren Entwicklung von Gesellschaft und als Bedin-gung für das Gelingen der Anpassung an höhere soziale Komplexitätsniveaus (Parsons 1969).

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Organisation und Gesellschaft 29

nisierten Gesellschaft“ oder „Organisationsgesellschaft“19 deuten an, dass in einigen Konzepten Organisationen sogar als das charakteristische Merkmal der Gegenwartsgesellschaft bezeichnet werden. In handlungstheoretischen Überle-gungen zur Organisationen wird dabei vor allem das Macht- und Einflusspoten-tial von Organisationen herausgestellt: Organisationen ermöglichen kollektives Handeln. Sie verfügen über überindividuelle Ressourcen und besitzen damit ein hohes Einflusspotential.20 An wenigen Organisationen erscheint dies wohl in empirischem Sinne so einleuchtend wie im Falle der Banken. Banken können über die Leistungsfähigkeit ganzer Volkswirtschaften entscheiden. Ihre monetä-ren Ressourcen sind aufgrund ihrer Intermediärfunktion wohl mit keiner anderen Institution vergleichbar.21 Die Bedeutung von Banken liegt dabei nicht allein in ihrer Einflusskraft. Ebenso entscheidend ist die Tatsache, dass das Scheitern einzelner Institute beträchtliche gesellschaftliche Folgen haben kann. Für die regulierungswissenschaftliche Forschung ergeben sich aus diesem Umstand heraus die Fragen nach dem Umgang mit dieser Herausforderung und ihrer Flankierung durch Steuerungsprozesse. Einen prominenten Ansatz dafür stellt der akteurszentrierte Institutionalismus dar, der vor allem durch die Arbei-ten von Renate Mayntz und Fritz Scharpf am Max Planck Institut für Gesell-schaftsforschung in Köln geprägt wurde. Bankenregulierung wird aus dieser Perspektive als „marktkorrigierende Regulierungspolitik“ betrachtet. Ihr kommt die Funktion zu, negative Externalitäten, die sich aus Krisen des Bankengeschäf-tes ergeben, zu verhindern.22 Dabei werden zwei Aspekte als zentrale Kategorien der Regulierung ausgemacht. Zum einen sind es die Zielsetzungen und Strate-gien23 von Banken, die möglicherweise in ihren Konsequenzen mit Aspekten des

19 Beispiele dafür finden sich bereits in den 1960er Jahren (Mayntz 1963, 7), aber auch in der jünge-ren Vergangenheit (z.B. Jäger/Schimank 2005; Perrow 1996). 20 Deutlich findet sich eine solche Vorstellung bei James Coleman, der die gesteigerte Machtstellung von Organisationen problematisiert und hinsichtlich ihrer Konsequenzen für natürliche Personen problematisiert. (Coleman 1986). Weitere Überlegungen in dieser Hinsicht finden sich beispielsweise bei Klaus Türk, demzufolge die Organisation in der modernen Gesellschaft ältere Formen der Herr-schaft ablöst (Türk 1995, 11). 21 Siehe in einer soziologischen Beschreibung der exponierten Rolle insbesondere von Großbanken bereits bei Max Weber (Weber 1972, 542f). Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt die historische Forschung zu Banken, die ihre exponierte Rolle in innen- und außenpolitischen Prozessen und ihre aktive Forcierung politischer Entwicklungen verdeutlichen. Die politische Einflussnahme von Ban-ken zeigte sich dabei vor allem in kolonialgeschichtlichen Zusammenhängen (siehe z.B. Barth 1995, 457). Siehe zur Macht der Banken in der jüngeren Geschichte auch bei Heinrich Frick (Frick 1996). 22 Der akteurszentrierte Institutionalismus unterscheidet hier zwischen Regulierungstypen, die vor allem im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Prozesse und marktkorrigierender Regulierungsprozessen relevant sind (Lütz 2002, 24). 23 In ihren organisationswissenschaftlichen Arbeiten plädiert Renate Mayntz dazu, Organisationen vor allem über ihre Ziele hier zu definieren (Mayntz 1963). In regulierungswissenschaftlichen Schrif-ten hält sie dagegen die Analyse von Strategien für brauchbarer.

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30 Kontinuitäten

Gemeinwohls kollidieren und somit Gegenstand von Regulierungsprozessen werden können. Ein Beispiel könnte eine nicht hinnehmbare wettbewerbsschädi-gende Marktbeherrschung sein. Ebenso denkbar sind aber auch (Neben-)folgen des Bankgeschäfts, die sowohl von Entscheidern als auch von Betroffenen weder gewollt noch vorhergesehen werden konnten (Schimank 2004, 290). Denkbare Fälle sind in diesem Zusammenhang Aggregationseffekte, die sich aus Kreditge-schäften, oder aber aus Nebenfolgen ergeben. Ein Beispiel dafür im Bankenbe-reich ist die Vergabe besonders riskanter Kredite, die möglicherweise hohe Ge-winnerwartung erzeugen, jedoch im Falle des Ausfalls destabilisierende Wirkun-gen mit sich bringen und damit die Ersparnisse der Kleinanleger bedrohen. Zum zweiten wird die Bedeutung von Phänomenen hervorgehoben, die sich durch technologische Entwicklungen sowie Veränderungen durch sich vollziehende Globalisierungsprozesse ergeben.24

Damit fokussiert der akteurszentrierte Institutionalismus nicht-intendierte,bzw. transintentionale Prozesse25, die sich „hinter dem Rücken der Akteure vollziehen“ (Schimank 2004, 291). Auf den ersten Blick muss dieser Ansatz folglich auch für unsere Fragestellung interessant erscheinen. Die ins Auge ge-fassten Nebenfolgen bzw. transintentionalen Prozesse könnten schließlich ihren Ursprung in organisationalen Prozessen haben. Lässt sich also auf Basis eines solchen handlungstheoretischen Ansatzes die Unterscheidung von Bankorganisation und Bankensystem aufspannen und theo-retisch reflektieren? Lassen sich die Potentiale der Risikoerzeugung und -vermeidung durch Organisation und ihre Relevanz in Regulierungsprozessen theoretisch konsistent rekonstruieren? Um diese Fragen zu beantworten, gilt es zunächst, den Organisationsbegriff und seine gesellschaftliche Positionsbestim-mung herauszuarbeiten, wie sie sich in handlungstheoretischen Regulierungsan-sätzen darstellen. Wie bereits oben geschildert, werden besonders Banken und allgemeiner eben auch Organisationen als prägende Sozialordnungen der moder-nen Gesellschaft bezeichnet. Als strategisch operierende Akteure haben Organi-sationen entweder Anteil an der Regelung eines gesellschaftlichen Sektors,26

oder aber werden selbst zu Adressaten von Regulierungsbemühungen (Lütz 1995, 169). Der erste Fall trifft beispielsweise auf öffentliche Behörden, wie auch die Bankenaufsicht zu. Der zweite Fall bezieht sich vor allem auf privat-wirtschaftliche Organisationen wie Banken.

24 Charakteristisch dafür im Allgemeinen beispielsweise (Mayntz 2005) 25 Zum Begriff der Transintentionalität und seiner Karriere in der soziologischen Theorie siehe bei Rainer Greshoff, Georg Kneer und Uwe Schimank (Greshoff/Kneer/Schimank 2003). 26 Sehr deutlich werden solche Vorstellungen in Fallstudien wie denen von Philipp Genschel und Thomas Plümper sowie bei Andreas Busch (Busch 2003; Genschel/Plümper 1996).

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Organisation und Gesellschaft 31

Organisationen fungieren damit einerseits als ein unverzichtbarer analytischer Bezugspunkt, indem sie als Objekt oder Subjekt der Regulierung, oder für beides in Frage kommen. Auf der anderen Seite werden sie jedoch nur in vergleichswei-se selektiver Weise behandelt. So ist die Operationsweise selbst nur in begrenz-tem Maße, nämlich hinsichtlich ihrer Strategien, Ziele und Zwecke, Gegenstand der Untersuchungen.27

Der akteurszentrierte Institutionalismus interessiert sich somit primär für die Fragen der Regulierung auf der Ebene gesellschaftlicher Teilbereiche (Schimank 2004, 288). Dies wird mit der Annahme begründet, dass in Massengesellschaften die Handlungsebene unterhalb „komplexer Akteure“ an Bedeutung verlöre (Mayntz/Scharpf 1995a, 45). Damit blendet der Ansatz jedoch einen Gegens-tandsbereich aus, der für unsere Analyse unverzichtbar erscheint. Gerade hier vermuten wir zum einen die Möglichkeit einer dezidierten Analyse der beispiel-haft angesprochenen technischen, rechtlichen oder personalen Faktoren. Zum anderen vermuten wir an dieser Stelle wichtige Charakteristika zur Differenzie-rung von gesellschaftlichem Teilsystem und formaler Organisation. Zwar ist diese Ausblendung – wie an der Aussage von Renate Mayntz ersichtlich – zu-nächst empirischen Gesichtspunkten geschuldet. Auch wir vermuten ja, dass organisationale Aspekte erst seit der jüngeren Vergangenheit einen Aufmerk-samkeitsschwerpunkt in der Regulierungsdiskussion darstellen. Gleichzeitig gewinnt damit jedoch die Frage an Relevanz, ob der akteurszentrierte Institutio-nalismus bisher allein aus empirischen Gründen innerorganisationale Prozesse in geringem Maße bearbeitet hat. Dahinter steckt der Verdacht, dass er auch auf-grund basaler sozialtheoretischer Annahmen wenig dazu zu sagen hat und sagen kann. Der Ansatz versteht sich zwar weniger als gegenstandsbezogene Theorie, sondern primär als empirische Forschungsheuristik (Mayntz/Scharpf 1995a, 39). Aber auch in diesem Status kommt er jedoch nicht umhin, explizite Referenzen auf verschiedene Theoriestränge und heuristische Schemata aus der Soziologie, Ökonomie und den Politikwissenschaft vorzunehmen. Wir wollen im Folgenden deutlich machen, dass sich der akteurszentrierte Institutionalismus für unser Forschungsinteresse trotz seiner breiten integrativen Ausrichtung als wenig anschlussfähig erweist. Dies hängt damit zusammen, dass der akteurszentrierte Institutionalismus in seinen Arbeiten unter bestimmten Voraussetzungen die Einebnung der beiden Differenzierungsschemata vollzieht,

27 Dies trifft selbst für so genannte mesokorporatistische Ansätze zu, die unter anderem explizit ein stärkeres Gewicht auf die einzelnen Unternehmen zu lenken gedenken (Heinze, 1994 #459, siehe im Überblick auf Cawson 1985). Nur in Fällen, wo Ziele und Zwecke nicht bestimmbar sind, wird, für den akteurszentrierten Institutionalismus auch die Organisation, wie im Folgenden gezeigt wird, als Untersuchungsgegenstand interessant.

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32 Kontinuitäten

die für unsere Arbeit eine zentrale analytische Kategorie darstellen:28 die Diffe-renz von Organisation und gesellschaftlichem Teilsystem sowie die innerorgani-sationale Differenzierung nach funktionalen Gesichtspunkten. Beide Differenzie-rungsschemata erscheinen aber eben für unsere Schilderungen notwendig, um die Differenz von Bankensystem und Bankorganisationen adäquat analysieren zu können und zudem die innerorganisationalen Potentiale zur Erzeugung und Vermeidung von Gefährdungen herauszuarbeiten. Gibt es Möglichkeiten, die angesprochenen Differenzierungsschemata in einen handlungstheoretischen Rahmen wie den akteurszentrierten Institutiona-lismus zu integrieren? Im Rahmen einer Klärung der sozial- als auch organisati-onstheoretischen Annahmen, wollen wir zeigen, dass sich auch dafür wenige Potentiale auftun und unsere Präferenz für die soziologische Systemtheorie we-niger theorieästhetischen als vielmehr analytisch/heuristischen Gesichtspunktengeschuldet ist. Wir werden zunächst aufzeigen, warum unsere Unterscheidung von Bankorganisation und Bankensystem an einen handlungstheoretisch inspi-rierten Regulierungsansatzes wie den akteurszentrierten Institutionalismus nicht anschlussfähig ist (1.1.1). In diesem Rahmen erörtern wir die erste Theoriestelle, an welcher wir eine Differenz vermissen. In einem zweiten Schritt wollen wir deutlich machen, was sich daraus für den Organisationsbegriff und seine sozial-theoretische Verortung ergibt (1.1.2).

Im Rahmen dieser Untersuchung werden wir die zweite Theoriestelle auf-zeigen, an welcher wir ein differenziertes Verständnis von Organisationen und ihrer funktionalen Ausprägung vermissen. Angesichts der Themenstellung wer-den wir uns bemühen, diese Analysen entlang des Bankenkontextes zu exempli-fizieren. Dennoch wird es an einigen Stellen notwendig sein, auf einem abstrak-teren Niveau zu argumentiere n, um die sozialtheoretischen Konsequenzen be-grifflich in einer sauberen Form darstellen zu können.

1.1.1 Zur fehlenden Differenz von Bankorganisation und Bankensystem

Auch wenn die von uns eingeführte Unterscheidung von Bankensystem und Bankorganisation im akteurszentrierten Institutionalismus so nicht zu finden ist, besteht kein Zweifel daran: Beide Begriffe gehören in einer abstrakteren Fassung von gesellschaftlichem Teilsystem und formaler Organisation zum terminologi-schen Repertoire der damit verbundenen regulierungstheoretischen Ansätze.Entscheidend ist jedoch, dass das Verhältnis dieser zwei sozialen Phänomene

28 Bei dieser ‚Einebnung’ handelt es sich um eine Arbeitsweise, die bereits Luhmann kritisch für viele Arbeiten angemerkt hat (Luhmann 1992b, 677).

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Organisation und Gesellschaft 33

nicht in Form einer Differenz gedacht wird. Wie es stattdessen zu begreifen ist, wird anhand handlungstheoretischer Arbeiten zu Prozessen sozialer Differenzie-rung deutlich (Mayntz 1988), auf die der akteurszentrierte Institutionalismus zugreift. Die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilsysteme wie beispiels-weise dem Bankensystem vollzieht sich diesem Ansatz nach über die Herausbil-dung „spezialisierter Leistungen“, die „angebbaren Produzenten für angebbare Abnehmer erbringen.“ Zentrales Kriterium für die Ausdifferenzierung sozialer Teilsysteme sind dabei unterschiedliche Handlungslogiken und Handrationalitä-ten, die auf der Handlungsebene in besonderen Tätigkeiten zum Ausdruck kom-men (Mayntz 1988, 17f). Auf Basis des in diesem Kontext erzeugten spezifi-schen Handlungssinns werden Leistungen, Zwecke oder auch nur ein anerkann-ter Selbstwert erbracht. Organisationen spielen im Rahmen des sozialen Differenzierungsprozesses eine unverzichtbare Rolle, treten jedoch im Rahmen der Ausdifferenzierung erst zu einem späten Zeitpunkt, auf der dritten Stufe in Erscheinung. Auf der ersten Stufe der Konstitution von Sozialsystemen geht es zunächst nur um einzelne Handlungen und Handlungssituationen, die dann als spezifische Interaktionen, zum Beispiel wirtschaftliche Interaktion oder Interaktion in Intimbeziehungen anerkannt werden.29 Auf der zweiten Stufe kommt es zur Ausdifferenzierung von beruflichen Funktionsrollen, wie dem Arzt oder dem Forscher,30 bevor auf der dritten Stufe Organisationen als größere Handlungszusammenhänge auftauchen (Mayntz 1988, 20). Banken, Bankenverbände aber wohl auch Bankenaufsichts-behörden stellen schließlich „typische Elemente“ des Bankensystems dar, die zwar unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen, jedoch auch gemeinsam auf den entsprechenden Handlungszweck bzw. die Leistung des Systems ausgerichtet sind (Mayntz/Scharpf 1995b, 17). Handlungszweck, bzw. die spezifische Leis-tung bilden die Einheit des Teilbereichs, die als Relevanzkriterium für teilsys-teminterne Handlungen dienen können. Banken erbringen in Form ihrer Ge-schäftstätigkeit Leistungen, für die sich die oben angesprochenen Abnehmer, also typischerweise Kreditnehmer und Anleger, finden. Bankenverbänden kommt vor allem die Aufgabe zu, eine gemeinsame „Kommunikation“ des Sek-

29 In Anwendung dieser Stufenhaftigkeit der Verfestigung von Handlungszusammenhängen erinnert dieser Ansatz an institutionalistische Theorien der Wissenssoziologie (z.B. Berger/Luckmann 2003). 30 Historisch trifft ein solches Verständnis mit Blick auf die Konstitutionen von Bankorganisationen auf Plausibilität, als das bis ins 19. Jahrhundert hinein Privatbankiers die „mächtigsten und wichtigs-ten Träger des gesamten Kreditwesens“ waren (Wandel 1998, 2). Diese betrieben das Geschäft in alleiniger Verantwortung und persönlicher Haftung. Kredite wurden zudem allein auf Basis des persönlichen Vertrauens von Bankiers an seinen Kreditnehmer vergeben (Wandel 1998, 2).

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34 Kontinuitäten

tors zu erreichen.31 Die Bankenaufseher sehen sich schließlich für Formen der „kollektiven Verhaltensregulierung“ zuständig.32

Organisationen organisieren somit in zentraler Weise die Ausgestaltung des Bankensystems, was auch daran deutlich wird, dass sie über Zutrittsbeschrän-kungen verfügen und Zuständigkeitsansprüche erheben (Mayntz 1988, 23). Eine auf Organisationen basierende Ausgestaltung eines Teilsystems ist dabei zwar nicht außergewöhnlich, ergibt sich jedoch auch nicht zwingend. Mayntz macht darauf aufmerksam, dass zudem gesellschaftliche Teilbereiche existieren, die nicht in gleicher Weise von Organisationen bestimmt werden und denkt dabei beispielsweise an den Bereich der Familie (Mayntz 1988, 21). Mit dem Grad der Relevanz und Wirkungsmächtigkeit von Organisationen ergeben sich schließlich Konsequenzen für den jeweiligen gesellschaftlichen Teilbereich hinsichtlich seiner Beziehung zur Gesamtgesellschaft als auch zur Politik. Mayntz geht da-von aus, dass soziale Teilbereiche wie der Bankensektor, die durch eine hohe Dominanz der Organisationen geprägt sind, von der Gesellschaft als in besonde-rem Maße ausdifferenziert betrachtet werden. Ebenso richtet analog dazu die Politik eine „spezielle Aufmerksamkeit“ auf das entsprechende System (Mayntz 1988, 23). Der hohe Grad der Durchorganisation, die Präsenz starker Organisationen, insbesondere derer, die auf die „Leistungserbringung“ ausgerichtet sind, muss dabei mit Blick auf die Einflusspotentiale und Erfolgsaussichten politischer Re-gelungsanstrengungen in ambivalenter Weise betrachtet werden. (Mayntz 1997, 199-205). Auf der einen Seite ist zu befürchten, dass diese sich renitent gegen-über politischen Regelungsbemühungen zeigen und bewusst die Regelungsbe-mühungen der Politik abwehren. Dies erscheint vor allem dann möglich, wenn bestimmte korporative Akteure über Machtressourcen verfügen, um sich der Regelungsinitiative zu widersetzen (Mayntz 1997, 200). Auf der anderen Seite lassen sich diesem Ansatz nach auch Gründe dafür finden, dass die Organisiert-heit gesellschaftlicher Teilbereiche die Chancen eines Erfolgs politischer Rege-lung erleichtert. Dies wird damit begründet, dass große Organisationen eine größere Offenheit gegenüber rechtsförmiger Kommunikation aufweisen, so dass die Interaktion in dieser Weise erleichtert werde. Zum zweiten verhalten sich dem Ansatz nach diese Organisationen rationaler und damit berechenbarer, was die Möglichkeiten politischer Regelungen optimiere (Mayntz 1997, 201).

31 Bankenverbände übernehmen dabei gleichzeitig auch die Kommunikation mit sektorexternen Adressen, so dass einigen handlungstheoretischen Konzepten nach die Unterscheidung von Bank und Bankverband auch als eine von Agent und Diplomat begriffen werden darf (z.B Stark 1998, 183). 32 Diese Beschreibung beruht auf einer allgemeinen Charakterisierung gesellschaftlicher Teilsysteme (Mayntz 1988, 25), die hier für den Fall des Bankensektors spezifiziert wurde.

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Organisation und Gesellschaft 35

Der akteurszentrierte Institutionalismus konzentriert sich im Rahmen seines Forschungsprogramms insbesondere auf Prozesse der Regulierung und Selbstre-gelung dieser Teilbereiche, welche von ihm als staatsnahe Sektoren typologisiert werden (Mayntz/Scharpf 1995b, 13). Diese staatsnahen Sektoren, zu denen auch der Bankensektor, beispielsweise aber auch der Energiesektor, zählen (Lütz 2002, 95), zeichnen sich neben ihrer starken „Organisiertheit“ durch zwei Merkmale aus, mit denen sie sich von marktwirtschaftlich verfassten, aber auch von staatlichen Sektoren unterscheiden. Erstens geht die „Verantwortung des Staates“ deutlich über bloße ordnungspolitische, konjunkturpolitische oder strukturpolitische Aspekte hinaus. Hierin liegt beispielsweise eine Differenz zu marktwirtschaftlich verfassten Sektoren. Zweitens erfüllen diese Sektoren jedoch auch keine unmittelbar hoheitlichen Aufgaben für den Staat und sind somit we-der in direktem Maße der staatlichen Verwaltung unterstellt, noch vom allgemei-nen Steueraufkommen finanziert. An diesem Punkt lässt sich die Differenz zu staatlichen Sektoren erkennen (Mayntz/Scharpf 1995b, 13f). Die Organisiertheit, durch die staatsnahe Sektoren wie der Bankensektor sich auszeichnen, spiegelt sich auch in der strukturellen Ausgestaltung wieder. So lassen sich diese gesellschaftlichen Sektoren durch zwei zentrale Strukturen, eine Leistungs- sowie eine Regelungsstruktur kennzeichnen (Mayntz/Scharpf 1995b, 16f). Die Leistungsstruktur ist durch Organisationen gekennzeichnet, die sektorspezifische Leistungen zur Verfügung stellen. Im Bankensektor sind dies primär Bankinstitute, möglicherweise aber auch andere Finanzdienstleister, die vergleichbare Aufgaben übernehmen. Die zweite Struktur eines Sektors kann als die Regelungsstruktur (governance structure) bezeichnet werden. Im Bankensek-tor können an dieser Stelle die Aufsichtsbehörden genannt werden, die mittels sektorspezifischer Regelungsprozesse Stabilität und Effizienz des Sektors er-möglichen (sollen). Gleichzeitig sind auch Organisationen zu denken, die an beiden Strukturen partizipieren, also regeln und geregelt werden. Im Bankensek-tor dürfte dies zum Beispiel für die Bundesbank gelten, welche auf der einen Seite als Zentralbank an der Leistungsstruktur mitwirkt, gleichzeitig sich jedoch auch in der Funktion des Aufsehers befindet und somit auch für Regelungspro-zesse Verantwortung trägt. Neben der internen Strukturierung, die als interner analytischer Bezugsrah-men dient, erweist sich zudem auch der institutionelle Kontext33 der Organisatio-

33 An dieser Stelle ist zu bemerken, dass der akteurszentrierte Institutionalismus einen enger gefass-ten Institutionenbegriff als andere institutionalistische Theorien verwendet. Während in letzteren Ansätzen beispielsweise auch soziale Praktiken als Institutionen bezeichnet werden (siehe zum Beispiel Berger/Luckmann 2003), versteht der akteurszentrierte Institutionalismus darunter explizit ausschließlich „Normen angemessenen Verhaltens“ (Schimank 2004, 294). Eine zunächst berechtigte Frage könnte lauten, warum es sich um einen institutionellen Kontext, nicht aber um sektorinterne

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36 Kontinuitäten

nen im Bankensektor als prägende Bezugsgröße für die Organisation und Orga-nisiertheit gesellschaftlicher Sektoren. An erster Stelle ist dabei das konstitutive Moment von Institutionen zu nennen. Es ermöglicht mit anderen Worten über-haupt erst die Herausbildung korporativer Akteure. Dies erscheint insbesondere bei Organisationen, die primär Regelungsaufgaben erfüllen, plausibel; man den-ke an staatliche Regulierungsbehörden, die erst auf Basis von Gesetzen geschaf-fen werden.34 Es kann in regelintensiven Sektoren für Organisationen gelten, die wie Banken primär für die Erzeugung von „Leistungen“ zuständig sind – man denke beispielsweise an die hohen gesetzlichen Hürden, um als Kreditinstitut zugelassen zu werden. Institutionen werden konkret als Regeln verstanden, die

„ – für bestimmte Situationen (materielle) Verhaltens- und (formale) Verfahrens-normen festlegen; – spezifizierten Adressaten die Verfügung über finanzielle, recht-liche, personelle, technische und natürliche Ressourcen gewähren oder untersagen; – Relationen (insbesondere Dominanz- und Abhängigkeitsbeziehungen) zwischen be-stimmten Akteuren festlegen“ (Mayntz/Scharpf 1995a, 48).

Dabei werden diese Normen nicht allein aufgrund eines Eigeninteresses befolgt, um beispielsweise negativen Sanktionen zu entgehen, die im Falle eines Über-schreitens zu erwarten wären. Stattdessen folgen Organisationen – und hier grenzt sich der Ansatz von rational-choice-Vorstellungen ab – Regeln auch aus Gründen, die jenseits des Leistungsbereiches angesiedelt sind. Dies geschieht beispielsweise, „weil es sich im Verständnis des betreffenden Akteurs so gehört“ (Schimank 2004, 295). Institutionen sind somit als prägende Einflussfaktoren jenseits der Sektorstrukturen angeordnet und zeigen einen Handlungsraum auf, innerhalb dessen korporative Akteure auf Basis ihrer Motive operieren können. Die Orientierung an Motiven, seien sie nun nutzen-, norm- oder gar an Moral orientiert,35 spiegeln jedoch nur einen Strang der Handlungsorientierung wieder, der für die Ausgestaltung des Sektors von Bedeutung ist. Zudem sind darüber hinaus auch kognitive sowie relationale Orientierungen zu nennen (Schimank

Institutionen handelt. Schließlich sind politische Institutionen auch innerhalb von Sektoren als Orga-nisationen, die spezifische Regelungen übernehmen, denkbar. Dazu ist zu sagen, dass Regulierungs-behörden ja vor allem exekutiven Charakter haben, die Schaffung von Institutionen aber ja vor allem von der Legislative vorgenommen wird, die explizit außerhalb des zu regulierenden Sektors angesie-delt ist (Mayntz/Scharpf 1995b, 17). Das gleiche gilt auch für Gerichte, welche Institutionen ausle-gen, bzw. über ihre Auslegung entscheiden. 34 Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist in diesem Zusammenhang die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFIN) die im Jahre 2002 als gemeinsame Nachfolgebehörde des damaligen Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen (BarKred) sowie den Bundesaufsichtsämtern für den Wertpapierhandel (BAWe) und das Versicherungswesen (BAV) ins Leben gerufen wurde. 35 Darauf hoffen beispielsweise Vertreter der New Economic Sociology, die Moral als wichtiges Kriterium für das Funktionieren und die Effizienz von Märkten betrachten (Beckert 2005).

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Organisation und Gesellschaft 37

2004, 296). Bezieht sich der erste Orientierungspunkt vor allem auf den Umgang mit „Tatsachen und Kausalwissen“ sowie deren Wahrnehmung, so charakteri-siert die relationale Orientierung, auch als „interaction orientation“ bezeichnet (Scharpf 1997, 63), das Verhältnis zu anderen Akteuren, in unserem Fall bei-spielsweise das Verhältnis der Bankenaufsicht zu den Banken. Insbesondere der letzte Punkt eröffnet für den akteurszentrierten Institutionalismus Analysepoten-tiale, lassen sich daran anschließend doch verschiedene Koordinationsmodi in-nerhalb eines gesellschaftlichen Sektors, zum Beispiel Abstimmungs-, Verhand-lungs- und (einseitige) Entscheidungsprozesse in den Blick nehmen und unter-scheiden. Mit der Hinzuziehung institutioneller Faktoren und der Ausweitung von Handlungsorientierungen über eine bloße Zweckrationalität hinaus, verfügt der akteurszentrierte Institutionalismus zwar über einen variantenreichen analyti-schen Bezugsrahmen, der es erlaubt, die verschiedenen Variablen in Beziehung zu setzen und in empirischen Studien auch nach empirischen Gesichtspunkten hinsichtlich ihrer Relevanz zu ordnen. Die Elastizität und Varianz, die diesem lockeren Erklärungsmodell (Schimank 2004, 292) zugrunde liegen und ein kom-plexes Analysesetting voraussetzen, ermöglichen (und erfordern) wiederum die Reduktion von Komplexität an anderer Stelle. Hier vermuten wir ein Hauptargu-ment, warum der akteurszentrierte Institutionalismus auf die für unsere Untersu-chung notwendige Unterscheidung von Bankensystem und Bankorganisation verzichtet. Das Verhältnis von Bank und Bankensystem wird somit nicht in Form einer Differenz gedacht, sondern fügt sich einem Teile/Ganzes Schema, das die heuristische Aggregation einzelner Handlungen erlaubt. In der Konsequenz sind damit alle Handlungen, die innerhalb von Banken in den verschiedenen Abtei-lungen vom Bankvorstand über den Betriebsrat bis zur Reinigungskraft verrich-tet werden, Elemente des Bankensystems, da sie – in welcher Form auch immer – einer übergeordneten Handlungsrationalität folgen, deren Zielsetzung oder aber nichtintendierte Nebenfolgen es durch Bankaufseher zu regulieren gilt. Das glei-che gilt nun natürlich auch für andere Akteure des Sektors wie die Bankenauf-sicht oder aber die Bankenverbände. Dieser erste Schritt ist dabei der Ausgangspunkt, möglicherweise gar das Begründungsmoment dafür, auch auf das zweite von uns benötige Differenzie-rungsschema zu verzichten. Jenseits ihrer kollektiven Handlungsorientierungen werden Banken in diesem Modell als invariant und geradezu trivial betrachtet, innerorganisationale Prozesse werden einer kollektiven Handlungsorientierung, einem kollektiven Handlungssinn zugerechnet. Dabei wird zum einen dem Ar-gument gefolgt, dass bei der Einbeziehung einzelner Handlungen unterhalb der Organisationsebene das Analyseschema hinsichtlich der zu bearbeitenden Kom-plexität an seine Grenzen gerate (Mayntz/Scharpf 1995a, 50). Für uns entschei-

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38 Kontinuitäten

dender ist jedoch zum zweiten die begründete Vermutung, dass in der Gleich-förmigkeit und Invarianz der sektor-/ sowie organisationsinternen Handlungeneine handlungstheoretische Emergenz gesehen wird, die es nicht erlaubt, jenseits der Handlungsebene36 nach weiteren Differenzen zu suchen.37

Die daraus folgende Form der Trivialisierung der Organisation zeigt sich zunächst daran, dass funktionale und damit horizontale Formen der Differenzie-rung von Organisationen ausgeblendet werden. Aufgrund der breiten Fassung des Sektorbegriffs, der verschiedene Rationalitäten innerhalb des gesellschaftli-chen Teilbereichs zulässt, sofern diese im konkreten Fall der Erfüllung von Sys-temzielen dienen,38 können Banken in all ihrer Komplexität einem Sektor zuge-ordnet werden. Wie jedoch konstituiert sich diese Form rationalen Verhaltens, die insbesondere – wie oben erwähnt – großen Organisationen zugesprochen wird? Wie erhält der akteurszentrierte Institutionalismus Ordnung in diese Ein-heit des Unterschiedenen? Die Ausblendung der internen Ausdifferenzierung in Banken ist nur über ein spezifisches Verständnis von der Bedeutung hierarchi-scher Differenzierung zu erreichen. Um die Bedeutung von Hierarchie, welche schließlich für die Invarianz und Trivialisierung der Organisation verantwortlich ist, nachzuvollziehen, erscheint eine abstrakte Klärung des Akteursbegriffs, wie er in dieser Regulierungstheorie Verwendung findet, notwendig. Auf dieser Grundlage wird noch deutlicher werden, warum organisationale Binnenkomple-xität als Kategorie von Regulierungsprozessen aus dieser handlungstheoretischen Perspektive nicht erschlossen werden muss und gleichzeitig auch schwerlich erschlossen werden kann. Der folgende Absatz wird zeigen, dass der akteurszent-rierte Institutionalismus organisierte Binnenkomplexität nicht allein heuristisch ausblenden kann, sondern sich sozialtheoretisch an Überlegungen orientiert, von denen aus es für diese Ausblendung gute Gründe gibt.

36 Dabei handelt es sich um die Ebene der Kommunikation (Luhmann 1999a, 191ff.). 37 So schreibt Renate Mayntz mit Blick auf Überlegungen, die unterhalb des Zusammenspiels ver-schiedener individueller aber auch kollektiver Handlungen ansetzen: „Die so gewonnene analytische Eindeutigkeit vergewaltigt allerdings das Selbstverständnis des Gläubigen, der Stiftung und des Forschers, was den Sinn ihrer Handlungen angeht“ (Mayntz 1988, 30). 38 An dieser Stelle befindet sich der akteurszentrierte Institutionalismus im übrigen in guter Gesell-schaft mit anderen institutionalistischen Theorien wie dem Neoinstitutionalismus. Auch dieser geht davon aus, dass Organisationen zwar einem gemeinsamen Handlungssinn folgen, jedoch nicht die gleichen, sondern auch verschiedene Aufgaben wahrnehmen, die für die Erhaltung des Sektors notwendig sind. (Scott/Meyer 1991, 118f).

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Organisation und Gesellschaft 39

1.1.2 Zur ‚Einebnung’ innerorganisationaler Differenzierung

Organisationen wird, das legt bereits der Name des Ansatzes nahe, in dieser Perspektive der Status des handelnden Akteurs zugesprochen. Dabei wird deut-lich, dass zwischen einem theoretisch konsistenten und einem forschungsstrate-gisch brauchbaren Begriffs von Akteuren unterschieden wird. In theoretischer Hinsicht folgt – wie Fritz Scharpf deutlich macht – der akteurszentrierte Institu-tionalismus zunächst den Grundannahmen des methodologischen Individualis-mus. Demnach können soziale Prozesse grundsätzlich durch das Verhalten der daran beteiligten einzelnen Individuen sowie ihrer jeweiligen Situation erklärt werden (Watkins 1973, 149f).39

Damit nimmt der individuelle Akteur erkenntnistheoretisch grundsätzlich eine bedeutende Stellung ein. Forschungspraktisch dagegen verschwindet er in den konkreten Arbeiten des akteurszentrierten Institutionalismus zumeist in der Bedeutungslosigkeit. Diese Differenz ist pragmatischen Gesichtspunkten ge-schuldet. Nach Ansicht von Vertretern dieses Ansatzes ist es notwendig, in Re-gulierungskontexten die Ebene des individuellen Akteurs und seiner Handlungen zu vernachlässigen. Eine Betrachtung sämtlicher Einzelhandlungen würde schließlich die „Analysekapazitäten“ des soziologischen Beobachters übersteigen (Schimank 2000, 307). An die Stelle des individuellen Akteurs rückt nun die Analyseeinheit des „composite actor“ (Scharpf 1997, 52). Dieser „composite actor“ besteht zwar letztlich aus Einzelhandlungen mehrerer individueller Akteu-re, wird aber wie ein einzelner, überindividuell handelnder Akteur behandelt.40

Wir haben es somit mit einer Aggregation von Einzelhandlungen zu tun, wie sie auch im Kontext der Rational-Choice-Theorien (z.B. Esser 1993, 120-140) vor-zufinden ist. Auf diese Weise wird es forschungspraktisch möglich, die Komple-xität der „Mikroebene“ zu reduzieren und den Fokus auf der Makro-Ebene auf überindividuelle Akteure zu lenken – auf einen Akteurstypus wohlgemerkt der aus erkenntnistheoretischer Perspektive auch für den Ansatz selbst gar nicht existiert.41

Wie aber ist ein Zusammenwirken von Einzelhandlungen zur Konstitution eines fiktiven Akteurs aus Sicht des akteurszentrierten Institutionalismus vor-

39 Siehe dazu und zu einer kritischen methodologischen Rezeption bei weiteren Aufsätzen dieses Sammelbandes (O'neill 1973) oder auch bei Karl-Dieter Opp (Opp 1979). 40 Diese Position scheint zwar nicht in allen Spielarten konsequent durchgehalten zu werden. Bei Renate Mayntz lesen wir beispielsweise „The corporate actor approach neither ignores that individu-als, singly or as unorganized collectivites, can influence policy formations, not does it deny that it is individuals who make organizational decisions and that a change of instruments in top positions can therefore significantly affect organization strategy“ (Mayntz 1997, 179). Dennoch zeigt sich auch hier, dass es um keine systematische Einbeziehung geht. 41 Es handelt sich, wie Schimank bemerkt, somit um eine „als ob“ Fiktion (Schimank 2000, 307).

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40 Kontinuitäten

stellbar? Welche Kandidaten stehen zur Verfügung? Zwei Typen sind in an die-ser Stelle ersichtlich, zum einen Koalitionen, zum anderen aber formale Organi-sationen (Schimank 2000,). Für das Feld öffentlicher Regulierung erweist sich der zweite Typ als der analytisch fruchtbarere. Organisationen werden dabei bezeichnet als

„handlungsfähige, formal organisierte Personen-Mehrheiten, die über zentralisierte, als nicht mehr den Mitgliedern individuell zustehende Handlungsressourcen verfü-gen, über deren Einsatz hierarchisch (zum Beispiel in Unternehmen oder Behörden) oder majoritär (zum Beispiel in Parteien oder Verbänden) entschieden werden kann“ (Mayntz/Scharpf 1995a, 49).

Diese Definition liefert uns einen ersten organisationstheoretischen Hinweis dafür, wie es möglich wird, die Organisation als kollektiven Akteur zu behandeln und Formen organisierter Binnenkomplexität auszublenden. Die Zusammenfas-sung vieler individueller Handlungen zu einem einzigen Akteur gelingt in der formalen Organisation mittels der Ordnungsform der Hierarchie. Erst durch diesen Schritt wird der collective actor zum corporate actor (Scharpf 1997, 57). Betrachtet werden müssen allein die organisatorische Spitze und ihre Ziele, wel-che dann selbst bzw. ihre Nebenfolgung zum Thema der Regulierung avancieren. Damit erinnert der akteurszentrierte Institutionalismus hinsichtlich seines Orga-nisationsverständnisses an Max Webers Idealtypen der Bürokratie und der büro-kratischen Herrschaft. Weber zeigt in diesen Analysen auf, in welcher Weise hierarchisch strukturierte soziale Wirtschaftseinheiten aufgrund ihrer technischen Überlegenheit in der Moderne an Relevanz gewinnen. Bürokratie als Ordnungs-typus bezieht sich dabei bei Weber nicht allein auf öffentliche Verwaltungsorga-nisationen. Vielmehr stellt auch in der Privatwirtschaft der Typus des bürokrati-schen Betriebs ein zentrales Kennzeichen der kapitalistischen Wirtschaftsord-nung dar (Weber 1972, 551), der sich hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit zu-nächst durch Optimierung hinsichtlich der „Präzision, Schnelligkeit, Eindeutig-keit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kos-ten“(Weber 1972, 561f) auszeichnet. Zentral an Webers Analysen bürokratischer Organisationen für den akteurs-zentrierten Institutionalismus ist die Beobachtung, dass diese sich aufgrund ihrer Regelhaftigkeit durch Berechenbarkeit auszeichnen (Weber 1972, 562), so dass von der Spitze der Organisation auf den gesamten Apparat und seine Prozesse zugegriffen werden kann.42 Ein derartiger bürokratischer Apparat ist nach Weber

42 Bei Fritz Scharpf heißt es analog dazu: ”The bureaucratic organization itself is, on the one hand, the major action resource of the association, but on the other hand, the it is also the most powerful

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hinsichtlich seiner Kalkulationsfähigkeit mit einer Maschine vergleichbar ( siehe auch Kieser 2002, 50; Weber 1971, 322; Weber 1972, 561). Die von Weber beschriebenen Charakteristika stellen jedoch nur einen Teil der Vorteile dar, die formale Organisationen gegenüber anderen Formen kollektiven Handelns besit-zen.43 Zum einen ergeben sich eben – wie bei Max Weber in anderen Worten angedeutet – Koordinations- und Kontrollvorteile.44 Zum zweiten gelingt es, dass korporative Akteure jenseits einzelner Situationen und Motivlagen von einzelnen Akteuren dauerhaft die Mitgliederinteressen vertreten können. Mittels eines Vertrags, der die bereits oben beschriebene Übertragung von Ressourcen regelt, gewinnt der korporative Akteur an Autonomie.45 In diesem Argument liegt die Antwort auf die Frage, warum Organisationen in Regelungsprozessen als rationaler und berechenbarer angesehen werden können. Ein dritter Vorteil ist schließlich in der Möglichkeit der Spezialisierung zu sehen. Anders als natürliche Personen können sich korporative Akteure diesem Ansatz nach auf die Erfüllung weniger Funktionen konzentrieren, während erste-re ein Mindestspektrum von Bedürfnissen zu erfüllen haben. Damit ergibt sich für korporative Akteure die Möglichkeit der Spezialisierung auf Zwecke. Ein fünftes Charakteristikum was diesem Ansatz nach korporative Akteure von na-türlichen, individuellen Akteuren unterscheidet, ist ihre Fähigkeit, Probleme durch interne Differenzierung und Dezentralisierung parallel zu verarbeiten. Schließlich wird als letzter Punkt die quantitative Größe insbesondere von größe-ren Organisationen als Kategorie gesehen, die Vorteile schafft, die natürlichen Personen vorenthalten bleiben. Insbesondere diese letztgenannte Eigenschaft macht sich der akteurszentrierte Institutionalismus für seine Arbeiten zu Nutze. Auf Basis der Annahme dieser Berechenbarkeit wird es möglich, organisationale Komplexität auszublenden, die Organisation wie eine black-box zu behandeln und sie als composite actor wieder auftauchen zu lassen. Damit lässt sich nach-vollziehen, dass über Ordnungsformen wie Hierarchie und damit verbundene Charakteristika wie Aktenführung und Unpersönlichkeit die Konstitution eines solchen korporativen Akteurs gelingt.

instrument through which leaders are potentially able to control and exploit the association and its members“ (Scharpf 1997, 57). 43 Siehe dazu und zu den im Folgenden aufgeführten Punkten bei Volker Schneider (Schneider 2000, 246ff.). 44 Hier schließt der Ansatz, wie auch betont wird, an die Transaktionskostentheorie (Williamson 1985) an. 45 Hier knüpft der Ansatz an James Colemans Idee des Vertrages zu Bildung von korporativen Akteu-ren an (Coleman 1994, 327).

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42 Kontinuitäten

1.1.3 Grenzen der Entdifferenzierung

Der akteurszentrierte Institutionalismus hält sich gleichzeitig – dies muss der Vollständigkeit halber betont werden – ein (analytisches) Hintertürchen offen, um auch Phänomene analysieren zu können, die doch auf ein differenzierteres Verständnis angewiesen sind. Einen Anhaltspunkt für die Einführung von Diffe-renzierungsschemata in Einzelfällen liefert der Umstand, dass Handlungen kor-porativer Akteure nicht immer nur nach außen, sondern auch oftmals nach innengerichtet sind, um zum Beispiel Symbolpolitik zu betreiben. (Ver-)Handlungen im Rahmen eines Politiknetzwerks lassen sich somit nicht immer nur auf Ziele, sondern oftmals angemessener auf Strategien zurechnen (Mayntz 1997, 180). Um diese Vorgänge erklären zu können, erscheint dann doch aus dieser For-schungsperspektive die Einbeziehung von Konstellationen unterhalb der Ebene kollektiver Akteure notwendig, wenn auch nicht in systematischer Weise. So können Handlungsmotive individueller Akteure in einzelnen Fällen doch eine Rolle spielen. Was dann sichtbar wird ist die Differenz zwischen kollektiver Zielsetzung und individuellen Handlungsmotiven, die sich in der Differenz von einem „objektiven Sinnbezug des Handelns (...) und seinen Handlungsmoti-ven“(Mayntz 1988, 31) ausdrückt. In der Empirie findet sich diese Divergenz beispielsweise in der Figur des Militärpfarrers wieder, der Frieden auf Erden in einer Organisation predigt, die unbedingten Pazifismus aus existentiellen Grün-den negieren muss. Im Falle dieser Bruchstellen haben wir es zunächst mit Divergenzen vor allem auf einer sozialpsychologischen Ebene zu tun, die jedoch ihre Entspre-chung auf sozialer Ebene, also mit Blick auf die innerorganisationale Differen-zierung finden. Darüber hinaus zeigen sich Rücknahmen der dargestellten Ent-differenzierungsstrategien auch jenseits einer sozialpsychologischen Ebene. In Einzelfällen bezieht sich die Einbeziehung von Aspekten unterhalb der Ebene koorperativer Akteure auch auf Prozesse einer emergenten sozialen Ebene. In diesen Fällen kann gar die sektorale Zuordnung von Organisationen an Eindeu-tigkeit verlieren. Ein Beispiel dafür stellt die Universität als eine Organisation dar, die gleichzeitig Forschung und Lehre als Ziel- und Zwecksetzung hat. In diesem Fall ist auch der akteurszentrierte Institutionalismus bemüht, sowohl organisationale Komplexität in seine Analyse zu integrieren und auch die Unter-scheidung von Organisation und Sektor stark zu machen (Schimank 1993, 41). Damit sind die beiden oben aufgezeigten Entdifferenzierungsstrategien für den Einzelfall relativiert. Dennoch wird auch im Falle des Einzelfalls deutlich ge-macht, dass es sich eben um einen Einzelfall handelt, der daraus rührt, dass der Organisation selbst keine eindeutigen Ziele zugerechnet werden können. Im Falle von Organisationen, die wie beispielsweise Banken klar einem Gesell-

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schaftsbereich zuzuordnen sind, stellt sich diese Aufgabe jedoch nicht, da eben alle organisationalen Aspekte sich den Ziel- und Zwecksetzungen als rein in-strumentelle Geschehnisse fügen.46 Spannungen zwischen innerorganisationalen Handlungen und von kollektiven Akteuren mit angestrebten, finden somit nur zwischen intentionalen Faktoren individueller und Systemziele statt und spielen analytisch allein in Ausnahmefällen eine Rolle. Damit wird aus Perspektive des akteurszentrierten Institutionalismus deut-lich: Sofern kollektiven Akteuren ein eindeutiger Sinnbezug zugesprochen wer-den kann bzw. ein abweichender Sinnbezug empirisch keine Rolle zu spielen scheint, lässt sich die Einebnung der Differenzierung von Organisation und Teil-system nicht allein optional vollziehen. Sie ist zugleich ein starkes Argument, um von der Organisiertheit gesellschaftlicher Teilsysteme zu sprechen und Bin-nendifferenzierungen, wie wir sie im Sinn haben, zurückzuweisen. An diesem Punkt setzt unser zentrales Argument an, mit dem wir begründen wollen, warum die soziologische Systemtheorie uns analytisch/heuristisch im Rahmen unserer Fragstellungen weiterbringen kann. Wir werden aufzeigen, dass auch dann ein differenziertes Bild der Organisation und ihrer Beziehung zu gesellschaftlichen Teilsystemen aufrechterhalten werden kann und sollte, wenn ihnen ein eindeuti-ger Zweck oder ein Ziel von der Gesellschaft oder auch von ihnen selbst zuge-sprochen wird, welches sich in die übergreifende Sektorlogik einfügen lässt.

1.2 Multireferenz und Emergenz – Bankensystem und Banken in der Systemtheorie

Blickt man in die systemtheoretische Literatur, die sich mit dem Verhältnis von Organisation und gesellschaftlichen Teilbereichen auseinandersetzt, so zeigt sich, dass in diesem Arbeitskontext keine abschließend konsistente Vorstellung des Verhältnisses von Organisation und Gesellschaft vorliegt. Analytisch lassen sich aus verschiedenen Arbeiten von Niklas Luhmann und anderen Autoren zwei Kernpositionen herausarbeiten, die jeweils unterschiedliche Möglichkeiten auf-zeigen, wie das Verhältnis von Organisation und gesellschaftlichen Teilsystemen verstanden werden kann: Die erste unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Betrach-tung gesellschaftlicher Differenzierung auf den ersten Blick nicht unweigerlich vom handlungstheoretischen Ansatz des akteurszentrierten Institutionalimus. So

46 Zwar erkennt Fritz Scharpf sogar die „Multilingualität“ von Organisationen ausdrücklich an (Scharpf 1989, 15). Die Spannungen der daraus folgenden internen Komplexität werden jedoch nicht konsequent durchgespielt. Für Scharpf ist die Multilingualität ein Ausweis von Steuerbarkeit. In unserer Argumentation ergibt sich – wie wir zeigen werden – gerade aus diesem Umstand heraus ein Problem der Steuerbarkeit.

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sind die Organisationen der funktional differenzierten Gesellschaft Teile der jeweiligen Funktionssysteme, die jeweils die Operationslogik eines entsprechen-den Subsystems mit vollziehen. Die Ausgestaltung der jeweiligen Funktionssys-teme geschieht somit in zentraler Weise durch Organisationen:

„Alle haben für sie [die Funktionssysteme, Anm. M.K] besonders wichtige Organi-sationen, die spezifisch dem jeweiligen Funktionssystem zugeordnet sind, ja gerade-zu Zentren der entsprechenden Systeme bilden: Banken und Gerichte, Forschungs-organisationen und Kirchen (im modernen Verständnis), Schulen und Staatsorgani-sationen“ (Luhmann 1994, 190).

Damit wird die Ordnung der modernen Gesellschaft gewissermaßen auf die Ebe-ne der Organisationen kopiert. Auch wenn sich bereits jetzt im Zuge einer detail-lierten Analyse zweifellos verschiedene erkenntnis- und sozialtheoretische Diffe-renzen aufzeigen lassen könnten, erscheint in der Zuordnung von Organisationen zu gesellschaftlichen Teilbereichen eine Parallele zu den beschriebenen hand-lungstheoretischen Ansätzen zu bestehen. In der Systemtheorie selbst haben sich jedoch insbesondere in der jüngeren Vergangenheit die Zweifel gemehrt, ob ein derartiges Verständnis des Verhält-nisses von Organisationen und gesellschaftlichen Teilsystemen aus dem eigenen Theorieverständnis heraus aufrechterhalten werden kann. Dahinter steht die Frage, ob die Differenz zwischen Organisation und Gesellschaft als verschiedene Typen sozialer Systeme nicht ernster zu nehmen ist. Zwar finden sich bei Luh-mann selbst immer wieder Hinweise, die für die Einschränkung dieser klaren Zuordnung sprechen. So weist er beispielsweise auf die Tatsache hin, dass alle professionellen Organisationen über die Zahlung von Löhnen mit dem Wirt-schaftssteil gekoppelt sind (Luhmann 2000b, 405). Eine theoretische Ausarbei-tung der damit verbundenen Konsequenzen bleibt er jedoch schuldig. An dieser schwammigen Position Luhmanns hat es innerhalb der System-theorie, aber auch aus anderen Kontexten heraus Kritik gegeben. Wil Martens; Georg Kneer oder beispielsweise auch Armin Nassehi attestieren Luhmann wi-dersprüchliche bzw. inkonsistente Positionen zu diesem Themenkomplex (zur Kritik an dieser Kritik Drepper 2003, 201; Kneer; Martens 2000, 288; Nassehi 2002). Ein Kritikpunkt bezieht sich dabei auf einen allgemeinen Ausgangspunkt der Systemtheorie, demnach soziale kommunikative Elemente nicht Bestandteil zweier Systeme, beispielsweise Funktions- und Organisationssystemen, sein könnten, das aber in diesem Fall wären (z.B. Kneer 2001). Dieser Aspekt ist für uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt weniger von Relevanz, da er uns in theoriear-chitektonische Problemstellungen lockt, die uns von unserer Forschungsfrage wegführen. Vielmehr interessiert uns das Verhältnis von Organisation und ge-sellschaftlichem Teilsystem mit Blick auf die divergierenden Operationslogiken

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beider Sozialsysteme. Christof Wehrsig und Veronika Tacke weisen darauf hin, dass Organisationen und gesellschaftliche Teilsysteme jeweils über systemspezi-fische Eigenrationalitäten verfügen (Wehrsig/Tacke 1992, 230). Organisationen werden in der Konsequenz als multireferentielle Sozialsysteme (dazu auch Bora 2001) bezeichnet, die im Rahmen ihrer Operationen auf verschiedene Teilsyste-me Bezug nehmen.47 Thomas Drepper fasst diese Sichtweise wie folgt zusam-men:

„Es ist mittlerweile common sense, dass Organisationen sich nicht nur an einem ge-sellschaftlichen Teilsystem exklusiv orientieren, sondern an verschiedenen Funkti-onssystemen mit unterschiedlicher Gewichtung. Die Organisationen der modernen Gesellschaft orientieren sich wirtschaftlich, rechtlich, politisch, pädagogisch- etc“ (Drepper 2003, 200).

Aus der beschriebenen Multireferentialität lässt sich eine analytische Trennung von Organisation und Funktionssystemen ableiten. Diese spiegelt sich beispiels-weise in einer Analogie wider, die Michael Beetz mit Blick auf das Verhältnis von Organisations- und Funktionssystem vornimmt (Beetz 2003). So vergleicht er dieses mit dem von Person und gesellschaftlichem Funktionssystem. Erstens stehen Beetz zufolge Personen wie auch Organisationen „in Beziehung“. Zudem können beide sozialen Phänomene entstehen und vergehen. Die Existenz des Funktionssystems wird dadurch nicht aufs Spiel gesetzt (Beetz 2003, 47f). An dieser Stelle wird bereits deutlich, in welcher Weise wir es im Vergleich zum akteurszentrierten Institutionalismus mit einer anderen Theoriedisposition zu tun haben. Auch dieser würde ja nicht bestreiten, dass Banken sich an rechtlichen und politischen Vorgaben orientieren müssen – gerade diese Aspekte bilden ja einen Kernbereich der Debatte, wenn es um die Bedeutung von Institutionen geht. Die veränderte Theorieanlage rührt vielmehr aus dem Umstand her, dass die funktionale Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche in anderer Weise formuliert wird. Die Ausgestaltung und Operationsweise eines autonomen Bankensystems lässt sich weniger über eine spezifische Angebot- und Nachfra-gekonstellation erklären, wie es in der handlungstheoretischen Diktion vorge-schlagen wird. Stattdessen werden die Funktionssysteme der modernen Gesell-schaft und ihre Subsysteme vor allem über ihre Funktionen und Leistungen defi-niert, die sie für die Gesellschaft, bzw. die entsprechenden Teilsysteme erbrin-gen.

47 Interessanterweise kommt Klaus Türk in diesem Zusammenhang auf der Basis einer divergieren-den Theorieperspektive zu einem genau umgekehrten Schluss. Für ihn sind Handlungen und Interak-tionen ursprünglich multireferentiell. Erst über Organisationen werden diese Prozesse auf funktional spezifische Outputs hin konditioniert, sie werden „funktional gereinigt“ (Türk 1995, 126).

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1.2.1 Das Bankensystem als selbstreferentielles gesellschaftliches System

Gesellschaftliche Funktionssysteme werden in einer systemtheoretischen Be-trachtung nicht als arbeitsteilige Handlungszusammenhänge begriffen, die sich an einem Zweck orientieren und sich ggf. unterordnen. Stattdessen haben wir es mit kommunikativen Elementen eines Typus zu tun, die die Strukturbildung gesellschaftlicher Funktionssysteme vorantreiben. Gesellschaftliche Teilsysteme operieren auf der Basis einer Leitunterscheidung und nutzen eine Seite der Un-terscheidung als Präferenzwert, an welchen die jeweiligen Kommunikationen anschließen. So reproduziert sich das Wirtschaftssystem auf der Basis der Unter-scheidung von Zahlung/Nicht-Zahlung und nutzt die Seite der Zahlung als Präfe-renzwert (Luhmann 1988, 52ff.). Das Finanzsystem operiert entsprechend auf Grundlage der Unterscheidung von Investment/Nichtinvestment und orientiert sich dabei ebenfalls am ersten Wert der Unterscheidung. Investment schließt somit immer an Investment an (Willke 2005a, 23f).48 Wir wollen in diesem Kon-text auch das Bankensystem als ein selbstreferentielles Sozialsystem begreifen, das sich auf der Basis eigener Operationen reproduziert und damit mehr und zugleich weniger ist als ein organisationales Netzwerk oder gar die Summe aller Operationen von Banken.49

Diese analytische Entscheidung mag zunächst ungewöhnlich, wenn nicht gar kontraintuitiv erscheinen. Schließlich verweist der Begriff Bankensystem bereits terminologisch auf eine systemische Verbundenheit von Banken. Wenn wir jedoch die Leistungen des Bankensystems, die es für andere Systeme er-bringt, ins Zentrum der Analyse rücken, erscheint deutlicher, dass es sich um ein emergentes Sozialsystem handelt.50 Die erste Leistung kann in der Ausstattung von Zahlungsfähigkeit gesehen werden. In einer konkreteren Betrachtung des Kommunikationszusammenhangs können wir formulieren: Im Rahmen der Ope-

48 Wir verzichten an dieser Stelle darauf, zu klären, ob das Finanzsystem nun ein eigenes Funktions-system oder ein Subsystem der Wirtschaft darstellt. Dazu gibt es – auch in der Systemtheorie – verschiedene Positionen, die jeweils für sich nachvollziehbar erscheinen. Für unsere Arbeit erscheint es nicht entscheidend, sich eindeutig für eine zu entscheiden. 49 Damit folgen wir einem Differenzierungsvorschlag von Torsten Strulik (Strulik 2000, 141). 50 Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Teilsystemen wie der Politik, dem Recht, der Religion oder der Wirtschaft können wir im Falle des Bankensystems jedoch nicht von einem Funktionssys-tem mit einer gesellschaftsweit in Anspruch genommenen Funktion ausgehen. Stattdessen wollen wir das Bankensystem als Subsystem des Finanzsystems betrachten, das für dieses, aber auch für das Wirtschaftssystem spezifische Leistungen zur Verfügung stellt. Im Folgenden werden wir an man-chen Stellen von Finanzsystem sprechen, wo der Leser vielleicht das Banksystem erwartet hätte. Dies mag dann aus sprachlichen Überlegungen geschehen. Diese Fußnote macht jedenfalls deutlich, wie das Arrangement vorzustellen ist.

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rationen des Bankensystems wird es möglich, dass Alter mit Zahlungsfähigkeit ausgestattet wird und dazu auf finanzielle Mittel von Ego zugreift.51

Mit unserem Rekurs auf den Aspekt der Ausstattung von Zahlungsfähigkeit geraten wir in Sichtkontakt mit ökonomischen Theorien der Intermediation.52 Es geht somit um die Überbrückung von Zahlungsunfähigkeit und die „Möglichkeit zur Teilnahme am Wirtschaftsprozess (vor allem in zeitlicher Hinsicht) unab-hängig vom Vorhandensein aktueller Zahlungsfähigkeit“ (Schmidt 1998, 280). An diesen Transformationsleistungen haben Bankorganisationen einen entschei-denden Anteil, da sie im Rahmen ihrer Operationen sowohl an der Erzeugung von Zahlungsfähigkeit aber auch von Zahlungsunfähigkeit beteiligt sind.53 Sie befinden sich, wie wir im Folgenden noch aufzeigen wollen, in einer Leistungs-rolle. Jedoch wird mit Blick auf diese Vorgänge deutlich, dass Banken nicht die einzigen Adressen innerhalb dieses Kommunikationszusammenhangs sein kön-nen. Ein Bankensystem, an dem nur Bankorganisationen partizipieren, die sich gegenseitig Kredite gewähren und jeweils Einzahlungen vornehmen, würde wohl im wahrsten Sinne des Wortes nicht funktionieren. Das Bankensystem ist somit auf die Inklusion von Bankkunden, die im Folgenden als Publikum bezeichnet werden, angewiesen, die durch Bankorganisationen mit Zahlungsfähigkeit (Kre-ditnehmer) und Zahlungsunfähigkeit (Einleger) ausgestattet werden. Die Ausstattung mit Zahlungsfähigkeit bezeichnet somit eine zentrale Leis-tung des Bankensystems. Diese Leistung wird jedoch vom Bankensystem nicht exklusiv zur Verfügung gestellt. Schließlich stellt Intermediation einen Mecha-nismus dar, der vom gesamten Finanzsystem, beispielsweise durch Aktien- oder Derivatehandel, betrieben wird (Schmidt 1998, 280).54 Die Besonderheit des Bankensystems besteht darin, dass die Ausstattung mit Zahlungsfähigkeit an voraussetzungsvollere Bedingungen geknüpft wird. Im Rahmen des Finanzsys-tems muss Ego Gewinne aber eben auch Verluste erwarten, schließlich können

51 Im Anschluss an Niklas Luhmanns Kommunikationstheorie bezeichnen wir mit Alter und Ego die Adressen in einem Kommunikationszusammenhang (Luhmann 1999a, 195), auf die die entsprechen-den Operationen in den Sozialsystemen zugerechnet werden. Ego wird dabei (innerhalb des Kommu-nikationszusammenhangs!) als Adressat, Alter als Mitteilender bezeichnet. Dabei können Organisati-onen aber auch Personen verschiedene Positionen einnehmen, also als Alter und Ego fungieren. 52 Siehe dazu klassisch bei Sudipto Bhattacharya und Anjan Thakor, sowie bei John Gurley und Edward Shaw (Bhattacharya/Thakor 1993; Gurley/Shaw 1970, 19). 53 Hier gilt es zudem zu bemerken, dass insbesondere in den so genannten Entwicklungs- und Schwellenländern ein nicht kleiner Teil des Kreditgeschäftes ohne Beteiligung formaler Bankorgani-sationen, auf informalen Kreditmärkten, stattfindet (siehe z.B. Mohieldin/Wright 2000; Tim-berg/Aiyar 1984). Anhand dieser Fälle wird die analytische Trennung zwischen Bankorganisationen und Bankensystem empirisch noch deutlicher. 54 Diese funktionale Äquivalenz wird auch deutlich, wenn in der Literatur zwischen Markt und bankbasierten Finanzsystemen der Länder unterschieden wird, die trotz unterschiedlicher Ausgestal-tung jeweils vergleichbare Leistungen erbracht werden (z.B. Vitols 1997, 4).

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Aktienkurse fallen und Termingeschäfte platzen. Hier unterscheidet sich der Operationsmodus des Bankensystems: Im Rahmen dieses spezifischen Kommu-nikationszusammenhangs stützt ein Zahlungsversprechen von Alter die Erwar-tung von Ego, dass ihm das Geld zurückgezahlt wird. Ausstattung von Zahlungsfähigkeit geschieht somit im Bankensystem alleinunter der Voraussetzung der Abgabe eines Zahlungsversprechens durch die Bank gegenüber dem Einleger bzw. durch den Kreditnehmer gegenüber der Bank (Allais 1987, 495f; Baecker 1991, 50). Zwar schützt dieses Versprechen nicht gegenüber einem relativen Geldwertverlust, beispielsweise durch Inflation. Es stabilisiert jedoch die Erwartung, dass im Bankensystem – im Gegensatz zum Börsenhandel – der Nennwert der Zahlungen zurückerstattet wird. Hier kann die Spezifität des Bankensystems gegenüber dem Finanzsystem im Allgemeinen gesehen werden. Banken geben somit das Versprechen ab, eingelagertes Geld unter Maßgabe getroffener Vereinbarungen zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuzahlen und vor allem: zurückzahlen zu können.55 Das gleiche gilt für den Kreditnehmer, der das gleiche Versprechen jetzt an die Bank abgibt. Das Bankensystem reproduziert sich somit über die Annahme von Zahlungsverspre-chen. Die Ablehnung dient dagegen als Reflexionswert, ähnlich wie der Wert der Nichtzahlung im Wirtschaftssystem. Auch wenn Alter mit Hilfe eines solchen Versprechens die Erwartung einer Rückzahlung aufbauen kann, ist damit die Rückzahlung, die in der Zukunft liegt, keinesfalls programmiert. Im Gegensatz zur Zahlung verbindet sich mit dem Zahlungsversprechen ein spezifisches Risikofür Ego: Nämlich das Risiko, dass Alter trotz seines Versprechens nicht zurück-zahlt. In der modernen Gesellschaft kann Alter zwar auf Basis von Gesetzen dazu verpflichtet werden, zurückzuzahlen. So weist die Bankenbetriebslehre auf eine Rückerstattungspflicht hin, die den Geldnutzungsvertrag mit einem Mietver-trag vergleichbar macht (Benner 1990, 152). Diese rechtlichen Regelungen ha-ben jedoch wenig Wirkung, wenn Alter nicht zurückzahlen kann. Somit handelt es sich bei der Annahme des Zahlungsversprechens um ein Risiko, das nur unter der Bedingung kompensatorischer Mechanismen eingegan-gen wird. Einer dieser Mechanismen ist sicherlich Systemvertrauen, an dessen Konstitution spezialisierte Organisationen mitarbeiten (Strulik, 2004, 66ff.). Dieses Vertrauen wird durch Ratings in die Bonität von Kreditnehmern unter-stützt. Es wird aber andererseits auch durch die enge staatliche Regulierung von Kreditinstituten gestärkt. Dies alles führt jedoch nicht zur vollständigen Vermei-dung von Risiken, sondern nur zu einer neuen Form der Beobachtung. Über diese Prozesse werden wir uns noch an späterer Stelle informieren. Für die hier

55 Daraus erklärt sich auch, warum die Haftungsbasis von Banken eine besondere Qualität besitzt (Benner 1990, 156).

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fortlaufende Argumentation ist zunächst allein wichtig, dass in dieser Form der Beobachtung eine zweite wesentliche Leistung des Bankensystems zu sehen ist. Für die Wirtschaft bieten die Beobachtungen im Bankensystem, die zur Annah-me und Ablehnung von Zahlungsversprechen führen, die Möglichkeit, sich (selbst) über das Bankensystem unter dem Aspekt des Risikos zu betrachten (Luhmann 1991c, 196). Da das Bankensystem selbst die Wirtschaft eben allein unter dem Blickwinkel von Risiken (z.B. Kreditrisiken, Marktrisiken) beobach-tet, um die Operationen der Annahme/Ablehnung von Zahlungsversprechen zu vollziehen, spiegeln sich in den Operationen des Bankensystems die Risikokons-tellationen des Wirtschaftssystems wider. Damit haben wir zwei zentrale Leistungen aufgezeigt, die das Bankensys-tem für das Wirtschaftssystem erbringt und die sich auf der Basis des Zahlungs-versprechens in einer spezifischen Form der Erwartungsbildung vollziehen. Wenn wir gesellschaftliche Differenzierung an derartigen Gesichtspunkten kenn-zeichnen, ergeben sich die analytischen Möglichkeiten, innerhalb von Organisa-tions- und Handlungszusammenhängen zu differenzieren. Mit Blick auf unser Thema bedeutet dies: Entscheidungen über neue Regulierungsstandsstandards gehören zum politischen System, die Börsenberichterstattung in der Zeitung ist Teil des Mediensystems und (finanz-)wissenschaftliche Erkenntnisse werden im Wissenschaftssystem erworben.56

So partikularistisch in der Systemtheorie die einzelnen Teilsysteme hin-sichtlich ihres Kommunikationstypus gebaut sind, so universalistisch sind sie hinsichtlich ihrer Reichweite und Inklusionsdynamik. Dem Verständnis der The-orie nach sind alle Zahlungen Elemente des Wirtschaftssystems, alle Investitio-nen dagegen Teil des Finanzsystems. Damit wird ein deutlicher Unterschied zum handlungstheoretischen Verständnis möglich, der die Unterscheidung von Orga-nisationen und gesellschaftlichen Teilsystemen wiederum plausibilisiert: Auf-grund der universalistischen Geltung von gesellschaftlichen Teilbereichen er-scheint es unwahrscheinlich, dass einzelne Organisationen die Partizipation an ganzen Teilsystemen kontrollieren können. Dies hängt auch damit zusammen, dass Teilsysteme nicht mehr national gedacht werden können, wie es in der so-ziologischen Tradition der Differenzierungstheorie,57 aber eben auch im akteurs-zentrierten Institutionalismus vorausgesetzt war. Stattdessen haben wir es mit

56 Mit diesem Differenzierungsvorschlag entfernt sich die Systemtheorie nicht allein von handlungs-theoretischen Ansätzen, sondern begibt sich auch in eine Frontstellung zu politökonomischen Kon-zepten, die vor allem eine Trennung politischer und ökonomischer Rationalitäten, bzw. von Über- und Unterbau im Rahmen der Analysen ihrer Untersuchungsgegenstände ablehnen (Bruch 2000, 191). Somit werden an dieser Stelle bereits die Grundlagen für die noch folgenden Unterschiede in der Argumentation gelegt. 57 So sah Norbert Elias die Möglichkeit einer funktionalen Ausdifferenzierung vor allem vom stabi-len Gewaltmonopol, welches der Nationalstaat zur Verfügung stellt, abhängig (Elias 1969, 321).

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weltweit vernetzten Kommunikationszusammenhängen zu tun.58 In einem welt-weiten Kontext erscheint die Organisiertheit eines Teilsystems wenig realistisch. Zwar können in einzelnen Teilen der Welt durch die Politik Zutrittsbarrieren zu bestimmten Märkten aufgestellt werden. Dies bedeutet jedoch keinen grundsätz-lichen Ausschluss vom Wirtschafts- oder Finanzsystem. Wer in Nordkorea auf-grund politischer Hindernisse nicht investieren kann, investiert in China. Wirt-schaftssystem und Finanzsystem entwickeln somit, sofern sie ausdifferenziert sind, ein Inklusionspostulat, welches schwerlich von einzelnen Organisationen blockiert werden kann (Luhmann 1994, 192). Die Inklusionsdynamik und die damit verbundenen Unwahrscheinlichkeit einer Organisiertheit von Funktionssystemen gewinnen nochmals an Plausibili-tät, wenn wir die Unterscheidung von Leistungs- und Publikumsrollen in Funkti-onssystemen hinzuziehen. Demnach sind das Finanzsystem oder auch das Ban-kensystem nicht allein durch institutionelle Anleger und Börsen, bzw. Banken und andere Finanzdienstleister charakterisiert. Ebenso hat auch die Beteiligung von Personen, die der systemtheoretischen Auffassung nach zum Publikum ag-gregieren, strukturbildenden Charakter. In Funktionssystemen wie dem politi-schen System, dem Wirtschaftssystem und wohl auch dem Finanzsystem artiku-liert sich das Publikum primär in Form von ‚exit’ und ‚voice’ Beteiligungen (in Anschluss an Hirschman 1970; Stichweh 2005a, 22). Für das System sind diese Formen der Partizipation allein durch die quantitative Aggregation vieler Einzel-beteiligungen verarbeitbar. 59 Dieses Verhältnis von Leistungs- und Publikums-rollen problematisiert nochmals die Möglichkeiten von Organisiertheit und Zu-trittsbeschränkungen. Eine qualitative Beobachtung von Vorgängen ist in gesell-schaftlichen Kontexten wie Politik und Wirtschaft grundsätzlich schwer vorstell-bar. Im Bankensystem lassen sich zwar Gesichtspunkte finden, die die Inklusi-onsdynamik, wie sie in der Gesamtwirtschaft vorliegt, zu relativieren scheinen. So müssen Kreditnehmer beispielsweise bis zu einem gewissen Grad ihre Kre-ditwürdigkeit unter Beweis stellen,60 um mit Banken ins Geschäft zu kommen. Derartige Procedere entscheiden jedoch eher über die Höhe der Kreditbewilli-gung sowie die damit verbundenen Konditionen, nicht aber über einen generel-

58 Siehe dazu und dem dahinter stehenden theoretischen Konzept zunächst bei Niklas Luhmann (Luhmann 1998, 145). Dieser Aspekt wird uns in den Kapiteln 5 und 6 noch eingehend beschäftigen. 59 Damit unterscheiden sich diese Funktionssysteme hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Leistungs- und Publikumsrollen beispielsweise vom Erziehungs- oder Rechtssystems. In diesen wird die Unter-scheidung in eine von Professioneller/Klient überführt, was bedeutet, dass in diesen Kontexten eine jeweils persönliche Ansprache des Klienten gewährleistet ist und eine qualitative Beobachtung durch das System ermöglicht wird (Stichweh 2005, 21a). 60 Gerade im Kontext von Basel II werden im Rahmen der so genannten ersten Säule Verfahren eingeführt, die die Erstellung eines nachvollziehbaren Risikoprofils des jeweiligen Kreditnehmers ermöglichen sollen.

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len Einschluss oder deren Ablehnung. Sofern Kreditwürdigkeit vorhanden ist, kann weder ein genereller Zutritt noch die eigene Wahl des Instituts schwerlich verwehrt werden. In geringerem Maße als im Falle des Eintritts lässt sich zudem der Austritt des Publikums aus bankensystemischen Zusammenhängen qualitativ erfassen oder ggf. organisieren. Dies gilt für Kreditnehmer, im noch dramati-scheren Sinne jedoch von Einleger, für die ein Austritt – den Fall längerfristiger Laufzeiten einmal ausgenommen – grundsätzlich jederzeit möglich scheint. Ein Banken-Run wird nur durch die Aufsummierung der Kapitalbewegungen vieler einzelner registriert. So offen gesellschaftliche Funktionssysteme somit hinsichtlich der Partizi-pationsmöglichkeiten sind, so geschlossen operieren sie derweil gegenüber ande-ren gesellschaftlichen Teilsystemen. Zwar sind sie auf Leistungen dieser ange-wiesen. Das Finanzsystem greift beispielsweise im Zuge seiner weltweiten Ver-netzung auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Kommunikationstechnologie zurück. Es bedient sich der durch das Rechtssystem zur Verfügung gestellten Rechtssicherheit, um die eigenen (oftmals riskanten) Geschäfte stabilisieren zu können, und es nutzt nicht zuletzt die Massenmedien, um seine eigenen Prozesse zu spiegeln und Möglichkeiten der Selbstbeobachtung (auf der Ebene zweiter Ordnung) zu erhalten (Luhmann 1996b, 152ff.). Bei diesen Vorgängen handelt es sich jedoch „nur“ um so genannte strukturelle Kopplungen der Systeme. Das Bankensystem wird durch wissenschaftliche, rechtliche und massenmediale Kommunikationen gereizt und in seiner Reproduktion irritiert (Luhmann 2002b, 124). Es wird durch diese Prozesse in seinen Operationen jedoch nicht determi-niert.

Der Zugriff auf Leistungen anderer Systeme und die damit verbundenen strukturellen Kopplungen widersprechen somit nicht dem Argument, dass in einer systemtheoretischen Beschreibung kein Austausch zwischen Systemen stattfinden kann. Dieser Umstand wird mit dem Begriff der Selbstorganisation bezeichnet (Luhmann 2002b, 101). Alle Strukturen werden aus dem System selbst heraus produziert. Ein „Strukturimport“ von einem System in ein anderes ist demnach nicht möglich. Mit dieser theoretischen Perspektive ist auch die Möglichkeit verbaut, direkt in die Logik des jeweiligen Systems einzugreifen. Die Politik kann zwar die Rahmenbedingungen für das Finanzsystem ändern. Sie kann die Steuern auf Spekulationsgewinne erhöhen oder die Rahmenrichtlinien für das Betreiben von Kreditinstituten im KWG ändern und damit Irritationen im Bankensystem auslösen. Sie kann aber nicht auf die Operationsweise des Sys-tems zugreifen und beispielsweise vorschreiben, wer bei welcher Bank zu wel-chen Konditionen welche Form von Geschäften zu tätigen hat. All dies wird – trotz weit gehender Formen politischer Regulierung – systemintern „organisiert“.

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52 Kontinuitäten

Damit wird deutlich: Auch wenn der Begriff der Selbstorganisation zunächst etymologisch nah an dem der Organisiertheit zu liegen scheint, ist damit termino-logisch etwas gänzlich anderes gemeint. Es geht nicht um die Organisation des Bankensystems durch herausgehobene Akteure wie die Deutsche Bank oder die Bundesanstalt für Finanzaufsicht. Gerade dies wird mit diesem Begriff ausge-schlossen. Vielmehr geht es darum, dass sich das System auf der Basis seiner eigenen Kommunikationsform, nämlich der Annahme und Ablehnung von Zah-lungsversprechen reproduziert. Seine Grenzen sind dann keine politisch oder von Organisationen festgelegte und gesteuerte Grenzen, sondern so genannte Sinn-grenzen, die das System selbst zieht und die sich an Regeln der Zumutbarkeit orientieren (Luhmann 1999a, 265). Je nachdem, ob es für Ego noch zumutbar ist, das Zahlungsversprechen anzunehmen und Alter mit Zahlungsfähigkeit auszu-statten, ob dem Zahlungsversprechen Vertrauen geschenkt wird und ob sich eine Investition in die gegebene Form der Intermediation lohnt – daran entscheidet sich die Reproduktion der Kommunikation des Bankensystems.

1.2.2 Organisationen als emergente Sozialsysteme

Aus dieser Perspektive können wir somit das Bankensystem analytisch von der Organisation Bank entkoppeln.61 Dabei wird es außerdem auf Basis des system-theoretischen Ansatzes möglich, diese Entkopplung und ihre Konsequenzen für unser Analysedesign von Seiten der Bankorganisation zu betrachten. Als erste Folge zeigt sich, dass Bankorganisationen damit nicht mehr an einen festgelegten Handlungssinn oder Zweck gebunden sind. Damit gehen wir auch in dieser Hin-sicht einen Schritt über die handlungstheoretischen Ansätze hinaus, die wir vorne beschrieben haben. In den darin angestellten Betrachtungen sind Organisationen hinsichtlich ihrer Handlungen zwar auch einerseits insofern autonom, als dass ihnen unterschiedliche Strategien und Handlungsorientierungen zugesprochen werden können. Anderseits besteht hinsichtlich der Systemziele und Zwecke, durch welche sich Organisationen typologisch zuordnen lassen, nur ein einge-schränktes Maß an Autonomie. Aus Perspektive der Systemtheorie lässt sich die Autonomie von Organisationen jedoch als Folge der Entkopplung wesentlich weiter denken. Dirk Baecker bemerkt dazu: „In dem Moment, in dem die Orga-nisation sich organisiert, gewinnt sie die Fähigkeit, sich von gesellschaftlichen Aufgabenstellungen zu emanzipieren und sich ihre Ziele selbst zu suchen“ (Bae-cker 2003). So lässt sich empirisch feststellen, dass sich die meisten Organisatio-

61 Mit Entkopplung ist dabei die Negation von Austauschbeziehungen und direkten Steuerungsoptio-nen zwischen Systemen gemeint. Gleichwohl kommt es, wie im Folgenden erläutert, zu strukturellen Kopplungen.

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nen in der modernen Gesellschaft ohne Zweifel dahin entwickelt haben, sich primär an der Logik eines gesellschaftlichen Funktionssystems zu orientieren. Aus diesem historischen Prozess heraus resultiert dann die Möglichkeit, Banken als Banken, Industrieunternehmen als Industrieunternehmen und auch Kranken-häuser als Krankenhäuser zu identifizieren.62 Jedoch sind derartige Typologien zunächst primär die Ergebnisse von Beobachtern, also beispielsweise von Ban-ken selbst oder auch der Bankenaufsicht, die dann erst später über die Stabilisie-rung von Primärdifferenzierungen an weiterer struktureller Relevanz gewinnen.63

Entsprechende Ziele und Zwecke sind somit keine Entitäten, die Banken aufgrund ihrer Zuordnung zu einem gesellschaftlichen Funktionssystem sui ge-neris gegeben sind. Stattdessen handelt es sich um organisationale Elemente, über die in der Organisation immer wieder entschieden werden muss. Dies zeigt sich bereits im Rahmen von nahe liegenden Entscheidungsprozessen: Ob Banken nun kurzfristigen Gewinnerwartungen von Aktionären folgen oder vielleicht erst einmal langfristig in Humankapital investieren (was sicherlich Geld kostet und erst einmal den Gewinn drückt) – darüber muss in der Bank entschieden wer-den.64 Diese Form der Autonomie des Entscheidens lässt sich jedoch noch kon-sequenter denken. Organisationen schließen im Rahmen ihrer Entscheidungskal-küle an finanzwirtschaftliche, rechtliche, technische oder andere Formen der Rationalität an. Die Multireferenz der Orientierungen, die wir oben aufgezeigt haben, spiegelt sich so auch im Kontext organisationalen Entscheidens wider. Gerade im Fall der Banken mag diese Theoriearchitektur zwar zunächst empirie-fremd erscheinen. Schließlich wird gerade Banken von Seiten der Öffentlichkeit vorgeworfen, dass sie alleinig einer finanzwirtschaftlichen Rationalität folgen und andere Gesichtspunkte vernachlässigen (O.A. 2005b). Dennoch blendet die Übernahme dieser Position den Umstand aus, dass Banken immer auch von rechtlichen Vorgaben oder aber Problemen der technischen Umsetzbarkeit in ihrer Operationslogik jenseits rein finanzwirtschaftlicher Kalküle beeinflusst werden. An dieser Stelle verläuft unsere Argumentation parallel zur Bankbe-triebslehre, auf deren organisationales Verständnis wir bereits in der Einleitung hingewiesen haben. In diesem wissenschaftlichen Kontext spiegeln sich die un-terschiedlichen Relevanzen der Bankorganisation wider, sei es mit Blick auf die

62 Dabei geht es nicht allein um externe Zuschreibung, sondern auch um eine Selbstbeobachtung der Organisation in einem entsprechenden Schema. Eine damit einhergehende Primärorientierung an einem Funktionssystem ist dabei – wie im folgenden Kapitel noch besprochen wird – nicht ohne Folgen für die eigene Identitätsbildung. 63 Formtheoretisch betrachtet, geht es für die Organisation immer wieder darum, eine Unterscheidung zu treffen und damit (temporär) festzulegen, was im Rahmen der eigenen Operationen ein, bzw. ausgeschlossen ist (Baecker 1999, 25f). 64 Plausibel wird diese Multireferenz auch anhand der Shareholder-Stakeholder Debatte. Siehe zum Beispiel: (Clarke 1998; Plender 1998; Sametz 1991).

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„Materialbewirtschaftung in der Grossbank“ (Schmid 1973), den Einfluss neuer Technologien auf die Leistungserstellung (Kunz 1988) oder sogar im Kontext von „Raum und Raumplanung bei Banken“ (Sulzberger 1979). Damit wird nun aus einem organisationstheoretischen Blickwinkel sichtbar, wie eine Differenz zwischen Bankorganisation und Bankensystem zu denken ist, die ein bloßes Teile/Ganzes-Konzept sprengt. Eine Aggregation aller Operatio-nen von Banken in den Bankensektor ist auf Basis dieses Analyseschemas weder notwendig noch möglich.65 Zum einen aufgrund der grundsätzlichen theoreti-schen Überlegungen, wonach gesellschaftliche Teilsysteme und Organisations-systeme operativ geschlossen sind und eigene Strukturen herausbilden. Die Be-folgung rechtlicher Vorschriften oder aber die Erarbeitung einer neuen techni-schen Infrastruktur sind Elemente der Bankorganisation, da sie auf Entscheidun-gen des Systems beruhen. Die Aufdeckung krimineller Aktivitäten zeigen für den ersten Fall beispielsweise an, dass man sich auch anders entscheiden kann. Gleichzeitig sind diese Prozesse jedoch in der Umwelt des Bankensystems, wel-ches sich allein über die Abgabe von Zahlungsversprechung oder die Leistung von Intermediation reproduziert, angesiedelt. Wir können somit von einer Ver-knüpfung verschiedener Eigenlogiken innerhalb eines Sozialsystems sprechen. Dirk Baecker zeigt auf, dass diese Orientierung an verschiedenen Systemra-tionalitäten insbesondere im Kontext von Reformprozessen deutlich wird, wenn Befürworter auf der Basis einer spezifischen Rationalität für Durchführung be-stimmter Veränderungen plädieren, Gegner aber einen anderen Blickwinkel auf der Basis anderer Rationalitäten ins Felde führen, um ihrer Ablehnung Geltung zu verschaffen (Baecker 2005, 74). Dass darüber wiederum erst entschieden werden muss, zeigt an, dass Präferenzen von Organisationen nicht feststehen. Es zeigt aber gleichzeitig auch an, dass diese verschiedenen Rationalitäten sich nicht unbedingt einem konsistenten harmonischen Ganzen fügen müssen. Damit sind wir argumentativ an einem Punkt angelangt, an welchem die zweite von uns analysierte Einebnung von Differenzen in der Handlungstheorie, die innerhalb der Organisation verlaufen, nicht mehr plausibel erscheint. Mit der Ablösung aus einem bestimmten teilsystemischen Handlungszusammenhang erscheint die Binnenkomplexität der Bank in neuem Licht. Sie muss nicht mehr als etwas natürlich wohlgeordnetes, an einem Zweck orientiertes Mittel zur Er-reichung von Zielen bezeichnet werden, wie es im Falle des akteurszentrierten Institutionalismus auf der Basis des Weberschen Idealtypus vorausgesetzt war. Stattdessen werden innerhalb von Organisationen Entscheidungen getroffen, die eine Eigenqualität und die auch Konflikte und Widersprüche erzeugen können,

65 Dieses Argument verwenden wir in Anschluss an eine Argumentation von Thomas Schwinn, der genau in diesem Umstand einen zentralen Unterschied zwischen Handlungstheorie und Systemtheo-rie erkennt (Schwinn 2004, 84f).

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ohne, dass dadurch der Status der Organisation grundsätzlich gefährdet ist. Er-klärbar werden derartige Differenzen, wenn wir uns den Umstand vergegenwär-tigen, dass Organisationen es oftmals mit einer problematischen, nicht immer widerspruchsfreien Umwelt zu tun haben (Luhmann 1964, 76). Organisationen bilden zwar weiterhin als Sozialsystem eine Einheit, die ihre Grenzen selbst zieht. Gleichzeitig haben wir es auch strukturell mit verschiedenen Formen der Rationalität innerhalb von Organisationen zu tun. Diese interne Differenzierung wird insbesondere in größeren Organisationen durch die Bildung eigener Subsys-teme begleitet (Luhmann 1964, 76). Die jeweiligen Subsysteme entwickeln – wie Helmut Willke aufzeigt – ihre eigene Perspektive zur Beobachtung der Or-ganisation, gleichzeitig beobachten sie auch die Umwelt der Organisation in jeweils anderer Weise (Willke 1992, 154). Die Personalabteilung wird der Ent-wicklung auf den Finanzmärkten in ihrem Arbeitsalltag eine andere Relevanz beimessen, als dies beispielsweise die Investment Abteilung tut. Die Bedeutung der Umwelt für die interne Ausdifferenzierung von Banken gewinnt darüber hinaus an Plausibilität, wenn wir weitere klassische Arbeiten der Organisationstheorie zu diesem Thema befragen. Seit den 1960er Jahren finden sich in dieser Disziplin Ansätze, von denen aus sich die vielfältigen An-forderungen der Umwelt und die Konsequenzen für die Binnenkomplexität nachvollziehen lassen. In diesem Arbeitszusammenhang ist wiederum Webers Bürokratietypus der Abstoßungspunkt. Zwar ist auch hier im Falle einer wohlge-ordneten und bekannten Umwelt zu erwarten, dass Routineprogramme im Sinne Webers sich als wirkungsvoll erweisen (Thompson 1967, 71). Im Falle vorwie-gend unbekannter, unstabiler und heterogener Umwelten kann die Organisation vor der Herausforderung stehen, ihre Umwelt kontinuierlich beobachten müssen, um dadurch Anpassungen vornehmen zu können (Thompson 1967, 72). Diese Form der Beobachtungen, die wir oben bereits mit dem Begriff der Multireferenz bezeichnet haben, bleibt Thompson zufolge nicht ohne Folgen für die interne Ausdifferenzierung. Organisationen können sich zwar durch den Aufbau von Puffern von Ressourcen der Umwelt unabhängig machen (Thompson 1967, 20). Aber auch diese Strategie ist organisationsintern nicht als unumstritten. Schließ-lich kann sich das Halten überschüssiger Kapazitäten ebenfalls kontraproduktiv auswirken (Thompson 1967, 21).66

Die Relevanz organisationaler Umwelten für die Ausgestaltung und den Operationsmodus von Banken lässt sich auch auf der Basis der Arbeiten von Paul Lawrence und Jay Lorsch nachvollziehen. Sie zeigen anhand empirischer

66 Das Für und Wider in dieser Argumentation berührt zentrale Fragen im Kontext der Bankenregu-lierung. Wie viel Eigenkapital müssen Banken als Puffer zurückhalten? Wie viel „totes Kapital“ ist Banken in diesem Zusammenhang zuzumuten? Dies sind Fragen, die auch im Kontext von Basel II im besonderen Maße zur Diskussion stehen.

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Studien auf, wie sich Organisationen gemäß ihrer Umwelt intern ausdifferenzie-ren und sich zu relevanten Umwelten entsprechende Abteilungen in Unterneh-men finden lassen (Lawrence/Lorsch 1967, 29f.). Eine Herausforderung des Unternehmens bestehe dann darin, die unterschiedlichen Handlungsorientierun-gen und Ziele des Unternehmens zu integrieren (Lawrence/Lorsch 1967, 209). Dieser Zustand scheint sich nicht automatisch einzustellen. Die unterschiedli-chen Ausrichtungen der einzelnen Abteilungen können auch Konfliktpotential bereithalten, wenn beispielsweise die Prioritäten bzgl. der organisationalen Prä-ferenzen anders gesetzt werden oder Situationen so komplex sind, dass sie aus verschiedenen Perspektiven zu unterschiedlichen Deutungen führen (Aldrich 1979, 91f.). Mit diesem Argument entfernen wir uns ein weiteres Stück von der Metapher der effizienten Maschine, die lediglich als Erfüllungsgehilfe für über-geordnete Zwecke dient. Wenngleich diese Ansätze im Gegensatz zu unserem Verständnis mit einem offenen Systembegriff arbeiten, einen Elementaustausch zwischen Organisation und Umwelt für möglich halten und zugleich eine Determination der Organisati-on durch ihre Umwelt annahmen, 67 finden wir in diesen Untersuchungen An-haltspunkte dafür, wie ein komplexeres, problematisiertes Verständnis von Or-ganisationen und ihren Umwelten beschreibbar ist. Dabei können wir mit der Systemtheorie analytisch noch einen Schritt weiter gehen als mit den offenen System-/Umweltansätzen der Organisationstheorie. Während letztere Ansätze die Umwelt der Organisation allein aus der Organisationsperspektive denken und auf einen Begriff der Gesamtgesellschaft verzichten,68 können wir mittels der Systemtheorie wiederum die Perspektive wechseln und die organisationale Aus-differenzierung vor dem Hintergrund der funktionalen Differenzierung gesell-schaftlicher Teilsysteme betrachten. So schreibt Thomas Drepper:

„Subsystembildung ist dabei eine für Organisationen gängige Form der strukturellen Ausdifferenzierung, die die verschiedenen Konditionierungsvorlagen der für die Or-ganisation relevanten gesellschaftlichen Teilsysteme intern repräsentiert, um diese in die Entscheidungskommunikation einfließen zu lassen“ (Drepper 2003, 200).

An dieser Feststellung wird deutlich, warum wir mit der Systemtheorie über die genannte organisationstheoretischen Ansätze hinausgehen können. Wir verfügen damit über eine theoretisch konsistente Vorstellung organisationaler Umwelten. Diese erlaubt es uns noch Ordnung in eine noch so (scheinbar) komplexe organi-sationale Umwelt zu bringen. Es ermöglicht uns gleichzeitig, parallel die organi-

67 So bleibt es auch nicht aus, dass wir uns in 2.2 wiederum ein Stückweit von diesen Ansätzen abgrenzen werden. 68 So auch die Kritik von Georg Kneer an der Organisationstheorie (Kneer 2001, 408).

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sationale Ausdifferenzierung und ihre strukturelle Kopplung mit relevanten Teil-systemen zu betrachten. Damit soll nicht bestritten werden, dass Hierarchie wei-terhin ein zentrales Koordinierungsinstrumentarium formaler Organisationen darstellt, das für die Operationsfähigkeit sowie für Einheit und Identität des Sys-tems unverzichtbare Leistungen erbringt. Erst Hierarchie und die Herstellung der damit verbundenen Ordnung macht es möglich, dass Organisationen trotz der beschriebenen Binnenkomplexität adressierfähig und zugleich als Organisation kommunikationsfähig bleiben. Zugleich aber lässt sich zeigen, dass Hierarchie allein eben nicht ausreicht, um die komplexen Differenzierungsprozesse zu be-schreiben. Sei es mit Blick auf die Beobachtung der Umwelt oder auch unter Berücksichtigung der internen Strukturbildung. Auf Basis dieser Enttrivialisierung von Organisationen ergeben sich, wie im nächsten Kapitel beschrieben wird, zugleich neue Beschreibungsformen, um die Erzeugung aber auch Vermeidung von Risiken des und Gefahren für das Bankensystem in den Fokus zu bekommen. In dem Moment, in dem das Inein-andergreifen organisationaler Komponenten nicht mehr als geräuschlos voraus-gesetzt wird, verändert sich der Blickwinkel auf Organisation. Zielsetzungen verlieren auf struktureller Ebene an Eindeutigkeit. Organisationale Prozesse erhalten jeweils eine spezifische Eigenqualität, die sich nicht über vermeintlich übergeordnete Rationalitäten erschließen lässt. Unsere Vermutung ist deshalb, dass diese verschiedenen Rationalitäten, ihr Zusammenspiel zur Reproduktion von (Bank-)Organisation fortan nicht mehr irrelevant für die Aufsicht erscheint, weil es sich bei Basel II um ein Regelwerk handelt, welches die Multireferenz und interne Komplexität von Banken ernst nimmt. Die Beobachtung der Banken durch die Bankenaufsicht spielt sich möglicherweise nicht mehr auf der Basis finanzwirtschaftlicher Rationalität ab, sondern reagiert auf die Bedeutung von Organisationen als emergente soziale Systeme.

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2 Komplexität, Kontingenz und Risiko

Ziel des vorherigen Kapitels war es, in begründeter Weise unsere Präferenz für den systemtheoretischen Ansatz für unsere Untersuchung zu erläutern. Gleich-zeitig ging es dabei darum, sich von prominenten handlungstheoretischen Kon-zepten abzugrenzen. Wir können im Anschluss daran erkennen, dass mit der soziologischen Systemtheorie ein Ansatz zur Beobachtung von Banken zur Ver-fügung steht, der den Blick für soziale Emergenz und innerorganisationale Kom-plexität öffnet. In Kapitel 1 stand vor allem die Ausarbeitung der Differenz von Bankorganisation und Bankensystem im Zentrum der Argumentation, aus der sich zudem wichtige Erkenntnisse für die Verwendung der Begriffe gewinnen ließen. Im folgenden Kapitel soll nun der Zusammenhang beider Sozialordnungen geklärt werden, ohne hinter die bereits gemachten Erkenntnisse zurückzufallen. Mit dem Begriff der nicht-hierarchischen Ko-Evolution wurde in der Einleitung bereits eine erste terminologische Annäherung daran vorgenommen, die vermut-lich mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet haben dürfte. Im ersten Abschnitt dieses Theoriekapitels wurde mit dem Begriff der strukturellen Kopplung ange-deutet, dass Organisationen und gesellschaftliche Teilsysteme ein Gefüge dar-stellen, in welchem zwar keine Interdependenzen bestehen, wohl aber eine wech-selseitige Leistungserbringung stattfindet. Über Formen der Funktionserfüllung und Leistungserbringung von gesellschaftlichen Teilsystemen haben wir bereits gesprochen und diese am Beispiel des Bankensystems spezifiziert. Wie aber steht es um Leistungen und Funktionen, welche durch Bankorganisationen erfüllt werden? Und welche funktionalen Äquivalente dazu lassen sich bereits in vor-modernen Gesellschaften finden? Diesen Fragen werden wir im ersten Teil die-ses Abschnitts nachgehen (2.1). Die Antworten darauf erlauben uns, eine erste Aussage darüber zu treffen, in welcher Weise Banken als Organisationen an der Bearbeitung von Risiken des Finanzsystems partizipieren. Mit dieser Argumentationsfigur ist die zentrale Frage des Abschnitts jedoch nur zur Hälfte beantwortet. Sie verrät (noch) nichts über die Folgeprobleme, die durch Organisationen produziert werden – auch für das Bankensystem. Tragen Banken auf der einen Seite erfolgreich zur Bearbeitung von Risiken des Banken-systems bei, so bergen ihre Operationen selbst sehr unterschiedliche Risikopo-

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Komplexität, Kontingenz und Risiko 59

tentiale, aus denen sich Gefahren für das Bankensystem entwickeln können.69

Diese Vorgänge standen im Zentrum des zweiten Teils dieses Abschnitts (2.2). Zusammengenommen zeichnet sich damit ein ambivalentes Bild von Organisati-onen ab, das verdeutlicht: Organisation federn Risiken ab, sie tragen aber auch zu ihrer Erzeugung bei: Wie werden später (in 3) sehen, in welcher Weise die Beobachtung beider Mechanismen in Regulierungskontexten funktional er-scheint.

2.1 Leistungen und Funktionen von Bankorganisationen

Die Funktionen von Organisationen für die moderne Gesellschaft lassen sich zwar nicht auf eine einzige beschränken. Dazu besetzen sie als eigene Systemty-pen neben Interaktions- und Funktionssystemen eine zu wichtige Stelle bei der Konstitution und Reproduktion sozialer Ordnung. Eine ihrer zentralen Funktio-nen kann jedoch aus systemtheoretischer Perspektive in der Kontingenz- und Komplexitätsbewältigung der modernen Gesellschaft gesehen werden.70 Mit einer Fokussierung auf wirtschaftliche Prozesse ist die Institutionenökonomik bereits zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Ohne die Komplexität71 von Märk-ten und der nicht bewältigenden und nicht bezahlbaren Komplexität von Infor-mationen gäbe es keine Notwendigkeit für die Gründung von Unternehmen (North 1992, 87).72 Die soziologische Systemtheorie beobachtet den Aufstieg von Organisationen noch umfassender in allen Gesellschaftsbereichen und schreibt ihn vor allem folgender evolutionärer Entwicklung zu: Mit dem Nieder-

69 Die terminologische Unterscheidung von Risiko und Gefahr, die hier verwendet wird, ist nicht zufällig oder auf der Basis stilistischer Vorlieben gewählt, sondern bezieht sich explizit auf die systemtheoretische Risikotheorie (Japp 1996, 61). Wir werden ihr im Laufe dieses Teilabschnitts immer wieder begegnen. Schäden des Kreditgeschäfts, die aus Risiken entstehen, sind dem eigenen (bankensystemischen) Sinnzusammenhang und hier getroffenen Entscheidungen zuzurechnen. Schä-den, die aus Gefährdungen resultieren, sind fremden Entscheidungen (z.B. aus der Religion oder dem Staat) zuzurechnen, von denen die Kreditwirtschaft ‚lediglich’ betroffen ist. 70 So auch die Luhmanninterpretation von Martens und Ortmann an dieser Stelle (Martens/Ormann 2006, 427-430). 71 In diesem Zusammenhang erscheint es instruktiv, sich des Komplexitätsbegriffs der Systemtheorie zu vergegenwärtigen der besagt. Ein System wird dann als komplex beschrieben, wenn nicht mehr jedes Element mit jedem verknüpft werden kann (Luhmann 1999a, 46; Willke 1993). In diesem Moment wird eine Selektion (der Verknüpfungen) unausweichlich, die zur Erzeugung von Kontin-genz und damit zur Erzeugung von Unsicherheit führen kann, aber nicht muss. Inwieweit gestiegene Komplexität tatsächlich auch gestiegene Kontingenz und Unsicherheit bedeutet, hängt von der Form des Systems ab, und davon, inwieweit sich das System in der Selbstbeobachtung als kontingent begreift (Luhmann 2005d, 64). Dazu jedoch mehr an späterer Stelle (2.2). 72 Es sind – ökonomisch zugespitzt – dann vor allem die Transaktionskosten und das Ziel ihrer Re-duktion, durch welches die Unternehmensgründungen plausibel werden (Coase 1960).

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gang der ständischen Ordnung, der Säkularisierung der Politik und der Auflö-sung ihrer hierarchischen (Durch-)Organisation73, kommt es zur Entfaltung auto-nomer sozialer Sphären, die auf der Basis ihrer eigenen divergierenden Logiken das Korsett gesellschaftlicher Einheit sprengen. Dazu mehr an späterer Stelle. Mit Blick auf die Funktion von Organisation ist zunächst entscheidend: Die Gesellschaft gewinnt im Rahmen dieses Prozesses an Komplexität, als deren Folge vor allem Kontingenz und (Zukunfts-)Unsicherheit zu bemerken sind.

„Die Prämisse von Organisationen ist das Unbekanntsein der Zukunft, und der Er-folg von Organisationen liegt in der Behandlung der Ungewissheit“ (Luhmann 2000b).

Der Umgang mit Komplexität und die Bearbeitung von Unsicherheit ist eine Aufgabe, die letztlich jeder Systembildung zugrunde liegt (Luhmann 1999a, 45ff.). Organisationen bearbeiten Komplexität und Unsicherheit jedoch in einer spezifischen Weise: Durch Entscheidung. Entscheidungen stellen den zentralen Reproduktionsmechanismus von Organisationen dar. Entscheidungen wählen aus Alternativen eine Möglichkeit und folgen damit dem Selektionsdruck, der durch Komplexität aufgeworfen wird. Auf dieser Basis, der Auswahl einer Möglichkeit und dem Verwerfen anderer Möglichkeiten wird die Absorption von Unsicher-heit und in der Konsequenz die Möglichkeit des Aufbaus von Erwartungsstruktu-ren realisiert. Entscheidungen von Organisationen besitzen somit Entlastungs-funktion74 – sowohl für Mitglieder, aber auch Nichtmitglieder der Organisation. Diese Formen der Absorption von Unsicherheit und der damit ermöglichte Auf-bau von Sicherheitsfiktionen spielt insbesondere in unserem empirischen Kon-text eine tragende Rolle. Die Entscheidung zur Kreditvergabe ist immer riskant. Kreditgeber entscheiden selbst immer unter Unsicherheit. Sie können letztlich nur darauf vertrauen,75 ihren Geldwert sowie den entsprechenden Zinssatz in vereinbarter Höhe zu einem vereinbarten Zeitpunkt in einer unbekannten Zu-kunft zu erhalten.76 Die Herausforderung (riskanten) Entscheidens stellt sich in besonders drängender Weise erst seit der Neuzeit (Luhmann 1991c, 52), was ein weiteres Indiz für die besondere Funktion von Organisationen ab diesem Zeital-ter darstellt. Dass Bearbeitung von Unsicherheit für die Organisationen – wie wir

73 Siehe dazu ausführlich bei Helmut Willke (Willke 1992, 24-84). 74 Mit der Entlastungsthese knüpft die Systemtheorie in modifizierter Weise an ein zentrale Argu-mente des Institutionalismus sowie der Sozialanthropologie (Gehlen 1986) an. 75 An dieser Stelle ist kein alltagsweltliches, sondern explizit ein systemtheoretisches Verständnis von Vertrauen gemeint (Luhmann 2000c). 76 Bereits Georg Simmel sah für den wirtschaftlichen Kredit eine besondere Vertrauenskonstitution als Grundlage (Simmel 2001, 165), wobei wir – wie im Folgenden deutlich werden wird – seinen Vergleich mit einem religiösen Glauben nicht teilen.

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im Folgenden zeigen werden – einen spezifischen Problemlösungsmechanismus darstellt, darf jedoch mit Blick auf das Kreditgeschäft nicht als ein singuläres Phänomen der Moderne angesehen werden. Wir werden deshalb aufzeigen, in welcher Weise die Bearbeitung von Unsi-cherheit auch in der Vormoderne von Bedeutung war. Der damit verbundene Exkurs verfolgt dabei vor allem zwei Erkenntnisziele: Zum einen soll er aufzei-gen, welche funktionalen Äquivalente in der Vormoderne für formale Organisa-tionen zur Verfügung standen, um Unsicherheit und potentielle Unwahrschein-lichkeit von Kreditgeschäften zu überwinden. Er dient damit als Vergleichsmaß-stab, mit welchem wir selbst aktuelle Entwicklungen in gesellschaftliche Konti-nuitäten einordnen können. Zum zweiten zeigt der Exkurs auf, welche Unwahr-scheinlichkeitsschwellen der Handel mit Krediten im Zuge seiner Ausdifferen-zierung und Autonomisierung zu überwinden hatte, um zu seiner heutigen Aus-prägung zu gelangen. Gerade vor dem Hintergrund dieser Betrachtung wird die Funktion von formalen Organisationen im Folgenden besser zu bewerten sein. Sowohl in der Geschichtswissenschaft aber auch in der Soziologie ist eine histo-rische Ausarbeitung der Ausdifferenzierung des Bankensystems unter dem Ge-sichtspunkt der Unwahrscheinlichkeit bisher nicht unternommen worden. Auch deshalb sind wir darauf angewiesen, diesem Thema im Folgenden mehr Raum zuzustehen, als man mit Blick auf die Fragestellung vielleicht hätte vermuten können.

2.1.1 Exkurs: Erwartungssicherung und Vertrauenskonstitution in der Vormoderne

In einem historischen Rückblick77 wird deutlich, dass die Konstitution von Ver-trauen und (Erwartungs-)Sicherheit bereits im Hochmittelalter eine unverzichtba-re Voraussetzung für die Abwicklung von Kreditgeschäften darstellte. Zwar handelte es sich dabei um eine gesellschaftliche Entwicklungsstufe, in der Kon-tingenz und Unsicherheit in höherem Maße durch Mechanismen wie Hoffnung und Zuversicht (z.B. in Gott) verarbeitet wurden.78 Geschehnisse in der Zukunft wurden somit in vielen Lebensbereichen nicht als Folgen (riskanten) Entschei-

77 An dieser Stelle gilt es zu bemerken, dass der historische Rückblick aus der Perspektive eines Soziologen und nicht etwa aus der eines Historikers geschieht, dessen Argumentation sicherlich viele Aspekte noch detaillierter und ganzheitlicher, insbesondere mit Blick auf länderspezifische Beson-derheiten und die genaue Datierung, erfassen würde. Die folgenden Ausführungen sind jedoch weit-aus weitmaschiger angelegt. Sie verzichten auf Vollständigkeit und versuchen stattdessen, ausge-wählte Ereignisse und Entwicklungen mit Blick der Fragestellung fokussiert aufzuzeigen und damit die (soziologische) Argumentation zu plausibilisieren. 78 Zur Unterscheidung von Vertrauen und Hoffnung/Zuversicht siehe bei Niklas Luhmann (Luhmann 2000c, 29).

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dens, sondern beispielsweise als göttliche Vorhersehung oder Schicksal betrach-tet (Bonß 1995, 111). Dennoch zeigt sich im Falle der ersten Anfänge von Kre-ditwirtschaft, dass Hoffnung auf die Erfüllung des Zahlungsversprechens bereits damals nicht ausreichte, um Unsicherheit wirkungsvoll zu eliminieren. Auf den ersten Blick existierte in diesem Zeitalter nahezu nichts an Instru-menten und Mechanismen, die für heutige Formen der Erwartungssicherung und Kontingenzbearbeitung eine tragende Rolle spielen. Weder existierte eine allge-meine staatliche Bankaufsicht, noch statistische und stochastische Instrumente der Risikokalkulation, die heute eine unsichere Zukunft in Wahrscheinlichkeiten umarbeiten. Auch von Bankorganisationen im heutigen Sinne kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden. Dafür lassen sich Formen finden, die im weitesten Sinne als Äquivalente moderner Verfahren von Unsicherheitsab-sorptionen fungierten. Es zeigt sich, dass weniger die fortgeschrittene Ausdiffe-renzierung, als vielmehr eine mangelnde Ausdifferenzierung einzelner Gesell-schaftsbereiche ein Problem für den Aufbau von Erwartungssicherheit und Ver-trauenskonstitution darstellte. Kreditgeschäfte basierten weder auf einer emer-genten, expliziten Logik, wie wir sie vom modernen Bankensystem her kennen, noch waren sie über formale Bankorganisationen ‚abgesichert’. Wie jedoch wa-ren kreditwirtschaftliche Operationen dann in die damalige gesellschaftliche Ordnung eingebettet? Bereits im Europa des Hochmittelalters herrschte Bedarf für die Überbrü-ckung der Differenz von Zahlungsmöglichkeit und Zahlungsfähigkeit, obwohl erst eine geringe Geldmenge, differenziert in viele verschiedene Münzwährun-gen, im Umlauf war. Die Ausdifferenzierung eines eigenständigen Bankensys-tems befand sich zu diesem Zeitpunkt erst in ihren Anfängen.79 Der hierarchische Aufbau der Gesellschaft und der Primat von Religion und Politik hemmten zu-nächst die Möglichkeiten kreditwirtschaftlicher Entfaltung. Ein besonderes Hin-dernis stellten dabei zunächst die Beschränkungen der vorherrschenden religiö-sen Ethik dar. Die Kirche sah sich durch erste Formen der Herausbildung einer kapitalistischen Ökonomie massiv ihrer Werte bedroht (Le Goff 1988, 8) und reagierte auf diese Entwicklung. Zum einen wurde der Geldverleih zum Geld-verdienst von der Kirche stigmatisiert (Bernard 1978, 201; Parker 1979, 344). Zum anderen wurde aber auch die Kreditnahme zum Geldverdienst als Wucher bezeichnet und als Todsünde abgelehnt.80 Personen, die dagegen verstießen,

79 Dabei standen Italien und insbesondere Florenz an der Spitze der Entwicklung in Westeuropa (De Rover 1974, 206). 80 Diese Meinung findet ihre Begründung in verschiedenen Bibelpassagen, aber auch aus den Schrif-ten der Kirchenväter. In diesem Kontext stieß auch der Satz von Aristoteles „Geld pflanzt sich nicht fort“ auf große Resonanz (Le Goff 1989, 71). Das Zitat von Aristoteles macht darüber hinaus aber auch auf zwei weitere Aspekte aufmerksam, die auch in der historischen Forschung ihre Bestätigung

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konnten mit Exkommunikation, der Verweigerung eines christlichen Begräbnis-ses oder auch weltlichen Repressionen wie der Ungültigkeit von Testamenten belangt werden (Le Goff 1989, 75).81

Zwar konnten die Restriktionen der offiziellen Kirchenlehre andere Kredit-geschäfte in der Praxis nicht vollständig unterbinden. Auf dem Land betrieben Bauern, Tuchhändler oder selbst Geistliche Kreditgeschäfte und verliehen Geld gegen die Verpfändung von Land an andere Bauern (Parker 1979, 339). Auch einzelne Kaufleute waren aufgrund eines ausreichenden Eigenkapitalstamms daran beteiligt. Dennoch verhinderten die moralischen Restriktionen eine Aus-differenzierung und Spezialisierung auf diese Form ökonomischer Transaktion und limitierten das Kreditgeschäft vor allem auf den Kleinkredit. Eine zweckun-gebundene Kreditvergabe, die zudem auch für den Kreditgeber mit Gewinner-wartungen verknüpft werden konnte, war somit zunächst in der Regel nur für einzelne Volksgruppen möglich, die jenseits der christlichen Ethik operierten.82

Die in diesem Kontext üblichen Formen des bezinsten Geldverleihs geschahen jedoch nur partiell auf der Basis der Abgabe eines Zahlungsversprechens. Viel-mehr mussten – wie bereits der Begriff des Pfandleihers deutlich macht – be-stimmte Sicherheiten (Pfand) hinterlegt werden, damit es zur Ausstattung von Zahlungsfähigkeit für den Kreditnehmer kam. Erwartungssicherung im Kontext des Zahlungsversprechens vollzog sich somit zum einen über die Entgegennahme materieller Gegenwerte (Pfand), die als Sicherheiten dienten.83 Zum anderen konstituierte sich Erwartungssicherheit auch über Vertrauen in Personen aber auch – in einer Ständegesellschaft nicht ungewöhnlich – in einen Stand und die damit assoziierten Eigenschaften (Ber-nard 1978, 209). Attribute wie ein guter Ruf, ein ehrbarer Charakter oder sogar die Eigenschaft der ‚Artigkeit’ spielten dabei eine zentrale Rolle (Bernard 1978, 205). Auch diese wurden vor allem auf Stadtbürger zugeschrieben, ein Eid auf die Heilige Schrift oder auf Reliquien besaß dann Vertragscharakter.84 Neben diesen eher persönlichen/standesaffinen Formen der Erwartungssicherung und

finden. Zum einen kam es schon im antiken Griechenland zu Kreditgeschäften, zum anderen war auch in diesem Kontext der Kredit als moralisch verwerflich stigmatisiert (Lopez 1979, 2). 81 Für eine erschöpfende Rekapitulation der kirchlichen Erlasse in diesem Kontext siehe bei Jacques Le Goff (Le Goff 1979). 82 Die Juden waren dabei die dominierenden Verleiher des Hochmittelalters, bevor sie (1182 und 1306 in Frankreich, 1290 in England) aufgrund ihres hohen ökonomischen Erfolgs, aber auch auf-grund des Vorwurfs der Wucherei vertrieben wurden (Bernard 1978, 209). 83 Die Verknüpfung von Erwartungssicherheit mit Materialität ist ein Kennzeichen, dass sich auch in anderer Hinsicht zeigte. So waren die Münzen selbst ebenfalls eng an den jeweiligen Materialwert gebunden. Wir werden darauf im Weiteren noch explizit eingehen. 84 Überhaupt besaß in dieser Zeit das gesprochene Wort mehr Gewicht als das geschriebene. Erst am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts stellt sich mit der Durchsetzung des Buchdrucks die Hierarchie um (Giesecke 1991, 33).

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Vertrauenskonstitution lassen sich jedoch bereits Institutionen finden, die in ihrer Sekundärfunktion Bankgeschäfte betrieben und dafür aufgrund ihrer Sicherheit – die durch die Primärfunktion gestützt wurde – dafür prädestiniert waren: die so genannten Wechselstuben. Aufgrund der Vielfalt an Münzen existierten derartige Wechselstuben an vielen Orten. Für die Aufbewahrung materieller Werte, wie eben Silbermünzen, besaßen diese Institutionen Gewölbe, die als feuer- und diebessicher galten (Körner 1993, 67; Obst 1914, 18).85

Die Wechselstube war jedoch auch in anderer Hinsicht eine Keimzelle der modernen Kreditwirtschaft, bot sie doch in besonderer Weise die Möglichkeit, Kreditgeschäfte in verdeckter Form abzuwickeln. Ein wichtiges Instrument des Kredites war somit seit dem 13. Jahrhundert der so genannte Wechselbrief.86

Diese verdeckte Form des Kredits hatte den Vorteil, dass die Zinsen von der Kirche im Rahmen des Geschäfts nicht bemerkt wurden und deshalb mit Wohl-wollen behandelt wurden (Bernard 1978, 208). Bereits im Rahmen des verdeck-ten Kredits lassen sich Mechanismen zur Konstitution von Erwartungssicherheit erkennen, die als funktionale Äquivalente zu heutigen Formen angesehen werden können. So wurde der Vollzug des Wechselgeschäfts und die Abgabe des Zah-lungsversprechens in der Regel im Beisein eines Notars vollzogen, der genau-estens Protokoll führte (Körner 1993, 68; Van Houtte 1980, 90). Zudem besaßen die Wechsler ein dichtes Netz an auswärtigen Wechselpartnern, Korresponden-ten und Informanten, um ihr Geschäft betreiben zu können (Körner 1993, 68). Im Verlauf des 14. Jahrhunderts ließ sich die Ausdifferenzierung banken-systemischer Leistungen und die Herausbildung spezialisierter Kreditgeber auch durch die Restriktionen der Religion nicht mehr in der vormaligen Form aufhal-ten. Die Bedeutung ökonomischer Gewinnmaximierung nahm zu dieser Zeit eine neue Qualität an. Geldgeschäfte erfolgten nunmehr in immer höherem Maße auch unabhängig von anderen Wirtschaftstätigkeiten, was Entwicklungspotentia-le für das Kreditwesen nach sich zog (Bernard 1978, 200). Ein weiterer Komple-xitätsschub wurde zudem durch die Entwicklung neuer Methoden des Zahlungs- und Wechselverkehrs auf den Weg gebracht (Bernard 1978, 199). Das damals entstehende Vertrauen in Ziffern und Zahlen, um die ein regelrechter Kult be-trieben wurde (Bernard 1978, 199), schaffte somit erste (finanzwissenschaftli-che) Möglichkeiten des Aufbaus von Erwartungsstrukturen, die gerade im Kon-text des modernen Bankensystems eine dominierende Rolle spielen. Es ging um

85 An dieser Stelle haben wir es mit Phänomenen zu tun, die heute – worauf wir später noch eingehen – im weiteren Sinne unter dem Begriff des operationellen Risikos zu fassen sind. 86 Eine ausführliche Erklärung des Wechselgeschäftes würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen und zu weit vom Thema wegführen. Siehe dazu ausführlicher bei (Körner 1993, 68).

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erste Modelle einer Quantifizierung von Risiken im Hinblick auf ihre Eintritts-wahrscheinlichkeit.87

Damit einher ging eine Professionalisierung der Leistungsrollen. In Florenz und Siena nahm der Aufstieg bedeutender Bankiersfamilien wie den Medicis, Frescobaldis und Salimbenis seinen Anfang (De Rover 1974, 260-269; Hale 1979). Im Jahr 1380 gab es in Florenz bereits 80 Handelsbanken. Aber auch außerhalb Italiens ließen sich erste Institutionalisierungen des Kreditgeschäfts finden. In Brügge existierten beispielsweise im Jahr 1369 15 Banken (Parker 1979, 341). Zwar waren diese Banken insofern nicht mit modernen Banken zu vergleichen, als dass es sich in nahezu allen Fällen um Kaufmannsbanken han-delte, die noch keine Primärorientierung an der Finanzökonomie ausgebildet hatten.88 Darin unterschieden sie sich nicht von anderen Händlerbankiers oder auch den Wechselstuben, die Kreditgeschäfte als Geschäftsformen unter ver-schiedenen abwickelten.89 Dennoch fanden bereits zu dieser Zeit in anderen Hinsichten wichtige Schritte hin zur Entwicklung des modernen Bankgeschäfts statt. So war beispielsweise die alleinige Fokussierung auf Kleinkredite Vergan-genheit. Die weltliche Aristokratie, aber auch die Kirche selbst, zählten nun – trotz ihrer anhaltenden offiziellen Diskreditierung des Zinswuchers – zu den Kreditnehmern dieser großen Bankenfamilien. Dass wir es jedoch noch nicht mit Kreditgeschäften im heutigen Sinne zu tun haben, wird daran deutlich, dass Kre-ditgeschäfte in diesen Kontexten durch die Bankiers in der Regel nicht abgelehnt werden konnten (Bernard 1978, 210). Die hierarchische Ordnung der Gesell-schaft dominierte somit in diesem Fall die ökonomische Logik. Neben den gro-ßen Bankiers existierten mit den weniger angesehenen usuarii (Pfandleiher) und bancharoti (Handwechsler) zwei weitere Gruppen von Bankiers, die auf be-stimmte Arten von Bankgeschäften spezialisiert waren.

Schon zu diesem Zeitpunkt lassen sich erste Formen einer öffentlichen Er-wartungssicherung feststellen. So mussten diese Berufsgruppen einen Bürgen oder eine Kaution als Sicherheit dafür stellen, um die erlassenen Vorschriften und Gesetze zu erfüllen (Obst 1914, 20).

87 Siehe dazu auch bei Peter Bernstein (Bernstein 1997, 60). Bernstein weist in diesem Zusammen-hang darauf hin, dass zwar bereits die Griechen in der Antike die theoretischen Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung kannten, jedoch nie empirische Versuche über die Konstitution einer Normalverteilung durchführten. Der Grund ist darin zu sehen, dass die Griechen eine Regelhaftigkeit von irdischen Dingen für sich ausschlossen (Bernstein 1997, 61). 88 Zur Orientierung an verschiedenen gesellschaftlichen Funktionsbereichen siehe im vergangenen Kapitel in Abschnitt 1.2.2. 89 Als eines der prominentesten Beispiele kann Jacques Coeur angesehen werden, der als Händler, Schiffseigner und Gewerbetreibender, aber eben auch als Finanzmann und großer Geldverleiher fungierte (Bernard 1978, 211). Lediglich die jüdischen Geldverleiher waren, da sie von anderen Tätigkeiten ausgeschlossen waren, auf unfreiwilliger Basis die ersten Spezialisten im Kreditgeschäft.

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Die Kreditwirtschaft erfuhr somit zwar im Übergang der Neuzeit einen deutli-chen Schub in Form von Professionalisierungen und Ausdifferenzierung. Gleichwohl lassen sich einige Hürden finden, die eine weitere Stabilisierung und Autonomisierung verhinderten. Zum einen existierten zu diesem Zeitpunkt be-reits banksystemische Risiken, die auf kreditwirtschaftlichen Entscheidungen zugerechnet werden können. So betrieben viele Bankiers ein schlechtes Mana-gement, was sich daran zeigte, dass bei der Kreditvergabe zu hohe Risiken ein-gegangen wurden, die besonders bei konjunkturellen Schwankungen zur Zah-lungsunfähigkeit führten (Parker 1979, 342). Vor allem aber war das Kreditge-schäft von externen Gefährdungen betroffen, die auf eine noch rudimentäre Aus-differenzierung einzelner Teilsysteme und eine damit einhergehende Dominanz von Religion und Politik zurückgeführt werden kann. Zunächst spielten moralische Bedenken aufgrund religiöser Ressentiments zumindest auf Seiten der Einleger immer noch eine nicht unbedeutende Rolle. Die Folge war, dass vergleichsweise nur wenige Personen ihr Geld bei Banken einlagerten, so dass Geld sehr teuer war (Parker 1979, 342). Ein weiterer Punkt, der die Entfaltung von Komplexität behinderte, war die enge Verknüpfung des Geldmediums mit seiner Materialität. Auch wenn in dieser Zeit bereits erste Ansätze von Sekundärgeld, also Buch- und sogar Papiergeld aufkamen, war jedoch in letzter Konsequenz doch der materielle Wert von Geld, also Silber und Gold, die zentrale Orientierungsbasis (Kellenbenz 1986, 318). Auf der einen Seite bildete die enge Verknüpfung von Geldwert und Substanzwert eine wichti-ge Basis für die Konstitution von Vertrauen in das Geldmedium. Auf der anderen Seite behinderte diese Kopplung eine Abstrahierung von Materialwerten sowie die Schaffung eines Eigenwertes.90 Von 1350 bis 1460 herrschte in Europa ein Mangel an Silber, da die mitteleuropäischen Silberbergewerke erschöpft waren. Da der überwiegende Anteil des Geldumlaufs mit Silbermünzen abwickelt wur-de, kam es zu einem beträchtlichen Bargeldmangel, der sich negativ auf die Summe der Einlagen bei Banken auswirkte (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 85). Erst durch die Entdeckung reicher Silbergruben in Südamerika – auf die wir in Abschnitt 5.1 auch noch einmal eingehen werden – taten sich neue Fördermöglichkeiten des Wertstoffes für Münzen auf, der der Knappheit von Geld jedoch keinen Abbruch taten (Schultz 1997, 173). In noch prekärerer Weise wurde die Entfaltung der Kreditwirtschaft jedoch durch politische Ereignisse blockiert. Zum einen dämpften die damaligen Metro-polen durch einen ausgeprägten Protektionismus den städteübergreifenden Han-del mit Krediten (Bernard 1978, 201). Noch folgenreicher aber waren die zahl-

90 Für eine grundlegende Thematisierung der Unterscheidung von Substanz- und Funktionswert des Geldes siehe bei Georg Simmel (Simmel 2001, 151ff.).

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reichen kriegerischen Handlungen, die im Zeitraum von 1320 bis 1480 stattfan-den. Diese machten der Bevölkerung in Europa stark zu schaffen – nicht allein in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, sondern – wie die folgende Beschreibung verdeutlicht – auch in psychischer Hinsicht.

„Das Vertrauen in die Zukunft war gebrochen, was gerade für das Bankwesen be-sonders schwere Folgen hatte. In solchen Krisenzeiten verringerte sich das Volumen der Einlagen und große Beträge wurden in Panik wieder abgehoben. Die Banken wurden dadurch mit einem drastischen Rückgang ihres Kapitals konfrontiert und ge-rieten oft in Solvenzprobleme. Viele machten bankrott“ (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 85).

Die zahlreichen Kriege waren für die Politik jedoch gleichzeitig mit hohen Kos-ten verbunden, die vor allem über Kredite finanziert wurden. Oftmals konnte die Politik dabei ihren Zahlungsverpflichten nicht nachkommen, so dass in der Folge nicht selten ein Moratorium für die entsprechenden Verbindlichkeiten angeord-net wurde. Die damit verbundenen Kreditausfälle waren für viele Bankiers nicht zu verkraften (Parker 1979, 342). Die Politik, die in der Moderne vor allem in den OECD-Staaten zu einem der größten Verfechter bankwirtschaftlicher Stabili-tät avanciert, ignorierte somit zu dieser Zeit die Folgen ihrer mangelhaften Kre-ditwürdigkeit. In der Konsequenz sank die Zahl der Bankiers beispielsweise in Florenz bis 1460 wiederum auf 33 (Parker 1979, 342). Offenbar waren derartige Bankenpleiten früher deshalb besser zu verkraften, da die Gesellschaft noch nicht in der Weise geldbasiert operierte, wie es uns von der modernen Gesell-schaft vertraut ist. Die strukturellen Kopplungen zwischen Kreditwesen und anderen Teilbereichen verfügten über Elastizitäten, die in diesem Zusammen-hang weitergehende Irritationen verhinderten.

Mit Beginn der Neuzeit sank die Zahl der von Juden und später von Kawer-schen und Lombarden betriebenen privaten Pfandleihanstalten. Dies hatte vor allem damit zu tun, dass weniger Menschen aufgrund individueller Notlagen auf Kredite angewiesen waren. Die Getreidepreise sanken, gleichzeitig stieg der Bedarf an höher qualifizierten Arbeitskräften, für die sich höhere Verdienstmög-lichkeiten eröffneten. Kleinkredite zur Existenzsicherung waren nun primär für die Ärmsten der Ärmsten von Relevanz (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 75). Die privaten Pfandleiher wurden aber auch aufgrund der Gründung öffentli-cher Pfandleihhäuser aus dem Markt gedrängt. Diese öffentlichen Pfandleihhäu-ser, die so genannten Monti di Pietà (Berge der Barmherzigkeit), unterlagen ebenfalls bereits einer strengen öffentlichen Kontrolle (Parker 1979, 341). Ihre Gründung wurde vor allem von der Kirche und konfessionellen Orden vorange-trieben. Die Aufgabe dieser Einrichtung war es, Kredite ausschließlich an Not Leidende vergeben, ohne dabei eigenen finanziellen Gewinn zu kalkulieren, so

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dass Kredite ohne den sündigen Wucherzins vergeben wurden. Weder Kreditge-ber noch Kreditnehmer sollten somit in monetärer Weise von diesen „Kreditge-schäften“ profitieren.91 Gerade aus diesem Grund hatten die Monti di Pietà je-doch einen schweren Stand, da es ihnen an Einlagen fehlte. Kaufleute gaben ihr Geld auch weiterhin bevorzugt zu Kaufmannbankiers, da sie hier eine höhere Rendite erwarten durften. Zudem hatten sie hier auf der anderen Seite die Mög-lichkeit der Überziehung, was im Falle der Einlage bei den Montes untersagt war.92

Auch wenn der ‚Erfolg’ der Monti di Pietà ökonomisch bescheiden ausfiel, beförderte sie jedoch institutionell eine andere Entwicklung: die Entstehung öffentlicher Bankinstitutionen. So gingen in Italien in verschiedenen Städten aus den Monti di Pietàs später öffentliche Kreditinstitutionen hervor. Die Entstehung dieser öffentlichen Kreditinstitutionen war auch dem Umstand zu verdanken, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Privatbankiers misstraut wurde (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 91). Diese öffentlichen Banken des 16., 17. und 18. Jahrhunderts unterschieden sich zwar nicht grundsätzlich von ihren Vorläufern, beispielsweise dem bereits angesprochenen Bankhaus der Medici. Allerdings genossen sie durch eine öffentliche Kontrolle ein höheres Vertrauen der Öffentlichkeit und ermöglichten durch neue Techniken eine besse-re Verrechnung von Schulden und Gutschriften sowie schließlich die Einführung von Giralgeld (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 96). Somit spielten hier mit der politischen Kontrolle und finanzwissenschaftlichen Methoden bereits zwei Faktoren eine Rolle, die auch, wenn in anderer Ausprägung und Entwick-lungsstufe, für das moderne Bankensystem relevant sind. Zum einen stärkten diese Mechanismen das Vertrauen in bankwirtschaftliche Operationen. Zum anderen ebneten die neuen Methoden und Transaktionen die Möglichkeiten des Abstraktionsgewinns und einer partiellen Entmaterialisierung des Mediums Geld.93

91 In der Praxis verlief die Einrichtung jedoch nicht konfliktfrei, war doch der laufende Betrieb ohne eine „vernünftige Verzinsung“, wie die Kirche im 5. Laterankonzil (1545-1563) entschied, nicht aufrecht zu erhalten (Kellenbenz 1986, 320). Damit zeigte die religiöse Normativität erste Risse gegenüber der finanzwirtschaftlichen Rationalität. 92 Dem gemäß setzten sich diese Institutionen zur Kreditfinanzierung nicht in allen europäischen Regionen durch. Zwar erlebten sie im Zeitalter der Reformation einen Aufschwung, da in diesem Kontext das Problem der Armut drängend und das öffentliche Verantwortungsgefühl groß waren (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 79). So setzte sich dieses Finanzierungsinstrument vor allem noch in den Niederlanden durch. Auch in Deutschland wurden, wie beispielsweise 1590 in Augsburg, öffentliche Pfandleihhäuser errichtet, ebenso vereinzelt in Polen (1584) und in Schweden (1668). In England und Frankreich dominierten jedoch weiterhin die privaten Pfandleiher, öffentliche Kreditin-stitutionen hatten es schwer, hier Fuß zu fassen. 93 Auch für den Kontext der Entmaterialisierung, Symbolisierung und Vergeistigung des Geldes ist wiederum Simmel instruktiv (Simmel 2001, 151-196).

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Die Rolle der Politik trat insbesondere mit der Konstitution des modernen euro-päischen Nationalstaates im 16. Jahrhundert und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in eine neue Phase. Diese neue Regierungsform war auf eine hohe Menge an monetären Ressourcen angewiesen, um die ständig steigenden Ausgaben, bei-spielsweise für Infrastruktur und militärische Investitionen, zu begleichen.94 Im Gegensatz zu früheren Geschäftstätigkeiten schien die Politik sich zumindest den Gesetzen des Marktes angepasst zu haben, indem sie – wie andere Kreditnehmer – Sicherheiten wie Land, Schmuck oder Warenbestände auszuweisen hatte. Zwar war die Zahlungsmoral schlecht, Moratorien waren auch weiterhin nicht auszu-schließen95 und negative Ereignisse wie die 1788 verkündete Zahlungsunfähig-keit des französischen Staates drückten auf die Bilanz. Letztlich jedoch wurden die Kreditgeschäfte mit den jungen Nationalstaaten sowie der europäische Aris-tokratie von den international tätigen europäischen Bankiers als lohnend betrach-tet (Mieck 1993, 173). Der exorbitante Anstieg der Staatsfinanzen hatte zugleich auch eine weitere Ausdifferenzierung und Komplexitätssteigerung der Geldwirtschaft zur Folge. Die Kreditwirtschaft erhielt zudem durch das Fallen der Zinssätze, das parado-xerweise vielerorts mit der Aufhebung des Wucherverbots einherging, einen weiteren Schub.96 Die Geldmenge stieg im Rahmen des Prozesses moderner Staatenbildung sowie der Zinssenkungen erheblich und evozierte nicht zuletzt neue Formen des Geldverkehrs, die die Knappheit des Materials überwinden konnten.

Die Fokussierung auf abstraktere Formen der Geldwirtschaft, die sich nicht mehr des Materialwertes rückversicherten, wurde zudem auch durch die zuneh-mende Knappheit des Rohstoffes Silber vorangetrieben (Schultz 1997, 173). Reine Silbermünzen waren inzwischen einem Bimetallismus von Silber und Kupfer gewichen. Diese Entlastung reichte jedoch nicht aus. Stattdessen kam es ab dem 16. Jahrhundert zu einem Geldumlauf, der vor allem auf der Weitergabe von Schuldscheinen basierte, die dann von dem jeweiligen Inhaber eingelöst

94 Dabei liehen sich die Staaten vor allem Geld bei internationalen Banken in Lyon und Antwerpen, durch Rückzahlungen in Form von Edelmetallen aus der neuen Welt oder durch den direkten Trans-fer von Steuergeldern an die entsprechenden Bankiers (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 114). Auch die niederländischen Bankiers waren – vor allem im 17. und 18. Jahrhundert – bevorzugte Geldgeber der europäischen Fürsten für private Anschaffungen aber auch für staatliche Investitionen. 95 Ein Beispiel dafür ist das Moratorium Philipp II vom ersten Dezember 1575, das auf der Antwer-pener Börse für Panik sorgte und zwischenzeitlich dazu führte, dass kein Armeegeneral mehr Kredit erhielt, was aufgrund des dann rückständigen Solds zu Meutereien in den spanischen Niederlanden („Spanische Furie“ in Antwerpen) führte (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 119). 96 So fielen die Zinssätze in England 1624 zunächst von 10 auf 8 Prozent, 1651 auf 6 und 1714 auf 5 Prozent. In den Niederlanden war die Zinssenkung jedoch noch dramatischer. Hier sank der Zinssatz öffentlicher Darlehen von 25 Prozent in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis auf 9 Prozent in den 60 Jahren des 17. Jahrhunderts (Parker 1979, 343).

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70 Kontinuitäten

werden konnten (Schultz 1997, 177). Schuldscheine konnten somit durch viele Hände gehen. In der Funktionsweise dieses nunmehr abstrahierten Zahlungsver-kehrs zeigten sich erste Formen der Vertrauenskonstitution in ein Medium, das von seinem Materialwert entkoppelt war, was wohl allein auf der Basis des Ver-trauens in die Einlösungsmöglichkeiten bei einer Bankinstitution möglich wurde. Zugleich zeigte sich in dieser Entwicklung eine Multiplikation der Möglichkei-ten ökonomischer Kommunikation. Neben dem Tauschhandel und dem Geld-handel auf Basis des substantiellen Materialwertes trat nun ein weiteres Medium zur Abwicklung wirtschaftlicher Transaktionen hinzu.

Die ersten Versuche einer Einführung von Banknoten waren jedoch auf-grund verschiedener Aspekte nur von kurzer Dauer.97 Neben der Bankorganisati-on war es immer auch die Politik, die für die Stabilität der neuen Währungssys-teme Sorge zu tragen hatte, dies jedoch nicht immer ausreichend erfüllte. Dies hing auch damit zusammen, dass staatliche Banken zwar nicht an Privatperso-nen, wohl aber an Staaten Kredite vergeben konnten, was von diesen ausgiebig genutzt wurde. Der Staat war Aufseher, Garant und Schuldner der Bank, was zu Rollenkonflikten führte (Schultz 1997, 185).

Auch in England war die Gründung der Bank of England vor allem eine Folge eines enormen Bedarfs der englischen Krone an Finanzmitteln. Zwar ver-langte auch die ökonomische Entwicklung nach einer Institution, die Zinssen-kungen ermöglichen und außerdem die Einführung sowie Überwachung von Papiergeld übernehmen konnte (Andréadès 1966, 45-49). Gleichzeitig jedoch befand sich auch die Obrigkeit aufgrund der hohen Militärausgaben in einer finanziell angespannten Lage, die sich auch durch Steuererhöhungen, die in der korrupten Administration versickerten, nicht zum Besseren wendete (Andréadès 1966, 55). Im Gegensatz zu anderen Regierungssystemen unterlagen die Ausga-ben der öffentlichen Hand einer staatlichen Kontrolle, wodurch das Vertrauen der Kreditgeber in die Kreditwürdigkeit gestärkt und Kredite ermöglicht wurden. Dennoch waren die öffentlichen Haushalte auf weitere Finanzierungsinstrumen-

97 In Schweden kamen 1661 die ersten modernen Bankennoten von der Schwedischen Bank in Stockholm in Umlauf, 1664 musste die Bank jedoch von der Obrigkeit geschlossen werden, da das Vertrauen in der Öffentlichkeit nicht mehr vorhanden und ein Ruin nicht mehr zu verhindern war (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 137). Ein Grund dafür war wohl der übermäßige Druck von Banknoten sowie eine zu hohe Ausgabe von Krediten (Schultz 1997, 181). Auch in Frankreich wurde im 17. Jahrhundert ein Papiergeld von der Banque Royale ausgegeben, das nur in geringem Maße gedeckt war. Um Vorfälle wie in Stockholm zu vermeiden, durfte jeder Bürger nur eine bestimmte Menge Edelmetall besitzen - dadurch konnten sie auch nur ein begrenztes Maß bei der Bank gegen Banknoten ertauschen. Allerdings führte dieses System zu Inflation. Die Verantwortlichen sahen sich bald zur Abwertung gezwungen, schließlich brach das System zusammen. In Frankreich war das Vertrauen in Papiergeld danach lange zerstört, so dass es in diesem Land im Vergleich besonderes spät eingeführt wurde (Schultz 1997, 182).

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Komplexität, Kontingenz und Risiko 71

te, wie beispielsweise eine englische Staatslotterie sowie die Gründung einer Bank als Kreditgeber, angewiesen (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 161f.).

Die Bank of England war zu Beginn ihrer Gründung keine Zentralbank, vergleichbar mit ihrer heutigen Ausprägung. Auf der einen Seite war sie Kredit-geber und Schuldenverwalter des Staates, auf der anderen Seite war sie die zent-rale Institution der Londoner City und damit der Privatwirtschaft (Bowen 1995). Die Bank of England unterschied sich jedoch auch deutlich von ihren Vorläu-fern, zum Beispiel den Venezianischen Banken oder auch der Bank von Amster-dam. Sie war insofern die erste moderne Bank, als sie ihren Einlegern nicht mehr garantierte, theoretisch dieselben (!) Münzen auszugeben, die diese bei ihr einge-lagert hatten. Stattdessen bestand nur noch das Versprechen einer Zahlung der entsprechenden Summe des Betrages, der zur Einlage abgegeben worden war. Zudem machte sie deutlich, dass das Geld, was sie als Einlage annahm, zum Handel bestimmt war (Andréadès 1966, 81f). Auch die Organisationsform der Aktiengesellschaft, als welche die Bank gegründet war, unterschied sie von fa-miliengeprägten Bankhäusern und weist bereits Züge einer modernen Organisa-tion (Schultz 1997, 186) auf. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich die Bank of England zu einem Institut, das (vor allem in London) ein hohes Vertrau-en der Kaufleute besaß und zudem in zentraler Weise an der Konstitution des modernen privaten Bankensystems Anteil hatte (Houtman-De Smedt/van der Wee 1993, 166).

Mit der Ausgabe von Aktienbeteiligungen wählte die Bank of England eine Finanzierungsform, mit der sie anderen Protagonisten im Kreditgeschäft weit voraus war. Erst später, im Laufe des 19. Jahrhunderts, trat die als Aktiengesell-schaft organisierte Bank aus dem Schatten der Privatbankiers und avancierte dann aber im Zuge der voranschreitenden Industrialisierung zu einer wichtigen Kapitalquelle. Zentraler Impuls für die Gründung dieser Gesellschaftsform war weniger ein Kapitalmangel als vielmehr die Überlegung, das Kreditrisiko anders zu verteilen (Pohl 1993, 213f.). Das Ende des 18. und der Beginn des 19. Jahr-hundert kann so zwar als Startpunkt für die Herausbildung und Entfaltung weite-rer öffentlicher Organisationsformen, wie sie uns heute vertraut sind, betrachtet werden.98 Als kapitalträchtigste Bankentypen firmierten jedoch zunächst weiter-

98 So bildeten sich in diesem Zeitraum die ersten Sparkassen heraus, die vor allem die ärmeren Be-völkerungsschichten als Kunden in den Fokus nahmen. Ausgangspunkt dieser Bankorganisations-form waren dabei so genannte „patriotische Gesellschaften“, die auf der Basis aufklärerischer Ideen etwas gegen die soziale Frage tun wollten, die sich zu diesem Zeitpunkt immer drängender zu stellen begann (Pohl 1993, 211). 1878 entstand in Hamburg die erste Sparkasse auf deutschem Boden (Pohl 1976, 30). In Österreich wurde beispielsweise 1819 in Wien die erste Sparkasse eröffnet. Aber auch die Kreditgenossenschaften, die heute noch eine wichtige Organisationsform mit Blick auf das Ban-kensystem darstellen, fanden ihren Anfang in dieser Zeit. Auch sie entstanden als Antwort auf die

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hin die großen Privatbanken wie Baring, Rothschild oder auch Oppenheim, die vor allem die großen Infrastrukturprojekte wie den Bau von Kanälen und Eisen-bahnnetzen, finanzierten (Pohl 1993, 217). Das Bankensystem hatte inzwischen, insbesondere als Konsequenz der heraufziehenden Industrialisierung deutlich an Komplexität und damit auch an Risikosensitivität gewonnen, was vor allem auf den deutlich gestiegenen Kapitalbedarf zurückzuführen ist.

„In einer Gesellschaft, in der einige die Mittel für die Industrialisierung besitzen, ohne sie einsetzen zu können oder zu wollen, und andere, die fleißig sind, nicht über die nötigen Mittel verfügen, muss es das Ziel des Kreditwesens sein, die Mittel von denen, die sie besitzen, zu denen zu bringen, die sie einsetzen können.“

In diesem Zitat aus der damaligen Zeit (zitiert nach Gille 1976, 171) wird deut-lich, in welcher Weise die Intermediationsfunktion, die Überbrückung der Diffe-renz von Zahlungsmöglichkeit und Zahlungsfähigkeit an Bedeutung gewinnt. Zwar wurde der enorme Kapitalbedarf der im Entstehen begriffenen Industrie-produktion auch über Aktienemissionen gewährleistet. Insbesondere in England und Deutschland erfreute sich die Investition in Aktien großer Beliebtheit. In diesen Fällen waren auch die Bankiers wichtige Mittler zur Ermöglichung dieser Geschäfte. Jedoch stellte auch das klassische Kreditgeschäft eine wichtige Fi-nanzierungsform dar, die beispielsweise insbesondere in Frankreich den Finanz-markt dominierte. Als zentrales Argument diente dabei die höhere Sicherheit der Anlageform. Die gestiegene Zentralität des Kreditsystems im Rahmen der sich entwickelnden Wirtschaft zwang die Banken zu einer Professionalisierung ihrer Intermediationstätigkeiten. So mussten nun die Konditionen, zu denen das Geld aufgenommen wurde, den Regeln entsprechen, zu denen es verliehen werden sollte (Gille 1976, 170).

Damit fügt sich einer der letzten Mosaiksteine zusammen, der für die Auto-nomie des Bankensystems, aber auch für die Herausbildung moderner Bankor-ganisationen einen wichtigen Bestandteil darstellt. Über die weitere Entwick-lung, quantitative Steigerung, Internationalisierung und regionale Heterogenität des Bankengeschäftes gäbe es im Folgenden noch vieles zu berichten. Die grundsätzlichen Charakteristika der Moderne – eine gesellschaftsweit operieren-

soziale Not als Form der Selbsthilfe. In Deutschland gründete sich 1850 auf Betreiben von Herrmann Schulze-Delitzsch in dessen Heimatstadt die erste Kreditgenossenschaftsbank, die ihre Aufgabe darin sah, Handwerkern Kredit zu vergleichsweise geringen Konditionen zu gewähren (Pohl 1993, 216). Sowohl die Bankorganisationsform der Sparkasse als auch die der Kreditgenossenschaft fanden rasch Verbreitung. Im Zeitraum von 1840 bis 1860 wurden so 800 Sparkassen neu eingerichtet, die zumeist städtische Sparkassen waren (Pohl 1993, 212). Im Jahre 1883 gab es in Deutschland bereits 500 Kreditgenossenschaftsbanken (Pohl 1976, 40).

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Komplexität, Kontingenz und Risiko 73

de Geldwirtschaft sowie die Omnipräsenz von Banken modernen Typs – liegen jedoch nun vor.99 Es wird damit Zeit, an dieser Schwelle auf eine abstraktere Ebene zurückzukehren. Auf dieser Ebene werden wir nun zum einen die Er-kenntnisse über vormoderne Mechanismen nutzen können, um funktionale Ä-quivalente aufzuzeigen. Zum anderen werden wir herausarbeiten können, auf welche Weise sich in der modernen Gesellschaft mit der Ausbreitung formaler Organisationen nun neue, bzw. weitere Formen der Kontingenzbewältigung herausgebildet haben.

2.1.2 Bearbeitung von Komplexität durch Organisationen

Die Herausbildung von Organisationen ist zweifellos kein Phänomen, das singu-lär im Kontext des Kreditsystems vonstatten geht. In allen gesellschaftlichen Bereichen konstituiert sich diese Form der Sozialordnung. Die Kreditwirtschaft ist auch mitnichten ein Vorreiter von Organisationsbildung in zeitlicher Hinsicht, zieht man in Betracht, dass in anderen Bereichen schon ab dem 16. Jahrhundert erste Formen formaler Organisation zu finden sind (Türk 1995, 133). Jedoch wird die Gesellschaft erst ab der Moderne gesellschaftsweit von Organisationen durchdrungen. Die Gründe dafür sind natürlich nicht in genuiner Weise im Ban-kensystem zu finden. Sie scheinen erst auf, wenn wir (wieder) auf eine abstrakte-re Ebene wechseln, auf der die konkreten Prozesse einzelner gesellschaftlicher Teilbereiche primär einen exemplarischen/illustrativen Erklärungswert besitzen. Wir schließen damit an Überlegungen zu Beginn dieses Abschnitts an, die vor allem die Funktionen der Komplexitätsbearbeitung und Kontingenzbewältigung durch Organisationen thematisiert hatten. Komplexitäts- und Kontingenzbewäl-tigung waren bereits in der vormodernen Gesellschaft – wie bereits oben gezeigt – wichtige Voraussetzungen zur Ermöglichung spezifischer Kommunikation wie beispielsweise dem Kreditgeschäft. In der Moderne spitzt sich diese Entwicklung noch weiter zu.

Der schleichende Niedergang des Primats religiöser Restriktionen für die wirtschaftliche Sphäre oder auch die Ausdifferenzierung und Abstrahierung der geldbasierten Wirtschaft sind nur einige Kennzeichchen einer allgemeinen Transformation des Sozialen, die wir bereits mit dem metaphorischen Ausdruck der Sprengung des Korsetts gesellschaftlicher Einheit überschrieben haben. Komplexitäts- und Autonomiegewinne, primär hervorgerufen durch Entwicklun-

99 Die historische Herausbildung öffentlicher Bankenaufsicht – zweifellos ein wichtiger Bestandteil für die Unsicherheitsabsorption und Vertrauenskonstitution – haben wir aus konzeptionellen Gründen zunächst unerwähnt gelassen. Sie firmiert in diesem Kapitelabschnitt als blinder Fleck, der erst in Kapitel 3 beleuchtet wird.

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74 Kontinuitäten

gen der strukturellen Ausdifferenzierung und Abstrahierung, lassen sich in nahe-zu allen gesellschaftlichen Sphären wie dem Recht, der Wissenschaft oder auch der Politik finden. Nicht nur im Kontext (finanz-)ökonomischer Kommunikation steht nun mit dem modernen entmaterialisierten Geld ein Medium zur Verfü-gung, das die Entkopplung und Autonomisierung des jeweiligen Gesellschaftsbe-reichs – beispielsweise von religiösen Restriktionen – forciert und das Ausreizen neuer Komplexitäts- und Kontingenzspielräume ermöglicht. Auch in der Politik oder in der Wissenschaft bilden sich mit den Medien Macht bzw. Wahrheit ver-gleichbare Kommunikationsmedien heraus.100

Zahlungen folgen nun auf Zahlungen, politische Direktiven auf politische Direktiven und wissenschaftliche Erkenntnisse auf wissenschaftliche Erkenntnis-se. In dieser selbstreferentiellen Schließung der Funktionsbereiche auf Basis ihrer jeweiligen binären Codierung und der damit einhergehenden Fluidisierung liegt nun eine gesellschaftliche Herausforderung, die Armin Nassehi mit dem Begriff der „niedrigschwelligen Anschlussbedingungen von Kommunikationen“ (Nassehi 2002, 461) bezeichnet. Diese niedrigschwelligen Anschlussbedingun-gen werden insofern problematisch, als dass der Steigerung gesellschaftlicher Unsicherheit und Kontingenz durch die Technisierung des Mediums nahezu keine Grenzen gesetzt sind und damit der Aufbau von (Erwartungs-)Strukturen zunehmend als unwahrscheinlich betrachtet werden muss.101 Insbesondere im Kontext der Ökonomie erscheint dieses Argument nachvollziehbar, verfügt doch Geld wie kein anderes Medium über die Fähigkeit der Entkopplung vom jeweili-

100 Zwar ist die Herausbildung eines systemeigenen Kommunikationsmediums keine notwendige Bedingung für die Entstehung eines autopoietischen Systems. Das System der Massenmedien verfügt beispielsweise über kein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium und erfüllt dennoch die Funktion gesellschaftlicher (Selbst-)Informierung auf der Basis systemeigener Nachrichtenwerte und Schemata (Luhmann 1996b, 58ff.). In Gesellschaftsbereichen, in denen die Reproduktion des Sys-tems auf der Annahme einer Kommunikationsofferte beruht, schaffen diese symbolisch generalisier-ten Kommunikationsmedien neue Möglichkeiten des Gelingens äußerst selektiver und daher unwahr-scheinlicher Formen der Kommunikation, die nun nicht mehr durch religiöse Moral und ständische Insignien forciert werden. Damit ist in sehr basalem Sinne gemeint: Ego wird bei der Zahlung von Geld eher bereit sein, Alter Zugriff auf sein Eigentum zu gewähren, Ego wird eher bereits sein, den Anweisungen von Alter Folge zu leisten, wenn dieser mit politischer Macht ausgestattet ist, und er wird drittens den Ausführungen Alters mehr Realitätskongruenz zubilligen, wenn diese sich auf das Medium (wissenschaftlicher) Wahrheit, basierend auf Theorien und Methoden, berufen können (Luhmann 1998, 332ff.). 101 Um Missverständnissen vorzubeugen: Zweifellos werden durch symbolische generalisierte Kom-munikationsmedien Erwartungsstrukturen und Vertrauen (in die Funktionsweise des Mediums) erzeugt – darin besteht ja eine ihrer zentralen Leistungen (Luhmann 2000b, 60f). Das Problem liegt vielmehr woanders, was vielleicht an folgendem Vergleich deutlich wird. Es kann (zwar) erwartet werden, dass gezahlt wird und dass Zahlungen als ökonomische Kommunikation erkannt und akzep-tiert werden. Wofür und in welcher Höhe gezahlt wird ist damit aber noch nicht festgelegt.

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Komplexität, Kontingenz und Risiko 75

gen entsprechenden Kontext.102 An diesem Punkt scheint nun eine gesellschaftli-che Problemstelle auf, für die formale Organisationen nicht den einzigen, aber zumindest einen Lösungsansatz darstellen. Organisationen reduzieren die Kon-tingenz und Unsicherheit in der modernen Gesellschaft und ermöglichen dadurch Strukturaufbau.103 Dies geschieht in zweifacher Hinsicht. Erstens schaffen sie höhere Anschlussbedingungen der Kommunikation auf ihrer Außenseite, also in der Gesellschaft aber außerhalb der Organisation (1) – dabei geht es um Formen der Vertrauenskonstitution und Unsicherheitsabsorption, die partiell bereits in vormodernen Gesellschaften ein Thema waren, jedoch angesichts der funktiona-len Ausdifferenzierung und der damit verbundenen Komplexität und Kontingenz der Beobachtungsverhältnisse in der Moderne verstärkt an Relevanz gewinnen. In diesem Fall steht die Beobachtung organisationaler Entscheidungen im Zent-rum.

Zweitens geht es jedoch auch um Form- und Strukturbildung auf der Innen-seite der Organisation und damit um den operativen Vollzug von Entscheidun-gen selbst (2). Dieser Gesichtspunkt stellt in weiten Teilen etwas gänzlich Neues im Vergleich zu unseren vormodernen Formen der Unsicherheits- und Kontin-genzreduktion dar. Er reagiert auf Umstellungen der modernen Gesellschaft und führt uns schließlich zu der zentralen Frage dieses Abschnitts: die nach dem Zusammenhang von Funktionssystem und Organisation als Sozialordnung.

(1) Ein erster Mechanismus, der bei der Frage nach Möglichkeiten der Un-sicherheitsreduktion und des Aufbaus von Erwartungen deutlich wird, ist der der Zuschreibung von Rationalität (Nassehi 2002, 467). Organisationen beschreiben sich selbst als rational und achten darauf, dass sie auch von anderen Beobachtern in dieser Weise beobachtet und beschrieben werden. An dieser Stelle besteht partieller Konsens zwischen Systemtheorie und neoinstitutionalistischen Ansät-zen. Auch der Neoinstitutionalismus begreift die Zuschreibung von Rationalität als Charakteristikum sozialer Wirklichkeit. John Meyer und Brian Rowan sehen Organisationen sogar in der Pflicht sich mit so etwas wie einem Rationalitätsmy-

102 Helmut Willke sieht so das Symbolsystem des Geldes als die „radikalste Ausformung dieser Steigerung kommunikativer Optionenspielräume und des damit verbundenen Verlusts an Bodenhaf-tung“ (Willke 2003, 163). 103 Ein ähnliches Verständnis zur gesellschaftlichen Bedeutung von Organisationen finden wir in den Arbeiten des mikroinstitutionalistischen Ansatzes. Darin wird davon ausgegangen, dass zum einen die wichtigen Institutionen der modernen Gesellschaft Organisationen entspringen, zum anderen aber Organisationen im Umkehrschluss selbst Institutionen darstellen (Zucker 1983). In der Systemtheorie wird zwar auf den Begriff der Institution mit Blick auf Organisationen verzichtet. Zieht man jedoch in Betracht, dass in den institutionalistischen Theorien die Funktion von Institutionen in der Erzeu-gung von Erwartungssicherheit, in der Entlastung von Handlungskontingenz zu verorten ist, so ist die Nähe zum systemtheoretischen Begriff der Erwartungsstrukturen offensichtlich.

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thos zu umgeben, wollen sie in ihrer institutionellen Umwelt erfolgreich sein (Meyer/Rowan 1992, 33).104

Zwar handelt es sich ‚nur’ um zugeschriebene Formen von Rationalität, die zwischen den einzelnen Organisationstypen variieren (können).105 Auch in dieser Sache sind sich Systemtheorie und Neoinstitutionalismus einig. Wirtschaftsorga-nisationen würden somit möglicherweise eher im Schema der Zweckrationalität, also mittels der Unterscheidung von Zwecken und Mitteln, kirchliche Organisa-tionen vielleicht eher im Schema der Wertrationalität, also mittels der Unter-scheidung von Tatsachen und Werten beobachtet (Luhmann 2000b, 447). Denk-bar wäre gar eine weitere Ausweitung des Rationalitätsbegriffs entlang der funk-tionalen Differenzierung, so dass von wirtschaftlicher, politischer oder auch religiöser Rationalität geredet werden könnte (Luhmann 1992c, 56). Möglicher-weise wird die Rationalitätsattribution zudem latent gehalten und wird erst dann ein Thema, wenn es zu Abweichungen und damit zu Verstößen gegen unterstell-te Rationalität kommt (Luhmann 2000b, 446). Und dennoch erfüllt dieses Schema wichtige Leistungen, indem es organisa-tionales Verhalten auf die Differenz von rational/irrational fokussiert und damit andere Möglichkeiten zunächst ausblendet. Die Wirtschaft wird so beispielswei-se von Informations- und Koordinationskosten entlastet (Luhmann 2005f). Dies trifft beispielsweise für den Handel und die hier notwendigen Prozesse der Preis-bildung zu. Dadurch, dass Preise von Unternehmen (auf der Basis rationaler Kalkulationen als Ergebnis der Beobachtung von Märkten) gebildet werden, herrscht ein Maß an (Erwartungs-)Sicherheit bezüglich möglicher Zahlungen.106

Dieses Argument lässt sich in analoger Weise für das Bankensystem fruchtbar machen. Auch hier fungieren Banken – in der Nachfolge vieler anderer instituti-oneller Vorkehrungen, auf die wir bereits aufmerksam gemacht haben – als Kris-tallisationspunkte, deren Informationen über Kreditkonditionen einen Erwar-tungsraum konditionieren können, der von weiteren Informationskosten entlastet. Derartige Formen der Unsicherheitsabsorption, die auf der Außenseite der Orga-

104 Meyer und Scott drehen damit die Perspektive um und richten den Fokus auf die Organisation. So denn zeigt sich aus diesem Blickwinkel eine weitere mögliche Funktion dieser Rationalitätszuschrei-bung, diesmal jedoch nicht für die Gesellschaft, sondern für die Organisation. 105 Das ‚nur’ ist hier nicht abwertend gemeint, sondern bloß in Abgrenzung zu einfachen Rationali-tätsvorstellungen zu sehen. Die Zuschreibungen müssen damit nicht als weniger folgenreich einge-schätzt werden, man denke an das so genannte Thomas Theorem: „If situations are defined as real, they are real in their consequences.“ 106 In einigen Wirtschaftsregionen wie beispielsweise Japan ist es sogar üblich, dass verschiedene Unternehmen miteinander kooperieren, ohne dafür den Markt als gegenseitige Informationsquelle für günstige Konditionen in Anspruch zu nehmen. Dieses ”obligates relational contracting“ wird von einem hohen wechselseitigen Vertrauen getragen und dient dazu, Transaktionskosten zu senken aber auch Werte wie eine hohe Produktqualität aufrecht zu erhalten (Pirker 2000).

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Komplexität, Kontingenz und Risiko 77

nisation geschehen, erscheinen im Kontext des Bankensystems sogar von her-vorgehobener Relevanz, werden doch hier die (vormodernen) Vorstellungen von moralischer Integrität oder einer vertrauenswürdigen Stellung durch die Seman-tik einer Rationalität der Organisation abgelöst, bzw. ergänzt. Unsicherheitsab-sorption durch Bankorganisationen und damit sich konstituierende Sicherheits-fiktionen erfüllen eine wichtige Voraussetzung für die Annahme des Zahlungs-versprechens und die Ermöglichung von Einzahlungen. Schließlich basiert die Annahme des Zahlungsversprechens auf der Erwartung, dass trotz einer nicht prognostizierbaren Zukunft und unerwarteter Ereignisse eine Rückzahlung zu einem bestimmten Zeitpunkt möglich erscheint. Die zentrale Position von Organisationen in Beobachtungskontexten weist zudem noch eine weitere Funktion auf, die sich mit dem Begriff der Reflexivitätumschreiben lässt (Nassehi 2002, 460). Organisationen machen die einzelnen Funktionssysteme beobachtbar – sowohl für sich selbst, aber auch für andere gesellschaftliche Beobachter. Die Wirtschaft kann sich anhand von Unterneh-men, ihren Gründungen und Konkursen sowie den dazwischen liegenden Ent-scheidungen beobachten und „an der Entscheidungsgeschichte sehen, wie sich ‚die Wirtschaft’ entwickelt“(Nassehi 2002, 460). Die hervorgehobene Stellung, die Organisationen im Rahmen dieser Prozesse zugesprochen wird, gipfelt schließlich in der Idee, gesellschaftliche Prozesse (allein) anhand ihrer Organisa-tionen zu beobachten. Diese Form der Komplexitätsreduktion ist nun ein Spezi-fikum der Moderne, ließen sich doch vormoderne Gesellschaften vor allem über ihre Spitze, bzw. eine privilegierte soziale Sphäre hin beobachten und beschrei-ben. So repräsentierten beispielsweise in diesen Formationen die Politik (Aristo-teles), Religion (Augustinus) oder später die Ökonomie (Marx) die Gesamtge-sellschaft. In der Moderne jedoch existiert keine privilegierte soziale Sphäre mehr, die als gesellschaftliche Spitze beobachtet werden kann.107 Vor allem deshalb erscheint es nicht mehr möglich, die Komplexität der Gesamtgesell-schaft auf eine ihrer Funktionsbereiche zu reduzieren. Damit erscheint der Wechsel der Differenzierungsebene, von der Funktions- zur Organisationsebene als eine Möglichkeit des Umgangs mit dieser neuen Unübersichtlichkeit. Politik ist folglich vor allem Parteienpolitik. Die Wirtschaft, das sind Daimler, Sony und Microsoft, und Kreditgeschäfte werden allein mit Blick auf die Deutsche Bank,

107 Peter Fuchs macht mit Blick auf diesen Problemgesichtspunkt den Vorschlag, die moderne Ge-sellschaft als hyperkomplex zu bezeichnen. Damit ist keine „Komplexität der Superlative oder ein einfaches Mehr an Komplexität“ gemeint (Fuchs 1992, 35). Stattdessen macht er damit deutlich, dass im Anschluss an die funktionale Differenzierung auch auf der Ebene der Selbstbeobachtung konkur-rierende Vorschläge zur Beschreibung gesellschaftlicher Komplexität zu beobachten sind.

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78 Kontinuitäten

die Sparkasse oder auch die Postbank betrachtet.108 Eine solche Perspektive, die auf die Trennung von gesellschaftlichem Teilsystem und Organisationssys-tem verzichtet und damit den in Kapitel 1 angesprochenen handlungstheoreti-schen Ansätzen der Regulierungstheorie nahe kommt, kann sich somit zunächst in vielerlei Hinsicht als funktional für die gesellschaftliche Selbstbeobachtung erweisen – sieht man von Risiken ab, die wir im Folgenden für Regulierungskon-texte aufzeigen wollen. Mechanismen der Unsicherheitsabsorption und Vertrauenskonstitution, wie wir sie auf der Außenseite der Organisation feststellen konnten, stellen somit in weiten Teilen funktionale Äquivalente zu vormodernen Formen dar, die in elabo-rierter Weise auf die gesellschaftliche (Selbst-)Verunsicherung der Moderne reagieren und dementsprechend zur Erwartungsstrukturbildung beitragen. Auch mit Blick auf die Innenseite fällt zunächst eine Form ins Auge, die erst mit Auf-lösung der stratifizierten Gesellschaft an Notwendigkeit gewinnt: die: „gesell-schaftliche Determination von Arbeitsverhältnissen.“ (2) In dem Moment, in dem Arbeitskarrieren nicht mehr ausschließ-lich durch Herkunft und dann durch Zünfte, Gilden, die Leibeigenschaft oder gar Sklaverei determiniert sind, wird ein anderer Mechanismus notwendig, der nicht mehr vorhandene Orientierungs- und Ordnungsleistungen erfüllt. Die Arbeit in Organisationen sorgt damit für eine Inklusion in zweifacher Hinsicht. Zum einen werden Personen über das Medium Arbeit in Organisationen inkludiert und darin als Mitglieder gemäß der an sie gestellten Anforderungen geformt.109 Organisati-onen schaffen in diesem Prozess der „aktiven Subsumtion“110 ein Geflecht wech-selseitiger Erwartungen indem sie nun bestimmte Personen nach eigenen Krite-rien einstellen und als ihre Mitglieder anerkennen, (Luhmann 2000b, 380). Die wechselseitige Erwartungsbildung, die zwischen Organisation und ihrem Mit-glied besteht, kompensiert den Verlust von Erwartungssicherheit, der mit der Auflösung der alten Ordnung, die den jeweiligen Mitgliedern ihren Platz in der Gesellschaft in der Regel zuwies und damit die Partizipation am gesellschaftli-chen Geschehen limitierte, in spezifischer Weise. Mitglieder formaler Organisa-tionen werden in der Regel monetär entlohnt, damit sie auf bestimmten Stellen

108 Derartige Beobachtungen sind zweifellos auch außerhalb der soziologischen Theorie nicht unum-stritten, man denke an den zivilgesellschaftlichen Diskurs, der auf eine Verschiebung der gesell-schaftlichen Zentrifugalkräfte in Richtung eines dritten Sektors drängt (dazu im Überblick Klein 2001). Mit ihrer Kritik gegen die Dominanz der Systemwelt und damit gegen formale Organisationen reproduzieren diese Denkrichtungen jedoch paradoxerweise dieses Beobachtungsschema und ergän-zen es beispielsweise lediglich um Semantiken wie die Gesellschaft/Gemeinschaft Unterscheidung. 109 Die Verwendung des Medienbegriffs sowie die Formung von Personen sind hier nicht als zufälli-ge Formulierung zu verstehen. Michael Bommes und Veronika Tacke schließen im Kontext ihres Arbeitsbegriffs an die systemtheoretische Medien- und Formtheorie an (Bommes/Tacke 2001, 71ff.). 110 So bezeichnet Karl Marx mit Blick auf die Industrieproduktion diesen Vorgang (Marx 1953, 585).

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bestimmten Pflichten nachkommen. Anders gesprochen entstehen Erwartungen an Mitglieder von Organisationen, denen sie für die Dauer ihrer Mitgliedschaft zu entsprechen haben. Umgekehrt entstehen auch auf Seiten der Mitglieder Er-wartungen an die Organisation, die zur Transformation von Unsicherheit in Er-wartungssicherheit beitragen. Die Formung von Erwartungen durch Organisationen beschränkt sich je-doch nicht allein darauf, der Freiheit des modernen Subjekts mit Optionen der freiwilligen Selbstbindung zu begegnen.111 Ebenso von Relevanz ist der Um-stand, dass Personen über Organisationen in das Wirtschaftssystem inkludiert werden, indem sie grundsätzlich ihre Arbeitskraft gegen Zahlung für die Ausfüh-rung spezifischer Leistungen zur Verfügung stellen (Bommes/Tacke 2001). Auf diese Weise kommt es bereits zu einer Konditionierung von Zahlung, die auf der Basis der Einstellungs- und Weiterbeschäftigungsentscheidung gebunden wird. Die Schaffung derartiger Arbeitsverhältnisse kanalisiert die Geldströme in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Sie bindet das Medium Geld an gewisse (Zahlungs-)Erwartungen der Organisationsmitglieder und trägt damit zur Bear-beitung von Kontingenz bei. An dieser Stelle zeigt sich nun eine Form der Unsicherheitsabsorption und Strukturbildung, die in operativer Weise auf eine kardinale Herausforderung der modernen Gesellschaft, nämlich die Technisierung und „Temposteigerung“ (Drepper 2003, 210) medienbasierter Kommunikation der Funktionssysteme reagiert.112 Während die Verwendungsformen der Kommunikationsmedien grundsätzlich flüchtig und – wie insbesondere im Falle des Geldes – nahezu beliebig rekombinierbar sind, trägt die Form organisationalen Entscheidens auf der Basis systemeigener Prämissen zur Einschränkung von Kontingenz und zur Herausbildung von Erwartungsstrukturen bei. Für bestimmte Arbeitsleistun-gen, für deren Inanspruchnahme entschieden wurde, muss gezahlt werden – dieses Geld ist somit zunächst nicht mehr frei im Wirtschaftskreislauf verfügbar. Damit wird auch deutlich, wie es Organisationen operativ gelingt, die Kommu-nikation innerhalb von Funktionssystemen nun mit „höherschwelligen Anforde-rungen“ zu versorgen (Nassehi 2002, 96).113 Organisationen unterbrechen die scheinbar unendlich regkombinierbaren Variationsmodus des Medieneinsatzes mittels ihres eigenen Reproduktionstypus der Entscheidungsfindung. Dem

111 Klassisch in diesem Kontext ist die Figur einer „zone of indifference“, mit der Chester Barnard diesen Prozess beschreibt (Barnard 1948, 168f.). Armin Nassehi spricht diesbezüglich von einer „Herstellung von Lebenslagen“ (Nassehi 2002, 467). 112 Damit haben wir es erstmals mit einem Mechanismus der Strukturbildung zu tun, der genuin auf ein modernes Problem reagiert und für den es entsprechend kein Äquivalent in vormodernen Gesell-schaften gab. 113 Diese „höherschwelligen Anforderungen“ waren früher – um es noch einmal zu betonen – in ständischen Insignien oder anderen vormodernen funktionalen Äquivalenten zu finden.

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scheinbaren Automatismus funktionssystemischer Operationen setzen Organisa-tionen damit einen voraussetzungsvollen Kommunikationstypus entgegen. Tho-mas Drepper führt in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von Varietät und Redundanz ein, um das Verhältnis von Medium und Organisation aus einer formtheoretischen Perspektive zu beschreiben. Für Drepper ist dabei entschei-dend, dass die Elemente eines Mediums wie Geld lose gekoppelt sind und es erst über formaler Organisationen zu festen Kopplungen kommt (Drepper 2003, 210).

Diese Vorgänge der festen Kopplung beschränken sich nicht allein auf die Entlohnung von Mitgliedern und die damit verbundene Schaffung von Redun-danzen im Wirtschaftssystem. Jede Entscheidungskommunikation erzeugt auch innerhalb des Systems spezifische Erwartungsstrukturen, die eine Invarianz ge-genüber der Umwelt ermöglichen und somit einen Puffer gegenüber Einzelereig-nissen in der Umwelt darstellen (Luhmann 1964, 55). Wie jedoch kommt es zu dieser festen Kopplung? Wie finden Entscheidungen ihren Halt? Hinsichtlich der Selbstbeschreibung haben wir bereits eine Antwort auf diese Frage vorliegen. Demnach ist es vor allem eine wie auch immer gestaltete Form von Rationalität, in die eine Entscheidung gekleidet wird – sei es nun Zweckrationalität, wie im Falle von Wirtschaftsunternehmen zu erwarten oder wie im Falle kirchlicher Organisationen, eher Wertrationalität (Luhmann 2000b, 136). Diese Antworten mögen aber nicht mehr befriedigen, wenn man aus einer soziologischen Perspek-tive von objektiven Rationalitätsbegriffen und damit verbundenen Zweck/Mittel und Tatsachen/Wert Schemata absieht.Die Organisation sieht sich, um derartige Kopplungen und damit Redundanzen zu erzeugen, vor die Aufgabe gestellt, Strukturen zu erzeugen und zu reproduzieren, die zunächst entscheiden, wo und wann von wem entschieden wird. Zweifellos kann es an der Spitze der Organisa-tion zu einer Zentralisierung von Ressourcen und der Einführung von Hierarchie kommen, so dass Hierarchie eine zentrale Ordnungsform formaler Organisation darstellt. Jedoch kann nicht mehr von einem Maschinenmodell ausgegangen werden, demnach Entscheidungen allein ‚oben’ getroffen und ‚unten’ ausgeführt werden. Bereits in 1.1.2 haben wir deutlich gemacht: Entscheidungsfindung lässt sich auf allen Ebenen und auch in allen Abteilungen von Organisationen feststel-len, ohne, dass eine natürliche Kausalität mit dem Gesamtzweck unterstellt wer-den kann.

Möglicherweise lohnt es sich, zur Klärung dieser Frage noch einmal die or-ganisationswissenschaftlichen Grundlagen der Systemtheorie zu befragen. Hier finden sich Anhaltspunkte dafür, welche Gesichtspunkte die Kontingenz des Entscheidens in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht eingrenzen und somit feste Kopplungen ermöglichen. Niklas Luhmann spricht in diesem Zusammen-hang von so genannten Entscheidungsprämissen, von denen sich drei Typen in

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Organisationen finden lassen: Entscheidungsprogramme, Kommunikationswege und Personaleinsatz (Luhmann 2000b, 225). Auf Basis dieser drei Prämissen ergeben sich Orientierungspunkte für weitere Entscheidungen. Die Entscheidung der Bank, alle Operationen an einer positiven Entwicklung des Aktienkurses zu orientieren, könnte als eine Entscheidungsprämisse dienen, die den Möglich-keitsraum für weitere Entscheidungen einschränkt. Dabei handelte es sich um ein so genanntes Zweckprogramm.114

Damit ist aber noch nicht festgelegt, wie die Umsetzung solcher Zwecke im operativen Vollzug funktionieren kann. Als zweite Entscheidungsprämisse sind deshalb in der Systemtheorie Kommunikationswege vorgesehen. Diese regeln Fragen der Zuständigkeiten, die sich im Falle einer Einzelentscheidung stellen (Luhmann 2000b, 316). Sie legen fest, welche Stellen in welchem Fall zu ent-scheiden haben. Insbesondere in ausdifferenzierten Organisationen, in denen viele Abläufe simultan erfolgen, entlastet diese Entscheidungsprämisse zunächst die Spitze der Organisation – ungeachtet aller Folgeprobleme, die wir im Fol-genden noch thematisieren werden. Die Entscheidung über die Kreditvergabe in der Filiale muss nicht mehr mit dem Vorstand in Frankfurt abgesprochen wer-den. Es genügt, dass festgelegte Stellen bestehen, in denen Personen für derartige Entscheidungen zuständig und damit gleichzeitig auch verantwortlich sind. Um-gekehrt bezeichnet die Festlegung von Kommunikationswegen auch den Mecha-nismus, an dem die Herstellung und Aufrechterhaltung von Hierarchie verortet ist, die für moderne Organisationen, ungeachtet der aufgezeigten Relativieren, ein zentrales Charakteristikum darstellt.

Die dritte Entscheidungsprämisse betrifft nun die Stelleninhaber selbst, die – wie geschildert – als Personen in das System Organisation inkludiert sind. Hier scheint nun das reziproke Verhältnis zwischen Organisation und Person auf. War weiter oben von der Formung von Personen durch Organisationen die Rede, so verläuft die Unsicherheitsabsorption nun in die andere Richtung. Personen die-nen auch im allgemeinen Sinne als „individuell attribuierte Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten“ (Luhmann 2005a, 142). In Organisationen tauchen zwei Formen von Entscheidungsprämissen auf, wenn von Personen die Rede ist. Zum einen geht es um die Einstellung von Personen durch andere Mitglieder. Mit der Entscheidung der Einstellung einer Person wird bereits über weitere Entscheidungen entschieden, da unterstellt werden kann, dass andere Personen anders entschieden hätten (Luhmann 2000b, 289). Zum anderen geht es um per-sönliche Entscheidungsprämissen der Personen, die im Gegensatz zu Entschei-

114 Wir sehen damit, dass Zwecke wohl noch eine Rolle spielen, jedoch nicht mehr unbedingt als die einzige Variable für die Konstitution einer Organisation. Das Zweckprogramm ist nur eine Pro-grammform in Organisationen, neben beispielsweise dem Routineprogramm (Luhmann 1971a). Eine Erörterung der verschiedenen Programmtypen werden wir in Kapitel 3 vornehmen.

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dungsprogrammen nicht in weitere Variablen zerlegt werden können, da sie den Personen anhaften (Luhmann 2000b, 287). Selbststabilisierung über Entschei-dungsprämissen ist – wie wir in 2.2 herausarbeiten werden – ein äußerst riskan-tes Unterfangen. Es ist aber – auch das wird dann deutlich werden – die einzige Möglichkeit, um Halt in einer Fülle von Kontingenzen und Irritationen zu finden.

2.1.3 Interdependenzunterbrechung und Risikoverarbeitung durch Organisationen

Stabilisierung erscheint jedoch nicht nur ein notwendiger Mechanismus zu sein, um die Autonomie des jeweiligen Organisationssystems zu sichern und zu stabi-lisieren. Von nicht minderer Bedeutung ist die Leistung, die Organisationen im Rahmen ihrer Reproduktion gleichzeitig für die Funktionssysteme erbringen. Vor welches Problem wären Funktionssysteme ohne die Existenz von Organisa-tionen gestellt? Mit der Beantwortung dieser Frage wird die gesellschaftsweite Relevanz organisationaler Stabilisierung noch deutlicher. Rekonstruieren wir also diese hypothetische Konstellation: Nach Niklas Luhmann ließe sich auf-grund der autopoietischen Schließung der binären Codierung sowie einem sym-bolisch generalisierten Kommunikationsmedium dann potentiell

„erwarten, daß in den Funktionssystemen alles mit allem zusammenhängt – also je-der Preis jeden anderen Preis beeinflusst, jeder Machteinsatz die Macht schlechthin und auch für andere Fälle aufs Spiel setzt oder jede Kommunikation unter Lieben-den als Liebesbeweis oder als Gegenbeweis gilt; (...) Gewiß gibt es sachliche, gleichsam natürliche Schranken. Die Substituierbarkeit von Gütern bzw. Dienstleis-tungen ist beschränkt und ebenso ergibt sich in einer Familie aus dem Ton der Stimme bei einer Frage nicht ohne weiteres, wer den Mülleimer nach draußen trägt. Hier wird die Gewohnheit wirksam. Aber diese natürlichen Interdependenzunterbre-chungen werden durch die Generalisierung der jeweiligen Kommunikationsmedien weitgehend neutralisiert, wenn nicht aufgehoben“ (Luhmann 1994, 236).

Gerade in unserem empirischen Kontext lässt sich die Nichtexistenz „natürlicher Schranken“ nachvollziehen. Schließlich fehlt es dem Bankensystem, aber wohl auch der gesamten Finanzökonomie an derartigen natürlichen Barrieren, wofür insbesondere die Ausprägung des hier eingesetzten Mediums Geld mit verant-wortlich ist. Geld ist in der modernen Gesellschaft aufgrund seiner generalisier-ten Verbreitung in besonderer Weise geeignet, jegliche Grenzen der Substituier-barkeit aufzuheben und durch andere Werte substitutiert zu werden – sei es durch

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Erwartungen oder gar durch anderes Geld. Sofern ‚man’115 das moderne Geld ungestört zirkulieren lässt, sprengt es aufgrund seines Mediumscharakters schließlich jegliche Grenzen der Lokalität und schafft so weitere Entfaltungs-formen jenseits territorialer Limitationen. Diese hypothetische Vorstellung ist insbesondere unter risikosoziologischen Gesichtspunkten beachtenswert. Schließlich deuten derartige Interdependenzen auf eine Risikoquelle hin, die primär in der modernen Gesellschaft an Relevanz gewinnt, nämlich erst dann, wenn es zur Etablierung des symbolisch generalisierten Kommunikationsmedi-ums und zur autopietischen Schließung des Funktionszusammenhangs kommt.

In vormodernen Gesellschaften, in denen der Geldmechanismus nur partiell ausprägt war, war der Ausfall eines Kredits und sogar der Konkurs eines Ban-kiers für den überregionalen Kontext von vergleichsweise geringer gesamtgesell-schaftlicher Konsequenz, auch wenn die Geldwirtschaft an bestimmten Orten Schaden nahm. Zu gering war der Anteil geldbasierter Ökonomie, zu flüchtig und selektiv die Verknüpfung einzelner Transaktionen. Ganz anders aber verhält es sich mit dem modernen Finanz- und damit auch Bankensystem. In Folge der funktionalen Differenzierung und der Durchsetzung neuer (digitaler) Verbrei-tungsmedien haben sich Systemarchitekturen konstituiert, vor deren Hintergrund die Interdependenzthese nochmals an Plausibilität gewinnt.116 Erinnern wir uns: Bereits im 14. Jahrhundert hatten sich mit dem Aufkommen der Zahlengläubig-keit und ersten Versuchen finanzwissenschaftlicher Kalkulation erste Formen finanzsystemischer Risiken offenbart, also Schadenspotentiale, deren Eintritts-wahrscheinlichkeiten im finanzwissenschaftlichen Kalkül beobachtet wurden. Derartige Entwicklungen lassen sich analog dazu – mehr oder weniger ausgefeilt – in allen Funktionssystemen finden.

Die binäre Codierung der Funktionssysteme zwingt förmlich dazu, Risiken einzugehen. Es gilt, sich für eine Seite der Unterscheidung – z.B. Annah-me/Ablehnung des Zahlungsversprechens – zu entscheiden und die (möglicher-weise schädlichen) Konsequenzen später auf die eigene Entscheidung zuzurech-nen (Luhmann 1991c, 90). In der Politik verhält es sich beispielsweise nicht anders. Auch hier birgt jede Entscheidung das Risiko, am Ende einer Entwick-lung derartige Popularitätsverluste beim Wähler erlitten zu haben, die gar den Wahl- und damit möglicherweise den Machtverlust nach sich ziehen.

Vor den Risiken der Moderne gibt es kein Entrinnen. Mit der Versiche-rungswirtschaft lebt zwar eine ganze Branche davon, in bestimmten gesellschaft-

115 In die Variable ‚man’ ließen sich vermutlich verschiedene Werte einsetzen. Wir werden jedoch im Folgenden sehen, dass aus historischer Perspektive dieser Platz bisher vor allem für Politik und Recht reserviert war, die die Zirkulationsfähigkeit des Geldes in entscheidender Weise beeinflussten und beeinflussen. 116 Diesen Aspekten werden wir uns in Kapitel 5 ausführlich zuwenden.

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lichen Kontexten relative Sicherheit zu suggerieren und gesellschaftsexterne Gefahren wie Blitzschläge oder Hochwasser in das Risiko des Nichtabschlusses einer Versicherung zu überführen. Aber auch in diesen Fällen gibt es keine Si-cherheit, sondern allein Kompensation in ökonomischer Form, die im Falle eines Schadenseintritts geleistet wird. Zudem birgt der Abschluss einer Versicherung immer noch das ökonomische Risiko, für eine Leistung einzuzahlen, die man womöglich gar nicht in Anspruch nimmt (Luhmann 1996a, 279). Versicherungen ihrerseits arbeiten zumeist deshalb erfolgreich, weil sie – wie Banken in vielen Fällen auch – die Einzelfälle vergessen können und die Realität in eine Ge-winn/Verluststatistik überführen, die langfristig zu ihren Gunsten ausfallen sollte (Luhmann 1996a, 280).117 Im Falle des Wirtschafts- sowie des Finanzsystems ist es somit vor allem die immer weitergehende Verfeinerung und Perfektionierung von Risikoberechnungsverfahren, die ein immer höheres Eingehen von Risiken hervorruft und gleichzeitig eben auch dazu führt, dass – wie im Falle der Banken – der Handel mit Risiken riskiert wird (Baecker 1991).

Dennoch lässt sich nicht dem Umstand entkommen: Sicherheit ist immer (nur) Erwartungssicherheit. So wie der einzelne Einzahler auf die Rückgabe seines Geldwertes vertraut, so vertraut die Bank auf die Macht der Zahlen und der Statistik. Für diese Beobachter erster Ordnung118 kann Unsicherheit somit durch verschiedene bereits dargestellte Mechanismen absorbiert werden, die dann als „rettendes Ufer“ erscheinen (Japp 1996, 66). Auf der Ebene zweiter Ordnung zeigt sich dagegen, dass Zukunft strukturell unbekannt bleibt und un-bekannt bleiben muss. Sie erscheint als Horizont, der trotz allem (rationalen) Entscheidens auf der Basis von Berechnungsverfahren und Szenarien nur in begrenzter und riskanter Weise für die Gegenwart kolonialisiert und „defuturi-siert“ (Luhmann 1990, 130) werden kann.

Mit der fortlaufenden Ausdifferenzierung der spezifischen Risikoperspekti-ven der Funktionssysteme und einer Ausweitung systemintern produzierter Risi-ken werden die gesellschaftsintern aber funktionssystemextern erzeugten Gefah-ren, die vor allem in der Vormoderne vorherrschend waren, jedoch nicht margi-nalisiert. Zwar besteht zumindest in der OECD-Welt inzwischen Rechtssicher-heit mit Blick auf Bankgeschäfte, so dass der Staat in diesen Regionen vor Mora-torien zurückschreckt. Auch hat die Finanzwelt nicht mehr den Bann der Kirche

117Nach Shannon Weaver haben es Versicherungen, aber auch Banken bei ihren Berechnungen mit „unorgsanisierter Komplexität“ zu tun, was bedeutet, dass die Elemente (die möglichen Schadenser-eignisse, die möglichen Kreditausfälle) nicht miteinander verknüpft sind. Auf dieser Basis nicht verknüpfter Elemente erscheinen nach Weaver statistische Berechnungsprozesse besonders leistungs-fähig (Weaver 1978, 41f.). 118 Zur Unterscheidung von Beobachtungen erster und zweiter Ordnung siehe beispielsweise bei Niklas Luhmann (Luhmann 1991a, 98ff.).

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zu fürchten. Dies bedeutet aber nicht, dass das Bankensystem oder auch die Funktionssysteme im Allgemeinen vor den Auswirkungen systemexterner Ent-wicklungen gefeit sind. Soziale Systeme sind autonom, jedoch nicht autark. Sie sind operativ geschlossen, wohl aber strukturell mit anderen Gesellschaftsberei-chen gekoppelt und damit hochgradig irritierbar. Bereits einzelne kommunikati-ve Ereignisse in einem System können (potentiell unvorhersehbare) Entwicklun-gen in anderen Systemen auslösen, man denke an wirtschaftspolitische Entschei-dungen, die oftmals Irritationen119 im Wirtschaftssystem selbst nach sich ziehen. Die terroristischen Anschläge am 11. September 2001 auf das World-Trade-Center in New York und die damit einhergehenden Kursverluste an den Börsen haben gezeigt, welches Irritationspotential das Finanzsystem im Falle unvorher-gesehener Ereignisse bereithält. Ohne jegliche Stoppbarrieren wäre jede Irritation des Finanzsystems in gewissem Sinne ein 11. September. Jedes politische Ereignis könnte das gesamte ökonomische System irritieren, ohne, dass Stoppmechanismen zur Verfügung ständen. Hinzu käme, dass auch die Quellen der Irritation im System schwerlich lokalisierbar wären, wenn man die Ortlosigkeit der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien grundsätzlich denkt (Drepper 2003, 236). Die Funkti-onssysteme selbst sind auf der Basis ihrer Medien nicht in der Lage, eine not-wendige Interdependenzunterbrechung zu leisten. Sie besitzen keine Kompetenz, die Eigendynamiken des Systems zu kanalisieren und damit Systemstabilität zu manifestieren, die systemeigene Schadenspotentiale, aber auch unwillkommene Konsequenzen etwaiger Irritationen aus der Umwelt des jeweiligen Systems abfedert (Luhmann 2000b, 396).120

An dieser Stelle rasten nun Organisationen als Interdependenzunterbrecher ein, die sowohl die Aufgabe der Schaffung von Selektivität als auch von Lokali-tät leisten. Organisationen besitzen die Eigenschaft, den Automatismus der Funktionssysteme zu durchbrechen und damit Inflationen und Deflationen, die bei allen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien auftreten können, abzufedern (Luhmann 2000b, 395). Sie führen als autonome soziale Systeme

119 Der Begriff der Irritation ist hier, entgegen der alltagsweltlichen Gebräuchlichkeit, nicht notwen-digerweise negativ oder destruktiv konnontiert. Vielmehr bedeutet Irritation lediglich ein Impuls, der Strukturänderung hervorrufen kann, aber nicht muss. Begriffe mit ähnlicher Bedeutung sind die der Resonanzfähigkeit sowie der der Reizung. Was der Begriff jedoch ausschließt, ist den Aspekt den (externen) Planung und Strukturdetermination, der in einer Theorie operativ geschlossener Systeme keinen Platz hat (Luhmann 2002b, 124f). 120 Sie wären, noch elementarer formuliert, nicht einmal in der Lage, ihre eigene Komplexität auszu-prägen. Dies wird offensichtlich, wenn wir uns an die Definition komplexer Systeme der allgemeinen Systemtheorie erinnern. Von dieser terminologischen Seite aus betrachtet zeigt sich die Notwendig-keit eines Mechanismus, der Interdependenzunterbrechung leistet und damit – in der kybernetischen Sprache – Ultrastabilität (Ashby 1952) realisiert.

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Grenzen in die Funktionssysteme ein, die konsequenterweise nicht die Grenzen des Funktionssystems sind, wohl aber strukturelle Effekte für die Verknüpfung der jeweiligen Kommunikationszusammenhänge mit sich bringen. Organisatio-nen segmentieren beispielsweise auf der Basis ihrer eigenen Primärorientierung die Wirtschaft in verschiedene Branchen und damit auch in verschiedene Märkte. Steigende Preise von Tabakwaren haben somit nicht automatisch Auswirkungen auf die Preisentwicklung alkoholischer Getränke, massive Ernteausfälle impli-zieren zumindest nicht unmittelbar die Gefahr, dass die Preise für Schreibwaren astronomisch steigen.121

Organisationen bilden auf diese Weise nicht allein eigene Pufferzonen her-aus, um eine Invarianz gegenüber ihrer Umwelt zu ermöglichen. Ebenso stellen sie selbst derartige Pufferzonen für die selbstreferentiellen Funktionssysteme dar und können damit auch als „Abfangvorrichtungen für Risiken“ fungieren (Luh-mann 2000b, 394). Zentral ist in diesem Zusammenhang wiederum der spezifi-sche Typus organisierten Entscheidens. Entscheidungen entziehen sich einem Automatismus, sie haken sich nicht unreflektiert in den Automatismus einer funktionssystemischen Logik ein. Stattdessen greifen Organisationen immer auch auf die systeminternen Entscheidungsprämissen zurück, um Konsistenz innerhalb des eigenen Operationszusammenhangs und Möglichkeiten der Koor-dination zu sichern.122 Aktuelle Geschehnisse müssen vor dem Hintergrund lang-fristiger Strategien reflektiert werden. Es müssen verantwortliche Personen ge-fragt werden und es gilt, Kommunikationswege einzuhalten – so schmerzlich das für manches ‚moderne’ Management auch immer sein mag. Zwar sind Organisa-tionen nicht allein selbstreferentiell ausgerichtet. Damit würden sie schließlich an einer fehlenden Realitätskongruenz scheitern, oder sich zumindest – abstrak-ter gesprochen – in einer Tautologie verlieren.123 Wohl aber stehen für die Beo-bachtung der Umwelt und den Umgang mit Irritation (nur) bestimmte Beobach-tungsperspektiven zur Verfügung, die im Gedächtnis des jeweiligen Systems verankert sind (Luhmann 2000b, 419).

Die Unterbrechung funktionssystemischer Automatismen gewinnt noch-mals an Plausibilität, wenn wir in Betracht ziehen, dass Organisationen trotz

121 Der Energiesektor, aber auch die Finanzmärkte müssen wohl als Bereiche angesehen werden, in denen eine Kappung der Interdependenzen schwerer möglich ist, da weite Teile der Wirtschaft – gleich welcher Ausrichtung – von den hier zu Verfügung gestellten Ressourcen profitieren. Umso wichtiger ist vielleicht deshalb die Aufgabe, sich mit den in diesen Kontexten angesiedelten Organi-sationen hinsichtlich des Problemgesichtspunktes näher zu beschäftigen. 122 Entscheidungsprämissen können dabei im allgemeinen Sinne auch als Bestandteil des Systemge-dächtnisses gesehen werden, das eine fortlaufende Konsistenzkontrolle der jeweiligen Operationen der Organisation vor dem Hintergrund der ‚Systemgeschichte’ realisiert (Esposito 2002, 316). 123 Zum Problem der Tautologisierung im Falle reiner Selbstbezüglichkeit siehe (Luhmann 1999a, 95).

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ihres jeweiligen Primats multireferentiell ausgerichtet sind, also niemals unter der Prämisse einer Unterscheidung allein dauerhaft ihre Umwelt beobachten,124

sondern stattdessen verschiedene Gesichtspunkte im Blick haben. Verantwortlich für diese differierenden Beobachtungskalküle ist dabei die strukturelle Veranke-rung in verschiedenen Funktionssystemen, die verhindert, dass beispielsweise von Organisationen in der Kreditwirtschaft finanzwirtschaftliche Gesichtspunkte immer allein unter einer finanzwirtschaftlichen Perspektive betrachtet werden können. Es gibt Arbeitsverträge, es gibt Grenzen der technischen Umsetzbarkeit, und es gibt die Einflusssphäre von Lokalpolitikern, die Organisationen immer wieder mit den Realitäten anderer Funktionszusammenhänge konfrontieren und einen ‚Kurzschluss’ der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien abfedern. So sehr die Organisationen somit manche Kopplung bzw. Kopplungseffekte zwischen Elementen innerhalb der Funktionssysteme blockieren, so sehr eröff-nen sie gleichzeitig Möglichkeiten der (strukturellen) Kopplung zwischen Funk-tionssystemen. Strukturelle Kopplungen, so haben wir bereits angedeutet, sind auch ohne Organisationen vorstellbar – jedoch dann eher in Form von Irritatio-nen, deren Produktivität hinsichtlich eines Strukturaufbaus zweifelhaft erschei-nen muss. Erst durch Organisationen wird die Dauerirritation der Funktionssys-teme in anschlussfähige Kommunikation überführt (Luhmann 2000b, 400).125

An dieser Stelle greift wiederum das Argument der festen Kopplung. Orga-nisationen stellen den Funktionssystemen erst verdichtete Kommunikationszu-sammenhänge zur Verfügung, die dafür sorgen, „daß strukturelle Kopplungen überhaupt greifen können“ (Lieckweg 2001, 275). Basierend auf den Entschei-dungsprämissen schaffen Organisationen so die Voraussetzungen dafür, dass es nicht bloß zur sporadischen Interdependenz zwischen Funktionssystemen kommt, sondern dass manche strukturellen Kopplungen sich als (immer wieder zu reproduzierende) Dauereinrichtungen konstituieren, die wiederum einen spe-zifischen Aufbau von Erwartungsstrukturen nach sich ziehen. Zu denken wäre hier beispielsweise an die betriebliche Ausbildung, die die Wirtschaft mit dem

124 Diese Formulierung ist vielleicht für orthodoxe Verfechter der Beobachtungstheorie missverständ-lich, weil suggeriert wird, dass ein Beobachter zugleich mehrere Beobachtungen anstellen könnte. Darum geht es hier natürlich nicht. Vielmehr meinen wir, dass Organisationen den Beobachtungsfo-kus wechseln können, bzw. verschiedene Beobachter in der Organisation auch zugleich verschiedene Beobachtungen anstellen können. 125 Dabei zeigen sich immer auch Einzelfälle, in denen das Finanzsystem (sogar) mit dem Religions-system gekoppelt wird. Das moderne Finanzsystem erfährt dann – wie schon in der vormodernen Gesellschaft – Limitationen aufgrund ethischer Gesichtspunkte. In der funktional differenzierten Gesellschaft geschieht diese Kopplung in Organisationen. So hat sich beispielsweise in Dubai eine erste islamische Börse konstituiert, die für Unternehmen, „whose main business is pork, alcohol, arms, tobacco“ nicht mehr geöffnet ist (Dean 2006).

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Erziehungssystem koppelt, oder an das diakonische Werk, dass das Religionssys-tem mit dem System sozialer Hilfe koppelt.

Es gibt aber auch weniger prominente Fälle, an denen sich dauerhafte For-men struktureller Kopplungen von Funktionssystemen über Organisationen the-matisieren lassen. So koppeln Banken beispielsweise das Bankensystem mit der (Finanz-)Wissenschaft, in dem sie – möglicherweise in ihrer eigenen Organisati-on, aber vielleicht auch in originären Organisationen des Wissenschaftssystems – nach neuen Formen der Risikoberechnung nachfragen, um diese für die Anwen-dung leistungsfähiger, finanziell lukrativerer Kreditinstrumente zum Einsatz kommen zu lassen. Im Allgemeinen sind es vor allem die Grenzstellen in Orga-nisationen126 – also Personen in Rechtsabteilungen, PR-Abteilungen oder auch Forschungsbereiche – die eine Grundlage für spezifische Formen struktureller Kopplung zwischen Funktionssystemen in Organisationen darstellen. Die (von den Justiziaren formulierte) Klageschrift eines Unternehmens kann immer auch zugleich Resonanzen im Rechtssystem und für das Wirtschaftssystem erzeugen – beispielsweise in Form einer Prozesseröffnung und einer Neubewertung des Unternehmenswertes.

Am Beispiel der Grenzstelle wird jedoch zugleich deutlich, dass Organisa-tionen sich mit der Kopplung von Strukturen verschiedener Funktionssysteme und ihrer Stabilisierung nicht zufrieden geben, sondern gleichfalls eine Konver-tierung der jeweiligen Medien betreiben. Um sich Rechtsabteilungen zu leisten, geben Organisationen Geld aus. Sie erstreiten sie nicht vor Gericht. Auch in einer Forschungsabteilung, die die Grundlagen für neue Produkte bereitstellt, muss zunächst investiert werden. Schließlich arbeiten Mensch und Maschine dort nicht allein aus Spaß an der Wahrheit. In Organisationen schließen nicht allein Zahlungen an Zahlungen und Erkenntnisse an Erkenntnisse an. Diese Form der Leistung stellen Organisationen exklusiv zur Verfügung. Eine Konver-tierung von Elementen kann schließlich nicht auf funktionssystemischer, sondern nur auf Ebene der Organisation stattfinden (Drepper 2003, 206f; Türk 1995, 130). Derartige Verknüpfungen von Sinnhorizonten sind – zumindest aus Per-spektive eines demokratischen Rechtsstaats nicht unproblematisch, können sie doch einen solch unmittelbaren Charakter annehmen, dass sie in Gesellschaft mit dem Begriff der Korruption beobachtet und beschrieben werden (Hiller 2005a, 61). Aber auch jenseits normativer Prämissen, rein unter differenzierungstheore-tischen Gesichtspunkten, können problemlose Konvertierungsprozesse ab einem bestimmten Punkt als destruktiv für die operative Autonomie der Systeme be-zeichnet werden – beispielsweise dann, wenn man politische Macht durch Geld

126 Zur theoretischen Erörterung des Begriffs der Grenzstelle und seiner systemtheoretischen Positio-nierung siehe im Allgemeinen bei Niklas Luhmann (Luhmann 1964, 220f), für eine Spezifizierung im Hinblick auf das Wirtschaftssystem siehe bei Veronika Tacke (Tacke 1997).

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kaufen oder wissenschaftliche Wahrheit politisch verordnen kann. In einem Rechtsstaat westlicher Prägung zeigen jedoch in der Regel normative Restriktio-nen des Rechtssystems bereits die Grenzen der Verknüpfung von Sinnhorizonten auf. Abgesehen von Fällen der Korruption erweisen sich derartige Verknüpfun-gen von Sinnhorizonten via organisationalen Entscheidens und die Möglichkei-ten der Medienkonvertierung als funktional, wenn nicht gar essentiell für die Funktionssysteme der modernen Gesellschaft.

Damit haben wir in diesem Abschnitt verschiedene Facetten des Zusam-menhangs zwischen Funktionssystemen und Organisationen herausgearbeitet, die auf die Funktionalität von Organisationen für Funktionssysteme hindeuten. Organisationen übernehmen in vielerlei Hinsicht die Aufgaben vormoderner Institutionen. Sie reagieren jedoch darüber hinaus auch auf sehr spezifische Her-ausforderungen der modernen Gesellschaft und ihrer Funktionssysteme – insbe-sondere mit Blick auf die Verarbeitung von Risiken. Wir haben damit eine theo-retische Perspektive aufgezeigt, mit der sich das gesteigerte Interesse der Ban-kenaufsicht für Organisationen als Organisationen plausibilisieren lässt. ‚Funkti-onieren’127 die Organisationen – so könnte man folgern – so befördert dies auch die Funktionsweise gesellschaftlicher Teilsysteme wie dem Bankensystem. Schließlich werden letztere damit doch in ihren Eigendynamiken geblockt, ge-puffert und in produktiver Weise mit anderen Systemen gekoppelt.

Was aber, wenn Organisation nicht funktioniert, wie in den Fällen von Ba-rings, Societe Generale und West LB – unseren empirischen ‚Entrees’ in der Einleitung – ersichtlich? Dieser Frage wollen wir uns in den folgenden Abschnit-ten nähern. Darin wollen wir herausarbeiten, dass Organisationen in ihrer Opera-tionsweise eine Ambivalenz aufweisen, die zur Folge hat, dass sie nicht allein Risiken abfedern, sondern auch befördern können. Die Riskanz organisationalen Entscheidens sowie der Einsatz von Technik (2.2.1) werden dafür als Beispiele dienen. Deutlich soll dabei werden: Die in diesem Kontext emergierenden Prob-leme konstituieren sich nicht allein als Probleme der Organisation, sondern kön-nen auch auf die Funktionssysteme zurückspiegeln. Wir können diese Rück-kopplungseffekte insbesondere am Beispiel der Finanzökonomie illustrieren (2.2.2). Dabei geht es an dieser Stelle nicht darum, eine empirisch angeleitete Folgenabschätzung vornehmen. Stattdessen wollen wir eine theoretische Per-spektive aufzeigen, mit der unser Blick für mögliche Konsequenzen geschärft wird und Erklärungsansätze für den Paradigmenwechsel in der Bankenaufsicht sichtbar werden.

127 Mit dem Begriff „Funktionieren“ stellen wir hier auf zweierlei ab. Zum einen darauf, dass Kom-munikation erfolgreich ist, es also zur erfolgreichen, anschlussfähigen Kommunikation kommt. Zum anderen geht es um die Vermeidung von Erwartungsenttäuschungen.

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2.2 Herausforderungen und Risiken organisationaler Komplexität

Organisationen haben als soziale Systeme in gleichem Maße mit der Bearbeitung von Komplexität und der Reduktion von Komplexität zu kämpfen, wie die Ge-samtgesellschaft bzw. die einzelnen Funktionssysteme. Diese Feststellung ist keine exklusive Einsicht der Systemtheorie. Mit dem Begriff der Unsicherheits-absorption haben auch James March und Herbert Simon in einem verhaltenswis-senschaftlich orientieren Ansatz auf Kontingenzbearbeitung in Organisationen aufmerksam gemacht (March/Simon 1959, 165f.). Sie schimmerte bereits an vielen Stellen unser bisherigen Ausführungen durch – vor allem immer dann, wenn es um Entscheidungen, um Prämissen, Stellen und Programme ging. Wir bekamen zu sehen, welche Probleme durch diese Einrichtungen der Organisation gelöst werden: in manifester Weise für die Organisation, aber besonders auch in latenter Weise für die Funktionssysteme. Die hervorstechenden Stichworte hie-ßen in diesem Zusammenhang ‚feste Kopplung’, ‚höherschwellige Anschlussbe-dingungen’ und ‚Verdichtung von Kommunikation’. Was wir bisher jedoch nicht explizit zu sehen bekamen, war der Preis, den Organisationen für dieses spezifische Eigenarrangement zu zahlen haben. Er besteht – so können wir zunächst einmal sehr abstrakt mit Dirk Baecker sagen –

„in einem Verzicht auf einen Blick in die Abgründe der Ungewißheit. Die Organisa-tion aggregiert selbstgeschaffene Gewißheiten und überlässt alle Ungewißheit einer so feinen Segmentierung und Zerstreuung, daß sie schließlich gar nicht mehr auf-fällt“ (Baecker 2003, 35).

Welche (möglicherweise unwillkommenen) Folgen sind nun im Rahmen dieser Segmentierung und Zerstreuung denkbar? Wir wollen eine Weiterführung dieses Gedankens en detail zunächst noch einmal zurückstellen und stattdessen, an die Erkenntnisse aus 1.2.2 anschließend, deutlich machen: Die Organisation hat zumindest diesbezüglich kaum eine Wahl. Sie muss sich ständig zwingen, die genannten Abgründe zu ignorieren, aus einer schier endlosen Fülle von Irritatio-nen und Informationen zu wählen und diese in eine bearbeitbare Form zu brin-gen – ohne auf die Hilfe eines objektiven Rationalitätskriteriums hoffen zu dür-fen. Konkret ist damit gemeint: Eine Bank kann sich so nicht um alles kümmern, was in ihrer Umwelt stattfindet. Sie kann auch nicht auf Führung durch ihre Umwelt hoffen. Als operativ geschlossenes System ist sie mit ihrer Unsicherheit allein128 und deshalb darauf angewiesen, Entscheidungen zu treffen: Welche

128 Siehe zu den grundsätzlichen theorietechnischen Konsequenzen dieser operativen Geschlossenheit im Hinblick auf Komplexitätsbearbeitung und Unsicherheitsreduktion bei Helmut Willke (Willke 2005b, 158ff.).

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Komplexität, Kontingenz und Risiko 91

Märkte gilt es zu beobachten? Welche Kundenprofile will sie primär anspre-chen? In welchen finanzwirtschaftlichen Bereichen neben dem Kreditgeschäft sind Profite zu erwarten? In welche politischen Prozesse sollte Lobbyarbeit in-vestiert werden? Mit welchen Unternehmen lohnen sich strategische Partner-schaften? Auf die Herausforderungen dieser Selektionsprozesse weisen auch Jeffry Pfeffer und Gerald Salancik im Anschluss an die Theoriefigur des ‚enact-ments’ von Karl Weick129 hin (Pfeffer/Salancik 1978, 72f.).130 Sie machen im Rahmen ihres Ressource-Dedendency-Ansatzes deutlich, wie sehr Organisatio-nen darauf angewiesen sind, aus der Beobachtung ihrer Umwelt die richtigen Schlüsse zu ziehen, wollen sie nicht an der Realität131 scheitern.

Als nicht weniger herausfordernd erweist sich zugleich die Reduktion von Ungewissheit, die Organisationen auf sich zurechnen: Welche Zuschneidung der einzelnen Abteilungen erscheint am leistungsfähigsten? Welche Kompetenzen sind auf den jeweiligen Positionen notwendig? Welche Personen werden dann auf welchen Stellen mit welchen Verantwortlichkeiten ausgestattet? Welche Entscheidungen sind dem Vorstand mitzuteilen? Welche Kommunikationswege sind dafür vorgesehen? Dieser Fragenkomplex ist letztlich wohl noch von her-vorgehobener Relevanz, wird damit doch partiell bereits über den Fragenzu-schnitt im ersten Komplex mit entschieden. Der Problemdruck dieser Kontin-genzen gewinnt nochmals an Schärfe, wenn wir uns vergegenwärtigen: Organi-sationen müssen nicht allein diese Fragen entscheiden – sie müssen sich zudem erst einmal für das Stellen dieser Fragen entscheiden. Dafür müssen sie viele andere Fragen ausblenden, was auch bedeutet: Organisationen können sich selbst – wie sich dann im Nachhinein herausstellt – die falschen Fragen gestellt haben. Zwar können (und müssen) Organisationen Erfahrungen sammeln und an diesen für die Zukunft manches lernen und gleichzeitig verlernen.132 Dies täuscht je-doch nicht darüber hinweg, dass Erfahrungen, die in der vergangenen Gegenwart gemacht wurden, in der gegenwärtigen Gegenwart eine andere Qualität besitzen und dass ihr Wert noch fraglicher wird, wenn es um zukünftige Gegenwarten geht.

129 Siehe zum Begriff des enactments, seiner begriffshistorischen Entwicklung und seinen Analysepo-tentialen bei Karl Weick (Weick 2003). 130 Ein solches Argument aus Richtung des Ressource-Dependency Ansatzes ist bemerkenswert, stellt diese Perspektive doch grundsätzlich eher auf die Abhängigkeit der Organisation durch die Umwelt und damit auf eine gewisse Führung der Organisation durch ihre Umwelt ab. 131 Der Realitätsbegriff mag in einem primär konstruktivistisch ausgelegten Analyseschema eher verwirren. Zur Klärung siehe (Luhmann 1998, 218). 132 Siehe dazu beispielsweise bei Chris Argyris und Donald Schön (Argyris/Schön 1996). Welche Probleme dabei auftauchen können und dass es auch auf ein Verlernen ankommt, zeigt Dirk Baecker auf (Baecker 2003, 179-197).

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92 Kontinuitäten

Die gesellschaftlichen Funktionssysteme haben es von ihrer Ausgangslage her einfacher, aufgrund ihrer binären Codierung: Der Wirtschaft gelingt der Aus-schluss sowie die Ermöglichung von Verknüpfungen bestimmter Elemente über den binären Code, das Geldmedium, sowie die Selbstbeobachtung über den Markt und über Preise.133 Damit kommt es zu einer Konditionierung von Kom-munikation. Es geht immer um zahlen/nicht zahlen, auf der Basis des Mediums Geld zu bestimmten Konditionen, die auf dem Markt über Preise festgelegt wer-den. Alles andere ist nahezu ausgeschlossen, obwohl es potentiell möglich ist. Bei Organisationen gestaltet sich der Ein- und Ausschluss aufgrund der multire-ferentiellen Ausrichtung schwieriger. Schließlich existieren a priori keine derart prominenten Kriterien, um Relevantes von Irrelevantem zu unterscheiden (Sach-dimension), es besteht keine objektive Vernunft, auf welche hin sich ein Konsens in dieser Frage erarbeiten ließe (Sozialdimension) und es besteht keine Agenda, wann und in welchen Zeiträumen welche Irritation zu bearbeiten ist (Zeitdimen-sion). Damit wird deutlich, welchen Kraftakt Organisationen immer wieder voll-bringen, um aus dieser unfassbaren Komplexität eine brauchbare Form zu schaf-fen, die wir als feste Kopplungen und verdichtete Formen der Kommunikation beobachten.134 Gleichzeitig lässt sich aber auch erahnen, dass der Preis dieser unbedingten Segmentierung und Zerstreuung von Ungewissheit hoch sein kann. Schließlich kann er sich als Sand im Getriebe erweisen, der das ganze Werk schlagartig zum Stillstand bringt. Dies erscheint vor allem dann der Fall, wenn Organisation mit Perfektion rechnet, wenn sie die Kontingenz und Riskanz ihrer Operationen verschwinden lässt und es dann aber zu Erwartungsenttäuschungen kommt. Wir wollen diese Ambivalenz der Unsicherheitsreduktion an einem Mechanismus verdeutlichen, an dem sich die Folgen unwillkommene Ereignisse besonders deutlich zeigen können: dem der Technik. Vor allen im zweiten Teil dieser Arbeit (III), die sich mit den gesellschaftlichen Diskontinuitäten beschäf-tigt, wird deutlich werden, warum die Wirkungsweise von Technik mit Blick auf die Dynamiken der Gegenwartsgesellschaft und insbesondere für unseren empi-rischen Kontext von hervorgehobener Relevanz ist.

133 Nicht zu vergessen, wenn auch hier vielleicht weniger zentral, ist der Umstand, dass Organisatio-nen – wie wir oben dargestellt haben – an diesen Mechanismen maßgeblichen Anteil haben. 134 Auf die Fragilität dieser Formen weist auch Helmut Willke hin, den Vorschlag machend, die Elemente des Systems nicht als „Holzblöcke“ zu denken, sondern stattdessen als „Synapsen, die beliebig viele Dendriten ausbilden und beliebig viele Relationen herstellen können“ (Willke 2005b, 159).

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Komplexität, Kontingenz und Risiko 93

2.2.1 Zur Ambivalenz von Technik

Technik stellt in der modernen Gesellschaft eine „evolutionäre Errungenschaft“ (Luhmann 1998, 517) dar, die wohl aus den meisten Organisationen nicht mehr wegzudenken ist.135 Dabei handelt es sich zum einem um technische Infrastruk-turen sachlicher, also gesellschaftsexterner Art wie zum Beispiel um Produkti-onsmaschinen in Industrieunternehmen oder eben um Computertechnologie oder Sicherheitstechnik in Banken. Zum anderen können aber auch bestimmte Ar-beitstechniken und organisationale Abläufe in diese Kategorie gefasst werden. Oftmals kommt es zur Kopplung bzw. zur wechselseitigen Konstituierung beider Technikformen, man denke an die Implementierung der Fließbandarbeit, die neue Formen der Arbeitstechniken in Organisationen möglich und notwendig machten. Der gesellschaftliche Ort für den Einsatz von Technik lässt sich dabei nicht allein auf die Wirtschaft beschränken. Auch in politischen Kontexten, im Rahmen wissenschaftlicher Verfahren oder auf dem Feld der Pädagogik und natürlich im medizinischen Bereich kommt es zum Einsatz jeweils spezifischer Techniken. Für unsere Argumentation ist in diesem Zusammenhang ein Gesichtspunkt bedeutsam, der sich auf jede Form der Technik beziehen lässt: Technologien ermöglichen die Reduktion von Unsicherheit, indem sie feste kausale Kopplun-gen zwischen Elementen herstellen (Luhmann 2000b, 370f.).136 Auf eine be-stimmte Ursache A folgt somit eine bestimmte Wirkung B.137 Damit ermöglicht Technik die Reduktion von Kontingenzen und Unsicherheiten der Organisation in sachlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht. In der Sachdimension wird diese Reduktion über die Kopplung nur bestimmter Elemente erreicht. B folgt nur auf A, nicht aber auf C. Einen Kredit an den Kunden vergibt die Bank in einem technisierten Verfahren nur bei der Vorlage bestimmter, vorher festgelegter Si-cherheiten. Auch in der Zeitdimension leistet Technik wichtige Dienste, indem

135 So ist Technik denn auch reger Gegenstand der Organisationsforschung, man denke beispielswei-se an Arbeiten, in denen Korrelationen zwischen Technik und formaler Struktur herausgearbeitet werden (Aldrich 1972; kritisch dazu Mohr 1971), oder auch an Untersuchungen zu den Auswirkun-gen neuer Technologien auf die Arbeitsbedingungen und -formen der Beschäftigten (Braverman 1974, 424ff.; Noble 1984). 136 Zu einer ähnlichen Definition kommt auch Werner Rammert in einem handlungstheoretisch angelegten Beitrag, in welchem er Technisierung definiert als „die Form der Beziehung zwischen Elementen, die ein höheres Maß an Zuverlässigkeit beinhaltet, in welcher die Elemente fest verkop-pelt sind“ (Rammert 1998, 304). 137 In diesem Sinne können auch Routineprogramme als eine bestimmte Form von Technik bezeich-net werden (s.o.). Der Begriff der Technik besitzt an dieser Stelle jedoch den Vorteil, dass er allge-meiner angelegt ist (auch Zweckprogramme können mittels Technik realisiert werden) und zugleich – wie später zu sehen – das Attribut der „Geräuschlosigkeit“ eindrucksvoller in den Vordergrund rückt.

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sie nicht nur oftmals eine Beschleunigung von Prozessen ermöglicht, sondern die Chance zur Sequentialisierung ermöglicht. Erst A, dann B, dann C. Der Kredit wird erst dann zugesichert, wenn das Programm bestimmte Daten abgerufen hat: dann aber nahezu mit Sicherheit! Noch deutlicher wird der funktionale Charakter von Technik in Organisationen mit Blick auf die Sozialdimension: Über Technik muss kein Konsens hergestellt werden – ihr Funktionieren und ihre Leistungsfä-higkeit wird (zumindest im Vollzug) vorausgesetzt und dieses Voraussetzen kann wiederum vorausgesetzt werden (Luhmann 2000b, 372). Dass es sich dabei nur um soziale Konstruktionen handelt, die eben von anderen Beobachtern an-ders beobachtet werden können (Japp 1998, 228), ist für den Anwender zunächst (!) unbedeutsam. Technik ist somit zusammengefasst „die Herausformung dessen, worauf es vor allem ankommt“ (Luhmann 1998, 517).138 Es leistet Unsicherheits- und Kon-tingenzbewältigung durch die Herausformung einer bestimmten Verfahrensrati-onalität und ermöglicht damit das Eingehen noch höherer Komplexitätsniveaus in der Organisation. Die Fülle an Kontingenzen, an Ursachen und Möglichkeiten, werden mittels technologischer Infrastrukturen nahezu geräuschlos eingestampft auf bearbeitbare Zweck-Mittel-Relationen.139 Damit erhält die bereits erwähnte Verdichtung und Kopplung von Kommunikation in Organisationen eine neue Qualität. Wir haben bereits erwähnt: Auch Entscheidungen führen zur Kopplung und Verdichtung von Kommunikationszusammenhängen – dies allerdings nicht unbemerkt und in selbstverständlicher Weise. Die Effizienz von Technik jedoch liegt in ihrer Selbstverständlichkeit. Ihre Effizienz liegt gerade darin, dass feste Kopplungen ohne wiederholte Neujustierungen realisiert werden. Wir haben somit einen Eindruck davon gewonnen, mit welchen Mitteln Organisationen die Reduktion von Unsicherheit bewältigen, wie sie – um Bae-ckers Metapher noch einmal aufzugreifen – die Augen vor den Abgründen der Ungewissheit verschließen. Am Beispiel der Technik lässt sich nun jedoch be-sonders deutlich zeigen, dass diese selbst auferlegte Blindheit einen Preis haben kann, die die Organisation, aber auch gesellschaftliche Teilsysteme teuer zu stehen kommen kann. Wir wollen dies an zwei Aspekten festmachen: Zum einen birgt technikbasierte Kommunikation – selbst bei ihrem Funktionieren – Risiken

138 Damit streifen wir auch Edmund Husserls Argument der „Sinnentleerung“ durch Technisierung, insbesondere einer Technisierung des Denkens (Husserl 1996, 45-52). Allerdings geht es hier nicht um eine Sinnentleerung der Welt in normativer Weise, sondern um eine Reduktion von Sinnüber-schüssen und Verweisungen, die durchaus produktiver Natur ist. 139 Siehe zur Konditionierung von Zweck-Mittel-Relationen in Organisationen und auch grundsätz-lich bei Niklas Luhmann (Luhmann 1999b, 34f). Denkbar anders verhält es sich dagegen mit „pro-fessioneller Kommunikation“ im engeren professionssoziologischen Sinne, die es oftmals mit prekä-ren Professioneller-Klient-Interaktionsbeziehungen zu tun hat. In diesem entzieht sich oftmals nicht nur das zu Problem sondern auch die Lösung einem routinierten Umgang (Stichweh 2005b, 37).

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in der Folgekommunikation, die auf die grundsätzlichen Eigenschaften von Kommunikation zurückzuführen sind. Die Entscheidung für eine Technologie birgt dann möglicherweise unkalkulierte Risiken im fortlaufenden Prozess orga-nisationaler Entscheidungsfindung (1). Zum anderen kann der Ausfall von Tech-nologie selbst unerwartete Konsequenzen mit sich bringen, wenn Komplexität der und Vertrauen in die Technik ein kritisches Maß überschreiten (2).140

(1) Veronika Tacke und Uwe Borchers zeigen mögliche unwillkommene Folgen technikbasierter Kommunikation am Beispiel mediatisierter Informati-onsprozesse auf (Tacke/Borchers 1991): Die Entscheidung für eine Umstellung der organisatorischen Informationsverarbeitung auf mikroelektronisch basierte Informatisierung erweist sich demnach vor allem unter zwei Gesichtspunkten als riskant: Ein erstes Problem ist darin zu sehen, dass sich mediatisierte Kommuni-kation in bestimmten Situationen für den Entscheider durch „Bedeutungsarmut“ auszeichnet, da er – aufgrund fehlender mitkommunizierter Kontingenz – keine Möglichkeiten der Interpretation (mehr) besitzt. Technikbasierte Kommunikation kann somit die Möglichkeiten von Interpretation schon aufgrund seiner struktu-rellen Ausprägung einschränken. Als zweites Problem, welches zweifellos eng mit dem ersten zusammenhängt, benennen Tacke und Borchers den Prozess der Entkontextualisierung, der durch die Mediatisierung von Kommunikation ausge-löst wird. Damit ist gemeint, dass Informationen aus ihrem jeweiligen Kontext gelöst werden, was schließlich zu Problemen in der fortlaufenden Kommunikati-on führen kann. So ist beispielsweise das Erzeugen von Einverständnissen über Bedeutungen und damit die Reflexivität von Kommunikation ein wichtiges In-strument ihrer eigenen Konsistenzkontrolle (Luhmann 1999a, 210). Für diese Formen der Kommunikation, die das Verstehen von Kommunikation sichern, ist Kommunikations- und Informationstechnologie ungeeignet. (Tacke/Borchers 1991, 9). Unser in der Einleitung angesprochener ‚Tippfehler’ ist ein klassischer Fall dafür, welche Risiken in kontextfreier, durch Technik eng gekoppelter Kommunikation lauern können, die keine Kontingenz und keine Pufferung mehr aufweisen.

(2) Die Entscheidung zum Einsatz von Technik birgt jedoch auch in anderer Hinsicht ein Potential dafür, unwillkommene Konsequenzen hervorzurufen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die innere Logik der Technik mit Irregularitä-ten konfrontiert wird und Technik ‚nicht funktioniert’.141 Das maßgebliche Prob-

140 Siehe zur gesellschaftlichen Bedeutung von Technikvertrauen und seiner soziologischen Ausar-beitung in handlungstheoretischen, phänomenologischen und systemtheoretischen Kontexten bei Gerald Wagner (Wagner 1994). 141 Folgt man der Argumentation von Helmar Krupp, so stellt die Unterscheidung ‚funktio-niert/funktioniert nicht’ die binäre Codierung dar, auf deren Basis technische Kommunikation ope-riert (Krupp 1997, 70).

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96 Kontinuitäten

lem liegt dabei – wie man vielleicht vermuten könnte – nicht darin, dass derarti-ge Störungen nicht bemerkt werden, sondern darin, dass Technik, die sonst wie selbstverständlich ihre Dienste leistet, in ihrer Komplexität überhaupt erst dann bemerkt wird, wenn ihre Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist.142 Als besonders anfällig erweisen sich dabei allen Organisationen, die jegliche Form der Unsi-cherheit über Bord geworfen haben und in denen die Streuung von Verantwort-lichkeiten, übertriebene Selbstsicherheit, bürokratische Routinisierung und Ab-stumpfung gegenüber potentiellen Überraschungen vorherrschen (Neumann 1995, 143). Eine schnelle Behebung des Irregularitäten erweist sich dann vor allem in komplexen technologischen Zusammenhängen, in denen es vielleicht auf Zeit ankommt, als schwierig (Luhmann 2000b, 373f.).

In diesem Moment droht die zunächst verworfene, verdrängte und verstreu-te Unsicherheit in aller ihrer Wucht zurückzuschlagen. Sicher erwartete Kopp-lungen brechen auf und die Organisation erlebt (ihre) Komplexität in all ihrer Kontingenz. Ein Computercrash der Federal Reserve Bank in New York führte im Jahr 1985 eindrucksvoll vor, welche dramatischen Entwicklungen durch Feh-ler in der von vermeintlichen Experten beherrschten Technik ausgelöst werden können – und dies innerhalb kürzester Zeit. Aufgrund dieser technischen Störung konnte das Institut schlagartig keine Schuldentitel mehr verkaufen. Innerhalb weniger Stunden hatte die Bank erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten und sah sich gezwungen, einen Kredit von 20Mrd Dollar bei der US-Zentralbank auf-nehmen. Der Preis, den sie für diese vorübergehende technische Störung’ zahlte, belief sich auf etwa 5 Millionen Dollar (Roßnagel/Wedde/Hammer/Pordesch 1989, 95). Derartige Auswirkungen mögen sich in verschiedenen sozialen Kon-texten unterschiedlich massiv auswirken und im Bankensystem wohl prekärere Folgen haben, als vielleicht im Wissenschaftssystem. Zunächst abgesehen davon verfestigt sich die Vermutung: Der Preis verspricht dann besonderes hoch zu sein, wenn Komplexität und Erwartungssicherheit über Gebühr divergieren und das Vertrauen in technisierte Prozesse und ihre Beherrschung durch Experten nicht mehr an Unsicherheiten und unwillkommene Ereignisse denken lässt.

Ein entsprechendes Risikomanagement kann dieses Dilemma ebenfalls nur unzureichend auffangen, wenn es gleichsam auf bestimmten Techniken und dem Vertrauen in technische Rationalität beruht.143 Boris Holzer und Yuval Millo

142 Dem folgend beschreibt Klaus Japp im Anschluss an Jost Halfmann Technik als ein geräuschlos funktionierendes Medium, das erst bei seinem Nicht-Funktionieren „Geräusche“ erzeugt (Japp 1998, 230). 143 Zweifellos ist davon empirisch nicht immer auszugehen. Schließlich existieren auch Formen Risikomanagements, die als Sonderperspektiven eingeführt, um eine kritische Überwachung dieser Prozesse jenseits der Zweckrationalität vorzunehmen (Luhmann 1991c, 204). Diese Form gilt es jedoch – und dazu dienen diese Ausführungen – von zweckrationalen, technischen Formen in ihrer Leistungsfähigkeit zu unterscheiden. Welches Verhältnis beider Formen in den Banken vorzufinden

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führen dieses Argument am Beispiel des Finanzsystems vor. Für sie stellen die potentiellen Schadensquellen, die ein mathematisches und damit technisches Risikomanagement birgt, Gefahren zweiter Ordnung dar (Holzer/Millo 2004, 12). Dabei ist auch in diesem Fall die fehlende Reflexivität der Techniken des Risikomanagements das Argument, das Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit dieser Risikobearbeitungsformen aufkommen lassen sollte. Technische Systeme sind, soweit sie zuverlässig funktionieren, zwar zuverlässig, ungeachtet der (ge-fährlichen) Folgeprobleme, die sich – wie in (1) aufgezeigt – ergeben. Im Falle von Störungen fehlt ihnen jedoch das, was wir bereits weiter oben mit dem Beg-riff der Ultrastabilität gefasst haben (s.o.). Eine weitere Schwierigkeit ist darin zu sehen, dass viele Kopplungen und Interdependenzen zwischen Techniken und anderen organisationalen Elementen latent operieren und erst im „Worst Case“ ersichtlich werden. Auch auf dieses Problem geben technisierte Risikomanage-mentverfahren keine überzeugende Antwort. Sie vernachlässigen das, was War-ren Weaver mit dem Begriff der organisierten Komplexität bezeichnet (Weaver 1978, 43f.).144

2.2.2 Zur Riskanz struktureller Kopplung

Damit sind wir argumentativ an einem Punkt angelangt, an welchem wir auf gesellschaftstheoretischer Ebene ein Verständnis über die ambivalente Wir-kungsweise von Organisationen in Risikokontexten gewinnen können. Haben wir im Falle der Funktionssysteme die lose Kopplung der Elemente als potentiel-le Quelle für Dysfunktionalitäten, die durch Organisationen abgefedert werden, herausgestellt, so erweist sich nun die feste Kopplung in Organisationen, als potentieller Problemgesichtspunkt. Organisationen blocken nicht allein Irritatio-nen durch die Unterbrechung von Interdependenzen ab. Vielmehr stellen sie zugleich eine Quelle von Irritationen dar.

Auf die Riskanz dieser festen Kopplungen in Organisationszusammenhän-gen macht bereits Charles Perrow in seiner klassischen Studie über „die unver-meidbaren Risiken der Großtechnik“ aufmerksam.145 Für Perrow sind vor allem

ist und welches Verhältnis die Aufsicht als angemessen ansieht, bildet einen zentralen Gesichtspunkt unseres empirischen Teils. 144 Interessant ist dabei, dass Weaver die Bearbeitung organisierter Komplexität aufgrund des „elekt-ronischen Computers mit seinen phantastischen Geschwindigkeiten, seiner Fähigkeit, extrem kom-plexe Situationen zu behandeln und seiner gewaltigen Datenspeicherung“ zutraut (Weaver 1978, 46). Wir werden im Folgenden herausarbeiten, warum trotz dieser Entwicklungen berechtigte Zweifel anzumelden sind. 145 Perrow spricht zwar – streng terminologisch gesehen – von enger Kopplung (Perrow 1988, 17). Die Analogien sind jedoch deutlich erkennbar.

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das schnelle Ausbreiten von Systemfehlern und die unkontrollierbare Streuung von Irritationen die Gründe dafür, dass das Ausfallen technischer Prozesse in Organisationen fatale Folgen nach sich ziehen kann (Perrow 1988, 17f). Perrow hat in seiner Analyse zwar vor allem große technische Anlagen und Unfälle mit Tausenden von Toten vor Augen. Die grundsätzlichen Charakteristika seines Ansatzes können wir jedoch auch für unser Analyseschema nutzen, um aufzu-zeigen, welche Mechanismen als Folge fester Kopplung möglich sind. Zudem können wir Perrows Argument auf Basis unserer vorangegangenen Ausführun-gen ausweiten und zugleich präzisieren, wenn wir erstens die Aspekte der Multi-referenz von Organisationen und zweitens die strukturellen Kopplungen von Funktionssystemen durch Organisationen sowie die Konvertierung von Medien in Betracht ziehen. Dabei können sich die Konsequenzen zunächst weitgehend auf den Kommunikationsraum der Organisation beschränken (1). Sie können aber potentiell auch darüber hinausgehen und über Interdependenzketten in die Weiten der entsprechenden Funktionskontexte ausstrahlen (2).

(1) Auch wenn derartige Irritationen zunächst auf einzelne Organisationen und ihre Operationen beschränkt bleiben, lässt sich feststellen, dass auch dann verschiedene Funktionskontexte in Mitleidenschaft gezogen werden können. Wirtschaftliche Probleme eines Unternehmens müssen nicht ausschließlich durch wirtschaftliche Prozesse hervorgerufen werden – beispielsweise durch die fal-sche Preiskalkulation (Pricing) eines Produktes, das dann entweder nicht Kosten deckend oder aber gar nicht abgesetzt werden kann. Ebenso ist beispielsweise von rechtlichen Risiken auszugehen, die dann in wirtschaftlichen Kontexten als Gefährdungen auftreten können. Ein prominentes Beispiel dafür stellen innerbe-triebliche Betrugsfälle (also Kommunikation, die mit der Unterscheidung Recht/Unrecht operieren) dar, die im günstigsten Fall nur monetären Schaden, in besonders folgenreichen Fällen jedoch auch existentielle ökonomische Nöte für das Unternehmen erzeugen dürften.146 Gleichwohl ließen sich geringfügigere Vergehen denken, beispielsweise die Missachtung von Anweisungen der Vorge-setzten oder grobe Fahrlässigkeiten, deren Folgen sich jedoch im ungünstigen Fall als folgenreich erweisen.

Auch auf einer theoretischen Ebene leuchten diese Gesichtspunkte ein. Schließlich handelt es sich bei jeglicher Form organisationaler Strukturen um Erwartungsstrukturen. Strukturen aber können enttäuscht werden: Sei es durch Personen, die trotz Inklusion und Formung durch die Organisation auf ihrer Stel-le betrügen oder versagen. Sei es durch Programme und Prozesse, deren Leis-tungsfähigkeit überschätzt wurde. Die New York Fed hatte zunächst einmal

146 Zur gestiegenen Bedeutung von Wirtschaftskriminalität innerhalb von Unternehmen siehe bei Kai Bussmann (Bussmann 2004, 35f.).

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technische Probleme, die dann schließlich ökonomische Gefährdungen produ-zierten. Derartig unwillkommene Ereignisse sind somit schwerlich allein unter dem Aspekt wirtschaftlicher Rationalität zu fassen. wie sich auch am Beispiel von Betrug und fahrlässigem Verhalten illustrieren lässt. Der Mitarbeiter wird schließlich seit seinem Organisationseintritt bereits dafür bezahlt, dass er sich loyal und kompetent verhält. Vielmehr scheint es sich stattdessen um Sachver-halte zu handeln, die in diesem Fall auf Defizite an Kontrolle im weiteren Sinne hinweisen und dann auf das Scheitern von Machtkommunikation in der Organi-sation zuzurechnen sind. Der Bankrott der Barings Bank ist hierfür nochmals ein einleuchtendes Beispiel: Die Folgen des Handelns von Nick Leeson auf den Derivatemärkten in Singapur zeigen sich zwar am eindruckvollsten in finanzökonomischen Katego-rien, bedenkt man den (ökonomischen) Ruin des Bankhauses Barings. Die orga-nisationalen Entscheidungen und Nichtentscheidungen, die letztlich zu diesem Ereignis führten, lassen sich jedoch schwer unter Bezugnahme auf ökonomische Kalküle beschreiben.147 Martin Körnert zeigt verschiedene Aspekte auf, die diese Einschätzung untermauern (Körnert 1996, 20ff.): Zum einen bestanden deutliche Kompetenzdefizite innerhalb des Stammhauses Barings, was den Derrivatehan-del betraf, in welchem Nick Leeson tätig war. Dieses Defizit führte unter ande-rem zu einer falschen Einschätzung hinsichtlich der Auswirkungen und Riskanz dieser Geschäfte. Auf einen hauptamtlichen Risikomanager für Singapur wurde somit verzichtet, obwohl die interne Revision dies sogar empfohlen hatte. Nick Leeson konnte somit an den hochspekulativen Märkten Asiens nach Belieben schalten und walten.148 Das Anlegen illegaler Konten, auf welchen er die sich auftürmenden Verluste seiner Spekulationen parkte, waren dem Finanzsystem149

gleichgültig und dem Rest der Organisation unbekannt. Selbst, als die ersten Signale erschienen, die auf Unregelmäßigkeiten hindeuteten, wurden keine Maß-nahmen der Organisation ergriffen.150

147 So wird auch in der Finanzwelt der Fall von Barings weniger auf ökonomische, als vielmehr auf Probleme des Managements zugerechnet (Zhang 1995, 156). 148 Peter Zhang schreibt dazu: ”In Singapore, Mr. Leeson was the system. He was responsible both for trading and settlement, which is no different than letting a schoolboy grade his own papers, leaving much room for him to make any decision by himself. Besides his trading activites as a gen-eral manager, he had an excessive concentration of power. Specifically, he had four duties: supervi-sion of the back-office team, cheque signing, signing off the reconciliation of activites at SIMEX, and signing off bank reconcilitaion.“ (Zhang 1995, 158). 149 An dieser Stelle offenbart sich noch einmal die Blindheit der Funktionssysteme für die Beachtung anderer Gesichtspunkte außerhalb ihrer Logik. 150 Dies sind nur einige Aspekte in einem Geflecht verschiedener unglücklicher Ereignisse. Auch das Versagen der britischen Aufsicht FSA wäre beispielsweise noch zu nennen. Für unsere Argumentati-on können wir uns jedoch zunächst auf die genannten Aspekte beschränken.

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Barings scheiterte somit zunächst nicht an ökonomischer Prosperität, sondern an anderen Faktoren, die erst im Lichte ihrer verschiedenen Systemlogiken (z.B. Bildung, Recht, Macht) in ihrer Diversität aufscheinen. Das Management verließ sich zum einen auf seine fortwährenden Programmstrukturen, ohne den verän-derten Realitäten auf den Finanzmärkten ausreichend Beachtung zu schenken. Zum anderen vertraute es einer anderen Entscheidungsprämisse, der Person „Nick Leeson“ und verzichtete damit darauf, in die „Abgründe der Ungewiss-heit“ zu schauen. Barings ist damit ein drastisches Beispiel dafür, wie hoch der Preis sein kann. Aus diesem Arrangement konnte sich die Organisation nicht befreien. Leesons Scheitern war (fest) gekoppelt mit dem Scheitern von Barings. Der finanzielle Puffer erwies sich als zu gering für die Auswirkungen dieses Managementversagens. Der Fall der Barings Bank ist dabei zwar ein spektakulä-res Beispiel für die Verknüpfung verschiedener Systemlogiken – es ist jedoch im Bankenwesen kein Einzelfall.151

Nimmt man diesem Gedanken folgend nun die spezifischen Rationalitäten und Codierungen rechtlicher, ökonomischer oder auch politischer Kommunikati-on in multireferentiellen Organisationen ernst, so zeigt sich: Bestimmte Ereignis-se können sich in Organisationen als Risiken und Gefahren zugleich erweisen – abhängig davon, welche funktionssystemische Rationalität zugrunde gelegt wird und auf welche Abteilung man blickt. So erweisen sich schlecht funktionierende Kommunikationswege als ein Risiko, das Gefahren für die ökonomische Prospe-rität mit sich bringt. Auf den ersten Blick mag diese begriffliche Unterscheidung vielleicht trivial erscheinen. Auf den zweiten Blick liefert sie jedoch Hinweise dafür, warum eine Kalkulation oder Vermeidung derartiger Ereignisse scheitern kann. Risiken können (wie erfolgreich auch immer) kalkuliert werden. Über sie kann entschieden werden. Von Gefahren ist man dagegen lediglich betroffen; ihnen ist die Organisation ausgeliefert. Barings ging das Risiko ein, auf Ver-ständnis des Derivatehandels, aber auch auf empfohlene Kontrollen zu verzich-ten. Die ökonomischen Gefahren dieser Entscheidung erwiesen sich als unkalku-lierbar. Mit dieser differenztheoretischen Perspektive haben wir die Probleme eines technischen oder ökonomisch orientierten Risikomanagements präzisiert, indem wir die organisationale Komplexität an die Operationslogiken der Funkti-onssysteme rückgebunden haben. Kommt es zu unwillkommenen Ereignissen, welche in massiver Weise mit Erwartungsstrukturen brechen, so zahlt den Preis die Organisation jedoch nicht unbedingt allein.

(2) Das Beispiel der Finanzmärkte ist ein illustratives Beispiel dafür, dass Irritationen verschiedener Funktionskontexte sich nicht ausschließlich auf den

151 Ähnliche Vorgänge haben sich beispielsweise in der Daiwa Bank und der Sumitomo Corporation zugetragen (Tschoegl 2003, 10).

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Wirkungskreis der Organisation beschränken, sondern zunächst einmal grund-sätzlich auf Resonanz in anderen Systemen stoßen. Der Kursverlust der Aktie eines großen deutschen Unternehmens hat Auswirkungen auf den Kurs des ge-samten Aktienindex, aber voraussichtlich auch auf verschiedene Fonds und an-dere Kurse. Damit zeigt sich die Kehrseite der Verknüpfung verschiedener Sinn-horizonte in der Organisation. Sie ermöglicht nicht allein den Aufbau von Kom-plexität und produktive Formen wechselseitiger Leistungserbringung der Funkti-onssysteme durch strukturelle Kopplung, sondern birgt auch systemdestabilisie-rende Potentiale. Der Impuls für derartige Destabilisierungen muss dabei nicht einmal in der Organisation verortet werden. In derartigen Konstellationen konsti-tuieren sich Organisationen als prädestinierte Zentren wechselseitiger Gefähr-dungen der Funktionssysteme. Wir haben es dann – ebenso wie bei strukturellen Kopplungen – mit latenten ablaufenden Prozessen zu tun, über die nicht ent-schieden werden kann, weil entsprechende Resonanzen zu einem Stückweit unbestimmt bleiben (Corsi 2001, 255).

Diese Aspekte scheinen Bankensystem und Finanzsystem in hervorgehobe-ner Weise zu betreffen. Bereits der historische Exkurs (2.1.1) zeigte auf, von welcher Fragilität dieser Gesellschaftsbereich bis in die Anfänge der Geldwirt-schaft hinein gekennzeichnet war. Er machte deutlich, welche Institutionen not-wendig waren, um derart voraussetzungs- und vertrauensvolle Formen der Kommunikation überhaupt zu ermöglichen. In der Moderne stellen die Entschei-dungen zwischen Geld- oder Tauschwirtschaft oder zwischen Bankkonto und Sparstrumpf zumindest in den OECD-Ländern zumeist keine ernst zu nehmen-den Alternativen mehr dar. Zu sehr hat sich die Operationslogik in die gesell-schaftlichen Prozesse eingenistet und die Bedingungen ihrer Möglichkeiten ins Reich der Latenzen verschwinden lassen. Dies besagt jedoch nicht, dass der Ernstfall auszuschließen ist. Der klassische „Run“ auf Banken,152 der oftmals bei einem einzigen Institut seinen Anfang nimmt, sich aber dann wie ein Flächen-brand auf andere Bankorganisationen ausbreiten kann (Boot/Dezelan/Milbourn 2001, 39), ist dabei nur ein Beispiel dafür, auf welch tönernen Füßen (organisati-onsexterne) Erwartungsstrukturen und Vertrauensformen auch im modernen Bankensystem stehen.153

Ein zweiter Gesichtspunkt, der auf die besondere Irritationsfähigkeit von Finanz- und Bankensystem hinweist, ist in der besonderen Fluidität des Geldme-diums zu sehen (2.1.2). Die besonderen Fähigkeiten der Kopplung und Entkopp-

152 Eine detaillierte Erläuterung von Bank Runs, ihrer Entstehung und Auswirkungen findet sich bei (Kaufman 2006). 153 Vielleicht sollte man sogar „gerade im modernen Bankensystem“ sagen. Schließlich haben wir in unserem historischen Exkurs feststellen können, dass der Konkurs einer Bank keine Seltenheit war, ohne, dass damit ein Flächenbrand ausgelöst wurde.

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lung machen zwar einerseits die Leistungsfähigkeit des Geldmediums aus. Sie ermöglichen es damit, eine zunehmende Anzahl von Objekten, Dienstleistungen und Erwartungen handelbar und damit zum Gegenstand des Wirtschaftskreis-laufs zu erheben.154 Eine ebenso (fatale) Leistung besteht jedoch zugleich darin, sich im Falle von Irritationen schlagartig zurückzuziehen und nach neuen Kon-sum- oder Investitionsmöglichkeiten zu suchen. Derartige Phänomene zeigen sich eben auch an den Finanzmärkten. Diese Charakteristika deuten auf die sen-sible Position von Bankorganisationen in der Architektur der modernen Gesell-schaft hin, die es in diesem zweiten Kapitel herauszuarbeiten galt. Mit Blick auf den Zusammenhang beider Sozialordnungen können wir nun zusammenfassend festhalten: Auf der einen Seite sind ihre Selbstdarstellungen als vertrauenswürdi-ge und rational operierende Organisationen unverzichtbare Insignien, um Kom-plexität des Bankensystems zu kaschieren, Unsicherheit und Kontingenz zu re-duzieren und damit die Realisierung von Kreditgeschäften zu ermöglichen. Zu-dem tragen Organisationen durch systeminterne (Erwartungs-)Strukturbildung zum Funktionieren der verschiedenen Funktionssysteme bei. Zentrale Stichworte in diesem Zusammenhang waren die der ‚Inklusion’, ‚Interdependenzunterbre-chung’ und ‚Formbildung’. Banken sind somit aus dieser Perspektive die Ent-schleuniger der Finanzökonomie, die mittels ihrer multireferentiellen Verknüp-fung die monokausale Logik der Finanzökonomie abzufedern vermögen.

Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. In Abschnitt 2.2 wurde schließlich deutlich, dass Prozesse der Kontingenzreduktion gleichfalls eine Risikoquelle darstellen. Insbesondere für organisierte Sozialordnungen kann sich dann die Ignoranz von Unsicherheit als Pyrrhussieg erweisen. Auch eindimensi-onale Formen des Risikomanagements, so wurde deutlich, stellen auf diese strukturellen Herausforderungen von Organisationen keine adäquate Antwort dar. Wir schlossen schließlich mit der Einsicht: Gefährdungen und Schadenspo-tentiale müssen sich dabei nicht auf die jeweilige Organisation beschränken, sondern können weit darüber hinaus auch Gefährdungen und Schäden in anderen sozialen Kontexten heraufbeschwören. Damit offenbart sich die dysfunktionale Seite von Organisationen für die gesellschaftlichen Funktionssysteme. Wir wer-den im kommenden Abschnitt sehen, was dieser Doppelcharakter im Verhältnis von Funktions- und Organisationssystemen für Prozesse der Bankenregulierung bedeuten kann.

154 Niklas Luhmann spricht in diesem Zusammenhang von der diabolischen Seite des Geldmediums (Luhmann 1988, 245).

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3 Regulierung und Integration

In den ersten beiden Kapiteln haben wir ein analytisches Instrumentarium aufge-zeigt, das eine Perspektive auf die Bank als Organisation in der modernen Ge-sellschaft aufzeigt. Wir nehmen damit einen anderen Blickwinkel auf die Gesell-schaft und ihre Organisationen ein, als beispielsweise der akteurszentrierte Insti-tutionalismus oder auch politikökonomische Beschreibungen. So heuristisch wertvoll diese Ansätze für viele soziale Phänomene sein mögen. Für unser kon-kretes Erkenntnisinteresse halten wir eine primär systemtheoretische Herange-hensweise für leistungsfähiger.

Jedoch weist unser theoretischer Blickwinkel derzeit noch eine Leerstelle auf, die es in diesem Kapitel analytisch auszufüllen gilt. Diese bezieht sich auf den Beobachter, den wir beobachten wollen: die Bankenaufsicht. Wir haben diese als gesellschaftliche Einrichtung bisher unreflektiert eingeführt, ohne ihre Leistungen näher zu thematisieren. Eine Klärung ihrer Beziehung zur Gesamtge-sellschaft sowie zu einzelnen Teilsystemen erscheint jedoch notwendig, lassen sich doch anders keine (theoretisch angeleiteten) Hinweise formulieren, was Bankenaufsicht an Bankorganisation interessieren könnte. Wir wollen deshalb in diesen Abschnitt zunächst Operationsmodi und dann die sozialen Leistungen der Bankenaufsicht herausarbeiten. Dabei soll deutlich werden, dass nicht allein die Operationen selbst, sondern bereits die Erwartungen an bankaufsichtliche Opera-tionen einen, wenn nicht den zentralen Unterschied bedeuten (3.1). Erst im Zu-sammenspiel von instrumenteller Regelsetzung, -überwachung und Sanktionie-rung sowie entsprechender Erwartungsbildung kann die Aufsicht den an sie gestellten Erwartungen gerecht werden (3.1.1). Stabilisierung und Vertrauensbil-dung stellen dabei jedoch nur die eine Seite bankenaufsichtlichen Operierens dar. Erst durch komplementär ablaufende Formen der Reflexion, Reform und Reor-ganisation werden notwendige Bedingungen für die Leistungsfähigkeit der Auf-sicht erreicht (3.1.2).

So sehr die Bankenaufsicht dabei sehr konkret auf spezifisches Wissen an-gewiesen ist und hinsichtlich der Aufgabe ihr spezielles Regulierungsfeld in konkurrenzloser Weise im Auge hat. Aus einer abstrakten Perspektive der sozio-logischen Theorie lassen sich ihre Leistungen für das System selbst im Ergebnis mit vielen anderen Mechanismen in der modernen Gesellschaft vergleichen. Regulierung lässt sich dann – so soll deutlich werden – als ein Prozess beschrei-

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ben, der eine Integration der gesellschaftlichen Teilsysteme, in unserem Fall die des Bankensystems, mit dem politischen System ermöglicht (3.2).

3.1 Zur gesellschaftlichen Verankerung und Funktion der Bankenaufsicht

In der politik- und verwaltungswissenschaftlichen Literatur werden die Funktion von Regulierung im Allgemeinen und die der Regulierung durch die Bankenauf-sicht im Besonderen vor allem in ihrem aktiven, intentionalen Regulierungshan-deln gesehen. Verwaltungsbehörden haben demnach die Aufgabe, kollektiv bin-dende Entscheidungen des politischen Systems zu implementieren und für indi-viduelle Fälle zu spezifizieren (Baker 1972, 82; Fesler/Kettl 1991, 9; Peters 1995, 2).155 Im Fall der Bankenregulierung handelt es sich dabei vor allem um eine soziale und marktbeschränkende Regulierungspolitik. Susanne Lütz formu-liert dazu: „Im Kern geht es hier darum, Sicherheitsrisiken des Finanzgeschäftes vorbeugend einzudämmen, um die Ausbreitung (solch) ‚negativer Externalitäten’ auf unbeteiligte Dritte zu verhindern“ (Lütz 2002, 25). Diese Vorstellung findet ihre Entsprechung in der rechtlichen Beschreibung bankaufsichtlicher Tätigkei-ten. Im KWG lesen wir so zur „Aufgabenstellung“ der Aufsicht: Die Bankenauf-sicht

„tritt Missständen entgegen, die die Sicherheit der Einlagen gefährden, die ord-nungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen beein-trächtigen oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft herbeiführen können“ (KWG §6, 1).

Die drei wichtigsten Instrumente sind dabei, Susanne Lütz folgend: Erstens die Regelbildung, zweitens die Regelüberwachung sowie drittens die Sanktionierung von Regelverstößen (Lütz 2002, 23). Die Bankenaufsicht grenzt auf Basis aufge-stellter Regeln die Operationslogik des Bankensystems und partiell die des Fi-nanzsystems ein.156 Sie trifft beispielsweise Entscheidungen darüber, wer im Bankensystem Leistungsrollen einnehmen kann.157 Sie überwacht kontinuier-

155 Eine einleuchtende Begründung findet sich in folgender rechtswissenschaftlichen Passage: „Rela-tively little can be done merely by passing Acts of Parliament and leaving it to the courts to enforce them. There are far too many problems of detail, and far too many matters which cannot be decided in advance. No one may erect a building without planning permission, but no system of general rules can prescribe for every case. There must be discretionary power“ (Wade/Forsyth 2000, 4). 156 Diese Einordnung trifft sich im Übrigen mit Überlegungen Max Webers zur Marktregulierung, der diese als eine Einschränkung der Durchsetzung rein marktmäßiger Interessen sieht (Weber 1972, 44). 157 Siehe zur Unterscheidung von Leistungs- und Publikumsrollen im Bankensystem ggf. noch einmal im Abschnitt 1.2.1.

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lich, ob die Voraussetzungen für die Geschäftserlaubnis noch gegeben sind, und sie kann schließlich – gewissermaßen als ultima ratio – die Erlaubnis dafür ent-ziehen (Fischer 2000, 815). Eine solche Beschreibung, die Leistung und Operati-onsmodi der Bankenaufsicht vor allem unter zweckrationalen Gesichtspunkten behandelt, weist zweifelsohne viele Plausibilitäten auf. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen auf den Finanzmärkten, die in ihrer Bedeutung für die Politik nicht unterschätzt werden sollten. Auch findet sie partiell ihre Entsprechung in der von uns gewählten systemtheoretischen Per-spektive. So werden Verwaltungsorgane, wie die Bankenaufsicht, in diesem Ansatz ebenfalls als Einrichtungen des politischen Systems betrachtet, die für die Implementierung politischer Entscheidungen zuständig sind (Willke 1992, 215). Zugleich jedoch weist der systemtheoretische Ansatz über diese handlungstheo-retische/zweckrationale Interpretation der Regulierung hinaus. Er ermöglicht es uns, den Fokus zu erweitern. Dazu ist jedoch notwendig, zunächst einen Schritt zurückzutreten und nach Leistungen unterhalb der (instrumentellen) Handlungs-ebene zu suchen.

Wir sprechen damit auf die Ebene der Erwartungen an, die ja bereits Ge-genstand verschiedener Argumentationslinien der vergangenen Kapitel war. Es soll gezeigt werden, dass an einen Erfolg bankaufsichtlicher Regulierung ohne stets mitlaufende Formen der Erwartungsbildung nicht zu denken ist. Dabei wird deutlich, dass in der Vermeidung von Erwartungsenttäuschung die eigentliche Herausforderung bankaufsichtlicher Operationen zu sehen ist.

3.1.1 Zur Bedeutung von Erwartungsbildung und -stabilisierung

Bereits aus der oben zitierten Passage aus dem KWG lassen sich implizit vorge-nommene Erwartungen herauslesen, von welchen die Aufsicht in ihrer instru-mentellen Operationsweise ebenfalls implizit geleitet wird. Erstens die Erwar-tung, dass es bei Bankgeschäften so etwas wie eine Sicherheit der Einlagen gibt. Zweitens die Erwartung, dass es eine spezifische Ordnung gibt, nach welcher die Durchführung von Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen verläuft. Drittens schließlich die Erwartung, dass aus so genannten „Missständen“ erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft entstehen können.

Welche Bedeutung erlangen nun diese Erwartungen, wenn wir sie in den Kontext unserer Fragestellung rücken? Die Bedeutung der ersten Erwartung – die der Sicherheit von Einlagen – haben wir in Kapitel 2 ausgiebig dargelegt. Dabei wurde erkennbar: Ohne ein gewisses Maß an (Erwartungs-)Sicherheit darüber, dass es zur Einlösung des Zahlungsversprechens kommt, scheint die Ausdifferenzierung eines komplexen Bankensystems schwer vorstellbar. Auch

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die zweite Erwartung lässt sich mit Punkten in Beziehung setzen, die bereits Gegenstand unserer Analyse waren. Erinnert sei hier vor allem an die Insignien der Rationalität und Berechenbarkeit die Bankorganisationen zugesprochen wer-den und die sie sich selbst zusprechen (2.1.2). Die dritte Erwartung – in deren Kontext es vielleicht anschlussfähiger erscheint von einer Befürchtung zu spre-chen158 – haben wir ebenfalls an verschiedenen Stellen, vor allem aber in der Einleitung thematisiert. Es geht um die besonderen Risikopotentiale von Ban-ken- und Finanzsystem, die dramatische Gefährdungen für die Ökonomie, wenn nicht für weitere gesellschaftliche Kontexte hervorrufen können. Betrachten wir diesen Problemgesichtspunkt vor dem Hintergrund der beschriebenen möglichen Interdependenzen und unkontrollierbaren Kopplungen verschiedener Funktions-systeme und erinnern wir die besondere Fluidität des Geldmediums, so lässt sich erahnen, welche Potentialitäten mit dem schlichten Term „erhebliche Nachteile“ bezeichnet werden. Diese dritte Erwartung oder eben Befürchtung ist vermutlich das stärkste (politische) Argument für die Einrichtung einer Bankenaufsicht. Schließlich kann hier davon ausgegangen werden, dass auch das politische Sys-tem und insbesondere das Zentrum des politischen Systems159 daraus folgend dysfunktionale und destruierende Effekte für seine eigenen Operationen erwarten kann. Wir haben es hier – so können wir in Anschluss an Helmut Willke formu-lieren – mit einer Art „Vermeidungsimperativ“ zu tun, der nur in besonderen Politikfeldern, wie beispielsweise sonst noch dem der Rüstung oder der Umwelt-gefährdung vorzufinden ist (Willke 1992, 112).

Dieser Vermeidungsimperativ kondensiert schließlich in einer vierten, un-ausgesprochenen Erwartung, die die drei vorherigen Erwartungen der zitierten Gesetzespassage übergreift: Dabei handelt es sich um die Erwartung, dass die Bankenaufsicht den Gefahren einer Enttäuschung der beiden ersten Erwartungen sowie den Befürchtungen der dritten entgegenwirkt. Damit kommt eine Form der Unsicherheitsabsorption ins Spiel, die bisher in den vorangegangenen Abschnit-ten unthematisiert geblieben ist. Sie setzt dort an, wo das Vertrauen in die ‚invi-sible hand’ der Finanz- und Bankenmärkte und in die Perfektion der Organisati-on versagt. Die Rolle der Politik lässt sich in diesem Zusammenhang auch ohne Rekurs auf normative Konzepte wie beispielsweise dem des Allgemeinwohls erklären. Die Politik reagiert vor allem auch deshalb (mit Aufsicht), weil die

158 Auch dem Begriff der Befürchtung lässt sich in unserem Kontext gar noch eine theoretische Qualität abgewinnen, wenn wir ihn als eine Erweiterung des Begriffs der ‚Furcht’ setzen. So unter-scheidet beispielsweise Sören Kierkegaard den Begriff der Furcht explizit von dem der Angst. Wäh-rend Angst einen unbestimmten, kontingenten Impuls bezeichnet, handelt es sich bei Furcht um einen bestimmten, spezifizierten Impuls (in unserem Fall die Furcht vor dem negativen Schäden für die Gesamtökonomie) (Kierkegaard 2005, 42). 159 Zur Zentrum/Peripherie Unterscheidung als ein maßgebliches Differenzierungsprinzip des politi-schen Systems siehe bei Niklas Luhmann (Luhmann 2000a, 244ff.).

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Enttäuschung der oben aufgezeigten Erwartungen auf die Politik zurückschlagen kann. In welcher Weise diese Erwartungsbildungen das Zentrum des politischen Systems tangieren, zeigt sich nicht zuletzt anhand von Analysen zur aktuellen Regulierungspolitik. So macht Michael Power deutlich, in welchem zunehmen-den Maße Erwartungen der (politischen) Öffentlichkeit an die Politik gerichtet werden, derartige Risiken zu vermeiden (Power 2004b, 20). Der Staat sieht sich dabei, so zeigt Power auf, nicht allein in der Verantwortung, regulierend in be-stimmte Gesellschaftsbereiche einzugreifen. Als ebenso wichtig kann die Kom-munikation über Risikomanagement und das Einklinken der Politik in spezifi-sche Risikodiskurse betrachtet werden (Power 2004b, 23).

Welche Effekte lösen die hier formulierten Erwartungen außerhalb des poli-tischen Systems aus? Zunächst einmal ist die Funktion für den Einleger offen-sichtlich, der hierdurch eine weitere Sicherheit seiner monetären Werte gewahrt sieht. Diese Stütze addiert sich zu den Formen der Vertrauenskonstitution und Erwartungssicherheit durch Organisationen, die vor allem Gegenstand von Ab-schnitt 2.1 waren. Der noch folgenreichere Unterschied, zu bisherigen Formen der Erwartungsstabilisierung lässt sich jedoch auf Seiten der Leistungsrollen, also auf Seiten der Bankorganisationen beobachten. Auch dort kann nun nicht mehr damit gerechnet werden, dass die Enttäuschung der oben formulierten Erwartungen als Folgen individuellen wirtschaftlichen Risikos hingenommen werden. Stattdessen darf nun ein „Entgegentreten“ erwartet werden. Damit zeigt sich, dass die Bankenaufsicht bereits vor ihrem tatsächlichen Eingreifen in spezi-fischer Weise die Erzeugung von Erwartungsstrukturen ermöglicht. Es geht – wie Alfons Bora es für einen allgemeinen Regulierungsbegriff formuliert – um eine „stets mitlaufende Fiktion (...) des Unter-Kontrolle-Bringen-Könnens“, die „mithin als Bedingung der Möglichkeit von Regulierung beobachtet werden“ kann (Bora 2003, 211).

Warum ist diese Form der Erwartungsbildung so wichtig für eine ‚funktio-nierende’ Bankenaufsicht, vielleicht sogar noch wichtiger als ein instrumenteller Eingriff? Zunächst kann mit Blick für die Organisation ‚Bankenaufsicht’ ein schlichtes Effizienzargument angeführt werden, man denke an das hohe Maß an Kapazitäten, welches bei einem ständigen Entgegentreten von ihr aufgebracht werden müsste. Eine grundsätzlichere Bedeutung dieser Erwartungsbildung lässt sich jedoch vor allem dann erkennen, wenn wir die Operations- und Funktions-weise unter machttheoretischen Gesichtspunkten betrachten. Macht und damit auch Regulierungsmacht der Bankenaufsicht bleiben nur dann wirksam, wenn sie sich auf einen dosierten Einsatz von Sanktionsmitteln beschränken können. Macht ist dann besonders erfolgreich, wenn sie operativ gar nicht sichtbar wer-den muss, weil ihr Einsatz vom ‚Machtunterworfenen’ im Fall der Fälle erwartetund deshalb zu vermeiden versucht wird. Diese scheinbar paradoxe Wirkungs-

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weise von Machtkommunikation ist dabei nicht allein für die Bankenaufsicht sondern für jede Organisation der Verwaltung charakteristisch.160

Die Vermeidung befürchteter Sanktionen erweist sich für Aufsicht, vor al-lem aber auch für die Banken und dann auch für das Bankensystem als produk-tiv. Dies gilt nicht allein für den drastischen Fall eines Entzugs der Geschäftser-laubnis, der zu einer bedeutsamen, vermutlich unberechenbaren Irritation des Bankensystems führt. Auch kleinere Fälle eines Entgegentretens müssen schließ-lich als Enttäuschung der Erwartungen sicherer Einlagen und ordnungsgemäßer Abläufe betrachtet werden. Derartige Enttäuschungen destruieren so in massiver Weise die Möglichkeiten von Strukturbildung und -reproduktion.

Rückt man diese Formen der Erwartungsbildung und Stabilisierung von Erwartungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, so ist gleichzeitig der Nexus zu rechtsförmiger Kommunikation unübersehbar. Dies betrifft die Funktions-, aber auch die Operationsweise der Bankenaufsicht. Auch das Rechtssystem erfüllt im allgemeinen Sinne die gesellschaftliche Funktion, eine (kontrafaktische) Stabili-sierung von Normen auf der Erwartungsebene herzustellen und im Fall ihrer Übertretung ggf. über Sanktionen zu entscheiden.161 Hinsichtlich ihrer Operati-onsform arbeitet die Aufsicht in weiten Teilen mit der im Rechtssystem vorherr-schenden Logik der Konditionalprogrammierung.162 Zwar kann die Aufsicht in übergeordnetem Sinne als ein Mittel betrachtet werden, um den politischen Zweck – die Abwehr von Gefahren durch das Bankensystem für die Gesellschaft – zu erfüllen. Die Bankenaufsicht stellt aus dieser Warte nichts anderes als ein Zweckprogramm des politischen Systems dar. Andererseits zeigt sich, dass die-ses politische Zweckprogramm auf der Ebene seiner eigenen Programme erstens in weiten Teilen konditional programmiert ist und sich zweitens der Unterschei-dung rechtsförmiger Kommunikation bedient. Wenn es zu Missständen kommt,

160 Siehe zu dieser allgemeinen Theoriefigur des dosierten Machteinsatzes bei Niklas Luhmann (Luhmann 2000a, 45). Eine damit korrespondierende Vorstellung findet sich in den Analysen zur Macht von Wolfgang Sofsky und Rainer Paris, die in diesem Zusammenhang den Begriff der „Auto-rität“ als Grundbedingung von Macht einführen (Sofsky/Paris 1991, 19-24). 161 Wir rekurrieren damit vor allem auf ein systemtheoretisches Verständnis von Recht. Dieses sieht – anders als viele klassische Ansätze – die Funktion in der Steuerung von Erwartungen, nicht aber in der Steuerung von Verhalten (z.B. Parsons 1980) oder der Ausübung sozialer Kontrolle (Black 1976, 6). Damit können wir eine höhere Stringenz innerhalb der Argumentation erzielen. Die Funktion von Erwartungserzeugung und Erwartungsstabilisierung durch Recht findet sich nicht allein in system-theoretischen Beschreibungen, sondern – wenngleich mit einer abweichenden (eher sozialpsycholo-gischen) Stoßrichtung – auch in anderen Theorieansätzen: So schreibt Lawrence Friedmann: „At the most general level, the function of the legal system is to distribute and maintain an allocation of values that societies feels to be right“ (Friedman 1975, 17). Auch hier scheint es also um die Stabili-sierung rechtlich codierter Werte zu gehen, die im Schema Recht/Unrecht erinnert werden. 162 Siehe zur Stellung der Konditionalprogrammierung im Recht bei Niklas Luhmann (Luhmann 1995a, 195).

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bzw. ein begründeter Verdacht besteht, dann werden Sanktionen eingeleitet. Dieser Programmmodus operiert dann auf der Basis der Recht/Unrecht Unter-scheidung und damit mittels des binären Codes des Rechtssystems. 163

Bei allen (Folge-)Problemen, die durch diese Operationsformen aufgewor-fen werden und auf die wir im Laufe der Argumentation noch ausgiebig einzu-gehen haben, wird an dieser Stelle zunächst einmal deutlich: Die Bedeutung von Konditionalprogrammen ist mit Blick auf die Erwartungskonstituierung nicht zu unterschätzen. Sie zeigt einen Operationsmodus auf, der in primär zweckratio-nal/handlungstheoretischen Konzepten wenig Beachtung findet und weist zugleich auf die multireferentielle Ausrichtung bankaufsichtlicher Operationen hin. Aufsicht kann also – um die oben genannten Erwartungen zu erfüllen – nicht beliebig operieren, sie ist an Regulierungsnormen (Büschgen/Börner 2003, 304) gebunden. Diese erlegt sie sich mittels Verwaltungsentscheidungen partiell selbst auf – hier begegnen wir wieder der oben erwähnten Aufgabe der Regelbildung. In einer grundsätzlichen Fassung werden diese aber auch vom Gesetzgeber ge-rahmt. Auch wenn die Bankenaufsicht primär am politischen System orientiert ist und als Durchsetzungsorgan politischer Entscheidungen begriffen werden kann,164 wird damit deutlich, dass auch die Logik des Rechtssystems einen wich-tigen Stellenwert einnimmt.165

Die Bindung politischer Zwecke an bestimmte Rechtsmittel kann im histo-rischen Rückblick nicht als selbstverständlich betrachtet werden. Niklas Luh-mann führt in „Zweckbegriff und Systemrationalität“ in einem Unterkapitel mit dem Titel „Vom Polizeistaat zum Rechtsstaat“ aus (Luhmann 1999, 88-106), wie Politik und Recht erst lange Wandlungs- und Differenzierungsprozesse zurück-legen mussten, um die Heiligung der Mittel durch die Zwecke – verkörpert in der „alten Rechtsregel ‚ius ad finem dat ius ad media’“ (Luhmann 1999, 96) – abzu-legen. Damit ist zwar nicht gemeint, dass andere Programmformen vollständig

163 Siehe zur Codierung des Rechtssystems bei Niklas Luhmann (Luhmann 1995a, 60ff.). 164 Diese Erwartung aktiver Regulierung wird auch dann deutlich, wenn wir die Bankenaufsicht mit Organisationen, die klassischerweise primär am Rechtssystem operieren, also vor allem Gerichten vergleichen. Während von diesen erwartet wird, dass sie sich ‚nur’ um alle vorgelegten Fälle, dann aber um alle Fälle zu kümmern haben, wird von der Bankenaufsicht die Verfolgung bzw. proaktive Vermeidung aller Fälle erwartet. 165 Diese multireferentielle Ausrichtung ist ein Phänomen, mit dem auch andere Organisationen der Verwaltung zu operieren und zeitweise zu kämpfen haben. Siehe dazu vor allem noch einmal bei Alfons Bora (Bora 2001). Auch Arbeiten zur Verwaltung, die nicht mit der Idee organisationaler Multiferentialität arbeiten, wird vorgeschlagen „zu prüfen, ob die detaillierte Analyse von politischer Politik und Verwaltung nicht doch einer Spezifikation subsystemspezifischer Codes bedarf“ (Grunow 1994, 37). Schließlich wird auf die Bedeutung rechtlicher Kommunikation in Verwaltungskontexten und ihre Unterscheidung von politischer Kommunikation nicht allein in der Systemtheorie sondern auch in politikwissenschaftlichen Beschreibungen der Verwaltung hingewiesen. Siehe zum Beispiel noch einmal bei Guy Peters (Peters 1995, 2).

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ausgeschlossen sind. Die Möglichkeiten dieser Programmformen, ihre Leistungs-fähigkeit, vor allem aber ihre Notwendigkeit werden jedoch nur dann verständ-lich, wenn wir die klassischen Mechanismen der Erwartungsbildung und -stabilisierung über rechtliche Konditionalprogrammierung als Kennzeichen der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft im Hinterkopf behalten. In einer rein zweckrationalen Perspektive erscheint die strukturelle Leistung dieser konditionalen Programmierung nicht wirklich verständlich. Warum sollten – so ließe sich fragen – der Bankenaufsicht nicht alle verfügbaren Mittel in die Hand gegeben werden, um Einlagensicherheit und Durchführung von Bankge-schäften zu gewährleisten? Zwar könnte auf eine normative, beispielsweise de-mokratietheoretische Argumentationsschiene ausgewichen und auf eine rechts-staatliche Verankerung der Bankenaufsicht und Eingrenzung als Bedingung ihrer Legitimität verwiesen werden. Unter funktionalistischen Gesichtspunkten ist damit jedoch noch nicht viel gewonnen. Es wird auch dann immer noch nicht deutlich, was strukturell anders wäre, wenn die Bankenaufsicht nach Gutdünken operieren dürfte. Wiederum auf die Erwartungsebene rekurrierend zeigt sich jedoch die Leistungsfähigkeit dieser Bindung an eine rechtliche Verfahrensord-nung. Erst auf dieser rechtlichen Grundlage kann erwartet werden, dass die Auf-sicht nicht in einer beliebigen Weise irgendwo und irgendwann eingreifen darf, sondern dass ihre Eingriffsmöglichkeiten – in welcher Weise auch immer – be-schränkt sind.

Diese Limitierung der Mittel hat Folgen für den Erwartungshorizont der In-haber von Leistungsrollen im Bankensystem, also Banken, aber auch – sehr grundsätzlich gedacht – für andere Partizipienten des Bankensystems und den Rest der Gesellschaft. Als Einleger kann ich darauf vertrauen, zwar vielleicht in den Fokus des Finanzamtes, aber wohl nicht in den der Bankenaufsicht zu gera-ten. Andersherum können Bankorganisationen bis zu einem gewissen Grad da-mit rechnen, dass und auch in welcher Form sie in den Fokus der Aufsicht gera-ten. Schließlich wirken derartige Formen der Stabilisierung auch auf das politi-sche System zurück. Die Aufsicht erweist sich als stabilisierendes Element ge-genüber anderen politischen Prozessen, die – wie es Dieter Grunow formuliert – „hochgradig fluktuierend, wechselhaft, opportunistisch sind bzw. sein können“ (Grunow 1994, 31f). Den Grund dafür sieht Grunow darin, dass Verwaltungs-prozesse programmgesteuert sind.166

166 Die Programmform des Verwaltungshandelns ist dabei nur ein Aspekt, der eine besondere Form der Stabilität im Kontext der Verwaltung erwarten lässt. In anderen Arbeiten wird gar vermutet, dass eine besondere Stabilisierung in ganz anderen Entscheidungsprämissen, nämlich in Personen vermu-tet werden darf. Während Programme auch kurzfristig wandelbar sind, ist dies bei Personen nur begrenzt möglich (Ahlemeyer 1994, 189). Diese Einschätzung trifft sich auch mit akteurstheoreti-schen Arbeiten, die die langfristig angelegte Personalpolitik in der Verwaltung als stabilisierendes

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Fassen wir unsere Beobachtungen über die Leistungen bankaufsichtlicher Kom-munikation zusammen, so stehen auch in diesem Teilabschnitt Formen der Unsi-cherheitsabsorption und Kontingenzbewältigung im Zentrum der Aufmerksam-keit. Dabei handelt es sich um Formen der Unsicherheitsabsorption und Kontin-genzbewältigung, die beim Einleger, bei den Banken, aber nun eben auch außer-halb des Bankensystems, nämlich bei der Bankenaufsicht und anderen Institutio-nen des politischen Systems zu beobachten sind und die sich auf der Basis recht-lich stabilisierten Erwartungen realisieren. Offen geblieben ist dabei bisher die Frage, wie der Bankenaufsicht die Stabilisierung dieser Erwartungen gelingt. Die Frage lautet mit anderen Worten: Wie kann die Aufsicht wissen, welche Regeln sich als wirksam erweisen, welche Überwachungsformen notwendig sind und welche Sanktionen abschreckend im Hinblick auf Regelübertretung wirken? Und noch weiter gefragt: Wie kann sie wissen, ob Regeln der Gegenwart auch in Zukunft greifen? Max Weber knüpft in seiner Herrschaftssoziologie die Macht-stellung der Beamten öffentlicher Verwaltung an ihr Dienstwissen, aber eben auch an ihr technisches Fachwissen, welches durch Fachschulung erworben werde (Weber 1972, 854f.). Jedoch konzentriert sich seine Darstellung dabei vor allem auf das Wissen über (systeminterne) Verwaltungsabläufe. Dem Problem-gesichtspunkt, den wir im Auge haben – das für Verwaltung relevante Wissen über Prozesse außerhalb der Verwaltung – widmet Weber zumindest in diesem Zusammenhang wenig Aufmerksamkeit.167

Wir stoßen an dieser Stelle auf eine Kernherausforderung, der sich die Ban-kenregulierung gegenübersteht. Es geht um nicht weniger, als um Bedingungen für die Möglichkeiten einer kontinuierlichen Erwartungsbildung und -stabilisierung.

3.1.2 Zur Bedingung der Möglichkeit von Erwartungsbildung und -stabilisierung

Politik und Recht können sich somit nicht allein auf die Stabilität und Legitima-tion ihrer (routinisierten) Verfahrensformen verlassen. Ebenso von Bedeutung ist die ‚Qualität’ der Normen, um im Fall der Fälle die oben aufgeführten Missstän-de abzuwehren. Erforderlich ist ein spezifisches, ständig reflektiertes und reor-ganisiertes Wissen, dass der Aufsicht zur Verfügung stehen muss. Andernfalls

Element auch mit Blick auf die Fluktuation im parlamentarischen Betrieb identifizieren (Aberbach 2003, 316). 167 Noch konsequenter gedacht lässt sich sogar vermuten, dass die starke Fokussierung auf verwal-tungsinternes Wissen und die damit verbundenen Abläufe die Öffnung für externe Gesichtspunkte blockieren kann, es somit zu einer ‚Kurzschließung’ (Luhmann 1981, 37) der Kommunikation kommt.

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würde sich die Architektur der verschiedenen Erwartungsstrukturen als haltlose, fragile Komplexität erweisen, die vermutlich sehr schnell von der Realität einge-holt würde.

Es sind vor allem die älteren systemtheoretischen Arbeiten, von denen wir lernen können, in welcher Weise die Stabilisierung normativer Erwartungen von der kognitiven Kompetenz des Politischen abhängt. Zu denken ist in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Arbeiten von David Easton, in denen die-ser uns vor Augen führt, wie sehr das politische System durch seine Umwelt mit „Stress“ konfrontiert wird, für deren Bearbeitung das immer fortwährende ‚same procedure as everytime’, also der Einsatz von Routineprogrammen allein keine Lösung darzustellen scheinen.168 Easton zeigt mit Verweis auf historische Bei-spiele auf, dass sich ein politisches System nur in wenigen Fällen den Luxus leisten kann, den „Stress“ seiner Umwelt ignorieren, ohne gleichzeitig seine Stabilität aufs Spiel zu setzen. Sein Argument korrespondiert in diesem Punkt mit den bereits angesprochenen Ausführungen Michael Powers zum Staat als (genötigtem) Risikomanager. „Persistence or survival by virtue of change“– ohne die Fähigkeit der Selbständerung – darauf läuft sein Argument hinaus – dürfte auch der ‚mächtigste’ politische Apparat früher oder später an seine Gren-zen stoßen (Easton 1965a, 86f.). Zudem liefert uns Karl Deutsch mit seiner mitt-lerweile klassischen Studie „The nerves of government“ weiterführende Einsich-ten für unser Argument. Dem mechanistischen Gleichgewichtsdenken ihm vor-gegangener politischer Theorien stellt Deutsch in dieser Arbeit das Bild eines dynamischen, kognitiv ausgeprägten politischen Systems entgegen. Für die Poli-tik kommt es demnach vor allem darauf an, relevante Veränderungen in ihrer Umwelt über Feedbackprozesse systemintern zeitnah zu registrieren. Diesem Prozess folgt dann im günstigen Fall eine entsprechenden Neu- oder Nachjustie-rung der eigenen Ziele und ggf. das Bemühen einer zeitnahen und wohldosierten Umsetzung der modifizierten Prämissen (Deutsch 1966, 185-192).

Notwendig sind für diese Verfahren vor allem die Gewinnung und Verar-beitung von Informationen. „Ohne Information keine Politik!“ (Bußhoff 1980, 36) – was Heiner Bußhoff in seinen steuerungstheoretischen Überlegungen damit für die Politik im Allgemeinen auf den Punkt bringt, gilt auch für die Bankenauf-sicht im Besonderen. Sie ist auf die Beobachtung spezifischer Veränderungen in ihrem Regulierungsfeld und eine Verarbeitung dieser Veränderungen im Kontext ihrer Operationen angewiesen. Es geht – im Anschluss an die Terminologie Bußhoffs – darum, durch Informationsverarbeitung die Kontinuität des Systems und gleichzeitig die Diskontinuität zu seiner Umwelt zu sichern (Bußhoff 1980,

168 Siehe dazu vor allem in seinem Werk „A systems analysis of political life“, in welchem Easton seine politische Theorie der Input- (Demands/Support), Output- (Regulation) und Feedbackprozesse erörtert (Easton 1965b).

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36). Dabei notwendig ist ein Registrieren der Unterschiede, die zu einem späte-ren Ereignis einen Unterschied machen.169

Anders, als die Ansätze von Easton und Deutsch vielleicht suggerieren, sind derartige Operationsformen für die öffentliche Verwaltung jedoch alles andere als selbstverständlich. Aus einer systemtheoretischen Perspektive Luhmannscher Prägung wird erkennbar, dass Verwaltungen alles andere als gewillt sind, sich dem Reiz des Neuen oder – anders gewendet – dem „Stress“ ihrer Umwelt aus-zusetzen (Luhmann 1971b, 190). Informationen werden in und nach der (gege-benen) Regel „weggearbeitet“, und Unterschiede neuer Informationen werden ggf. einfach dem Altbewährten angeglichen. Die Kapazitäten für daraus folgende (Selbst-)Kritik und Änderungsbereitschaft halten sich demgemäß in Grenzen. Erst ab einem „relativ hohen Komplexitätsniveau“ spielen sich Luhmann zufol-ge Mechanismen ein, die (unerwartete) Informationen nicht allein als Sand im Routinegetriebe verstehen, sondern daraus Potentiale zur Selbständerung ablei-ten (Luhmann 1971b, 191). Luhmann hat dafür in einer frühen verwaltungswis-senschaftlichen Arbeit zwei Strategien ausgemacht, denen sich die öffentliche Verwaltung im Umgang mit Informationen bedienen kann. Zum einen kann sie darauf warten, dass Informationen gewissermaßen zufällig anfallen. Dies ist Luhmann zufolge aber nur dann ratsam, wenn das System keinerlei Bedarf an Voraussicht besitzt, oder aber in hoher Übereinstimmung mit der Systemumwelt, deren Interessen und Werten operiert. Die zweite Möglichkeit wird bei Luhmann mit dem Begriff des „problemspezifischen Suchens“ charakterisiert. Diese ist zunächst vor allem im Kontext von Einzelfällen zu beobachten, und obwohl das Procedere zunächst eher einem Zweck- als einem Konditionalprogramm ähnelt, ist bei der Wiederholung vergleichbarer Fälle ein Übergang der gemachten Er-fahrungen in das Systemgedächtnis der Verwaltung und damit eine Modifikation bisheriger Routinen nicht atypisch (Luhmann 1971b, 191).

In diesem „problemspezifischen Suchen“ kann eine erste Antwort auf die Frage gesehen werden, wie eine Verwaltungsorganisation und damit auch die Bankenaufsicht durch Informationen entsprechendes Wissen über ihre Umwelt generieren können.170 Und dennoch muss sich dieser Erklärungsansatz folgende Folgefrage gefallen lassen: Auf welcher Maßgabe entscheidet sich die Verwal-tung eigentlich für ein „problemspezifisches Suchen“? Oder anders: Wie kann sie Informationen in Form von Problemen außerhalb ihrer Routinen aufspüren? Darauf vermögen wir auf Basis der bisherigen Ansätze keine gescheite Antwort zu geben.

169 So die immer wieder bemühte und inzwischen wohl auch klassisch gewordene Definition des (kybernetischen) Informationsbegriffs durch Gregory Bateson (Bateson 1985, 488). 170 Zum Zusammenhang von Informationen, Wissen und Lernen siehe vor allem bei Helmut Willke (Willke 2001b, 5-8).

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114 Kontinuitäten

Eine weitere Möglichkeit ergibt sich, wenn wir das Analyseschema wechseln und statt einer Politik/Umwelt bzw. Verwaltung/Umwelt-Unterscheidung die systeminterne Differenzierung des politischen Systems sowie dort ablaufende Kommunikationsprozesse in den Blick nehmen. Neben der Verwaltung weist das politische System zwei weitere Teilbereiche, die (Partien-)Politik sowie das politische Publikum auf. Die Kommunikation zwischen diesen Teilsystemen ist dabei in modernen Demokratien durch einen „Machtkreislauf“ charakterisiert, der vom Publikum der Politik über die Parteipolitik zur Verwaltung und schließ-lich von dort zurück zum Publikum verläuft.171 Triebfeder für Operation und Reproduktion dieses Kommunikationssystems ist dabei, wie der Name erwarten lässt, der Einsatz aber auch bereits die Androhung des Machtmediums. Das Pub-likum wählt demzufolge Parteien an die Regierung oder droht mit ihrer Abwahl, was dann von allen über das Medium der öffentlichen Meinung beobachtet wer-den kann.172 Im parlamentarischen Betrieb werden in der Folge die entsprechen-den Direktiven für die Verwaltung erarbeitet, die dann im Rahmen einer Imple-mentierung kollektiv bindender Entscheidungen auf das Publikum zurückwirken.

Über diese Kommunikationsprozesse werden im Machtkreislauf zwei-felsohne auch Informationen erzeugt. Schließlich stellen gerade die Androhung und dann der Einsatz von Macht einen Unterschied dar, der einen Unterschied macht. Eine ‚enttäuschende’ Politik führt ggf. zu einem Wechsel der Machtver-hältnisse und damit zu einer Modifizierung der Verwaltungstätigkeiten. Verbun-den damit ist die Erwartung (vielleicht auch Mahnung und Warnung) an das Zentrum des politischen Systems, aus früheren Fehlern gelernt und für die Zu-kunft entsprechende Alternativen erarbeitet zu haben. Was heute in politikwis-senschaftlichen Kontexten vor allem unter dem Begriff des ‚Populismus’ mitdis-kutiert wird,173 kann somit in allgemeinerer Terminologie auch als eine Form der kognitiven Ausrichtung bezeichnet werden. Jedoch stellt sich auch hier wieder-um die Frage, ob derartige Formen der Anpassung, die allein über Abstim-mungsprozesse und damit über den klassischen Machtkreislauf vonstatten gehen, den Herausforderungen funktionaler Differenzierung gewachsen sind. Kann sich der Link zwischen Bürgern und Parlament über Wahlen (und die Beobachtung der öffentlichen Meinung) als Informationsgewinnungs- und Lernmechanismus der Politik als ausreichend erweisen? Bedarf es nicht weiterer Lernpotentiale des politischen Systems, jenseits dieses Verfahrens, das in vielerlei Hinsicht letztlich

171 Mit diesem Kreislaufmodell grenzt Niklas Luhmann moderne politische Organisationsformen von beispielsweise feudalen Modellen ab, in welchen Machtkommunikation von oben nach unten floss statt, wie hier gedacht, in einem Kreislauf zu zirkulieren (Luhmann 1981, 42f). 172 Siehe dazu in einer knappen Darstellung bei Niklas Luhmann (Luhmann 1992a). 173 Siehe dazu beispielsweise in einem von Frank Decker herausgegebenen Sammelband (Decker 2006) und hier insbesondere in dem Beitrag von Uwe Jun.

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Regulierung und Integration 115

auf ein ‚Trial and Error-Prinzip’ und damit insgesamt auf ein „muddling through“ (Lindblom 1959) hinausläuft?

Gerade im Kontext riskanter Regelungsfelder wie dem Finanzsystem aber auch der Rüstungs- oder Atomindustrie muss das Lernen aus schlechten Erfah-rungen, also ein fortlaufendes ‚Postdecision Regret’, als ein Procedere erschei-nen, das den oben aufgezeigten Formen der Erwartungsbildung wenig zuträglich ist. Einer frühen Analyse der Machtprozesse im politischen System durch Niklas Luhmann folgend, können wir jedoch sehen, dass sich die Kommunikationswege in diesem gesellschaftlichen Teilbereich nicht auf die formale, machtinduzierte ‚Laufrichtung’ beschränken. Politische Kommunikation verläuft, so macht Luh-mann deutlich, nicht (allein) über Wahlen vom Bürger zum Parlament, von dort über Gesetze zur Verwaltung und dann über die Implementierung zurück zum Publikum.

„In Wirklichkeit hat dieser Machtkreislauf, sobald er eingerichtet war, einen Gegen-kreislauf induziert. Die Verwaltung fertigt die Vorlagen für die Politik an und domi-niert in Parlamentsausschüssen und ähnlichen Einrichtungen. Die Politik suggeriert mit Hilfe ihrer Parteiorganisationen dem Publikum, was es wählen soll und warum. Das Publikum wirkt einerseits auf den verschiedensten Kanälen, über Interessenor-ganisationen oder Tränen im Amtszimmer auf die Verwaltung ein“ (Luhmann 1981, 46).

Zusammengefasst lässt sich anhand der Figur des Doppelkreislaufes nachvoll-ziehen, wie es zu einer ständigen Oszillation zwischen der (vermeintlich) fakti-schen Kraft des Normativen und der normativen Kraft des Faktischen kommt. Sie plausibilisiert die Ergänzungsbedürftigkeit von Machtkommunikation um die Dimensionen des Wissens und Lernens, auch innerhalb des politischen Systems. Denn während der formale Kreislauf primär auf Basis des Machtmediums ope-riert, reproduziert sich der Gegenkreislauf in vielerlei Hinsicht über das Wis-sensmedium und damit verknüpfte Formen von Expertise und Lernen. Nicht unerheblich ist zudem die Inanspruchnahme einer weiteren Schnittstelle, nämlich der zwischen (organisiertem) Publikum und der Verwaltung, die damit nun auch direkte Informationspotentiale für die Bankenaufsicht eröffnet.174 Nach Luhmann ist vor allem die Komplexität von Entscheidungslagen in der gegenwärtigen Gesellschaft für die Inanspruchnahme des Gegenkreislaufes verantwortlich. Insbesondere die Ausweitung der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen stellt dem-

174 Siehe zur Kommunikation von Verwaltung und Publikum und die daraus resultierenden Konse-quenzen für die Qualität administrativer Entscheidungen vor allem auch bei Erhard Treutner (Treut-ner 1994). In den Verwaltungswissenschaften ist in diesem Zusammenhang beispielsweise von kooperativem Verwaltungshandeln die Rede (Bulling 1989).

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116 Kontinuitäten

nach die Politik vor große Herausforderungen (Luhmann 1981, 47). Übertragen wir diese zu Beginn der 80er Jahre getroffene Einschätzung in die gesellschaftli-che Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts, so zeigt sich, in welcher Weise sich die Herausforderungen für die Politik möglicherweise noch gewandelt ha-ben und Expertise und Wissen sich als noch elementarere Ressourcen der Politik erweisen. Von der Politik wird nun nicht mehr ‚nur’ erwartet, für die innere und äußere Sicherheit zu sorgen (Nationalstaat), Sozialleistungen gerecht zu verteilen und gleiche Bildungschancen für alle gesellschaftlichen Gruppen zu eröffnen (Wohlfahrtsstaat). Hinzu tritt die Erwartung, globale, höchst volatile Finanz-märkte zu bändigen, Klimakatastrophen zu vermeiden und die Bedingungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit Gen-Technik zu legen (Risikoregulie-rungsstaat).

Wenn wir diese Verdoppelung des Machtkreislaufes ernst nehmen und auch in der Bankenaufsicht ein Sensorium sehen, das über die Beobachtung des orga-nisierten Publikums (z.B. Banken, vor allem aber Bankenverbände) potentielle Informations- und Lernkapazitäten besitzt, so dürften auch auf der Ebene der organisationalen Programme neue Formen, jenseits von Zweck und Routine möglich sein. Denn sicher ist: Routineprogramme sind für Bewältigung der da-mit verbundenen Aufgabe wenig geeignet. Ihre Leistungsfähigkeit ist mit Blick auf die Stabilisierung von Erwartungen hinreichend ausgeleuchtet.175 Darin lie-gen ihre größte Stärke und zugleich eine große Schwäche, da sie sich damit als blind für Wandel in ihrer Umwelt erweisen. Gefragt ist somit ein Programmty-pus, der auf der Programmform des Routineprogramms aufsitzt und Potentiale der Anpassung von Politik und Recht ermöglicht. Helmut Willke führt in diesem Kontext den Begriff des „Relationierungsprogramms“ ein (Willke 1992, 179ff.). Diese Programme arbeiten nun nicht mehr auf der Basis von Zweck/Mittel oder Wenn/Dann Prozessen. Vielmehr handelt es sich um einen Programmtypus, der primär auf reflexive, relationale Mechanismen setzt. Das organisierte Publikum, hier eingegrenzt auf Adressen aus einem entsprechenden Regulierungsfeld, wird insbesondere im Vorfeld der Regelfindung in diskursive Verfahren inkludiert. Es dient als (Informations-)Quelle, um beispielsweise die Tragweite einer Einfüh-rung bestimmter Normen zu reflektieren, ihre Resonanz abzutasten und daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen.176 Deutlich wird dabei, dass diese Programm-formen kein Kind der ersten Stunde funktionaler Differenzierung sind. Vielmehr reagieren sie auf den Umstand, dass neben der klassischen Aufgabe einer Her-

175 In einer verwaltungswissenschaftlichen Perspektive ließe sich der Terminologie Hanns-Friedrich Lorenz nach formulieren: Sie sind für die Primär- und vielleicht auch noch die Sekundäraufgaben der Verwaltung gewappnet, scheitern aber an den Tertiäraufgaben (Lorenz 1972, 30). 176 Eine vergleichbare Einschätzung findet sich auch in den Verwaltungswissenschaften (Trute/Denkhaus/Kühlers 2004).

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stellung äußerer und innerer Sicherheit zunehmend weitere Aufgaben, wie eben die der Risikoregulierung an die Politik herangetragen werden. Für den systematischen Nachvollzug der Wirkungsweise von Relationie-rungsprogrammen erweist sich dabei die Unterscheidung zwischen Funktions- und Organisationssystem analytisch als unverzichtbar. Auf funktionssystemi-scher Ebene erscheinen Relationsprogramme und Formen der Wissensstimulie-rung undenkbar, herrschen hier die Strenge des binären Codes und damit eine wechselseitige Blindheit der Systeme vor. Erst auf diesem Ordnungsniveau (multireferentieller) Organisationen ist die Einbeziehung verschiedener System-rationalitäten realisierbar. Auf dieser Ebene besitzt beispielsweise die Banken-aufsicht eine Möglichkeit, trotz ihrer Primärorientierung an Politik und Recht eine Sensibilität für die Komplexität des Bankensystems zu entwickeln und in ihre eigene Logik einfließen lassen.177 Sie gewinnt einen Eindruck über weitere Relevanzkriterien, die für die Sicherheit der Einlagen, die Durchführung von Geschäftsabläufen und damit für die Vermeidung von Folgeschäden für die Ge-samtwirtschaft von Relevanz sein können.178

Damit haben wir eine theoretische Vorstellung davon entwickelt, wie sich die Wahrnehmung der Regulierungsaufgaben durch die Bankenaufsicht in all ihrer Voraussetzungsfülle beschreiben lässt. Anhand der Kombinatorik von Zweck-, Routine- sowie Relationierungsprogrammen lässt sich nun nachvollzie-hen, auf welcher Basis die Bankenaufsicht der widersprüchlichen Aufgabe von dauerhafter Erwartungsstabilisierung und permanenter Selbständerung in der modernen Gesellschaft erst gerecht werden kann. Die Leistungen dieses Arran-gements haben wir dabei bereits mit Blick auf die einzelnen relevanten Beobach-ter, vor allem die Banken, das Publikum des Bankensystems sowie das politische System ausgeleuchtet. Was jedoch bedeuten diese Vorgänge in der Konsequenz für das Bankensystem insgesamt und seine Operationsfähigkeit – vor allem mit Blick auf sein Verhältnis zu anderen Funktionssystemen und dann auch zur Ge-samtgesellschaft? Mit dieser Fragestellung wenden wir uns ein weiteres Stück ab

177 Diese Programme sind jedoch nicht als Formen eines rationalen Diskurses Habermasscher Prä-gung zu begreifen, demnach am Ende eine intersubjektiv nachvollziehbare rationale Lösung erwart-bar ist. Trotz dieser kognitiven Öffnung wird die Aufsicht nicht davon entbunden, im Fall der Fälle (auch gegen die Position der Banken) zu entscheiden und ggf. sogar politische Macht zum Einsatz kommen zu lassen. 178 Komplementär zu den Formen relationalen Verwaltungshandeln lässt sich im Rechtssystem die Herausbildung so genannter prozeduraler Rechtsformen beobachten, die ebenso über die klassischen konditionalen Formen hinausgehen (Callies 1999; Ladeur 1992, 200-205; Ladeur 1994, 103-105). Die Rationalität prozeduralen Rechts flankiert gewissermaßen die Form des Relatierungsprogramms in der Verwaltung und setzt einer strikten Normanwendung dialogische, reflexive Verfahrensformen im Rechtssystem entgegen, die durch die Erwartungen an den Staat als Risikomanager an Relevanz gewinnen (Callies 1999, 83-89).

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118 Kontinuitäten

von einer zweckrationalen/intentionalen Perspektive der Bankenregulierung ab und konzentrieren uns auf abstraktere, gesellschaftstheoretisch bedeutsame Fa-cetten der Bankenaufsicht. Es geht in dieser Betrachtung nicht mehr allein um Aufsicht und Banken, sondern um das Verhältnis von Politik und Recht sowie dem Bankensystem insgesamt, mit dem Ziel, für unsere Fragestellung relevante Veränderungsprozesse in der jüngeren Vergangenheit adäquat thematisieren zu können.

Ausgangspunkt ist dabei die folgende, sehr grundsätzliche systemtheoreti-sche Einsicht: Das Bankensystem operiert zwar einerseits auf der Basis seiner eigenen Logik und bleibt damit für Politik und Recht intransparent. Auf der anderen Seite wird es jedoch durch die gesetzlich formulierten Erwartungen irritiert, genauer gesagt in seinen Freiheitsgraden eingeschränkt. Die Bankenauf-sicht ist als Impuls für derartige Formen der Einschränkungen keine exklusive gesellschaftliche Einrichtung. Es lassen sich zudem viele Mechanismen aufzei-gen, die in analoger Weise die Freiheitsgrade von Systemen einschränken, damit Kontingenz und Unsicherheit reduzieren und auf diesem Weg ihre Stabilisierung ermöglichen. Diese können zwischen Politik und anderen Funktionssystemen wie beispielsweise den Medien oder auch der Wissenschaft beobachtet werden – in derartigen Fällen handelt es sich um weitere Formen öffentlicher Regulierung. Sie sind aber auch zwischen anderen Funktionssystemen, zum Beispiel zwischenMedien- und Wissenschaftssystem als Ergebnis alternativer, funktional äquiva-lenter Kopplungen denkbar. Suchen wir nun nach einem Begriff, mit dem wir im übergeordneten Sinne diese Leistungen zwischen Funktionssystemen beschrei-ben können, fällt der klassische Begriff der ‚Integration’ ins Auge – diesen hat Luhmann reserviert, um eben damit die wechselseitige Einschränkung von Frei-heitsgraden zwischen Funktionssystemen zu beschreiben (Luhmann 1998, 605).

Der Begriff der Integration an dieser Stelle eröffnet sehr vielfältige Anknüp-fungspunkte, und wir werden im Weiteren sehen, dass eine Bezugnahme auf ihn uns bei der Analyse von Globalisierungs- und Entteritorialisierungsprozessen hilfreich sein wird. Jedoch birgt der Begriff zunächst das Risiko, vorschnelle und vielleicht sogar unplausible Verknüpfungen zu anderen sozialwissenschaftlichen Verwendungsformen herzustellen. Aus diesem Grund soll zum Abschluss des Theorieteils seine Klärung vorgenommen werden, die eine missverständliche Lesart im weiteren Verlauf der Argumentation zu vermeiden sucht.

3.2 Zu Begriff und Bedeutung gesellschaftlicher Integration

Gesellschaftliche Integrationsprozesse als Problem und Lösung sozialer Ordnung sind seit jeher ein zentrales Thema der Geistes- und Sozialwissenschaften. Ihre

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Regulierung und Integration 119

Thematisierung und begriffliche Fassung fällt in das Fachgebiet der Soziologie, ist zudem aber auch ein klassisches Forschungsobjekt von Sozialphilosophie, Staatslehre und Politikwissenschaft. Prominente Beispiele dafür sind vor allem die Vertragstheorien von Thomas Hobbes oder auch John Rawls. In diesen war der (analytische) Ausgangspunkt, gewissermaßen der Natur- oder Urzustand, eine Population einzelner Individuen und Gesellschaft dann das gelungene (oder anzustrebende) Ergebnis gesellschaftlicher Integration (Hobbes 1966, 125ff., Rawls, 1979 #149).

In einer soziologischen Einordnung von Integration wurde argumentativ derweilen häufig der umgekehrte Weg beschritten. Hier ging man, vor allem im Kontext von Differenzierungstheorien, von einer wie auch immer integrierten Gesellschaft aus, deren Integrationsmechanismen sich in der Moderne aufgrund funktionaler Differenzierungsprozesse verändern. Integration wurde dabei als Ergebnis sehr verschiedener gesellschaftlicher Prozesse und Phänomene gese-hen. Bei Emile Durkheim waren beispielsweise die Fortschreitung der Arbeits-teilung (Durkheim 1988), bei Talcott Parsons verschiedene Formen der Instituti-onalisierung (Parsons 1951, 36ff.) für Integrationsprozesse mit verantwortlich. Unüberhörbar waren und sind zugleich jedoch auch die Stimmen, die vor allem die Prozesse der Desintegration beklagen, man denke hier an ein Auseinander-driften der Wertsphären bei Weber (Weber 1967, 27f)179 oder – genau gegensätz-lich zur Durkheimschen Konzeption – die Entfremdung des Menschen, nicht zuletzt als das Ergebnis von Arbeitsteilung (Marx 2005, 674). Desintegrierte Gesellschaften sind dann beispielsweise durch Gewalt, die sich in Vereitlungs- und Regulationskonflikten äußert, gekennzeichnet (Heitmeyer 1997, 30f).

Gemeinsam ist den meisten hier aufgeführten Positionen der normative Ge-halt sowie die positive Konnotation des Integrationsbegriffs. Gesellschaftliche Integration wird – so können wir mit der Terminologie Bernhard Peters zusam-menfassen – als Erfolgsbegriff gesehen (Peters 1993, 92). Das Konzept gesell-schaftlicher Integration blieb dabei selbst von Differenzierungsfolgen nicht ver-schont. So fand die von David Lockwood eingeführte Unterscheidung von Sozi-al- und Systemintegration reichlich Widerhall in späteren Konzepten (Lockwood 1964).180 Während sich die Form der Sozialintegration auf die Integration von Individuen in die Gesellschaft bezog, zielte der Begriff der Systemintegration auf die Integration gesellschaftlicher Teilbereiche. Eine vergleichbare Dualität lässt

179 Siehe dazu im Überblick bei Uwe Schimank (Schimank 2005a, 13f.). 180 Siehe zum Beispiel (Giddens 1997, 192-198; Habermas 1995; Mouzelis 1997). Darüber hinaus finden sich in der Literatur noch weitere Vorschläge für Integrationstypen: Uwe Schimank meint, mit der Form der ökologischen Integration sogar noch eine dritte Dimension identifiziert zu haben (Schimank 2005a, 264ff.). Richard Münch unterscheidet zwischen ökonomischer, politischer, kultu-reller, systemischer und solidarischer Integration (Münch 1997).

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120 Kontinuitäten

sich schließlich auch in der systemtheoretischen Position feststellen, wenngleich für diese beiden unterschiedlichen Dimensionen auch unterschiedliche Begriff-lichkeiten gewählt werden. So wird das, was oben unter dem Begriff der sozialen Integration gefasst wird, in der systemtheoretischen Terminologie mit dem Beg-riff der Inklusion beschrieben. Personen werden somit nicht in die Gesellschaft integriert, sondern vielmehr inkludiert (Nassehi 1997a, 120-126). Gegenbegriff ist folglich auch nicht der Begriff der Desintegration, sondern der der Exklusion. Eine zweite Umstellung mit Blick auf dieses Begriffspaar nimmt die Systemthe-orie insofern vor, als dass Personen nicht mehr in die ganze Gesellschaft, son-dern ‚nur’ noch in gesellschaftliche Funktionssysteme, wie Politik, Recht, oder eben – wie wir unter 1.2.2 bereits angesprochen haben – in das Bankensystem inkludiert werden (Stichweh 2005).

Der Begriff der Integration wird dagegen, wie oben bereits thematisiert, da-zu verwendet, eine wechselseitige Reduktion von Freiheitsgraden der Teilsyste-me zu beschreiben. (Luhmann 1998, 603). Mit dieser vergleichsweise reduktio-nistischen Fassung sind zwei Konnotationen vermieden, die in den oben aufge-zeigten Konzeptionen stark gemacht wurden: Zum einen die Vorstellung, dass Integration grundsätzlich besser sei, als Desintegration (1). Zum zweiten die Auffassung, dass es sich bei Integration um eine Integration in die Gesamtgesell-schaft handele (2).

(1) Im Anschluss an Helmut Willke lässt sich zunächst festhalten, dass In-tegration in einem systemtheoretischen Verständnis nach keine zwingend ‚posi-tiven’ Effekte mit sich bringen muss, wie es in normativen Theorien zuweilen suggeriert wird, sondern dass es sich ‚lediglich’ um einen Problemlösungsme-chanismus handelt (Willke 1978), der jedoch – wie wir gleich illustrieren werden – auch Folgeprobleme erzeugen kann. Dieses Theoriedesign, das auf Problembe-arbeitung abzielt, erinnert zunächst an Integrationsvorstellungen, die sich in neofunktionalistischen Ansätzen finden lassen (Mouzelis 1997, 113f). Hier wird Integration unter Kompatibilitätsgesichtspunkten betrachtet. Die Ersetzung des normativen Imperativs durch den der Problemlösung weist dabei für sich allein genommen noch theoretische Schwächen auf. So wird aus konstruktivistischer Sicht kritisiert, dass auf die Frage – kompatibel für wen? – keine befriedigende Antwort gegeben wird. So dass es sich hierbei weiterhin um eine normative Argumentation handele (Perkmann 1998, 498). Mit einem systemtheoretischen Ansatz können wir diesem Einwand entgehen, indem wir die Idee der Problem-lösung beobachtungsabhängig setzen, wobei unter verschiedenen Beobachtern verschiedene Systemreferenzen zu fassen sind.

(2) Damit spielen wir auf den zweiten Aspekt an, der den Unterschied des systemtheoretischen Verständnisses von Integration zu anderen Formen noch in einem weiteren Sinne markiert. Es geht nicht (mehr) um die Lösung objektiver

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Regulierung und Integration 121

Probleme für die Gesamtgesellschaft, sondern um selektive Formen der Prob-lemlösung (und Problemerzeugung). Diese geschehen auf der Basis einer wech-selseitigen Justierung, die zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen stattfindet (Luhmann 1998, 604). So erzeugt eine zunehmend privatwirtschaftlich geförder-te Forschung Integration und Desintegration zugleich: Auf der einen Seite kommt es zu einer Integration von Wissenschaft und Wirtschaft, gleichzeitig jedoch auch zu einer Desintegration von Wissenschaft und Politik. Beziehen wir diese Theoriefigur auf unseren empirischen Fall, so können wir sehen, wie die Freiheitsgrade des Bankensystems fortlaufend durch Politik und Recht einge-schränkt werden. Dies geschieht immer dann, wenn Kreditgeschäfte in ihren Abläufen unter politisch/rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Dies kann durch die Aufsicht, es kann aber auch durch Bankorganisationen gesche-hen, die ihr eigenes Geschäft unter rechtlichen Gesichtspunkten betrachten. In diesen Fällen kommt es zu momenthaften Kopplungen beider Funktionssysteme, und wir sehen wiederum, nun aus einer anderen Perspektive, wie sehr der Typus der Organisation dafür entscheidend ist.181

Derartige Kopplungen lassen sich jedoch auch umgekehrt beobachten. So stellt die zunehmende Staatsverschuldung ein Phänomen dar, das zu einer anstei-genden Integration zwischen Politik und Bankensystem in umgekehrter Richtung führt. Die Freiheitsgrade der Politik – beziehungsweise die der Organisationen im Zentrum des politischen Systems – werden so durch Kreditverpflichtungen eingeschränkt, und politische Entscheidungen haben sich dem Finanzierungsvor-behalt unterzuordnen. Dieses Beispiel verdeutlicht zugleich, dass Integration nicht ausschließlich, wie in vielen anderen Theorien angenommen, über Normen geschieht, sondern dass auch andere Mechanismen integrativ wirken.182 Es zeigt aber auch, dass Integration nicht allein Problemlösungs- sondern auch Problem-erzeugungspotentiale evoziert.

Das Problem der Staatsverschuldung stellt für die Politik zweifellos eine große Herausforderung dar, wird damit doch ihre Handlungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Aber auch die Integrationsmechanismen, die zu Einschränkungen durch Politik und Recht führen, können zu Problemen werden – beispielsweise dann, wenn sich Konstellationen einstellen, die im alltagssprachlichen Sinne als Überregulierung bezeichnet werden. Wenn Operationen des Bankensystems in einem solchen Sinne aufgrund staatlicher Reglementierungen eingeschränkt werden, so dass die Leistungsfähigkeit eigener Reproduktion massiv destruiert wird. Ein solches Problem ließ sich beispielsweise in sozialistischen Gesellschaf-

181 Damit schließen wir an eine Beobachtung an, die wir bereits am Ende von 2.1.3 gemacht haben – dort aber unter einer anderen Fragestellung, der von Funktion und Organisation im Kontext von Unsicherheitsabsorption.182 Zu einer vergleichbaren Einschätzung kommt auch Rudolf Stichweh (Stichweh 2004, 238).

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122 Kontinuitäten

ten mit Blick auf die Wirtschaft im Allgemeinen festmachen. Diese Gesellschaf-ten litten an einer Überintegration von Politik und Wirtschaft, als dort versucht wurde, die Ökonomie auf der Basis politischer Prämissen zu organisieren und dieser damit jegliche Freiheitsgrade zur eigenen Entfaltung nahm.183

Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass mit Integration nicht der direkte regu-latorische Eingriff bezeichnet wird, sondern es sich bei Integration vielmehr um ein (evolutionär mitlaufendes) Ergebnis von Regulierung handelt. Diese begriff-liche Fassung gilt ebenso für den Gegenbegriff der Desintegration. Auch die ‚Entfesselung’ von Funktionssystemen, wie wir sie für den Bereich der Finanz-ökonomie skizzieren werden, ist nicht die unmittelbare Folge einzelner systemi-scher Operationen, sondern das Ergebnis einer Neujustierung der Funktionssys-teme untereinander, die das Verhältnis zu Politik und Recht, aber beispielsweise eben auch das zur Wissenschaft, berührt. Eine derartige analytische Trennung von Regulierung und Integration wird uns im folgenden Abschnitt hilfreich sein, die Operationen einzelner Funktionssysteme vor dem Hintergrund transsystemi-scher Integrationsprozesse zu verstehen. Sie eröffnet die Möglichkeit zu Einsich-ten über die Frage, inwieweit die Veränderung der gesellschaftlichen Integrati-onspotentiale modifizierte Formen der Bankenregulierung nach sich ziehen, deren Augenmerk sich nun in besonderer Weise auch auf die Organisation rich-tet.

183 Siehe dazu beispielsweise bei Detlef Pollack, der im Falle der DDR sogar soweit geht, gesell-schaftliche Funktionsbereiche in Analogie zu organisationalen Charakteristika zu setzen und u.a. darüber ihr Scheitern erklärt (Pollack 1990).

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III Diskontinuitäten

Primäres Ziel des vorangegangenen Theorieteils war es, die grundsätzlichen Charakteristika der modernen Gesellschaft herauszustellen, die für die Beschrei-bung des Paradigmenwechsels notwendig sind. Auch wenn wir bereits in einem historischen Exkurs auf Phänomene sozialen Wandels hindeuteten (2.2.1). Im Zentrum stand bisher die Darstellung einer besonderen Kontinuität: die Konti-nuität der modernen Gesellschaft, wie sie sich in ihrer funktionalen Ausdifferen-zierung sowie einer ausgeprägten Organisationsbildung darstellt. Diese theoreti-sche Fundierung wird sich im Weiteren als wertvoll erweisen. Wir besitzen da-mit Möglichkeiten, das Verhältnis von Funktions- und Organisationssystemen hinsichtlich der Unsicherheits- und Risikobearbeitung, aber auch mit Blick auf das Verhältnis von Politik, Recht und Bankensystem nachzuvollziehen. Für ein Verständnis der Veränderungsdynamiken aber, wie sie gemäß unserer Aus-gangsvermutung möglicherweise im Kontext der Bankenaufsicht beobachtet werden können, reicht eine Klärung dieser grundlegenden sozialen Kontinuitäten allein nicht aus.

Im folgenden Teil geht es deshalb nun um etwas anderes. Ziel ist es hier, die zentralen Dynamiken und daraus resultierende Diskontinuitäten zu verstehen, die sich innerhalb dieses sozialen Rahmens vollziehen, sich in die Ordnung der modernen Gesellschaft einschreiben und den Paradigmenwechsel der Aufsicht mit befördern.184 Dazu wollen wir – an Kapitel 3 anknüpfend – unser Augen-merk zunächst auf das politische System richten und herausarbeiten, welche Strukturveränderungen sich hier beobachten lassen. Diese Vorgehensweise ist zum einen der Idee einer thematischen ‚Anschlussfähigkeit’ geschuldet. Noch wichtiger aber ist zum zweiten die folgende Überlegung: Im Rahmen eines sys-temtheoretischen Ansatzes liegt es nahe, die Veränderungsdynamik zunächst im System185 selbst zu suchen und zu identifizieren. Dieses Vorhaben wird die Auf-gabe für das folgende Kapitel 4 darstellen. Wir werden zeigen, in welcher Weise sich suprastaatliche Institutionen und zugleich spezifische Formen politischer Kommunikation im Bereich der Bankenregulierung herausbilden, die einen glo-

184 Damit folgen wir vom Ansatz her einem Zugriff auf die Gesellschaft, wie er sich in modernisie-rungstheoretischen Ansätzen, z.B. bei Anthony Giddens (Giddens 1990, 4) akzentuiert wieder findet. 185 Dies kann, wenn es sich um Regulierung handelt, nur das politische System sein.

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balen Beobachtungszusammenhang in diesem Politikfeld konstituieren. Anhand der Themenwahl sowie der Selbstpositionierung dieser Kommunikations- und Beobachtungsformen lässt sich dabei bereits erkennen: Die Beobachtung dieser Probleme findet zwar innerhalb der Politik statt. Zugleich handelt es sich dabei um Probleme, die durch Irritationen aus der Umwelt der Politik hervorgerufen werden. Um Irritationen welcher Art handelt es sich dabei? Was sind ihre Ur-sprünge? Diesen Fragen werden wir uns in den Kapiteln 5 und 6 eingehend widmen. Dabei werden wir auf tiefer liegende Diskontinuitäten stoßen, die diese politischen Prozesse der Regulierung erst plausibel machen. Im Sinne einer funk-tionalen Analyse gilt es also herausarbeiten, auf welche Herausforderungen, auf welche gesellschaftlichen Diskontinuitäten die Genese supranationaler politi-scher Kommunikation im Feld der Bankenregulierung reagiert. Dabei wird deut-lich werden: Die Bedingungen für eine leistungsfähige Form der Bankenaufsicht haben sich insbesondere in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in bedeutsamer Weise gewandelt.

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4 Die Konstitution internationaler Aufsicht

In Kapitel 3, in dem es um die Funktion von Regulierung ging, nahmen wir in selbstverständlicher Weise eine staatszentrierte Perspektive ein. Im Zuge unserer Aufgabenbeschreibung von Bankenaufsicht stützten wir uns auf eine Textpassa-ge aus dem bundesdeutschen KWG. Zugleich führten wir Regulierungsinstanzen wie selbstverständlich als nationalstaatliche Regulierungsinstanzen ein. Für eine solche Konzeption gibt es gute Gründe. Allen voran lässt sich mit der System-theorie argumentieren, dass das weltpolitische System eine segmentäre Binnen-differenzierung in Staaten aufweist. Allein Staaten halten demnach die Kapazitä-ten für das Treffen kollektiv bindender Entscheidungen bereit und ermöglichen auf diese Weise die Schließung und Reproduktion des politischen Systems (Luhmann 2000a, 83f.). Dies bedeutet weiter: Auch die Kapazitäten für eine Implementierung von Entscheidungen verbleiben weiterhin bei den nationalstaat-lichen Verwaltungen.186 Wie aber steht es mit dem Verhältnis der Staaten sowie der Regulierungsbehörden zueinander? Welche Relevanz besitzen politische Entscheidungen und Regulierungsformen des einen Staates für einen anderen Staat? Lassen sich darüber hinaus auch Formen politischer Kommunikation jenseits der nationalstaatlichen Ordnung denken? Auf diese Fragen können unter alleiniger Bezugnahme auf das Prinzip seg-mentärer Differenzierung keine Antworten gefunden werden. Ihm zufolge ließe sich ‚lediglich’ argumentieren, dass sich die Aufmerksamkeit eines Staates dann auf die Operationen eines anderen Staates richtet, wenn die Berührung, Ein-schränkung oder gar Destruierung der eigenen Kapazitäten kollektiv bindender Entscheidungen erwartet wird. Formen der Koordinierung nationalstaatlicher Politiken oder gar die Entstehung supranationaler Politik dürften dagegen als eher unwahrscheinlich betrachtet werden. Eine solche Einschätzung findet ihre Entsprechung in Teilen der Politikwissenschaft, allen voran in der realistischen Schule der internationalen Beziehungen.187 Zwar lässt sich in diesem Verständnis das Verhältnis der Staaten nicht als kontaktloses Nebeneinander bezeichnen. Sie begreifen sich als Konkurrenten um Territorium, Einfluss und andere Ressour-

186 Hier ist immer noch die Idee vom Staat als einer organisierter Wirkungseinheit“ von Hermann Heller instruktiv (Heller 1934, 231f). 187 Siehe dazu im Überblick bei Menzel (Menzel 2001, 20ff.).

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cen. Zentrales Merkmal des internationalen politischen Systems ist dabei jedoch seine anarchische Struktur. Formen der wechselseitigen Koordinierung oder einer Konstitution supranationaler eigenständiger politischer Strukturen werden dagegen in diesem Ansatz wenig Relevanz beigemessen. Diese Aspekte fungie-ren allenfalls als ‚Folklore’ der eigentlichen Machtpolitik, die von miteinander konkurrierenden Staaten betrieben wird, denen es um die Durchsetzung ihrer Interessen geht. Gegen diese Einschätzung ließen sich verschiedene alternative sozialwis-senschaftliche Positionen in Stellung bringen, man denke nur allein an die idea-listische Denktradition und im weiteren dann an Ansätze des Neoliberalismus, Neoinstitutionalismus oder auch der Interdependenztheorie (Menzel 2001, 163). Aber auch empirisch – ohne Rückgriff auf alternative theoretische Konzepte – lassen sich kontrastierende Beschreibungen anfertigen. Wir werden dies im Fol-genden mit Blick auf unser konkretes Feld der Bankenregulierung unternehmen. Dabei werden sich Prozesse zeigen, die erstens nicht mit der Idee einer staatli-chen Segmentierung politischer Kommunikation zu beschreiben sind und die zweitens über die Vorstellung eines bloßen Konkurrenzverhältnisses zwischen Staaten hinausgehen. Zumindest im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts bilden sich Strukturen politischer Kommunikation heraus, die für eine Ergän-zungsbedürftigkeit dieser Perspektive und für emergente supranationale politi-sche Regulierungsstrukturen sprechen. Diesen Beiträgen, ihrer operativen Logik und Selbstpositionierung sowie den dahinter stehenden Institutionen wollen wir uns im Folgenden zuwenden. Dabei werden wir eine sehr detaillierte Rekon-struktion der Texte des Baseler Komitees unter Bezugnahme auf inhalts- und gattungsanalytische Konzepte vornehmen (Günther/Knoblauch 1994; Mayring 2003). Man mag einwenden, dass es sich dabei ja ‚nur’ um ‚Formulierungen’ handelt, aus denen wir unsere Schlüsse zur Positionierung und Selbstpositionie-rung der Institution stellen. Dem werden wir entgegenhalten, dass unter kommu-nikationstheoretischen Gesichtspunkten gerade ‚Formulierungen’ in ihrer Per-formativität nicht zu unterschätzen sind. Sie erst sichern, ermöglichen und ver-hindern die Bildung bestimmter Erwartungsstrukturen und damit auch bestimmte Formen der (kommunikativen) Anschlussfähigkeit.188

188 Dieses Argument wird in Abschnitt 7.1 noch deutlich ausgeführt, wo wir – mit Blick auf unsere hermeneutische Analyse in 7.2 und 7.3 – die Wirkungsmächtigkeit von Kommunikation im Allge-meinen und editierten Text im Besonderen herausstellen.

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4.1 Zur Institutionalisierung eines internationalen Bankenregulierungs-regimes

Der Bereich der Bankenregulierung ist nicht der erste und schon gar nicht der einzige Politikbereich, in dem es zur Herausbildung internationaler Regime und Institutionen kam. Die Gründung des Völkerbunds nach dem ersten Weltkrieg ist nur ein prominentes Beispiel für die Versuche der Politik, über nationalstaatliche Segmente hinaus mit Blick auf bestimmte Problemlagen zu staatenübergreifen-den Lösungen zu kommen. Für den supranationalen Austausch bankaufsichtli-cher Fragen wurde so auch zunächst die Infrastruktur einer Organisation in An-spruch genommen, die eigentlich für ganz andere Aufgaben bestimmt war: Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS).

Keimzelle und Dach globaler Aufsicht – Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich

Diese Bank für Internationalen Zahlungsausgleich war im Jahr 1930 mit dem Ziel gegründet worden, die Reparationszahlungen von Deutschland und Öster-reich an die Siegermächte des ersten Weltkrieges nach veränderten Grundsätzen zu koordinieren.189 Mitglieder und Eigentümer dieser Organisation waren dabei die Zentralbanken von Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Ita-lien, Japan und die Vereinigten Staaten von Amerika.190 Als Sitz der Bank wähl-ten die Zentralbanken die Stadt Basel in der politisch neutralen Schweiz, womit ein erstes Zeichen für die Unabhängigkeit der Organisation gegenüber national-staatlichen Politiken gesetzt wurde (Bis 2007b).

Die Koordinierungen der Reparationszahlungen stellte jedoch nur die pri-märe Funktion dar, die die Bank für Internationale Zusammenarbeit für das in-ternationale Bankensystem erfüllte. Zugleich lässt sich für die BIS – wie Duncan Wood deutlich macht – seit ihrer Gründung auch eine sekundäre Funktion aus-machen: die Kooperation zwischen den Zentralbanken in anderen Fragen der Finanzökonomie (Wood 2005, 24) und dementsprechend möglicherweise auch Fragen der Bankenregulierung. Seit den dreißiger Jahren fanden – die Jahre des zweiten Weltkriegs ausgenommen – monatliche Treffen mit Vertretern der Zent-

189 Die Krisen im Bankensystem in den 1920er Jahren sowie der Börsenkrach im Jahr 1929 hatten Spuren hinterlassen. Zu einem Teil wurden diese ökonomischen Probleme auch darauf zurückführt, dass Deutschland und Österreich ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen konnten, so dass nach Möglichkeiten gesucht wurde, eine realistische, langfristigere Perspektive zu erarbeiten (Wood 2005, 24). 190 An dieser Stelle erweist sich bereits unser Ansatz, internationale Organisationen nicht auf Staaten zu reduzieren, als nachvollziehbar, genießen doch Zentralbanken in vielen Ländern eine Unabhän-gigkeit, die diese doch in Differenz zu Regierungen rückt.

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ralbanken statt (Bis 2007a). In der Nachkriegszeit kam der BIS dann die Aufgabe zu, an der Stabilität der Architektur mitzuwirken. Auch wenn das Thema Ban-kenregulierung die Möglichkeit besaß, einen Platz auf der Agenda dieser Treffen zu besetzen. Derartige Themenkomplexe waren in dieser Phase faktisch noch von untergeordnetem Interesse. Dies änderte sich erst zu Beginn der 70er Jahre und dem Ende des so genannten Bretton Woods Systems, das die Architektur des Finanzsystems in der Nachkriegsära prägte.191 Vor allem die Schließung zweier Kredithäuser – der deutschen Herstatt Bank sowie der größeren amerikanischen Franklin National Bank – beförderten diesen Prozess (Kapstein 1996, 39). In den Blickpunkt rückten Befürchtungen, denen nach das Bankensystem fortan im globalen Maßstab von derartigen Ereignissen betroffen sein könnte.

Das Ende (von Bretton Woods) als Anfang (globaler aufsichtlicher Koordinierung)

Auch als Ergebnis dieser Befürchtungen wurde im Jahr 1974 das ‚Standing Commmittee on Banking Supervision on Banking Regulations and Supervisory Practices’, ins Leben gerufen (Wood 2005, 44).192 In diesem Komitee stellte die Regulierung des Bankensystems in den Nationalstaaten nicht mehr ein Thema unter vielen Themen, die mit dem Finanzsystem zusammenhingen, dar. Es avan-cierte zum Kernthema, dem sich dieses neue Organ fortan widmete. Im Zuge dieser Fokussierung kam es zu institutionellen Veränderungen. Zum einen nah-men nun neben den Vertretern der Zentralbanken die Repräsentanten weiterer Aufsichtsbehörden an den Treffen teil. Da in einigen Ländern wie den USA oder auch Deutschland nicht nur die Zentralbanken, sondern auch weitere, speziali-sierte Aufsichtsinstitutionen193 an der Bankenaufsicht beteiligt sind, wurde das Gremium um diese Organisationen erweitert.194 Zum zweiten wurde ein ständi-ges Sekretariat für den Ausschuss eingerichtet, so dass eine kontinuierliche Ar-beit des Komitees ermöglicht wurde (Wood 2005, 45).

Die so auf den Weg gebrachten Prozesse lassen dabei zwei Vermutung zu, die unsere Vorstellung supranationaler politischer Kommunikation stützt: Zum einen könnten wir es mit der Bildung eines globalen Regimes zu tun haben, wel-ches nicht allein konfrontativ angelegt ist, nicht allein das (von der realistischen

191 ‚Bretton Woods’ wird an dieser Stelle zunächst unreflektiert eingeführt, jedoch insbesondere in Abschnitt 5.1 noch umfassend erläutert. 192 Es handelt sich dabei um das Organ, welches ab 1989 in das heute bekannte Basel Committee on Banking Supervision umbenannt wurde. 193 Beispiele dafür sind in den USA OCC, in Deutschland ist hier die Bundesaufsicht für Finanz-dienstleistung (BaFin) zu nennen. 194 Zudem wurden mit Luxemburg, der Schweiz und Spanien die Aufsichtsvertreter weiterer Staaten aufgenommen.

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Schule angenommene) Konkurrenzverhältnis der Staaten untereinander auf einer höheren Ebene ausdrückt, sondern sich stattdessen zur Bearbeitung multistaatlich beobachteter politischer Probleme konstituiert.195 Darüber hinaus gibt es zum zweiten Argumente dafür, dass der Ausschuss auch nicht allein als die Summe der nationalstaatlichen Interessen gesehen werden kann. Die Divergenzen in der Mitgliedschaft zwischen BIS und Baseler Komitee sowie die Einrichtung eines eigenständigen Sekretariats sprechen dafür, dass wir es mit der Bildung einer eigenständigen Organisation zu tun haben, die dann als formale Organisation auch eigene Entscheidungsprämissen produziert.196 Wenigstens eine Differenzie-rung innerhalb der BIS in verschiedene Abteilungen und Stellen ist angesichts dieser Ausprägungen schwer bestreitbar. Doch welcher Aufgabe sah sich das Komitee gegenüber, die sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu bearbeiten ge-dachte? Welches Thema rechtfertigte die Konstituierung eines neuen Gremiums dieser Art? Es ist vor allem die Stabilisierung des internationalen Bankensys-tems, der sich das Baseler Komitee annahm und die – wie Duncan Woods zu-sammenfasst – über drei Aspekte mit realisiert werden sollte:

”1. by studying the international banking system, and developments in that system in the way of technology, innovation and national policies, and publishing papers on the committee’s findings; 2. by maintaining surveillance of the international banking system and tracking problems as they develop; 3. by negotiating agreements between member states to increase cooperation and harmonization between national regulators, as well as eliminate gaps in the supervi-sion of international banking systems“ (Wood 2005, 46).

195 Die Konstitution derartiger Formationen ist vor allem in der neoliberalen Regimetheorie ausgear-beitet worden. Jenseits seiner segmentären Differenzierung in Nationalstaaten – so lehrt uns der neoliberale Ansatz – herrschen im weltpolitischen System nicht allein Anarchie und damit dann eine Formation des ‚jeder gegen jeden’. Stattdessen lässt sich die Genese und Reproduktion von globalen Regimes beobachten, die über „principles, norms, rules and decision-making procedures around which actor expectations converge in a given issue-area“ (Krasner 1982, 185) definiert werden können. Es sind diesem Verständnis nach zwar immer noch die Nationalstaaten, die als zentrale Größen in diesen Regimen zusammenkommen und an Beschlüssen mitwirken. Gleichzeitig deutet sich an dieser Stelle die Möglichkeit an, dass am Ende von Verhandlungen Ergebnisse produziert werden, die sich nicht allein auf die Interessen einzelner Staaten zurückrechnen lassen. Regime dienen in dieser Perspektive einer gemeinsamen Problembearbeitung bzw. der Erhöhung eines Ge-samtnutzens aller Beteiligten – eine Hypothese, die vor allem auf der Basis spieltheoretischer Ansät-ze (Stein 1982, 304ff.) als auch rational-choice orientierter Konzepte mit utilitaristischem Bezug (Keohane 1982) untersucht wurde. 196 Das Argument der Autonomisierung internationaler Organisationen über die Orientierung von Entscheidungen an Entscheidungen hat Martin Koch herausgearbeitet (Koch 2007).

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Diese Punkte verdeutlichen eine heterogene Aufgabenstruktur, der sich das Base-ler Komitee gegenübergestellt sah. Einerseits fokussierte seine Arbeit auf die Erzeugung von Informationen über Entwicklungen im globalen Bankensystem sowie unterschiedliche nationalstaatliche Formen seiner Regulierung. 197 Vor allem die ersten beiden Punkte unterstreichen diesen Informationsbezug.198 Der dritte Punkt macht dagegen deutlich, dass das Baseler Komitee nicht allein als Diskussionsforum mit wissenschaftlichem Anspruch verstanden werden kann. Er zeigt an, dass darüber hinaus auch die Erarbeitung und Proklamierung politischer und rechtlicher Normen und Regeln im Aufgabenbereich des BCBS zu verorten sind.

4.2 Zur kommunikativen Selbstpositionierung des Baseler Komitees

Des Ausschusses erstes Dokument – das Baseler Konkordat

Dieser weitergehende Anspruch spiegelte sich auch in dem Papier wieder, wel-ches als erstes gemeinsames Dokument des Baseler Komitees gilt – das so ge-nannte Baseler Konkordat (BCBS 1975). Zwar lässt der offizielle Titel dieses Papiers199 offen, um welche Form der Kommunikation es sich dabei handelt. Der Begriff des ‚Report’ kann auf ganz unterschiedliches verweisen: auf wissen-schaftliche Gutachten, auf ein journalistisches Textdokument, oder auch auf

197 Derartige Formen des Informations- und Erfahrungsaustausches findet dabei nicht exklusiv in formalen Organisationen, sondern vor allem auch in so genannten Policy-Netzwerken statt, die weniger deutlich instituionalisiert sind. Zur Bedeutung und Spezifität von Policy Netzwerken (siehe z.B. Zürn 1998). Torsten Strulik macht deutlich, in welcher Weise der Baseler Ausschuss diese vergleichsweise lose gekoppelte Form des Netzwerkes nutzt, um auch mit anderen Organisationen (z.B. dem International Accounting Standards Comimittee) zu kommunizieren und wechselseitig von Informationen und Erfahrungen zu profitieren (Strulik 2000, 208f.). 198 Dieser Punkt ist vielleicht auf den ersten Blick strittig, schließlich ist der Status von Zentralbanken nicht zweifelsfrei geklärt. Politik oder doch Bankensystem? Die Primärorientierung dieser Organisa-tion ist – vielleicht ähnlich wie im Falle der Universität – nicht entscheidbar. Da es jedoch in diesem Fall um Regulierungsaspekte geht, erscheint es angemessen, die hier getätigten Kommunikationen der Politik ‚zuzuschlagen’. 199 Der Titel lautet: „Report to the Governors on the supervision of banks’ foreign establishments“. Noch aufschlussreicher ist jedoch der inoffizielle aber bekanntere Titel des ‚Konkordats’, mit wel-chem im ursprünglichen Sinne allein Staatskirchenverträge zwischen einem Staat und einer Religi-onsgemeinschaft bezeichnet werden (siehe dazu beispielsweise Beyhl 1925). Diese nahezu abwegige Verwendung des Begriffs im Zusammenhang eines bankaufsichtlichen Textes deutet an, dass wir es mit einem Typus von Regulierungstext zu tun haben, der sich nicht in bisherige Kategorien einordnen lässt.

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politische Fachgremien. Bereits der erste Satz der Einleitung200 erzeugt jedoch dann Erwartungsstrukturen, die den Rahmen des wissenschaftlichen/ journalisti-schen Textes im Grunde ausschließen:

”The object of this report is to set out certain guidelines for co-operation between national authorities in the supervision of ‚banks’ foreign establishments, and to sug-gest ways of improving its efficacy“ (BCBS 1975.).

Der Begriff der „Guidelines“ deutet darauf hin, dass es hier nicht um eine Beo-bachtung des Bankensystems und ihren Herausforderungen, aber auch nicht um eine bloße Beobachtung nationalstaatlicher bankaufsichtlicher Verfahren geht. Erwartet werden darf stattdessen die Formulierung bestimmter Prinzipien oder Regeln, für deren Befolgung in Regulierungskontexten argumentiert wird. Wir haben es somit nicht allein mit Information, sondern auch mit Mitteilung zu tun. Der proklamatorische Charakter des Papiers setzt sich an weiterer Stelle fort. Im Abschnitt „the need for co-operation“ ist von „duty“ die Rede, die Nationalstaa-ten besitzen.201 Der Aspekt Kooperation, der in diesem Papier im Zentrum steht, bezieht sich somit nicht mehr allein auf die Kooperation innerhalb des Baseler Komitees, auf den Austausch von Informationen und Erfahrungen im Rahmen dieses Gremiums. Stattdessen thematisiert er Prozesse des bilateralen Austau-sches zwischen einzelnen Aufsichtsbehörden, um die Zusammenarbeit den Her-ausforderungen multinationaler Bankorganisationen anzupassen. Das Baseler Konkordat spannt somit einen Erwartungs- und Möglichkeits-raum auf, in welchem eine Veränderung politischer Regulierung impliziert ist. So genügt es diesem Papier nach für die Bankenaufsichten nicht mehr, allein die Sicherung der Einlagen und die ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfts-abläufe in den jeweiligen Nationalstaaten zu gewährleisten. Auch die Fokussie-rung auf eine Kontrolle der jeweiligen Staatsgrenzen und grenzüberschreitenden Kapitalflüsse reicht – so suggeriert es dieses Papier – allein nicht mehr aus. Stattdessen wird ein Modus als erstrebenswert gesetzt, den Wolfgang Reinicke als eine Entkopplung der internen Souveränität von ihrer Territorialität bezeich-net (Reinicke 1998, 85). Es geht um die partielle Überwindung der segmentären Struktur des politischen Systems hin zu einer Ordnung, die sicherstellt, „that no foreign banking establishment escapes supervision“(BCBS 1975, 1). Ziel dieser

200 Mit dem Begriff der Einleitung ist jedoch auch nahezu ausgeschlossen, dass es sich um einen klassischen rechtlichen oder politischen Text, beispielsweise einen Gesetzestext handelt, kann dieser doch auf die Einrichtung einer Einleitung verzichten. 201 Die gesamte Textstelle lautet: „It is also agreed that each country has a duty to ensure that foreign banking establishments in its territory are supervised;“ (BCBS 1975, 1).

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Aktivitäten ist damit eine politische Einschränkung finanzökonomischer Frei-heitsgrade in einem globalen Ausmaß.

Dabei stehen nicht allein die globalen Zahlungsflüsse sowie grenzüber-schreitende Kreditverflechtungen im Fokus, sondern bereits die Bank als globale Organisation. In den Fokus rückt das regulatorische Problem, dass Banken über Adressen in mehreren Staaten und damit in unterschiedlichen Regulierungskon-texten verfügen. Diese Asymmetrie sorgt dafür, dass für die jeweilige Aufsichts-institution nur eine ausschnitthafte Regulierung von Banken möglich ist. Dass Konkordat plädiert – darauf reagierend – für Kooperation zwischen dem Aufse-her des Landes, in welchem der Unternehmenssitz der Bank beheimatet ist und der Aufsicht des Landes, in welchem eine Dependance angesiedelt ist.

So deutlich die hier formulierten Erwartungen damit anzeigen, welche Ver-änderungen (aus Sicht der Politik) als notwendig angesehen wurden: Die fakti-schen Auswirkungen auf die Regulierungspraxis in den Nationalstaaten erwiesen sich als begrenzt. Anhaltspunkte dafür lassen sich bereits im Dokument selbst finden. So wird in diesem auf eine Ausarbeitung konkreter Regulierungsformen in den Nationalstaaten verzichtet. Zwar wird das „ob“ einer Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden zur Beaufsichtigung globaler Banken grund-sätzlich bejaht. Das „wie“ einer Regulierung wird dabei jedoch nicht konkreti-siert. Einen gemeinsamen Bezugspunkt einer möglichen Form der Regulierung bleibt das Konkordat schließlich schuldig. Damit wird ersichtlich: Auch wenn sich die Einigung auf dieses gemeinsame Papier vielleicht ‚positiv’ auf die Insti-tutionalisierungsprozesse des Komitees ausgewirkte und seine interne Struktur auf globaler Ebene festigte (Wood 2005, 54). Für die nationalstaatlichen Regu-lierungssysteme brachten diese Prozesse – wie Ethan Kapstein verdeutlicht – nahezu keine Konsequenzen (Kapstein 1996, 45). Kapsteins Einschätzung nach war ein bedeutsamer Grund in der hohen Heterogenität der nationalstaatlichen Regulierungssysteme zu sehen. Auf diese Heterogenität stützte sich damit die Erwartung, dass die Installation vergleichbarer Prinzipien und Regelsysteme wenig realistisch erschien und somit der Versuch bereits unterblieb.

Was dagegen zunächst stattfand, kann als eine „general education about how banks were supervised within member countries“ bezeichnet werden (Kap-stein 1996, 45). Somit ging es – nehmen wir Kappsteins Terminologie beim Wort – erst einmal darum, in ‚pädagogischer’ Weise die Heterogenitäten des Bankensystems zu thematisieren und zu reflektieren.202 Dieser Beschreibung

202 Nachvollziehbar ist daher auch, dass das Baseler Konkordat mit dem Zusatz „confidential“ verse-hen wurde (BCBS 1975, 1) und dies auch noch einige Jahr blieb. Aufgabe dieses Komitees war es eben noch lange nicht, Prinzipien oder Regelwerke zu erarbeiten und diese den nationalen Gesetzge-bern mit der Bitte um Ratifizierung anzutragen bzw. in die entsprechenden Verwaltungsverordnun-gen zu übernehmen.

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folgend wird so verständlich, warum das Baseler Konkordat noch keine Darstel-lung konkreter Regulierungsformen oder beispielsweise die Festlegung von Grenzwerten enthält, sondern zunächst einen gemeinsamen Problembereich definiert.203 Im Fokus des Papiers steht allein die Kooperation der Aufsichtsbe-hörden. Die Frage danach, wie die Sicherung von Einlagen, die Gewährleistung von Solvenz – die in den Ländern signifikant divergiert – auszusehen hat, bleibt dagegen unbeantwortet.

Zwischen Information und Mitteilung – zur oszillierenden Argumentationslogik des BCBS

Dies ändert sich partiell mit der nächsten Veröffentlichung, welche das Baseler Komitee auf den Oktober 1978 datiert. Dabei handelt es sich um „Consolidation of banks’ balance sheets: aggregation of risk-bearing assets as a method of su-pervising bank solvency“ (BCBS 1978). Dieser Text unterscheidet sich hinsicht-lich seines Inhalts aber auch seinem Duktus nach vom Baseler Konkordat in beträchtlichem Maße. Statt eines Regelwerkes, welches die (zu verbessernde) Kooperation zwischen den nationalen Bankaufsehern behandelt, geht es in die-sem Papier bereits um konkrete Regulierungsformen: Thematisiert werden die Bedeutung einer angemessenen Eigenkapitalausstattung der einzelnen Banken sowie Formen einer Aggregation von Risikokapital – ein Vorgang, der als wich-tiges Instrument der Bankenaufsicht betrachtet wird (BCBS 1978, 1).

Der Text weicht somit unter inhaltlichen Gesichtspunkten vom Baseler Konkordat ab. Jedoch auch mit Blick auf den Duktus sowie die Argumentations-logik zeigen sich signifikante Unterschiede. Während das Konkordat mit einem primär proklamatorischen Charakter einsteigt, beginnt dieses Dokument mit einer Relevanzmarkierung in eigener Sache. Es verweist zunächst auf fremde Autoritäten, nämlich auf Bankenaufsichten in der ganzen Welt und thematisiert Entwicklungsdynamiken in den entsprechenden Staaten.204 Dass das Papier so-mit zunächst nicht (selbstreferentiell) Beschlüsse oder Ansicht des Komitees mitteilt, sondern (fremdreferentiell) über Entwicklungen bei den Aufsichtsbe-hörden informiert, ist kennzeichnend für das gesamte Dokument. Auch im Fol-

203 Es ging somit auch darum, eine Definition zu finden, was als Regulierungsobjekt der Bankenauf-sicht anzusehen ist. Das Papier unterscheidet hier zwischen „branches which are integral part of a foreign parent bank, subsidearies, which are legally independent institutions incorporated in the country of operation and controlled by one foreign parent bank; and joint ventures, which are legally independent banks incorporated in the country of operation and controlled by two or more parent institutions, most of which are foreign and not all of which are necessarily banks.“ 204 So lautet der erste Satz: „Supversisory authorities all over the world have become increasingly aware in recent years of the need, in assessing the soundness of banks and the adequacy of their capital“ (BCBS 1978, 1).

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genden haben wir es zunächst mit einer 2 1/2 Seiten langen „Analysis“ zu tun, der schließlich knappe Schlussfolgerungen angestellt werden. Das Papier besitzt damit einen informativen Charakter, der mit der Form ‚Analyse-Schluss-folgerungen’ Anleihen an wissenschaftliche Textformen unternimmt. Auch die anschließende ‚schlichte’ Präsentation bestehender Aufsichtspraktiken in 14 Ländern unterstreicht diese Textgattung.205

Eine Betrachtung der ersten beiden Dokumente des Baseler Komitees lässt die doppelte (kommunikative) Ausrichtung des Baseler Komitees erkennen, welche bereits oben sichtbar wurde (s.o.). Einerseits werden kommunikative Beiträge erzeugt, in welchen vor allem der Informationsaspekt der Kommunika-tion die privilegierte Grundlage für Anschlussoperationen darstellt (BCBS 1978).206 Zum zweiten lassen sich Beiträge finden (wie das Konkordat), die spe-zifische Normen und Prinzipien mitführen und die damit insbesondere unter Bezugnahme auf die Mitteilungskomponente verstanden werden dürften.207 We-der das Baseler Konkordat noch das Dokument über „Consolidation for banks’ balance sheets“ sind dabei als Ausnahmedokumente anzusehen. Die Oszillation zwischen Information und Mitteilung lässt sich schließlich auch an weiteren veröffentlichten Papieren des Komitees nachzeichnen.208

Diese doppelte Orientierung wirft die Frage nach dem Zusammenhang bei-der kommunikativer Formen auf: Gehen wir davon aus, dass es sich bei diesem Gremium um einen Kommunikationszusammenhang handelt, der primär weder

205 Die Unterscheidung verschiedener Textgattungen findet ihre Entsprechung in der Methodologie der qualitativen empirischen Sozialforschung, wo sich die ‚Gattungsanalyse’ als eigenständige For-schungsmethode herausgebildet hat. In unserem Fall dürfte vor allem die „Außenstruktur“ kommuni-kativer Muster ausschlaggebend sein. Siehe dazu bei Susanne Günther und Hubert Knoblauch (Gün-ther/Knoblauch 1994, 711, 711f.). 206 Siehe dazu vor allem die Arbeiten von Ernst B. und Peter M. Haas, die – mit unterschiedlichen Nuancen – aufgezeigt haben, in welcher Weise sich in diesem Kontext spezifische Organisationen und Policy-Netzwerke herausgebildet haben. Haas und Haas haben in diesem Zusammenhang den Begriff der Epistemic Communities stark gemacht (z.B. Haas 1990, 40-46). Diese Epistemic Com-munities zeichnen sich dabei durch ein hohes Maß an expertokratischem Wissen sowie durch ein hohes Selbständerungspotential aus. Wir erhalten an dieser Stelle somit – im Anschluss an Abschnitt 3.2 – einen weiteren Hinweis darauf, auf welche Weise Lernpotentiale der Politik erzeugt werden – nämlich durch derartige Institutionen, deren kommunikative Beiträge spezifische Informationen für nationalstaatliche Institutionen erzeugen. 207 Die Unterscheidung von Information und Mitteilung verhält sich dabei analog zu der Unterschei-dung von Erleben und Handeln (Luhmann 1998, 335). Diese empirische Betrachtung trifft sich mit empirischen Beobachtungen von Ethan Kapstein zur Ausrichtung des Baseler Komitees (Kapstein 1992, 268). 208 Beispiel für die Präferierung der Mitteilungsebene ist so das „Zulassungsverfahren für ausländi-sche Bankniederlassungen“ aus dem Jahre 1983 (BCBS 1983), in welchem der „Standpunkt“ und ein „grundlegendes Ziel der internationalen Zusammenarbeit von Aufsichtsbehörden“ formuliert werden. Ein Beispiel für die informationsorientierten Beiträge stellt das Papier „Die Behandlung nichtbilanz-wirksamer Risiken“ dar (BCBS 1986).

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an der Erzeugung wissenschaftlicher Wahrheit, noch an der schlichten (massen-medialen) Verbreitung von Informationen orientiert ist, so erscheint vor allem die informative Seite des Komitees begründungsbedürftig.209 Zu klären gilt: Auf welches Problem, welche Herausforderungen reagieren diese Publikationen? Einer Antwort auf diese Frage kommen wir näher, wenn wir nochmals das Ver-hältnis internationaler Organisationen wie dem Baseler Komitee zum politischen System rekapitulieren. Es gilt zu bedenken, dass das Baseler Komitee über keine formalen Möglichkeiten verfügt, ihre Prinzipien und Normen in formales Recht überführen zu können (1).210 Die Veröffentlichungen des Baseler Komitees legen jedoch ebenfalls offen, wie mit diesem Dilemma umgegangen wird. Es lassen sich Argumentationsfiguren in verschiedenen Beiträgen beobachten, die in kom-pensatorischer Weise auf das Defizit an formaler Macht reagieren (2).

(1) Aus Perspektive des nationalstaatlichen Souveräns haben wir es im Falle der angesprochenen Papiere – um die vormals getroffene Unterscheidung wieder aufzugreifen – mit ‚peripherer’ politischer Kommunikation zu tun.211 Die Um-setzung in formales Recht, ja selbst die Irritation formalen Rechts und der gel-tenden Regulierungspraxis verlaufen damit – wenn überhaupt – keinesfalls über einen Automatismus. Dieses Dilemma wird selbst zum Thema der verschiedenen Veröffentlichungen des Komitees. Es kategorisiert seine Argumente selbst pri-

209 An dieser Stelle böte es sich vielleicht an, die von Nils Brunsson konzipierte und bei Soziologen beliebte Unterscheidung von talk und action anzubringen (Brunsson 1989, 25ff.) und die informati-onsorientierten Beiträge als talk ‚abzutun’. Dieser Klassifizierung lässt sich folgen, allerdings wäre damit immer noch nicht geklärt, welche Funktion der talk an dieser Stelle einnimmt, woran er an-schließt, welche Erwartungen er bedient. 210 Auch hier lässt sich nochmals auf das systemtheoretische Argument verweisen, das da lautet: Kollektiv bindende Entscheidungen können derzeit allein in den Nationalstaaten getroffen werden – hier allein liegen die Kapazitäten, über formales Recht sowie symbiotische Sanktionsmechanismen (Gewalt) eine Erwartungsstabilisierung herbeizuführen. So sehr internationale Organisationen über besondere Reputation und die Kraft des Arguments verfügen – an den Schneisen der nationalstaatli-chen Gesetzgebungen kommen ihre Beschlüsse nicht vorbei. Zwar lassen sich Beispiele denken, in denen die unveränderte Übernahme globaler Vereinbahrungen in nationale Gesetzgebung als reine Formsache darstellt werden – auch außerhalb des Sonderfalls EU. So weisen Andrew Cortell und James Davis darauf hin, dass internationale Normen und Regelwerke, wie sie von derartigen Organi-sationen konstituiert werden, in besonderer Weise einen Referenzpunkt für nationalstaatliche politi-sche Entscheidungen darstellen. Gerade im Falle von Themen, die als unpopulär und unbequem gelten, kann sich die Bezugnahme auf globale Normen und Regelwerke als Legitimitätsressource erweisen (Cortell/Davis 2004, 370). Dennoch können sich auf nationalstaatlicher Ebene Verschie-bungen und Anpassungen an nationalstaatliche Konstellation ergeben. 211 Die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie in der Politik findet sich bei Niklas Luhmann in der Politik der Gesellschaft ausgearbeitet (Luhmann 2000a, 244ff.). Werden im Zentrum kollektiv bindende Entscheidungen getroffen, erbringt die Peripherie Zubringerleistungen. In dieser Hinsicht sind die kommunikativen Beiträge des Baseler Komitees gar mit denen von Parteien und NGO’s vergleichbar. Über sie muss in den Parlamenten entschieden werden (Luhmann 2000a, 244ff.).

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mär als optionale Empfehlungen, nicht aber als Direktiven zur unmittelbaren Überführung in nationales Recht. Das Konkordat schließt so denn mit dem Satz:

”The committee asks that the Governors, if they are in agreement with the recom-mendations of this report, should take advantage of any opportunities that present themselves to further the removal of restraints of co-operation“ (BCBS 1975, 5).

Das Komitee selbst nennt die (erwarteten) Gründe, die eine Implementierung supranationaler Vereinbahrungen in nationalstaatliches Recht nicht einem Auto-matismus folgen lassen. Im Papier zur „Banking secrecy and international coope-ration in banking supervision“ aus dem Jahr 1981 ist zu lesen:

”Constraints on effective international banking coordination of banking supervision that arise out of banking secrecy law or regulations cannot be removed easily of quickly, since in some cases they derive from deeply-rooted legal or other factors in individual countries.“

Weniger auf das Recht, wohl aber auf die Heterogenität der Nationalstaaten im Allgemeinen bezogen, findet sich in einem Papier von März 1979 folgende Pas-sage:212

„Dem Ausschuss ist bekannt, dass die Praxis seiner Mitgliedsländer hinsichtlich der Konsolidierung derzeit sehr unterschiedlich ist und dass aus einer Vielzahl von Gründen nicht mit einer baldigen Vereinheitlichung zu rechnen ist.“

Damit werden die begrenzten Einflussmöglichkeiten des Baseler Komitees zur Umsetzung einer konvergenten Regulierungspraxis zum Thema gemacht. In dieser Textstelle kommt die Schwierigkeit internationaler Organisationen, ihre Geltungsansprüche in die Strukturen des politischen Systems zu überführen, zum Ausdruck. Diesbezüglich lassen sich sogar Formulierungen wie die folgende finden:

”While fully recognising these differences in national laws and practices and the dif-ficulties involved in legislation, the Committee believes that some common under-standings about desirable general principles with regard to the granting of inward and outward authorisations would be beneficial“ (BCBS 1983, 1).

An dieser Passage zeigt sich schließlich die ambivalente, wenn nicht gar wider-sprüchliche Grundausrichtung des Komitees. Einerseits werden die Heterogenität

212 Dabei handelt es sich um eine Veröffentlichung mit dem Titel „Konsolidierte Aufsicht über das internationale Geschäft der Banken.“ (BCBS 1979, 2).

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der Rechtsordnungen, aber auch die divergierenden Aufsichtspraktiken der Mit-gliedsländer anerkannt. Andererseits wird die Erwartung geäußert, dass die Eini-gung auf „general principles“ förderlich/vorteilhaft („beneficial“) sei.

(2) Die Papiere des Baseler Komitees positionieren sich somit – obwohl sie die Durchsetzung/Anwendung von Prinzipien verfolgen – nicht über, sondern bestenfalls neben formalem Recht und geltender Praxis. Dabei fällt eine be-stimmte Begründungslogik auf, die die Papiere des Baseler Komitees argumenta-tiv durchzieht. Formulierungen wie „should take advantage of“, „effective inter-national banking co-ordination“, ebenso wie „authorisations would be benefici-al“ (siehe jeweils in den oben aufgeführten Zitaten, Hervorhebungen an dieser Stelle jeweils durch M.K.) verweisen auf eine genuin instrumentelle, zweckrati-onale Logik. Das Komitee nimmt seine Publikationen nunmehr zum Anlass, um mögliche Mittel (zum Beispiel einige spezifische Prinzipien) zu skizzieren, mit denen sich die Zwecke erreichen lassen.

Ein solcher instrumenteller Begründungszusammenhang ist dabei weder selbstverständlich noch alternativlos. Er beruht auf spezifischen Selektionen, die ersichtlich werden, wenn wir ihn mit Argumentationsfiguren der Schriften ande-rer internationaler Organisationen vergleichen, die vor vergleichbaren Heraus-forderungen stehen.213 Hier zeigt sich: Nicht alle Texte folgen einer instrumen-tellen, zweckrationalen Begründungslogik. Ebenso lassen sich Papiere finden, die auf wertrationale Begründungsmuster als zentrale Referenzpunkte und Legi-timationsmechanismen rekurrieren.214

Die Prinzipien und Regeln des Baseler Komitees lassen sich nicht von un-bestreitbaren und universellen Wert- und Moralkonzeptionen, wie den Men-schenrechten ableiten. Sie bedürfen daher eines anderen Legitimationsmodus,

213 Das Aufzeigen derartiger Selektivitäten in Texten und anderen Protokollen von Sozialität ist Armin Nassehi und Irmhild Saake zufolge eines der zentralen Aufgaben der qualitativen Sozialfor-schung (Nassehi/Saake 2002, 82). Dazu mehr in Kapitel 7 dieser Arbeit. 214 Ein nachvollziehbares Beispiel stellt dafür das „Office of the United Nations High Commisioner for Human Rights” dar. Auch dieses Gremium veröffentlicht Guidelines, jedoch können sich diese Papiere auf schwer bestreitbare Werte wie die Menschenrechte berufen. So heißt es in einem Papier: „The essential idea underlying the adoption of a human rights approach to poverty reduction is that policies and institutions for poverty reduction should be based explicitly on the norms and values set out in international human rights law. Whether explicit or implicit, norms and values shape policies and institutions. The human rights approach offers an explicit normative framework — that of inter-national human rights. Underpinned by universally recognized moral values and reinforced by legal obligations, international human rights provide a compelling normative framework for the formula-tion of national and international policies, including poverty reduction strategies“ (O.A. 2006, 9). Charakteristisch für diese Schriften (wertrationaler Prägung) ist zudem der Umstand, dass die in ihrem Kontext formulierten Prinzipien in ihrem Selbstanspruch nicht neben, sondern oberhalb forma-len Rechts und geltender Verwaltungspraxis positioniert sind. Dies geschieht vor allem dann, wenn diese Texte sich auf universelle Werte und Prinzipien berufen und sich damit quasi als Naturrecht gegenüber dem positiven und praktizierten Recht in Position bringen.

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138 Diskontinuitäten

um 1. das Fehlen klassischer demokratischer Legitimationsformen und 2. das Fehlen eines alternativlosen Wertbezugs zu kompensieren. Diese Voraussetzun-gen bedenkend wird der Stellenwert expertokratischer bis hin zu wissenschafts-ähnlicher Kommunikation des Baseler Komitees verständlich. Sie bedient ein bestimmtes Legitimationsmuster, das dem sehr nahe kommt, was in den Politik-wissenschaften mit dem Begriff der Output-Legitimität gefasst wird (z.B.Risse 2002, 269).

Die kommunikativen Beiträge des Komitees spannen somit einen bestimm-ten Erwartungsraum auf. Mittels der implizit mitgeführten Unterscheidungen von advantage/dis-advantage, effective/ineffective sowie beneficial/non-beneficial konditionieren sie bestimmte Annahme bzw. Ablehnungsmuster und damit auch spezifische Formen der Anschlussfähigkeit. Insbesondere hinsichtlich der An-schlussfähigkeit hat die Bezugnahme auf zweckrationale/technokratische Schlie-ßungsmechanismen einen weiteren Effekt. Anders, als im Falle wertrational ‚abgestützter’ Kommunikation besitzen diese Papiere Kapazitäten kognitiver Offenheit. Es geht – wie die Publikationen in einem Gesamtzusammenhang offenbaren – eben nicht nur um ein Belehren nationalstaatlichen Regulierungs-rechts und Regulierungspraxis. Schließlich sind die Mittel zur Erreichung der Zwecke – beispielsweise die Formen der Regulierung – kein Wert an sich, son-dern – im Falle mangelnder Leistungsfähigkeit – durch ‚bessere’ Formen aus-tauschbar.

Das Komitee präsentiert sich folglich als ein Gremium, in welchem von gel-tendem Recht von geltender Praxis gelernt werden kann, das eine Revision, Mo-difizierung oder Erweiterung eigener Positionen nicht bereits ausschließt. Das Charakteristikum der kognitiven Offenheit lässt sich dabei nicht allein für den beschriebenen Legitimationsmodus beobachten. Er zeigt sich auch, wenn wir den Blick auf die Inhalte der Papiere anwenden. So finden sich – betrachten wir die frühen Publikationen (1975 – 1986)215 unter inhaltsanalytischen Gesichtspunk-ten216 – sehr unterschiedliche Themenschwerpunkte. Zudem haben wir es nicht – wie in der klassischen Vorstellung von Regulierer und Reguliertem – mit einem klar gefassten und eng begrenzten Adressatenkreis zu tun.

215 Die Auswahl des Zeitraums dürfte an dieser Stelle willkürlich anmuten. Im Abschnitt IV wird jedoch deutlich werden, warum wir uns zunächst allein auf die Publikationen aus den ersten Jahren des Komitees konzentrieren. 216 Den folgenden Ausführungen liegt in der Tat – wie bereits zu Beginn dieses Kapitels angekündigt – eine inhaltsanalytische Untersuchung zugrunde, die dem Vorschlag einer qualitativen Inhaltsanaly-se von Philipp Mayering (Mayring 2003) nahe kommt.

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Zur Konstitution globaler Aufsicht 139

Von diesem und jenem an diesen und jenen – zur Vielfalt von Themen und Adressaten

In einer überwiegenden Anzahl der frühen Dokumente dominiert zwar die Frage nach einer wirkungsvollen Regulierung multinational operierender Banken.217 Es kann somit als ein verbindendes ‚Oberthema’ betrachtet werden. In der Schwer-punktsetzung offenbaren sich jedoch deutliche Unterschiede: Im Falle des Base-ler Konkordats steht – wie bereits ausgeführt – vor allem das Thema Kooperati-on zwischen den Aufsichtsbehörden in der Regulierungspraxis im Vordergrund. In anderen Papieren dominieren dagegen andere Themen. So geht es in dem bereits zitierten Papier „Konsolidierte Aufsicht über das internationale Geschäft von Banken“ aus dem März 1979 zunächst um die Zusammenfassung von Risi-kopositionen. Erst am Ende des Papiers wird an die Aufseher appelliert, in dieser Frage zusammenzuarbeiten (BCBS 1979). Anders als im Falle des Konkordats thematisiert dieses Dokument bereits konkrete Formen der Regelanwendung. Es beschränkt sich nicht allein auf einen Appell zur Kooperation oder auf die The-matisierung rechtlicher Fragen und Probleme zwischen nationalstaatlichem Recht, wie es in anderen Publikationen der Fall ist.218

Die Spezifizierung von Regulierungsformen und die Thematisierung der zu regulierenden Materie zeigen sich jedoch auch in weiteren Papieren. In dem Dokument „Supervision of banks’ foreign exchange positions“ aus dem Jahr 1980 werden spezifische Risiken in den Blick genommen, mit denen es global operierende Banken zu tun haben (BCBS 1980). Die Rede ist hier von Wechsel-kursrisiken, Zinsänderungsrisiken und Zeitzonenrisiken. Es geht daran anschlie-ßend um die Frage, in welcher Weise Aufsichtsbehörden diese Prozesse kontrol-lieren können. An dieser Stelle wird nicht allein die Aufgabe einer Messung und Aggregation von Risiken als Mittel angedeutet. Darüber hinaus wird in diesem Papier die Überwachung der internen Kontrollsysteme von Banken als notwen-dig erachtet (BCBS 1980). Die Einführung des Kontrollbegriffs lässt die Mög-lichkeit zu, dass es nicht allein um die Überprüfung von Zahlen und Daten gehen könnte, sondern um weitergehende Aufsichtsprozesse, die sich nicht auf numeri-sche Zusammenhänge zurückführen lassen.219

217 Als Beispiele können hier folgende Papiere gesehen werden (BCBS 1975; BCBS 1979; BCBS 1980; BCBS 1983). Auch hier ließen sich bis zum heutigen Zeitpunkt weitere Publikationen anfügen. 218 Beispiele sind hier die Papiere „Banking secrecy and international co-operation in banking super-vision“ (BCBS 1981) und „Zulassungsverfahren für ausländische Bankniederlassungen“ (BCBS 1983). Beide Papiere fokussieren auf rechtliche Zusammenhänge und Möglichkeiten einer Koopera-tion zwischen Aufsichtsbehörden trotz gesetzlicher Heterogenitäten. 219 Das Dokument „Supervision of banks’ foreign exchange positions“ ist dabei nicht allein mit Blick auf den Regulierungsstil interessant. Es liefert zudem auch Hinweise darauf, dass die Publikationen

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140 Diskontinuitäten

Und in der Tat lesen wir auf Seite 4:

“In order to facilitate internal supervision and monitoring of open exchange posi-tions, branches should daily report their dealing positions to head office. While the extent to which individual branches are permitted to run open positions is a matter for a bank’s management to decide on the basis of geographical factors and the deal-ing expertise of the branch concerned, head office should strictly enforce the limits it sets in order to keep control of is worldwide exposure” (BCBS 1980, 4).

Das Schriftstück rekurriert damit auf interne Prozesse innerhalb von Banken und konzeptualisiert Kommunikationswege, die aus ihrer Sicht vorteilhaft seien. Es thematisiert die internen Beobachtungs- und Entscheidungsprozesse zwischen Stellen. Es appelliert daran, einer Beobachtung dieser Vorgänge insbesondere im Falle einer räumlichen Separierung besondere Aufmerksamkeit beizumessen. Die Beschäftigung mit Kommunikationswegen innerhalb von Bankorganisatio-nen ist somit ein Aspekt, mit welchem die Aufsicht über eine Fokussierung auf Bilanzen, auf Risikoaggregationsverfahren und andere zahlenbasierte Aspekte hinausgeht. Er ist jedoch nicht der einzige. In dem Papier „Die Behandlung nicht bilanzwirksamer Risiken der Banken“ aus dem Jahre 1986 zeigt sich darüber hinaus ein Bezug auf die Entscheidungsprämisse ‚Person’. Hier ist zu lesen.

„Den erfahrenen Banken sind die mit dem Optionshandel verbundenen Risiken wohlbekannt; jene Banken, die Optionen – und sei es auch in bescheidenem Rahmen – ausstellen, sollten sicherstellen, dass sie Mitarbeiter haben, die mit den zur Risiko-beherrschung notwendigen Techniken wohlvertraut sind und die erforderlichen schwierigen Beurteilungen vornehmen können.“ (BCBS 1986, 4).

An dieser Passage lässt sich somit deutlich machen, in welcher Weise das Base-ler Komitee seinen Beobachtungsfokus über die bloße Koordination der Auf-sichtsbehörden erweitert und organisationsinterne, operationelle Aspekte zum Thema macht. Dem Komitee ist gelegen an

„der zentralen Abstimmung und Kontrolle der Gesamtheit aller beim Handel mit den verschiedensten Instrumenten auftretenden Risiken (..) weil diese neuen Instrumente und Techniken häufig ineinandergreifen“(BCBS 1986, 12).

Wir haben es an dieser Stelle mit einem Rekurs auf Prozesse zu tun, die wir bereits auf einer theoretischen Ebene in Abschnitt 2.2 betrachtet haben. Die Rede war dort von Risiken, die typischerweise im Kontext von Organisationen gene-

des Baseler Komitees einen heterogenen Adressatenkreis beinhalten. Angesprochen werden in die-sem Papier nicht allein die Aufsichtsbehörden, sondern zudem die Banken selbst.

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Zur Konstitution globaler Aufsicht 141

riert werden. Den Ratschlag, die Bedeutung dieser internen Aspekte und ihrer Kontrolle in ihre Arbeit einfließen zu lassen, trägt das Komitee dabei nicht allein den Bankaufsehern und Banken an. In dem Dokument „Basel Committee: Inter-bank confirmation procedures“ aus dem Jahre 1984 (BCBS 1984) ist ebenfalls von der Bedeutung von internen Kontrollen die Rede, nur: Primärer Adressat dieses Papiers sind weder die Bankaufseher noch die Banken. Stattdessen wer-den in diesem Textzusammenhang zunächst externe, unabhängige Rechnungs-prüfer angesprochen.220

Die Aufzählung der Themen und verschiedenen Adressaten, die in den Pa-pieren des Baseler Komitees zur Sprache kommen, ließe sich noch über einige Seiten weiterführen. Bereits an dieser Stelle dürfte jedoch deutlich geworden sein, in welcher Weise sich Themenfokus und Adressatenkreis ausweiten und gleichzeitig fortlaufend verschiedene Aspekte zur Regulierung und damit Stabi-lisierung des Bankensystems ansprechen. Aus funktionalistischer Perspektive stellt sich im Anschluss darauf ein ganzer Reigen von Fragen, allen voran die folgenden: Worauf reagieren diese Konzepte des Risikomanagements? Welche Erwartungen suchen sie zu erfüllen und was hat diesen Prozess ausgerechnet in den 1970er Jahren ausgelöst? Warum erscheint in der Politik – abstrakt gespro-chen – die Einschränkung finanzökonomischer Freiheitsgrade nun auf supra-staatlicher Ebene als notwendig? Welche Bedeutung kommt dabei den internen Berechnungs- und Kontrollsystemen der Bankorganisationen zu? Diese Fragen werden im Folgenden bearbeiten. Die Antworten auf diese Fragen bilden eine Basis dafür, um die Möglichkeiten und Grenzen der bisher analysierten Kommu-nikation des BCBS zu beurteilen und da heraus die Genese der Baseler Rahmen-vereinbarungen (Basel I und Basel II) zu erläutern. Sie geben zudem Hinweise darauf, in welcher Weise sich überstaatliche Formen politischer Kommunikation mit Legitimität ausstatten können. Und schließlich plausibilisieren sie, durch welche Ereignisse die Einrichtung einer derartigen politischen Sprecherposition als erforderlich betrachtet wird. Zu diesem Zweck werden wir die sehr konkrete Analyse einzelner Dokumente noch einmal verlassen (müssen) und uns ver-gleichsweise allgemeinen Entwicklungslinien der modernen Gesellschaft zu-wenden.

220 Im Original-Wortlaut heißt es: „This Statement is published to provide practical assistance to external independent auditors and also internal auditors and inspectors on inter-bank confirmation procedures“ (BCBS 1984, 1). Wir haben es somit – auch das verrät diese Textstelle – vor allem mit einem Dokument zu tun, das Informationen liefert, in dem es „practical assistance“ zur Verfügung stellt, sich jedoch mit klaren Forderungen einer Umsetzung zurückhält.

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5 Die Globalisierung (in) der Weltgesellschaft

Im vorangegangenen Kapitel standen politische Prozesse im Mittelpunkt, die sich in dieser (eigentümlichen) Form erst seit dem letzten Drittel des 20. Jahr-hunderts beobachten lassen. Es handelt sich dabei um kommunikative Beiträge auf dem Feld der Bankenregulierung, die bestimmte Probleme der Politik in den Blick rücken, aber eben auch auf Entwicklungen außerhalb der Politik rekurrie-ren. Diese Prozesse in der gesellschaftlichen Umwelt des politischen Systems werden wir nun in den Kapiteln 5 und 6 in den Blick nehmen. Dabei gilt es die Diskontinuitäten zu identifizieren, die ein besonderes Irritationspotential für die Politik bedeuten und die oben geschilderte Form politischer Strukturbildung mit erklären. Dieser Schritt zur Einordnung der frühen Schriften des Baseler Komi-tees ist dabei nur ein Zwischenschritt. Die nun folgenden Beschreibungen wer-den es auch möglich machen, die spätere Herausbildung von Paradigmen und ihre spezifische Ausgestaltung zu erklären.

Zunächst jedoch stellt sich die Frage: Worauf ist der Fokus zu richten, wenn es um die Irritationspotentiale des politischen Systems im Kontext der Banken-regulierung geht? Bereits in den Schriften des Baseler Komitees erhalten wir erste Anhaltspunkte dafür, welche gesellschaftlichen Aspekte als besonders rele-vant erachtet werden. Es geht – angefangen beim Konkordat, aber auch in den folgenden Schriften – um folgende gesellschaftliche Entwicklungen, auf die Bezug genommen wird: um die Ausweitung internationaler Geschäftstätigkeiten, um die räumliche, multinationale Differenzierung und auch um die Vernetzung von Banken untereinander, kurz: Im Zentrum stehen vor allem Phänomene, die im weiteren Sinne unter dem Begriff der Globalisierung gefasst werden können. Neben diesen Hinweisen, die wir aus dem Material erhalten, liefern uns zugleich auch breitere gesellschaftliche Diskurse deutliche Anhaltspunkte für die Bedeu-tung des Globalisierungsphänomens.

Gehen wir davon aus, dass Sozialstruktur und Semantik der Gesellschaft in einem wie auch immer geordneten Zusammenhang stehen,221 so scheint an dem

221 Die Frage nach dem genauen Zusammenhang von Struktur und Semantik, ja bereits die nach ihrer terminologischen Trennung, führt auf ein theoretisch anspruchsvolles Terrain, wie sich in einer Auseinandersetzung dieser Luhmannschen Theoriefigur in einer Rezeption von Urs Stäheli (Stäheli 1998) zeigt. Für uns ist an dieser Stelle jedoch lediglich die Annahme hilfreich, dass auch Semanti-

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Die Globalisierung (in) der Weltgesellschaft 143

Begriff der Globalisierung und den dadurch aufgezeigten Entwicklungen222

kaum ein Weg vorbeizuführen. Die Vehemenz, mit der sich die Gegenwartsge-sellschaft (selbst) fortlaufend über die Globalisierung und seine Folgen infor-miert, liefert einen Hinweis dafür, dass die damit beschriebenen Prozesse zugleich eine strukturelle Qualität aufweisen dürften. In nahezu allen gesell-schaftlichen Bereichen hat der Begriff der ‚Globalisierung’ innerhalb der letzten Dekaden eine Wirkungsmächtigkeit erhalten, mit der er nun nahezu konkurrenz-los dasteht.223 Auch im Wissenschaftssystem und seinen Subdisziplinen wie den Geschichtswissenschaften, den Wirtschaftswissenschaften, der Politikwissen-schaft und der Soziologie ist ‚Globalisierung’ ein Thema, das sich einer weiten Resonanz erfreut.

Die Phänomenbereiche, auf die sich Globalisierung erstreckt, sind also viel-fältig. Kultur im weitesten Sinne ist beispielsweise ein Thema224 – es ist aber (zunächst) nicht unser Thema. Gemäß der Fragestellung dieser Arbeit steht für uns die Globalisierung der Wirtschaft im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Entfaltung und Verdichtung weltweiter wirtschaftlicher Transaktionen ist nicht allein zum Interessensraum von Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern, sondern auch zur Zielscheibe des so genannten zivilgesellschaftlichen Protests geworden. Kritisiert wird die nicht mehr politisch kontrollierte bzw. zu kontrol-lierende Fluktuation von Finanz- und Warenströmen.

Führte und führt wirtschaftliche Globalisierung somit unweigerlich zum Kontroll- und damit Regulierungsverlust des Politischen? Lässt sich die Genese supranationaler Kommunikationsformen, wie die des Baseler Komitees, als De-terminante allgemeiner Globalisierungsprozesse charakterisieren? Um diesen Fragen näher zu kommen, ist es in einem ersten Schritt notwendig, den Entwick-lungsprozess der Globalisierung und dabei im Besonderen das Verhältnis zwi-schen (Finanz-)Wirtschaft und Politik zu rekonstruieren. Es gilt zu klären, wel-che gleichzeitig ablaufenden Prozesse einer Globalisierung innerhalb der Welt-wirtschaft und gleichzeitigen Formen der (Des-)Integration sich zwischen den

ken eine strukturelle Qualität besitzen die in Zusammenhang mit der Autopoiesis der Funktionssys-teme steht. 222 Die Fülle an Definitionen dazu, was Globalisierung eigentlich meint, ist schier unüberschaubar. Wir verstehen darunter eine Ausweitung, Verdichtung und Beschleunigung weltweiter Beziehungen. 223 So zeigen Jürgen Osterhammel und Niels Petersson auf, wie der Begriff der Globalisierung seit den 90er Jahren den Platz einnimmt, den vormals andere Schlagworte, wie das des Atomzeitalters (50er Jahre), des Spätkapitalismus (60er/70er Jahre) oder der Risikogesellschaft (80er Jahre) einnah-men (Osterhammel/Petersson 2006, 7). Auch Jörg Dürrschmidt sieht aus einer soziologischen Per-spektive den Begriff der Globalisierung und die damit verbundenen Prozesse als zentralen Referenz-punkt sehr verschiedener gesellschaftlicher Debatten (Dürrschmidt 2002, 5). 224 Dies gilt vor allem für den Neoinstitutionalismus und für die Arbeiten von John Meyer (Meyer 2005).

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144 Diskontinuitäten

Funktionssystemen im Laufe ihrer Ausdifferenzierung finden lassen (5.1).225 Die Ko-Evolution zwischen Politik und (Finanz-)Wirtschaft ist dabei nur ein Ge-sichtspunkt, welcher für die Klärung unserer Forschungsfrage von Relevanz ist. Als ebenso bedeutsam für die zunehmende Verdichtung und Vernetzung wirt-schaftlicher Prozesse dürften sich – wie wir im Folgenden erläutern werden – die Entwicklungen in den Informations- und Kommunikationstechnologien erwiesen haben (5.2). Diese neue Qualität wird dabei nicht allein durch Entwicklungen auf funktionssystemischer Ebene sondern auch durch Transformationen auf organi-sationaler Ebene befördert. Mit der Entfaltung des so genannten multinationalen Unternehmens und – korrespondierend dazu – der globalen Bank entfaltete sich in dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein Organisationstypus, der die Ban-kenaufsicht vor gewandelte Herausforderungen stellt (5.3). Diese verschiedenen Prozesse beschreibend, soll schließlich deutlich werden: Das Ende der Bretton Woods Ära in der Mitte der 1970er Jahre stellt unter Berücksichtigung seiner Folgen eine Diskontinuität dar, die – verglichen mit allem Vorangegangenen – für eine neue Qualität der Globalisierung spricht. Ihre Beobachtung durch die Politik führte zur Genese supranationaler bankaufsichtlicher Kommunikation.

5.1. Zur Koevolution moderner Staatlichkeit und transkontinentaler Weltwirtschaft

Befragt man die sozialwissenschaftliche, aber auch die politisch-zeitdiagnostische Literatur nach den gesellschaftlich einschneidenden Konse-quenzen einer wirtschaftlichen Globalisierung, so wird in verschiedenen Positio-nen die Transformation, wenn nicht gar der Bedeutungsverlust des Staates be-merkt bzw. beklagt (z.B. Martin/Schumann 1997; Rosecrance 1996; Strange 1996). Viele dieser gegenwartsbezogenen Arbeiten suggerieren dabei, Globali-sierung und Bedeutungsverlust des Staates stellten grundsätzlich zwei Seiten derselben Medaille, ja geradezu einen Automatismus sozio-kultureller Entwick-lung dar. Eine soziologische Interpretation des gegenwärtigen historischen For-

225 In den Politikwissenschaften aber auch der Wirtschaftsgeschichte wird die Globalisierung der Wirtschaft, ihre zunehmende Verflechtung und Verdichtung in einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit dem Begriff der Integration gefasst. Erinnern wir uns an unsere Verwendung des Begriffs in 3.2.2 so zeigt sich an dieser Stelle eine terminologische Differenz zwischen den Disziplinen. Während es in unserer Fassung um die Einschränkung von Freiheitsgraden zwischen verschiedenen gesellschaft-lichen Teilsystemen, also beispielsweise zwischen Wirtschaft und Politik ging, lenkt Integration in einer politikwissenschaftlich/wirtschaftshistorischen Perspektive den Blick auf die Verschränkung und Verdichtung innerhalb eines Teilsystems. Wir werden deshalb, um terminologische Irritationen zu vermeiden, auf diese zweite Fassung des Integrationsbegriffs verzichten und stattdessen von Interdependenzen oder schlicht von Vernetzungen von Prozessen in der Weltwirtschaft sprechen.

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schungsstandes lässt dagegen jedoch gerade gegenteilige Schlüsse zu. Es zeigt sich vielmehr, dass Globalisierungsprozesse und damit verbundene Entwicklun-gen einer Herausbildung von Interdependenzen in der Weltwirtschaft den Auf-stieg des Staates erst mit ermöglicht haben. Für überstaatliche Formen politischer Kommunikation bestand in diesem Arrangement keine ‚Funktionsnotwendig-keit’. Deutlich wird schließlich: Die heute beschriebenen Herausforderungen der Globalisierung für den Staat traten erst in den 1970er Jahren zu Tage. Dafür findet sich folgende Erklärung: In diesem Zeitraum – so soll argumentiert wer-den – scheiterte der spannungsreiche Prozess einer weltwirtschaftlichen Vernet-zung und gleichzeitigen Integration der Wirtschaft in die Nationalstaaten an seinem immanenten Widerspruch. Erst dies eröffnete schließlich die Möglichkeit und Notwendigkeit äquivalenter Formen auf überstaatlicher Ebene.

Der Staat bekleidete zwar in der Entwicklungsgeschichte der wirtschaftli-chen Globalisierung eine zentrale Rolle. Er war jedoch kein Kind der ersten Stunde: Bereits in der Antike, aber auch im Mittelalter und damit vor dem Auf-kommen des uns heute vertrauten Territorialstaates lässt sich die Konstitution von Wirtschaftsräumen beobachten, die über einen regionalen Radius hinausge-hen (Osterhammel/Petersson 2006, 27). Dabei finden sich sowohl Beispiele für die Herausbildung interkultureller Handelsbeziehungen als auch für die Verdich-tung und Vertiefung überregionaler ökonomischer Netzwerke.226

Globalisierung im Zeitalter erster Formen des Territorialstaates

Eine dauerhafte oder expansiv angelegte Vernetzung wirtschaftlicher Prozesse, die den Namen „Globalisierung“ verdient, setzte jedoch erst zu dem Zeitpunkt ein, an welchem auch der moderne Territorialstaat erste Konturen annahm.227

Der Historiker Immanuel Wallerstein datiert den Zeitpunkt, an welchem unwi-derrufliche Globalisierungsprozesse der Wirtschaft einsetzen, ins 16. Jahrhun-dert. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich seiner Argumentation nach die Konstituie-rung eines ‚kapitalistischen Weltsystems‘ feststellen, das sich in Europa heraus-bildete (Wallerstein 2005, 23). Im Rahmen dieser Bewegung wurde zwar nicht der gesamte Globus vom Geist des Kapitalismus umfasst. Dafür aber kann von einem Wirtschaftsraum gesprochen werden, der bereits viele politische Einheiten

226 Für die Herausbildung interkultureller Handelsbeziehungen kann wohl der Handel des byzantini-schen Reiches (Lilie 2003, 37; Walter 2006, 46ff.), für die Verdichtung und Vertiefung überregiona-ler ökonomischer Netzwerke die Konstitution der ‚Hanse’ als Beispiel dienen (Dollinger 1981). 227 Dabei ist noch hinzuzufügen, dass ‚Globalisierung’ nicht als ein kontinuierlicher Vorgang welt-wirtschaftlicher Verflechtung, sondern als ein Prozess begriffen werden muss, der sich in Schüben vollzog, die zwischenzeitlich endeten und später dann von neuen Globalisierungsimpulsen weiterge-führt wurden (Borchardt 2001, 20f.).

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146 Diskontinuitäten

überspannte und sich selbst als Weltsystem beobachtete. Dieser Prozess bedeute-te nun jedoch keineswegs eine Verdrängung oder gar ‚Entmachtung’ des Politi-schen. Zwar erkennt Wallerstein eine Asymmetrie zwischen Kapital und politi-schem System an, die auch heute noch – wie wir später sehen werden – für die Herausforderung politischer Regulierung konstitutiv wirkt.228 Dennoch erwies sich das Aufkommen einer Weltökonomie zunächst nicht als Problem, sondern vielmehr als Lösung für die Etablierung staatlicher politischer Ordnung.229 Erst durch diesen Transformationsprozess wurde die Herausbildung politischer Insti-tutionen, die heute noch zu Kennzeichen moderner Staatlichkeit zählen, in Gang gesetzt: Und das vor allem deshalb, weil sie bezahlt werden konnte.230 In diesem Kontext ist vor allem an die Errichtung einer öffentlichen Bürokratie oder an ein stehendes Heer zu denken (Wallerstein 1974, 136).231

Die in Abschnitt 2.1.1 erwähnte Kreditfinanzierung durch international konstituierte Kreditmärkte stellte damit nur einen Pfeiler zur Finanzierung früh-moderner Staatlichkeit dar. Drei Dinge erwiesen sich für diesen Transformati-onsprozess als entscheidend: zum einen die Umstellung auf eine kapitalistischeWirtschaftsordnung; zum zweiten die Herausbildung abgegrenzter Territorien, auf denen die Möglichkeiten der Steuererhebung ausgeschöpft werden konn-ten;232 zum dritten schließlich die Erschließung weiterer Wirtschaftsregionen für den kapitalistischen Wirtschaftskreislauf. Insbesondere der dritte Punkt verdeut-licht den Zusammenhang zwischen der Herausbildung einer staatlichen Ordnung sowie der ökonomischen Globalisierung.

228 Während das Kapital und ökonomische Entscheidungen sich primär auf den Rahmen einer Welt-ökonomie beziehen, denkt Politik in kleineren Einheiten (Flächenstaaten, Stadtstaaten, Imperien), die sich auf eine rechtliche Kontrolle stützen können (Wallerstein 1974, 67). 229 Zwar lassen sich auch im Vorfeld der frühen Neuzeit bereits politische Ordnungen finden, die man mit dem Begriff des Staates bezeichnen kann. Was jedoch hier zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu beobachten ist, kann – um die Terminologie Michel Foucaults zu gebrauchen – als die Transformati-on des mittelalterlichen Staats der Gerichtsbarkeit zum Verwaltungsstaat beschrieben werden (Fou-cault 2004a, 163). 230 Die wechselseitige Konstituierung von Staat und Wirtschaft findet sich auch bei Werner Sombart beobachtet, der vermerkt: „Seltsam ist die Übereinstimmung der Entwicklungsreihen des modern-staatlichen und modern-wirtschaftlichen Lebens. (…) Beide entspringen aus gemeinsamer Wurzel und bedingen und bestimmen sich dann freilich auch wechselseitig“ (Sombart 1928a, 335). 11 Auch wenn die Veränderung der ökonomischen Grundlagen neben anderen Aspekten wie bei-spielsweise der Durchsetzung des Buchdrucks (Giesecke 1991, 544) nur eine zentrale Bedingung der Möglichkeit für den Aufbau einer modernen staatlichen Ordnung darstellte, werden wir uns mit Blick auf unsere Fragestellung primär auf die Ko-Evolution von Politik und (Finanz-)Wirtschaft konzent-rieren.232 Stephan Leibfried und Michael Zürn beschreiben dies mit dem Begriff der ‚Ressourcendimensi-on“ als das (historisch) erste Charakteristikum des modernen Territorialstaates, was allein über die Monopolisierung des Gewaltmonopols und ihr Einsatz nach außen und nach innen möglich wurde (Leibfried/Zürn 2006, 24).

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Kolonialismus – Beschleuniger weltwirtschaftlicher Vernetzung und ‚Exporteur’ von Staatlichkeit

Der transkontinentale Handel erlebte in dieser Zeit durch die Etablierung von Hochseerouten einen deutlichen Aufschwung, der die weltweite Zirkulation von Waren ermöglichte.233 Insbesondere am Beispiel der Kolonisierung des amerika-nischen Kontinents lässt sich jedoch erkennen, wie sehr die expansionistische, transatlantische Wirtschaftspolitik die Grundlage einer europäischen Machtpoli-tik darstellte (Reinhard 1996, 73). Zugleich zeigt sich aber auch umgekehrt, wie die Politik der Wirtschaft den Boden für ihre Expansion bereitete. Vor allem eine Betrachtung des Kolonialismus verdeutlicht, wie sehr die ökonomische Expansi-on auf politische Impulse (1) aber auch auf direkte Formen politischer Leis-tungserbringung angewiesen war (2).

(1) So hatte bei der Entstehung der ersten transkontinentalen Handelsgesell-schaften im frühen 16. Jahrhundert die Politik ihre Hände mit im Spiel – sei es in Form eines direkten staatlichen Auftrages oder aber über die Vergabe von Han-delsmonopolen für einen Handelsgroßraum.234 (2) Europa als Pulsgeber der Glo-balisierung beließ es jedoch nicht bei der Zirkulation von Waren. Dieser folgten gleichzeitig oder bald darauf politische (und religiöse) Ordnungsvorstellungen und damit dann auch Militärs, Missionare und Verwaltungsfachleute als deren ‚Vollstrecker’. Die ökonomische Expansion wurde damit auch von politischen Formen der Expansion begleitet.235 Dass dieser Prozess nicht allein von ökono-mischer Kommunikation, sondern vielfach von der Ausübung physischer Gewalt begleitet wurde,236 weist darauf hin, dass die Wirtschaft nicht als die alleinige treibende Kraft gesellschaftlicher Entwicklung begriffen werden kann. Vielmehr schienen Staatsbildung und wirtschaftliche Globalisierung auf wechselseitige

233 Dabei steht außer Frage, dass Europa den zentralen Umschlagplatz darstellte, an welchem die Silberlieferungen vom amerikanischen Kontinent und die Lieferungen von so genannten Luxusgütern aus Asien zusammenliefen. Der transkontinentale Handel mit Silber stellt für Dennis Flynn und Artuor Giráldez die eigentliche Geburtsstunde des Welthandels dar (Flynn/Giráldez 1995, 201). 234 Als Beispiele für den ersten Fall kann die portugiesische ‚Casa da India‘ gelten. Die indirekte Forcierung durch eine Monopolvergabe fand beispielsweise im Falle der niederländischen ‚Westindi-schen Kompanie‘ statt (Glamann 1979, S.326f). 235 Bereits eine Intensivierung des Handels mit dem asiatischen Raum wurde im 16. Jahrhundert durch die Errichtung von (militärisch gesicherten) Stützpunkten an wichtigen Handelsplätzen beglei-tet (Reinhard 1996, 28f.). 236 In den Geschichtswissenschaften ist an dieser Stelle vor allem von so genannten "Gunpowder Empires" die Rede, womit darauf hingewiesen wird, dass Globalisierung, wie sie sich in der frühen Neuzeit entfaltet hat, auch ein Ergebnis einer bestimmten Militärtechnik war (Buchanan 2006, 77).

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Formen der Leistungserbringung angewiesen gewesen zu sein.237 Der ‚Export’ verschiedener Elemente europäischer Staatlichkeit konzentrierte sich dabei nicht allein auf rein politische Aspekte, sondern bezog sich auch auf die Sphäre des Rechts. Wolfram Fischer stellt hierzu aus wirtschaftshistorischer Perspektive fest:

„Was immer die Ausbreitung europäischer Rechtsnormen für die Geschichte der Rechtskultur oder für den völkerrechtlichen Umgang der Staaten miteinander bedeu-tet hat, für den europäischen Kaufmann, der die Fäden der internationalen Wirtschaft spann, für den europäischen Investor, der Kapital für überseeische Unternehmen zur Verfügung stellt, vor allem aber für die Europäer, die sich in Übersee ansiedelten oder mit nichteuropäischen Nationen in Berührung kamen – und sei es nur als schiffbrüchige Seeleute - , bedeutete die Europäisierung des Rechts nichtwestlicher Herrschaftsgebiete einen Zuwachs an Rechtssicherheit und damit an Überschaubar-keit und Kalkulierbarkeit wirtschaftlicher Unternehmungen“ (Fischer 1998, 50).

Diese Passage verdeutlicht, wie voraussetzungsvoll sich Prozesse weltwirtschaft-licher Verdichtung und Vernetzung gestalteten. Sie zeigt auf, wie sehr rechtliche Institutionen, die ihren Ursprung in staatlichen Traditionen haben, für die öko-nomische Entfaltung durch die Schaffung von Systemvertrauen bedeutsam wa-ren.238 Voraussetzung für diese Entwicklung war dabei die Tatsache, dass auch in Europa selbst der Staat im 17. Jahrhundert eine Entwicklung hin zum souve-ränen Rechtsstaat durchgemacht hatte (Leibfried/Zürn 2006, 26). Auf dieser (rechtlichen Basis) konnte sich erst – wie in Abschnitt 3.1 mit Blick auf die Funktion von Routineprogrammen angemerkt – Erwartungssicherheit gegenüber der Berechenbarkeit staatlichem Handelns in der Wirtschaft herausbilden. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sich der Staat aus dem Wirtschaftsleben zurückzog. In Europa kristallisierte sich im Gegenteil nun eine Flankierung bis hin zur Steu-erung der Wirtschaft durch staatliche Initiativen hinaus.

Merkantilismus – der Staat als Manager auf dem Weltmarkt

Im Zuge einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik, die sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts als Pendant zum Absolutismus herausbildete (Blaich 1973, 22),

237 Um Missverständnisse zu vermeiden: Wir haben es zu diesem historischen Zeitpunkt noch nicht mit einer voll entfalteten Staatenwelt zu tun. Der Staat als zentrales politisches Strukturmuster breitet sich wesentlich später erst global aus (Stichweh 2007, 26). 238 Die Bedeutung der rechtlichen Ordnungen als Grundlage wirtschaftlicher Prozesse wird bei-spielsweise auch in Webers Wirtschaftssoziologie stark gemacht. Diese beginnt bezeichnenderweise nicht mit einer Geldtheorie oder einer verhaltenswissenschaftlichen Analyse der Wirtschaftsteilneh-mer, sondern mit der rechtlichen Fundierung der Ökonomie (Weber 1972, 181-198).

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erlangte der Staat in Europa eine zunehmende Kontrolle über Finanzwesen, Handel und Gewerbe (Glamann 1979, 330). Die Vielheit der Staaten galt nun – wie Michel Foucault in seinen Studien zur Geschichte der Gouvernementalität aufzeigt – als unumkehrbar. Die Idee einer (Reichs-)Einheit erschien nicht zu realisieren und die Stabilisierung politisch-/territoraler Grenzen als Staatsgrenzen alternativlos.239 Transnationale Loyalitäten aufgrund konfessioneller Gemein-samkeiten verloren an Relevanz. Stattdessen begannen in dieser Zeit die Staaten sich gegenseitig als das zu betrachten, als was sie sich nach Ansicht der Realis-ten in den Internationalen Beziehungen auch heute noch immer vornehmlich betrachten – nämlich als „Konkurrenten“ (Foucault 2004a, 420). Diese Modifi-kationen des Verhältnisses der Staaten bedeutete auch Konsequenzen für ihre Souveränität nach innen: Begriffe wie die des „Staatsinteresses“ und auch der „Staatsraison“ gewannen vor allem in wirtschaftspolitischen Kontexten an Rele-vanz. Sie zeigen an, wie sehr das wirtschaftliche Denken auch auf der semanti-schen Ebene in die Denkkategorien des aufkommenden Territorialstaates ‚einge-klammert‘ wurde (Kellenbenz 1979, 148).240

Diese Einklammerungsformen der Wirtschaft in die jeweiligen Territorial-staaten taten einer weiteren gleichzeitig ablaufenden weltweiten Interdependenz-bildung keinen Abbruch, wenngleich sich mit den merkantilistischen Ideen eine bestimmte, einseitige Form weltweiten Handels verband. Im Kern konzentrierte sich eine merkantilistische Wirtschaftspolitik darauf, ausländische Absatzmärkte für eigene Produkte zu fördern, gleichzeitig aber den Import fertiger Waren zu verhindern (Reinermann/Roßkopf 2000, 60).241 In unsere regulierungstheoreti-sche Terminologie aus Abschnitt 3.1 übersetzt, können wir hier also erste Ansät-ze einer marktregulierenden Regulierungspolitik beobachten. Dass diese staatli-che Zielsetzung aber nur begrenzt realisiert werden konnte, kann vor allem am Prozess der Industriellen Revolution in England plausibilisiert werden. So sah sich der „Leitsektor“ dieses Transformationsprozesses, die mittelenglische

239 Für diese Entwicklung waren zweifellos auch andere Ereignisse wie vor allem das Ende des 30jährigen Krieges durch den Westfälischen Frieden in Osnabrück und Münster und die damit kon-stitutierte „Westfälische Ordnung“ verantwortlich (Voigt 2005, 72). 240 Diese Einklammerung zeigte sich dabei in verschiedenen Ausprägungen. In Ländern wie Preußen und Österreich sollte über zentralistische Steuerungsbemühungen eine ökonomische Modernisierung ‚von oben’ vorangetrieben werden (Supple 1976, 202). In Preußen gewann in diesem Zusammenhang gar der Begriff der preußischen Staatswirtschaft an Prominenz (Kaufhold 1995). In England vertraute der Staat dagegen zwar mit einem „Merkantilismus anderer Prägung“ (Supple 1976, 204) in ver-gleichsweise höherem Maße auf eine Selbststeuerung der Ökonomie. Dafür aber schaffte der engli-sche Staat Charakteristika einer politischen Einbettung und Regulierung seiner Ökonomie durch Aspekte wie ein einheitliches Steuer- und Zollsystem oder auch ein funktionierendes Handelsrecht, mit denen er den anderen, interventionistisch agierenden Staaten voraus war (Supple 1976, 204). 241 Dies war vor allem in Preußen und Frankreich der Fall, wo der Staat aktiv selbst die Wirtschaft vorantrieb, während England partiell defensiveren Prinzipien folgte.

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Baumwollindustrie, einem Konkurrenzkampf mit der indischen Produktion auf dem heimischen Markt ausgesetzt, der schließlich neue, produktivere Produkti-onsmethoden erforderte und hervorbrachte. Die Baumwollindustrie ist zudem auch ein Beispiel für die ökonomischen Grenzen einer Importbeschränkung. Schließlich war sie beim Bezug ihres Grundstoffes – der Baumwolle – zu hun-dert Prozent auf Importe angewiesen (Osterhammel/Petersson 2006, 51).

Die Pionierstellung Englands im Zuge dieses wirtschaftlichen Modernisie-rungsprozesses deutet darauf hin, dass sich das Zulassen der Entfaltung einer ökonomischen Eigenlogik und die primäre Beschränkung auf indirekte Instituti-onen als ökonomisch lohnenswert erwiesen. Die merkantilistische Epoche endete auch deshalb, weil die Politik erste Formen einer Eigenlogik der Ökonomie beo-bachtete, die die Wünsche der gesellschaftlichen Obrigkeit nicht umsetzte, son-dern sich geradezu als „widerspenstig“ erwies (Foucault 2004a, 494). Die Wirt-schaftswissenschaften als neu aufkommende Reflexionstheorien der Ökonomie führten zu einer gewandelten Form der Staatsräson. Das vormalige Kalkül der Regierungskunst wurde durch eine neue Wissensform – das wirtschaftswissen-schaftliche Wissen – herausgefordert. Und obwohl dieses Wissen ihren Ur-sprung nicht in den Institutionen der öffentlichen Verwaltung hatte, machte ge-rade diese es sich für ihre Arbeit zu nutze (Foucault 2004a, 503). In diesem Zu-sammenhang spielen vor allem die Kameralwissenschaften eine Rolle, die als politische Steuerungslehre systematisch nach ökonomischen Prinzipien verfuhr (Simon 2004, 447). Die Kameralistik begriff den Staat als ein ökonomisches System, deren Ziel allein in der Gewinnmaximierung gesehen wird. Obwohl dabei auch die Steigerung der Staatseinnahmen in diesem Denken eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Der Gewinn wurde vor allem an der Summe der indi-viduell erwirtschafteten Überschüsse innerhalb des Staates bemessen, wurde darin doch nun der Reichtum des Staates gesehen (Simon 2004, 455). Wir wer-den im Kontext unserer empirischen Untersuchungen in Kapitel 7 und Kapitel 8 noch sehen, in welcher Weise diese damalige Infiltrierung der Politik mit diesen Wissensformen noch heute für unseren Problemkontext eine besondere Rolle spielten. Die Rekonstruktion dieser historischen Prozesse an dieser Stelle wird uns dann im Weiteren nützlich sein, um die Tragweite des von uns vermuteten Paradigmenwechsels in seinen Facetten aufzeigen zu können.

Industrialisierung, Freihandel und die Geburt der Nation

Die nun gewandelte, ökonomisch informierte Form der Wirtschaftspolitik legte zunächst einmal die Grundlagen für die weitere Vernetzung einer Weltwirtschaft, die nun nicht mehr allein durch merkantilistische Steuerung stattfand, sondern durch Prinzipien des Freihandels ergänzt wurde. Vor allem inspiriert durch die

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Arbeiten von Adam Smith und David Ricardo setzte England im 19. Jahrhundert einen weit gehenden Freihandel in vielen Weltregionen durch – zum einen durch die Abschaffung eigener Zölle, zum zweiten durch seine Vorbildfunktion für andere Staaten (wie beispielsweise Australien und Siam), zum dritten durch massiven Druck auf Staaten wie das Osmanische Reich oder China, die einer durch Freihandel geprägten Weltwirtschaftsordnung aufgrund ihren eigenen Wirtschaftstraditionen wenig aufgeschlossen gegenüberstanden (Osterham-mel/Petersson 2006, 56f.). Damit konstituierten sich neue Möglichkeiten für einen zwischenstaatlichen Handel. War die weltwirtschaftliche Ordnung vor 1800 durch große koloniale Handelsblöcke wie Spanien, England oder auch die Niederlande dominiert, die vor allem innerhalb ihres Kolonialgebietes wirt-schaftlichen Austausch zwischen ‚Mutterland’ und Kolonie trieben, so öffneten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Türen für einen Wirtschaftsverkehr zwi-schen aktuellen und damaligen Weltmächten (Kenwood/Lougheed 1999, 61).

Aus diesen verschiedenen Fragmenten unterschiedlicher Größe ging schließlich ein globales Netz des Wirtschaftsverkehrs hervor (Fischer 1998, 36). Das Volumen des internationalen Handels verdoppelte sich zwischen 1830 und 1850 und vervierfachte sich nahezu in den darauf folgenden dreißig Jahren (Ken-wood/Lougheed 1999, 67). Für eine weitergehende Globalisierung der Weltwirt-schaft waren aber über die bloßen Handelsflüsse hinaus zwei weitere Aspekte mit entscheidend. Zum einen kam es beispielsweise in Südostasien, aber auch in Europa zu großen Migrationsflüssen, die eine wichtige Voraussetzung für eine weiterführende Vernetzung der Wirtschaft darstellten. Zum anderen bildete die Kapitalintensität der industriellen Wirtschaft, die sich über die Kosten für Pro-duktionsmaschinen, aber auch über die im Entstehen begriffene Innovationsdy-namik begreifen lässt, einen zentralen Bruch mit der vorindustriellen Produkti-onsweise (Deane 1994, 329). Es bildeten sich in der Folge Finanzstrukturen heraus, die bis ins 20. Jahrhundert hinein Bestand hatten (Fischer 1998, 48).

Für unsere Fragestellung ist es wichtig zu sehen, dass auch dieser Globali-sierungsschub, der Freihandel und ein erhöhter Kapitalverkehr zwischen den Staaten, nicht zum Souveränitätsverlust oder zur Bedeutungsminderung des Staates führten. Für die Suche nach überstaatlichen Lösungen zur Regulierung der Ökonomie bestand also – selbst wenn sie möglich gewesen wäre – trotz Glo-balisierung noch gar kein Anlass. Der Staat verlor durch diese Entfaltungspro-zesse (in) der Wirtschaft nicht an Stärke. Ganz im Gegenteil lässt sich komple-mentär zu dieser ökonomischen Entwicklung ein politischer ‚Modernisierungs-prozess’ beobachten, der in Frankreich mit einer zweiten, nun politischen Revo-lution, seinen Anfang nahm und letztlich zur ‚Geburt der Nation’ führte. Mit der französischen Revolution, die den Abstieg des Absolutismus mit heraufbe-schwor, wurden die Grundlagen für eine Entwicklung gelegt, welche Karl

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Deutsch als den Übergang von der alten Welt der Territorialstaaten zur moder-nen Welt der Nationalstaaten bezeichnet (Deutsch 1953).242 Mit der Idee der Nation konstituierte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine neue Form der Legitimation von Staatlichkeit heraus, die die Bürger eines Staates als politische Gemeinschaft definierte und damit in neuartiger Weise in das politische System inkludierte (Leibfried/Zürn 2006). Dabei machte die Politik nicht bei der Inklu-sion von Personen halt. Auch für die anderen sich entfaltenden Funktionssysteme wie die Wirtschaft hatte die Nationalisierung des Staates Konsequenzen. So förderte das 19. Jahrhundert nicht nur die bereits angesprochene Globalisierung der Weltwirtschaft. Komplementär dazu lässt sich vielerorts auch eine Integrati-on wirtschaftlicher Prozesse in politisch-territoriale Einheiten beobachten (Bor-chardt 2001).243 Knut Borchardt vertritt diesbezüglich die These, der Prozess des Re-embedding „habe nicht nur die Fortsetzung der Globalisierung nicht wesent-lich behindert, er habe sie geradezu befördert!“ (Borchardt 2001, 30). Deutlicher lässt sich die von uns angesprochene paradoxe Ko-Evolution von Staatensystem und Weltwirtschaft nicht beschreiben.

Dass diese Entwicklung einer Vernetzung der Weltwirtschaft und einer gleichzeitigen Einbettung ökonomischer Transaktionen in territorial segmentierte Nationalstaaten zu dieser Zeit nicht als Widerspruch begriffen wurde, lässt sich vor allem an den Schriften der Befürworter des Freihandels selbst nachvollzie-hen. Ricardos Wirtschaftstheorie ging beispielsweise nicht von einer entpoliti-sierten globalen Ökonomie, sondern von einem Handel zwischen Staaten aus (Ricardo 1997). Begriffe wie die der Volkswirtschaftslehre und Nationalökono-mie zeigen zudem auch deutlich an, wie sehr sich das Bild einer nationalstaatlich segmentierten Wirtschaft auch in die allgemeine Semantik sowie in die Reflexi-onstheorien der ökonomischen Lehren einschrieb.

Der Begriff der Nation fungierte damit auch als eine „Auffangsemantik“. Mit dieser Semantik wurde eine segmentär differenzierte, an politischen Grenzen orientierte Wirtschaftsordnung legitimiert, obwohl funktionale Differenzierung bereits unwiderruflich eingesetzt hatte und die Bindung ökonomischer Prozesse an territoriale Grenzen an Plausibilität verlor (dazu Luhmann 1998, 1045).244 Die

242 Diese Revolution hatte zwar zweifellos für Frankreich selbst bedeutsame Konsequenzen. Sie warf die politische Entwicklung hin zu einem modernen Staat zurück, schaffte aber zugleich moderne Institutionen wie ein einheitliches Zoll- und Steuersystem, und bereitete so für die französische Wirtschaft den Weg in die Industrialisierung (Supple 1976, 205-207). 243 So weist auch Werner Sombart darauf hin, dass „die Nationalisierung der Märkte“ zwar einerseits die Ausdehnung des Aktionsradius des vormals lokalen und regionalen Wirtschaftsverkehrs bedeute-te, andererseits aber auch Teile des bereits internationalisierten Wirtschaftsverkehrs renationalisierte (Sombart 1928b, 188f.) 244 Die Explosivität, die diese Asymmetrie zwischen einem potentiell global operierenden Wirt-schaftssystem und einem segmentär operierenden politischen System in sich barg, hatten bereits Karl

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damit einhergehende politische Immunisierung gegenüber allen Prozessen au-ßerhalb der Nation ist dabei zugleich ein wichtiger Punkt, um die (potentielle) Unwahrscheinlichkeit dessen zu begreifen, was sich später auf suprastaatlicher Ebene abspielte. Er macht deutlich, warum die Schaffung eines gemeinsamen Regulierungsstandards, wie ihn Basel II vorsieht, vor dem Hintergrund dieser historischen Entwicklungslinien mit großen Ablehnungsschwellen zu rechnen hat. Wenn wir im Folgenden von der Unwahrscheinlichkeit der Implementierung suprastaatlicher Regeln in nationalstaatliche Kontexte sprechen, so bezieht sich dies nicht allein auf die strukturelle, sondern zugleich auch auf die seman-tisch/symbolische Qualität des Staates.

Im 18. und auch noch im 19. Jahrhundert lässt sich jedoch noch eine span-nungsgeladene Doppelbewegung aufzeigen. Diese Doppelbewegung äußerte sich – wenngleich in anderer Weise als im merkantilen Zeitalter – in der weiterge-henden Ausdifferenzierung und Kopplung von Politik und Ökonomie. Auf der einen Seite trieb die Weltwirtschaft ihre Vernetzung weiter voran und schuf die Grundlagen für einen globalen Wirtschaftsverkehr. Auf der anderen Seite band das politische System die Ökonomie (noch immer) in ihre segmentären Ord-nungsstrukturen ein und realisierte damit – wie Armin Nassehi es ausdrückt – ein „reembedding“ des Funktionssystems in die jeweiligen nationalstaatlichen Kon-texte (Nassehi 2003, 165). Dieses Re-embedding ließ somit die Suche nach über-staatlichen Lösungen zur Regulierung der Wirtschaft (noch) nicht notwendig werden.

Das „goldene Zeitalter“ und sein jähes Ende

Die Etablierung des Goldstandards in den 1870er Jahren ist eines der eindrucks-vollsten und wohl auch folgenreichsten Beispiele dieser Doppelbewegung, wie sich an den Analysen Karl Polanyis nachvollziehen lässt. Mit dem Goldstandard ermöglichte die Staatenwelt eine „unique organization of world economy“ (Po-lanyi 2001, 3).245 Einerseits stand damit für die Ökonomie eine Verrechnungs-einheit zur Verfügung auf deren Basis sich die Weltwirtschaft nach ökonomi-schen Prinzipien weiter entfalten konnte. Andererseits – so macht Polanyi deut-lich – wäre die Wirksamkeit des Standards nicht ohne die sich entwickelte Staa-tenordnung zu denken gewesen, in welcher jeder einzelne Staat darüber ent-schied, diesem internationalen Standard beizutreten. Der liberale Nationalstaat erwies sich so als Schöpfer aber auch zentrale Bezugsgröße der ‚goldbasierten’

Marx und Friedrich Engels erkannt, wenngleich die These einer Überwindung nationaler Heterogeni-täten sich als voreilig erwies (Marx/Engels 1946, 32f.). 245 Die Einigung auf einen Goldstandard ist dabei auch als Folge des Verfalls des Silberwertes zu sehen, der bis dahin als dominierender Orientierungswert fungierte (Frieden 2006, 6).

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Weltwirtschaft (Polanyi 2001, 3). Im besonderen Maße lässt sich dieses Verhält-nis an einer gesellschaftlichen Einrichtung ablesen, die zu diesem Zeitpunkt ihren gesellschaftlichen Aufstieg erlebte: Die so genannte Hochfinanz.246 Diese Wirtschaftselite fungierte zwar einerseits als Antreiber der Weltwirtschaft. Ihr war die Aufgabe zugedacht, Auslandsinvestitionen zu ermöglichen, internationa-le Kredite zu vergeben und damit entscheidend zur ökonomischen Vernetzung beizutragen.

Jedoch – so zeigt Polanyi auf – war die Hochfinanz trotzdem noch in hohem Maße von nationalen Strukturen abhängig. Ihr Optionsraum hing in hohem Maße von politischen Konstellationen und insbesondere auch den Entscheidungen ihrer Regierungen ab (siehe auch bei: Barth 1995, 459; Polanyi 2001, 12f).247 An der Hochfinanz und ihrer widersprüchlichen Rolle lässt sich die Spannung zwischen finanzökonomischer Logik und dem Anspruch der Politik deutlich ablesen. Die internationale Finanzwelt litt letztlich mit Blick auf ihre weltweite Ausdifferen-zierung unter diesem Primat der Politik, aber auch unter der national ausgerichte-ten Bankenwelt, da ihre Pläne durch politische Manöver und Sabotage, sowie Komplizentum der nationalen Banken mit den jeweiligen Regierungen ver- oder behindert wurden.248 In der Hochfinanz versinnbildlicht sich so die dualistische Struktur von liberaler Wirtschaftspolitik und gleichzeitiger Stabilisierung staatli-cher Souveränität.

Nur auf der Basis dieses Schemas ist zu erklären, dass einerseits die Globa-lisierung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zum ersten Weltkrieg einen gewaltigen Schub vollzieht (Osterhammel/Petersson 2006, 63) und andererseits sich der moderne Interventionsstaat als Form politischer Ordnung herauskristal-lisiert (Leibfried/Zürn 2006, 63). Der Interventionsstaat reagiert auf Forderungen an das politische System, die in Folge materieller Ungleichgewichte im Zuge des wirtschaftlichen Modernisierungsprozesses entstehen. Die Lösung, die er bereit-hält, um dem nun virulent werdenden politischen „Problem der Armut“ (Willke 1992, 239) zu begegnen, kann mit dem Begriff der öffentlichen Wohlfahrt be-

246 Der Aufstieg dieser wirtschaftlichen Elite wird auch anhand der gestiegenen Kapitalmobilität deutlich. Vor dem 19. Jahrhundert existierte nur ein wenig ausgeprägter internationaler Kapitalmarkt. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts traten dann vor allem noch Regierungen als Kreditnehmer auf, erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde dann vor allem die Finanzierung von Produktions-unternehmen zum Kernbereich des internationalen Kreditgeschäfts (North 1962, 323). 247 Diese funktionierte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und im ersten Drittel 20. Jahrhunderts „als wichtigstes Bindeglied zwischen wirtschaftlicher und politischer Struktur der Welt.“ Hochfinanz war wirkungsmächtige und anpassungsfähige Institution. Obwohl sie von einzelnen Regierungen und Zentralbanken unabhängig war, stand sie doch mit allen in Kontakt. 248 Die Behinderung/Verhinderung internationaler Transaktion durch die nationale Finanzwelt ist – wie Polanyi verdeutlicht – so zu erklären, dass die internationale Hochfinanz im Rahmen ihrer Ope-rationen oftmals auch auf nationales Kapital angewiesen war.

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zeichnet werden.249 Wiederum ist der Staat analog zu den Ausgaben für Militär und Infrastruktur auf Kapital angewiesen, fallen doch die Kosten für Wohlfahrt auf dem Feld der Finanzen an (Luhmann 2000a, 216).

Die Beherrschung dieser Aufgaben stellte die staatliche Verwaltung vor vergleichsweise geringe Probleme. Bereits gegen Ende des 16. Jahrhundert war – wie wir bereits darlegten – in den Verwaltungsapparaten der Monarchien mit der Entwicklung bestimmter Analyseformen und „Wissensarten“ begonnen worden, die im 17. Jahrhundert ausgearbeitet wurden (Foucault 2004a, 152). Im Zuge der ‚kameralistischen Wende’ in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich diese Staatswissenschaft, die fortan Statistik heißen sollten, zu einem wir-kungsmächtigen Regulierungsinstrument. Die ideengeschichtlichen Grundlagen für diese Betrachtung des Staatlichen hatte bereits Thomas Hobbes gelegt, wenn er vom Staat als einem politischen Körper sprach, den es seiner Einschätzung nach mit den Methoden moderner Naturwissenschaft zu betrachten galt (Stoll-berg-Rilinger 1986, 57).250 In diesem mechanistischen Verständnis wurde der Staat und seine administrative Seite als Maschine betrachtet, über die sich nicht allein ökonomische Prozesse wie das Steueraufkommen, sondern bald auch an-dere gesellschaftliche Kategorien wie durchschnittliches Bildungsniveau oder Kriminalitätsraten beziffern und kontrollieren ließen (Hacking 1982, 287ff.; Simon 2004, 542; Stollberg-Rilinger 1986, 75).251 Wir werden später sehen, dass gerade die Abkehr von diesen Verfahren ein bedeutsames Merkmal des mit Ba-sel II eingeleiteten Paradigmenwechsels bedeutet.

Mit der Entfaltung des modernen Interventionsstaates in Kombination mit einem liberalisierten Welthandel hatte sich nun eine widersprüchliche Form von (finanzwirtschaftlicher) Vernetzung und politischer (nationalstaatlicher) Integra-tion herauskristallisiert, mit der die Politik erwartete, den Logiken beider Be-zugskategorien – der Weltökonomie aber auch dem Nationalstaat – entsprechen

249 Auch an dieser Stelle versteht es sich nahezu von selbst, dass erste Konturen von Wohlfahrtstaat-lichkeit zu diesem Zeitpunkt erst in sehr wenigen europäischen Ländern und auch dort sehr zaghaft aufkommen, man denke an die Sozialgesetze im Deutschen Reich unter Bismarck. Diese schlossen ideengeschichtlich an die „Lehre vom sozialen Königtum“ von Lorenz von Stein an und verstanden sich nicht mehr als eine partielle Kompensation der extremen Arbeitsbedingungen in der industriellen Wirtschaft (Wehler 1995, 907ff.). 250 Bei Thomas Hobbes lag der theoretische Bezugspunkt des „politischen Körpers“ jedoch noch im Naturrecht verankert und diente der Herstellung von Frieden. Im Zuge der Kameralwissenschaften veränderte sich jedoch diese Auffassung. Der Frieden galt hier bereits gegeben, der Staat als Maschi-ne diente lediglich als Herrschaftstechnologie, um weitere Zwecke zu erfüllen (Stollberg-Rilinger 1986, 95). 251 An dieser Stelle offenbart sich damit wiederholt die Multireferentialität von Organisationen. In diesem Fall sind es dann die Organisationen der staatlichen Verwaltung, die neben dem politischen und rechtlichen auch auf den ökonomischen Code bei der Erzeugung ihrer Relevanzkriterien zugrei-fen.

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zu können. Mit anderen Worten: Während Wirtschafts- und Finanzsystem bereits überstaatliche Interdependenzen herausgebildet hatten, offenbarten sich in der Politik keine äquivalenten Entwicklungen, die auf diese Modifikationen reagier-ten. Die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre führte uns vor Augen, dass dieses spannungsreiche Arrangement kaum politisch zu kontrollieren war. Die globale Bankenkrise, in welcher die einzelnen Bankinstitute im wahrsten Sinne des Wortes der Reihe nach ihre Geschäftstätigkeiten einstellen mussten, griff wie ein Lauffeuer schließlich auch auf die Warenökonomie über.

Die Dominoeffekte im Bankensystem zeigten an, wie weit die Vernetzung bereits vorangeschritten war und wie wenig nationalstaatliche Grenzen als öko-nomische Grenzen fungierten (James 2001, 69). 252 Das aus dem (scheinbaren) Gleichgewicht geratene Pendel schlug nun in die andere Richtung. Die meisten Staaten traten nun den Rückzug in nationalstaatlich gelenkte Wirtschaftssysteme, bis hin zu autarkistischen Wirtschaftskonzeptionen an, die von weltwirtschaftli-cher Vernetzung wenig übrig ließen (Frieden 2006, 206) und viele Großbanken zeitweise in die Verstaatlichung führten.253 Trotz dieser Erfahrungen hatte die Idee von weltwirtschaftlicher Globalisierung und politischer Einbettung grund-sätzlich zunächst wenig an seinem Reiz verloren. Bereits während des 2. Welt-krieges wurden die Rahmenbedingungen für eine mögliche weltwirtschaftliche Ordnung für die Nachkriegszeit erarbeitet. Damit kündigte sich eine Ordnung an, in welcher der Nationalstaat sich selbst zumindest in der westlichen Hemisphäre als zentraler Gestalter der Weltwirtschaft begriff. So zeichnete sich auf einer Konferenz in dem amerikanischen Badeort Bretton Woods 1944 ab, dass nach Kriegsende an die so genannten „Golden Ages“ – wenn auch in deutlich modifi-zierter Fassung angeschlossen werden sollte (Frieden 2006, 287).254 Damit brach eine Phase an, die John Ruggie als einen Kompromiss zwischen Freihandel und Protektionismus bewertete und mit dem Begriff des „embedded liberalism“ be-zeichnete (Ruggie 1982, 393).

252 Dies hing vor allem damit zusammen, dass nach dem ersten Weltkrieg mit der Revitalisierung des Goldstandards politisch ein System eingesetzt wurde, an das ökonomisch schon kaum mehr geglaubt wurde (James 2001, 188). 253 Karl Häuser zeigt dies am deutschen Beispiel auf (Häuser 1993, 408). Diese Entwicklung relati-viert damit die faktischen Auswirkungen der Kommunikation der BIS, die – wie oben geschildert – seit der Zeit nach dem ersten Weltkrieg auch um Koordination bemüht war. An der Abschottung der Staaten schien der ‚Talk’ auf suprastaatlicher Ebene wenig ausrichten zu können. 254 Jeffrey Frieden fasst die Ausgestaltung von Bretton Woods wie folgt zusammen: „The Bretton Woods system governed the international economic relations of the advanced capitalist countries from World War Two until the early 1970s. The industrialized nations turned away from economic nationalism and conflict. But they did not return to the laissez-faire of the years before World War one (...).“ (Frieden 2006, 300).

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Mit erhobenem Zepter in die Bretton Woods Ära – der Staat auf dem Gipfel seiner Macht

In dieser weltwirtschaftlichen Architektur hatte sich der moderne Interventions-staat eine schaffende und überwachende Aufgabe zugedacht. Es ging um den erneuten Versuch das Kunststück einer nationalstaatlichen Einbettung der Wirt-schaft und ihrer globalen Verflechtung zu vollbringen.255 So begriff er sich (zu-mindest in der westlichen Staatenwelt) nicht mehr allein als Verteidiger der terri-torialen Grenzen und der Sicherung von Frieden nach innen und außen, sowie als Hüter individueller Rechte, Stifter einer nationalen Identität und Förderer öffent-licher Wohlfahrt. Zudem trat der Staat nun vermehrt auch als ‚Risikomanager’ auf den Plan. Dabei wurde dem Umstand Sorge getragen, dass das Finanzsystem sich bereits als eigenständiges Subsystem herausgebildet hatte und auf der Basis seiner eigenen Logik im besonderen Maße die Voraussetzungen für eine globale Vernetzung erfüllte. Insbesondere die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre, das bereits erwähnte Scheitern des Goldstandards und die damit verbun-denen massiven ökonomischen Turbulenzen hatten bei Politik und Recht Sensi-bilitäten für einen neuen Interventionsbereich entwickelt. Auf dem Feld der Geldpolitik hatte sich im Besonderen aufgezeigt, wie aus finanzökonomischen und vor allem aus banksystemischen Risiken schließlich auch Gefahren für das Zentrum des politischen Systems resultieren konnten.256 Im Zuge der Erarbeitung des Bretton-Woods-Abkommens ging der Nationalstaat wohl bis auf weiteres ein letztes Mal in seiner Bedeutung als zentrale Bezugsgröße hervor. Und dies in dreifacher Hinsicht: Zum einen sah Bretton Woods die Einführung deutlich rigi-derer Kapitalkontrollen durch die Politik – auch als Folgen der Krisenerfahrun-gen in den 1930ern – vor (Helleiner 1994, 28).257 Zweitens zielte Bretton Woods darauf ab, durch feste Wechselkurse den Wert von Währungen zueinander unter politischen, nicht aber unter ökonomischen Gesichtspunkten zu ermitteln. Zum dritten konnte sich der Staat innerhalb des weltpolitischen Systems als souveräne

255 Ruggie spricht in diesem Zusammenhang von einer „balance between authority and market fundamentally transformed state-society relations“. An diese Terminologie lässt sich mit Blick auf unsere Integrations- und Interdependenzperspektiven anschließen, kann doch die Dimension der „authority“ als Integration in die Nationalstaaten, die des „market“ als Interdependenzknüpfung auf dem Weltmarkt begriffen werden (Ruggie 1982). 256 In den Vereinigten Staaten wurde zwar bereits 1864 mit dem National Banking Act auf Bundes-ebene eine Kontrolle der Banken aufgeführt. In Deutschland aber kam es beispielsweise erst 1931 zu einer Konstitution staatlicher Bankenaufsicht (Lütz 2002, 116). 257 Das politische System reagierte somit auf die Eigenlogik des Weltfinanzsystems, das nicht allein in der Sachdimension (eigene Grenzziehungen, Investment/Nicht-Investment als binärer Code), sondern sich auch in der Raumdimension (globale funktionale Ausdifferenzierung) einer Politisie-rung zu erwehren versuchte.

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und entscheidende Operationseinheit behaupten.258 Zwar wurden mit dem ‚Inter-national Monetary Fund’ (IMF) und der ‚International Bank for Reconstruction and Development’ (IBRD) zwei überstaatliche Institutionen ins Leben gerufen, die als zentrale Instanzen der eng vernetzten Weltwirtschaft Sorge tragen sollten.Dennoch wurde der IMF entgegen ursprünglicher Vorschläge259 in seinen Kom-petenzen deutlich eingeschränkt. Die Kontrolle von Kapitalbewegungen lag allein in den Händen der Nationalstaaten (Helleiner 1994, 48).260 Diese fungier-ten gemeinsam mit ihren nationalen Ökonomien als „building blocks“ der inter-nationalen Ordnung (Dunford 2000, 152).

Waren die supranationalen Institutionen der Politik somit von vergleichs-weise geringer Bedeutung, so gab es noch eine weitere Institution, die sich erst später als der entscheidende Pfeiler für die internationale Finanzarchitektur der Nachkriegszeit erweisen sollte: der US-Dollar. Ähnlich wie auch zum Ende des 19. Jahrhunderts schälte sich – vergleichbar mit dem Goldstandard – der US-Dollar als Transaktionswährung der internationalen monetären Ordnung der heraus. Ab dem Ende der fünfziger Jahre fungierte die US-amerikanische Zah-lungseinheit als das Maß aller Währungen (Frieden 2006, 290), an welchem die anderen Nicht-Dollar-Staaten ihre Währungspolitik (durch Auf- oder Abwertung gegenüber dem US-Dollar) orientierten. Auch der Dollar war dabei an einen Gegenwert gebunden, nämlich an Goldreserven.261

258 Auch in einem allgemeinen Sinne schlägt in der Nachkriegsära die Stunde des Nationalstaates als globale politische Ordnungsform. Mit dem weitgehenden Ende des Kolonialismus in dieser Zeit kristallisiert sich die Staatenwelt mit ca. 200 National- und Territorialstaaten heraus, die auch heute noch das primäre Ordnungsmuster des Politischen ausmacht und den Erdball mit Ausnahme der Antarktis lückenlos ausfüllt (Stichweh 2007, 28). Auch hinsichtlich der Organisation der Staaten lassen sich Isomorphien beobachten, sind doch die Staaten in vielerlei Hinsicht von globalen Model-len beeinflusst (Meyer/Boli/Thomas/Ramirez 1997).259 Besonders eine Gruppe um den Ökonomen John Maynard Keynes hatte sich für einen starken IMF ausgesprochen. 260 Das Kräfteungleichgewicht zwischen transnationalen Organisationen und Nationalstaaten zuguns-ten der letzteren Größe zeigte sich nicht zuletzt an der Stärke des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT). GATT war als Institution zur Koordinierung und schließlich auch Liberalisierung weltweiter Handelsbeziehungen äußerst erfolgreich. Jedoch handelte es sich dabei, anders als im Falle vom IMF und IBRD, um keine trans- oder supra-, sondern lediglich eine internationale Organi-sation, die fest in der nationalstaatlichen Ordnungslogik verankert war. Auch darin ist – nach Ein-schätzung von Jeffrey Frieden – eine Ähnlichkeit zur institutionellen Ausprägung internationaler Politik im 19. Jahrhundert zu sehen (Frieden 2006, 288). 261 Die Beobachtung dieser Entwicklung erweist sich dabei nicht allein als wichtig, um die Ko-Entwicklung von Politik und Weltwirtschaft zu beobachten. Die Fixierung auf einen Wert einer Währung und die damit einhergehende Möglichkeit einer weltweiten Vergleichbarkeit spiegelt ein Prinzip wider, welches sich später im Kontext der Bankregulierung in prominenter Weise im einheit-lichen Mindestkapitalstandard wieder findet, und erst im Kontext von Basel II eine vorsichtige Rela-tivierung erfährt. Dies gilt es im Hinterkopf zu behalten, um die Veränderungen in der Bankenregu-lierung im Weiteren nachvollziehen zu können.

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Das Ende von Bretton Woods – der Beginn eines „Casino Kapitalismus“?

Dieses artifizielle Arrangement war jedoch nicht von langer Dauer. Die Stützung des internationalen Währungssystems durch den US-Dollar sollte sich nur bis Anfang der 70er Jahre als möglich erweisen. Mit der Aufhebung der Goldkon-vertibilität des Dollars wurde der ökonomischen Ordnung von Bretton Woods die Grundlage entzogen (Frieden 2006, 339f..). Über die dahinter liegenden Gründe für diesen Schritt sind verschiedene Erklärungen formuliert worden. Zum einen wurde der unterbewertete Goldpreis hervorgehoben, der einen über-bewerteten Dollar erzeugte und damit die Exportindustrie in ihrer Wettbewerbs-fähigkeit schwächte. Zum zweiten wurde – damit eng verbunden – die hohe negative Zahlungsbilanz ins Feld geführt, die – auch als Ergebnis der Export-schwäche – die USA unter Druck setzte. Drittens wurde der Vietnamkrieg als bedeutender Einflussfaktor betrachtet, der die USA nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch herausforderte (Wuffli 1979, 35ff.). Ungeachtet dieser mögli-chen Aspekte zeigt sich aber auch, dass Bretton Woods – wie Jürgen Osterham-mel und Niels Petersson es formulieren – an seinen eigenen Widersprüchen scheiterte. Die drei Grundprinzipien – feste Wechselkurse, freier Waren- und Kapitalverkehr und nationale wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit – waren so nicht miteinander vereinbar. Der staatliche Steuerungsanspruch hatte der Kom-plexität und der Expansionsdynamik des Finanzsystems mit diesem politischen Rahmenwerk offenbar wenig entgegenzusetzen.262 Die Finanzökonomie emanzi-pierte sich so von politischen Restriktionen und fand Löcher im System, „die eine Globalisierung außerhalb der staatlich institutionalisierten Kanäle zuließen“ (Osterhammel/Petersson 2006, 96).263 Diese ‚Löcher’ trugen dazu bei, dass schon bereits vor dem tatsächlichen Ende dieser weltwirtschaftlichen Ordnung ihre Totenglocken läuteten. Im weltpolitischen System gab es zwar viele Staaten,

262 Ein wichtiges Beispiel in diesem Zusammenhang ist vor allem der Widerspruch von internationa-ler Währungskonvertiblität und nationaler Währungssouveränität. Die Regierungen reagierten bei ihren Entscheidungen zur Währungspolitik zu spät auf die Entwicklungen des Marktes und außerdem noch unter der Berücksichtigung eigener Wählerkalküle. Leistungsfähiger gewesen wäre ein System, was Währungsanpassungen automatisch nach ökonomischen Parametern vollzogen hätte (Wuffli 1979, 17). 263 Als eines dieser Löcher kann der so genannte Euro-Dollar Markt angesehen werden. Zwar wurde die Schaffung dieser Institution von Staaten den USA und Großbritannien gut geheißen, wenn nicht begrüßt (Helleiner 1994, 82). Gerade dies zeigt jedoch, wie der Staat seine Gestaltungsfähigkeit selbst relativierte, wurde der Euro-Dollar-Markt doch von privaten Akteuren ins Leben gerufen und ermöglichte dann einen relativ freien, unreglementierten Kapitalverkehr, außerhalb der Bretton-Woods-Ordnung. Für die Integration des globalen Bankensystems ist zudem bedeutsam, dass sich mit der Konstitution des Euro-Dollar-Marktes durch inter-bank-lending, Vernetzungen konstituierten, die in Finanzwissenschaften mit den Begriffen des „chaining“ oder „pyramiding“ bezeichnet sind (Fertig 1981, 24f).

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in denen man erwartete, der Diskreditierung der globalen Finanzmarktarchitektur mit mehrstaatlich organisierten Kontrollen Herr zu werden. Letztlich setzte sich jedoch die Position der Regierung der Vereinigten Staaten durch, die Ende der 60er Jahre auf eine stärkere Liberalisierung von Handel- und Finanzmarkt dräng-te (Helleiner 1994, 105). Damit entschied die Politik in vielen Weltregionen aber auch dagegen, der weltweiten Vernetzung der Finanzökonomie jenseits politi-scher Kontrolle Einhalt zu gebieten. Eine Re-Segmentierung von Wirtschafts- und Finanzsystem in die nationalstaatlichen Grenzen, wie es noch im Nachklang der Weltwirtschaftskrise zu beobachten war, wurde somit diesmal nicht unter-nommen.264 Die „führenden Nationalstaaten“ gaben so – wie Helmut Willke deutlich macht – „den Hebel selbst aus der Hand“. So sehr diese Entscheidung aus einer ökonomischen Perspektive einen hohen Plausibilitätsgrad aufwies: Unter politischen Gesichtspunkten blieben mit diesem Schritt für die National-staaten viele Fragen offen und ungelöst (Willke 2003, 155).

Der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu Beginn der 70er Jahre markierte schließlich in gewisser Hinsicht das Ende einer Jahrhunderte währen-den Ko-Evolution von weltwirtschaftlicher Entfaltung und dem Aufbau und Ausbau staatlicher Macht. Dieses Ende hatte sich zwar unter anderem mit dem aufblühenden Freihandel am Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder abge-zeichnet. Es kam jedoch erst in den 1970er Jahren nachhaltig zum Tragen. In diesem Zusammenbruch liegt die einzigartige Diskontinuität gesellschaftlicher Entwicklung, in deren Kontext die uns interessierenden Prozesse einer Verände-rung politischer Bankenaufsicht gesetzt werden müssen. Territoriale Grenzen, nationale Souveränität und Sozialstaatlichkeit – die Insignien des modernen Staates stehen ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in besonderer Weise auf den Prüfstand. Zwar lässt sich keineswegs ihr Verschwinden beobachten. Die (notfalls militärische) Sicherung der Außengrenzen sowie die Aufrechterhaltung der so genannten öffentlichen Ordnung stehen nicht zur Disposition. Zusammen-genommen aber relativiert sich die Gestaltungsmacht des Nationalstaates im Kontext ökonomischer Prozesse. In eine systemtheoretische Terminologie zu-rückübersetzt lässt sich formulieren: Die Eigenlogiken des Wirtschafts- und vor allem des Finanzsystems gehorchten nicht mehr politisch-territorialen Grenzen. Dieses Auseinanderdriften beider Entwicklungsprozesse stellte das politische System und vor allem den Staat als besonderes Ordnungsmuster des politischen Systems vor große Herausforderungen (1). Das Wirtschaftssystem, aber insbe-

264 Vergessen werden darf an dieser Stelle nicht, dass wir uns zu dieser Zeit mitten im kalten Krieg befinden, in welchem – man denke allein an die Berliner Mauer – politisch/territoriale Grenzen keineswegs grundsätzlich an Bedeutung verlieren. Dennoch lässt sich hier vor allem in den OECD-Staaten eine Öffnung von Grenzen mit Blick auf Wirtschaftsprozesse beobachten, der ein paradigma-tischer Charakter zugeschrieben werden dürfte.

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sondere auch das Finanzsystem, trieb es seitdem dagegen zu neuen ‚Höchstleis-tungen’ der Globalisierung an (2).

(1) Die Probleme des Staates, die mit einer Entkopplung einhergingen, rühr-ten zunächst daher, dass er sich durch die Schaffung und Reproduktion von Inf-rastruktur in hohem Maße mit dem Wirtschaftssystem, vor allem über Steuern, gekoppelt hatte. Die Entbettung der Wirtschaft aus territorialen Kontexten zog aber nun die Entfachung eines Steuerwettbewerbs nach sich, der die Gestal-tungsmöglichkeiten des Staates auf der Basis monetärer Mittel einengte.265 Diese Einengung bezog sich nicht allein auf die Steuergesetzgebung, sondern ebenfalls auf das wohlfahrtsstaatliche Institutionengefüge, vor allem auf das der sozialde-mokratischen und konservativen Wohlfahrtsstaaten.266 In einer weltweit vernetz-ten Wirtschaft wurden schließlich auch die Arbeitskosten einer Kostenrechnung unterzogen, so dass der Status der dabei abzuführenden Sozialleistungen sich als immer prekärer erweisen sollte.267

Diese Veränderungen von Wohlfahrtsstaatlichkeit stellen zwar nicht unser eigentliches Thema dar – dennoch setzten die Veränderungen auf diesem Politik-feld Prozesse in Gang, die zugleich unseren Untersuchungsbereich, die politisch-rechtliche Bankenregulierung berühren. Auch Risikoregulierung wurde als Teil-bereich der Standortpolitik gesehen. Zuviel an Regulierung und zuviel an politi-scher Reglementierung konnten schließlich Kapital und Arbeitskräfte dazu ver-leiten, die ‚exit-Option’ zu wählen.268 Auch hier standen die Staaten und ihre

265 Wir hatten bereits darauf hingewiesen, wie sehr der Ausbau von Staatlichkeit in den verschiede-nen Phasen auch von der Finanzierbarkeit abhängt. „Das Goldene Zeitalter des Steuerstaates“ beginnt gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die weltwirtschaftliche Vernetzung bereits weit fortgeschritten war. Es war in dieser Form nur – wie Philipp Genschel und Susanne Uhl betonen – durch „wirt-schaftliche Abschottung“ und damit durch die von uns erwähnte politisch/territoriale Einbettung der Wirtschaft möglich. Bei seinen Anreizstrukturen setzt der Staat vor allem auf negative Anreizinstru-mente. Möglichen Formen der Umgehung wird nicht mit Steuererleichterungen und -anreizen, son-dern mit dem Aufbau weiterer Hürden begegnet. Bis in die siebziger Jahre entstehen die Hauptfor-men der Steuern (Genschel/Uhl 2006, 93f.). Mit der Entbettung des Wirtschaftssystems aus politi-schen Kontexten verliert der Staat die Möglichkeit, Steuern allein nach politischen Gesichtspunkten zu erheben. Zentrale Gründe dafür ist ein Prozess, der mit dem Begriff der Standortdebatte geführt wird. Viele Staaten sehen sich in einen Steuerwettbewerb getrieben, um den Abfluss der Wirtschaft an andere Standorte zu verhindern. In diesen Staaten lässt sich dann eine Modifizierung, wenn nicht gar eine Umkehr der Integrationslogik beobachten. War früher der ökonomische Gewinn an die polischen Reglementierungen gebunden, so hängen heute die Steuersätze auch davon ab, ob sie verglichen mit anderen Staaten wettbewerbsfähig sind und damit der Logik des Marktes entsprechen. 266 Zur Unterscheidung unterschiedlicher Wohlfahrtsstaatsregime siehe bei Gösta Esping-Andersen (Esping-Andersen 1999, 74). 267 Helmut Willke spricht in diesem Kontext gar vom Ende der „Utopie des Wohlfahrtsstaates“ (Willke 2001a, 14ff.). 268 Hier ist oft von so genanntem „offshore-banking“ die Rede. Siehe dazu beispielsweise bei Robert Aliber (Aliber 1984, 666).

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Aufsichtsinstitutionen mit der Auflösung von Bretton Woods als einer überstaat-lichen Regulierungsinstanz in einem Wettbewerb um Marktanteile, die – und daran wird die Verbindung zur Wohlfahrtsstaatlichkeit deutlich – letztlich wie-derum Steuern und Arbeitskräfte bedeuteten.

Damit scheint ein Aspekt auf, der in unserer bisherigen Darstellung zwar implizit mitgeführt wurde, in seiner theoretischen Durchdringung bisher unthe-matisiert blieb. Im Zuge ihrer Ko-Evolution ward nicht allein das Wirtschaftssys-tem enger mit dem politischen System gekoppelt, indem es in die entsprechende Staatenordnung integriert wurde. Auch umgekehrt bildeten sich durch die zu-nehmende Geldabhängigkeit des Staates neue Integrationsmechanismen. Zu-nächst wurden diese vor allem durch Repräsentations- und Kriegskosten der monarchischen Regime hervorgerufen. Später konstituierten sich dann Erwar-tungen einer öffentlichen Wohlfahrt und Risikovorsorge in den Bevölkerungen, mit denen sich strukturelle Kopplungsformen, die eine Einschränkung von Frei-heitsgraden des Politischen und damit seine Integration mit der Wirtschaft, noch verstärkten. Die Erwartungsstrukturen, die wir in der in Abschnitt 3.1. themati-sierten Textstelle des KWG herausgearbeitet haben, sind ein empirisches Bei-spiel für eine solche Kopplung politischer Rationalität und finanzökonomischer Prosperität.269 Deutlich wird so, wie sehr sich der Staat im Aufgabenbereich der Bankenregulierung einem Geflecht widersprüchlicher Koordinaten, der Sicher-heit aber auch der ökonomischen Lukrativität von Einlagen, der Stabilität aber auch der Effizienz des Bankensystems gegenüber gestellt sah.270 In den 70er und 80er Jahren versuchten die Staaten „eine Repatriieriung der Finanzgeschäfte in die eigenen Landesgrenzen“ zu betreiben. Diese Versuche blieben jedoch folgen-los, beziehungsweise erzielten gerade eine gegensätzliche Wirkung (Strulik 2000, 170). Letztlich kam es zu einem Abbau von Regulierung. Die Zunahme von Risiken wurde für eine erwartete ökonomische Prosperität in Kauf genom-men.271 Mit anderen Worten: Regulierungspolitische Schwäche avancierte zur wirtschaftspolitischen Stärke. Die Staatenwelt trat damit in eine Phase ein, die Susan Strange als „no-rule-regime“ bezeichnet (Strange 1986, 41).

269 An diesem Sachverhalt wird zudem noch einmal ersichtlich, dass die staatlichen Institutionen als multireferentielle Organisationen aufgestellt sind, die die politische Brisanz ökonomischer Katego-rien nicht allein als schlichte Irritationen, sondern als Informationen bearbeiten können. 270 Die Frage nach dem richtigen Maß an Intervention und Regulierung ist dabei – folgen wir Michel Foucault – eine Frage, welche den Staat bereits mit dem Aufkommen der politischen Ökonomie beschäftigt und die zumindest im politökonomischen Denken vorzugsweise mit einer Selbstbe-schränkung und damit auch einer tendenziellen Minderung an Regulierung beantwortet wurde (Fou-cault 2004b, 38). 271 Die Abkehr rigider Kapitalkontrollen wurde auch deshalb möglich, weil die Kapitalflüsse sich in keiner Weise mehr in Relation zu politisch fixierten Wechselkursen bewegen mussten. Dies alles konnte nun allein nach den Spielregeln der Ökonomie erfolgen (Obstfeld/Taylor 2004, 27).

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Auch an diesen Prozessen lässt sich ablesen, welche drastischen Veränderungen seit den 70er Jahren das Verhältnis des politischen Systems und des Wirtschafts-/Finanzsystems prägen. Es liefert Hinweise dafür, welche Funktionsstelle sich nun für supranationale politischer Strukturen öffnete – eine Funktionsstelle die auch aufgrund der Eigensinnigkeit der einzelnen Nationalstaaten einer Ausfül-lung bedurfte. Der Verweis auf die Weltwirtschaftskrise deutete bereits an, dass der Staat sich grundsätzlich immer mehr in der Rolle sah, die Krisenpotentiale des Bankensystems abzufedern – dies auch, um dem politischen Postulat öffent-licher Wohlfahrt aber auch der politisch an ihn gerichteten Aufgabe als Risiko-manager (siehe Kapitel 3) gerecht zu werden.

Blicken wir auf die politischen Bemühungen, die im Anschluss an die Weltwirtschaftskrise einsetzten und auch noch den Geist von Bretton Woods bestimmten, so richteten diese sich vor allem auf die Inanspruchnahme politi-scher Grenzen, um die Auswirkungen von Risiken abzufedern und Ereignisse wie den bereits angesprochenen Dominoeffekt unwahrscheinlicher zu machen. Es ging somit um Mechanismen, welche wir in Abschnitt 2.1.3 bereits mit Blick auf Organisationen besprochen hatten: Mechanismen der Interdependenzunter-brechung. Im Bretton Woods System kamen den politisch-territorialen Grenzen die Funktion zu, Interdependenzen zu unterbrechen, diese zumindest einer regu-lativen Prüfung zu unterziehen und damit dem Automatismus einer finanzöko-nomischen Logik zu entziehen. Mit dem Ende von Bretton Woods, der Auflö-sung fester Wechselkurse und der Abkehr eines Systems von Kapitalkontrollen verlor diese eine Form der Interdependenzunterbrechung an Wirksamkeit, ohne, dass sich zunächst ein Äquivalent manifestierte.272 Richard O’Brian bringt dies wie folgt auf den Punkt:

”In the aftermath of the collapse of Bretton Woods, and the failure to develop any coherent post-Bretton Woos structure, there was perhaps a decade of non-coordination, with markets being left to lead the way.“ (O'Brian 1992, 85)

(2) Die Märkte gaben also den Ton an, zumindest mit Blick auf das Finanzsys-

272 Die in Kapitel 4 beschriebenen Dokumente des Baseler Komitees produzierten zwar Kommunika-tionsofferten, die eine Zusammenarbeit und dadurch die Schaffung von funktionalen Äquivalenten zu früheren Kontrollen vorsahen. Diese wurden von den Nationalstaaten jedoch – wie wir darlegten – nicht übernommen. Damit lässt sich eine erste Einordnung der faktischen Struktureffekte der Kom-munikation des Baseler Komitees vornehmen, die doch als äußerst ernüchternd bezeichnet werden darf. Und wir werden in Kapitel 7 und Kapitel 8 herausarbeiten, dass hier der entscheidende Unter-schied zu den beiden Baseler Akkorden gesehen werden kann, die beide ein hohes Maß an An-schluss- und Annahmefähigkeit in den Nationalstaaten herstellten.

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tem273 – und dies weit über die erste Dekade der Post-Bretton-Woods-Ära hin-aus. Das Finanz- und damit auch das Bankensystem nutzten die neuen Möglich-keiten, befreit von politisch-territorialer Einbettung ihre eigene Vernetzung, ihr Wachstum, ihre Dynamisierung und ihre Ausdifferenzierung voranzutreiben. Die Euromärkte274 wandelten sich von Off-Shore-Märkten zu global operierenden Märkten (O'Brian 1992, 85). Die weitergehende Vernetzung lässt sich dabei an verschiedenen quantitativen Indikatoren ablesen, die für sich allein womöglich wenig Aussagekraft besitzen, zusammengenommen aber ein Bild zeichnen, das den Transformationsprozess der Finanzökonomie statistisch verdeutlicht. Eine erste Vorstellung dieser Entwicklung liefert uns die transnationale Ver-flechtung von Kapitalanleihen bzw. Beteiligungen. Beispiel USA: Der Anteil ausländischer Investoren an US-Staatsanleihen (Treasury Securities) verdoppelte sich im Zeitraum von 1975 bis 2005 beinahe. Er stieg von 20 auf 44 Prozent. Noch eindrucksvoller lesen sich die Zahlen im Falle des Beteiligungskapitals (US-Equities) sowie der Unternehmensanleihen (US-Corporate Bonds). Ersterer Wert wuchs im gleichen Zeitraum von 4 auf 12 Prozent, letzterer Wert gar von 1 auf 25 Prozent. Diese Zahlen gewinnen nochmals an Plausibilität, wenn wir uns vergegenwärtigen, welche quantitativen Steigerungsraten parallel zur Vernet-zung auf dem globalen Finanzmarkt zu verzeichnen waren. Im Jahr 1980 betrug das Volumen der globalen Finanzmärkte 12 Trillionen US-Dollar, im Jahr 1993 dann bereits 53 Trillionen US-Dollar und im Jahr 2003 dann 118 Trillionen US-Dollar (O.A. 2005a, 38).

Welche Eigendynamik das globale Finanzsystem im Vergleich zur gesamt-ökonomischen Entwicklung in diesem Zeitraum entwickelte wird besonders deutlich, wenn wir seine Wachstumsraten zu denen des globalen Bruttoinlands-produktes in Beziehung setzen. So operierten Bruttoinlandsprodukt und die glo-balen Finanzmärkte hinsichtlich ihrer Wachstumsraten im Jahr 1980 in etwa auf Augenhöhe, der letztere Wert betrug 109 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Mit dieser Äquivalenz der Wachstumsraten sollte es jedoch im Zuge der Libera-lisierungen vorbei sein. Im Jahr 1993 betrug das Volumen des Global Financial Stock bereits 216 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, im Jahre 2003 bewegte es sich gar in einer Größenordnung von 326 Prozent. In Wachstumsraten ausdrückt,

273 Ohne Frage ist auch die Geschichte des Wirtschaftssystems nicht am Ende angelangt. Man be-trachte allein die gesteigerten Direktinvestitionen sowie die Ausweitung des Handels seit Anfang der siebziger Jahre, auf die wir in Abschnitt 5.3 noch einmal mit Blick auf multinationale Organisationen zu sprechen kommen. Dennoch wollen und können wir uns nun, da an der Emergenz eines autono-men Finanzsystems ab diesem Zeitpunkt kein Zweifel mehr besteht, an dieser Stelle primär auf die Entwicklungen in diesem Bereich konzentrieren und die anderen ökonomischen Prozesse zurückstel-len.274 Dazu zählt unter anderem der bereits erwähnte Euro-Dollar-Markt. Siehe außerdem ausführlich in einer Monographie von Ekkehard Stock (Stock 1995).

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wird damit ersichtlich, dass das globale Bruttoinlandsprodukt um 4,0 Prozent wuchs, der Global Financial Stock dagegen um 8,4 Prozent (O.A. 2005a, 43). Auf den Aktienmärkten ließen sich über diesen Zeitraum die deutlichsten Steige-rungsraten festmachen. Betrug der Aktienbestand im Jahr 1980 noch 2,9 Billio-nen US-Dollar, so waren es im Jahre 1993 bereits 12,9 Billionen US-Dollar, im Jahr 2005 dann sogar 44,5 Billionen Dollar. Noch beeindruckender zeigt sich die Entwicklung, wenn wir nicht allein die Vernetzung und das Wachstum, sondern auch die Dynamisierung der Märkte betrachten. Während die Haltedauer von Aktien sich 1980 im Durchschnitt 9,7 Jahre belief, wies sie 1993 bereits nur noch einen Wert von 1,6 Jahren und 2005 einen Wert von 0,9 Jahren auf (O.A. 2007b, 7).275

Unterzieht man diese Zahlen einer Bewertung hinsichtlich der Regulierbar-keit des Finanzsystems, so lässt sich erahnen, wie sehr sich das Finanzsystem von der politisch intendierten Realität eines eingebetteten, staatlich kontrollierba-ren Marktes entfernte. Gerade das Herzstück von Bretton Woods, die internatio-nale Währungsordnung, mutierte zu einer finanzwirtschaftlichen Spielwiese für Spekulanten, mit unkontrollierbaren Effekten für die nationalen Wirtschaftsplät-ze. Das System nationalstaatlicher Währungen erwies sich somit als ein Bume-rang. In Zeiten fester Wechselkurse und rigider Kapitalkontrolle wirkte es für die Finanzökonomie wie ein Korsett, das der Entfaltung von transnational operie-renden Finanzoperationen Einhalt gebot. Ab dem Ende von Bretton Woods und den damit einhergehenden Liberalisierungsprozessen brachte es nun die gegen-teiligen Effekte hervor. Die Teilnehmer am Finanzsystem und insbesondere die internationalen Banken nutzten nun das segmentierte System unterschiedlicher

275 Es steht bei all diesen Indikatoren außer Frage, dass die Kapitalflüsse seit dem Ende von Bretton Woods nicht beliebig fließen. Politikwissenschaftler wie Jeffrey Frieden warnen davor, der Faszina-tion der Kapitalmobilitätsthese zu erliegen, ohne der Kombinatorik sehr verschiedener heterogener Dynamiken nachzuspüren (Frieden 2004, 328). Sowohl in sachlicher/zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht zeigen sich im Finanzsystem Differenzen, auf die wir an dieser Stelle hinweisen, uns aber eine konkretere Erörterung für die folgende Argumentation vorbehalten. So weisen die verschiedenen Kapitalformen aufgrund divergierender Umschlaghäufigkeiten unterschiedliche Zeithorizonte auf, die die Fluidität als auch die Mobilität beeinflussen. Die so genannten Bond Markets sind dabei wesentlich mobiler als die so genannten Equity Markets. (Frieden 2004, 329). Auch in der Raumdi-mension lassen sich deutliche Ungleichgewichte in der Kapitalverteilung beobachten: So entfielen 80 Prozent des Global Financial Stock auf die Eurozone, die USA, UK und Japan. Eine Region wie Lateinamerika wies dagegen gerade einen Anteil von zwei Prozent auf (O.A. 2005a, 57). Wichtig ist jedoch an dieser Stelle, dass es eine Vernetzung zwischen diesen heterogenen Elementen besteht, die gerade unter regulierungstheoretischen Gesichtspunkten neue Herausforderungen aufweist. So kön-nen Ausfallrisiken in einem kurzatmigen Kapitalmarktbereich Gefahren für andere langfristigere Geschäfte bedeuten. Analog verhält es sich in der Raumdimension: Auch finanzsystemisch periphere Regionen wie Lateinamerika mit einem Anteil von 2 Prozent sind eng mit dem Zentrum vernetzt. Gerade in dieser Heterogenität dürfte – wie später noch deutlich werden wird – eine Herausforderung von Bankenregulierung liegen.

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Zinssätze, um daraus Gewinn zu schlagen: Seit Anfang der 80er Jahre wuchs der Bestand an Devisen bis 2004 um das neunfache, der Handel mit Devisen nahm sogar um das 16fache zu. Belief sich somit der Devisenumsatz 1979/80 auf 120 Milliarden US-Dollar pro Handelstag, so konnte im Jahr 2004 durchschnittlich ein Umsatz von 1880 Mrd. pro Handelstag beobachtet werden (O.A. 2007b, 22).

Dieser so genannte ‚foreign exchange market’ ist ein besonders beeindru-ckendes Beispiel für das Wachstum, die Vernetzung aber auch die Ausdifferen-zierung und Fluidität der Finanzökonomie. Karin Knorr-Cetina beschreibt diesen Teil des Finanzsystems als einen globalen, wohl atopischen Markt, dessen Han-delsmittelpunkt sich gemeinsam mit der Sonne von Zeitzone zu Zeitzone schiebt und den jeweiligen „Trading-Rooms“ in den Finanzzentren sein Leben einhaucht (Knorr Cetina 2005, 45).276 Der Markt, so stellt Knorr-Cetina im Rahmen ihrer Forschung fest, operiert auf einer emergenten Ordnungsebene, konstituiert sich als eine „life form“ oder gar ein „greater being“, in welchem verschiedene In-formationen aus anderen Gesellschaftsbereichen unter Bezugnahme auf das In-vestmentkalkül beobachtet werden (Knorr Cetina 2005, 47).277 Diese Metaphern zur Charakterisierung des Marktes vermitteln vielleicht noch eindrucksvoller als die vorangestellten Kennziffern, dass politisch-territoriale Grenzen als integrie-rende Operationsschemata im Gedächtnis des Finanzsystems offenbar keine Rolle (mehr) spielen.

Das Finanzsystem erfährt, wie Helmut Willke herausstellt, im Zuge dieser Verdichtungsprozesse eine „qualitative Steigerung“, die seine Operationen in immer höhere Abstraktionsgrade und Generalisierungsstufen hineinführt, ohne dass hier ein Stoppmechanismus zu vermuten wäre (Willke 2003, 149).278 So-wohl für Helmut Willke als auch für Karin Knorr-Cetina ist diese Entgrenzung aus dem politisch-territorialen Korsett jedoch nicht ohne den spezifischen Ein-satz eines Medium zu denken, welchem wir in unseren Theoriekapitel bereits mit Blick auf die Funktionsweisen von Organisationen einen Abschnitt widmeten: der Technik, in diesem Fall der Informations- und Kommunikationstechnologie. Deshalb wollen wir im folgenden Abschnitt die Wirkungsweise dieser Medien gerade unter Berücksichtigung der Globalisierungsbewegungen eingehend the-matisieren. Dabei wird nachvollziehbar werden, wie eng informationstechnologi-sche Entwicklung und wirtschaftliche Globalisierung miteinander verknüpft

276 Mit dem Machverlust des Politischen bleibt damit vor allem nun ein „Regiment der Uhren“ (Elias 1988, 99), das den Ordnungsaufbau der Finanzökonomie mit ermöglicht. 277 An dieser Stelle zeigt sich nun die in Kapitel 2 angedeutete diabolische Seite des Geldes (s.o.). 278 Diese Abstraktion wird vor allem plausibel, wenn man in Betracht zieht, dass auf den Foreign Exchange Markets zunehmend mit Termingeschäften gehandelt wird, die sich primär über Erwartun-gen reproduzieren. Neben diesem Aspekt ist es aber wohl vor allem auch das sprunghaft gestiegene Geschäft mit Finanzderivaten, in welchem die im Geldmedium eingebauten Abstraktionsgrade sich entfalten. Wir kommen darauf in Kapitel 6 zurück.

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sind. Es zeigt sich damit, wie politische Regulierungsbemühungen in einer wei-teren Hinsicht herausgefordert wurden, so dass die Herausbildung bestimmter überstaatlicher politischer Ordnungsmuster wie dem Baseler Komitee und seinen Publikationen an Plausibilität gewinnen.

5.2 Zur Entfaltung von Informations- und Kommunikationstechnologien

Finanzmärkte sind heute in weiten Teilen elektronische Märkte. Auch wenn die Reproduktion des Systems weiterhin auf der Basis sozialer Operationen, also Kommunikation unter Bezugnahme auf psychische Systeme verläuft: Besonders die Finanzökonomie zeichnet sich heute durch ihre Inanspruchnahme digitaler Infrastruktur aus, die sowohl die Beobachtung als auch die Durchführung von Investitionen ermöglicht. Helmut Willke hat im Zusammenhang seiner Studien zur atopischen Gesellschaft dafür die Metapher der „Maschinen der Engel“ ein-geführt. Diese Metapher steht für die Möglichkeit einer „schwerelosen Übermitt-lung von Botschaften jeder Art an jeden Ort“ (Willke 2001a, 70).

Auch im Falle der Foreign Exchange Markets sind es vor allem Prozesse der Elektronisierung und Digitalisierung, die die beschriebene Dynamik und Fluidität der Operationen beförderte. Als zentrales Moment erwies sich dabei die Einführung von ‚Screens’, die an verschiedene Informationssysteme angeschlos-sen sind. Auf diesen Bildschirmen spielt sich nun das Marktgeschehen ab – gleichzeitig und dies weltweit. Zum einen ermöglichen die Bildschirme eine weltweite Beobachtung der Devisenmärkte über die Sichtbarmachung von Prei-sen. Darüber hinaus werden durch sie weitere Leistungen zur Verfügung gestellt (bei diesen und den weiteren Beschreibungen beziehen wir uns auf die Arbeit von Karin Knorr-Cetina: Knorr Cetina 2005, 44). So lassen sich an ihnen länger-fristige, in die Vergangenheit hineinreichende Kursentwicklungen, aber auch Geschehnisse, die außerhalb des Marktes stattfinden, registrieren. Die Monitore der Devisenmärkte funktionieren dabei nicht allein als Informationsmedien, die ein gleichzeitiges globales Erleben279 der Märkte ermöglichen. Gleichzeitig wer-den über diese elektronische Infrastruktur auch „Deals“ abgewickelt und Infor-mationen zwischen Händlern ausgetauscht. Anhand dieses empirischen Aus-schnittes zeigt sich, wie weit der Begriff einer „schwerelosen Übermittlung von Botschaften jeder Art“ zu fassen ist. Möglich wird nicht allein die Beobachtung, sondern auch die operative Reproduktion des Finanzsystems über diese techno-logische Infrastruktur.

279 Zur theoretischen Unterscheidung von Erleben und Handeln, auf die an dieser Stelle Bezug ge-nommen wird, siehe (Luhmann 2005c).

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Es mag ein evolutorischer Zufall sein, dass sich in den 1970er Jahren nicht allein das Ende von Bretton Woods ereignete, sondern zugleich auch eine „technologi-sche Wende“ stattfand (Castells 2003, 58).280 Für die Verdichtung der Finanz-ökonomie erwies sich diese „informationstechnologische Revolution“ jedoch als wichtige infrastrukturelle Bedingung. In den 70er Jahren operierten auch die Devisenmärkte noch auf der Basis interaktiver Netzwerke. Internationale Telefo-nate als wichtige Informationsquelle für Preisentwicklungen mussten bei der Telefongesellschaft angemeldet werden, fernmündliche Kommunikation im nationalen Rahmen ließ sich direkt abwickeln (Knorr Cetina 2005, 49).281 Der Markt wies damit ein beträchtliches Maß an Intransparenz auf – die Preise diver-gierten zwischen den Handelsplätzen. Eine Beobachtung des ganzen Marktes war auf dieser Basis nur schwer möglich, an eine gleichzeitige Beobachtung aller Geschehnisse nicht zu denken (Knorr Cetina 2005, 51).

Und dennoch durfte der Einsatz fernmündlicher Kommunikation als Mög-lichkeit der Information und Transaktion bereits als eine technologische Errun-genschaft gelten, die mit Blick auf vorgegangene Formen für die Ökonomie deutliche Produktivitätsgewinne mit sich brachte. Blicken wir noch einmal zu-rück in die Zeiten, in denen Staatenordnung und Weltwirtschaft im Gleichschritt ihre jeweils spezifische Ausgestaltung betrieben. Anhand dieser Entwicklungsli-nie wird die Optionssteigerung des Ökonomischen aufgrund technologischer Entwicklungen noch deutlicher: So benötigte ein Brief im Jahr 1614 von Frank-furt am Main nach Berlin etwa drei Wochen, die Kosten für das Porto beliefen sich auf den Wert eines schlachtreifen Hausschweins (Fischer 1998, 22). Ein großer Teil des Wirtschaftsverkehrs spielte sich zudem in Interaktionsbeziehun-gen, also im Rahmen der körperlichen Anwesenheit von Personen ab. Das Mes-sewesen und insbesondere die so genannten Champagnermessen bildeten dafür bereits seit dem Mittelalter eine reich frequentierte, international ausgerichtete Plattform (Bernard 1978).

Erst mit der Einführung des Telegraphen sollte sich dieser Sachverhalt grundlegend ändern. Im Rückblick wird der Telegraph heute als das Internet des viktorianischen Zeitalters bezeichnet (Standage 1998), denn er ermöglichte in der Tat zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine deutlich schnellere Nachrichtenübermitt-

280 So fügten sich – wie Manuell Castels in der angegebenen Textstelle berichtet – zu diesem Zeit-punkt die unterschiedlichen technologischen Komponenten zusammen, was einen „qualitativen Sprung“ für die weitere Verbreitung von Informationstechnologie im zivilen und insbesondere im ökonomischen Bereich bedeutete und den Startschuss für das Computerzeitalter abgab. 1975 wurde schließlich der Mikrocomputer erfunden. 281 An dieser Differenz nationaler und internationaler Gespräche lässt sich zeigen, wie politisch-territoriale Grenzen unter spezifischen Gesichtspunkten noch eine Rolle spielten.

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lung.282 Dennoch wirkte in diesem Zusammenhang die politisch-territoriale Segmentierung noch weiterhin als ‚Entschleuniger’. Weil Telegraphenleitungen nur bis zu den Landesgrenzen reichten, wurden sie über die Grenzen per konven-tioneller Post oder Bahn vermittelt. Von Wien nach Berlin dauerte die schnellste Nachrichtenübermittlung unter diesen Konditionen immer noch drei Tage (Höh-ne 1977, 34). Mit der Einführung elektrischer Energie und schließlich der Verle-gung von Kabeln verbesserten sich die Kommunikationsmöglichkeiten noch einmal deutlich, wenngleich an dieser Stelle ebenfalls die Staaten als Besitzer der Kabelnetze eine entscheidende Rolle spielten.283 Kabelpolitik galt als Teil impe-rialistischer Kolonialpolitik.284 Zudem waren die ökonomischen Kosten der In-formationsübermittlung noch immer enorm. Der Preis für ein Telegramm von Europa nach Amerika belief sich im Jahr 1866 für 20 Wörter auf 400 Mark, jedes weitere Wort kostete zusätzliche 20 Mark (Neutsch 1998, 58). Im Jahre 1870 in den USA und den 1880ern in Deutschland wurden dann schließlich erste Kommunikationsversuche mit dem Telefon unternommen (Fischer 1998, 22). Auch hier existierten zunächst jedoch allein nationale Netze, die hinsichtlich ihrer Organisations- und Konstruktionsform deutlich divergierten. Erst als sich aus diesen Teilnetzen ein „Welttelefonnetz“ herausbildete, kam es zu Anglei-chungen und einer internationalen Orientierung der nationalstaatlichen Fragmen-te (Kornwachs 1994, 419).

Diese Beschreibungen machen deutlich, dass die Einbettung der Wirtschaft in das politisch segmentierte System auch aufgrund der mangelnden Verfügbar-keit heutiger Verbreitungsmedien mit erklärt werden kann. Damit erklärt sich andererseits zugleich, warum das politische System mit der Entfaltung dieser Kommunikationsmedien und ihrer Verwendung in ökonomischen Kontexten unter Druck gerät: ein weiterer Gesichtspunkt, den wir im Auge behalten müs-sen, wenn wir die Konstitution bestimmter heutiger Aufsichtsformen in der Ban-kenregulierung nachvollziehen wollen.

282 Zwar hatte es bereits zuvor in Frankreich und England Pläne gegeben, mittels optischer Telegra-phen Formen der immateriellen Kommunikation zu installieren. Diese Versuche erwiesen sich jedoch als zu umständlich und kostspielig und bedurften zudem guten Wetters (Höhne 1977, 26). 283 Dies gilt insbesondere für das britische Empire (Neutsch 1998, 50ff.). Dieses verfügte über 450.000 km der weltweiten 531.691 km, die sich nach Ägypten über Persien bis China, aber auch nach Südamerika und Japan erstreckten. England nutzte dieses Monopol auch politisch aus, beson-ders in Kriegszeiten, da Nachrichtenagenturen, aber eben auch die Wirtschaft auf dieses Netz ange-wiesen waren (Höhne 1977, 38). 284 Dies brachte es mit sich, dass vor allem englische Bankiers und Kaufleute von den Netzen des Empires profitierten (Neutsch 1998, 60).

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170 Diskontinuitäten

5.2.1 Der Primat der Ökonomie

Die Nutzung neuer und grenzüberschreitender Informationstechnologien war dabei zwar auch für den privaten Nachrichtenverkehr, für die Politik oder viel-leicht die Wissenschaft von Bedeutung. Dennoch ist der Primat der Ökonomie und insbesondere der Finanzökonomie – wie Michael Wobring in einer Arbeit über die Globalisierung der Telekommunikation herausstellt – bei der Nutzung der neuen Kommunikationstechnologien unübersehbar. Bereits im Zuge der telegraphischen Weltvernetzung wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts die transatlantischen Leitungen zu einem hohen Anteil von den Börsen – vor allem für den Austausch zwischen London und New York – genutzt. Für bestimmte Börsengeschäfte wurden einzelne Atlantikkabel exklusiv freigehalten. Der New York Stock Exchange besaß zudem eine eigene Zweigstelle des Haupttelegra-phenkabels. Die Börse war somit in besonderer Weise an einer verbesserten kommunikativen Vernetzung interessiert, wenngleich auch der Güterhandel in hohem Maße von diesen technischen Innovationen profitierte (Wobring 2004, 216f.). Auch die Telefonnetze waren von Beginn an ‚ökonomische Netze’. Am Ende des 19. Jahrhunderts, als sich das Telefon auszubreiten begann, wurden 90 Prozent der Telefonate aus kommerziellen Gesichtspunkten heraus unternom-men. Zudem wurde die vermeintlich nicht-kommerzielle Infrastruktur primär in den Dienst der Wirtschaft gespannt. Die wenigen Anschlüsse in Privathaushal-ten, die zu dieser Zeit existierten, waren ebenfalls primär zur geschäftlichen Nutzung gedacht (Wessel 1998, 76).

Jenseits dieser empirischen Befunde finden sich auch theoretische Argu-mente dafür, dass sich die Ökonomie neben dem System der Massenmedien285

für die Nutzung elektronischer und damit beschleunigter Kommunikationswege als besonders empfänglich erweist. ‚Zeit ist Geld!’ Diese alltagssprachliche Wendung lässt sich zunächst eindrucksvoll anhand des Kreditmechanismus’ plausibilisieren, wird hier doch die zeitlich konstituierte Differenz von Zah-lungsmöglichkeit und Zahlungsfähigkeit produktiv im Bankensystem verarbeitet. Der ‚Zeitfaktor’ betrifft zugleich auch Prozesse, die den basalen Kommunikatio-nen von Wirtschafts- und Finanzsystem – der Zahlung als auch der Investition – vorgelagert sind. Vor allem die Marxsche Kapitaltheorie hat auf diesen Zusam-

285 Für die Massenmedien lässt sich beobachten, dass sich der Nachrichtenteil selbst dem Erwar-tungsdruck ausgesetzt hat und fortwährend aussetzt, kontinuierlich Neues zu berichten, ohne zu wissen, ob dafür genügend Informationen zur Verfügung stehen (Luhmann 1996b, 54). Die binäre Codierung von Information/Nichtinformation mit dem Präferenzwert der Information (Luhmann 1996b, 36) macht dann deutlich, in welcher Weise das System Berichtsquellen für die Aufrechterhal-tung seiner eigenen Operationen benötigt. Gerade deshalb darf vermutet werden, dass die Massen-medien an der Nutzung neuer technologischer Verbreitungsmedien partizipieren, um auf dieser Basis in vermehrter Weise neue Informationen für ihre eigene Reproduktion zu generieren.

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menhang von Zeit und Geld hingewiesen. Am deutlichsten zeigt dieser sich in der so genannten Zirkulationszeit. Je länger ein Produkt auf dem Markt ist, desto höher der Faktor der Entwertung. Auch die Produktionszeit, zu welcher die auf-gewendete Arbeitszeit für Güter, aber auch ihr Transport an ihre potentiellen Transaktionsplätze zählt, gilt es aus ökonomischen Gesichtspunkten niedrig zu halten (Marx 1953, 437).286 Aus dieser Beobachtung formuliert Marx die These, dass

„das Kapital also dahin streben muß (Hervorhebung M.K.), jede örtliche Schranke des Verkehrs i.e. des Austauschs niederzureißen, die ganze Erde als seinen Markt zu erobern, (...). d.h. die Zeit, die die Bewegung von einem Ort zum anderen kostet, auf ein Minimum zu reduzieren.“ (Marx 1953, 438)

Diese Aussage verdeutlich noch einmal, wie in der Theorie von Karl Marx die Expansionslogik des Kapitals als ein ihm eigenes Gesetz angelegt ist, das sich politischer und territorialer Begrenzungen zu entledigen hat. In der Systemtheo-rie ist zwar eine dem System immanente Steigerungslogik nicht vorgesehen. Systeme streben nicht nach einem Mehr, sondern operieren auf der Basis von (stets sich im Wandel befindlicher) Schemata des Systemgedächtnisses. Gleich-wohl hat auch in diesem Theoriekontext die (mögliche) Beschleunigung der Zahlungsbewegungen weitere Auswirkungen auf das Komplexitäts- und Kontin-genzniveau des Gesamtsystems.287 Schließlich werden doch wirtschaftliche Transaktionen im Zuge der neuen Technologien als produktiv288 betrachtet, die sich vormals aufgrund weiter und nur kostenintensiv zu überbrückender Distan-zen ökonomisch nicht lohnten.

Noch zwingender erscheint aus dieser Perspektive jedoch der Zusammen-hang von Zeit und Geld, wenn wir zunächst vom Zahlungsakt absehen und statt-dessen die (Selbst-)Beobachtungen von Ökonomie und Finanzökonomie in den Blick rücken. Die Wirtschaft beobachtet sich über ihre interne Umwelt, den Markt, wo Preise eine Auskunft darüber geben, unter welchen Voraussetzungen

286 Die Unterscheidung von Produktions- und Zirkulationsphase in der von Marx vollzogenen Form (Marx 1953, 432). 287 Mit der Zahlungsbewegung wird bei Luhmann der Prozess der Oszillation von Zahlungsfähigkeit in Zahlungsunfähigkeit (z.B. durch Gütererwerb, Investition in Produktion oder Kreditvergabe) und die mögliche Wiedererlangung von Zahlungsfähigkeit beschrieben. Zahlungsunfähig-keit/Zahlungsfähigkeit bezeichnet dabei eine zentrale Differenz im Wirtschaftssystem. Nur auf der Basis der Erwartungen, dass nach Abgabe der Zahlungsfähigkeit mit ihrer Wiederausstattung zu rechnen ist, werden Zahlungen getätigt (Luhmann 1988, 136f). 288 Zum Begriff wirtschaftlicher Produktivität in der Systemtheorie siehe bei Dirk Baecker, der Produktivität vor allem über den Gesichtspunkt der kommunikativen Anschlussfähigkeit begreift (Baecker 1988, 113). Letztlich geht es darum, dass im Erwartungshorizont beider Transaktionspart-ner das Preis/Leistungsverhältnis als angemessen beurteilt wird (Baecker 1988, 116).

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es zu Zahlungen kommt. Mit der Ausweitung elektronischer Verbreitungsmedien kommt es nun zu einer gesteigerten Synchronisierung des Marktes. Die Welt-wirtschaft gerät zunehmend in einen globalen Beobachtungszusammenhang. Preise in New York können nun mit Preisen in London beobachtet werden und auch diese Beobachtung unterliegt wiederum Beobachtungen. Dieser Beobach-tungszusammenhang bedeutet nun nicht den perfekten Markt, die perfekte In-formationslage im Sinne des neoklassischen Kalküls. Dafür aber potenzieren sich Möglichkeiten einer sehr selektiven Beobachtung des Marktes, in denen nun die Raumdimension als Relevanzkriterium an Bedeutung verliert. Im Zuge dieser „Zeit-Raum-Kompression“ (Rosa 2005, 164) verändern sich damit auch die Möglichkeiten einer Beobachtung von Zahlungsvorgängen, von Preisbewegun-gen, etc.289

Die Einführung des telegraphischen Börsentickers im 19. Jahrhundert ist ein Beispiel, an welchem sich diese Veränderungen der Zeit-Raum-Strukturen und ihre Bedeutung für das Soziale eindrucksvoll veranschaulichen lassen. Wie auch die telegraphischen Verbindungen selbst zielte der telegraphische Drucker dar-auf, Nachrichten – in diesem Fall also Aktienkurse – mit minimaler Zeitverzöge-rung zur Verfügung zu stellen, um damit Preisdifferenzen offen zu legen und Transparenz zu schaffen (Preda 2004, 367). Im Jahre 1867 wurde der erste Ti-cker entwickelt, der sich schon bald zum zentralen Verbreitungsmedium der

289 Dieses Argument lässt sich allerdings nur dann überzeugend vortragen, wenn wir den ‚Raum’ als Kategorie des Sozialen ernst nehmen. In der soziologischen Theorie wurde der Raumbegriff bisher eher stiefmütterlich behandelt. Sowohl bei den frühen Klassikern (mit Ausnahme von Simmel), aber auch bei Luhmann findet der Begriff des Raums vergleichsweise wenig Platz (Schroer 2006, 21). Für Luhmann stellt er eine Unterkategorie der Sachdimension dar, dies vor allem aus folgendem Grund: Die funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft ist primär eine sachliche, in der – auch aufgrund moderner Kommunikationstechnologien – der Beobachtungsstandpunkt bagatellisiert ist (Luhmann 1998, 152). Wir können uns aus zweierlei Gesichtspunkten mit diesem Raumverständnis nicht zufrieden geben. Zum einen haben wir gerade gesehen, dass die Bagatellisierung des Beobachtungsstandpunktes nicht ein Kennzeichen der modernen Gesellschaft, sondern vielleicht ein Produkt der Gegenwartsgesell-schaft, also der letzten dreißig Jahre darstellt. Erst unter expliziter Berücksichtigung der Raumkate-gorie, lässt sich deshalb sehen, welche Diskontinuität die informationstechnologischen Revolution bereitstellt. Zum zweiten geht es uns – anders als der Luhmannschen Systemtheorie – nicht allein um die Beobachtung, sondern darüber hinaus auch um die Verknüpfung und damit die Realisierung weltweiter Kommunikationszusammenhänge. Schließlich ist die Bankenaufsicht nicht an der Regu-lierung von Beobachtung, sondern der Regulierung von Transaktionen interessiert. Auch für diesen Aspekt war und ist die Raumkategorie in unserer Analyse ein hilfreicher Bezugspunkt. Unsere Verwendung orientiert sich deshalb einerseits an Rudolf Stichwehs Vorschlag, den geogra-phischen Raum auch als eigene Sinndimension zu denken und dabei zwischen Nähe und Ferne zu unterscheiden (Stichweh 2000). Zudem wollen wir den Raumbegriff aber auch im Sinne Bourdieus als soziale Konstruktionen fassen. Siehe dazu bei Martina Löw (Löw 2001, 179-198). Gerade im folgenden Abschnitt 5.3 wird deutlich werden, wie Organisationen soziale Räume schaffen, die partiell an die Stelle einer nationalstaatlich organisierten Raumaufteilung treten.

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Börsenkommunikation entwickelte. Der Ticker eröffnete dabei jedoch nicht allein die Möglichkeit einer schnelleren räumlichen Überwindung von Nachrich-ten. Gleichzeitig erhöhte er – wie Urs Stäheli betont – die Inklusionsdynamik des Publikums in das Börsengeschehen. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts handelte es sich im Falle der Börse noch um eine eher exklusive Veranstaltung – Preisin-formationen standen unmittelbar allein innerhalb der Börse zur Verfügung (Stä-heli 2007, 323). Die Lokalität des Börsengebäudes als privilegierter Ort der In-formation wurde mit dem Ticker massiv herausgefordert. Nunmehr eröffnet sich eine Transparenz des Marktes außerhalb dieser Sphäre, die den Markt für den Amateur-Spekulanten zugänglich macht und – vor allem in den USA – zu einer Spekulationsbegeisterung führt (Stäheli 2007, 330).

In anderen Gesellschaftsbereichen ist ein solcher Zusammenhang in dieser Form weniger ausgeprägt. Zwar haben andere Funktionssysteme ebenfalls Beo-bachtungsmedien herausgebildet, die ein funktionales Äquivalent zum Markt bilden. So beobachtet sich die Politik über das Medium der öffentlichen Mei-nung, das Rechtssystem über positives Recht und die Wissenschaft über Publika-tionen (Luhmann 1992a, 81). Zudem steht diesen wie auch den anderen Funkti-onssystemen eine jeweils systemspezifische Öffentlichkeit zur Verfügung, über welche sich systemexterne Geschehnisse beobachten lassen.290 Dennoch scheint in diesen Systemen – sehen wir einmal von Kriegsereignissen ab – die Synchro-nisation von Beobachtungen nicht eine solche Relevanz zu besitzen, wie im Falle des Ökonomischen. Plausibel wird diese Divergenz im Falle des politischen Systems als auch des Rechtssystems durch den Umstand, dass beide Gesell-schaftsbereiche (bisher) primär normativ ausgerichtet waren und Anpassungsop-tionen an die Umwelt eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielten.291 Für das Wissenschaftssystem gilt dies aber gerade nicht, ist dieses doch auch in be-sondere Weise an einem kognitiven Modus, dem ständigen Lernen an und von der ‚Wahrheit’ orientiert.

Um diese herausgehobene Beziehung zwischen den elektronischen Verbrei-tungsmedien und dem Finanzökonomischen theoretisch zu begreifen, erscheint es instruktiv, an den unterschiedlichen Charakter der jeweiligen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien zu erinnern. Geld verfügt im Vergleich

290 Zum systemtheoretischen Verständnis von Öffentlichkeit siehe bei Niklas Luhmann (Luhmann 1996b, 183-189). 291 Diese Unterscheidung wird uns im Folgenden noch en detail beschäftigen. Als einschlägig zur jeweiligen Ausrichtung von Funktionssystemen kann der Aufsatz „Die Weltgesellschaft“ von Niklas Luhmann gesehen werden (Luhmann 2005b). Gemeint ist damit zwar nicht, dass zum Beispiel die Politik keine Veränderungen hinsichtlich ihrer Zeithorizonte durchlaufen hat. Hartmut Rosa macht beispielsweise deutlich, wie sich auch mit der Beschleunigung von Prozessen in der Umwelt des politischen Systems das Tempo der Politik selbst erhöht hat (Rosa 2005, 391-396). Dennoch lassen sich in der Politik wenige Situationen denken, in denen eine Beobachtung in Echtzeit alternativlos ist.

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zu anderen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien in besonderer Weise über die Fähigkeit, sich aus sozialen Kontexten zu entkoppeln, sich belie-big rekombinieren zu lassen und damit schließlich auch die Grenzen der Lokali-tät zu sprengen. Der Börsenticker stellt ein frühes, die Monitore der Devisen-märkte ein späteres Beispiel dafür dar, gereicht doch auf ihnen die Fluidität des Geldmediums zur Perfektion. Aktienticker und Bildschirme auf den Trading-Floors weisen nun trotz dieser vergleichbaren Funktionen immer noch eine signi-fikante Differenz auf, an welcher sich eine qualitative Vertiefung der ‚Liaison’ von Finanzökonomie und elektronischen Verbreitungsmedien verdeutlichen lässt. Über den Ticker wurden in seinen Anfängen allein Beobachtungskontexte hergestellt – eine operative Reproduktion des Finanzsystems und damit die Ab-wicklung von Investitionen, wie sie auf den Trading-Floors stattfindet, war da-gegen nicht möglich.292

Eine Zusammenbringung beider Operationsformen war dabei jedoch an voraussetzungsvolle Bedingungen geknüpft. Zum einen mussten die technischen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um derartige Operationen tätigen zu kön-nen. Die Entwicklung dahin haben wir in diesem Abschnitt angedeutet. Zum anderen mussten sich Formen sozialen Vertrauens konstituieren, mit welchen auf die Materialität des Geldes verzichtet werden konnte. Dieser Prozess war bereits partiell Gegenstand unseres ersten historischen Exkurses (2.1.1). Mit Blick auf den Geldverkehr in den Datennetzen ist nun aber noch eine weitere Steigerung des Vertrauens notwendig, die sich nicht allein auf das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium (Geld), sondern zugleich auf das Verbreitungsmedium bezieht. Vorausgesetzt ist nun – auch dies thematisierten wird bereits im 2. Kapi-tel – ein Vertrauen in Technik. Es ist damit nicht verwunderlich, dass die Kopplungs- und Entwicklungspotentiale des Geldmediums zunächst noch auf sich warten ließen. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt der bargeldlose Zahlungsverkehr überhaupt eine nennenswerte Rolle zu spielen.293 Bis zu einer Speisung der Datenkanäle in der uns heute vertrauten Form war es dann (zeit-lich) noch ein weiter Weg.

Die 1970er Jahre erweisen sich jedoch auch mit Blick auf die weltweite Vernetzung eines bargeldlosen Zahlungsverkehrs als wirkungsvoller Einschnitt. Bereits im Jahr 1968 wurde die „Society for Worldwide Interbank Financial

292 Damit liefert die Systemtheorie mit ihrem beobachtungstheoretischen Bias zumindest für diese frühe Phase der elektronischen Verbreitungsmedien eine empirisch plausiblere Erklärung für das besondere Interesse der Ökonomie an dieser Technologie als ein marxistischer Erklärungsansatz. Es geht eben hier noch nicht um die Beschleunigung von Zahlungen, sondern um die Beschleunigung von Beobachtungen. 293 Siehe dazu bei Karl Erich Born (Born 1993, 195). Durch die Peelschen Bankakte, die den Umlauf der Noten streng begrenzten, drängte sich die bargeldlose Alternative geradezu auf. 1900 wurden in London 98 Prozent der Geldumsätze bargeldlos abgewickelt.

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Telecommunication“ (S.W.I.F.T) gegründet. Diese Institution wurde 1973 in Belgien mit 239 Banken aus 15 Ländern ins Leben gerufen. Sie kümmerte sich vor allem um die Realisierung von Datenfernübertragungssystemen zwischen Banken, welche sowohl Kundenzahlungen als auch Interbankgeschäfte umfasste. Ab dem Jahre 1980 wurde dann auch der Wertpapierhandel über diese Datenka-näle abgewickelt. Die gewachsene Bedeutung dieser Institution lässt sich zudem an quantitativen Steigerungsraten verdeutlichen: 1978 wurden über SWIFT 20 Millionen Nachrichten versandt, 1987 waren es dann bereits 218 Millionen Nachrichten, die durch die Datenkanäle flossen. SWIFT entwickelte sich zu einem globalen Netz, über welches sich sowohl bankensystemische Operationen aber auch weitere Transaktionen des Kapitalmarktes abwickeln ließen (Büschgen 1993, 478).

Die Freigabe und Verbreitung des Internets stellte schließlich in den 1990er Jahren eine Entwicklung dar, die der Finanzökonomie einen weiteren Mediatisie-rungsschub verlieh. Nicht allein der Devisenhandel der Finanzjongleure in den Investmentbanken, sondern auch der private Zahlungsverkehr oder aber der Kauf von Volksaktien spielte sich nun vermehrt auf den digitalen Datenkanälen ab. Milliarden von Nutzer haben seitdem im Kontext des Finanzsystems gleichzeitig Zugang zu allen Informationen (Sassen 2005, 20). Das Internet forcierte damit noch einmal eine Inklusionsdynamik, mit welcher die Informations- und Trans-aktionskanäle der Devisenhändler schwer vergleichbar sind. Zu beobachten war ein Inklusionsschub des Publikums, der an die Einführung des Tickers erinnerte. Jedoch wurde nun auch über die Beobachtung hinaus die Initialisierung von Zahlungen über die Datenkanäle ermöglicht. Diese Entwicklungen zeigten umso deutlicher, wie das Ende der Ko-Evolution von Staatlichkeit und Weltwirtschaft von technologischen Entwicklungen flankiert wurde, durch welche die Finanz-wirtschaft – aufgrund ihrer spezifischen Operationsweise, ihrer kognitiven Aus-richtung sowie der Verwendung des fluiden, rekombinierbaren Kommunikati-onsmediums in besonderer Weise profitierte. Anhand dieser Beschreibung wird noch plausibler, warum die Politik (mit der Gründung des Baseler Komitees) reagieren musste, und wir können im weiteren Verlauf verstehen, warum sie schließlich so reagierte, wie sie reagierte (Basel II).

5.2.2 Entbettung und Integration

Die Ausbreitung digitaler Netze ist die vorerst letzte Stufe einer Entwicklung von Informationstechnologien, die nun die Bedeutung territorialer Grenzen emp-findlich unterminieren (Willke 2001a, 76). An der Ausdifferenzierung von Fi-nanz- und Bankensystem, ihrer Überwindung politisch-territorialer Grenzen

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sowie ihrer Inanspruchnahme digitaler Netze zeigt sich somit besonders deutlich ein Charakteristikum der Gegenwartsgesellschaft, das vor allem Anthony Gid-dens mit dem Begriff der „Entbettung“ geprägt hat. Wenden wir uns einmal detaillierter diesem prominenten Globalisierungskonzept von Giddens zu, so zeigen sich bis zu einem gewissen Grad deutliche Analogien zu unserer bisheri-gen Argumentation.294 In vielerlei Hinsicht erinnert der Begriff der Entbettung an die von Luhmann adaptierte Vorstellung sozialer Desintegration. Giddens hat mit diesem Begriff zunächst etwas sehr allgemeines im Sinn. Er bezeichnet da-mit sehr grundsätzlich das Ausbrechen sozialer Beziehungen aus lokalen Kon-texten (Giddens 1990, 21ff.).295

Blicken wir nun auf die Mechanismen, die Giddens für diesen Prozess fe-derführend verantwortlich macht, stoßen wir jedoch eben gerade auch auf die sozialen Phänomene, die uns auf den vergangenen Seiten in herausgehobener Weise beschäftigt haben: Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien sowie eine technische Infrastruktur. Symbolische Medien – wie Giddens sie nennt – und dabei insbesondere Geld sind demnach in hervorgehobener Weise an der Entbettung des Sozialen beteiligt. Giddens verweist auf die Möglichkeiten wirtschaftlicher Transaktionen über große räumliche und zeitliche Distanzen, sowie die Expansionslogik kapitalistischer Märkte und fokussiert damit in seinen Beschreibungen auf unser empirisches Feld.296 Neben den symbolischen Medien existiert dann mit den so genannten Expertensystemen ein zweiter performativer Mechanismus, der die Prozesse der Entbettung ermöglicht und befördert.

Auch an dieser Stelle verweisen die Giddensche Globalisierungstheorie und die Systemtheorie auf vergleichbare empirische Sachverhalte, zieht man Be-tracht, dass die Entfaltung digitaler Informations- und Kommunikationstechno-logien als die Ergebnisse von Expertensystemen betrachtet werden. Und analog zu Luhmanns Theorie ist Systemvertrauen die entscheidende Variable, die diese Prozesse ermöglicht, ihre Architektur abstützt und eine Reproduktion des Sozia-len ermöglicht (Giddens 1990, 83).

Die Reichweite des Entbettungsbegriffs von Giddens endet jedoch an einer Stelle, an welcher es für uns erst interessant zu werden beginnt. Sein Interesse gilt vor allem dem Transformationsprozess wie er sich in eine Richtung abspielt: Vom Lokalen zum Globalen, vom Konkreten zum Abstrakten, vom Traditiona-len zum Modernen. Der analytische Vorteil des systemtheoretischen Integrati-

294 Ein solcher Schritt erscheint an dieser Stelle noch einmal geboten, um die Anschlussfähigkeit unserer Beschreibung an andere prägende Theoriekontexte aufzuzeigen, gleichzeitig aber die argu-mentativen Gabelungen zu kennzeichnen, an welchen wir andere Pfade wählen. 295 Auch die folgenden Ausführungen zu Giddens’ Argumentation beziehen sich auf diese Textstelle. 296 Für ihn ist dabei die Kombinierbarkeit des Geldmediums von besonderer Bedeutung. Dieses ermöglicht beispielsweise den Austausch über bestimmte Milieus hinweg.

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onsbegriffs besteht darin, dass er spezifischer ist – dies vor allem deshalb, weil wir ihn nicht auf die gesamte Gesellschaft, sondern allein auf Kopplungsverhält-nisse zwischen einzelnen Funktionssystemen verwenden. Damit gelingt es, die Ambivalenz der Auswirkungen von Globalisierung und informationstechnologi-scher Entwicklung zu beleuchten.

So lässt sich aus dieser Perspektive aufzeigen, dass sich Finanz- und Ban-kensystem im Rahmen dieser Entwicklungen nicht aus der Gesamtgesellschaft entbetten, beziehungsweise desintegrieren. Entbettung findet nur partiell statt. Komplementär dazu lassen sich wiederum andere Integrationsprozesse finden, die die Finanzökonomie koppeln und in anderer Form zur Einschränkung von Freiheitsgraden führen. Saskia Sassen argumentiert, dass auch der elektronische Raum von bestimmten ‚kulturellen Faktoren’ und materiellen Praktiken außer-halb des Digitalen geprägt wird.297 Zwar verlieren alte Hierarchien wie die des nationalstaatlichen Rahmens an Relevanz. Dafür treten an diese Stelle jedoch nun neue Faktoren der Konditionierung, die eine freie Entfaltung des Invest-mentcodes in gewisser Weise zügeln. Gemeint sind Ressourcen in Form mate-rieller Werte (Gebäude, Hardware, etc.) aber auch Humanressourcen. Wenigs-tens beide Aspekte erscheinen hier als Bedingungen der Möglichkeit digitalba-sierter Kommunikation (Sassen 2002, 368f.).298 Sassen zieht aus dieser Beobach-tung den Schluss, dass die Finanzökonomie nicht im absoluten ‚Irgendwo’ ange-siedelt werden kann, sondern dass Global Cities,299 aber auch Technologiezent-ren wie Silicon Valley als wichtige Knotenpunkte der globalen Ordnung fungie-ren, in denen ein Zugriff auf diese Ressourcen leichter möglich erscheint.

Verantwortlich dafür ist ein zweiter Punkt der Vernetzung, welchen Saskia Sassen mit dem etwas vagen Begriff der „sozialen Infrastruktur“ umschreibt. Über diese soziale Infrastruktur eröffnet sich dann vor allem die Möglichkeit, nichtstandardisierte Informationen zu generieren (Sassen 2002, 373). Damit werden themenrelevante Interpretationen und Prognosen in einer Form erzeugt, die das Medium der Technik überfordern. Mediatisierte Kommunikation erweist

297 Ähnliche Ansätze finden sich auch in der Medientheorie: Friedrich Kittler macht in diesem Zu-sammenhang deutlich, dass der digitale Raum keineswegs als eine egalitäre, anders geartete Realität zu begreifen sei, sondern dass sich soziale Unterschiede mit Blick auf digitale Informationstechnolo-gien reproduzieren. Hier erscheint vor allem die Differenz zwischen Entwickler und Anwender konstitutiv. Die scheinbar vorhandenen kreativen Möglichkeiten des Nutzers werden dabei vor allem durch vermeintlich benutzerfreundliche Oberflächen – einen „protected mode“ – eingeschränkt und in bestimmter Weise konditioniert (Kittler 1993, 208). 298 Damit lässt sich das Giddensche Argument mit Sassen aus einer anderen Perspektive betrachten. Während Giddens gerade auf die Unpersönlichkeit und den Abstraktionsgrad von Expertensystemen und ihren Ergebnissen hinwies, können mit Sassen empirisch durchaus vergleichbare Aspekte auch als Phänomene der ‚Rückbettung’ oder auch Integration beschrieben werden. 299 Hier sind Saskia Sassen zufolge New York, Tokyo und London als privilegierte Orte zu nennen (Sassen 1991, 169f.).

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sich – wie wir in Abschnitt 2.2.1 erklärten – als wenig sensibel für mögliche Nuancen, die in Kommunikationsprozessen liegen. Mit anderen Worten: Auf der Basis technischer Infrastruktur lassen sich zwar Nachrichten in der Form von Daten übermitteln: komprimiert und kontextlos. Der Börsenticker ist dafür im wahrsten Sinne des Wortes ein anschauliches Beispiel.300 Weitere Informationen, die in dieser Logik nicht abgebildet werden können, finden dann aber eben auch nicht statt.301 Für die Reproduktion des Finanzsystems erscheint jedoch eine reine Zahlenbasierung, aber auch eine Ergänzung um andere Formalismen nicht immer hinreichend, wenngleich sich das System über diesen Mechanismus schließt.302 Auch hier scheinen nicht-digitalisierte Formen an Kommunikation, die ein höheres Maß an Redundanz, aber auch an Interpretationsfähigkeit auf-weisen, von Relevanz zu sein.

Die Kopplung zwischen der Gesellschaft und seiner ökologischen Umwelt ist aus systemtheoretischer Perspektive unbestritten. Zugleich erlaubt es uns diese Perspektive, nicht allein zwischen digital und nichtdigital zu unterscheiden und einen Ent- und Einbettungszusammenhang zu skizzieren. Darüber hinaus eröffnet sich die Möglichkeit zu betrachten, welche Kopplungsverhältnisse sich nun mit Blick auf die Funktionssysteme im digitalen Zeitalter beobachten lassen. Damit sind wir zudem auch unserem Verständnis von Integrationsprozessen im engeren Sinne auf der Spur. Welche Kopplungen treten also im Besonderen durch die aufgezeigte Digitalisierung hervor? Ein Beispiel dafür ist zweifellos das System der Massenmedien. Banken und Börsen haben sich wie kaum andere Institutionen vom Nachrichtenwesen abhängig gemacht. Fallen oder steigen die Kurse? Platzt die Kreditlinie? Über diese Fragen entscheiden die tagesaktuellen Wirtschaftskennzahlen ebenso, wie vielleicht politische Entscheidungen auf bestimmten Ebenen. Der Begriff des ‚Insiderhandels’ und seine rechtliche Dis-kreditierung verdeutlicht, von welchem Informationshunger die Finanzökonomie befallen ist und dass mit einer strafrechtliche Verfolgung zu rechnen ist, wenn dieser außerhalb der legal ausgewiesenen Kanäle gestillt wird.

Ein zweiter Integrationsmechanismus, der aufscheint und der uns im Fol-genden noch eingehend beschäftigen wird, ist schließlich der Kopplungsmecha-nismus mit dem Wissenschaftssystem. Die modernen Finanzinstrumente wie die so genannten Derivate, aber auch veränderte Ratingverfahren zur Abfrage der Kreditwürdigkeit dienen zwar primär der Befriedigung des wirtschaftlichen Kal-küls. Dennoch rekurrieren die Entwickler in den R&D Bereichen der Banken vor

300 Siehe dazu noch einmal bei Urs Stäheli (Stäheli 2007, 318). 301 Dies gilt dann zweifellos auch für elaboriertere Formen mediatisierter Kommunikation, in wel-chen beispielsweise natürliche Sprache denkbar ist. Aber auch im Falle dieser Netzwerke darf die Frage gestellt werden, welche Grenzen dann durch das Medium gesetzt werden. 302 Dieser Punkt wird in Abschnitt 5.3, indem es um Interaktion geht, eine Rolle spielen.

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allem auf die wissenschaftlichen Gesetze von Finanzwissenschaft und Mathema-tik. Wissenschaftliche Erkenntnisse besitzen – wie Helmut Willke im Anschluss an eine Studie von Donald MacKenzie herausarbeitet, eine performative Wir-kung auf die Ausdifferenzierung des Finanzsystems. Paradigmatisch zeigt sich dieser Zusammenhang an den Auswirkungen der so genannten Merton Black Box Formel – ein Punkt, den wir in 6.1 aufgreifen werden (Willke 2007b, 52).

Für die Politik bedeutet die verstärkte Konstitution dieser Kopplungsme-chanismen zunächst keine Entlastung von ihrem Problem der Entbettung des Finanzsystems aus ihren Kontexten. Schließlich sagen diese Formen der Ein-schränkung, noch nichts über die Einschränkung von (politisch relevanten) Ge-fährdungspotentialen aus. Wir werden jedoch später sehen, dass sich die Ban-kenaufsicht diese spezifischen Kopplungsmechanismen zur Erfüllung ihrer eige-nen Systemleistung – der Vermeidung von Gefährdungen und der Stabilisierung von Systemvertrauen – zu Nutze macht. Zunächst wirft dies jedoch die Frage auf: Wo, an welchem gesellschaftlichen ‚Ort’, kann die Politik dazu anset-zen?Oder anders gefragt: Welche sozialen Phänomene bewerkstelligen diese Kopplung zwischen den verschiedenen Funktionssystemen? Stellt man damit die Frage danach, wie es zur Integration der Finanzökonomie in die jeweils anderen Funktionskontexte kommt, stößt man unweigerlich auf einen dieser Studie be-reits ‚alten Bekannten’: die formale Organisation. Erst Organisationen verfügen über die Kapazitäten, Systemrationalitäten zu koppeln und symbolisch generali-sierte Kommunikationsmedien zu konvertieren. Sie fungieren damit als die zent-ralen Knotenpunkte, in welchen ein Großteil der globalisierten Funktionssysteme zusammenläuft. Im nächsten Teil wollen wir uns also der Ausdifferenzierung multinationaler Wirtschaftorganisationen und vor allem globaler Banken zuwen-den. Ziel ist es – gemäß unserer These der Ko-Evolution – die Transformationen auf dieser Systemebene deutlich zu machen. Auf Basis dieser Erklärungen kann nachvollzogen werden, warum das Baseler Komitee sich für die Bankorganisati-onen und internen (Kontroll-)Abläufe interessiert. Es wird ersichtlich, warum ihre Regulierung ein Thema mit hohem Aufmerksamkeitswert ist.

5.3 Zum Aufstieg multinationaler Wirtschaftsorganisationen

Die bisherige Nichtthematisierung von Organisationen und insbesondere von Unternehmen war zweifelsohne ein artifizielles Arrangement. Dieses wurde vor allem unter analytischen Gesichtspunkten gewählt, um schließlich die spezifi-schen Qualitäten der Systemebenen – Organisation und Funktionssystem – nach-vollziehen zu können. Nichtsdestotrotz besteht kein Zweifel daran: Organisatio-nen waren an vielen der bisher beschriebenen Geschehnisse beteiligt. Ihre Zu-

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wendung zu dieser späten Stelle erlaubt es nun aber, auf die Spezifika einzuge-hen, welche in Verbindung mit Organisationen zu thematisieren sind. In einer soziologischen Perspektive sind Unternehmen – ähnlich wie die meisten Funkti-onssysteme – nicht automatisch politisch-geographisch zuzuordnen. Schließlich erscheint es für Unternehmen sowie im Besonderen für Banken wenig sinnig, die politisch-territorialen Grenzen als Begrenzungen des eigenen Operationsradius zu übernehmen. Sinngrenzen von Unternehmen verlaufen anders. Der Primärco-de von Zahlung/Nichtzahlung bzw. Investment/Nicht-Investment weist Expansi-ons- und Reproduktionspotentiale auf, die in keiner Weise mit der Logik poli-tisch-territorialer Grenzziehung korrelieren. Es liegt damit in der primären Sys-temrationalität, dass Unternehmen – wie Helmut Willke es ausdrückt – darauf ausgerichtet sind, „die Welt nach ökonomischen Gelegenheiten abzusuchen“ (Willke 2003, 188).

Und in der Tat sind ja auch bereits die frühen weltwirtschaftlichen Aktivitä-ten Bestandteil von Unternehmungen. Die Ausführungen zu Beginn von Ab-schnitt 2.1.2 wiesen darauf hin, dass bereits im 16. Jahrhundert erste Prozesse von Organisationsbildung stattfanden. Auch wenn die moderne Organisation im engen organisationssoziologischen Sinne wohl erst im 19. Jahrhundert begann, die Gesellschaft entscheidend zu prägen und im Vorfeld eher von Korporationen und vergleichbaren Sozialgebilden gesprochen werden darf (Drepper 2003, 37): Die Durchdringung der Welt mit den Prinzipien der modernen Ökonomie wäre ohne diese Formen organisierter Sozialordnungen schwerlich denkbar gewesen. Unsere Analysen zur Kontingenz- und Unsicherheitsbearbeitung in Abschnitt 2.1.3 lieferten eine theoretische Begründung, warum zumindest einige Charakte-ristika von Organisation bereits in der frühen Neuzeit für die Ausdifferenzierung der Ökonomie zum Tragen kamen. Blicken wir auf das Verhältnis zwischen Wirtschaftsorganisationen sowie den Staatengebilden, in welchen sie beheimatet waren, so zeigen sich hier ähnliche Integrationsformen wie im Falle des Funkti-onssystems Wirtschaft. Organisationen mussten sich ebenfalls als Teilnehmer am Wirtschaftsprozess mit den jeweiligen Vorstellungen einer kolonialistischen, merkantilistischen und später auch imperialistischen Wirtschaftspolitik arrangie-ren. Noch deutlicher lässt sich formulieren: Die Kopplung zwischen Weltwirt-schaft und Staaten wurde zu einem beträchtlichen Teil über Organisationen bzw. ihre korporativen Vorläufer realisiert.303

Auch wenn Unternehmungen im Zuge des Weltwirtschaftsverkehrs in inter-nationale Handels- und Kapitalbewegungen einbezogen waren. Sie fungierten

303 Schließlich sind auch in der frühen Neuzeit nicht ökonomische Prozesse an sich, sondern nur Personen und Korporationen adressierbar und damit durch das Politische adressierbar. Hinzu kommt das bereits genannte Argument der Multireferenz, das im Falle von Korporationen erst die Offenheit gegenüber politischer Kommunikation erklärt (siehe 1.2.2).

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somit dann in der Regel als internationale Unternehmen, die Waren vom einen Land ins andere schafften, sich davon wirtschaftlichen Gewinn erhoffend. An einer nationalstaatlichen Attribution von Organisationen bestand dabei wenig Zweifel, verfügten sie doch über eine bestimmte, nationalstaatlich zuzuordnende Adresse, die mit außergesellschaftlichen Infrastrukturen wie Bürogebäuden, Produktionsstätten oder Verkaufsflächen verknüpft war. Diese Kopplung verliert in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts partiell an Wirksamkeit. Was sich zeigt, ist der Aufstieg neuer Unternehmensformen, die in der Literatur mit den Begriff des multinationalen Unternehmens überschrieben sind. Zwar waren in früheren Zeiträumen Unternehmungen ebenfalls in anderen Ländern tätig – man denke nur an die bereits angesprochene Silberförderung in Lateinamerika durch die spanischen Kolonialorganisationen. Dennoch dürften sich in diesem Stadium noch keine nachhaltigen Struktureffekte durch diese grenzübergreifenden Opera-tionen ergeben haben.304 Das multinationale Unternehmen stellt – wie Rudolf Stichweh hervorhebt – eine junge Innovation dar, für die es noch um 1900 kein Äquivalent gab. Hier liegt nach Einschätzung von Stichweh ein deutlicher Unter-schied zu vorangegangenen Episoden der Globalisierung. Als Argument – auf welches wir im Folgenden präzisiert eingehen werden – führt er dabei an, dass Globalisierung sich vor allem innerhalb von Organisationen, also in den multina-tionalen Unternehmen, vollzieht (Stichweh 1999, 33).

Die Unternehmensform des multinationalen Unternehmens gewann etwa ab den 1920er Jahren an Gewicht. Geographischer Ausgangspunkt war dabei die US-amerikanische Wirtschaft, deren Unternehmen mit vermehrten Direktinvesti-tionen in Lateinamerika die transstaatlichen Wirtschaftsbeziehungen in dieser Region auf eine neue Grundlage stellten (Frieden 2006, 166). Zu diesem Zeit-punkt ist vor allem die Produktion im Agrarsektor der vorherrschende Leis-tungsbereich, der damals in die ‚Vorhöfe’ der US-amerikanischen Wirtschaft ausgelagert wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg kommt es jedoch vor allem gegen Ende der 60er Jahre zu einer zweiten Welle einer Multinationalisierung von Unternehmen, die die erste argraische Multinationalisierung in den Schatten stellt.

Was jedoch ist nun das besondere an multinationalen Unternehmen? Wel-che innerorganisationalen Herausforderungen lassen sich für diesen Organisati-onstypus aufzeigen? Welche Konsequenzen werden auf der Ebene der Funkti-onssysteme ersichtlich? Diese Fragen beschäftigen uns in dem nun folgenden dritten Unterabschnitt zur Diskontinuität einer sich globalisierenden Weltgesell-schaft, die in der Politik signifikante Veränderungsprozesse auslöst.

304 Siehe zur Multinationalität früher Unternehmungen auch bei Mira Willkins (Willkins 2001).

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5.3.1 Transformation von Interaktion und Organisation

Es sind zwei unterschiedliche Typen von Expansion (im Folgenden mit A und Bbezeichnet), die dazu führen, dass Unternehmen sich von international tätigen hin zu multinationalen Unternehmen wandeln. Beide Typen bedingen sich zwar nicht, sind aber nicht selten zugleich bei einer solchen Organisation anzutreffen. (A) Zum einen geht es um die Verlegung bzw. Ansiedlung einzelner Unterneh-mensteile in verschiedene Länder:305 Forschung findet dann beispielsweise in Europa, Produktion in Asien, Unternehmenslenkung in den USA statt.306 Damit kommt es zu einer ‚Aufspannung’ der Organisation – ihre Binnendifferenzierung in verschiedene Abteilungen und Stellen wird gewissermaßen in den Raum ko-piert. Die Einheit der Organisation ist damit nicht mehr durch räumliche Dichte oder wenigstens eine nationalstaatliche Identität repräsentiert. (B) Zum zweiten geht es um die Duplizierung von Organisationsstrukturen in anderen Ländern, um eine „Lokalisierung von Produkten und Wertschöpfungsketten“ (Klemm/Popp 2006, 191). Geforscht, produziert und entschieden wird dann beispielsweise weiterhin in Europa, aber eben jeweils parallel in gewissen Aus-maßen auch an Standorten in den USA sowie in Asien (Martyn 1975, 31). Diese Veränderung führt schließlich zu einer weiteren segmentären Binnendifferenzie-rung der Organisation.

Sowohl Expansionsbewegungen des Typs A als auch des Typs B haben zur Folge, dass entsprechende Unternehmen nicht mehr allein einem Nationalstaat und seinem Territorium zugeschlagen werden können. Politische Grenzen stellen für Unternehmensentscheidungen dieser Organisationen wohl immer noch einen Faktor, jedoch kein unüberwindbares Expansionshindernis mehr dar. Diese Ver-änderung wurde vor allem möglich aufgrund einer Politik wirtschaftlicher Libe-ralisierung (GATT-Konferenzen), aber auch mit Hilfe der Durchdringung des Sozialen mit modernen Kommunikationstechnologien. Die in 5.1.1 geschilderten Geschehnisse bringen schließlich erst den Bedeutungsverlustes politischer Gren-

305 Nicht allein, aber vor allem die Produktion ist von dieser räumlichen Differenzierung betroffen. Wolfgang Reinicke beschreibt diesen Prozess als „international sourcing“. Der Produktionsprozess wird nicht allein im fordistischen Sinne in viele Stufen zerlegt. Über diese Form der sachlichen Differenzierung legt sich nun eine räumliche Differenzierung. Einzelne Produktionsschritte sind nun in verschiedenen Ländern angesiedelt, dabei vor allem ausgerichtet an ökonomischen Effizienzkrite-rien (Reinicke 1998, 27). 306 In der Literatur wird an dieser Stelle in einigen Fällen zwischen transnationalen Unternehmen (TNC) und multinationalen Unternehmen (MNU) unterschieden. Da diese Terminologie jedoch selbst in der aktuellen Forschung nicht konsistent durchgehalten, bzw. bezweifelt wird (Mense-Petermann/Wagner 2006, insbes. im Beitrag von Christoph Dörrenbächer), verzichten wir auf diese Unterscheidung und beschränken uns darauf, allein zwischen internationalen und multinationalen Geschäftsstrategien zu differenzieren.

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zen und damit neue Möglichkeiten geographischer Expansion für die Ökonomie mit sich. Die in 5.1.2 geschilderten Modernisierungsprozesse in den Kommuni-kationstechnologien zeigen, dass organisationsinterne Kommunikationswege nicht mehr an der räumlichen Anwesenheit von Personen ausgerichtet werden müssen.

Diese Expansionsbewegung im Raum hat nach Einschätzung von Manuell Castells gewichtige Konsequenzen für die Ausgestaltung der Organisation. Die einschneidenden Veränderungen, die damit Mitte der 70er Jahre vor allem in den Sparten Produktion und Vertrieb einhergehen, befördern beträchtliche innerorga-nisationale Transformationsprozesse (Castells 2003, 175). Was seiner Einschät-zung zufolge auf dem Spiel zu stehen scheint, ist das stahlharte Gehäuse der Organisation im Weberschen Sinne. Castells spricht von einer „Desintegration des Organisationsmodells vertikaler Bürokratien“(Castells 2003, 190), an dessen Stelle nun neue Formen treten. Flache Hierarchien, Teammanagement sowie ein hohes Maß an Kontakten zu Zulieferern kennzeichnen nun diese neuen Ausprä-gungen der Organisation.307 Derartige Entwicklungen können zwar nicht als exklusiver Phänomenbereich von Großunternehmen angesehen werden kann. Gerade in diesen Kontexten haben derartige neue Konfigurationen jedoch be-merkenswerte Konsequenzen.

Auch wenn man Castells Beschreibungen nicht in allen Punkten folgt und insbesondere den Beschreibungen einer ‚Entstrukturierung’ der Organisation skeptisch gegenübersteht:308 An seinen empirischen Beobachtungen lässt sich vielleicht dennoch lernen, dass es zwar nicht zur Einschmelzung, wohl aber in vielerlei Fällen zu einer bemerkenswerten ‚Umschmiedung’ des stählernen Ge-häuses von Organisationen kommt. Wir wollen diese ‚Umschmiedung’ nun noch einmal mittels einer systemtheoretischen Betrachtung präzisieren. Dafür werden wir nicht, wie oftmals zuvor, auf die Unterscheidung von Organisation und Funktionssystem zurückgreifen, sondern eine andere Differenz der Systemebe-nen einführen, die für diesen Untersuchungsgegenstand geeigneter erscheint: die Differenz von Interaktion (1) und Organisation (2). Anhand dieses Beobach-tungsschemas und den jeweils spezifischen Anforderungen von und an Kommu-nikation wird erkennbar, wie sich der (bei multinationalen Unternehmen not-wendige) Verzicht geographischer Kompaktheit auf die Organisation auswirkt.

307 Ähnliche Beobachtungen finden sich auch in neoinstitutionalistischen Beschreibungen zum Orga-nisationswandel. So spricht Walter Powell von „a new logic of organizing“ moderner Unternehmen, die sich durch stärkeres projektförmiges Arbeiten aber auch durch flachere Hierarchien und die Integration in Unternehmensnetzwerken auszeichnet (Powell 2001, 54-62). 308 Diese Skepsis scheint vor allem aus gesellschaftstheoretischer Sicht geboten. Wir verwenden Manuel Castells Beschreibungen deshalb vor allem unter empirischen und zeitdiagnostischen Ge-sichtspunkten und begegnen ihm mit Blick auf seine theoretischen Schlüsse eher mit Skepsis.

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Die Ausführlichkeit der folgenden Besprechung ist dabei auch dem Umstand geschuldet, dass wir gerade in dieser organisationsinternen Umstellung Verände-rungsprozesse vermuten, die für die Bankenaufsicht von großer Bedeutung sind.309

(1) Organisationen basieren seit jeher – wie wir von Weber wissen – in zentraler Weise auf Schriftlichkeit und Aktenführung. Nur so können sie ein Systemgedächtnis aufbauen und ein höheres Maß an Binnenkomplexität realisie-ren. Moderne Informationstechnologien machen es zudem heute möglich, im Falle von Kommunikation auf physische Anwesenheit der Kommunikationsteil-nehmer zu verzichten. Es gibt heute Telefone und es gibt Computer für E-Mail-Kommunikation, die selbst Büronachbarn fortan den wechselseitigen Anblick ersparen können. Hat damit die Interaktion in Organisationen ausgedient? Einige theoretische und empirische Einsichten sprechen für eine Verneinung dieser Frage.

Dass Kommunikation unter Anwesenden und medienvermittelte Kommuni-kation nicht eins zu eins substituierbar sind, lässt sich systematisch ergründen, wenn wir uns mit dem Begriff und der Wirkungsweise von ‚Wahrnehmung’ auseinandersetzen. Wahrnehmung bezeichnet dabei zwar keine soziale, sondern eine psychische Operation. Sie muss in einer soziologischen Betrachtung den-noch auch als ökologische Vorbedingung sozialer Systeme betrachtet werden (Kieserling 1999, 113), von der „alle Kommunikation“ abhängt (Luhmann 1995b, 14). Das Lesen der E-Mail, die auf dem Bildschirm erscheint, das Hören der Stimme, die aus dem Telefon schallt – ohne den Einsatz von Augen und Ohren, die die wahrgenommenen Reize dann für das Bewusstsein aufbereiten, findet keine Kommunikation statt. In diesem Punkt sind Kommunikation unter Anwesenden und medienvermittelte Kommunikation nicht zu unterscheiden. Eine Differenz scheint erst auf, wenn wir die Wahrnehmung hinsichtlich ihrer Reflexivität betrachten.310 Diese Wahrnehmung der Wahrnehmung lässt sich als eine Form „präkommunikativer Sozialität“ beschreiben, die schließlich auch eine Konditionierung der Kommunikation und damit eine Integration der Perspekti-ven ermöglicht (Kieserling 1999, 119ff.). Zur Realisierung dieses Arrangements macht Anwesenheit einen wichtigen Unterschied. André Kieserling formuliert dazu:

309 Dabei geht es um die Genese bestimmter Risiken, die in diesem Zusammenhang evolvieren und deren Potential in Kapitel 6 zur Sprache kommt. 310 Erving Goffman gebraucht für dieses Phänomen der Interaktionsordnung, das für ihn durch die Kopräsenz zweier Körper geprägt ist, den Begriff der „folgenschweren Offensichtlichkeit“ (Goffman 2001, 58).

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„Ein Minimum an Identifikation mit der Situation, dem Anlass, der Szenerie und gegebenenfalls dem System der Interaktion selbst ist schon nicht mehr zu vermei-den, wenn man überhaupt physisch präsent ist und sozial als anwesend in Anspruch genommen wird“ (Kieserling 1999, 125).

Im Falle von Telefonkommunikation ist die Reflexivität auf Attribute wie Sprachmelodie oder vielleicht auch längere Unterbrechungen limitiert. Im E-Mail-Verkehr ist reflexive Wahrnehmung in diesem Verständnis nicht mehr feststellbar, ist doch die Kommunikation nicht allein in räumlicher sondern auch in zeitlicher Hinsicht entkoppelt. Damit entfallen die genannten integrierenden Faktoren von Situation und Szenerie. Zwar kann dieser ‚Verlust’ in Organisatio-nen kompensiert werden. So haben sich funktionale Äquivalente gebildet, die den Erfolg der Kommunikation in noch eindringlicherer Weise forcieren, als dies reflexive Wahrnehmung allein vermag. Von einem Mitglied einer Organisation darf gemäß seiner Mitgliedschaft erwartet werden, dass er sich mit dem Interak-tionssystem in einem für das System produktiven Maße identifiziert.311

Dennoch scheint dies nicht immer auszureichen. Organisationen entschei-den sich – sofern es sich nicht um Briefkastenfirmen handelt – in bestimmten Situationen explizit für die Kommunikationsform der Interaktion. Bei Vorstand-sitzungen, Gruppenmeetings von Abteilungen oder im Falle des Abstimmungs-bedarfs zwischen zwei Stellen wird nicht selten Wert auf physische Präsenz der Interaktionspartner gelegt. Trotz der Möglichkeiten von Videoschaltkonferenzen herrscht ein reger Reisebetrieb innerhalb von multinationalen Unternehmen.312

Wenn wir diese Fortführung von Interaktion und die Inkaufnahme oftmals stra-paziöser und zeitraubender physischen Distanzüberbrückung dafür nicht allein auf den Reisehunger der Belegschaft zurückführen, lässt sich annehmen: In be-stimmten Konstellation erbringen die Kommunikation unter Anwesenden und – damit verbunden – die präkommunikativen Mechanismen reflexiver Wahrneh-mung neben den Formalstrukturen wichtige Leistungen. Sie eröffnen Möglich-keiten wechselseitiger Situationsdefinition und Gesprächskontrolle, auf die nun – selbst bei möglichem Dauerreiseverkehr – in vielen Kommunikationen innerhalb

311 Auf diesen Umstand hatten wir in 2.1.2 mit der Theoriefigur der „zone of indifference“ von Ches-ter Barnard aufmerksam gemacht. Als Sachbearbeiter im Controlling darf ich erwarten, dass ich mich im Falle von Computerproblemen an die zuständige Stelle des IT-Service wenden kann. Eine Be-nachrichtigung per Email reicht dann aus, um dort die notwendigen Schritte in Bewegung zu setzen. Prämissen und Programme flankieren diese Prozesse. Auf ihrer Basis erwartet (und vertraut) man, dass eine zuständige Person dieser Anfrage Folge leistet und auch Folge leisten kann und nicht aufgrund mangelnder Kompetenzen oder mangelndem Interesse dieser Aufgabe nicht gewachsen ist. 312 So besaß beispielsweise das Automobilunternehmen Daimler-Chrysler bis zu seiner Aufspaltung einen Shuttle-Service zwischen Stuttgart und Detroit, dessen Kosten sich jährlich auf etwa 40 Millio-nen Euro beliefen (Deckstein 2007, 24).

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des multinationalen Unternehmens und besonders im Falle unseres Typs B ver-zichtet werden muss.313

Dieses Argument gewinnt auf einer genuin sozialen Ebene an Plausibilität, wenn wir die Ambivalenz von Technik aus 2.2.1 rekapitulieren. Dort kamen wir zu dem Schluss: Technik ermöglicht zwar eine Reduktion von Kontingenz und fokussiert damit oftmals auf das vermeintlich Wesentliche. In Konstellationen, in denen das Wesentliche jedoch noch gar nicht klar ist, in denen es um neue Ideen und neues Wissen geht, kann gerade diese Kontingenzreduktion zum Nachteil geraten. Kommunikation ist dann – wie Veronika Tacke hervorhebt – auf „reich-haltigere Medien“ jenseits der Formalstruktur – angewiesen (Tacke 1997, 28). Bringen wir das mit unseren jüngsten Überlegungen zusammen, liegt es nahe, dass nur Interaktion dafür einen produktiven Rahmen der Reichhaltigkeit bieten kann.

(2) Der Verzicht auf Anwesenheit durch geographische Ausdehnung des Unternehmens wirkt damit auch auf die Kommunikationswege, die „Organisati-on der Organisation“ (Luhmann 2000b, 302). Zwar können auch hier – über technische Medien – funktionale Äquivalente gefunden werden. Auf der mani-festen Ebene der Formalstruktur kann an bisherige Formen (scheinbar!) bruchlos angeknüpft werden. Schwieriger wird es dabei jedoch im Falle informal gehalte-ner Kommunikation. Informelle Formen der Kommunikation sind keineswegs unbedeutend für die Organisation. Sie können sich – wie Niklas Luhmann schon früh erkannte – entlastend auf die Formalstruktur der Organisation auswirken. Außerhalb der Interaktion und vor allem in schriftlicher Kommunikation tun sich jedoch schwere Hürden auf, den „Boden des Dienstlichen“ zu verlassen (Luh-mann 1964, 289ff.).

Im Falle informaler Kommunikationswege ist der Unterschied zwischen räumlich integrierten und multinationalen Unternehmen noch deutlicher.314

Durch die geographische Ausdehnung sind Kontaktchancen außerhalb der for-

313 Ein Manager, der sich an Ort A befindet, kann nicht gleichzeitig an Ort B verweilen. Ist ein Inter-aktionsumfeld erschlossen, ist zugleich (mindestens) ein anderes ausgeschlossen. 314 Zur Klarstellung: Natürlich können auch Unternehmen, die nur in einem Land angesiedelt sind, eine räumliche Expansion vorgenommen und sich dann mit Blick auf das Beispiel Deutschland in Flensburg und in Tübingen ‚verortet’ haben. Zwei Gesichtspunkte sprechen dafür, den ‚Multinatio-nals’ hinsichtlich dieses Gesichtspunktes dennoch eine besondere Qualität zuzusprechen. Erstens: Für national ausgerichtete Unternehmen ist die räumliche Expansion eine Möglichkeit, für multinationale Unternehmen ist sie eine Notwendigkeit. Multinationale Unternehmen sind ohne räumliche Expan-sion nicht möglich. Zweitens: Sofern multinationale Unternehmen auf unterschiedlichen Kontinenten tätig sind (bei nationalen Firmen gibt es nur wenige Beispiele – z.B. Russland und Türkei – wo dies möglich wäre), lässt sich noch einmal von anderen Entfernungen ausgehen, als dies bei einer räumli-chen Expansion in einem Land der Fall ist. Auch dies erschwert die Kontaktchancen in der Interakti-on. Statt einer Zugfahrt ist dann vielleicht der Transatlantikflug die notwendige Bedingung für eine Kommunikation unter Anwesenden.

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malen Dienstwege nur noch in selektiver Weise möglich. Bestimmte Konstella-tionen zwischen zwei Mitarbeitern, die auf unterschiedlichen Kontinenten arbei-ten, sind ausgeschlossen. Das Treffen auf dem Büroflur, die gemeinsame Auf-zugfahrt, der Gang in die Kaffeeküche – solcherlei „Zufallskontakte“, die sich nicht in den Programmen berücksichtigt finden, sind ohne räumliche Nähe schwerlich möglich. Nicht nur für das ‚soziale Klima’ besitzen diese scheinbar unbeutenden Formen der Kommunikation eine Bedeutung. Zugleich kann in diesen Situationen über den bloßen Plausch hinaus auch Einfluss auf Entschei-dungsprozesse genommen werden (Kieserling 1999, 367). Sowohl im Falle einer Limitierung von formalen als auch informalen Kommunikationswegen lässt sich in der Konsequenz eine Konstituierung interner (Erwartungs-)Grenzen beobach-ten. Diese Grenzziehungen können dann – wie Ursula Mense-Petermann aufzeigt – gerade in räumlich differenzierten Unternehmen, vor allem zwischen Konzern-zentrale und Standortunternehmen als folgenreich angesehen werden (Mense-Petermann 2006, 67). Es konstituieren sich damit Grenzen, die – wie im An-schluss an Überlegungen von Veronika Tacke formuliert werden kann – weniger als formal-juristische, sondern als faktische Erwartungs- und Identitätsgrenzen auf sich aufmerksam machen (Tacke 1997, 6).

Diese theoretischen Gesichtspunkte erweisen sich dabei als instruktiv, wenn wir uns im Anschluss nun unserem eigentlichen Bezugspunkt – dem Bankensek-tor – zuwenden. Schließlich stellten derartige Herausforderungen und Problem-lagen von Organisationen kein exklusives Charakteristikum der Warenökonomie dar – zumal in diesem Fall die Beschreibungen für unser Argument von unterge-ordnetem Interesse wären. Verlassen wir dazu noch einmal die theore-tisch/soziologische Ebene und rekapitulieren die historischen Entwicklungen, so stellen wir fest: Viele Banken machten in den 1970ern einen vergleichbaren Veränderungsprozess durch. Sie folgten vielen multinationalen Unternehmen bei ihrer globalen Ausdehnung (Reinicke 1998, 13). Einen ersten Zwischenschritt zu einer globalen Präsenz stellte dabei vor allem in den 60er Jahren zunächst die Bildung von Bankenkonsortien dar, die eine zeitlich begrenzte Kooperation von Kreditinstituten aus unterschiedlichen Ländern bedeutete. Als besonders beliebte Form galt dabei das so genannte ‚club-banking’. Diese intra- und oftmals auch interkontinentale Zusammenarbeit in Bankenclubs konnte sich entweder auf alle Gebiete der Banktätigkeiten oder aber auch auf einzelne Leistungsbereiche erstrecken (Büschgen 1993, 480). Zu Beginn der 70er Jahre waren somit selbst die großen Häuser nur in ihrem Heimatland organisiert und für Geschäfte in anderen Ländern auf die Kooperation mit ausländischen Banken angewiesen (Laulajainen 2003, 275).

Die globale Präsenz über den Zusammenschluss in Bankenclubs war aber eben nur ein Phänomen des Übergangs, das bald durch weitergehende Schritte

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abgelöst wurde. Zum einen begannen die Kreditinstitute mit der Eröffnung von Standorten in vielen Ländern, die vielerorts nicht allein als Repräsentanzen, sondern auch als operative Geschäftseinheiten fungieren.315 Beispiel London: Hier stieg die Zahl der aus dem Ausland vertretenden Banken von 1965 bis 1975 von 99 auf 257 Banken an. Im Jahr 1993 waren bereits 512 ausländische Banken in der britischen Hauptstadt vertreten (Brealey/Kaplanis 1996, 580). Zum zwei-ten kam es Anfang der 70er Jahre das erste Mal zu weit reichenden Kooperatio-nen zwischen Universalbanken verschiedener Nationalitäten – ein Vorgang, der auch in der Bankenwelt selbst als eine bemerkenswerte Entwicklung registriert wird. Schließlich übertrifft dieses neue Geschäftsmodell doch alle vorangegan-genen Formen der Zusammenarbeit zwischen Banken.316 Zum dritten kommt es auch zur Verschiebung ganzer Unternehmensteile in andere Länder.317 Auch im Bankensektor lässt sich damit nun – in Teilen analog zur Genese des multinatio-nalen Unternehmens – eine Transformation beobachten.

Viele Kreditinstitute wandeln sich nun spätestens zu Beginn der 80er Jahre von internationalen Banken zu globalen Banken. Die Prozesse der Deregulierung und Liberalisierung im Anschluss an das Ende von Bretton-Woods beschleuni-gen zudem die Fusionsfreudigkeit zwischen den Instituten (Buch/DeLong 2001, 18). Es geht nicht mehr allein um die Vergabe von Krediten an ausländische Kunden vom Unternehmenssitz aus. Hinzu tritt nun die Eigenschaft, auf lokalen Märkten mit einer Filiale oder wenigstens einer Repräsentanz vertreten zu sein

315 Im Falle der Deutschen Bank markiert beispielsweise die Gründung der heutigen „Deutschen Bank Luxembourg S.A.“ den Startschuss. Es folgten in den kommenden Jahren deutliche Expansi-onsprozesse ins Ausland, mit der Eröffnung von Standorten in Moskau, London, Tokio, Paris und New York (O.A. 2007d). Die Commerzbank beginnt beispielsweise ihren Expansionsprozess, indem sie 1971 ihre Repräsentanz in New York in eine Filiale umwandelt – die erste einer deutschen Bank in New York (O.A. 2007a). Führende amerikanische Banken verfügten zwar bereits früher über Büros in anderen Ländern. Dennoch lässt sich auch hier an verschiedenen Aspekten eine Zeitenwen-de hin zu globalen Unternehmen feststellen: So baut beispielsweise JP Morgan in dieser Dekade seine Büros in den Finanzmetropolen deutlich aus, um verstärkt lokale Präsenz zu zeigen. Zudem werden Filialen in ‚peripheren’ Städten wie Rom und Buenos Aires und beispielsweise eine Reprä-sentanz in Jakarta eröffnet. Die Chase Manhattan durchbricht gar den (politisch angebrachten) eiser-nen Vorhang und eröffnet 1973 eine Repräsentanz im kommunistischen Moskau (O.A. 2007c). 316 Dabei dreht es sich im konkreten Fall um eine Zusammenarbeit der Commerzbank, der Banco di Roma als auch der Credit Lyonnais, die ab diesem Zeitpunkt unter dem Begriff der Europartners Gruppe kooperieren. Erhofft wurde dadurch eine ‚ideale Fusion’, die die Identität der einzelnen Banken bewahrte, gleichzeitig jedoch der Globalität des Wirtschaftsverkehrs Rechnung trug und darüber hinaus Synergieeffekte mit sich brachte (Green 1971, 480). 317 Ein aktuelles Beispiel dafür heute ist vor allem die Deutsche Bank deren Investmentabteilung primär von London aus operiert. Zugleich wird diese ‚funktionale Differenzierung’ nicht allein durch Verschiebungen, sondern durch Übernahmen oder Neugründungen von Konzerntöchtern erreicht, man denke an die bereits benannte Baringstochter in Singapur, die dort mit dem Investmentgeschäft des Stammhauses betraut war.

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und von dort aus zu agieren (McCauley/Ruud/Wooldrige 2002, 43f). Auch hier erleben wir analog beide Expansionstypen (A und B), die wir bereits im Falle von Industrieunternehmen nachvollziehen konnten. Einerseits geht es um die Verschiebung einzelner Unternehmensbereiche nach funktionalen Gesichtspunk-ten. Insbesondere der Handel mit Finanzinstrumenten318 treibt ganze Unterneh-mensbereiche oder spezialisierte Tochtergesellschaften in die Finanzzentren der Global Cities (Brealey/Kaplanis 1996, 594). Andererseits lässt sich auch hier durch die Eröffnung von Filialen oder die Übernahme von Filialnetzen eine Ex-pansion im Sinne unseres Typs B feststellen.

Damit schöpfen die verschiedenen Banken – entsprechend ihrer jeweiligen Geschäftsausrichtung – ganz unterschiedliche Möglichkeiten aus dieser Option räumlicher Expansion. Idealtypisch sind dabei vor allem drei Ausprägungen zu beobachten: Banken, die sich auf das Investmentgeschäft konzentrieren, etablie-ren sich in den Finanzzentren der Global Cities – und dies möglichst in Ländern, in welchen Regulierung und Besteuerung als vergleichsweise gering betrachtet werden. Banken, die im so genannten wholesale-Segment tätig sind,319 errichten Geschäftseinheiten in anderen Ländern, um heimische Industrien bei Direktin-vestitionen in der Ferne zu unterstützen. Für den Bereich des Retailgeschäfts eröffnet sich durch diese Transformationen die Möglichkeit, in neuen Weltregio-nen neue Kunden zu gewinnen – ein Umstand, der vor allem für Banken aus den OECD Ländern von Interesse ist, da die Heimatmärkte oftmals als ‚gesättigt’ gelten (Laulajainen 2003, 276f.). Die Form der Erschließung neuer wirtschaftli-cher Räume über die Besetzung geographischer Orte erklärt sich dabei nicht allein über die reine Logik des wirtschaftlichen Kalküls. Zunächst sind es zwar – mit Blick auf Expansionstyp A – auch Unterschiede in der regulatorischen Um-welt, die sich direkt in ökonomische Zahlen herunterrechnen lassen und die eine Verlegung gewisser Kernbereiche nachvollziehbar machen. Wie aber rechnen sich Expansionsformen vom Typ B in einer Gesellschaft, in der Informationen und damit auch Geldzahlungen ohne nennenswerte Transportkosten oder Zeit-verluste realisiert werden können?

Aus einer soziologischen Perspektive fallen zwei Aspekte ins Auge, über die sich diesbezüglich ein Erklärungszusammenhang herstellen lässt. Zum einen scheint in diesem Zusammenhang die symbolisch/semantische Bedeutung von Lokalität einen Faktor darzustellen. Für viele Banken gehört es so dazu, mit einer Adresse in London und /oder in New York vertreten zu sein.320 Noch deut-

318 Über diese Entwicklung wird in Abschnitt 6 noch ausführlich zu sprechen sein. 319 Whole-sale-banking bezeichnet im Gegensatz zum Retail-Banking das Geschäft mit Großkunden, das dann auch Formen des Investmentbankings und andere Dienstleistungen umfasst. 320 Dieser Erklärungszusammenhang erweist sich als stimmig mit der Tatsache, dass zwanzig Prozent der in London vertretenen Banken höchstens drei Angestellte beschäftigen (Laulajainen 2003, 281).

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licher wird diese symbolische Dimension im Retail-Bereich, wo die Kommuni-kation von geographischer Kundennähe und lokale Adressierbarkeit im Zeitalter eines entterritorialisierten Finanzsystems weiterhin bedeutsam sein dürften.321

An dieser Stelle ergibt sich ein starker Zusammenhang zu einer Erklärung, die wir in 2.1.2 aufwarfen.322

Über die symbolische Dimension hinaus lassen sich zum zweiten auch Un-terschiede auf der Strukturebene nachvollziehen. Diese zeigen sich entsprechend in der Kommunikation mit Nichtmitgliedern des Systems, also zum Beispiel mit Kunden, Zulieferern, Berater, Verbandsvertretern, Politikern, die vor allem über Grenzstellen realisiert wird. Die Ausgestaltung von Grenzstellen ist zwar bisher vor allem in sachlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht thematisiert worden. Gleichwohl deuten einige Umstände darauf hin, dass auch die räumliche Veror-tung von Grenzstellen die wechselseitige Beobachtung von System und Umwelt beeinflusst. Zwar lassen sich diese Grenzstellen nicht in erster Linie als räumli-che Grenzen, in Kategorien des traditionellen Werktors denken. Systemgrenzen sind in einer soziologischen Betrachtung vor allem Sinngrenzen, die über Ent-scheidungen produziert und durch die bereits genannten Entscheidungsprämissen stabilisiert werden (Tacke 1997, 5). Dennoch scheint für die Operationsweise entsprechender Stellen das räumliche Arrangement eine Variable dafür darzustel-len, auf welche Weise Kom-munikation mit der Umwelt realisiert wird. Auch hier erweist sich dann der Bezug auf die Unterschiede zwischen Interaktion und technikvermittelter Kommunikation als aufschlussreich. Wir können somit nun die abstrakten theoretischen Ausführungen zum Verhältnis von Organisation und Interaktion, die wir zu Beginn dieses Abschnitts vornahmen, für unseren empiri-schen Untersuchungsgegenstand nutzen

Banken mit einer entsprechenden Vor-Ort-Präsenz besitzen die Möglichkei-ten, ihre Außenkontakte über Kommunikation unter Anwesenden zu realisieren. Dies betrifft für den Expansionstyp A vor allem die Kommunikation in den Zent-ren323 der jeweiligen anderen Umwelten. Es eröffnet die Möglichkeit, kurzfristi-

321 In Deutschland wird diese symbolische Komponente vor allem anhand der Selbstbeschreibungen von Sparkassen und Volksbanken und ihrem lokalen Engagement ersichtlich. 322 Damit meinen wir insbesondere die Kontingenzreduktion durch Unternehmen, die vor allem über die externe Zuschreibung von Rationalität gelingt. Diese symbolische Komponente einer Vorort-Präsenz erweist sich dabei nicht als ein Alleinstellungsmerkmal des Bankgeschäfts, sondern lässt sich auch in anderen Branchen – wie zum Beispiel dem Fleischerhandwerk – beobachten (Tacke 1999, 230). 323 Mit dem Begriff des Zentrums ist an dieser Stelle impliziert, dass die Funktionssysteme der Welt-gesellschaft in einer Zweitdifferenzierung eine Zentrum-Peripherie-Differenz aufweisen. London ist dann zum Beispiel ein Zentrum des Finanzsystems, ebenso wie Zürich. Berlin ist dabei vermutlich ein Zentrum des politischen Systems, in wirtschaftlicher Hinsicht aber wohl eher der Peripherie zuzurechnen.

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ger, auch informaler Kontakte mit Funktionsträgern aus anderen Kontexten – sei es in einer Sushi-Bar in London mit Finanzinvestoren in der Londoner City, oder auf einem der zahlreichen parlamentarischen Empfänge in Brüssel mit einem zuständigen Kommissionsmitarbeiter. Auch im Falle des Expansionstyps B lässt sich die Ausbreitung im Raum systematisch von einer räumlich zentralistisch angeordneten Organisationsstruktur unterscheiden. In diesem Fall ist es vor al-lem die Interaktion mit dem Kunden, auf die die globalen Banken nun bei Ge-schäften außerhalb ihres Heimatlandes zurückgreifen können. Vor allem im Retail-Segment besitzt diese Option trotz technischer Kommunikationsmöglich-keiten für die Realisierung von Bankengeschäften noch immer eine hohe Rele-vanz.324 Anstrengungen, lokales Wissen über Kunden in technischen Medien zu speichern und damit Vor-Ort-Präsenz zu kompensieren (Harper/Randall/Rounce-field 2000, 110f), scheinen auch aufgrund der oben aufgezeigten Charakteristika von Interaktion nur begrenzt erfolgreich zu sein. Selbst Richard O’Brian kommt in seinem Buch über das Ende der Geographie für die Finanzökonomie zu dem Schluss:

”The retail client will also be more likely to want to have a physical connection with the provider of financial services, whether meeting a financial adviser or dealing with the bank. Even visiting the ATM (automatic-transfer-machine, Anm. MK) re-quires making a physical connection“ (O'brian 1992, 53).

Der Aspekt der Lokalität dürfte in Teilen auch für die Abwicklung von Geschäf-ten mit Großunternehmen gelten, betrachten diese doch Vor-Ort-Präsenz, aber auch lokales Wissen als einen relevanten Faktor für die jeweilige Wahl ihrer Bank.325 Matthias Klemm und Michael Popp sprechen in diesem Zusammenhang aus einer phänomenlogischen Perspektive von einem „kollektive(n) Wissensvor-rat der Lokalität“, der sich in einem „Horizont der Vertrautheit und Bekanntheit“ konstituiert (Klemm/Popp 2006, 197). Grenzstellen regeln somit – sofern sie vor Ort sind – in besonderer Weise die Außenkontakte der Organisation, was sich auch dann zeigt, wenn organisationsrelevante Veränderungen in der Umwelt zu registrieren sind. Dann fungieren sie auch als „Antennen zur Warnung des Sys-

324 Über dieses Argument erklärt sich auch der (bisher) mäßige Erfolg von Direktbanken, die mit ihren rein virtuellen Kundenportalen sicherlich kostengünstige Leistungen anbieten konnten, jedoch damit nicht die Erwartungen der Kunden erfüllen konnten, die oftmals immer noch die klassische Kundenbetreuung präferieren (Mantzke 2004). 325 So greift immer noch ein Großteil multinationaler Unternehmen in den Weltregionen, in denen sie investieren, für ihre Finanzierung sogar auf lokale und regionale Banken statt auf die Dependance des Global Players aus ihrem Heimatland zurück. Dies dürfte ein Indiz dafür darstellen, dass vor allem das lokale Wissen der Finanzinstitutionen bezüglich des Marktes, der Kultur oder auch der Sprache als eine einflussreiche Variable betrachtet wird (Berger/Dai/Ongena/Smith 2003, 412).

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192 Diskontinuitäten

tems“ (Luhmann 1964, 224). Sie stellen somit Sensoren dar, über die in spezifi-scher Weise die Beobachtung der Umwelt im System bzw. die Beobachtung der Beobachtung des Systems durch die Umwelt ermöglicht wird.326 Zusammenge-nommen lassen sich diese Unterschiede einer Vor-Ort-Präsenz mit dem von Saskia Sassen entliehenen Terminus eines Wandels der organisationsinternen „sozialen Infrastruktur“ noch einmal auf den Punkt bringen. Räumlich differen-zierte Organisationen wie multinationale Unternehmen bzw. globale Banken verändern somit die Möglichkeiten von innerorganisationaler Interaktion, als auch die Interaktionschancen zwischen Organisation und Umwelt. Wir haben es mit einer Verschiebung zu ungunsten der ersten Kommunikationsform zu tun, über deren Konsequenzen mit Blick auf Regulierungserfordernisse noch zu spre-chen sein wird. Zunächst aber gilt es zu beobachten, welche gesellschaftlichen, also funktionssystemischen Folgen der Aufstieg multinationaler Unternehmen mit sich bringt. Dieser Aspekt ist Schwerpunkt des letzten Unterpunktes in Kapi-tel 5.

5.3.2 Transformation von Gesellschaft

Die Rekonfigurationen, die sich auf organisationaler Ebene im Kontext der Glo-balisierung beobachten lassen, wirken nicht allein auf die Interaktion sowie die Organisation der Organisation. So erwirken auch Struktureffekte auf funktions-systemischer Ebene. So finden hier nun Prozesse innerhalb des Unternehmens statt, die noch vor einem halben Jahrhundert in derartigen Ausmaßen unbekannt waren und die in hervorgehobener Weise auf die Strukturbildung der Funktions-systeme Einfluss nimmt. Besonders bezeichnend ist dabei der Prozess des ‚Intra Firm Trade’ (Reinicke 1998, 25). Die Organisation internalisiert gewissermaßen Teile der Wirtschaftskommunikation, entzieht sie so der Beobachtung über den Markt und unterminiert damit das Modell zweier verschiedener Transaktions-partner.327 Der Intrafirm Trade ist dabei ein Phänomen, das in der jüngeren Ver-gangenheit rapide an Bedeutung gewann. Zwischen 1980 und 1993 verdoppelte sich sein Volumen. Seine Attraktivität lässt sich darüber erklären, dass er es ermöglicht, die Vorteile von marktförmiger und hierarchischer Kommunikation gleichzeitig zu nutzen (Tacke 1997, 27).

Wolfgang Reinicke macht damit auch deutlich, dass wir es im Zuge der globalen und gleichzeitig intraorganisationalen Vernetzung mit einer sich verän-

326 Die Metapher der „Antenne“ unterstreicht dabei nochmals, welche Rolle Prozesse wie die der informalen Kommunikation sowie präkommunikative Formen der reflexiven Wahrnehmung spielen. 327 Der Intra-Firm-Trade ist schließlich auch das Phänomen, welches Stichweh anführt, um auf die besondere Qualität jüngerer Globalisierungsprozesse aufmerksam zu machen (Stichweh 1999, 33).

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Die Globalisierung (in) der Weltgesellschaft 193

dernden Geographie zu tun haben. In einer systemtheoretischen Betrachtung lässt sich sogar noch genereller fassen und erkennen, dass sich diese Verände-rungsprozesse nicht allein in der ökonomischen Dimension abspielen. Mit Bezug auf unsere Terminologie in 2.1.2 können wir formulieren, dass globale Banken damit auf der Basis ihrer Entscheidungen auch die Interdependenzen zwischen Elementen der Funktionssysteme in ein neues Verhältnis bringen. So hat die Rekonfiguration von Wirtschaftsorganisationen auch auf das Wissenschaftssys-tem eine prägende Wirkung. Sie führt unter anderem dazu, dass die Erzeugung und Verwertung wissenschaftlichen Wissens nicht mehr zwischen Organisatio-nen transferiert wird (beispielsweise auf der Basis von Lizenzen), sondern sich nun netzwerkförmig innerhalb von Unternehmen oder Konzernen ausbreitet. Als ein Kennzeichen für diesen Trend kann die gestiegene Anzahl internationaler Patente betrachtet werden (Stichweh 1999, 33). Ein weiteres Beispiel für die Auswirkungen auf funktionssystemischer Ebene stellt die Schaffung innerorga-nisationaler Werte- und Normensysteme in einer supranationalen Dimension dar. Das Engagement multinationaler Unternehmen in Initiativen wie dem Global Compact liefert ein Beispiel dafür, wie sich an dieser Stelle sogar rudimentäre Formen von Rechtskommunikation herausbilden.

Zusammengenommen vermitteln uns diese Vorgänge ein weitergehendes Verständnis davon, wie Entbettung und Rückbettung, bzw. Desintegration und Integration nun empirisch nachzuvollziehen und theoretisch zu beschreiben sind. Über Entscheidungen stellen multinationale Unternehmen einen selegierten Op-tionsraum bereit, in welchem die Zirkulation und Kopplung von Kommunikation aber auch die Konvertierung von Medien (siehe 2.1) realisiert werden. Die wech-selseitige Integration von Funktionssystemen über multireferentielle Organisati-onen, die wir in 2.1.3 bereits abstrakt ausgearbeitet und in Abschnitt 5.2.2 in gegenwärtige Entwicklungen kontextuiert haben, gewinnt an dieser Stelle eine besondere Qualität. Sie findet nicht mehr nur in segmentär geordnet Weise gleichzeitig in den Nationalstaaten statt. Stattdessen entfaltet sie sich zugleich geographisch im Raum und überwindet damit politisch-territoriale Sinngrenzen. Nationalstaatliche Grenzen werden dabei zwar nicht wirkungslos – gerade auf organisationaler Ebene sehen wir, dass die Organisation Sensibilitäten für Rechtsordnungen aufweist, wo das Kapital nur hemmende Irritation registriert. Sie erscheinen jedoch nun mehr als organisationsinterne Binnendifferenzierun-gen, auf die durch die Schaffung von Stellen und Programmen reagiert wird. Zudem lässt sich aus unseren Analysen schließen, dass Kopplungs- und Konver-tierungsprozesse nicht ausschließlich in zentralisierter Weise in den Firmenzent-ralen geschehen. Vielmehr realisieren sie sich zudem an den Verästelungen der Organisationen, an den verschiedenen Standorten und auch an den entsprechen-den Grenzstellen. Damit haben wir die ‚Orte’ ausgemacht, an denen sich die

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194 Diskontinuitäten

Rückbindung des Bankensystems in der globalisierten und digitalisierten Ge-genwartsgesellschaft vollzieht, und wie wir zu analysieren haben, wie die Ban-kenaufsicht mit der Existenz dieser Orte umzugehen hat.

An dieser Stelle bleibt festzuhalten: Multinationale Unternehmen und damit auch globale Banken tragen dazu bei, dass die Kommunikation der originär ato-pisch und autonom operierenden Funktionssysteme in weiten Teilen sachlich aber auch räumlich rückgebunden wird und sich so neue Sinngrenzen in die moderne Gesellschaft einschreiben. In diesem Aufstieg multinationaler Unter-nehmen liegt damit schließlich neben dem Ende der Ko-Evolution von Staat und Weltwirtschaft sowie der informationstechnologischen Vernetzung eine dritte Diskontinuität, die zu verstehen hilft, welchen Herausforderungen sich Regulie-rung gegenübersieht. Erst im Anschluss daran lässt sich die besondere Ausgestal-tung von Basel II nachvollziehen. Im folgenden Kapitel wollen wir deutlich machen, in welcher Weise durch diese geschilderten Phänomene der Globalisie-rung, Digitalisierung und organisationalen Expansion neue Innovations- und Risikodynamiken entstehen. Damit wird noch einsichtiger, welche Herausforde-rungen das politische System hinsichtlich seiner eigenen Funktionsfähigkeit auf dem Feld der Bankenregulierung beobachtet. Die Genese neuer Risikoformen ist auch Thema der Publikationen des Baseler Komitees, die wir in Kapitel 4 be-trachtet haben. Die folgende systematische Darstellung wird aufzeigen, womit es die Bankenaufsicht nun zu tun hat.

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6 Die Dynamisierung von Innovation und Risiko

Die gesellschaftlichen Diskontinuitäten, die wir in den vorangegangen Abschnit-ten aufgezeigt haben, fanden ihren Ursprung vor allem in einem relativen Bedeu-tungsverlust politisch-territorialer Grenzen. Dabei wurde sichtbar, wie in der Post-Bretton-Woods-Ära gesellschaftliche Veränderungen stattfanden, die auch die Architektur der Bankenlandschaft umgestalteten. Die Globalisierung der Weltwirtschaft in den von uns aufgezeigten drei Facetten328 stellen jedoch nicht die einzigen Diskontinuitäten dar, die die Bankenaufsicht vor neue Herausforde-rungen stellen. Darüber hinaus wurde das Finanzgeschäft im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts von einer Innovationsdynamik erfasst, die die Mög-lichkeiten politischer Regulierung seitdem in einem weiteren Sinne verändern. Unsere historischen Passagen und vor allem Abschnitt 2.1.1 verdeutlichten be-reits, dass das klassische Kreditgeschäft auf eine lange Geschichte zurückblickt. Das gleiche gilt auch für den Aktienhandel, welcher sich in rudimentärer Form bereits mit Beginn der Schiffsreisen großer Beliebtheit erfreute (Bernstein 1997).

Seit den 1970er Jahren lässt sich jedoch nun eine erhebliche Diversifizie-rung an Investitionsformen feststellen. Diese Diversifizierung des Finanzge-schäfts und ihre Auswirkungen auf den Operationsmodus von Banken sind zent-raler Bestandteil des folgenden Abschnitts (6.1). In dem Zusammenhang soll erkennbar werden: Neben ihrer Ausbreitung im Raum dringen die Kreditinstitute auch in sachlicher Hinsicht in neue Gebiete vor und treiben somit diesbezüglich die „Universalität“ des Bankgeschäfts voran (Wuffli 1979, 217). Das Kreditge-schäft avanciert damit für Banken zu einer Programmform, die zwar weiterhin eine zentrale, jedoch nicht mehr die alles überstrahlende Komponente in ihrem Leistungsportfolio darstellt. Der Einsatz neuer Finanzinstrumente zeichnet sich dabei unter Risikogesichtspunkten durch eine für unsere Analyse nicht unbedeu-tende Ambivalenz aus. Einerseits können auf dieser Basis nun ‚klassische’ Risi-ken und Gefahren mit ihrer Hilfe abgesichert werden. Anderseits entstehen je-doch neue Risikoformen und damit neue Herausforderungen. In einem zweiten

328 Gemeint sind hier erstens das Ende der Ko-Evolution von Staat und Weltwirtschaft. zweitens die Digitalisierung der Verbreitungsmedien, sowie drittens die Genese multinationaler Organisationen. Der Bezug auf diese drei Aspekte findet sich auch in der Struktur des vorangegangenen Kapitels zur Globalisierung wieder (s.o.).

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196 Diskontinuitäten

Schritt wird daran anschließend aufgezeigt, welche Risiken aber auch Gefähr-dungen daraus das Bankensystem kennzeichnen (6.2).

6.1 Globalisierung und Finanzwirtschaft als Beförderer von Innovations-prozessen

Die Entwicklung neuer Investitionsformen, wie sie vor allem seit den 1970ern zu beobachten ist, steht in engem Zusammenhang mit den bereits beschriebenen Globalisierungsprozessen (1) aber auch dem Bedeutungsgewinn finanzwirt-schaftlicher Theorien und Methoden (2).329

(1) Blicken wir zunächst auf die Folgen wirtschaftlicher Globalisierung: Diesbezüglich ist vor allem die gestiegene Volatilität des Finanzsystems ein wichtiger Faktor. Das ‚Floating‘ der Wechselkurse sowie der Abbau von Kapi-talkontrollen eröffneten neue Chancen erfolgreicher Investitionen, schufen damit zugleich aber auch neue Risiken und Gefahren, welche nun einer Bearbeitung bedürfen. Eindrucksvoll zeigt sich diese Entwicklung an der Konstitution der Devisenmärkte, dem Geschäft mit Währungsschwankungen sowie unterschiedli-chen Zinssätzen, aus welchem sich ein neues Investitionsumfeld entwickelte. In diesem Segment kommt es zu Innovationen, die auf Gewinnerwartungen, wie auch auf Verlustbefürchtungen von Banken, Börsen, Anlegern und Sparern rea-gieren. Vor allem aber multinationale Unternehmen sind davon betroffen. Auf-grund ihrer Auslandsdependancen sind sie den Gefahren von ökonomischen Verlusten durch dynamische Wechselkurse und schwankende Zinssätze ausge-setzt – ein Problem, welches schließlich über die Konstitution so genannter ‚ex-change derivatives’ bearbeitet werden kann (Reinicke 1998, 13). Die ‚exchange derrivatives’ sind eine der ersten so genannten derivativen Finanzinstrumente, die seit den siebziger Jahren vermehrt zum Einsatz kommen.330 Sie spielten vor-her faktisch keine Rolle (Mackenzie/Millo 2003, 109).331 Über diese derivativen Geschäfte gelingt es den Partizipienten im Wirtschaftssystem, sich gegen Kurs-, Zins- und Währungsschwankungen abzusichern (Strulik, 2000, 189ff.).332 Deri-

329 Zur Klarstellung: Wenn nun im Folgenden von Finanzwirtschaft die Rede ist, dann ist damit die akademische Beschäftigung mit dem Finanzgeschäft – vielleicht vergleichbar mit der Bankbetriebs-lehre oder der Betriebswirtschaftslehre – gemeint. 330 In der Finanzwirtschaft einschlägig dazu ist die Darstellung von John Hull (Hull 2006). 331 Zwar lassen sich Märkte für derivative Geschäfte bis zu den Tulpenmärkten des 17. Jahrhunderts in Holland zurückverfolgen. Diese Märkte waren jedoch klein und in ihren gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen marginal (Stulz 2004, 177). 332 Hier ist dazu zu sagen, dass darin die zentrale, wenngleich nicht die einzige Funktion von Deriva-ten zu sehen ist. In anderen Fällen werden Derivate auch genutzt, um die Volatilität von Buchwerten zu minimieren, oder aber steuerliche Vorteile daraus zu generieren. Eine finanzwissenschaftliche

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Die Dynamisierung von Innovation und Risiko 197

vative Instrumente ermöglichen damit die Transformation von Gefahren in Risi-ken und die Möglichkeiten eines Handels mit diesen Risiken.333 Organisationen oder Personen können Risiken im Rahmen des Derivategeschäfts schlichtweg an Dritte verkaufen, die bereit sind, das jeweilige Risiko zu tragen. Sie vermeiden es damit, sich der Zukunftsunsicherheit von Zins- und Währungsentwicklungen auszusetzen. Ihre Käufer dagegen setzen sich diesem Risiko bewusst aus, speku-lieren sie doch gerade auf Gewinne aus Zins- und Währungsdifferenzen. Damit konstituierte sich ein digital vernetzter Markt an Risikobearbeitung, der auf die Bedürfnisse nach Risikoabsicherung eines globalisierten Finanzsystems reagier-te, gleichzeitig damit aber auch neue Investitionsformen hervorbrachte. Aus Perspektive des Gesamtsystems ist dabei entscheidend, dass diese Risiken und Gefahren nicht verschwunden sind. Sie finden sich nun in modifizierter Form an anderer Stelle und prägen auf diese Weise die Architektur des Finanzsystems.

(2) Die Prozesse politischer Deregulierung sowie die Digitalisierung öko-nomischer Kommunikation sind dabei nicht die einzigen Komponenten, die das Aufkommen neuer Finanzinstrumente möglich und in Teilen gar erforderlich machten. Von nicht minderer Bedeutung ist der Einfluss wirtschaftswissen-schaftlicher und finanzwirtschaftlicher Impulse auf diese Entwicklung:334 In der ökonomischen Theorie werden Fortschritte erzielt, die unmittelbare Effekte auf die Marktpraxis auslösen – ein Prozess der heute in der Finanzwissenschaft im Rückblick als „Doppelrevolution“ bezeichnet wird (Elliott/Kopp 2001, 1).335 In den Wirtschaftswissenschaften wurden auf der Basis von Computertechnologie und Marktdaten neue Modelle zur Preisentwicklung ausgearbeitet, welche ent-scheidenden Einfluss auf die Operationsweise des Finanzsystems nahmen (Mac-kenzie/Millo 2003, 114). Es konstituierten sich neue Formen des Handels mit

Thematisierung dieser Optionen würde an dieser Stelle zu weit führen. Für eine detaillierte Betrach-tung des ersten Punktes siehe bei Gordon Bodnar, Gordon, M, der zweite Punkt findet sich bei Mary Barth (Barth 1999) thematisiert. 333 Dass man es im Falle von Wechselkurs- und Zinsschwankungen auf Basis der von uns bereits eingeführten Risiko/Gefahr-Unterscheidung zunächst nicht mit Risiken, sondern vor allem mit Ge-fahren zu tun hat, findet sich bei Gerd Nollmann ausgeführt (Nollmann 1997, 238). Auf Basis spezi-fischer Finanzinstrumente gelingt schließlich die Transformation in (entscheidbare) Risiken (Noll-mann 1997, 242). 334 Hier ist zu bemerken, dass Globalisierung durch Regulierung und Aufstieg finanzwissenschaftli-cher Modelle in einem engen Zusammenhang stehen. Merton Miller sieht in den Deregulierungspro-zessen sogar den stärksten Impuls für die plötzliche Prominenz bereits existierender aber bisher unpopulärer Finanzinnovationen (Miller 1992, 5). 335 Damit schließen wir an die bereits in Abschnitt 5.2.2 erwähnte Integration von Finanzsystem und Wissenschaftssystem an, die dem Finanzsystem neue Investitionsmöglichkeiten beschert, gleichzeitig jedoch die Herangehensweise entlang wissenschaftlicher und vor allem mathematischer Kommunika-tionsformen konditioniert.

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198 Diskontinuitäten

Risiken, die Gewinn- und Verlustmöglichkeiten in neue Kategorien vorstoßen ließen.

Eine derartige Veränderungsdynamik lässt sich dabei nicht nur im Bereich derivativer Geschäftstätigkeiten beobachten. Die Unsicherheit der Zukunft in Zeiten fluider Aktien-, Zins- und Wechselkurse führt zu ganz unterschiedlichen Finanzinnovationen, die bis ins klassische Kreditgeschäft des Bankensystems hineinreichen. So wartete beispielsweise die Kreditwirtschaft mit Anleihevarian-ten, so genannten Floating-Rate-Notex (FNRs) auf, die eine Alternative zu fest verzinsten Formen der Kreditvergabe darstellten (Binkowski 1991, 2). Derartige Floating Rate Notes, auch als ‚Floater’ bezeichnet, unterscheiden sich von klas-sischen Krediten dadurch, dass sie mit keinem festen, sondern einem variablen Zinssatz besehen werden, der im 3- oder 6 Monatsrhythmus jeweils an den LI-BOR-Satz (London Inter Bank Offered Rate - Satz) angepasst werden. Über diese Fluidisierung der Kreditkondititionen hinaus kommt es auch mit Blick auf kreditfähige Kapitalformen zu Veränderungen und Diversifizierungen. Neben der Aufnahme des klassischen Kredites wird es beispielsweise möglich, Anlei-hen in Form von Wertpapieren vorzunehmen und daraus günstige Konstellatio-nen für Verleiher und Entleiher zu schaffen.336

Die damit beschriebenen Entwicklungen geben einen Einblick, in welcher Weise sich auf funktionssystemischer Ebene neue Investitionsformen konstituie-ren. Welche Veränderungen aber lassen sich auf Ebene der Organisationen, also mit Blick auf Banken beobachten? Diesbezüglich wird erkennbar, dass es bei Banken entsprechend dieser Entwicklungen zu einer Veränderung der Entschei-dungsprämissen kommt. Auch wenn ein Teil dieser neuen Finanzierungsformen jenseits von Bankorganisationen und selbst jenseits von Börsen stattfindet. Ban-ken erweitern im Zuge dieser Entwicklung ihren Leistungsbereich in deutlicher Weise. Schließlich wird – wie Jan Pieter Krahnen feststellt – von ihnen realisiert, welche Gewinnpotentiale sich neben dem klassischen Kreditbereich nun im Investmentbereich auftun.337 So fungiert eine Anzahl von Banken immer noch auch als Träger des neuen Systems (Krahnen 2005, 512) – und dies in dreierlei Weise: Zum einen können sie als Broker, also als reine Vermittler ohne Risiko-

336 Zur Funktionsweise von Wertpapieranleihen siehe bei Holger Beck (Beck 1993). 337 Wenn hier von Banken gesprochen wird, ist zunächst von Kreditbanken, nicht aber von Invest-mentbanken die Rede, die naturgemäß auch zuvor auf Investitionen jenseits des Kreditgeschäfts ausgerichtet waren. Auch an dieser Stelle ist zu sagen, dass Universalbanken, so wie wir sie heute kennen, kein ubiquitärer Ausgangszustand waren. In den Vereinigten Staaten waren Investmentbanks und Commercialbanks über lange Jahre aufgrund regulatorischer Vorgaben strikt getrennt (Vitols 1997, 118). Erst in der 80er Jahre begannen amerikanische Banken im Zuge von Deregulierungspro-zesse ihre Produktpaletten zu erweitern und sich zu Universalbanken „American Style“ zu wandeln (Calomiris 2000, 335). Wir kommen darauf in Abschnitt 8.2 zurück.

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Die Dynamisierung von Innovation und Risiko 199

übernahme in die neuen derivativen Geschäftsvorgänge involviert sein.338 Zum zweiten nutzen sie die Möglichkeit, als Intermediär, also als Zwischenhändler mit Vertrag zu beiden Partnern ins Spiel zu kommen und damit dann unter Um-ständen auch Risiken zu übernehmen. Eine dritte Option liegt für die Kreditinsti-tute schließlich darin, selbst als ‚Principal’ aufzutreten und dann mit Eigenbe-ständen zu arbeiten – eine Form, die vor allem von großen Banken und Invest-mentbanken vollzogen wird (Binkowski 1991, 37).

Damit einher geht auch eine Diversifizierung und Erweiterung des Ge-schäfts mit den Kunden, was sich beispielsweise an der Neuausrichtung der Vermögensverwaltung ablesen lässt. Marlies Kern macht deutlich, wie sich unter dem Begriff einer „strukturierten Vermögensverwaltung“ die Leistungsbereiche der Banken gewandelt bzw. erweitert haben. Die Spareinlage stellt nur noch ein Anlageinstrument dar, welches – gemäß des Kundenprofils – um weitere Anla-geformen wie beispielsweise die Investition in Fonds erweitert wird (Kern 1993).339

Diese Entwicklung auf Programmebene der Banken zeigt, welche Kopplun-gen zwischen Kreditgeschäft und Aktiengeschäft sowie dem Handel mit neuen Finanzinstrumenten vonstatten gehen. Die damit skizzierte Entwicklung tangiert somit auch das klassische Kreditgeschäft, welches wir über die Figur des Zah-lungsversprechens als elementaren Bestandteil und Schließungsmechanismus des Bankensystems in 1.2.1 identifiziert haben. Zum einen lässt sich diese Kopplung bis in die Portfolios einzelner Kunden zurückverfolgen, deren Einlagen nun partiell über das Zahlungsversprechen abgesichert, andererseits aber beispiels-weise auch den Risiken der Aktien- oder Währungskurse ‚ausgeliefert’ sind. Zum zweiten kommt es zu Kopplungen, indem Kapital aus klassischen Krediten für derartige neue Investments eingesetzt wird. In diesem Fall stehen einem an die Bank abgegebenen Zahlungsversprechen hohe Unsicherheiten gegenüber. Drittens realisieren sich – wie oben gezeigt – auch innerhalb der Bankorganisati-onen Kopplungen zwischen klassischem Kreditgeschäft und innovativen Finanz-instrumenten, gemäß der strategischen Ausrichtung der Organisation. Die Aus-wirkungen von Innovationen im Finanzsystem berühren nicht allein die Ent-scheidungsprogramme, sondern zugleich auch die Prämissen über Kommunika-

338 Dies geht soweit, dass Banken die institutionellen Rahmenbedingungen für den Handel derartiger neuer Finanzinstrumente schaffen. Ein Beispiel dafür stellt die Deutsche Terminbörse (DTB) dar, die im Januar 1990 gegründet wurde und auf welcher Zins-Futures gehandelt werden. Dabei handelt es sich um eine Institution, die von vielen bedeutenden deutschen Banken – wie der Deutschen Bank, der Commerzbank oder auch der Dresdener Bank – gegründet worden war (Binkowski 1991, 84). 339 Auch bei diesem Veränderungsprozess handelt es sich nicht um einen kurzatmigen Einfall von Marketingstrategen, sondern um ein Verfahren mit wissenschaftlichem Bias. Zentral ist diesbezüg-lich die amerikanische Kapitalmarkttheorie von Harry Markowitz, dessen Portfolio-Optimierungs-konzept seine performative Wirkung entfaltete (Kern 1993, 116).

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200 Diskontinuitäten

tionswege und Personal. So bemerken Hans Büschgen und Christof Börner mit Blick auf innerorganisationale Veränderungen:

„Angesichts der zunehmenden Komplexität des Bank-Leistungsprogramms – anzu-führen sind die dynamische Entwicklung sog. Finanzinnovationen, die Tendenz hin zur Bildung immer umfassenderer kundenindividuell zusammengestellter Leis-tungspakete, die Entwicklung von Banken hin zu Allfinanzinstituten – sowie ange-sichts der Internationalisierung des Bankgeschäfts hat in den letzten Jahren die Be-deutung zentraler Informationsknotenpunkte in Form von Stäben gerade in Banken immer stärker an Bedeutung hinzugewonnen“ (Büschgen/Börner 2003, 220).

Büschgen und Börner weisen damit darauf hin, dass das Einliniensystem als Musterfall eines weberianischen Bürokratieverständnisses in Banken aufgrund der aufgezeigten Entwicklungen mehr und mehr in Frage gestellt wird. Es wird dann beispielsweise durch das so genannte Linien-Stab-System abgelöst, in wel-chem spezialisierte Stäbe den jeweiligen Hierarchieebenen zuarbeiten, ohne ‚unter sich‘ weitere ‚Befehlsempfänger’ vorzufinden. Auf den Stabsstellen wer-den dabei auch vor allem Aspekte bearbeitet, die nicht primär der bankensyste-mischen Rationalität zuzuordnen sind. Es geht, wie sich an Büschgens und Bör-ners Ausführungen zeigt, unter anderem um rechtliche Aspekte, um technische Fragen des Risikocontrollings oder um Personal. Andere Beschreibungen zur Neustrukturierung von Bankorganisationen gehen sogar noch weiter und spre-chen bereits von einer Ablösung der hierarchischen Organisation durch die „Hy-perarchie“. Gemeint ist damit die Schaffung von Kommunikationswegen inner-halb der Bank, die eher an Netzwerkstrukturen denn an formale Strukturen erin-nern (Koye 2004, 148). Eine Neuausrichtung dergestalt dient dabei nicht allein dem Umgang mit erhöhten Informationsflüssen und der Bearbeitung neuer Pro-dukte innerhalb der Organisation. Zugleich verändert sich auch die Kommunika-tion nach außen. Viele Banken organisieren sich – mit Blick auf ihre wirtschaft-liche Umwelt – entlang ihrer Kundengruppen (Private Banking, Corporate Ban-king, etc.) und bilden dementsprechend vergleichsweise autonome Subeinheiten, die die Züge eines Bank-in-Bank-Prinzips aufweisen (Grote 1996, 26-30).340

Die Auswirkungen der Finanzinnovationen zeigen sich schließlich auch auf der Ebene des Personals. Die gewandelten Bedingungen des digitalisierten und diversifizierten Bankgeschäfts führen in einigen Bereichen zu gewandelten Per-sonalanforderungen (Vollath 1993, 671-679). So bringt vor allem auch die Da-

340 An dieser Stelle sei noch hinzugefügt, dass Banken – angesichts des Wettbewerbdrucks – einen Teil ihrer Aufgabe im Sinne eines ‚lean managements’ in die Umwelt externalisieren (Koye 2004, 158) – ein Punkt, der unter Risikogesichtspunkten nicht unwichtig sein dürfte und der im Fazit dieser Arbeit (V) als Problempunkt thematisiert wird, der auch mit Basel II nur unzureichend bearbeitet wird.

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Die Dynamisierung von Innovation und Risiko 201

tenverarbeitung die Notwendigkeit mit sich, schnell zu entscheiden. Über diese (neuerdings digitalbasierten) Prozesse hinaus sind zudem eben auch die ange-sprochenen Finanzinnovationen ein weiterer Aspekt, der von den Stelleninhabern entsprechend neue Kenntnisse und Kompetenzen einfordert. Das erweiterte Port-folio an Finanzprodukten erfordert einerseits ein „Bewusstsein für die Gesamtzu-sammenhänge“ bei den Mitarbeitern. Andererseits wird angesichts der „Produkt-komplexität“ an vielen Stellen ein ausgeprägtes Spezialwissen vorausgesetzt (Grote 1996, 30). Schließlich sind Fähigkeiten wie die „Generierung neuer I-deen“ und „Qualifikationen zur Implementierung von Innovationen“ Bestandtei-le von Kompetenzerwartungen, denen sich Bankmitarbeiter ausgesetzt sehen (Federau 1989, 221).

Die Innovationen der Finanzwirtschaft sind somit von (mindestens) zweifa-cher Natur. Zum einen führen sie im Finanzsystem zu neuen Möglichkeiten der Risikoabsicherung und damit gleichzeitig zu neuen Investitionsformen. Zum zweiten verändern diese Innovationen die Operationsmodi von Bankorganisatio-nen. Diese entgrenzen sich schließlich nicht allein in räumlicher Hinsicht und gewinnen – wie im Abschnitt zuvor geschildert – als globale Bank eine neue Qualität. Zudem ist das Bankgeschäft auch in der Sachdimension von expansiven Tendenzen geprägt, die seine Strukturen den genannten Entwicklungen anpas-sen. Wir konnten damit darstellen, wie die entsprechenden Entscheidungspro-gramme, aber auch die Kommunikationswege sowie die Anforderungen an das Personal auf derartige Modifikationen reagieren. Die damit beschriebenen Ver-änderungen vervollständigen das Bild, welches die Hintergrundfolie bietet, um die veränderten Risiko- und Gefahrenkonstellationen der Finanzökonomie im Allgemeinen sowie der Bankorganisationen im Besonderen als Irritationspotenti-ale für die Politik nachvollziehen zu können. Im folgenden Abschnitt wird es darum gehen, diese Veränderungen in den Blick zu nehmen. Dabei wird sich nochmals die Unterscheidung zwischen den Ebenen von Funktionssystem und Organisationssystem als Erkenntnis bringend erweisen. Gezeigt werden soll dabei, wie sich die Risiko- und Gefahrenkonstellationen angesichts der darge-stellten Diskontinuitäten für Finanz- und Bankensystem weiter verschärfen und damit zur (Er-)Klärung der neuen Initiativen in der Bankenaufsicht beitragen.

6.2 Risiken und Gefahren einer globalisierten Finanzökonomie

Bereits im vorherigen Absatz wurde implizit deutlich, in welcher Weise die Entwicklungen, die sich seit Beginn der 1970er Jahre ereignen, auch eine verän-

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derte Risiko- und Gefahrenlage für Finanz- und Bankensystem bedeuten.341 Ne-ben dem Kreditrisiko gewannen so weitere Risikoformen an Relevanz, die mit dem Begriff des Marktrisikos bezeichnet werden. 342 Zwar bildeten sich mittels der neuen Finanzinstrumente elaboriertere Formen der Absicherung heraus, um vor allem mit derartigen Marktrisiken umgehen zu können. Die Stabilität des Bankensystems konnte dadurch jedoch nicht nachhaltig aufrechterhalten werden. Seit dem Ende von Bretton Woods wurden mehr als 100 Finanzkrisen gezählt (Alexander/Dhumale/Eatwell 2006). Zwischen 1980 und 1996 hatten mehr als 130 Staaten Probleme mit ihrem Bankensektor, in Ostasien sowie in Russland kam es zwischen 1997 und 1998 zu international beachteten Krisen (für diese und die folgenden empirischen Beschreibungen siehe Wilmarth 2004, 79).343

Einige dieser Staaten verloren gar bis zu 2/5 ihres Bruttoinlandsproduktes (GDP) in Folge dieser Eruptionen des Finanzsystems. Derartige unwillkommene Irrita-tionen betrafen dabei nicht allein die so genannten Schwellenländer oder Staaten mit unsicheren ökonomischen Verhältnissen. Auch die Vereinigten Staaten wa-ren als führende Wirtschaftsmacht in den 80er Jahren und Anfang der 90er von Krisen in ihrem Bankensektor betroffen.344

Dass die genannten Instabilitäten nationale oder regionale Kreise bisher nicht überschritten und das Weltbankensystem bisher davon nicht in globalem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen wurde, kann dabei Martin Hellwig zufolge gar als ungewöhnlich bewertet werden (Hellwig 1997, 140). Über potentielle Gefahren, die aus riskanten Entwicklungen für das Bankensystem entstehen können, sagt dieser Umstand seines Erachtens wenig aus. Im Gegenteil sprechen die Ausgestaltung und gesellschaftliche Verankerung des Bankensystems dafür, dass das Ausbrechen so genannter Systemkrisen345 wahrscheinlicher geworden ist (Hellwig 1997, 126).

Im Folgenden wollen wir die Genese derartiger Destabilisierungen des Bankensystems nachvollziehen. Dabei soll erkennbar werden, dass Systemkrisen nicht immer allein einem monokausalen Entstehungszusammenhang folgen.

341 Hingewiesen wurde dabei auf Zins- und Währungsschwankungen, die mit dem Bedeutungsverlust politisch-territorialer Grenzen sowie einer Synchronisierung des Marktes durch digitale Informations- und Kommunikationstechnologien neue Krisenpotentiale schaffen. 342 Der Begriff des Marktrisikos bezeichnet verschiedene Risiken, die auf der Basis offener aber immer noch heterogener Finanzplätze auftreten können. Bedeutende Marktrisiken sind in diesem Zusammenhang vor allem die bereits genannten Zinsänderungsrisiken oder Währungsrisiken. Siehe detaillierter bei Richard Dale (Dale 1984, 73ff). 343 Für einen kurzen inhaltlichen Überblick siehe in einem Artikel des Tagesspiegels (O.A. 1998). 344 Zu den Problemen der Banken in den USA siehe exemplarisch bei Jan Uwe Hagen (Hagen 1990, 1-20).345 Bei einer Systemkrise handelt es sich um das Problem, dass „aufgrund von wechselseitigen Ab-hängigkeiten verschiedener Institutionen in einem Finanzsystem die Schwierigkeiten einer Institution die Funktionsfähigkeit des gesamten Systems infrage stellen könnten“ (Hellwig 1997, 126).

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Stattdessen lassen sich verschiedene Faktoren in unterschiedlichen Funktions-kontexten identifizieren, die das Potential für Systemkrisen bergen. Zum einen können Destabilisierungen durch genuin finanzökonomische Risiken befördert werden (1). Zum zweiten zeigt sich aber auch, wie Risiken in der Umwelt des Bankensystems die Gefährdungslage zuspitzen (2). Schließlich lassen sich auch Risikoformen erkennen, die aus der Kombinatorik von Risiken des Bankensys-tems und Gefahren aus der Umwelt des Bankensystems hervorgehen (3). Mit einer Thematisierung der Risiko- und Gefahrenkonstellationen schließen wir an dieser Stelle an unsere Analysen in Abschnitt 2.2 an.346 Zugleich können wir diese nun auf Basis unserer Beschreibungen zur Globalisierung sowie der Elabo-ration innovativer Finanzinstrumente im Folgenden präzisieren. In einer Zusam-menführung der Argumente aus Abschnitt 2.2, Kapitel 5 sowie Abschnitt 6.1 wird dann erkennbar: Die Auswirkungen technischer oder anderer innerbetriebli-cher Irregularitäten entfalten erst im Kontext einer globalisierten, digitalisierten und organisational expandierenden Bankenwelt ihre (potentiell katastrophale) Wirkungsmächtigkeit.

(1) Die Anfälligkeit von Finanz- und Bankensystem lässt sich zunächst sehr allgemein darauf zurückführen, dass sich die Potentiale intrasystemischer Inter-dependenzbildung deutlich verstärkt haben.347 Seit dem Ende der Ko-Evolution von Globalisierung und moderner Staatlichkeit haben politische Grenzen ihre Leistungsfähigkeit als Interdependenzunterbrecher und damit als ‚Puffer’ riskan-ter Kommunikation mehr und mehr eingebüßt. Dies bedeutet: Die Eindämmung globaler Systemrisiken wird auch dadurch erschwert, dass in einer globalisierten Ökonomie, die auf Basis digitaler Informations- und Kommunikationstechnolo-gien arbeitet, sachliche und räumliche Grenzen kaum mehr von Bedeutung sind. Es ist die Fluidität des Investments, das mühelose Einspeisen und Abziehen von Kapital, das zwar einerseits die Leistungsfähigkeit des Systems enorm verstärkt, zugleich aber auch eine zugespitzte Risikokonstellation hervorruft (Eat-well/Taylor 2000, 5).

Globalisierungs- und Digitalisierungsprozesse wirken dabei nicht nur als mögliche Verstärker solcher Krisen, indem sie politisch-territoriale Puffer als Interdependenzunterbrecher beseitigt haben. Zugleich befördern sie ökonomi-sche Konditionierungen in Finanz- und Bankensystem, die im Fall der Fälle für die Auslösung einer solcher Krise maßgeblich mit verantwortlich sein dürften. So bringt der transparentere Markt einer globalen Finanzökonomie zwar deutli-che ‚Effizienzgewinne’ mit sich. Die Kehrseite dieser Effizienzgewinne ist je-

346 Dort hatten wir die Schadensquellen, die sich aus der Ambivalenz von Technik und der Riskanz struktureller Kopplung ergeben (können), thematisiert. 347 Damit schließen wir an einen Theorieausschnitt an, den wir in Abschnitt 2.1.2 ausführlich darge-legt haben.

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doch – wie Martin Hellwig herausstellt – in deutlich niedrigeren Margen der Institute zu sehen. Dies erklärt sich folgendermaßen: Banken konkurrieren heute weltweit – und dies nicht allein mit anderen Banken sondern auch mit Nichtban-ken348 – um Finanzgeschäfte jedweder Art. Für (unter Risikogesichtspunkten vielleicht erforderlichen) ökonomischen ‚Puffer’ schwinden demzufolge die Möglichkeitsspielräume, die in einem segmentierten System in größerem Maße vorhanden waren. Eine zu komfortable Eigenkapitalunterlegung von Krediten avanciert zum Wettbewerbsnachteil, der in einem globalen Bankensystem kaum zu leisten ist. Hinzu kommt, dass Kreditinstitute, deren Solvenz ein kritisches Level erreicht hat, sich auf besonders riskante Geschäfte einlassen, in der Hoff-nung, einen drohenden Konkurs unbedingt zu vermeiden. Damit folgen sie dann „Verzweiflungsstrategien“, deren Auswirkungen ein hohes Krisenpotential ber-gen (Hellwig 1997, 144).

Das Konditionierungspotential dieser Prozesse zeigt sich darüber hinaus auch noch in anderer Hinsicht und wirkt bis in die einzelnen Organisationen hinein. Die Vernetzungen und Verflechtungen der Finanzökonomie haben Sys-temarchitekturen hervorgebracht, die in beträchtlichem Maße auf die Entschei-dungsautonomie von Banken wirken. Ein instruktives Beispiel dafür stellen die so genannten Interbank-Märkte dar, auf welchen die Kreditinstitute unter ande-rem Kredite an andere Banken verkaufen oder sich wechselseitig mit Liquidität ausstatten können. Was ist das Besondere an den dort zu beobachtenden System-architekturen, das die Entscheidungsautonomie von Organisationen derart her-ausfordert? Auf diesen Märkten haben sich wechselseitige Erwartungshaltungen aufgebaut, die eine hohe Enttäuschungsanfälligkeit aufweisen. Erwartet wird Solvenz jedes einzelnen Instituts. Die Bank für internationalen Zahlungsaus-gleich weist darauf hin, dass bereits der geringste Zweifel an der Bonität eines Instituts die fragile Architektur dieses Vernetzungszusammenhangs ins Wanken bringen kann (Bis 1992, 228).

Damit offenbart sich die Fragilität dieses Arrangements, die all das noch einmal übersteigt, was wir im Theorieteil mit Blick auf vormoderne aber auch moderne Formen des Kreditgeschäfts beobachtet haben. Nicht erst die Erwar-tungsenttäuschung bedeutet eine Gefahr für seine Operationsfähigkeit. Bereits die (aufgrund der Digitalisierung nun überall gleichzeitig) zu beobachtende Be-fürchtung einer möglichen Erwartungsenttäuschung birgt ein hohes Irritationspo-tential für den gesamten Zusammenhang des Interbankenmarktes und erhöht die Wahrscheinlichkeit für Systemkrisen (Rochet/Tirole 1996, 733). Für das einzel-ne Institut kann dies bedeuten: Die Ablehnung einer Transaktion aufgrund von

348 Dazu zählen andere Kapitalgeber aber auch -nehmer, die vor allem auf dem Kapitalmarkt anzu-treffen sind.

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„Zweifeln“ über die Qualität eines Zahlungsversprechens mag unter Risikoge-sichtspunkten isoliert für sich zwar eine rationale Grundlage aufweisen. Gleich-zeitig jedoch ist die Bank damit vor das Problem gestellt, die Fluidität des Mark-tes und damit zugleich seine Stabilität empfindlich zu unterminieren. Damit erweist sich der formal bestehende Entscheidungshorizont der Organisation über die Bewilligung von Mitteln als faktisch empfindlich eingeschränkt. Die in Ab-schnitt 2.1.3 aufgezeigte Komplementarität funktionssystemischer Risikoerzeu-gung und organisationaler Risikopufferung dürfte damit unweigerlich ins Wan-ken geraten.349 Ungeachtet aller möglichen Bedenken avanciert Systemvertrauen schließlich zu einem Imperativ, dessen Nichtbefolgung nicht nur das einzelne Geschäft platzen lässt, sondern auch auf den Gesamtzusammenhang des Systems wirkt.350

Aus diesen Zusammenhängen lassen sich Schlüsse darüber ziehen, welche Rolle die einzelne Organisation für die Aufrechterhaltung eines systemischen Zusammenhangs spielt. Er erscheint dabei noch deutlicher, wenn wir über die Argumentation von Hellwig hinausgehen und zudem die nichtökonomischen Aspekte von Banken beleuchten, die ebenfalls Gefahrenpotentiale bergen. Die globalen Interdependenzen des Bankensystems können auch dann relevant wer-den, wenn es an einer (System-)Stelle zu unerwarteten und unwillkommenen Irritationen aus der Umwelt des Systems kommt.

(2) Rekapitulieren wir unsere Überlegungen zur Riskanz von Technologien in Abschnitt 2.2.1 und kombinieren wir diese mit den Ausführungen zur Entfal-tung von Informations- und Kommunikationstechnologien (Abschnitt 5.2), dann gewinnt dieses Argument an Schärfe. So stellen die Zahlungs- und Abrechungs-systeme ein hohes Gefahrenpotential dar (Bis 1992, 228). Auf ihre Funktionsfä-higkeit muss angesichts der globalen Zahlenströme nicht allein ökonomisch, sondern auch technisch vertraut werden. Bleiben beispielsweise die Bildschirme der Devisenhändler schwarz, sind bedeutende Nervenstränge (Informationskanä-le) aber auch Blutbahnen (Zahlungskanäle) durchtrennt – das System kommt in weiten Teilen zum erliegen. Ihr Ausfall aufgrund von Problemen der Infrastruk-

349 Damit offenbart sich eine empirisch induzierte Modifizierung unserer theoretischen Beschreibung des Zusammenspiels von Bankensystem und Bankenorganisation, die wir in Kapitel 2 vornahmen. 350 Auch die derivativen Finanzinstrumente, die ja als Formen der Gefahrenabsicherung geschaffen wurden, haben diesem Dilemma – wie die BIS herausstellt – substanziell wenig entgegenzusetzen. So ist hier diesbezüglich zu lesen: „In der Praxis jedoch könnten die Märkte für Wertpapiere und deriva-tive Instrumente ohne einen angemessenen Liquiditätsunterbau kaum funktionieren, denn ein Grund-pfeiler jeglicher Handelstätigkeit ist, daß die Handelspartner über die notwendigen Mittel verfügen, den Ausgleich vorzunehmen, und ihrerseits darauf vertrauen, daß die jeweilige Gegenpartei hierzu ebenfalls in der Lage ist“ (Bis 1992, 329).

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tur stellt einen hohen Gefahrenfaktor für ein System da, das mit Informations- und Zahlungsvorgängen in Echtzeit rechnet (Allen/Hawkins/Sato 2003, 227).351

In einer globalisierten und digitalisierten Finanzökonomie erweisen sich je-doch nicht allein die technischen Risiken, die zwischen den Marktteilnehmern zirkulieren, als eine Problemquelle. Auch innerorganisationale Technologien haben an der veränderten Gefahrenlage für das Bankensystem ihren Anteil. Die-ses Argument wird verständlich, wenn wir bedenken, wie sehr globale Banken sowohl für die Kommunikation nach außen, aber auch für die Bewerkstelligung interner Abläufe verstärkt auf Technologie angewiesen sind. Interaktion (als Kommunikation unter Anwesenden) ist schließlich nur noch selektiv und in den meisten Fällen dann mit hohem Aufwand verbunden. Auch diese Infrastruktur der Organisation kann durch externe Einflüsse zu Schaden, wenn nicht zum Erliegen kommen. So ist nicht auszuschließen, dass die materiellen Vorausset-zungen von Banken, ihre Gebäude und Strom- aber auch Fiberglasnetze durch Naturkatastrophen oder terroristische Initiativen beeinträchtigt werden. Darüber hinaus bietet die digitale Vernetzung virtuelle Schwachstellen, die durch so ge-nannte ‚Hacker’ für Manipulationen oder Angriffe genutzt werden können.352

In der Risikoforschung sowie den angrenzenden Diskursen der Praktiker werden derartige Gefahren unter dem Begriff des „operationellen Risikos“ ge-fasst.353 Mit diesem Begriff werden Risikoformen bezeichnet, die sich nicht in die bisher vorherrschenden Kategorien des Kreditrisikos oder die des Markt-preisrisiko einordnen lassen. Sie folgen anderen Logiken, die nicht mit der des Finanzsystems deckungsgleich sind. Der Phänomenbereich des operationellen Risikos wird dabei keinesfalls als eine irrelevante Restkategorie wahrgenommen. Nach einer Studie der British Bankers’ Association und Coopers&Lybrand stu-fen 76 Prozent der befragten Banken das operationelle Risiko inzwischen als wichtiger ein, als das Kredit- oder Marktrisiken (Piaz 2002, 31). Diese Risiko-form beinhaltet dabei das Versagen von Techniken und Infrastruktur im engeren Sinne, aber auch das Versagen des Managements sowie rechtlicher Aspekte. Im Problembereich der operationellen Risiken werden sowohl in der Risikofor-

351 Siehe dazu beispielsweise bei Philip Turner der diesen Aspekt zunächst allgemein, dann aber auch mit Blick auf die Entwicklungsländer ausführt (Turner 2001). 352 In diesem Zusammenhang haben Banken bereits begonnen, für derartige Szenarien – sowohl für mögliche materielle aber auch virtuelle Irritationen – Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Die Deutsche Bank verfügt bereits über Unternehmensbereiche mit den Bezeichnungen Corporate Security (CS) und Business Continuity Management (BCM), die dafür Sorgen tragen, dass die Bankorganisation für etwaige Gefahren dieser Art gerüstet ist. Besondere Bedeutung wird dabei den Gefahren eines Cyber Wars, dem Krieg mit Daten und Informationen, beigemessen (Bertram 2006, 11ff.). 353 Für einen Überblick zur Genese und Stabilisierung des Diskurses über operationelle Risiken siehe in einem Working Paper von Michael Power (Power 2003). Für eine wirtschaftswissenschaftliche Betrachtung siehe grundsätzlich bei Jean-Marc Piaz (Piaz 2002).

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schung, als auch bei Praktikern Ereignisse erkannt, die mit dem Begriff des „low frequency – high impact“ besetzt sind (Lopez 2002). Der seltene Eintritt dieser Ereignisse macht den präventiven Umgang mit ihnen besonders anspruchsvoll, die möglichen dramatischen Schadenpotentiale verbieten jedoch eine Ausblen-dung derartiger Potentialitäten.

Bereits in Abschnitt 2.2.2 sind wir auf die Multireferentialität von Banken und die damit einhergehenden Risiko- und Gefahrenkonstellationen eingegan-gen. An diesem Punkt konnten wir jedoch noch nicht die Probleme in den Blick nehmen, die durch die Entfaltung der Organisation im Raum aufgeworfen wer-den. Gerade an dieser Stelle kristallisieren sich nun Probleme, welche wir auf den Faktor mangelnder Vor-Ort-Präsenz (siehe Abschnitt 5.3) zurechnen kön-nen. Aristóbulo de Juan weist darauf hin, dass hier ein großes Risikopotential angesiedelt ist. Manager treffen Entscheidungen in der Zentrale, ohne die Aus-wirkungen am jeweils anderen Standort zu reflektieren. Damit offenbart sich ein Informationsdefizit. De Juan führt dies vor allem darauf zurück, dass die Ver-antwortlichen sich nicht Vor-Ort blicken lassen. Sie beherrschen nicht die jewei-lig landesüblichen Sprachen und wissen über die organisationsinternen Abläufe nicht Bescheid (De Juan 1996, 86). Auch an dieser Stelle ist der Fall ‚Barings’ wiederum das schillerndste Beispiel. Ob diese Katastrophe diese Ausmaße ange-nommen hätte, wenn Nick Leeson im Stammhaus in London gesessen hätte, bleibt zwar eine spekulative Frage. Dennoch können wir aus unseren bisherigen Ausführungen verschiedene strukturelle Unterschiede des Organisationssettings benennen, die möglicherweise als Stoppmechanismen eingerastet wären.354

Anders als im Falle der Kredit- oder Marktrisiken lässt sich das Spektrum des operationellen Risikos nicht abschließend abstecken. Es bezieht sich – wie genannt – auf technische Risiken oder auf das Risiko unzureichender Kommuni-kationswege. Es umfasst aber auch weitere Risikodimensionen, wie beispiels-weise rechtliche Risiken oder Personalrisiken. Entscheidend ist jedoch nun, dass in Bankorganisationen diese verschiedenen Risiko- und Gefahrendimensionen gekoppelt werden. Damit können die individuellen Einbußen von Instituten sys-temische Probleme erzeugen. Über globale (Universal-)Banken als Knotenpunk-te verschiedener Risikoformen offenbaren sich somit schließlich auch neue Ge-fahrenpotentiale für die Spareinlagen und damit für einen zentralen Bestandteil des Bankensystems. Besonders eindringlich zeigt sich dieses Kopplungsverhält-nis mit Blick auf den Umgang mit derivativen Finanzinstrumenten: Ein Beispiel

354 Man denke nur an die Unterschiede in der Kommunikation, die durch reflexive Wahrnehmung (siehe Abschnitt 5.3.1) hervorgerufen werden.

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sind die so genannten Over-The-Counter (OTC) Derivative.355 Derartige Finanz-instrumente sind nicht allein besonders folgenreich hinsichtlich ihrer Gewinn- aber auch Verlustpotentiale. Hinzu kommt, dass ein hohes Verständnis für Markt- sowie Liquiditätsrisiken zur Verfügung stehen muss. Garry Schinasi u.a. machen deutlich, dass ein inadäquates Risikomanagement in diesem Zusammen-hang ein hohes operationelles Risiko darstellt, welches die Instabilität von Fi-nanz- und Bankensystem empfindlich treffen kann (Schinasi/Craig/Drees /Kramer 2000, 52). Damit zeigt sich, wie Risiken hochspekulativer Finanzin-strumente über die operativen Aspekte einer Bank zu Gefährdungen für die klas-sischen, normalerweise risikoaversen Spareinlagen werden können, wenn Kredit-institute durch diese Geschäfte insolvent gehen.

(3) Die Globalisierung und Vernetzung bringt schließlich auch vermehrt Ri-siko- und Gefahrenzusammenhänge hervor, bei denen selbst eine analytische Zuordnung nicht eindeutig möglich ist. Ein Beispiel dafür stellen politische Risi-ken dar. So werden globale Banken zunehmend mit den Folgen politischer Wil-lensbildungsprozesse sowie anderen politischen Veränderungen (Zusammen-bruch der öffentlichen Ordnung, etc.) konfrontiert (Büschgen/Börner 2003, 273). In diesem Fall handelt es sich zwar zunächst (nur) um eine besondere Form und auch lange bekannte Form des Kreditrisikos.356 Der tatsächliche Ausfall des Kredites ist dann jedoch möglicherweise nicht auf den jeweiligen individuellen Schuldner, sondern die politischen Kontexte, in die er einbettet ist, zuzurechnen. Hinzu kommen aber auch politische Risiken, die zunächst einmal nicht den As-pekt des Kreditgeschäfts betreffen. Beate Bernet und Christoph Denk nennen in diesem Zusammenhang Terrorismus, Geldwäsche oder auch Holocaust-Entschädigungszahlungen als Beispiele für politische Risiken, die auch Banken bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen haben. Anhand ihrer Analyse wird deutlich, dass die Grenzen zwischen Kreditrisiken, Marktrisiken und operationel-len Risiken in diesem Feld empirisch an Schärfe verlieren (Bernet/Denk 2002, 450ff.). Sie folgern daraus, dass ökonomische Messverfahren oder Versicherun-gen allein nicht ausreichen, um mit diesen hybriden Risikoformen umgehen zu können. Darüber hinaus wird es als notwendig angesehen, dass der Umgang mit politischen Risiken in der Organisation systematisch verankert wird, zum Bei-spiel durch Public Affairs Einrichtungen (Bernet/Denk 2002, 454). Fassen wir diese Erkenntnisse des Kapitels 6 zusammen, so wird ersichtlich, dass zum einen

355 Bei Over-The-Counter Derivaten handelt es sich um direkt gehandelte Derivate, die ohne Einsatz eines Intermediärs transferriert werden. Bankeninstitute treten in diesen Kontexten also allein als Principal (siehe oben) auf; die Gewinn- aber auch Verlustmöglichkeiten sind entsprechend hoch. 356 In unserem historischen Exkurs (Abschnitt 2.1.1) hatten wir diese als Kernproblem einer Ausdiffe-renzierung des Kreditmechanismus in der frühen Neuzeit identifiziert. Die so genannte Schuldenkrise in den frühen 80er Jahren ist dafür ein prominentes Beispiel (Kapstein 1996, 83).

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die Potentiale einer Selbstgefährdung der Finanzökonomie durch Globalisie-rungs- und Digitalisierungsprozesse deutlich gewachsen sind. Zum zweiten zeigt sich, dass komplementär dazu über die Ausbreitung und Technisierung von Bankorganisationen auch das Gefährdungspotential durch organisationale As-pekte an Dynamik gewonnen hat. Die Krisenpotentiale des Bankensystems las-sen sich somit auch in Zeiten global ausdifferenzierter Funktionssysteme nicht allein in abstrakten Märkten finden, sondern sind zudem auch in sehr konkret zurechenbaren organisationalen Kontexten aufzuspüren.

Für unsere Analyse ist schließlich entscheidend, dass diese veränderten Ri-siko- und Gefahrenkonstellationen schließlich auch Folgen für die Sphäre des Politischen mit sich bringen: Obwohl primär im Finanz- und Bankensystem angesiedelt, erwächst aus ihnen ein zentrales Problem, dem sich die Politik seit dem Ende der Ko-Evolution von Weltwirtschaft und moderner Staatlichkeit gegenübersieht. Der Staat ist als singulärer Akteur kaum mehr in der Lage, sei-ner Aufgabe einer Stabilisierung des Bankensystems gerecht zu werden. In Kapi-tel 3 hatten wir aufgezeigt, welche Bedeutung einer wirkungsvollen Bankenregu-lierung zukommt, um die Erwartungen zu erfüllen, denen sich der moderne Ter-ritorialstaat seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gegenüber gestellt sieht. Kapitel 5 verdeutlichte, in welcher Weise die Mittel nationalstaatlicher Regulie-rungsformen seit dem Ende von Bretton Woods an Wirksamkeit verloren haben. Wir konnten herausarbeiten, wie sich auf der Basis digitaler Vernetzungszu-sammenhänge und den komplexen Architekturen globaler Bankorganisationen das Integrationspotential politischer Regulierung verminderte.

Die Verluste in hochspekulativen Märkten allein mögen politisch zunächst wenig bedeutsam sein – sieht man von negativen Auswirkungen für die Volks-wirtschaft und damit sinkenden Steuereinnahmen ab. Wer viel riskiert, muss damit rechnen, viel zu verlieren. Politisch bedeutsam ist jedoch der Umstand, dass im Zuge dieser Entwicklung eben auch die „Sicherung der Einlagen“ auf dem Spiel steht, über welche ein Zahlungsversprechen gegeben wurde. Hier handelt es sich nicht um Risikokapital von institutionellen Investoren, sondern vor allem um Sparguthaben von Privatpersonen, um Formen der Altersicherung, auf deren Erhaltung und (bescheidene) Mehrung nicht spekuliert, sondern ver-traut wird. Diese Vertrauensverluste können eben auch auf den modernen Inter-ventionsstaat zurückschlagen, sind doch die an sie gerichteten Erwartungen als Einlagensicherer und damit auch als Risikomanager damit enttäuscht.357 Die

357 In einer systemtheoretischen Beschreibung ist es unerheblich, ob diese Kopplungsformen norma-tiv nun als gut oder schlecht betrachtet werden können. Uns bleibt letztlich nur die Möglichkeit, diese Kopplungsformationen zu beobachten und daraus bestimmte Herausforderungen für das politische System abzuleiten.

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wütenden Proteste vor der Herstatt Bank,358 die nur durch Polizeischutz unter Kontrolle gehalten werden konnten, offenbaren das Kernproblem. Sie zeigen im Kleinen, welche Explosivität das Brechen des Zahlungsversprechens in der mo-dernen Gesellschaft birgt.359

6.3 Zwischenfazit: Folgerungen für das politische System

Im Umgang mit dieser Explosivität liegt die Kernherausforderung für die Politik im Bereich der Bankenregulierung. Zusammengenommen geben die in Kapitel 5 und 6 skizzierten Entwicklungen Antworten auf zwei Fragen. Zum einen lässt sich auf ihrer Basis erklären, was die Einrichtung supranationaler Strukturen der Aufsicht in der in Abschnitt 4 skizzierten Form möglich und (aus Sicht der Poli-tik) nachvollziehbar macht (1). Zum zweiten erlauben die Beschreibungen eine Einschätzung zur faktischen Leistungsfähigkeit der untersuchten Initiativen des Baseler Komitees (2).

(1) Eine Stabilisierung des globalisierten und fluide gewordenen Banken-systems erfordert – so lässt sich eben in der Politik argumentieren – supranatio-nale Strukturen der Aufsicht. Unsere Beschreibungen der Entgrenzungs-, Digita-lisierungs- und Innovationsprozesse machten deutlich, auf welche Legitimität sich derartige politische Strukturbildungsprozesse stützen können. Wir lieferten in diesem Zusammenhang Argumente für die besondere Regulierungsbedürftig-keit des Bankensystems. Insbesondere die entfesselte Mobilität und Fludidität des geldbasierten Kapitals verweist auf das Bankensystem als einen Gesell-schaftsbereich, der von den beschriebenen Diskontinuitäten in dramatischer Weise berührt ist. Auf Basis dieser Entwicklungen lassen sich spezifische Erklä-rungen für die thematische Fokussierung des Komitees formulieren. Nur drei Beispiele seien genannt: Der Bedarf an supranationaler Koordinierung von Auf-sicht gewinnt (erst) an Plausibilität, wenn wir uns die Entgrenzungsprozesse seit dem Ende von Bretton Woods, den Abbau von Kapitalkontrollen und das Ende der fragmentierten Finanzökonomie vergegenwärtigen. Zweitens wird die Über-wachung interner Kontrollsysteme, also die Regulierung organisationaler Ent-scheidungsprogramme dann verständlich, wenn wir die räumlichen Differenzie-rungsprozesse von Banken in den Blick nehmen. Die damit zusammenhängen-den Umstellungen in der Kommunikation zwischen einzelnen Stellen führen zu

358 Die Herstatt Bank gilt als eine der spektakulärsten Bankenpleiten in den 70 Jahren. 359 Diese Kopplung von riskanter Finanzökonomie und klassischem Bankensystem als eine Form der Herausforderung für das politische System zeigt sich in jüngerer Zeit vor allem durch die Präsenz der Hedge Fonds. Sorgen bereitet vielen Staaten (aber), dass die weltweit 9500 Fonds nicht nur mit ihrem eigenen Geld in Höhe von 1,6 Billionen Dollar, sondern auch mit Bankkrediten spekulieren.

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neuen Risiken, die über neue, ‚bessere’ Technologien, nur begrenzt zu kompen-sieren sind. Schließlich lässt sich drittens auch die Thematisierung bilanzunwirk-samer Geschäfte über die Innovations- und Risikodynamiken erklären, die vor allem Herausforderungen außerhalb des klassischen Kreditgeschäftes bedeuten.

Mit diesen Ausführungen gingen wir (argumentativ) längere Wege als poli-tikwissenschaftliche Ansätze, welche die Gründung des Komitees in der Regel allein mit zwei Bankenpleiten erklären (siehe oben). Auch erweiterten wir die Perspektiven der Risiko- und Regulierungsforschung, die für die Genese neuer Kontrollorgane und Risikoprozeduren primär das Aufkommen von Managermo-den und anderem ‚Talk’ verantwortlich machten.360 Wir konnten dagegen darle-gen: Hintergrund dieser Neuausrichtung der Bankenaufsicht sind allgemeinere Transformationsprozesse in der Gesellschaft, die vor allem in den 70er Jahren zu beobachten sind. Erst diese Veränderungen schufen Bedingungen der Möglich-keiten für die dramatischen Zusammenbrüche der Herstatt Bank und der National Franklin National Bank. Sie erst legten zugleich die (legitimatorische) Basis für die Produktion des ‚Talks’ über Risiko und Regulierung in der dargelegten Art.

(2) Die Kapitel 5 und 6 brachten jedoch noch eine weitere Erkenntnis: Im Zuge der Erklärungen erfuhren wir zugleich etwas über die (geringe) Wirkungs-mächtigkeit der Texte aus Basel. Der Begriff des ‚no-rule-regimes’ von Susan Strange versinnbildlicht die zu beobachtende Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen ‚talk’ und ‚action’. Auch in den Ländern, die über Auf-sichtsorganisationen in Basel vertreten waren, dominierte eine Politik der Dere-gulierung. Eine Koordinierung der Regulierung und die Implementierung ge-meinsamer Praktiken fanden in den Nationalstaaten faktisch nicht statt. Während – in der Terminologie Wolfgang Reinickes gesprochen – sich die ökonomische Geographie wandelte, blieb die Politik damit hinter ihren eigenen – in Basel formulierten – Ansprüchen zurück. Dieses Dilemma deutete sich bereits in Kapi-tel 4 an. Wir zeigten, in welcher Weise die Texte des Komitees ihre eigene Be-gründungsbedürftigkeit reflektierten und sich über expertokratische-wissenschaftsähnliche Argumentationsfiguren absicherten. Zugleich thematisier-ten sie selbst die Persistenz nationalen Rechts und nationaler Verwaltungspraxis als hohe Hürden für suprannational gültige Regeln und Verfahren. Eine folgen-reiche Einschränkung finanzökonomischer Freiheitsgerade wurde mittels dieser

360 Die wachsende Ausbreitung von Risikomanagement- und Kontrollverfahren findet sich besonders prominent in den Arbeiten von Michael Power beschrieben. Power beobachtet einen Aufstieg des Risikomanagements und eine Debatte um das Risikomanagement spätestens seit Beginn der 90er Jahre (Power 2004b, 10). Dabei kommt seines Erachtens auch den internen Kontrollsystemen eine bemerkenswert hohe Aufmerksamkeit zu (Power 2004b, 21). Was jedoch in seinen Ausführungen unthematisiert bleibt, sind die sozialen Prozesse, die diese Phänomene erst möglich machen.

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212 Diskontinuitäten

Vorgehensweise nicht erreicht. Im Gegenteil trieben Bankorganisationen – wie wir zeigten – im Zuge ihrer globalen Ausbreitung sowie der Einführung innova-tiver, aber auch riskanter Finanzprodukte die Fragilität des Bankensystems in neue Dimensionen.

Bleibt dem Baseler Komitee damit die Aufgabe eines Vordenkergremiums vorbehalten? Kommt ihm lediglich die Aufgabe zu, über Möglichkeiten suprana-tionaler Regulierung zu informieren, zeitweise auch zu appellieren, Annahme und Ablehnung jedoch allein der sozialen Evolution nationaler politischer Seg-mente zu überlassen? Und setzen sich die Verantwortlichen in der Politik so dem Risiko aus, eine Koordinierung der nationalen Aufsichtsformen dem Zufall zu überlassen? Vieles spricht für diese Einschätzung auf der Basis der bisher thema-tisierten Papiere. Jedoch veröffentlichte das Baseler Komitee in den Jahren 1988 und 2004 zwei Papiere, die diesem Urteil – wie wir sehen werden – entgegenlau-fen. In der politischen aber auch wissenschaftlichen Debatte wurde diesen Papie-ren eine deutlich weitergehende Bedeutung zugesprochen. Das Dokument “In-ternational convergence of capital measurement and capital standards” von 1988 (Basel I) und seine überarbeitete Fassung von 2004 (Basel II) sind deshalb die Texte, die wir im folgenden Teil dieser Arbeit untersuchen wollen. Dabei wollen wir zum einen aufzeigen, inwieweit sich die beiden Papiere von den bisher the-matisierten Publikationen hinsichtlich ihrer Selbstpositionierung und damit be-züglich ihres Geltungsanspruches unterscheiden. Von nicht minderer Bedeutung sind jedoch auch die Unterschiede, die sich im Vergleich beider Dokumente aufzeigen lassen. Dieser Vergleich bildet den zentralen Bezugspunkt unserer Analyse. Wir wollen damit aufzeigen, wie sich – angesichts der Kontinuitäten moderner Gesellschaft und den Diskontinuitäten einer sich globalisierenden Weltgesellschaft – ein Paradigmenwechsel vollzieht, der vor allem der Bedeu-tung und Ausprägung formaler Organisationen in Risikokontexten Rechnung trägt.

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IV Paradigmen

Teil III dieser Arbeit konzentrierte sich auf eine Analyse der Diskontinuitäten, die sich etwa seit Anfang der 70er Jahre in der modernen Gesellschaft vollzogen haben. Wir beobachteten Veränderungen im politischen System, nämlich die Bildung eines neuen politischen Organs auf supranationaler Ebene: dem Baseler Komitee. Dabei konnten wir deutlich machen, auf welche Prozesse im Banken-system sowie in der politischen, technischen und wissenschaftlichen Umwelt das Baseler Komitee reagierte. In Folge seiner Gründung erweiterte das Komitee zudem sukzessive seinen Themenfokus. Es äußerte sich später zu Aspekten, die in Zeiten seiner Gründung unbenannt blieben. Die Wirkung auf die Regulie-rungspraxis – so zeigten wir ebenfalls – blieb jedoch marginal. Die Frage nach der politischen Leistungsfähigkeit des Komitees blieb damit virulent.

Bereits im Abschnitt 4.2 wiesen wir darauf hin, dass sich diese geringe poli-tische Bindungswirkung mit dem so genannten Baseler Akkord von 1988 änderte (Bcbs 1988). Diesem Gedanken wollen wir im Rahmen dieses letzten großen Teils der vorliegenden Arbeit nachgehen. Dabei soll gezeigt werden, inwieweit sich mit dem Baseler Akkord von 1988 (Basel I) und seiner überarbeiteten Fas-sung (Basel II) zwei Paradigmen globaler Bankenregulierung herausbildeten, deren Einfluss auf die nationalstaatliche Praxis kaum überschätzt werden darf.361

Über die Bedeutung und den paradigmatischen Charakter der beiden Rahmen-

361 Um terminlogische Klarheit zu gewährleisten erscheint an dieser Stelle eine knappe Spezifizie-rung des Begriffs „Paradigma“ angebracht. Eine seiner prominentesten Verwendungen fand dieser wohl in der Wissenschaftstheorie. Thomas Kuhn prägte in diesem Zusammenhang die Vorstellung von der fortlaufenden Genese „wissenschaftlicher Paradigmen“ (Kuhn 1996, 43f.). Darüber hinaus lässt sich aber noch eine breitere Wortbedeutung finden. In philosophischen Lexika ist unter dem Begriff des Paradigmas von einem ordnenden Bezugspunkt für Begriffsbildungen und Beobachtun-gen die Rede (z.B. Rehfus 2003, 520) Ein Paradigmenwechsel bedeutet – glaubt man der derzeit wohl dynamischsten Enzyklopädie die Weltgesellschaft – die „qualitative Änderung von Denkmus-tern (Wikipedia 2007). Unser Problem dabei ist: Denkmuster sind mit den Mitteln der Soziologie nicht rekonstruierbar. Es ist schließlich vornehmlich die Aufgabe der Psychologen, sich dieser Sache anzunehmen. Der Fokus der Soziologie richtet sich dagegen auf die Rekonstruktion sozialer Prozes-se. Es geht also nicht um Gedanken und Geist, sondern um Kommunikation und Gesellschaft und damit schließlich um die Veränderungen bestehender oder die Einführung neuer kommunikativerMuster. 362 Bezüge zu Basel II werden wir – um an dieser Stelle die Argumentation ‚schlank’ zu halten – erst in Abschnitt 7.3 herstellen.

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214 Paradigmen

werke geben bereits Stellungnahmen verschiedener Beobachter eine erste Aus-kunft. Blicken wir diesbezüglich zunächst auf das erste Rahmenwerk.362

In den Finanzwissenschaften spricht man von einem „landmark regulatory agreement“ (siehe auch Dean 1989; Wagster 1996, 1321). Auch in den Politik-wissenschaften finden sich vergleichbare Einschätzungen: Ethan Kapstein wählt hier die Formulierung des „landmark financial agreement“ (Kapstein 1991, 1), Duncan Wood beschreibt Basel 1 als einen „turning point“, der vor allem für die Arbeit und Reputation des Baseler Komitees neue Möglichkeiten bedeutete (Wood 2005, 68). Torsten Strulik hat schließlich aus soziologischer Perspektive einen Begriff gefunden, der inhaltlich ähnliches meint, sich konzeptionell aber gegenüber den genannten Metaphern als gehaltvoller erweist. So bezeichnet er die Verabschiedung des ersten Basler Akkords als die Etablierung einer „ge-meinsamen bankaufsichtlichen Wissensordnung“ der Aufseher (Strulik 2000, 219). An diesen Begriff lässt sich soziologisch anschließen – zugleich sind dafür jedoch zunächst einige konzeptionelle Klärungen notwendig.363

Dass gesellschaftliches Wissen für den Aufbau sozialer Ordnung in prädes-tinierter Weise einen Beitrag leistet, ist in verschiedenen, mittlerweile klassi-schen sozialwissenschaftlichen Positionen ausgearbeitet worden.364 Niklas Luh-mann führt diesen Gedanken pointiert weiter und macht (unterstellbares) ‚Wis-sen’ zur Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft: „Ohne unterstellbares Wissen keine Kommunikation“ (Luhmann 1992b, 122). Für Luhmann handelt es sich im Falle von Wissen um ein Medium, das Formen der Kondensierung von Beobachtungen ermöglicht (Luhmann 1992b, 123). Wissen führt – sofern es als Wissen markiert ist – immer schon seinen eigenen Wahrheitsanspruch mit, der nicht explizit kommuniziert werden muss (Luhmann 1992b, 134). Es erzeugt demnach – so führt Helmut Willke aus – geltende Definitionen für Realität und geltende Definitionen für die Bedeutung dieser Realität (Willke 2001c, 253). Zwar kann Wissen angezweifelt und dann als unwahr deklassiert werden und

363 Der Begriff der ‚Wissensordnung’ ist dabei vor allem eine beliebte Vokabel der Organisationsbe-ratung. Wie jedoch lässt sich der Prozess der Ordnungsstiftung aus soziologischer Perspektive fas-sen? Wir haben bereits an verschiedenen Stellen dieser Arbeit die Bedeutung von ‚Wissen’ hervorge-hoben, z.B. in Abschnitt 3: Dort hatten wir darauf hingewiesen, dass die Aufsicht auf spezifisches Wissen angewiesen ist. Wir hatten ausgeführt, in welcher Weise die Aufsicht Wissen über wirksame Regulierungsformen gewinnen kann. In Abschnitt 6.1 führten wir schließlich aus, dass sich das Baseler Komitee in ihren Beiträgen über wissensbasierte Argumentationsfiguren legitimiert. Dagegen geht es im Folgenden vor allem um die Funktion von Wissen als ordnungsbildende Variable. 364 An dieser Stelle lässt sich beispielsweise die phänomenologische Soziologie Alfred Schütz’ und die in diesem Kontext entwickelte Idee von „sozial gebilligtem Wissen“ als Referenzpunkt ausma-chen (Schütz 1971b, 401f.). Aber auch in ganz anderen Kontexten, nämlich in den frühen Arbeiten von Michel Foucault finden wir in einem weiteren Sinne vergleichbare Überlegungen. Hier wird Wissen bezeichnet „als Feld von Koordination und Subordination von Aussagen, wo die Begriffe erscheinen, bestimmt, angewandt und verändert werden“ (Foucault 1992, 259).

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Paradigmen 215

durch ‚neues’ Wissen ersetzt werden. Solange dies jedoch nicht geschieht, fun-gieren Wissensstrukturen als Erwartungsstrukturen. Sie können erwartet werden, solange sie nicht von ‚wahrerem’ Wissen in Frage gestellt werden.365 Aus diesen Prozessen heraus entfaltet Wissen schließlich seinen ordnenden Charakter.

Auch die Baseler Rahmenwerke entfalteten bzw. entfalten derartige wis-sensbasierte Erwartungsstrukturen. Ihnen liegt die Erwartung zugrunde, dass den Herausforderungen eines globalisierten Bankensystems nur auf der Basis eines gemeinsamen Regulierungsstandards der Aufseher zu begegnen ist. Der ent-scheidende Unterschied zu den Baseler Konkordaten liegt – wie wir zeigen wer-den – darin begründet, dass nicht Koordinierung, sondern Konvergenz in den Aufsichtsverfahren für notwendig befunden wurde (Strulik 2000, 219). Zu einer vergleichbaren Einschätzung kommt Ethan Kapstein. Für ihn bedeutete Basel I der

”most significant step taken to date by bank supervisors in advancing policy conver-gence and creating an international banking regime, with formal principles, norms, rules, and decision-making procedures“ (Kapstein 1996. 118).

Auf Basis dieser Passage scheint der Unterschied zu bisherigen Wortmeldungen des Baseler Komitees auf. Sie konkretisiert noch einmal, warum im Falle der Basler Rahmenwerke die Metapher des „landmark“ bzw. der Begriff der ‚Wis-sensordnung’ gerechtfertigt erscheint. Schließlich setzt die Idee einer Konver-genz eine Ordnung voraus, die in ihrer Reichweite über die Grenzen der Kon-kordate sowie der anderen bereits angesprochenen Papiere hinausreichte. Die Baseler Rahmenwerke schienen somit Ordnungsformen zu schaffen, die über den ‚talk’ des Baseler Komitees hinausreichten und sich dauerhaft in die Ent-scheidungsprogramme der nationalstaatlichen Aufsichtsbehörden einspeisten.

Im Kontext unserer Themenstellung resultieren daraus die folgenden Fra-gen: Was ermöglicht die Konstitution einer solchen Wissensordnung, die als Ordnung konstitutiv wirkt? Lässt sich die neue Wirkungsmächtigkeit, die hier von verschiedenen Beobachtern formuliert wird, im Papier selbst wieder finden? Und in welcher inhaltlichen Beziehung stehen die Regeln, Prinzipien und Ent-scheidungsverfahren, die wir bereits in unserer Inhaltsanalyse in 4.2 herausarbei-teten? Welche Formen der Wissensordnung lassen sich in diesem Papier aufzei-

365 In der modernen Gesellschaft ist vor allem die Wissenschaft der privilegierte (soziale) Ort, an welchem Wissen produziert wird. Hier haben sich Theorien und Methoden ausdifferenziert, die auf der Basis überprüfbarer Kriterien Angaben darüber machen (können), wann Wissen als wissenschaft-lich ‚wahr’ zu bezeichnen ist. Von diesen Prozessen profitieren heute jedoch längst nicht mehr allein die Kerninstitutionen der Wissenschaft wie Universitäten oder – in noch engerem Sinne – die For-schungslabore.

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216 Paradigmen

gen? Dies sind die ersten Fragen, denen wir bei der Analyse von Basel I nachge-hen wollen (7.2). Die Antworten darauf werden uns eine Vorstellung darüber geben, in welcher Weise die Idee supranational gültiger Standards ihren Wieder-hall in diesen Papieren findet. Wir werden in diesem Zuge deutlich machen, dass Basel I einer selektiven Logik folgt, die vieles aus dem Themenrepertoire des Basler Komitees unberücksichtigt lässt. Diese selektive Logik werden wir zur überarbeiteten Form der Rahmenvereinbahrung (Basel II) in Beziehung setzen. (7.3) Im Zuge einer kontrastierenden Analyse werden wir herausarbeiten, in welcher Weise Basel II andere Selektivitäten wählt und schließlich die Aufmerk-samkeitsschwerpunkte erweitert. Wir werden deutlich machen, inwieweit diese Modifizierung dabei mit Herausforderung korrespondiert, welche wir in 5.2 und 5.3 herausgearbeitet hatten.

Welche Folgen lassen sich jedoch für diesen dann zu beobachtenden Wech-sel des Paradigmas beobachten? Schlagen sich die in Basel produzierten Erwar-tungsstrukturen auch in der Regulierungspraxis der Nationalstaaten wieder? Diesen Fragen werden wir im zweiten Kapitel dieses Teils nachgehen (8). An-hand einer Untersuchung der Implementierungsprozesse in Deutschland (8.1) und den USA (8.2) wollen wir zeigen: Basel II bereitet zwar den Boden für ein Mindestmaß an Konvergenz in den Aufsichtsprozessen. Es führt aber – trotz einer gemeinsamen Logik – zu divergierenden Konsequenzen. Bevor wir in diese inhaltlichen Fragen einsteigen, gilt es jedoch vorerst (methodisch und methodo-logisch) zu klären, wie sich diese Selektivität in den Papieren beobachten lässt (7.1).

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7 Zur Herausbildung internationaler regulatorischer Wissensordnungen

7.1 Die Baseler Rahmenwerke ‚verstehen’ – zum methodischen Ansatz

Bereits in Abschnitt 4 waren Texte des Baseler Komitees Gegenstand einer em-pirischen Analyse. Dabei haben wir zum einen (inhaltsanalytisch) herausgearbei-tet, welche Regulierungsthemen im Fokus des Komitees standen und welche Empfänger damit angesprochen wurden. Darüber hinaus rekonstruierten wir eine spezifische, oszillierende Argumentationslogik, die für das Komitee und seine Selbstpositionierung kennzeichnend war. Anhand der Texte wurde deutlich, welche Erwartungshorizonte sich hier konstituierten (siehe 4.2).

In der folgenden Analyse werden wir ähnlich verfahren, dabei jedoch in noch expliziterer Weise die Argumentation in ihrer Sequentialität nachvollzie-hen. Wir wollen aufzeigen, welche Angebote des ‚Verstehens’ der Text in sei-nem Verlauf eröffnet und welche er ausschließt, auf welche Erwartungsstruktu-ren er zu reagieren meint (Erwartungserwartungen) und welche er erzeugt. Mit einer derartigen Rekonstruktion sozialen Sinns und der Untersuchung von Ver-stehensmöglichkeiten knüpfen wir an die zentralen Aufmerksamkeitsschwer-punkte der Systemtheorie an. Soziale Systeme operieren im Sinnmedium (Luh-mann 1999a, 92ff.). ‚Verstehen’ ist daneben die unablässige Bedingung für das Gelingen und die Fortsetzung von Kommunikation und damit von Gesellschaft (Luhmann 1999a, 198f). Wir werden somit rekonstruieren, welche Verstehens-möglichkeiten die Baseler Rahmenwerke jeweils bereithalten.Dies ist allein der erste Schritt: Das Moment des Verstehens sagt schließlich noch nichts darüber aus, wie an die Kommunikation angeschlossen wird, wie sich Gesellschaft re-produziert – was also aus dem Verstehen folgt.366 Eine kommunikative Äuße-rung kann verstanden werden – über Annahme oder Ablehnung dieser Äußerung ist damit jedoch noch nichts gesagt. Im Rahmen unseres historischen Exkurses zeigten wir bereits auf, wie unwahrscheinlich, wie unzumutbar eigentlich die Kreditvergabe gegen Annahme des Zahlungsversprechens erscheint, die heute unter bestimmten Bedingungen scheinbar geräuschlos und selbstverständlich

366 Die Annahme oder Ablehnung von Kommunikation ist im Moment des Verstehens noch offen (Luhmann 1999a, 218).

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218 Paradigmen

geschieht. Diese Unwahrscheinlichkeit gilt jedoch nicht allein für die Kommuni-kation des Bankensystems. In Abschnitt 2.1.2 haben wir aufgezeigt, dass die Funktionssysteme wie Wirtschaft, Wissenschaft und beispielsweise auch die Politik über ein eigenes Medium verfügen. Erst dieses symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium ermöglicht das Verstehen, aber auch die Annahme der jeweils äußerst selektiven Kommunikationsofferte.367

Gerade im Kontext politischer und rechtlicher Kommunikation ist die An-nahme von Kommunikationsofferten eine unverzichtbare Voraussetzung für die Bildung und Reproduktion von Erwartungsstrukturen. Erst auf diese Weise kommt es zur Systemstabilisierung. Schließlich sind politische Entscheidungen nur dann erfolgreich, wenn sie nicht allein verstanden, sondern auch befolgt werden. Dabei handelt es sich dann um einen Vorgang, der über das Medium der Macht und dann (notfalls) über den Sanktionsmechanismus realisiert wird. For-male Macht, sei sie nun über demokratische Wahlen, über eine totalitäre Ideolo-gie oder schlicht über einen beeindruckenden Militärapparat abgesichert, stattet bestimmte Adressen im politischen System mit Legitimität aus. Im Falle des Baseler Komitees aber – dies beschrieben wir in Abschnitt 4 – ist ein Rückgriff auf das Machtmedium in unmittelbarer Weise nicht möglich. Das Komitee kann sich weder auf eine demokratische Wahl, noch auf eine totalitäre Ideologie und schon gar nicht auf einen beeindruckenden Militärapparat berufen, um mit seinen Vorstellungen auf Annahmebereitschaft zu stoßen.

Den Umgang mit dieser Position, die mangelnde Fähigkeit zur Durchset-zung von Direktiven konnten wir bereits anhand der angesprochenen Papiere diskutieren. Wir analysierten die defensive Grundausrichtung des Baseler Komi-tees. Diese spiegelte sich vor allem darin wieder, dass es seine Vorschläge nicht über, sondern bestenfalls neben formales nationalstaatliches Recht stellte. Wir arbeiteten zudem auch heraus, in welcher Weise das Komitee seine Vorschläge über expertokratische/technokratische Legitimationsmuster absicherte, die vor allem auf das Medium ‚Wissen’ Bezug nahmen. Diese Bezugnahme auf exper-tokratische Argumentationsfiguren ist damit auch im Kontext der Baseler Rah-menvereinbahrung zu erwarten. Gleichzeitig setzt die Idee der Konvergenz vor-aus, dass das bisherige Maß an (Un-)Verbindlichkeit von anderer Qualität ist. Sollte mit den Baseler Rahmenwerken ein weiterführender Anspruch verknüpft sein, der die Mitproduktion von Kontingenz, die in den bisherigen Papieren zu sehen war, vermeidet, dürfte sich dieser Anspruch in den Papieren finden und zeigen lassen. Es müssten Bezugspunkte in der Kommunikation zu finden sein,

367 Die Selektivität der Kommunikationsofferten ist dabei ein Charakteristikum, welches für komple-xe Systeme wie die gesellschaftlichen Funktionssysteme eine alternativlose Eigenschaft darstellt. „Jeder komplexe Sachverhalt beruht auf einer Selektion der Relationen zwischen seinen Elementen, die er benutzt, um sich zu konstituieren und zu erhalten“ (Luhmann 1999, 47).

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Zur Herausbildung regulatorischer Wissensordnungen 219

die eben auf die Genese einer neuen Wissensordnung, eines Paradigmas schlie-ßen lassen. Etwas, das die Bedeutung – wie Torsten Strulik, Ethan Kapstein, Duncan Woods und andere sie formulieren – unterstreicht.

Im Kontext der Baseler Rahmenwerke ist deshalb zweierlei zu erwarten: Einerseits ist davon auszugehen, dass sich auch im Falle der Baseler Rahmen-werke Argumentationsfiguren wieder finden lassen, die mit den bisherigen Pub-likationen in Kontinuität stehen. Die Sprecherposition des Baseler Komitees bleibt schließlich in ihren Grundlinien bestehen, ihre Verortung im politischen System als Adresse jenseits der nationalstaatlichen Zentren verändert sich nicht. Andererseits sind Argumentationsfiguren, Formen der Selbstpositionierung und -legitimierung zu erwarten, die über die bisherigen Geltungsansprüche hinausge-hen und somit für das Komitee und seine Beobachter von einer neuen Qualität sind. Um diese sozialen Phänomene herausarbeiten zu können, werden wir me-thodisch und methodologisch an Konzepte anschließen, die in den Sozialwissen-schaften unter den Begriffen „objektive Hermeneutik“ und auch „strukturale Hermeneutik“ gefasst sind. Diesen methodischen Ansatz gilt es in einem ersten Schritt in seinen Grundannahmen und Vorgehensweisen zu erläutern (1), bevor wir ihn zu unseren theoretischen Ausgangspunkten der soziologischen System-theorie in Beziehung setzen (2).

(1) Die Methode der objektiven Hermeneutik, die sich selbst als „Kunstleh-re“ versteht, wurde maßgeblich von Ulrich Oevermann entwickelt. Anspruch dieser Methode ist es dabei, die Sinnstrukturen und Bedeutungen jeglicher sozia-ler Phänomene auf Basis dieser Methode rekonstruieren zu können. Dahinter verbirgt sich die Prämisse, dass Sozialität sich entlang von Regeln konstituiert, die in der jeweiligen Sprach- bzw. Kulturgemeinschaft verankert sind. Auch editierte Texte können dabei als materialisierte Formen von Sozialität betrachtet werden, die auf der Basis bestimmter Regeln produziert und später dann verstan-den werden. Ziel der objektiven Hermeneutik ist es, anhand einer extensiven Interpretation von (Interaktions-)Protokollen bzw. editierten Texten die jeweili-gen sozialen Regeln frei zu legen, die diesen Formen sozialer Wirklichkeit zugrunde liegen (Wernet 2000, 13). Dabei lässt sich die Methode selbst nicht auf ein (richtiges) Verfahren reduzieren. Jo Reichertz zeigt auf, dass mit der „Fein-analyse“, der „Sequenzanalyse“ sowie der „Interpretation der objektiven Sozial-daten“ drei Formen der Forschungspraxis zur Verfügung stehen, die dem Metho-denkontext der objektiven Hermeneutik zugerechnet werden können (Reichertz 2000, 517). Wir haben uns – auch unter Berücksichtigung der Methoden-Theorie-Kompatibilität – für die Anwendung einer Sequenzanalyse entschieden. Dieser Ansatz ermöglicht es uns – wie oben angekündigt – die Texte der Baseler Rahmenwerke in ihrer Sequentialität nachzuvollziehen. Dabei ist es zum einen für dieses Vorgehen wichtig, dass spätere Textstellen für die jeweils aktuelle

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220 Paradigmen

Interpretation nicht hinzugezogen werden. Die Interpretation folgt dem Text ohne Zugriff auf noch folgende Sequenzen. Zum zweiten zeichnet sich die Se-quenzanalyse dadurch aus, dass ihre Interpretationen (möglichst) ohne Bezug auf den äußeren Kontext des Textes geleistet werden. Das Wissen um den Verfasser, den Entstehungsort, die Zeit sowie der Adressat bleiben so lange im Dunkel, wie sie nicht im Text selbst explizit gemacht werden. Schließlich geht es darum, den Text aufgrund seiner von ihm selbst generierten Regeln zu verstehen.

Die größtmögliche Ausblendung des Kontextes kann in vielen Fällen und insbesondere zu Beginn eines Textes zu extensiven Formen der Interpretation führen. Schließlich ist damit zu Beginn eines Dokuments nicht mehr alles, aber noch vieles offen, wenn man mit der Analyse der ersten Sequenz beginnt. Es ist ungeklärt, wer der Absender ist, was für eine Textsorte vorliegt und wer bei-spielsweise adressiert wird. Diese Aspekte können potentiell bereits sehr früh im Text geklärt werden. Bis dahin aber sieht die objektive Hermeneutik eine Exten-sivität der Interpretation vor, die alle möglichen Lesarten mit in Betracht zieht. (Wernet 2000, 34). Erst im weiteren Verlauf der Analyse können bestimmte Strukturhypothesen verworfen und andere (vorläufig) bestätigt werden. Auf diese Weise kommt es dann zu einer Selektion der Interpretationsmöglichkeiten. Um dennoch auch zu Beginn einer Analyse nicht zum Opfer haltloser Kontin-genz zu werden und die verschiedenen Lesarten zugleich in eine handhabbare Reihenfolge zu bringen, ist das Prinzip der Sparsamkeit unverzichtbar. Das be-deutet: Die Güte von Lesarten orientiert sich an der Möglichkeit des Verzichts auf die Zuhilfenahme von Zusatzannahmen. Damit kommt nun der Mechanismus der Ausblendung des Kontexts wiederholt ins Spiel. Interpretationen, die ohne den Bezug auf Zusatzannahmen möglich sind, sind den Lesarten mit Zusatzan-nahmen vorzuziehen. Das Prinzip der Sparsamkeit ordnet somit die möglichen Lesarten und verhindert zugleich die Bildung ‚spekulativer’ Hypothesen, die sich nur über die Annahme weiterer (nicht im Text zu findender) Gesichtspunkte begründen ließen.

Ein weiterer Umstand, der eine extensive und zugleich kontrollierte Form der Interpretation ermöglichen soll, ist die Interpretation in der Gruppe.368 Eine Interpretation der Texte mit mehreren Personen ermöglicht es, wechselseitig blinde Flecken aufzudecken und damit weitere Lesarten von Texten zu finden, zugleich aber auch die Interpretationen anderer Teilnehmer hinsichtlich der Zuhilfenahme von Kontextwissen zu ‚kontrollieren’. Ohne Frage: Diese Be-schreibungen zur Methode der objektiven Hermeneutik können nur erste Einbli-cke in die Ausgestaltung der Methode bieten. Ihre Leistungsfähigkeit und ihr

368 So wurden auch die folgenden Interpretationen der Baseler Rahmenwerke im Rahmen mehrerer Gruppensitzungen mit vier weiteren Mitpromovierenden an der „International Graduate School in Sociology“ (IGSS) in Bielefeld nach den Regeln der Sequenzanalyse generiert.

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Erkenntnispotential werden jedoch hoffentlich dann in unseren Analysen deut-lich werden (7.2 und 7.3) und weiteren Aufschluss über die Anwendungsweise dieser „Kunstlehre“ geben.

(2) Wenden wir uns nun der Frage der Theorie-Methoden-Kompatibilität zu, so können wir festhalten: Die Bezugnahme auf die objektive Hermeneutik wird es uns erlauben, an den Grundannahmen der Systemtheorie festzuhalten. Die „erstaunliche Parallele zwischen der objektiven Hermeneutik und den me-thodologischen Grundannahmen der Systemtheorie“ (Bora 2005, 24) ist bereits von verschiedenen Autoren beobachtet und thematisiert worden.369 Wir wollen an dieser Stelle allein zwei Aspekte aufzeigen, die für unsere Analyse besonders relevant sind und die für eine Verknüpfung dieser beiden Forschungsstränge auch in unserer Arbeit sprechen. Wie auch im Falle der Systemtheorie nimmt in der objektiven Hermeneutik der Sinnbegriff eine Zentralstellung ein. Dies ist zunächst keine besondere Spezifität, schließlich ist Sinnverstehen auch in ande-ren sozialwissenschaftlichen Theorien und Methoden ein vorderes Anliegen. Entgegen vieler klassischer Sozialtheorien und hermeneutischer Methoden geht es der objektiven Hermeneutik (zunächst) jedoch nicht darum, subjektiven Sinn, also Intentionen oder Motivationen zu rekonstruieren, die sich hinter kommuni-kativen Äußerungen verbergen. Stattdessen geht es darum, der Kommunikation immanente Sinnstrukturen herauszuarbeiten. Das Erkenntnisinteresse der objek-tiv hermeneutischen Sozialforschung zielt auf

„latente Sinnstrukturen und objektive Bedeutungsstrukturen �sind� also jene abstrak-ten, d.h. selbst sinnlich nicht wahrnehmbaren Konfigurationen und Zusammenhän-ge, die wir alle mehr oder weniger gut und genau ‚verstehen’ und ‚lesen’, wenn wir uns verständigen, Texte lesen, Bilder und Handlungsabläufe sehen, Ton- und Klang-sequenzen hören und alle denkbaren Begleitumstände menschlicher Praxis wahr-nehmen, die in ihrem objektiven Sinn durch bedeutungsgenerierende Regeln erzeugt werden und unabhängig von unserer je subjektiven Interpretation objektiv gelten“ (Oevermann 2005, 2).

An dieser Stelle zeigt sich die vergleichbare Herangehensweise von Systemtheo-rie und objektiver Hermeneutik. Wo der eine Ansatz Erwartungsstrukturen und kommunikative Schemata eines sozialen Gedächtnisses beobachtet, verweist der andere auf latente Sinnstrukturen und bedeutungsgenerierende Regeln. Um diese Sinnstrukturen in den Texten wieder zu finden, ist das Prinzip der ‚Wörtlichkeit’ unverzichtbar. Schließlich geht es darum, was gesagt oder geschrieben wurde

369 Siehe hier exemplarisch bei Alfons Bora (Bora 1994), Armin Nassehi (Nassehi 1997b). Wolfgang-Ludwig Schneider (Schneider 1997b; Schneider 2004, 143-292) oder auch bei Tilmann Sutter (Sutter 1997).

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222 Paradigmen

und nicht um das, was geschrieben werden sollte. Erst auf diese Weise lässt sich ein intentionaler Zugang zu den Texten überwinden und die latenten Sinnstruktu-ren der Texte erfassen (Wernet 2000, 24).370

Ein weiterer Aspekt, der beide Ansätze auszeichnet, ist die Operativität von Sozialität. Jede soziale Operation muss demnach (in der jeweiligen Gegenwart) erzeugt werden. Die Frage, in welcher Weise an sie angeschlossen wird, ist dabei in letzter Konsequenz kontingent. Wir haben es somit mit simultan ablaufenden Öffnungs- und Schließungsmechanismen zu tun. Mit jedem Äußerungsereignis der Kommunikation werden bestimmte Möglichkeiten für Anschlussoperationen ein- und andere Möglichkeiten zugleich ausgeschlossen. Diese Form der Selekti-vität gestaltet sich jedoch nicht beliebig. Das Gedächtnis eines sozialen Systems sorgt schließlich für die Herausbildung von Erwartungsstrukturen und Schemata, so dass bestimmte Operationen wahrscheinlich und andere unwahrscheinlich werden. 371 Ähnliche Ordnungsfunktionen erfüllen binäre Codierungen und sym-bolische generalisierte Kommunikationsmedien im Falle von Funktionssyste-men. Im Falle von Organisationen übernehmen die Entscheidungsprämissen diese Aufgabe. In allen Fällen geht es um die Transformation des Unwahrschein-lichen ins Wahrscheinliche.

Aber auch Wahrscheinliches ist nicht sicher. Trotz der beschriebenen evolu-tionären Errungenschaften sozialer Systeme kann Kommunikation sich auch in eine andere Richtung entwickeln. „Kommunikation“ – so argumentiert Armin Nassehi – „ist Selektivität, ist Umgang mit Unbestimmtheit – und jegliche Be-stimmung ist nur möglich im Horizont von Unbestimmtheit“ (Nassehi 2006, 450). Erwartungen können also enttäuscht werden und die Kommunikation kann andere Optionen wählen, als zuvor erwartbar. Der Ansatz der objektiven Herme-neutik erlaubt es uns deshalb, die Produktion und Reproduktion von Strukturen entlang der Texte zu rekonstruieren und sie nicht vorschnell aus der Systemtheo-rie deduktiv abzuleiten. Erst anhand einer Sequenzanalyse der Kommunikations-ereignisse können – so das Argument – spezifische Selektionen herausgearbeitet werden, die der Text in seinem Verlauf vornimmt. Diesem Gedanken folgend, werden die Baseler Papiere – wie bereits oben angekündigt – mittels einer Se-quenzanalyse untersucht. Es werden einzelne Textsequenzen ohne Vorgriff auf

370 Ein Beispiel stellt unsere Interpretation des Begriffs ‚Report’ in Abschnitt 4.2 dar. Uns ging es nicht darum zu analysieren, was der Verfasser des Papiers mit diesem Begriff meinte. Stattdessen stand im Zentrum des Interesses die Frage, welche kommunikativen Anschlüsse der Begriff des Reportes erlaubt. 371 So wird eben – wie bereits unter (1) ausgeführt – auch im Falle editierter Texte angenommen, dass diese als kommunikative Beiträge bestimmten Regeln folgen und bestimmte Optionen für Verstehen und Annahme mitführen, auf Erwartungen reagieren und damit in ihrer Selektivität spezifische Erwartungserwartungen mitführen.

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Zur Herausbildung regulatorischer Wissensordnungen 223

folgende Sequenzen betrachtet, so dass wir Zug für Zug die vorgenommenen Selektion nachvollziehen können (Wernet 2000, 28).

Dabei geht es uns nicht allein darum, welche Selektionen im Verlauf des Textes vorgenommen werden. Ebenso erkenntnisleitend ist die Frage danach, welche Selektionen eben nicht gewählt werden, obwohl sie hätten erwartet wer-den können. In unserer Analyse werden wir deshalb betrachten, was eingeschlos-sen und was ausgeschlossen wird. Es wird damit ersichtlich werden, welche Grenzziehungen sich im Falle der beiden Baseler Rahmenwerke beobachten lassen.372 In einem zweiten Schritt können wir nach der Funktion dieser Sinn-grenzen, also nach der spezifischen Ausprägung der damit da- und hergestellten Wissensordnung fragen. Wir wollen damit am Text herausarbeiten, wie der Text auf erwartete Probleme reagiert und wie er die Schwellen der kommunikativen Anschlussfähigkeit herunterschraubt. Diese Herausarbeitung wird im Folgenden viel Detailarbeit erfordern – auch wenn wir uns bei der extensiven Darstellung auf die Anfänge der Textdokumente beschränken und im Weiteren immer wieder zusammenfassend arbeiten. Da es sich bei dieser Methode eben um kein katego-risierendes sondern um ein rekonstruierendes Analyseverfahren handelt, werden wir dem Text in seiner Mannigfaltigkeit zu folgen haben. Erst im Zwischenfazit werden einzelne Fäden zusammenlaufen, so dass sich dort dann auch die wich-tigsten Erkenntnisse der Analyse finden lassen.

7.2 Die Regulierung des Kapitals und seiner Messung – Basel I

Die Einigung auf einen supranationalen Regulierungsstandard, der in den ver-schiedenen Nationalstaaten Berücksichtigung fand, muss in jeglicher Hinsicht als äußerst unwahrscheinlicher Vorgang betrachtet werden. Diese Einschätzung lässt sich nicht allein auf der Basis allgemeiner theoretischer Überlegungen zum poli-tischen System formulieren, wie wir sie im vergangenen Abschnitt angestellt haben. Dort sprachen wir von der Annahme(un)-wahrscheinlichkeit supranatio-naler Regeln in nationalstaatlichen Kontexten. Sie kann auch begründet werden anhand der historischen Prozesse, die in den ersten Jahren im Baseler Komitee zu beobachten waren. In Kapitel 4, in welchem diese historischen Prozesse The-ma waren, machten wir auf die weit gehende Folgenlosigkeit der Initiativen des

372 Dieser Gedanke findet sich bei Armin Nassehi und Irmhild Saake wie folgt ausgeführt: „Wenn es stimmt, dass Sinngebrauch in sozialen Systemen immer auch auf Unbekanntes, Ununterschiedenes, auf Unbeobachtetes verweist, also auf die andere Seite alles Unterschiedenen, dann müsst die Logik der Forschung sich exakt dieser Logik der Unterscheidung widmen. Der forschende Blick bekommt dann nicht nur zu sehen, was der Fall ist, sondern vor allem, was nicht der Fall ist“ (Nassehi/Saake 2002, 70).

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Baseler Komitees aufmerksam. Es stellt sich somit die Frage, wie Basel I den Status eines „landmark“ oder eines „turning points“ erreichen konnte, der in seinen faktischen Auswirkungen alle bisherigen Versuche des Baseler Komitees überstieg.

In der Literatur sind verschiedene Erklärungen dafür formuliert worden, wa-rum das Konsultationsverfahren zur Verabschiedung des Baseler Akkords einge-leitet werden konnte. Ein erster Ansatz argumentiert politisch: Er führt den Im-puls auf den Ergeiz einzelner Staaten, allem voran den USA sowie Großbritan-nien zurück, die ein supranationales Rahmenwerk als notwendig erachteten (z.B. Reinicke 1998, 105-113).373 Ein zweiter Ansatz argumentiert ökonomisch: Er betrachtet die Schuldenkrise in Lateinamerika als einen wichtigen Gesichtspunkt, der erst das Problembewusstsein der Bankaufseher schärfte und damit den Im-puls für eine internationale Vereinbarung setzte.374 Ein drittes Argument sieht die Gründe schließlich in wissenschaftlichen Entwicklungen: Es weist darauf hin, dass mit der Bedeutung des Eigenkapitals nun eine übergeordnete Kategorie gefunden wurde, die für eine effektive Regulierung von Banken als besonders bedeutsam erachtet wurde.375 Möglich ist, dass alle drei Aspekte eine Rolle spiel-ten und den Weg zum Baseler Akkord thematisch flankierten. Sie können dann als Folge der Diskontinuitäten interpretiert werden, die wir in den Kapiteln 5 und 6 ausführlich behandelten. Seine Implementierung in die nationalstaatlichen Regulierungsprogramme sowie seine fortwährende Geltung erklären sich damit jedoch noch nicht. Die Droh- und Druckgebärden einzelner Nationalstaaten, wirtschaftliche (Fehl-)Entwicklungen in einigen Weltregionen, aber auch die Erkenntnisse der Wissenschaft mögen in diesen Prozessen der Politik als Fremd-referenzen eine Rolle spielen – sei es in anschlussfördernder oder vielleicht sogar hemmender Hinsicht. Sie müssen jedoch – wollen sie im jeweiligen System Resonanz und damit kollektiv bindende Entscheidungen erzeugen – in die je-weils eigene Operationslogik der politischen Entscheidungsproduktion einge-passt werden. Hier zählen – da wir immer noch von einem in Staaten segmentier-

373 So verhandelten die USA und Großbritannien bereits im Januar 1987 ein bilaterales Abkommen über die Initialisierung eines Eigenkapitalstandards. Im Spätsommer 1987 trat auch Japan diesem Abkommen bei (Genschel/Plümper 1996, 18f). 374 Die so genannte Schuldenkrise in den 80ern nahm im Sommer 1982 ihren Anfang, als Mexiko verkündete, seine Schulden nicht mehr bezahlen zu können. Schnell stellte sich heraus, dass Mexiko nicht das einzige Land war, sondern dass auch latein- und südamerikanische sowie asiatische Länder davon betroffen waren. Für einen Überblick über dieses Phänomen, das als die größte Herausforde-rung für die ökonomische Stabilität seit der großen Depression bezeichnet wird, siehe bei Ethan Kapstein (Kapstein 1996, 81). 375 Diesen Punkt benennt Duncan Wood als einen nicht zu vernachlässigenden Faktor. (Wood 2005, 72).

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ten weltpolitischen System auszugehen haben – zunächst staatsinterne Gesichts-punkte und Schemata der jeweiligen politischen Entscheidungseinheit.

In den Fokus rückt damit die bereits oben aufgeworfene Frage, wie eine Annahmebereitschaft in den Nationalstaaten realisiert werden konnte. Mit ande-ren Worten: Wie wurde es möglich, dass Basel I im Unterschied zum Baseler Konkordat eine Wissensordnung konstituierte, die sich für die nationalstaatlichen Aufseher und die vorausgehenden Gesetzes- und Verordnungsverfahren als an-schlussfähig und dann auch als folgenreich erwies? Auf diese Frage kann uns der Text selbst eine erste Antwort geben. Wir werden dem folgend herausarbeiten, in welcher Hinsicht der Text selbst die Ignoranz oder Ablehnung der damit verbun-denen Direktiven unwahrscheinlich und damit die Divergenz der Aufsichtsprak-tiken in gewisser Hinsicht möglich machte. Dieser Frage werden wir im Folgen-den Schritt für Schritt nachgehen376 und beginnen damit – gemäß unserer metho-dischen Vorstellungen in Abschnitt 7.1 – am Anfang des Dokuments.

7.2.1 Basel I – Titel und „Einleitung“

„Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderun-gen“377

Dies ist der Titel, mit dem der Baseler Akkord überschrieben ist. Mit diesem Titel ist die Textform zunächst noch nicht entschieden. Das Dokument verzichtet auf einen erläuternden Untertitel, der beispielsweise die Textsorte expliziert. Wir erfahren noch nicht, ob es sich um einen Text handelt, der im Sinne technischer Normung eine bestimmte Form der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanfor-derungen normativ vorgibt. Ebenso ist an dieser Stelle erwartbar, dass es sich um einen Tatsachenbericht handelt, der über den bisherigen Stand im Bereich der Eigenkapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen informiert.378 Das Wort-paar der „internationalen Konvergenz“ schränkt zunächst allein sachlich ein, worum es im Folgenden thematisch gehen soll. Zum einen ist denkbar, dass eine Konvergenz des Kapitalbegriffs angestrebt oder beschrieben wird. Oder aber es geht um eine Konvergenz verschiedener Messmethoden. Nicht ausgeschlossen

376 Die folgende Darstellung nimmt nun Bezug auf die Ergebnisse, die im Rahmen der hermeneuti-schen Analysen durchgeführt wurden, beschränkt sich dabei – mit Rücksicht auf den Leser – auf die Erkenntnisse, die sich für unsere Fragestellung als notwendig erweisen. Somit werden an dieser Stelle allein ausgewählte Passagen vorgestellt, die für uns aufschlussreich sind.377 Wir beziehen uns hier auf die deutsche Erstfassung des Baseler Akkords, die als veröffentlichtes Papier beim Baseler Komitee abrufbar ist (BCBS 1988). 378 Wir haben es an dieser Stelle somit wiederum mit einer ‚Unschärfe’ zu tun, die wir in 4.2 in den anderen Papieren des Komitees beobachten konnten.

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ist zudem, dass es um beide Aspekte geht. Wir können erwarten, dass der Text uns im Folgenden über den Zusammenhang von Kapital und Messung in dem hier gemeinten Sinne aufklärt.

Der Begriff der „Messung“ gibt dabei an dieser Stelle bereits bestimmte Wei-chenstellungen vor. Wer von Messung spricht, impliziert damit Formen der Objektivierung und Abstrahierung. Messdaten lassen sich mit anderen Daten (zum Beispiel denen vorangegangener Messungen) vergleichen. Der Text bean-sprucht damit soziale Prozesse zu thematisieren, die die Möglichkeit einer Abs-trahierung und Objektivierung aufweisen. Auch über die Reichweite dieser Ob-jektivierung erfahren wir etwas. Der Begriff „international“ weist darauf hin, dass es sich um einen Geltungsraum handelt, der den Erreichbarkeitsradius einer Nation überschreitet. Zugleich macht dieser Begriff darauf aufmerksam, dass dies nicht selbstverständlich ist. Wer „international“ sagt, impliziert, dass an dieser Stelle auch nationale Lösungen möglich wären.379 Der Begriff „internatio-nal“ ist zudem in einem weiteren Sinne aufschlussreich. Er verrät schließlich, dass die Bezugskategorie des Nationalen weiterhin von Relevanz ist. Anders als der Begriff des „Globalen“ oder des „Supranationalen“ rekurriert die Figur des Inter-Nationalen weiterhin auf die Kategorie „Nation“ als konstitutives Ord-nungselement.

Relevanzmarkierung und Legitimitätsbeschaffung – zur besonderen ‚Funktion’ der Einleitung

Dem Titel folgt eine Unterüberschrift, die mit dem Begriff der „Einleitung“ be-zeichnet ist. Bereits in 4.2 hatten wir auf die Besonderheit von Einleitungen in politischen Kontexten hingewiesen. Gesetze, aber auch politische Anträge verfü-gen üblicherweise über keine Einleitung. Zu ihnen finden sich dagegen eher Kommentierungen oder Begründungen. ‚Einleitungen’ sind dagegen typischer-weise in wissenschaftlichen oder wissenschaftsähnlichen sachlich-fachlichen Textformen zu finden. Der Text folgt hier somit einer Begründungslogik, die sich in verschiedenen Papieren, die wir in Abschnitt 4.2 analysierten, identifizie-ren ließ (z.B. in BCBS 1978). Sollte es sich um einen solchen Text handeln,

379 Dies wird vor allem dann deutlich, wenn wir uns Beispiele vor Augen führen, in denen nationale Geltungsräume nicht vorgesehen sind und in denen eine Betonung der internationalen oder globalen Geltung irritierend wäre. Der Papst adressiert bedeutende Wortmeldungen grundsätzlich an den gesamten Erdkreis. Die Veröffentlichung einer ‚Internationalen Enzyklika’ wäre in diesem Zusam-menhang erklärungsbedürftig. Ebenso lässt sich beispielsweise im Bereich des Sports nicht erwarten, dass Olympischen Spiele als die ‚internationalen Olympischen Spiele’ bezeichnet werden.

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dann müsste sich dies in den folgenden Zeilen klären. Das Papier fährt aber fort wie folgt:

„1. Dieser Bericht legt das Ergebnis der mehrjährigen Arbeit des Ausschusses“

Mit diesem Eingangssatz und dem darin enthaltenen Begriff des ‚Berichtes’ ist bereits verschiedenes ausgeschlossen. Nicht zu erwarten ist im Folgenden ein Gesetzestext im klassischen Sinne. Aber auch eine technisch-formale Anleitung muss als unwahrscheinlich gelten. Von einem Bericht werden vorrangig Infor-mationen, die dann in rekonstruktiver Weise aufbereitet sind, erwartet. Unmittel-bare Handlungsdirektiven, seien sie nun politischer oder wissenschaft-lich/technischer Art, werden erwartungsgemäß nicht in der Textform eines Be-richtes abgegeben. Zugleich lässt sich in diesem ersten Satzteil nun eine Form der Relevanzmarkierung finden, die in den bisherigen Papieren des Baseler Ko-mitees in diesem Sinne nicht vorhanden war. Die ‚mehrjährige Arbeit’ macht deutlich, dass dieses Dokument auf keinen aktuellen Anlass reagiert. Das, was nun folgt, hat den Anspruch, als Ergebnis mehrjähriger Arbeit wohlüberlegt zu sein. Zudem dürfte es sich im Folgenden um ein Thema handeln, das nur in be-grenzter Weise kurzfristigen Aktualitätszyklen unterworfen ist. Es geht um Grundsätzliches. Die folgenden Ausführungen – dies meint der Text betonen zu müssen – basieren auf keinem kurzfristigen, beispielsweise populistischen Kal-kül.

Der Begriff des ‚Ergebnisses’ wirkt unterstützend auf diese Relevanzmar-kierung, deutet er doch auf einen Finalitätsstatus der folgenden Ausführungen hin. Ergebnisse lassen sich kommentieren und verwerfen. Der Prozess der Er-gebnisproduktion aber ist dann bereits abgeschlossen. Für eine Ergebniskorrektur wäre eben die Eröffnung eines neuen sozialen Prozesses notwendig. Im Folgen-den ist nun eine Spezifizierung dieser Arbeit erwartbar. Handelt es sich um die gesamte Arbeit, gewissermaßen als Rechenschaftsbericht gegenüber Nichtmit-gliedern des Ausschusses? Aus der Satzsequenz wäre dieser Anschluss noch möglich. Andererseits muss dieser Anschluss vor dem Hintergrund des tech-nisch-spezifischen Titels als unwahrscheinlich betrachtet werden. Gemäß dieser Vermutung schließt der Text an wie folgt:

„zur internationalen Angleichung der bankaufsichtlichen Vorschriften über die Ka-pitalausstattung der internationalen Banken vor.“

Diese Sequenz betont nun in sachlicher Hinsicht, was der Titel bereits erwarten ließ und worum es im Folgenden gehen wird. Es geht nicht um eine Präsentation der gesamten Arbeit des Komitees, die – wie wir in Kapitel 4 zeigten – ja

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zugleich auch viele weitere Dinge behandelte. Thema ist nicht die Koordinierung der Aufseher, oder beispielsweise die Stärkung interner Kontrollsysteme der Banken. Stattdessen nimmt der Text hier eine Selektion vor und schränkt mit dieser Passage den Erwartungshorizont auf das, was folgt, deutlich ein. Es geht allein um die Eigenkapitalvorschriften380 der nationalen Aufsichtsinstitutionen mit Blick auf internationale Banken. Im Anschluss an diesen Satz ist nun vieles möglich, z.B. eine Konkretisierung des mehrjährigen Arbeitsprozesses oder aber eine Thematisierung des Problembezugs, der diese Arbeit und die Erstellung eines Berichts zu diesem Thema erforderlich erscheinen ließ. Der Text folgt in gewisser Hinsicht dem ersten Strang:

„Im Anschluss an die Veröffentlichung der Vorschläge des Ausschusses im Dezem-ber 1987 wurde in allen Ländern der Zehnergruppe ein Konsultationsverfahren in Gang gesetzt;“

Zunächst verrät uns diese Passage in impliziter Weise etwas über die vorliegende Textsorte: Der Begriff der „Vorschläge“ zeigt auf, dass wir es nicht mit einer genuin wissenschaftlich-technischen Analyse zu tun haben.381 Zwar können der Erarbeitung von Vorschlägen wissenschaftliche Analysen vorausgehen. Die „Vorschläge“ selbst als (optionale) Handlungsdirektiven richten sich dagegen üblicherweise an Adressaten aus anderen gesellschaftlichen Kontexten, allem voran an die Wirtschaft oder die Politik. Damit kann der bereits oben aufgeführte Begriff der „Vorschriften“ nun in einen konsistenten, regulierungspolitischen Sinnzusammenhang gestellt werden. Zwar lässt der Begriff der Vorschläge an dieser Stelle zunächst (noch) die Erwartung der Unverbindlichkeit aufkommen. Vorschläge lassen sich schließlich ausschlagen. Betrachtet man jedoch die Aus-sage in einem Gesamtzusammenhang, so gewinnt das nun Folgende in zweierlei Hinsicht an Gewicht. Zum einen impliziert der Text, dass die Arbeit des Komi-tees in den Ländern der Zehnergruppe nicht folgenlos war, sondern dass im An-schluss daran mehrere „Konsultationsverfahren in Gang gesetzt“ wurden. Zum anderen tritt der Text mit dem Verweis auf die Konsultationsverfahren der Er-

380 Zur Erinnerung: Beim Eigenkapital handelt es sich – wie der Name verrät – um Kapital aus dem eigenen Kapitalstock der Banken. Je höher der Anteil von Eigenkapital bei der Vergabe eines Kredi-tes, desto geringer der Verlustanteil im Passivgeschäft. Mit anderen Worten: Je höher der Eigenkapi-talanteil, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Banken im Falle von Verlusten ihr Zahlungs-versprechen gegenüber Einlegern nicht erfüllen können. 381 An dieser Sequenz wird zudem deutlich, dass der Text einen informierten Adressaten erwartet. Der Bezug zwischen dem hier vorliegenden „Bericht“ und den angesprochenen „Vorschlägen“ ist aus dem Text nicht rekonstruierbar und nur auf der Basis voraussetzungsvollen Kontextwissens er-schließbar. Auf eine extensive Darstellung derartiger Sinnbrüche soll jedoch verzichtet werden, da sie zur Klärung der Forschungsfrage wenig beitragen.

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wartung entgegen, die folgenden Zeilen seien als einsame Beschlüsse des Base-ler Komitees zu verstehen. Er macht deutlich: Anders als beispielsweise das Baseler Konkordat, welches lange Zeit den Status eines nichtöffentlichen Papiers besaß (siehe dazu in 4.2), wird es sich im Folgenden um Äußerungen handeln, die eine breitere Legitimitätsbasis für sich beanspruchen dürfen. Diese Erwar-tungsbildung bestätigt sich in der anschließenden Textpassage:

„ferner wurden die Vorschläge den Bankenaufsichtsbehörden in der ganzen Welt zugeleitet.“

An dieser Stelle unterstreicht der Text: Der erste Entwurf des Baseler Akkords diente nicht allein als Grundlage für Konsultationen in den Mitgliedsländern. Er setzte sich zudem auch den Beobachtungen von Nichtmitgliedern aus. Diese Aussage ermöglicht zudem noch eine weitere Lesart: So lässt sich die Zuleitung der Vorschläge in die ganze Welt auch als Teil einer Expansionslogik des Base-ler Komitees begreifen. Mit anderen Worten: Obwohl die folgenden Vorschläge (allein) von den Mitgliedern des Baseler Komitees, den G-10, verabschiedet wurden, erstreckt sich ihre Relevanz auch auf Regulierungsprozesse außerhalb dieser Staaten. Eine solche Lesart konvergiert mit Ausführungen des ersten Sat-zes: dort war von der „Kapitalausstattung der internationalen Banken“, nicht von der Kapitalausstattung der internationalen Banken in den G10 Staaten die Rede. Auch wenn – wie in Abschnitt 5.3 thematisiert – ein überwiegender Teil der Kreditinstitute auf dem Boden der Staaten beheimatet ist. Auch außerhalb dieser Zone können internationale Banken existieren, die dann mit dieser Formulierung nicht ausgeschlossen sind.

„Diese Konsultationen führten zu einigen Änderungen der ursprünglichen Verschlä-ge.“

Mit dieser Kommentierung schließt der Text an eine bereits angedeutete Sinnof-ferte an, stützt sie doch die Legitimitätsfigur der „mehrjährigen Arbeit“, von der oben die Rede war – jedoch nun in einer weiteren Sinndimension. War die vo-rangegangene Legitimitätsfigur in der Zeitdimension positioniert, so nimmt der Text mit dieser Sequenz Legitimität in der Sachdimension für sich in Anspruch. Konsultationen dienen im Allgemeinen der Informationsgenerierung. Wer je-manden konsultiert, möchte von ihm etwas erfahren, ihn aber beispielsweise nicht von seinen eigenen Ideen überzeugen. Wir dürfen somit, auf den Text zu-rückkommend, erwarten: Über die folgenden Dinge wurde nicht allein lange geredet. Sie sind auch das Ergebnis von Informationen und vielleicht gar von Expertise, die im Rahmen eines Konsultationsverfahrens gewonnen wurde. Der normativen Setzung von Vorschlägen, die nun folgen, sind – so meint der Text

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uns aufklären zu müssen – bereits kognitive Anpassungsprozesse vorausgegan-gen. Mit dieser sachlichen Legitimierung gibt sich der Text jedoch nicht zufrie-den, wie die anschließende Passage anzeigt.

„Das vorliegende Dokument ist nun eine Erklärung des Ausschusses, der alle Mit-glieder zugestimmt haben.“

Mit diesem Satz verweist das Papier auf Legitimität in der Sozialdimension. Somit darf nun außerdem erwartet werden: Über die folgenden Zeilen wurde nicht allein lange geredet und es wurden nicht nur Informationen zur Übarbei-tung eingeholt. Zum dritten zeichnet sich das Papier durch den Konsens aller Mitglieder des Baseler Komitees aus. Der Satz tritt damit auch der (möglichen) Erwartung entgegen, das Dokument wurde durch Mehrheitsentscheidung oder durch Initiativen einiger weniger in dieser Form verfasst. Eine derartige Form der Präsentation von Legitimation in dreifacher Hinsicht (zeitlich, sachlich, sozi-al) verrät uns etwas über die Selbstbeobachtung des Baseler Komitees sowie die Erwartungserwartungen mit Blick auf den Baseler Akkord. Wer Anstrengungen der Legitimation dieser Art unternimmt, der erwartet Ablehnung oder rechnet zumindest mit der Unwahrscheinlichkeit einer Annahme der nun folgenden Kommunikationsofferten. Zumindest ist im Folgenden nun mit einem Papier zu rechnen, das sich selbst einer hohen Begründungslast ausgesetzt sieht. Über diesen Umstand müsste uns der Text in den nächsten Zeilen aufklären.

Stabilisierung und Transparenz für das globale Bankensystem – zur Expansionslogik und neuen Qualität spezifischer politischer Aufsichtsregeln

In den nächsten Zeilen unternimmt der Text einen ersten Anlauf:

„Es legt die Einzelheiten des vereinbarten Konzepts zur Messung der Eigenkapital-ausstattung und den zu erreichenden Mindeststandard dar, den die im Ausschuss vertretenen nationalen Aufsichtsbehörden in ihrem jeweiligen Land zu verwirkli-chen beabsichtigen.“

Damit kündigt sich an, dass im Falle dieses Papiers mit keiner unbestimmten Absichtserklärung einer suprannationalen Institution zu rechnen ist, die in den Mitgliedsländern unterschiedlich interpretiert werden kann. Der Term „Einzel-heiten des vereinbarten Konzepts“ weist darauf hin, dass wir mit detaillierten Beschreibungen rechnen dürfen. Diese detaillierten Beschreibungen stellen dabei keine selektive Auswahl, kein ‚pars pro toto’ dar. Der Text hätte auch von ‚wich-tigen Einzelheiten’ oder schlicht von ‚Einzelheiten’ sprechen können. Stattdes-sen beansprucht er einen Vollständigkeitsanspruch. Es geht es um „die Einzel-

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heiten“ des Konzepts. Dabei erzeugt das Papier an dieser Stelle eine Kombinato-rik von technischer und politischer Rationalität, die die Wirkungsmächtigkeit der daraus emergierenden Wissensordnung andeutet. Zum einen werden mit Einzel-heiten des Konzepts die Bedingungen für bestimmte Messungen vorgeschrie-ben.382 Zum zweiten gibt das Papier einen Mindeststandard als normative Set-zung vor, den es zu erreichen gilt. In diesem Zusammenspiel einer (technischen) Methodologie des Objektivierens/ Abstrahierens und der (normativen) Setzung eines Mindeststandards darf eine besondere Performativität erwartet werden, die die Legitimationsbedürftigkeit erklärbar macht. In diesem Sinne fährt der Text fort:

„Das Konzept und dieser Standard sind von den Zentralbankpräsidenten der Zehner-gruppe gutgeheissen worden.“

Auch mit dieser Sequenz zeigt sich nur noch einmal die Relevanzmarkierung des Papiers. Und auch hier erscheint der Baseler Ausschuss als eine legitimationsbe-dürftige Institution, die ihre Legitimation über die „Gutheissung“ von Zentral-bankpräsidenten schöpft.

„2. Im Hinblick auf eine raschestmögliche Verwirklichung der Empfehlungen ist vorgesehen, dass die nationalen Behörden nun Papiere vorbereiten, in denen sie ihre Ansichten zum Zeitplan und zu der Art und Weise, wie diese Vereinbahrung in ih-rem Land durchgeführt werden soll, darlegen.“

Aufbauend auf den dargelegten Legitimitätsfiguren unterstreicht das Baseler Rahmenwerk nun seinen Anspruch auf Verbindlichkeit. Die Frage, ‚ob’ es in den entsprechenden Staaten zu einer Implementierung kommt, stellt sich diesem Text nach gar nicht mehr. Es ist nur noch das ‚wie’ der Umsetzung, das nun in der Anschlusskommunikation als relevante Frage erwartet wird. In einer Hinsicht ist dabei aus Sicht des Textes dieses wie bereits beantwortet, nämlich in zeitlicher Hinsicht. Die Formulierung „raschestmögliche Verwirklichung“ und der darin enthaltende Superlativ implizieren, dass eine Implementierung besonders zeitnah angestrebt wird und dass darüber auch Einigkeit besteht. Es geht jedoch nicht allein um eine (zeitlich) raschestmögliche, sondern zugleich um eine (räumlich) weitest mögliche Implementierung, was sich an der folgenden Passage nachvoll-ziehen lässt:

382 Zur Erinnerung: Über die Funktion von Messungen war bereits zu Beginn dieser Analyse die Rede. Die dort geäußerten Erklärungen gelten also an dieser Stelle als vorausgesetzt.

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„Dieses Dokument wird an Aufsichtsbehörden in der ganzen Welt versandt, um die Annahme dieses Konzepts in Ländern außerhalb der Zehnergruppe für die Banken, die bedeutsame internationale Geschäfte tätigen, zu fördern.“

Hier finden wir ein weiteres Beispiel für die Expansionsdynamik, die dem Base-ler Akkord inhärent ist. Damit verdichtet sich die bereits oben angedeutete Les-art: Der Baseler Akkord hat nicht allein die internationalen Banken der G10 Staaten im Fokus, wenn es um die Konvergenz aufsichtlicher Regelungen geht. Darüber hinaus wird hier der Anspruch formuliert, dass das Papier auch für Län-der außerhalb der G10 mit beheimateten Banken, die „bedeutsame internationale Geschäfte tätigen“, Anschlüsse bereithält.

„3. Zwei wesentliche Ziele bilden den Kern der Arbeit des Ausschusses über die Konvergenz der bankaufsichtlichen Regelungen. Erstens soll das neue Konzept dazu dienen, die Bonität und Stabilität des internationalen Bankensystems zu stärken;“

Der erste Satz klärt uns über den Stellenwert der Idee einer „Konvergenz banke-naufsichtlicher Regelungen“ auf. Sie wird in diesem Papier als bereits unterstell-barer Konsens ‚en passant’ eingeführt. Der Text – so lässt sich folgern – rechnet an dieser Stelle nicht mit Widerspruch. Nur so ist zu erklären, dass in diesem legitimitätslastigen Text auf Argumente für Konvergenz verzichtet wird. Auf-schlussreich in anderer Hinsicht ist auch der zweite Teil dieses Absatzes: War zuvor allein von internationalen Banken und damit von formalen Organisationen die Rede, so taucht nun ein weiterer Referenzpunkt, der des Bankensystems, auf. Dabei verrät der Text zugleich, dass er es mit dem Systembegriff an dieser Stelle ernst meint. Wenn er von der „Stabilität des internationalen Bankensystems“ spricht, die es zu stärken gelte, so kann damit schließlich nur die Stabilität einer Relation einzelner Elemente, nicht aber die Relation jeweils für sich stabiler Einzelelemente angesprochen sein. Die Zuschreibung der Stabilitätseigenschaft, die es zu stärken gelte, zeigt somit an: Es geht – wenn von Bankensystem die Rede ist – um einen eigenständigen Kommunikations- und Ordnungszusammen-hang, nicht aber beispielsweise um eine ‚bloße’ Akkumulation einzelner Bank-organisationen.

Der Stabilitätsbegriff und seine Anstellung an den Bonitätsbegriff zeigen zudem auf, in welcher Weise das Bankensystem durch die Politik beobachtet wird. So lässt die vorgenommene Reihung von „Bonität und Stabilität“ erwarten: Bonität und Stabilität sind zwei unterschiedliche, vielleicht zusammenhängende, aber eben nicht substituierbare Eigenschaften des internationalen Bankensys-tems. Andernfalls könnte auf einen Begriff – womöglich den unspezifischeren der Stabilität – verzichtet werden. Mit anderen Worten: Bonität, also Zahlungs-fähigkeit, ist vielleicht ein notwendiges, jedoch kein hinreichendes Merkmal für

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die Stabilität des internationalen Bankensystems. Das folgende „Konzept“ geht damit, so ist an dieser Stelle nicht auszuschließen, im Folgenden auch auf As-pekte ein, die außerhalb des Bonitätskriteriums und damit außerhalb der reinen Fokussierung auf Zahlungsfähigkeit angesiedelt sind.

Diese Passage verrät uns jedoch nicht allein, in welcher Weise das Baseler Komitee das Bankensystem beobachtet. Sie erhellt zudem das hier zugrunde gelegte Verhältnis von Politik und Bankensystem. So wird die Stärkung von Bonität und Stabilität des Bankensystems hier als politisches Ziel aufgefasst, womit impliziert ist, dass die systemeigenen Ressourcen der Bonitäts- und Stabi-litätsstärkung als politisch nicht ausreichend aufgefasst werden. Die Schwäche beider Kategorien läuft – so kann hier geschlossen werden – politischen Zielen entgegen.383

„zweitens soll das Konzept ausgewogen und möglichst einheitlich in seiner Anwen-dung auf Banken in verschiedenen Ländern sein, um Wettbewerbsverzerrungen zwi-schen internationalen Banken zu reduzieren.“

Diese Stelle unterstreicht zum wiederholten Male, dass nicht das ‚ob’ sondern allein das ‚wie’ einer Umsetzung zur Debatte steht. Mit Blick auf eine Imple-mentierung nimmt das Baseler Komitee eine Erweiterung seines Fokus vor: In den folgenden Ausführungen werden nicht allein die Gesichtspunkte einer Stär-kung von Bonität und Stabilität des Systems unter Gesichtspunkten politischer Risiken behandelt. Es geht also – um die Unterscheidung von Susanne Lütz aufzugreifen (Lütz 2002, 24f.) – nicht allein um eine marktbeschränkende, son-dern zudem um eine marktschaffende Zielsetzung. Das Papier verrät somit auch etwas über die Tragweite, die es seinen folgenden Ausführungen beimisst. Das Konzept – so lässt sich folgern – verändert nicht allein das Verhältnis von der Aufsichtsbehörden und internationalen Banken. Zugleich ist auch eine Neujustie-rung der internationalen Banken unter Wettbewerbsgesichtspunkten zu erwarten, so dass (befürchteten) Verzerrungen entgegengewirkt werden soll.

Schließlich lässt sich an dieser Passage auch anzeigen: Eine Rückkehr zu einem segmentierten Bankensystem wird an dieser Stelle implizit ausgeschlos-sen. Sie steht ebenso wenig zur Debatte wie die Frage nach einer möglichen Vorteilhaftigkeit divergierender Aufsichtspraktiken (s.o.). Selbst ihre Nichtthe-matisierung wird nicht einmal mehr als thematisierbar, als begründungsbedürftig betrachtet. Der Wettbewerb zwischen internationalen Banken erscheint als un-hintergehbare Hintergrundrealität, an welche hier mit Blick auf regulierungspoli-tische Aspekte angeschlossen wird. Gerade dieses Vorhaben erscheint jedoch –

383 Damit offenbart sich an dieser Stelle das Bild vom Staat als Risikomanager, das wir bereits in den Abschnitten 3.1 und 5.1 nachgezeichnet haben.

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wie die folgende Textstelle noch einmal unterstreicht – begründungs- und legi-timierungsbedürftig:

„Der Ausschuss vermerkt, dass die Banken, als sie der Bitte um Stellungnahme zu den ursprünglichen Vorschläge nachkamen, die allgemeine Form und die Grund-prinzipien des Konzepts begrüssten und der Ansicht zustimmten, dass es auf natio-naler Ebene so einheitlich als möglich angewendet werden sollte.“

Betrachten wir diese Sequenz unter dem bereits ausgeführten Gesichtspunkt der Legitimität, so lässt sich nun eine weitere Konkretisierung und Ausweitung der Legitimitätsgrundlage beobachten. Bisher wurden Legitimitätsanleihen unter-nommen, die sich – wenn überhaupt – auf Autoritäten mit Primärreferenz auf das politische System stützten (z.B. die Zentralbankpräsidenten der Zehnergruppe als Bankaufseher). Diese funktionssystemische Grenze wird an dieser Stelle über-schritten. Die Fremdreferenz auf andere Autoritäten beschränkt sich somit nicht allein auf Adressen mit Primärreferenz auf das politische System, z.B. auf Par-laments- oder Verwaltungsstellen in den Nationalstaaten, die mit Amts- und/oder Fachautorität ausgestattet sind. Stattdessen rekurriert der Text auch auf Adressen mit Primärorientierung am Bankensystem. Somit wird nun eine Instanz in den (legitimationsschaffenden) Zeugenstand berufen, deren Aussagen in klassischen Papieren politischer Entscheidungsfindung in der Regel kein Gehör finden, näm-lich die zu regulierenden Objekte selbst. Als gesellschaftliche Instanz, die kol-lektiv bindende Entscheidungen für die Gesellschaft produziert, ist das Zentrum des politischen Systems typischerweise nicht darauf angewiesen, in ihren Ent-scheidungen auf die Zustimmung von Betroffenen zu verweisen. Welche Funkti-on aber nimmt diese Textstelle ein, wenn sie aus Sicht eines konventionellen parlamentarischen Politikverständnisses nicht notwendig, vielleicht sogar ver-dächtig erscheinen muss? Folgende Erwartung erscheint hier mit Blick auf die folgenden Ausführungen nahe liegend: Das, was jetzt kommt, ‚überdehnt’ die autoritativen Ressourcen des „Ausschusses“ und selbst die autoritativen Res-sourcen der Politik als Funktionskontext. Dies kann in sachlicher Hinsicht der Fall sein. Der Text immunisiert sich dann gegenüber dem (zu erwartenden) Ein-wand, nicht über die notwendige bankwirtschaftliche Kompetenz zu verfügen. Es kann sich aber zugleich auch um eine Markierung in der Sozialdimension han-deln. Der Text, so lässt sich nun erwarten, darf bei der Implementierung in nati-onalstaatliche Kontexte hinsichtlich der Grundprinzipien mit Zustimmung rech-nen.384

384 Diese Lesart erfährt nur in einer Hinsicht eine Relativierung. So fällt auf, dass der Text an dieser Stelle von „Grundprinzipien des Konzepts“, die begrüßt wurden, spricht. Wie aber steht es um die „Einzelheiten“, von deren Festlegung weiter oben die Rede war? An dieser Stelle scheinen die Gren-

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Damit fügt sich auch diese Form der Legitimitätsmarkierung in ein kommunika-tives Argumentationsmuster ein, das sich bereits in den vorangegangenen Passa-gen beobachten ließ: Der Baseler Akkord widmet sich in diesen ersten Zeilen zunächst primär der Entgegnung potentieller Einwände gegen sich und das damit verbundene Aufsichtskonzept. Die „Einleitung“ – üblicherweise in Texten ein Gliederungspunkt, der den Leser sachlich-thematisch einführt – wird in diesem Papier umfunktioniert zu einer lose gekoppelten Summierung von Legitimitätsfi-guren mit sehr unterschiedlichen (zeitlichen, sachlichen und sozialen) Referen-zen. Diese Form der Selbstlegitimierung ist für sich genommen wohl erklärungs-bedürftig. Sie gewinnt aber an Plausibilität, wenn wir den Anspruch (1) und Absender (2) des Textes in den Blick nehmen.

(1) Anders als die Texte aus Abschnitt 4.2, die sich durch Figuren der Selbstrelativierung385 oder durch einen Duktus der Unspezifität386 oder gar der Unverbindlichkeit auszeichneten,387 ist im Falle des Baseler Akkords bereits an dieser Stelle mit einer anderen Qualität zu rechnen. Das Papier erhebt den An-spruch, spezifische Vorschriften mit einem Verbindlichkeitsstatus für die G10 Staaten zu präsentieren. Der weit gehende Anspruch spiegelt sich zugleich in Konsensunterstellungen wieder, die wir im Text vorfanden – man denke allein an den unterstellten Konsens einer zu erreichenden Konvergenz und auch die unterstellte Zustimmung einer „raschestmöglichen Implementierung“.

(2) Die Position des Absenders lässt sich aus dem Text so nicht erschließen. Bereits in vorangegangenen Abschnitten hatten wir jedoch die Grenzen des Ba-seler Komitees als entscheidungsgebende politische Instanz ausgeführt. Für die Papiere aus 4.2 brachte diese vergleichsweise ‚schwache’ Position des Komitees keine Probleme. Im Falle des Baseler Akkords lässt sich dagegen – wie der Text in seinen Eingangssequenzen noch einmal erkennen ließ – eine Asymmetrie zwischen Anspruch des Papiers und Durchsetzungsmöglichkeiten seines Absen-ders beobachten. Vor dem Hintergrund dieser Asymmetrie erklärt sich ein Struk-turmerkmal des Textes, und es klärt sich zudem eine unserer zentralen Fragen an den Text – nämlich die Frage nach den Möglichkeiten, die Schwellen der kom-munikativen Anschlussfähigkeit herunterzuschrauben. Sie beantwortet sich über die Leistung der hier aufgeführten unterschiedlichen Legitimierungsmedien.

zen der Legitimationsbedürftigkeit auf, hält sich der Text doch die Möglichkeiten vor, auf Basis von „Grundprinzipien“ die „Einzelheiten“ selbst auszudefinieren. 385 So wurde in diesen Dokumenten beispielsweise auf die Probleme divergierender Rechtsordnungen aufmerksam gemacht (s.o.). 386 An dieser Stelle sei vor allem an das Baseler Konkordat erinnert, das zwar von Koordination sprach, jedoch dabei zu erwähnen vergaß, in welcher Hinsicht diese Kooperation stattzufinden habe (siehe Kapitel 4). 387 In diesem Kontext können ‚informationslastige’ Texte wie die Vorschläge zur Risikoaggregation (BCBS 1978) als Beispiele dienen (siehe dazu auch in Abschnitt 4.2).

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Diese rasten als kompensierende Mechanismen ein, die die Annahmeunwahr-scheinlichkeit reduzieren, indem sie die Ablehnungsschwellen für die Adressaten deutlich erhöhen. Diese Ablehnungsschwellen treffen zum einen für die direkt angesprochenen Autoritäten zu. Ihre Ablehnung wäre nur durch die Inkaufnahme massiver Erwartungsenttäuschungen möglich. Ein Zentralbankpräsident bräuchte beispielsweise gute Gründe, trotz seiner vorangegangenen Zustimmung der Imp-lementierung des Akkords in die nationalstaatliche Regulierungsordnung seine Befürwortung zu entziehen. Aber auch weiteren zentralen Adressen, Parlamenten und anderen Verwaltungsstellen der G-10 sind viele Argumente der Ablehnung genommen, wie unsere obige Analyse zeigt.

Damit beantwortet sich partiell die Frage, auf welche Weise der Baseler Akkord die Bedingungen der Möglichkeit schafft, um sich als neue Wissensord-nung zu stabilisieren. Wie aber steht es um unsere zweite Frage, die nach den Grenzziehungen dieser Wissensordnung fragte? In räumlicher Hinsicht sind die Grenzen dieser Wissensordnung bereits geklärt. Der Baseler Akkord beansprucht eine Geltung für alle Aufsichtsprozesse, die auf die Regulierung international tätiger Banken zielen. Im Falle der G10 Staaten wird diese Implementierung vorausgesetzt, mit Blick auf andere Staaten soll sie durch die Distribution des Papiers gefördert werden. Wie aber steht es um die Grenzziehungen in der Sach-dimension?

Grenzziehungen in der Sachdimension – zur „Finanzialisierung“ des Aufsichtsfokus

Auch hier nimmt der Text bereits Grenzziehungen vor: So rekurriert er – wie wir sahen – bereits im Titel auf den Begriff der Eigenkapitalmessung. Inhalt des Berichts ist – wie dann geäußert wird – allein die Arbeit zur „internationalen Angleichung der bankaufsichtlichen Vorschriften über die Kapitalausstattung“. Damit nimmt der Text – wie bereits erwähnt – eine bemerkenswerte Selektion des zu thematisierenden Tätigkeitsspektrums vor.

Zugleich lassen sich jedoch auch Passagen und Formulierungen finden, die über diese Engführung hinausweisen. Ein Beispiel liefert die Formulierung des ersten Zieles: An dieser Stelle konnten wir anzeigen, dass mit dem Begriffspaar der „Bonität und Stabilität“ (Hervorhebung M.K.) Verstehensmöglichkeiten und Sinnbezüge bereitgestellt werden, die über die enge Logik der Messung und Kapitalunterlegung hinausgehen (könnten). Verlässt der Text also im Folgenden die strikte Logik der ‚Kapitalmessung’? Fokussiert er allein auf die Betrachtung banksystemischen Ressourcen (Eigenkapital für Kredite), um die Stabilität des Bankensystems zu stärken? Diese Fragen gilt es zu klären, um die spezifische Logik des Baseler Akkords von 1988 und die Grenzen der damit sich konstituie-

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renden Wissensordnung nachzuvollziehen. Wir werden in diesem Zusammen-hang bei der Darstellung unserer Analyse fortan in einer vergleichsweise ‚weit-maschigeren’ Weise verfahren und Textsequenzen allein hinsichtlich unseres Erkenntnisinteresses ausleuchten.388 Dabei sollen Passagen aufgezeigt werden, an denen sich die Grenzen die Wissensordnung aufzeigen lassen. Ein Beispiel dafür liefert Punkt „8.“ der Einleitung:

„8. Ferner ist hervorzuheben, dass eine angemessene Eigenkapitalausstattung, wie sie nach diesem Konzept gemessen wird, zwar ein wichtiger, aber nur einer von vie-len Faktoren ist, die bei der Beurteilung der Stärke einer Bank zu berücksichtigen sind.“

Diese Passage relativiert die oben aufgeführte Selektionslogik, lässt sie doch für das folgende Konzept die Vermutung zu: Neben der Fokussierung auf Bonität des Bankensystems über die Konvergenz der Eigenkapitalausstattung werden weitere Aspekte als relevant betrachtet, um die Stabilität des Bankensystems zu stärken. Diese Sequenz befördert somit die Erwartung, dass im Folgenden nun weitere Aspekte aufgeführt und thematisiert werden, die jenseits der hier ausge-führten Messlogik, möglicherweise aber auch jenseits einer Logik des Kapitals und gar außerhalb der Logik des Bankensystems gelagert sind. Beispiele dafür wären die Frage nach den Kommunikationswegen, die für die Stärke einer Bank bedeutsam sind, aber beispielsweise auch die Qualität der technischen Infrastruk-tur sowie die Qualifizierung des Personals. In den Abschnitten 5 und 6 hatten wir auf diese Aspekte hingewiesen und ihre Bedeutung für die „Stärke“ einer Bank herausgestellt. Dies ist aber nur ein Argument, das an dieser Stelle die Erwartung stärkt, derartige Aspekte könnten im Folgenden thematisiert werden. Ebenso von Bedeutung ist der Umstand, dass das Baseler Komitee selbst auf diese Aspekte in verschiedenen Papieren aufmerksam machte, als es die Bedeutung interner Kon-trollsysteme und die Erfahrung von Mitarbeitern thematisierte (siehe Kapitel 4). Reagiert der Text also auf einen möglichen Einwand, Kapital allein sei nicht ausreichend, um die Stabilität des Bankensystems zu gewährleisten? Dafür lie-fert die obige Sequenz annehmbare Gründe. Der Text fährt jedoch fort wie fol-gend:

„Das in diesem Dokument dargelegte Messverfahren dient hauptsächlich zu Beurtei-lung des Eigenkapitals in Relation zum Kreditrisiko (das Risiko des Ausfalls der Gegenpartei); aber auch andere Risiken, namentlich das Zinsänderungsrisiko und das Anlagerisiko bei Wertpapieren, müssen von der Bankenaufsicht bei der Gesamt-

388 Dabei werden wir zwar unbedingt am Kriterium der Sequentialität festhalten. Ein Hin- und Her-springen im Text wird vermieden.

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beurteilung der Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung in Rechnung gestellt werden.“

Wie diese Passage zeigt, kommt es nicht zu einer Ausweitung der bisher aufge-zeigten selektiven Logik. Stattdessen nimmt der Text hier in unkommentierter Weise eine Gleichsetzung zweier Kategorien vor, die in dieser selbstverständli-chen Form erklärungsbedürftig ist: Die Gleichsetzung der Stärke einer Bank mit einer Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung.389 All die Dinge, die wir als Faktoren für die Stärke einer Bank an dieser Stelle hätten erwarten können, blei-ben unthematisiert. Sie fungieren nicht allein als spezifisches sondern gar als unspezifiziertes Nichtwissen dieser Wissensordnung – ein Verfahren, das in der folgenden auch in Punkt „8.“ zu findenden Passage noch konsequenter ausge-führt ist. Dort ist zu lesen:

„Generell ist im Übrigen anzumerken, dass eine isolierte Betrachtung der Eigenkapi-talquoten zu falschen Schlussfolgerungen hinsichtlich der relativen Stärke der betreffenden Bank führen kann.“

An dieser Stelle entfernt sich der Text bereits vom eigentlichen Themenfokus: Der Begriff „generell“ kündigt eine Generalisierung und damit eine Metakom-munikation an, die über den spezifischen Fokus der hier gewählten Sinnstruktu-ren hinausgeht. Auch an dieser Stelle wäre eine Fokuserweiterung möglich, oh-ne, dass der Primat der Eigenkapitalmessung im Folgenden aufgegeben werden müsste. Trotz der Breite an Anschlussmöglichkeiten, denen mit dem Wörtchen „generell“ argumentativ der Boden bereitet ist, fährt der Text wie folgend fort:

„Viel hängt auch von der Qualität der Aktiva der Bank ab und was sehr wichtig ist, der Höhe der außerhalb des Eigenkapitals für zweifelhafte Forderungen gebildeten Wertberichtigungen.“

Damit manifestiert sich die aufgezeigte Selektionslogik, der der Text auch auf dieser „generellen“ Ebene verhaftet bleibt. Es ist die enge Selektionslogik des Bankensystems, die auch an dieser Stelle zum Tragen kommt. Die Organisation „Bank“ wird in Folge dessen in der Betrachtung auf ihre finanziellen Komponen-ten ‚reduziert’. Die systematische Ausblendung anderer Bedeutungsmöglichkei-

389 Die einzige Erweiterung, für die sich hier argumentieren ließe, ist die, dass nun mit dem Zinsände-rungsrisiko sowie dem Anlagerisiko von Wertpapieren, Risikoformen thematisiert werden, die nicht in der engen Logik des Bankensystems und damit des Zahlungsversprechens verhaftet sind, sondern darüber hinausgreifen. Diese Aspekte und der Umgang mit ihnen, der im weiteren Sinne als spezifi-sches Nichtwissen des Rahmenwerkes einzuordnen ist, beziehen sich in weiterem Sinne auf die Logik der Finanzökonomie, implizieren jedoch keine genuin organisationalen Aspekte.

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ten an dieser Stelle offenbart damit die latente Sinnstruktur, von welcher Basel I durchzogen ist. Diese Kontingenz- und Komplexitätsreduktion schafft Freiräume für den Aufbau interner Komplexität, der sich im Folgenden komplementär beo-bachten lässt.390 Der Text verschließt sich gegenüber vielen alternativen Lesar-ten. Zugleich erschließt er sich damit die Möglichkeit, interne Differenzierungen einzuführen, die mit Blick auf einen Zentralbegriff unvermeidlich erscheinen: den Begriff des Kapitals.

Mit der Methode der Sequenzanalyse konnten wir somit herausarbeiten, wie der Text spezifische Formen der Legitimität erzeugt. Erst durch spezifische Ver-ankerungen in der Sach-, Zeit- und Sozialdimension. Zweitens durch die Fokus-sierung auf die Rationalität des Bankensystems sowie den Rekurs auf ‚Kapital’. Der damit verbundenen Positionierung des Kapitalbegriffs wollen wir uns im Folgenden zuwenden. Was bedeutet sie für den weiteren Text, jenseits der Ein-leitung? Dieser Frage wollen wir im nächsten Abschnitt nachgehen.

7.2.2 Basel I – das „Konzept“

Auf die Erklärungsbedürftigkeit des Kapitalbegriffs im Zusammenhang mit dem Begriff des Messens hatten wir bereits zu Beginn unserer Analyse aufmerksam gemacht. Bereits der Titel sowie der Teil „Internationale Konvergenz der Eigen-kapitalmessung“ ließen eine (an dieser Stelle nun noch unerwartete) Erwartung zu: Obwohl der Text der engen finanzökonomischen Logik folgt, ist im Folgen-den ein Kapitalverständnis zu erwarten, das nicht allein auf das Medium des Finanzsystems, das „financial capital“ verweist (Willke 2007a, 47). Schließlich drückt dieses sich – wie Helmut Willke aufzeigt – im symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums des ‚Geldes’ aus (Willke 2007a, 54). Das Geldmedi-um aber fungiert selbst als Messmedium, nicht aber als eine (noch) zu messende Größe. Es weist einen eindeutigen Nennwert auf, womit es andere Waren, aber auch sich selbst erst handelbar macht.391 Insbesondere in unserem empirischen Fall, den internationalen Banken, ist zumindest die Konvergenz von Geldwerten eine Voraussetzung für die Geschäftsfähigkeit. Die Divergenz, die mit diesem

390 An dieser Stelle lässt sich somit die klassische Bewegung des Komplexitätsaufbaus durch Opera-tionen der Selektion beobachten (Luhmann 2005e, 263f). 391 Dieser Umstand lässt sich insbesondere an folgender Beobachtung von Heinz-Peter Spahn festma-chen: „Geld bildet das zentrale Element der – durchaus im wörtlichen Sinne – Ordnung einer Markt-ökonomie, so dass Wirtschaften stets ein in Geldeinheiten gedachter und durchzuführender Prozess ist (Spahn 2002, 65f). Diese Charakterisierung findet sich insbesondere bei Georg Simmel ausgear-beitet, der Geld als ein Maß bezeichnet, das die Tauschbarkeit einer Ware gegenüber der Gesamtheit der übrigen Waren bezeichnet (Simmel 2001, 87).

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240 Paradigmen

Papier zur Konvergenz transformiert werden soll, kann sich somit nicht allein auf monetäres Kapital beziehen.

Viele ‚Gelder’ – zur Pluralität des Kapitalbegriffs

An dieser Stelle hilft die Einsicht, dass neben Geld auch weitere Kapitalformen denkbar sind: Geld ist – so formulierte es Karl Marx – ‚nur’ die „erste[n] Er-scheinungsform des Kapitals“ (Marx 2005, 161). Bereits in seiner Analyse erfuhr der Kapitalbegriff eine Ausdifferenzierung in konstantes und variables Kapital392

und lieferte damit einen Vorgeschmack auf die spätere inflationäre Verwendung des Kapitalbegriffs in wissenschaftlichen, wirtschaftlichen aber auch alltagswelt-lichen Kontexten.393 Kapital stellt somit einen Begriff dar, welcher auf vieles verweisen kann. Selbst im Kontext der Bankenregulierung, in welchem vieles ausgeschlossen sein dürfte, erscheint der Begriff noch erklärungsbedürftig, wie bereits die Überschrift von „Abschnitt I“ anzeigt, die den Titel „Die Komponen-ten des Eigenkapitals“ trägt. Diese Überschrift verrät damit, dass wir es im Falle des Eigenkapitals mit einer artifiziellen Größe zu tun haben, die aus verschieden Komponenten zusammengesetzt ist. Bereits an dieser Stelle könnte sich so der Begriff der „Messung“ (er-)klären. Eine unterschiedliche Gewichtung verschie-dener Komponenten kann schließlich verschiedene Messergebnisse erzeugen. Zu erwarten ist somit nun eine Spezifizierung dieser Komponenten, die uns einen Aufschluss über den hier zugrunde gelegten Kapitalbegriff ermöglicht. Mit Blick auf die Konvergenz der Messung ist zudem auch eine quantitative Gewichtung der jeweiligen Eigenkapitalkomponenten erwartbar.

„a) Kernkapital (eigentliches Eigenkapital)“

Bereits diese Unterüberschrift erweist sich als aufschlussreich. Sie impliziert eine qualitative Unterscheidung verschiedener Kapitalformen, die zum Beispiel

392 Als konstantes Kapital bezeichnete Marx die Produktionsmittel, da diese im Produktionsprozess ihre Wertgröße nicht verändern. In Arbeitskraft umgesetztes Kapital ist dagegen Schwankungen unterworfen und wird deshalb als variables Kapital bezeichnet (Marx 2005, 223f). Diese Differenzie-rung ist dabei allein eine erste. Hanno Pahl macht deutlich, dass es bei Marx zu einer Genese von Kapitalkaskaden kommt, mit denen sehr unterschiedliche Phänomene in die Kapitallogik ‚einge-formt’ werden (Pahl 2007, 117). 393 Man denke hier allein an die Differenzierung der Kapitalformen bei Pierre Bourdieu, der unter anderem zwischen einem ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapital unterscheidet (Bourdieu 1987, 143ff.). Ebenso zeigen in Politik und Wirtschaft verwendete Begriffe wie die des ‚Humankapi-tals’ heute auf, welche Spannweite der Begriff heute entfaltet hat, wenngleich die alte Marxsche Idee der Investition von Kapital zur Gewinngenerierung wohl alle unterschiedlichen Verwendungsformen eint.

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mit der Unterscheidung Kern/Peripherie im Weiteren gefasst werden könnte. Ebenfalls instruktiv ist das Begriffspaar „eigentliches Eigenkapital“, das die implizite Information mitführt, es gebe eben auch uneigentliches Eigenkapital, also ein Eigenkapital, das eigentlich etwas anderes ist. Diese Lesart verstärkt sich in der folgende Passage, Punkt 12:

„12. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass das Schlüsselelement der Eigenmittel, auf das das Schwergewicht gelegt werden sollte, das Aktienkapital und die offen ausge-wiesenen Reserven sind.“

An dieser Stelle kommt es also zu einer Konkretisierung des Kapitalbegriffs und – wie erwartet – zu einer Qualifizierung bestimmter Kapitalformen: dem Aktien-kapital und den offen ausgewiesenen Reserven.394 Zugleich zeigt sich aber auch die Artifizialität des hier zugrunde gelegten Kapitalbegriffs, klassifiziert der Ausschuss seine Aussage als „Ansicht“, womit impliziert ist: Man könnte auch anderer Ansicht sein und das Schwergewicht auf andere Aspekte legen. Somit darf im Folgenden eine Begründung dieser Qualifizierung erwartet werden. Zugleich stellt sich im Anschluss an diese Textstelle die Frage, wo diese Reser-ven ausgewiesen sind. Entweder geht der Text von einem informierten Leser aus, so dass es allein eine Möglichkeit der ‚Ausweisung’ gibt. Oder aber, es (er-)klärt sich die Referenz, auf die der Text an dieser Stelle rekurriert:

„Dieses Schlüsselelement der Eigenmittel ist das einzige gemeinsame Element der Bankensysteme aller Länder; es ist in der Bilanz vollständig ausgewiesen und bildet die Grundlage, auf der die meisten Markturteile über die Angemessenheit des Ei-genkapitals beruhen.“

Damit zeigen sich die Konturen des hier zugrunde gelegten Kapitalbegriffs. Es klärt sich zudem, nach welchen Kriterien der Text eine Klassifizierung des Kapi-tals vornimmt und damit die internen Strukturen des Baseler Akkords konditio-niert. Es ist der (beobachtete) bestehende kleinste gemeinsame Nenner in den Nationalstaaten, an den an dieser Stelle angeschlossen wird. Der Text liefert also keine (finanz-)wissenschaftliche Erklärung, der zufolge Aktienkapital und offen ausgewiesene Reserven das „Schlüsselelement“ darstellen. Stattdessen rekurriert er auf nationalstaatliche/rechtliche Vorvoraussetzungen, an welche das Rah-menwerk nun argumentativ ‚andockt’. In diesem Zusammenhang kommt der (Unternehmens-)Bilanz als einem Merkmal, das in vielen nationalen Rechtsord-

394 „Offen ausgewiesen“ meint hier die rechtliche Bestimmung zur Angabe von Kapitalreserven. Es geht also nicht um eine moralische Kategorie der Offenheit im Sinne von Ehrlichkeit, sondern um rechtliche Normen, die zu erfüllen sind.

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242 Paradigmen

nungen verankert ist, eine konstitutive Bedeutung zu.395 Sie ist der Steigbügel, mit dem Basel I als Paradigma bankenaufsichtlicher Konvergenz an Halt ge-winnt. Dieser Anschluss in der rechtlichen Dimension ist jedoch nicht der einzi-ge Ankerpunkt. Die Bilanz als Extrakt der doppelten Buchführung ist zwar ei-nerseits ein rechtliches, vor allem aber auch ein wirtschaftliches Beobachtungs-instrument der Organisation.396 Der Begriff des „Markturteils“ weist darauf hin, dass auch die ökonomische Betrachtung des Kapitals und seine Angemessenheit ins Spiel kommen. Damit erweist sich die Möglichkeit der kommunikativen Anschlussfähigkeit – in politisch/rechtlicher und ökonomischer Hinsicht – als entscheidende Variable, mit welcher das Konzept nun Zustimmung realisieren könnte. Wie aber steht es mit dem noch zu erwartendem‚ uneigentlichen’ Eigen-kapital? Nach welchen Maßstäben wird ihre Qualität hier aufgezeigt?

„13. Unbeschadet dieser Sonderstellung der genannten Kapitalelemente sind die dem Ausschuss angehörenden Länder der Auffassung, dass es eine Reihe weiterer wichtiger und legitimer Komponenten der Eigenkapitalbasis einer Bank gibt, die (unter bestimmten, unter Buchstabe b genannten Voraussetzungen) vom Bewer-tungssystem erfasst werden können.“

Diese Stelle klärt uns über weitere Kapitalformen auf und verrät zudem etwas über die Varietät des hier zugrunde gelegten Messkonzepts, das im Rahmen des Konvergenzprinzips in das Regelwerk eingelassen ist. Derartige Komponenten „können“, müssen jedoch nicht als Eigenkapital gewertet werden. Gleichzeitig baut der Text Grenzen der Varietät auf, in dem er „Voraussetzungen“ vor-schreibt. Er installiert damit ein Konditionalprogramm, eine Wenn-dann-

395 Siehe zur Bilanz als einem globalen Ordnungsmuster in den Arbeiten von Alexandra Hessling (z.B. Hessling 2006, 20). 396 Es ist wohl an erster Stelle Werner Sombart, der die doppelte Buchführung und die damit verbun-denen Formen der (Selbst-)Beobachtungen von Unternehmungen zum entscheidenden Moment für die Ausdifferenzierung der kapitalistischen Ökonomie auffasst. Sombart zufolge kann man sogar „im Zweifel sein, ob sich der Kapitalismus in der doppelten Buchführung ein Werkzeug, um seine Kräfte zu bestätigen, geschaffen oder ob die doppelte Buchhaltung erst den Kapitalismus aus ihrem Geist geborgen habe“ (Sombart 1928, 118). Auch der Begriff des Kapitals definiert sich Sombart zufolge – anders als in den vorangegangenen Definitionen über das Instrument der Buchführung: „Mit dieser Betrachtung [der doppelten Buchführung, M.K.] wird der Begriff des Kapitals überhaupt erst ge-schaffen. Man kann also sagen, dass vor der doppelten Buchführung die Kategorie des Kapitals nicht in der Welt war, und dass sie ohne sie nicht da sein würde. Man kann Kapital geradezu definieren als das mit der doppelten Buchführung erfasste Erwerbsvermögen“ (Sombart 1928, 120). Dirk Baecker untersucht dem folgend die doppelte Buchführung als „die Schrift des Kapitals“ (Baecker 1993). David Borger fasst die vorangehenden Prozesse des Rechnungswesens als Formen der strukturellen Kopplung zwischen Organisation und Wirtschaftssystem, dass Organisationen wirtschaftlich und dann auch nur rein wirtschaftlich beobachtbar macht (Borger 1999, 87).

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Konstruktion,397 welche den Spielraum und damit den Abweichungsmodus so-wie den Divergenzradius einschränkt. Bereits diese Einbeziehung scheint dabei vom Text als ein Vorgang betrachtet zu werden, welcher zu Widerspruch bis hin zu Ablehnungsoptionen gegenüber dem, was im Folgenden unter „b“ als „ergän-zenden Eigenkapital“ eingeführt wird, einlädt. Anders ließe sich die Legitimi-tätsbekundung in diesem Zusammenhang nicht verstehen, erfüllt sie doch nur dann eine Funktion, wenn damit gerechnet wird, dass diese Einbeziehung des Kapitals als illegitim angesehen werden könnte.

Was aber sind dies für Aspekte, jenseits von Aktienkapital und offen aus-gewiesenen Reserven? Hierzu zählen sehr unterschiedliche Aspekte: Ein Beispiel ist die „förmliche Neubewertung der Bankgebäude in der Bilanz“, die auf Seite 6 angesprochen wird. Ein weiterer Punkt sind so genannte „allgemeine Rückstel-lungen und allgemeine Reserven für Forderungsausfälle“ – angesprochen auf Seite 7 des Papiers. Gerade der Aspekt des „Bankgebäudes“ ist für unsere Frage-stellung interessant. So verweist er auf ein materielles und gesellschaftsexternes Phänomen, welches für die Bankorganisation vor allem auch vor dem Hinter-grund ihres Gebrauchswertes, nicht allein hinsichtlich ihres Tauschwertes von Relevanz ist.398 In diesem Zusammenhang erscheinen Bürokomplexe mit ihrer Infrastruktur nun als bloße Zahlenwerte, die in die Logik des Kapitals transferiert und als Investitionsressourcen banksystemischer Operationen ausgeflaggt wer-den.

Selektions- und Orientierungsraum – zur Omnipräsenz der Bilanz

Damit offenbart sich, welchen Radius diese Form der Regulierung aufspannt und auf welche Aspekte er abzielt. Es ist die ‚Bilanz’ als entscheidendes Ordnungs-kriterium, an welchem sich die Messung des Eigenkapitals orientiert399 und von welchem erwartet wird, dass es als rechtlich- und ökonomisch konstituiertes Instrumentarium internationale Anschlussfähigkeit genießt. Die Bilanz fungiert als Selektions- und Orientierungsraum, als ‚archimedischer Punkt’ dieser Wis-sensordnung, nach welchem nun das Eigenkapital gemessen wird. Nach ihr be-rechnet sich auch das eigentliche Anliegen des Baseler Akkords, der verbindli-che Regulierungsstandard. Diesem zufolge müssen Kredite internationaler Ban-ken mit einem Eigenkapitalsatz von 8 Prozent unterlegt werden, welchen der

397 Siehe zu diesem Programmtypus des Routineprogramms im Kontext von Regulierungsprozessen in Abschnitt 3.1.1. 398 Zur Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert siehe bei Karl Marx (Marx 2005, 49ff). 399 Damit übersetzt der Baseler Akkord eine Kapitalform, die für die Bank zunächst einen Gebrauchs-wert besitzt, in einen potentiellen Tauschwert.

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244 Paradigmen

Baseler Akkord als globalen Mindeststandard setzt.400 Davon müssen 50 Prozent dem Kernkapital zugerechnet werden können, der andere Teil darf sich aus dem ergänzenden Eigenkapital zusammensetzen.

Betrachten wir diese Prozesse unter regulierungstheoretischen Gesichts-punkten und den damit verbundenen Konsequenzen, die wir in Kapitel 3 thema-tisierten, so zeigt sich: Der Baseler Akkord und der damit verbundene Mindest-standard lassen in der Konsequenz eine Einschränkung von Freiheitsgraden des Bankensystems erwarten. Zugleich legt ein politischer Standard Bedingungen fest, nach denen das Kreditgeschäft vollzogen werden kann. Die Stärkung des Bankensystems wird somit allein über eine Regulierung des Bankensystems im engen Sinne realisiert. Die Bank wird allein hinsichtlich ihrer (tatsächlichen und potentiellen) Kapitalverfügbarkeit betrachtet. Elemente, die außerhalb des enge-ren Begriffs des ‚financial capital’ angesiedelt sind, werden in diese Logik ein-gepasst, oder bleiben – wie aufgezeigt – unberücksichtigt. Betrachten wir diese Engführung vor dem Hintergrund anderer Regulierungsinitiativen des Basler Komitees, so lässt sich an dieser Stelle von einer „Finanzialisierung“ des Auf-sichtsfokus sprechen.401 Die Organisation in ihrer Prozesshaftigkeit – wie wir sie im Abschnitt 1.2.2 sowie im gesamten Kapitel 2 ausarbeiteten und in den Ab-schnitten 5.3 und 6.2 vor dem Hintergrund von Globalisierungsdynamiken in ihrem Risikopotential noch zuspitzten – ist damit ausgeklammert.

Die Form der Selektion, die die Aufsicht an dieser Stelle vornimmt, erin-nert an einen heuristischen Kraftakt, den beispielsweise in vergleichbarer Form Erich Gutenberg zur wissenschaftlichen Begründung der Betriebswirtschaftsleh-re vorgenommen hat. Dirk Baecker arbeitet heraus, wie Erich Gutenberg die Organisation als perfekt operierende Maschine voraussetzt, um auf Basis dieser Komplexitätsreduktion betriebswirtschaftliche Komplexität aufzubauen (Baecker 2003, 9ff.). Es geht Gutenberg dabei um die Anwendung eines rein betriebswirt-schaftlichen Kalküls und um die „Ausklammerung der Organisation“. Dirk Bae-cker legt die Freiräume dar, die sich mit diesem heuristischen Schritt erschließen lassen. Die Selbstbeschränkung auf das ökonomische Kalkül eröffnet Gutenberg die Möglichkeiten zur Begründung eines wissenschaftlichen Forschungspro-gramms. Im Falle von Basel I geht es nicht um ein Problem der Wissenschaft. Wohl aber ist die Strategie der Ausklammerung mit dem Vorgehen Gutenbergs

400 Siehe dazu im Papier auf den Seiten 18 und 19. Auch an dieser Stelle finden sich Begründungsfi-guren sachlicher und sozialer Art, die wir bereits vergleichbar in der Einleitung des Textes ausge-macht haben. Da somit die Lesart an dieser Stelle nicht verändert wird, verzichten wir auf eine exten-sive Interpretation. 401 Den Begriff der „Finanzialisierung“ hat Thomas Haipeter für die Engführung von Beobachtungs-kontexten innerhalb von Banken eingeführt. Wir benutzen ihn hier in komplementärer Weise für die Beobachtung von Prozessen in Bankorganisationen durch die Aufsicht (Haipeter 2002, 126).

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vergleichbar. Der Text beschränkt sich auf das finanzökonomische Kalkül. Er verzichtet auf weitere (möglicherweise strittige) Aspekte und gewinnt damit die Möglichkeit einer Anschlussfähigkeit hinsichtlich seiner Implementierung.

Er gewinnt aber noch mehr. Mit der Fokussierung auf eine Zahl und eine Festschreibung der Methoden zur Errechnung erzeugt das Baseler Rahmenwerk in spezifischer Hinsicht eine Transparenz, die abweichende Prozesse – also nied-rigere Eigenkapitalquoten – unvermittelt als solche diskriminiert. Philipp Gen-schel und Thomas Plümper machen auf diese besondere Qualität des quantitati-ven 8-Prozent Ansatzes aufmerksam. Mit dem Baseler Akkord ließ sich nicht allein die Einhaltung bzw. Missachtung des Eigenkapitalstandards eindeutig feststellen. Zudem konnten nun auch die Eigenkapitalquoten international ope-rierender Banken untereinander verglichen werden (Genschel/Plümper 1996, 28). Die Form der Quantifizierung als regulatorisches Instrument des Staates genießt dabei keinesfalls Exotenstatus, wie sich an einer Feststellung Niklas Luhmanns nachvollziehen lässt:

„Sehr häufig dienen dem politischen System quantitative Bestimmungen dazu, den eigenen Informationsverarbeitungsprozess auszudifferenzieren und die Umweltsen-sibilität von innen her zu regulieren. (...) Voraussetzung ist nur die interne Einrich-tung bistabiler Formen, das heißt: Formen, die zwei Zustände diskriminieren die sich wechselseitig ausschließen und gleichwohl beide Ausgangspunkte bieten für die weiteren Operationen der Autopoieses des Systems“ (Luhmann 1991b, 23).

Es zeigt sich somit, dass der von Basel I ins Spiel gebrachte Regulierungsmodus nicht allein räumlich – mit Blick auf viele nationalstaatliche Segmente – auf-grund seines Entstehungsprozesses über ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit verfügte. Auch sachlich – mit Blick auf das politische System und seine Pro-grammierung als solches – erwies sich der Baseler Akkord aufgrund seiner the-matisch/operativen Ausgestaltung als anschlussfähig. Bereits in Abschnitt 5.1 hatten wir ausgeführt, wie der Ausbau nationalstaatlicher Verwaltungsorgane zahlenbasierte „Analyseformen und Wissensarten“ nach sich zog. Die Objekti-vierung sozialer Prozesse über Formen der Messung und Quantifizierung ist – wie Theodore Porter konstatiert – nicht allein ein Ideal der Wissenschaft, son-dern auch eines der Politik (Porter 1995, 74). Von Bettina Heintz gilt es zwar an dieser Stelle das Argument zu bedenken, dass Zahlen zunächst (noch) auf eine „Außenwelt“ verweisen, die erst über Messung erschlossen wird (Heintz 2007, 66). Die Legitimität von Messungen setzt somit auch „die Standardisierung der Maße, Messinstrumente und Messbedingungen“ (Heintz 2007, 69) voraus. Aber auch an dieser Stelle kann der Baseler Akkord mit seiner Orientierung an der Bilanz auf ein Medium verweisen, das in einer (finanz-)ökonomischen Betrach-

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246 Paradigmen

tung das Maß aller Dinge darstellt.402 In dieser Kombination entfaltet der quanti-tative Regulierungsmodus des ersten Baseler Akkords eine Leistungsfähigkeit, die mit Blick auf die spezifische Problemstellung mit der ‚Lösungskompetenz’ symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien vergleichbar ist.403 Damit limitieren sich die Ablehnungsoptionen zu Basel I in einer weiteren, abstrakteren Hinsicht. Es ist – allgemein gesprochen – die gesellschaftliche Zahlen- und For-melgläubigkeit, die auf die Implementierungsmöglichkeit unwahrscheinlicher internationaler politischer Rahmenwerke durchschlägt.404 Kapital und sein jewei-liger Stellenwert in der Bilanz markieren damit scheinbar die Grenzen der Wis-sensordnung. Andere finanzökonomische Risiken jenseits der Logik des Kredit-mechanismus fungieren als spezifisches Nichtwissen – ihre Bedeutung wird angedeutet, von ihrer Bearbeitung in diesem Zusammenhang jedoch abgesehen. Organisationale Aspekte – die wir in Abschnitt 2.2 theoretisch aufwarfen und in 6.2 unter dem Begriff des operationellen Risikos in der Empirie vorfanden – nehmen den Stellenwert als unspezifisches Nichtwissen ein. Selbst in Passagen, in denen ihre Erwähnung erwartbar wäre, erscheinen sie nicht einmal als Rand-notiz. Die reduktionistische Perspektive ermöglichte die extensive Wirkung des Regelwerkes. Auch dieses Charakteristikum ließ sich in dieser Form allein über den Ansatz Sequenzanalyse sowie die ausführliche Interpretation des Kapitalbeg-riffs und die entsprechenden Verweisungszusammenhänge herausarbeiten. Der Baseler Akkord fungierte schließlich nach seiner Implementierung als das Maß, nach welchem internationale Banken hinsichtlich der von ihnen ausge-henden Gefährdung für das internationale Bankensystem bewertet werden konn-ten. Das Regelwerk und der damit verbundene Geltungsanspruch lösten Verän-derungen im Bankensystem mit Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen der Kreditvergabe aus. Zugleich verschoben sich damit auch die Gewichte in der Politik. Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass der erste Baseler Akkord

402 Und auch hier lässt sich noch einmal Werner Sombart bemühen, der – mit einem allgemeineren Blick auf die doppelte Buchführung – argumentiert: „Die doppelte Buchhaltung ruht auf dem folge-richtig durchgeführten Grundgedanken, alle Erscheinungen nur als Quantitäten zu erfassen, dem Grundgedanken also der Quantifizierung, der all die Wunder der Naturerkenntnis zutage gefördert hat, und der hier wohl zum ersten Male in der menschlichen Geschichte in voller Klarheit zum tra-genden Gedanken eines Systems gemacht worden ist“ (Sombart 1928, 119). 403 In diesem Sinne interpretierte Bettina Heintz bereits die Ausführungen Theodore Porters zur Performativität von Quantifizierungsprozessen. Es ist dabei – so lässt sich Porter verstehen – der unpersönliche, objektivierende Charakter von Quantifizierungen, der die Akzeptanz, auch von un-wahrscheinlichen Kommunikationsofferten, ermöglicht (Heintz 2007, 65). 404 Siehe dazu beispielsweise bei Uwe Vormbusch, der im Anschluss an den „postmodernen Diskurs“ darauf hinweist, dass „Zahlenwissen“ als „härteste mögliche Form sozialen Wissens überhöht“ wird (Vormbusch 2004, 46).

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”changed the landscape of global banking and that the committee had established it-self as one of the leading organs of global financial governance“ (Wood 2005, 123).

Es sollte zehn Jahre dauern, bis das Baseler Komitee Prozesse für die Verände-rung der Eigenkapitalregeln einleitete, die von hervorgehobenen Beobachtern des damit zusammenhängenden Prozesses als “epochal” bezeichnet wurden.405

Diese veränderten Eigenkapitalregeln, denen wir uns im folgenden Abschnitt zuwenden werden, sind heute unter dem Begriff Basel II bekannt.

7.3 Die Regulierung der Organisation und ihrer Prämissen – Basel II

Gibt es eine Erklärung dafür, dass sich zehn Jahre nach Basel I bereits Verände-rungen abspielten, die als „epochal“ bezeichnet werden (können)?

„Ich denke, dass die Notwendigkeit, an den jetzigen, also an den Basel I-Regeln was zu machen – das ist breiter Konsens Ende der 90er Jahre da gewesen. Die Regeln von 88, also das Regelwerk ist einfach aufgrund der Entwicklungen im Finanzsektor überholt gewesen. Das ist allgemein anerkannt – sowohl von Seiten der Kreditwirt-schaft, als auch von Seiten der Aufsicht. Insofern war der Handlungsbedarf unstrei-tig“ (050222).

Diese Einschätzung eines deutschen Bankaufsehers406 deckt sich mit Positionen, die auch in der Literatur zu finden sind.407 Vor allem die Entwicklungen im Ge-schäft mit den so genannten neuen Finanzinstrumenten, die nicht in den Bilanzen der Bank ausgewiesen sind, aber dennoch ihre Risikosituation merklich beein-flussen, werden an dieser Stelle als ein bedeutsamer Faktor genannt (Strulik 2000, 219f.). Die Bedeutung von Risiken jenseits des reinen Kreditmechanismus stellt dabei einen Aspekt dar, der bereits vor Basel I weder unbekannt noch un-benannt blieb – man denke an die Papiere, die das Komitee seit seiner Entste-hung verfasst. Die Bedeutung dieser Risikoformen trifft sich mit den Analysen, die wir in Kapitel 5 zu den gesellschaftlichen Diskontinuitäten durchführten. Basel I blendete zwar dann – wie wir zeigten – einen großen Teil dieser Aspekte

405 So die Bezeichnung von Edgar Meister, dem damaligen Mitglied des Bundesbank-Direktoriums und Vorsitzenden des Ausschusses für Bankenaufsicht des Europäischen Systems der Zentralbanken (Handelsblatt 1999). 406 Bei diesen und den noch folgenden Interviewpassagen wurden Daten verwendet, die im Rahmen des in der Einleitung erwähnten Projekts in Deutschland und den Vereinigten Staaten erhoben wur-den. 407 Siehe zum Beispiel aus Perspektive der Finanzwissenschaften bei Hermann Schulte-Mattler (Schulte-Mattler 1999, 530) oder auch bei Marc Saidenberg und Til Schuermann (Saiden-berg/Schuermann 2003, 4).

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aus. Auf einer anderen eher unverbindlichen/informativen Ebene trieb das Base-ler Komitee diese Themen jedoch weiter voran. Das Papier „Risks in computer and telecommunication systems“ (BCBS 1989), welches im Jahr 1989 veröffent-licht wurde, ist nur ein Beispiel dafür.408 In diesem Dokument widmet sich das Baseler Komitee ausgiebig den organisationalen/operationellen Aspekten von Kreditinstituten und gesteht damit implizit zu, dass Stärke und Stabilität des Bankensystems auch von Kategorien jenseits des Kreditrisikos abhängen dürfte.

Aber auch mit Blick auf den Akkord selbst zeigten sich bereits frühzeitig Hinweise dafür, dass Basel I vielleicht einen Meilenstein, aber dafür keine argu-mentative ‚Demarkationslinie’ gegenüber einer Implementierung neuer Auf-sichtsformen auf internationalem Level darstellte.409 Im Jahre 1991 veröffent-lichte das Baseler Komitee bereits das erste so genannte “Amendment of the Basel capital accord in respect of the inclusion of general provisions/general loan-loss reserves in capital“ (BCBS 1991). Thematisch und hinsichtlich seiner Argumentationslogik kann dieses Papier in der Kontinuität der Vereinbarung von 1988 gesehen werden. So zielte es – wie explizit angemerkt – darauf ab, weitere Konvergenz zu erreichen und zugleich durch definitorische Veränderungen die Qualität des Eigenkapitals zu verbessern (BCBS 1991, 1). 1994 wartete das Ba-seler Komitee mit zwei Amendments auf, die Ergänzungen zum Akkord von 1988 darstellten.410 Im Jahr 1996 kommt es zur Publikation des “Amendment to the capital accord to incorporate market risks” (BCBS 1996). Dieses Papier kommunizierte Stabilität und Wandel zugleich. Es stellte sich in den Zusammen-hang des Baseler Akkords und wies zugleich über ihn hinaus. Es rekurrierte auf die Kapitallogik und modifizierte zugleich die Verfahren der Kapitalunterlegung in grundsätzlicher Weise. Mit diesem Papier begann der Baseler Akkord das vormals spezifische Nichtwissen (hierzu zählten dann beispielsweise die Markt-risiken) zum Thema für eine angemessene Eigenkapitalausstattung zu machen. Es schuf die Bedingungen dafür, nun erstmal auch Risikokontexte außerhalb der

408 Ein weiteres wichtiges Beispiel ist ein Papier mit dem Titel „Core Principles for Effective Ban-king Supervision“ aus dem Jahr 1997, in welchem interne Strukturmerkmale und Stellenbesetzungen aber auch die konkrete Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden wichtige Themen darstel-len (BCBS 1997). 409 Bereits der Begriff des Meilensteins verdeutlicht dies. Meilensteine dienen zur Markierung von Zwischenschritten, nicht aber für das Anzeigen von Endpunkten. Nehmen wir den Begriff der Wis-sensordnung und die kognitiven Qualitäten von Wissen ernst, so sind diese Umstellungen alles andere als überraschend. Schließlich erleidet ‚Wissen’ im Laufe der soziokulturellen Entwicklung das Schicksal, von anderem Wissen abgelöst zu werden, das gesellschaftlich als adäquater beobachtet wird.410 Dabei handelte es sich um ein Papier aus dem Monat Juli mit dem schlichten Titel “Amendment to the Capital Accord of July 1988“ (BCBS 1994a), sowie um ein Papier aus dem Dezember mit dem Titel. Basel Committee: Amendment to the 1988 Capital Accord Recognition of Collateral“ (BCBS 1994b). In beiden Fällen ging es allein um die Modifizierung einzelner Formulierungen.

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engen Logik des Kreditmechanismus in systematischer und supranational koor-dinierter Weise auszuleuchten.411 Sollte sich diese Form der Ausweitung des Fokus in Basel II fortsetzen und tatsächlich die Genese eines veränderten ban-kaufsichtlichen Paradigmas befördern, das gegenüber dem Konkordat aber auch gegenüber Basel I eine neue Qualität aufwies? Dieser Frage wollen wir uns im Folgenden unter Bezugnahme auf das Abschlussdokument von Basel II (BCBS 2004a) zuwenden. Dabei interessiert vor allem, wie sich der Selektionsraum von Basel II gegenüber Basel I veränderte. Es gilt zu klären, inwieweit der Wissens-ordnung, die Basel I zum Ausdruck brachte, durch eine neue Ordnung abgelöst wurde, die sich durch neue Sinnselektionen und damit die Konstitution neuer Sinngrenzen auszeichnet. Beginnen wir dazu im nächsten Abschnitt – gemäß unserer methodischen Ansprüche – mit dem Titel:412

7.3.1 Basel II – Titel und „Einleitung“

„Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforde-rungen. Überarbeitete Rahmenvereinbarung“

Setzen wir diese Überschrift zu der des ersten Baseler Akkords in Beziehung, so verspricht sie keineswegs die Genese eines neuen Paradigmas. Die Überschrift suggeriert stattdessen Kontinuität. Dem wortgleichen Titel413 ist lediglich ein Zusatz beifügt, der auf eine Überarbeitung hinweist. Grundlage für das folgende Papier ist – so lässt sich hier vermuten – der Akkord von 1988. Es folgen wie 1988 die Unterüberschrift der Einleitung und dann der folgende Texteinstieg:

„1. Dieser Bericht präsentiert die Ergebnisse der vom Baseler Ausschuss für Ban-kenaufsicht („der Ausschuss“) über die letzten Jahre getätigten Arbeiten zur Sicher-stellung der internationalen Annäherung bei der Überarbeitung bankenaufsichtlicher Regelungen zu den Eigenkapitalanforderungen international tätiger Banken.“

Die Eingangsequenzen von Basel I und diesem Text gleichen sich also nahezu im Wortlaut. Es ist wiederum der Aspekt der bankenaufsichtlichen Regelungen

411 Siehe dazu noch einmal bei Duncan Wood (Wood 2005, 23-28). 412 Zwar ließen sich an dieser Stelle auch Bemerkungen über die veränderte Aufbereitung wie unter anderem das Inhaltsverzeichnis oder auch das Deckblatt machen. Da wir es jedoch in beiden Fällen mit den Veröffentlichungen von Übersetzungen zu tun haben, verzichten wir auf die Analyse dieser Formalia und beschränken uns auf die Textstruktur als solche. 413 In der deutschen Übersetzung haben wir es zwar mit einem weiteren Artikel vor dem Begriff der Eigenkapitalanforderungen zu tun. Dies scheint jedoch allein stilistischen Kriterien geschuldet, ist der Titel doch im Englischen Original identisch.

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zu den Eigenkapitalanforderungen von international tätigen Banken, der hier thematisiert wird. Allein der Begriff der „Sicherstellung“ tauchte im ersten Rah-menwerk nicht auf, womit für das folgende Papier eine stärkere Fokussierung auf Aspekte der Stabilisierung einer bereits erreichten Annäherung erwartet werden darf. Auch im Weiteren zeigen sich starke Parallelen zwischen den Pa-pieren. Dies gilt zum einen für den aufgezeigten Adressatenkreis, der sich primär aus den G10 Staaten zusammensetzt, aber im Weiteren auch Aufsichtsorgane außerhalb dieses Kreises adressiert. Basel II unterliegt somit diesbezüglich einer vergleichbaren Expansionsdynamik wie Basel I. Zum zweiten unternimmt das überarbeitete Rahmenwerk aber vor allem auch ähnliche Anstrengungen der Relevanzmarkierung und Legitimitätsbekundung wie der erste Akkord. Es prä-sentiert sein argumentatives Gewicht in der Sozialdimension, indem es auf die Zustimmung der Mitglieder und der Zentralbankgouverneure der G10-Staaten verweist. Es schildert das langjährige Procedere der Regelfindung, das die Be-deutsamkeit unter Bezugnahme auf die Zeitdimension unterstreicht. Und es ar-gumentiert für sich mit Blick auf die Sachdimension, indem es nun – und hier geht es sogar einen Schritt weiter als Basel I – auf so genannte „quantitative Auswirkungsstudien“ hinweist, mit denen die sachliche Richtigkeit des folgen-den Rahmenwerkes betont wird.

Basel II erwartet also, eine ähnliche Form der Relevanzmarkierung und Le-gitimitätsbekundung dem Regulierungswerk voranstellen zu müssen. Gerade diese Kontinuität in der Teststrategie lässt aber nun auf eine Diskontinuität ge-genüber dem Text von 1988 schließen. Handelte es sich um ein Dokument im Anschluss an Basel I – es könnte an dieses Rahmenwerk anschließen und die dort bereits aufbereiteten Legitimitätsmuster in Anspruch nehmen. Eine solche Form des kommunikativen Anschlusses zeigt sich im Rahmen der bereits ange-sprochenen „Amendments“ aus den Jahren 1991, 1994 und 1996. Diese kommen ohne weit gefasste Einleitungen dieser Art aus. Bereits zu Beginn realisieren sie einen Zusammenhang zum Baseler Akkord von 1998 und stellen sich damit formal in die Kontinuität dieses Rahmenwerks.414 Basel II aber – so lässt sich

414 So heißt es in der Eingangssequenz der Amendments von 1991 lapidar: ”Banking supervisors in the Group of Ten countries, with the approval of their central-bank Governors, have agreed to im-plement the attached changes to the Basle Capital Accord of July 1988.“ Im ersten Amendment von 1994 ist zu lesen: ”The Basle Committee on Banking Supervision, with the approval of the Gover-nors of the central banks of the Group of Ten countries, and subject to such national consultation as may be necessary in member countries, intends to introduce the following amendments to the Basle Capital Accord in 1995. The exact date of implementation will be announced after any such consulta-tion has taken place“ (BCBS 1994a). Ähnlich direkt das Amendment aus dem Dezember desselben Jahres: VThe following sections of the 1988 Capital Accord have been amended to broaden the recognition of collateral to include claims collateralised by securities issued by OECD non-central government public-sector entities (amendments noted in bold print)“ (BCBS 1994b). Schließlich

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erwarten – wartet im Folgenden mit Vorschlägen auf, die einen eigenen Status für sich beanspruchen oder beanspruchen müssen. Demgemäß formuliert der Text eigene Zielsetzungen:

„4. Das fundamentale Ziel der Arbeit des Ausschusses bei der Revision des Akkords von 1988 war es, eine Rahmenvereinbarung zu entwickeln, die eine weitere Stär-kung der Solidität und Stabilität des internationalen Bankensystems unter Beibehal-tung hinreichender Konsistenz dahingehend sicherstellt, dass die Kapitaladäquanz-regelungen keine wesentliche Quelle für Wettbewerbsverzerrungen zwischen inter-national tätigen Banken sein werden.“

In dieser Sequenz zeigt sich, dass das Baseler Komitee – von syntaktischen Um-stellungen abgesehen415 – an den Zielsetzungen des Baseler Akkords festhält. Es sind wiederum die marktregulierende sowie die marktschaffende Form der Regu-lierung die hier benannt wird, die aber – nun in einem Satz noch enger verbun-den – möglicherweise stärker verzahnt werden. Wir haben es so mit einem Text zu tun, der einerseits einen eigenen Status für sich beansprucht, andererseits mit Blick auf das „fundamentale Ziel“ keine qualitativ neuen Gesichtspunkte ein-führt. Er muss nun im Folgenden klären, warum er die Nennung langer Beratun-gen, die Zustimmung politischer Autoritäten sowie die Initiierung von Auswir-kungsstudien für notwendig erachtet, wenn es doch – wie bis zu diesem Zeit-punkt erwartet werden darf – um nichts anderes geht, als um die Fortführung von Basel I.

Der Rekurs auf „Management“ – erste Differenzen zum ersten Baseler Akkord

„Der Ausschuss glaubt, dass die überarbeitete Rahmenvereinbarung die Anwendung besserer Risikomanagementpraktiken durch den Bankensektor fördern wird und sieht darin einen ihrer bedeutendsten Vorteile.“

Mit dieser Äußerung offenbart sich eine erste Differenz zwischen Basel I und Basel II. Der Begriff der „Risikomanagementpraktiken“ bringt einen inhaltlichen Aspekt ins Spiel, der im gesamten Rahmenwerk von 1988 nicht einmal Erwäh-

beginnt auch das Amendment von 1996 gewissermaßen mit einem ‚Kaltstart’. Hier beginnt die ”Introduction“ wie folgt: ”1. As from the end of 1997, or earlier if their supervisory authority so prescribes, banks will be required to measure and apply capital charges in respect of their market risks in addition to their credit risks“ (BCBS 1996, 1). 415 An dieser Stelle ist zwar auch ein terminologischer Unterschied zu bemerken. Der erste Baseler Akkord spricht von „Bonität“, in dem vorliegenden Text ist von „Solidität“ die Rede. Diese Unter-scheidung verdankt basiert jedoch allein dem Umstand einer schlampigen Übersetzung. In beiden Fällen ist im Original von „Soundness“ die Rede, die Verwendung unterschiedlicher Begriffe ist in diesem Kontext schlicht als unerfreulich zu bezeichnen!

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nung fand. Er stellt Anschlussmöglichkeiten bereit, die über die Basel I-Terminologie hinausgehen. Für Basel I standen allein die Kapitalmessung und dabei die Festlegung von Kapitalwerten im Zentrum. Mit dem Begriff des (Risi-ko-)Managements könnte diese Engführung aufgegeben sein. ‚Management’ bezeichnet üblicherweise einen Prozess oder auch zweckgerichtete Operationen, mit denen „unter Nutzung von Ressourcen erwünschte oder geplante Ergebnisse erzielt werden oder erzielt werden sollen.“416 Die Ideale der Objektivierbarkeit und Vergleichbarkeit, mit welchen der Begriff der „Messung“ konnotiert ist, sind im Falle des „Managements“ nicht unbedingt gegeben, auch, wenn die Manage-mentlehre in ihren Anfängen allgemeine, wissenschaftliche Grundlagen für sich proklamierte.417

So lassen sich Anzeichen dafür ausmachen, dass im Folgenden eine Aus-weitung des Selektionsraums, zur Erweiterung der reinen Kapitallogik von Basel I kommt. Der Text nährt damit zusammengenommen die Erwartung, dass nicht mehr allein die finanzielle Ausgestaltung von Organisationen im Kontext der Kreditvergabe als Zustand im Fokus des folgenden Textes steht. Der Terminus der ‚Praktiken’ unterstreicht schließlich die Lesart, dass mit der Implementierung von Basel II eine Veränderung der operativen Ebene in Organisationen erwartet wird. Mit Bewertung des „Vorteils“ stellt diese Passage schließlich noch explizit eine Verknüpfung zum Akkord von 1988 her. Ein ‚Vorteil’ impliziert immer den Vorteil gegenüber etwas anderem, beispielsweise gegenüber einer Entschei-dungsalternative, oder aber dem Status quo. Da zu Basel II keine alternativen Vorschläge zur Solidität und Stabilität des internationalen Bankensystems be-kannt sind, kann es nur um Vorteile gegenüber dem Status quo und damit gegen-über dem 1988er Standard gehen.

Die Form, in welcher diese (neuen) Aspekte an dieser Stelle positioniert sind, unterscheidet sich jedoch von klassischen politischen und rechtlichen Tex-ten. Die „Anwendung besserer Risikomanagementpraktiken“ erscheint im Fol-genden nicht als alternativlose Vorschrift, die im Falle von Abweichungen Sank-tionen folgen lässt. Stattdessen wird sie als begrüßenswerte Möglichkeit, die über das Rahmenwerk erreicht wird, eingeführt. Basel II schreibt somit zwar – das wäre die naheliegendste Lesart – keine bestimmten Risikomanagementprak-tiken vor.418 Dafür aber stellt das Regelwerk eine Quelle produktiver Irritation dar, durch welche Veränderungsprozesse ausgelöst werden (können). Woher jedoch schöpft der Ausschuss seinen Glauben? Darauf dürften wir im weiteren Verlauf eine Antwort erhalten.

416 Diese Definition ist dem Online-Wörterbuch „Wikipedia“ entnommen. 417 Hier ist beispielsweise an die Arbeiten Frederick Taylors zu denken (Taylor 1977).418 Auch der Begriff des Glaubens ist an dieser Stelle eigentümlich. Wer ein „glauben“ im Sinne von „meinen“ thematisiert, kommuniziert einen Erkenntnisanspruch, den er nicht einlöst.

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„Der Ausschuss merkt an, dass Banken und andere Interessengruppen in ihren Stel-lungnahmen zu den Vorschlägen, deren Konzeption und den vernünftigen drei Säu-len Ansatz (Mindestkapitalanforderungen, aufsichtlicher Überprüfungsprozess und Marktdisziplin), auf dem die überarbeitete Rahmenvereinbarung aufgebaut ist, be-grüßt haben.“

Mit dieser Passage unternimmt der Text – nach unserer bereits herausgestellten Lesart nicht weiter überraschend – einerseits eine Relevanzmarkierung in Sozial- und Sachdimension, wie wir sie auch beim Rahmenwerk von 1988 beobachten konnten. Interessanter noch ist jedoch andererseits die mitkommunizierte Infor-mation, die Rahmenvereinbarung sei auf einem „vernünftigen drei Säulen An-satz“ aufgebaut. Damit gibt das Papier an dieser Stelle in einem Nebensatz einen Einblick in die Struktur des zu erwartenden Konzepts. Eine solche Binnendiffe-renzierung erschien im Fall von Basel I nicht notwendig. Auch wenn das Kon-zept in diesem Papier in verschiedene Teile gegliedert war, folgte es einer linea-ren Struktur und kam ohne eine Unterteilung in Säulen aus.

Der Begriff der Säule – zur ‚Architektur’ des überarbeiten Rahmenwerks

Mit der Begrifflichkeit der „Säule“ nimmt das Papier hier eine andere Weichen-stellung vor. Auch wenn der Gesamtbericht linear gebaut zu sein verspricht: Das regulatorische Konzept, „auf dem die überarbeitete Rahmenvereinbahrung auf-gebaut ist“, scheint drei unabhängige Teile zu beinhalten, die jeweils für sich und nicht in einer Reihenfolge zu betrachten sind. Diese Erwartung lässt sich formu-lieren, wenn wir die Metapher der Säule ernst nehmen: Säulen bauen nicht auf-einander auf. Sie stehen nebeneinander – und dies jede für sich. Damit erhellt sich ein zweites Charakteristikum, welches erwartet werden darf, wenn von ei-nem „Drei-Säulen-Ansatz“ die Rede ist. Auch wenn Säulen gemeinsam eine bestimmte Horizontale stützen, kommen sie üblicherweise ohne Querverzwei-gungen, ohne Streben zu anderen Säulen aus. Konsequent gedacht bedeutete dies: „Mindestkapitalanforderungen“, „aufsichtlicher Überprüfungsprozess“ und „Marktdisziplin“ tragen zwar gemeinsam die überarbeitete Rahmenvereinbarung. Sie stellen jedoch konzeptionell jeweils geschlossene Komponenten ohne Refe-renz auf die anderen Säulen dar. Schließlich verspricht eine Anordnung von Säulen einen egalitären Status zwischen den einzelnen Säulen. Sofern nicht ex-plizit von „tragenden Säulen“ und dann implizit von anderen „nicht-tragenden“ Säulen die Rede ist, kann davon ausgegangen werden, dass keine Säule wichtiger als die andere(n) ist. Mindestkapitalanforderungen, aufsichtlicher Überprüfungs-prozess und Marktdisziplin erfüllen somit in der vorliegenden Konzeptarchitek-tur ihre jeweilige Funktion, ohne, dass ein hierarchisches Verhältnis zueinander bestände. Entgegen einer Interpretation der Säulenterminologie in der hier ausge-

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führten Form lässt sich jedoch auch eine andere Lesart des Textes herausarbei-ten, die auf eine andere Anschlussselektion hindeutet: So mutet es eigentümlich an, dass das gesamte Papier in seinem Titel mit dem Begriff der Eigenkapitalan-forderungen in inhaltlicher Hinsicht lediglich auf die erste Säule, die Mindestka-pitalanforderungen verweist. Auch in einer weiteren Hinsicht lässt sich – abwei-chend von unseren obigen Ausführungen – für die erste Säule ein besonderer Status vermuten, ermöglicht ihre Titulierung doch deutliche Verknüpfungen zum Titel sowie zur gesamten Terminologie des ersten Baseler Akkords. Schließlich stellten dort Mindestkapitalanforderungen mit Blick auf das Eigenkapital bei der Kreditvergabe das zentrale Thema dar. Von einem „aufsichtlichen Überprü-fungsprozess“ sowie von „Marktdisziplin“ war dagegen keine Rede. Geht Basel I also in der ersten Säule auf und enthalten im Umkehrschluss die zweite und dritte Säule die Neuerungen, die den Status einer neuen Wissensordnung recht-fertigten? Und welche Bedeutung hätte dies für die Leitidee von Basel I, die Konvergenz von Regeln der Bankenregulierung auf supranationaler Ebene?

„Im allgemeinen haben sie ihre Unterstützung zur Verbesserung der Kapitalregeln unter Berücksichtigung der Veränderungen im Bankbetrieb und den Risikomanage-mentpraktiken sowie der gleichzeitigen Bewahrung der Vorteile einer Rahmenver-einbarung, die so gleichmäßig wie möglich auf nationaler Ebene angewendet werden kann, zum Ausdruck gebracht.“

Der Text lässt hier bereits erkennen, dass weiterführende Konvergenz nicht un-bedingt das zentrale Charakteristikum darstellt. Benannt wird eine „Verbesse-rung der Kapitalregeln“. In welcher Hinsicht diese Regeln nun „besser“ sind, lässt sich aus dieser Passage noch nicht erschließen. Wohl aber werden mit den „Veränderungen im Bankbetrieb“ und den „Risikomanagementpraktiken“ zwei Bezugspunkte genannt, an denen sich die Verbesserungen orientierten. Wieder-um taucht also der Begriff des „Risikomanagements“ auf, zudem wird mit dem Ausdruck „Bankbetrieb“ ein neuer Terminus eingeführt, der auf ein Themenfeld verweist, welches ebenfalls in der bilanzzentrierten Perspektive von Basel I kei-nen Platz fand. Es ist so zum zweiten Mal die operative Ebene von Bankorgani-sationen, die mit dem Begriff des Bankbetriebs in das Rahmenwerk eingeführt sind – und auch diesbezüglich sind wiederum vielfältige Anschlüsse denkbar. Schließlich umfasst der Bankbetrieb – geht man von der Bankbetriebslehre als der reflektierenden Beschreibung der damit zusammenhängenden Aspekte aus – nicht allein das Kreditgeschäft sowie den Handel mit weiteren Produkten. Er erstreckt sich – wie wir bereits früher theoretisch herausarbeiteten – eben auch

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auf die Ablauforganisation eines Kreditinstituts und damit auf Aspekte jenseits der rein bank- und finanzsystemischen Logik.419

Derartige Aspekte sind an dieser Textstelle zwar nicht als Objekt der Regu-lierung ausgewiesen, wie dies weiter oben in defensiver Form mit Blick auf Risikomanagementpraktiken der Fall gewesen war, sondern fungieren eher als Impuls für Regulierungsbemühungen. Aber auch dafür gilt es zu klären, in wel-cher Weise auf die dargestellten „Veränderungen“ reagiert wird. Noch ist offen, wie nun eine Verbesserung der Kapitalregeln vorzustellen ist. Der Text muss klären, welche Beziehung zwischen „Kapitalregeln“ und „Veränderungen im Bankbetrieb und den Risikomanagementpraktiken“ aufgespannt wird. Die For-mulierung einer „gleichzeitigen Bewahrung der Vorteile einer Rahmenvereinba-rung, die so gleichmäßig wie möglich (...) angewendet werden kann“, macht deutlich, dass Verbesserung nicht im Sinne einer weiteren Konvergenz verstan-den werden kann. Konvergenz, die evolutionäre Errungenschaft von Basel I, soll bewahrt werden, trotz der Verbesserungen von Kapitalregeln. Eine derartige Beschwichtigung an dieser Stelle lässt erwarten, dass gerade dies bezweifelt werden könnte. Es ist der folgende, fünfte Abschnitt in welchem diese Modifi-zierung von Konvergenzkriterien dann zur Sprache kommt.

Der ‚Impact’ neuer Verfahren – zum Spannungsfeld von Risikosensitivität und Konvergenz

„5. Beim Entwickeln der überarbeiteten Rahmenvereinbarung hat der Ausschuss versucht, zu wesentlich stärker risikosensitiveren Kapitalanforderungen zu kommen, die konzeptionell solide sind und gleichzeitig besondere Merkmale der bestehenden Aufsichts- und Rechnungslegungssysteme in den einzelnen Mitgliedsstaaten berück-sichtigen.“

Zunächst unterstreicht diese Textstelle in ihrer ersten Zeile noch einmal: Basel II ist als Werk mit eigenem Status, nicht als ein bloßes Update des Akkords von 1988 zu verstehen. Das Rahmenwerk, so wird hier erstens formuliert, wurde (für sich) ‚entwickelt‘. Zweitens erscheint an dieser Stelle der Begriff „überarbeitete Rahmenvereinbarung“ als eigener Term, weniger als schlichtes Attribut mit Verweis auf das erste Papier. Dieser Formulierung nach ist zusammengenommen zu erwarten: Es wurde keine bestehende Rahmenvereinbarung überarbeitet. Stattdessen wurde eine „überarbeite Rahmenvereinbarung“ entwickelt.

419 Siehe dazu unter theoretischen Gesichtspunkten noch einmal in Abschnitt 1.2.2, sowie im Über-blick in dem bereits wiederholt zitierten Band von Hans Büschgen und Christoph Börner (Büsch-gen/Börner 2003).

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Zudem erhalten wir einen ersten Hinweis darauf, in welcher Hinsicht die Idee der Konvergenz aus Basel I eine Modifizierung erfährt. Mit der Äußerung des Versuches zu „risikosensitiveren Kapitalanforderungen zu kommen“, wird auf diese Veränderung hingedeutet. Die Sensitivität, die Basel I bisher aufbrachte, erschöpfte sich zum einen darin, für jeden Kredit eine Eigenkapitalquote von 8 Prozent bereitzuhalten. Darüber hinaus lässt sich nun eine Sensitivität in Bezug auf die Variabilität beim „ergänzenden Eigenkapital“ (s.o.) beobachten. Für das folgende Konzept ist an dieser Stelle noch nicht ersichtlich, in welcher Form nun ein risikosensitiveres Konzept zu erwarten ist. Auf Basis der von uns durchge-führten Argumentation ließen sich zwei Möglichkeiten als besonders erwartbar denken. Dabei handelt es sich erstens um die Einführung von Modellen, die – nach welchen Kriterien auch immer – das Risiko von Krediten ermitteln, um danach eine entsprechend bereitzuhaltende Kapitalquote anzuzeigen. Bereits in den Amendments von 1996 wurden derartige Modelle für den Bereich der Marktrisiken eingeführt. Es ist nicht mehr allein der statistische Durchschnitts-wert, nach welchem sich Kapitalausstattung bemisst. Somit eröffnet sich nun zwar ein stärkerer Bezug zu wissenschaftlichen/ wissenschaftsbasierten Metho-den. Das zentrale Beobachtungskalkül ist in einem solchem Fall jedoch weiterhin die ‚Messung’, auch, wenn nicht mehr die Bilanz und damit Ökonomie und Recht den einzigen Bezugspunkt für diese Objektivierungsprozesse darstellen.

Die zweite Möglichkeit, die die erste aber auch nicht ausschließt, bestände darin, dass eine Fokuserweiterung vorgenommen wird. Schließlich ist hier von „risikosensitiveren“ und nicht von kreditrisikosensitiveren Verfahren die Rede, was die Option bereithält, im Folgenden über die Dimension des Kreditrisikos hinauszugehen. Auch für diese Modifizierungsform ist das Amendment von 1996 ein nennenswertes Beispiel, wird doch mit ihm erstmals die Beschäftigung mit anderen Risikoformen – nämlich die Beschäftigung mit Marktrisiken – un-ternommen. Nehmen wir die möglichen Risikoformen, die wir in Abschnitt 6.2 darlegten, zum Maßstab, so ließen sich eben noch weitere Risikokategorien den-ken, deren Einbeziehung die Sensitivität erhöhten. Somit stellt sich die Frage, in welcher Form hier Risikosensitivität für das folgende Konzept erwartet werden darf und welche Qualität diese Risikosensitivität besitzt. Beide genannten For-men sind dabei Möglichkeiten, über deren Realisierung wir an dieser Stelle des Textes noch nichts sagen können.

Auch der zweite Teil dieses Absatzes klärt über diese Frage nicht auf, wenngleich hier bereits Kontingenz reduziert wird. Die Berücksichtigung von „Aufsichts- und Rechnungslegungssystemen in den einzelnen Mitgliedsstaaten“ schränkt schließlich in einer weiteren Hinsicht ein. Vor allem die Kategorie der Aufsichtssysteme bindet das Konzept an politisch-/rechtliche Pfadabhängigkei-ten und schränkt damit das Potential einer Risikosensitivität nach wissenschaftli-

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chen und damit vermeintlich objektiven Gesichtspunkten ein. In dieser Hinsicht weist die Form der Risikosensitivität deutliche Parallelen zum Basel I-Ansatz auf. In Kongruenz dazu steht auch die folgende Passage:

„Der Ausschuss hält ferner an Schlüsselelementen der Eigenmittelvereinbarung von 1988 fest, eingeschlossen die allgemeine Anforderung für Banken, Eigenkapital in Höhe von mindestens 8 % ihrer gewichteten Risikoaktiva zu halten; die Grundstruk-tur des Marktrisikopapiers von 1996 zur Behandlung der Marktrisiken; und die De-finition des haftenden Eigenkapitals.“

An dieser Stelle erfährt das Konzept der Rahmenvereinbarung eine Einbettung und damit eine weitere Form der Selektion: Die Behandlung der Kapitalmessung und Kapitalanforderungen in Basel II bedeuten – so äußert der Text hier – keinen Bruch mit bereits formulierten Konzepten. Wir können an dieser Stelle damit die Erwartung formulieren: Hinsichtlich der Behandlung des Kapitals stellt ‚Basel II’ sich selbst in die Kontinuität von Basel I und den später veröffentlichten A-mendments. Mit anderen Worten: Obwohl Basel II als Papier mit eigenem Status eingeführt wird, das das Prozedere der Entwicklung aber auch viele Hürden der Legitimitätsakkumulation hinter sich gelassen hat, verweist es hinsichtlich der Kapitalanforderungen auf Schlüsselelemente von Basel I. ‚Kapital’, seine ‚Mes-sung’ und ‚Anforderung’ avancieren somit an dieser Stelle zu Kontinuen, die beide Wissensordnungen überspannen. Es folgen nun im weiteren Text, dessen Ausdeutung wir hier nicht präsentieren, Konkretisierungen, in welcher Weise trotz eines Festhaltens an Schlüsselelementen vorangegangener Aspekte Neue-rungen zu erwarten sind. Der Text informiert zum einen über die „stärkere Be-rücksichtigung bankinterner Risikomessverfahren“ (BCBS 2004a 2). Er realisiert damit die erste Möglichkeit, die wir mit Blick auf eine erhöhte Risikosensitivität als möglich erachteten. Aber auch die zweite Option der Risikosensitivität, die wie aufgezeigt, eine Erweiterung des Fokus vorsieht, wird gewählt. Ein erstes Anzeichen dafür findet sich in Abschnitt 7:

„7. Die überarbeitete Rahmenvereinbarung stellt eine Reihe von Optionen zur Be-stimmung der Kapitalanforderungen für Kreditrisiken und operationelle Risiken be-reit, um Banken und Aufsehern die Auswahl der Ansätze zu ermöglichen , die für ihre Geschäfte und ihre Finanzmarktinfrastruktur am besten geeignet sind.“

Blicken wir auf diese Sequenz, so zeigt sich, dass eine erhöhte Risikosensitivität sich nicht in einer besseren Messung erschöpft, sondern mit ihr auch eine Aus-weitung des Messradius erfolgt. Mit dem Begriff der „operationellen Risiken“ kommt nun eine Risikokategorie ins Spiel, die im ersten Akkord keine Rolle spielte, ja nicht einmal dort Erwähnung fand. Was an dieser Stelle dabei als be-

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merkenswert erscheint, ist nicht allein der Umstand, dass nun „operationelle Risiken“ thematisiert werden. Vor allem ist erstaunlich, wie sie als relevante Kategorie eingeführt werden. Sie kommen hier unkommentiert zur Sprache, werden zugleich in Beziehung zum Begriff der Kapitalanforderungen und in eine Reihung mit den Kreditrisiken gesetzt. Es wird somit erwartet, dass weder der Begriff der „operationellen Risiken“, noch ihr Bezugspunkt zu Kapitalanforde-rungen oder auch ihr Verhältnis zur Kategorie des Kreditrisikos an dieser Stelle erläuterungs- und begründungsbedürftig sind.

Grundsätzlich verdichtet sich auf Basis dieser Passage nun die Annahme, dass im Folgenden veränderte Selektionsformen im Vergleich zum ersten Base-ler Akkord im Text zu erwarten sind. Nicht mehr allein die bankensystemische Logik des Kapitalbetriebs, die sich auf den Prozess der Kreditvergabe konzent-rierte, sondern auch weitere Ablaufprozesse der Organisation rücken in den Blickpunkt – und dies in scheinbar bruchloser Weise. Die dahinter liegende Ri-sikodimension wird in die Kapitallogik eingesponnen, in eine Reihe mit anderen Risiken gesetzt und damit – über das Medium des Geldes und die Objektivie-rungsprozesse der Mathematik – vergleichbar gemacht. Zum einen klärt diese Formulierung in der Sequenz nochmals unsere Hypothese zum Status dieser Einleitung, der mit dem der Einleitung aus Basel I vergleichbar ist (s.o.). Vor dem Hintergrund dieses impliziten Stils erscheinen nun jedoch zum anderen die Ausführungen im Abschnitt 11 umso bemerkenswerter:

„11. Der Ausschuss möchte auch die Notwendigkeit für Banken und Bankenaufsicht unterstreichen, der Säule 2 (aufsichtliches Überprüfungsverfahren) und der Säule 3 (Marktdisziplin) der überarbeiteten Rahmenvereinbarung angemessene Beachtung zu schenken.“

Mit dieser Passage offenbart der Text in unausgesprochener Weise den besonde-ren Status von Säule 1, für den wir ja bereits Anzeichen gefunden haben. Der Ausschuss erwähnt Säule 2 und 3. Auf eine Erwähnung der ersten Säule aber verzichtet er. Hier wird – anders gesprochen – eine angemessene Beachtung erwartet. Was bedeutet dies jedoch nun im Umkehrschluss für die Säulen 2 und 3? Ihr Status erscheint – so verdeutlicht die Stelle – keineswegs sicher; anders lässt sich diese Relevanzmarkierung nicht erklären.

Der Text erwartet also, dass eine „angemessene Beachtung“ nicht selbstver-ständlich ist, obwohl dem Regelwerk alle Zentralbankpräsidenten zugestimmt haben und selbst die Kreditwirtschaft „im Allgemeinen“ die Vorstellungen be-grüßte. Der englische Text – hier ist von „attention“ die Rede – belegt schließ-lich, dass „Beachtung“ an dieser Stelle nicht im Sinne von Befolgung, sondern im Sinne von Bemerkung, Registrierung gemeint ist. Thema ist daher an dieser Stelle nicht Annahme oder Ablehnung der damit verbundenen Äußerung. Statt-

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dessen wird schlicht befürchtet, dass die (kognitive) Aufmerksamkeit gegenüber den dort aufgeführten Aspekten kein angemessenes Maß erreicht. Es geht somit – abstrakter gesprochen – an dieser Stelle schlicht um die Erreichbarkeit von Kommunikation und das Verstehen der damit einhergehenden Kommunikations-offerten. Der Begriff des „unterstreichen“ wirkt dabei noch einmal verstärkend. Unterstrichen werden Dinge, die besonders wichtig sind, die aber in der Rede vielleicht überhört, bzw. im Text überlesen werden.

„Es ist entscheidend, dass die Mindestkapitalanforderungen der Säule 1 begleitet werden von einer konsequenten Anwendung der Säule 2, einschliesslich der Bemü-hungen von Banken zum Einschätzen ihrer Eigenkapitalausstattung einerseits und von Aufsichtsinstanzen zum Überprüfen dieser Einschätzungen andererseits. Des Weiteren wird die unter der Säule 3 dieser Rahmenvereinbarung geforderte Offenle-gung wesentlich sein, um zu gewährleisten, dass die Marktdisziplin eine wirkungs-volle Ergänzung der anderen beiden Säulen ist.“

Dieser Abschnitt verstärkt die oben genannte Passage. Ein bloßes „unterstrei-chen“ genügt an dieser Stelle nicht. Stattdessen sieht sich der Text vor die Auf-gabe gestellt, zudem noch eine Begründung zu liefern, die eine „angemessene Beachtung“ notwendig erscheinen lässt. An der Implementierung der ersten Säule in den nationalstaatlichen Regulierungssystemen dagegen scheint – auch dies zeigt diese Textstelle – wenig Sorge zu bestehen. Sie wird hier vorausge-setzt. Der Terminus des „begleiten“ spricht für unsere Lesart, welche wir bereits mit Blick auf die Säulenmetaphorik angesprochen hatten. So deutet „begleiten“ auf eine zeitliche Synchronisation zweier Abläufe hin, was für unseren Fall be-deutet: Die damit verbundenen Regulierungsaspekte können nicht nacheinander implementiert werden. Dass also erst die erste Säule und dann (irgendwann viel-leicht) die Säulen 2 und 3 in Angriff genommen werden, ist diesen Ausführun-gen nach nicht vorgesehen.

Erste Ergebnisse auf Basis einer Analyse der Einleitung

Fassen wir diese Aspekte an dieser Stelle zusammen, so lassen sich folgende Hypothesen mit Blick auf die Struktur des Rahmenwerkes formulieren, die sich unter Bezugnahme auf Gesichtspunkte der Kontinuität (1) und Diskontinuität (2)ordnen lassen.

(1) Basel II folgt einerseits den Selektionen, die Basel I als legitime Formen supranationaler Regulierungsstandards manifestierte. Es richtet sich an den glei-chen Adressaten – sowohl mit Blick auf die Regulierer als auch mit Blick auf die zu Regulierenden. Es proklamiert die gleichen Ziele, nämlich die Solidität und Stabilität des internationalen Bankensystems. Und es rekurriert schließlich auf

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das Modell der Eigenkapitalmessung und -ausstattung einzelner Institute. Dabei scheint vor allem für die so genannte Säule 1 eine enge Anbindung an bereits erreichte Regulierungsformen erwartbar. Ihre Beachtung und ihre Legitimation scheinen außer Frage zu stehen.

(2) Andererseits erzeugt der Text Erwartungen, die den eigenständigen Stel-lenwert von Basel II unterstützten. Es handelt sich um ein Konzept, das mit der Benennung einer eigenständigen Entwicklung einen eigenständigen Status für sich beansprucht. Wir haben es mit einem Text zu tun, der mit dem Bezug auf die Aspekte der „operationellen Risiken“, aber auch der Verbesserungsmöglich-keiten der „Risikomanagementsysteme“ die Grenzen der engen bankensystemi-schen Selektionslogik, die Basel I zugrunde lagen, aufkündigt. Bereits in der Einleitung lenkt der Text den Blick auf Themenkomplexe, die in Basel I nicht zu Wort kamen – und dies in unterschiedlicher Weise. Die operationellen Risiken werden wie selbstverständlich als Bestandteil der Kapitalanforderungen in Be-ziehung gesetzt und damit in der ersten Säule positioniert. Vormaliges unspezifi-sches Nichtswissen erfährt nicht allein eine Spezifizierung. Seine systematische Überführung in Wissen wird hier als unbestreitbar mitkommuniziert. Den Passa-gen, in denen die Vorschriften für den Umgang mit operationellen Risiken be-handelt werden, werden wir uns deshalb im Folgenden noch widmen. Dabei soll geschaut werden, in welcher Weise es ein Text, der sonst von Begründungen und Selbsterklärungen gezeichnet ist, ermöglicht, diese ‚neue’ Risikoform ohne ex-tensive Erläuterungen zu integrieren. Über die Selbstpositionierung der ‚operati-onellen Risiken’ hinaus wollen wir klären, an welcher Stelle und auf welche Weise die angesprochene Thematik des „Managements“ in die bestehende mess- und kapitalzentrierte Logik integriert wird. Auch diesbezüglich werden uns die Ergebnisse der Sequenzanalyse nach den Regeln der objektiven Hermeneutik eine große Hilfe sein.

An dieser Stelle werden wir vor allem auf die 2. Säule fokussieren.420 Die eigentümliche Einführung dieser Teile des Rahmenwerkes, die sich vor allem in der besonderen Relevanzmarkierung ausdrückt, erscheint gerade im Vergleich zum Umgang mit der ersten Säule erklärungsbedürftig. Der Text befürchtet nicht allein Annahme-, sondern bereits Aufmerksamkeitsschwierigkeiten für den 2. tragenden Teil des Konzepts. Widmen wir uns jetzt der ersten Säule:421

420 An dieser Stelle sei schon einmal erwähnt, dass wir uns im Folgenden auf die Analyse der ersten und zweiten Säule beschränken werden, da damit die Frage nach dem Paradigmenwechsel hinrei-chend beleuchtet ist. Eine weitergehende Beschäftigung mit der dritten Säule würde vom Thema abführen und den vorgesehen Rahmen sprengen. 421 Das Papier enthält zwar noch einen Teil 1, der die Anwendungsregeln umfasst. Auf eine Präsenta-tion der Ausdeutungsmöglichkeiten wird an dieser Stelle verzichtet, da sie kein Erklärungspotential für unsere Fragestellung bereithält.

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7.3.2 Basel II – Die erste „Säule“

„40. Teil 2 erläutert die Berechnung der gesamten Mindest-Eigenkapitalan-forderungen für das Kreditrisiko, Marktrisiko und das operationelle Risiko. Bei der Berechnung der Eigenkapitalquote wir die u.g. Definition der Begriffe ‚aufsichts-rechtliches Eigenkapital’ und „gewichtete Risikoaktiva“ verwendet. Das Verhältnis von haftendem Eigenkapital zu gewichteten Risikoaktiva darf nicht geringer sein als 8%. Das Ergänzungskapital ist auf 100% des Kernkapitals begrenzt.“

Dieser Einstieg bestätigt, was wir schon anhand der Einleitung herausarbeiteten. Die erste Säule sieht sich in Kontinuität zum Baseler Akkord von 1988 und ver-stärkt die darin bereits angelegte Logik. Es geht nicht mehr um Möglichkeiten der Messung und Definition von Eigenkapital, die den nationalen Aufsehern mit den Regeln von 1988 als internationale Standards unterbreitet wurden. Stattdes-sen steht Berechnung und damit die Logik des mathematischen Kalküls im Zent-rum. Mit dem Verweis auf die „8%“ hält die überarbeitete Rahmenvereinbarung an einem Kerncharakteristikum des ersten Baseler Akkords fest. Die damit ver-bundene Gleichförmigkeit wird auch mit der folgenden Passage, die unter der Überschrift „A. Aufsichtsrechtliches Eigenkapital“ angebracht wird, abgestützt.

„41.Die Definition des anerkannten aufsichtsrechtlichen Eigenkapitals bleibt gegen-über der Eigenkapitalvereinbarung von 1988, die in der Presseveröffentlichung vom 27. Oktober 1998, ‚Instruments eleigible for Inclusion in Tier 1 Capital’, präzisiert wurde, bestehen, mit der Ausnahme der in den Absätzen 37 bis 39 sowie 43 darge-stellten Anpassungen.“

In der ersten Säule ist es so die Logik des Kapitals, die maßgeblich zum Tragen kommt. Es geht um die Bedingungen der Möglichkeiten, definierte Risiken durch Formen der Kapitalunterlegung abzusichern. Das gesamte Konzept ist ungleich komplexer, als der Ansatz in Basel I – die dahinter stehende Logik ist jedoch vergleichbar: ‚Kapital gegen Sicherheit’. Es geht um die Konstruktion von Konstruktionen, die die Bonität der einzelnen Institute sicherstellt, um auf diesem Wege das Ziel – die Solidität und Stabilität des Bankensystems – zu erreichen. Für diese Ermittlungen stehen komplexe Rechensysteme und Rating-verfahren zur Verfügung, die auf eine Besicherung des klassischen Kreditge-schäfts aber auch auf die Erfassung derivativer Geschäfte ausgelegt sind. Zudem finden sich – wie auch in Basel I – Definitionen, die festlegen, welche Kapital-formen in welcher Weise Eingang in die Risikoberechnungssysteme finden. Folgen wir somit den Ausführungen der ersten Säule, so präsentieren sich diese als ein dichtes Netz an Definitionen, Formeln und Berechnungsoptionen, die

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unter Bezugnahme auf bestehende rechtliche Vorschriften in den Nationalstaaten zu implementierende Regulierungstechniken diktieren.

„Billigen“ und „Verstehen“ – erste Anzeichen für Fokusverschiebungen in Säule 1

Und dennoch finden sich auch in der ersten Säule bereits Anzeichen dafür, dass Basel II die enge Selektionslogik des Kapitals und der Bilanz verlässt. Augen-scheinlich wird dies auf Seite 102 des Papiers, wo es um die Bedingungen der Möglichkeit zur Anwendung eines internen Rating-Ansatzes geht. Der Zwi-schenüberschrift „5. Einbeziehung in die Unternehmenssteuerung und Überwa-chung“ folgend, ist nun zu lesen:

„438. Alle wesentlichen Aspekte der Rating- und Schätzverfahren müssen von den Geschäftsleitern oder einem dafür eingerichteten Gremium gebilligt werden. Diese Gremien müssen das bankinterne Ratingsystem in seinen Grundzügen verstehen und detaillierte Einblicke in die daraus generierten Managementreports haben.“

Mit diesem Abschnitt rückt nun die Organisation in den Mittelpunkt des Papiers. Es zeigt sich, in welcher Weise auf der Basis von Basel II Erwartungsstrukturen gebildet werden, die über die Selektionslogik und die dadurch konstituierte und reproduzierte Wissensordnung von Basel I hinausgehen. Themen sind nicht mehr ausschließlich die ordnungsgemäße Messung von Eigenkapital auf Basis der Bilanz oder aber die Berechnung auf der Basis einer richtigen Anwendung von Modellen. Stattdessen kommen an dieser Stelle neben diesen Programmen nun auch Entscheidungen, Personen aber auch Kommunikationswege ins Spiel. Es sind nicht mehr die Realität der Bilanz, die Objektivität der Zahl und die Logik der Formel allein, auf welche sich der Text an dieser Stelle stützt. Stattdessen ist es die Ordnungsform moderner Organisation, auf welche der Text hier Bezug nimmt. Die Stabilität des Bankensystems, so legt diese Textstelle nahe, hängt nicht mehr allein von einer adäquaten Eigenkapitalunterlegung und der Qualität der Aktiva ab. Vielmehr ist das ‚Verständnis’ von „Gremien“ nun ein Aspekt, dem unter bestimmten Gesichtspunkten – dem Einsatz von Rating- und Schätz-verfahren – Relevanz zugesprochen wird. Basel I behandelte die Bankorganisati-on als eine black box. Das Rahmenwerk operierte wie ein ‚Spotlight’, das ledig-lich die Bilanz erhellte, alle anderen Facetten einer Bank jedoch im Dunkeln beließ. Diese Selektionsentscheidung ermöglichte zwar die Entfaltung von Kom-plexität in finanzialisierter Perspektive, den Vergleich von Zahlen aus bestimm-ten Messungen oder auch die Bildung von Korrelationen. Ein Rückschluss auf die Operationen, für die die Zahlen der Bilanz das Ergebnis darstellen, war in Basel I nicht vorgesehen.

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Für die Publikationen des Basler Komitees insgesamt ist der Rekurs auf ‚Organi-sation’ nicht neu. Basel II integriert in diesem Zug schließlich Aspekte, welche das Baseler Komitee bereits in früheren Empfehlungen thematisierte. Zu denken ist vor allem an das Papier der internen Kontrollsysteme, indem sich vergleich-bare argumentative Muster finden (BCBS 1984). Neu aber ist die Ausstattung mit Legitimität und Bindungswirkung, die nun vorgenommen wird. Es geht nicht mehr um Empfehlungen an die nationalen Aufseher oder gar als Vorschlag an die Banken. Auf Basis der vorne formulierten Geltungsansprüche konstituieren sich diese Regeln als verbindlich. International tätigen Banken, die interne Ra-tingverfahren einsetzen, haben sich danach an diese Vorgaben zu halten. Die Thematisierung organisationaler Komplexität wird in der folgenden Passage besonders ersichtlich:

„Das Management und Mitarbeiter aus dem Kreditüberwachungsbereich müssen sich regelmäßig treffen, um über die Leistungsfähigkeit des Ratingprozesses, die verbesserungsbedürftigen Bereiche und den Stand der Arbeiten zur Beseitigung zu-vor festgestellter Defizite zu diskutieren.“

An dieser Stelle zeigt sich, bis zu welchem Konkretisierungsgrad die Routine-programme der Organisation Berücksichtigung finden. Das Baseler Rahmenwerk baut Erwartungsstrukturen für internationale Regulierungsstandards auf, die selbst die Interaktionsformen von Organisationen berühren. Mit der Unterschei-dung von „Management“ und „Mitarbeiter aus dem Kreditüberwachungsbereich“ qualifiziert der Text die interne Ausgestaltung der Bankorganisation. Es kommt – um die Metapher des Spotlights aufzugreifen – zu einer Ausleuchtung der organisationalen Infrastruktur, in welcher nun Zahlen und Formeln produziert werden. Dabei finden alle Entscheidungsprämissen der Organisationen, also die Programme, Kommunikationswege aber auch Personen ihre Berücksichtigung.

Blicken wir auf den Anfang des Papiers, das für die Mitglieder des Aus-schusses vorsieht, „die angemessenen Implementierungsprozesse in ihren jewei-ligen Ländern voranzutreiben“, so stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten aus Sicht der Regulierer zur Verfügung stehen, um dieser Aufgabe nachzukom-men. Wie kann ein „Verstehen“ von Systemen vorgeschrieben, bzw. die Mee-tings in Organisationen reglementiert werden? Diese Fragen erlangen an Ge-wicht bei einem Vergleich mit der Ausgangslage von Basel I. Dort war die Beo-bachtung von Regeleinhaltung und Regelverletzung leicht zu realisieren. Die Unterschreitung des im Papier festgelegten 8 Prozent Standards war eindeutig feststellbar. Er war auf Basis der Bilanz ersichtlich und konnte im Schema ‚Be-folgung/nicht Befolgung’ von Aufsichtsseite, aber auch von den Banken selbst beobachtet werden. Eine derartige Zweiwertigkeit fehlt nun an dieser Stelle im zweiten Baseler Akkord. Die damit verbundene Frage eines eindeutigen Um-

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264 Paradigmen

gangs mit derartigen Uneindeutigkeiten dürfte sich auch mit Blick auf einen weiteren Aspekt, den der operationellen Risiken stellen. Blicken wir somit auf die damit verbundene Textstelle, die in der ersten Säule auftaucht und mit der Gliederungsüberschrift „V. Operationelles Risiko“ überschrieben ist. Diesem Punkt folgt erst einmal die Unterüberschrift:

Risikomessungen jenseits von Finanz- und Bankensystem – das operationelle Risiko

„A. Definition des operationellen Risikos“

Mit diesem Punkt offenbart sich zunächst die Artifizität dieser Risikokategorie. Definiert werden müssen Dinge, die sich nicht von selbst erklären, die also spe-zifiziert werden müssen und vor allem auch anders definiert werden könnten. Damit relativiert diese Textstelle nun die unkommentierte Einführung der Risi-kokategorie, wie wir sie unter Punkt 7 ausgemacht hatten (s.o.).

„644. Operationelles Risiko ist die Gefahr von Verlusten, die in Folge der Unange-messenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder in Folge externer Ereignisse eintreten. Diese Definition schließt Rechtsrisiken ein, beinhaltet aber nicht strategische Risiken oder Reputationsrisiken.“

Abgesehen von einigen Aspekten, die hier aufgrund einer ungenauen Überset-zung ungeklärt bleiben müssen,422 konkretisiert diese Passage, in welcher Hin-sicht es im Zuge von Basel II zu einer Ausweitung des Fokus kommt. In den Blick geraten nun Aspekte, die den Ablauf der Bankorganisation durch ihre Un-angemessenheit oder ihr Versagen tangieren, sowie – zunächst sehr allgemein – externe Ereignisse. Diese Aspekte selbst bezeichnen dabei noch nicht das opera-tionelle Risiko. Vielmehr sind es die „Verluste“, die in diesen Kontexten entste-hen können. Auch wenn der Begriff des Verlustes hier unspezifisch eingeführt ist, so ist es aufgrund des thematischen Kontextes eine nahe liegende Lesart, dass wir es in diesem Zusammenhang nicht mit menschlichen Verlusten oder unspezi-fisch materialen Verlusten, sondern mit monetären Verlusten zu tun haben. Der artifizielle Charakter dieser Risikokategorie, der sich mit der obigen Unterüber-schrift bereits ankündigte, wird im zweiten Satz noch einmal unterstrichen. Mit

422 So heißt es in der englischen Übersetzung: „644. Operational risk is defined as the risk of loss resulting from inadequate or failed internal processes, people and systems or from external events“. Anstelle eines ontologisierenden „ist“ findet sich also ein „defined as“, ebenso ist die Unterscheidung von Risiko und Gefahr – die andere Sinnanschlüsse eröffnen würde – im Ursprungstext nicht vorge-sehen.

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seinem expliziten Ausschluss der „strategischen Risiken“ als auch der „Reputati-onsrisiken“ reflektiert der Text bereits die Kontingenz der Definition. Er führt mit, dass strategische Risiken aber auch Reputationsrisiken potentiell ein Teil der operationellen Risiken sein könnten, oder dass gar die Annahme oder die ernst zunehmende Forderung bestand, diese Aspekte in die Definition mit einzubezie-hen.

In Folge dieser Einleitung ist nun Verschiedenes zu erwarten. Zum einen könnte eine Begründung folgen, die ausführt, warum die Definition in dieser Form gewählt wurde. Zwar sind derartige Begründungsformen in klassischen rechtlichen Texten üblicherweise nicht vorgesehen. In einem Regelwerk wie diesem mit einem hohen Maß an Selbstlegitimierungspotential sind sie wohl jedoch nicht auszuschließen. Zweitens ließe sich nun eine Konkretisierung der „Unangemessenheit oder des Versagens von internen Verfahren, Menschen und Systemen oder in Folge externer Ereignisse“ denken. Die aufgezeigte Definition erläutert zwar den Term „operationelle Risiken“. Dennoch aber bleiben diesbe-züglich Fragen wie die folgenden offen. Wie und woran lassen sich Unangemes-senheit und Versagen im oben gemeinten Sinne festmachen? Auf welche Weise ist die Zurechnung von Verlusten möglich? Es geht somit – wie oben bereits aufgezeigt – um einen eindeutigen Umgang mit Uneindeutigem.

„B. Die Messmethodik“

Im Text taucht somit nun weder eine weiterlaufende Begründung für diese Defi-nition, noch eine Konkretisierung der damit verbundenen Aspekte auf. Stattdes-sen wird unmissverständlich deutlich gemacht, in welcher Logik die Kategorie des operationellen Handelns hier zu betrachten ist: in der Logik von Messung, Quantifizierung und Objektivierung. Der Begriff der Messmethodik unterstreicht noch einmal, dass in diesem Zusammenhang die Ausweitung des Fokus der Auf-sicht mit der oben bereits genannten Ausweitung des Messradius einhergeht (s.o.). Mit anderen Worten: Die Einführung der Risikokategorie „operationelle Risiken“ zielt nicht auf ein Management der internen Verfahren, Menschen und Systeme nach der Zielvorgabe der Angemessenheit. Erwartet wird nicht die Verhinderung ihres Versagens bzw. eine Immunisierung gegenüber möglichen Schadenswirkungen „externer Ereignisse“. Stattdessen ist – wie im Falle des Kreditrisikos – eine Eigenkapitalrücklage vorgesehen, die die Verluste aus derar-tigen Ereignissen kompensiert. Jedoch stellt sich auch dann noch die Frage, wel-che Formen der Messung hier als realisierbar erachtet werden. Die folgende Passage klärt darüber auf:

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„645. Das nachfolgend beschriebene Grundgerüst umfasst drei Methoden zu Be-rechnung der Kapitalanforderungen für operationelle Risiken, welche sich durch zu-nehmende Komplexität und Risikosensitivität auszeichnen. (i) der Basisindikatoren-ansatz (BIA; (ii) der Standardansatz (STA); und (III) ambitionierte Messansätze (AMA).“

Mit dieser Passage nimmt der Text eine deutliche Selbstbeschränkung vor. Der Begriff des Grundgerüsts weist einerseits zwar darauf, dass folgende Ausführun-gen für die Aufsichtspraxis von tragender/stabilisierender Bedeutung sein dürf-ten. Gleichzeitig kennzeichnet der Text damit seinen rudimentären Charakter. Der Begriff des Grundgerüsts verspricht, dass auf die folgenden Aspekte aufge-baut werden kann, aber auch aufgebaut werden muss, wenn der Status des Grundgerüsts überwunden werden soll. Eine Bezugnahme auf die Methoden ist somit eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für einen Regulie-rungsmodus in der hier erwarteten Form. In seiner Pluralität von Methoden schließt der Text dabei an eine Regulierungslogik an, die für die bisherige erste Säule kennzeichnend war. Auch im Falle des Kreditrisikos unterscheidet das Papier zwischen so genannten „Standardansätzen“ und „ambitionierten Messan-sätzen“, die somit eine Differenzierung des Risikomanagements in den Banken, aber auch eine differenzierte Betrachtung durch die Aufsicht vorsah. Insbesonde-re der Standardansatz offenbart nun die Selektivität, mit welcher das Rahmen-werk in diesem Falle vorgeht.

„Im Basisindikatorenansatz ist für operationelle Risiken ein Betrag an Eigenkapital vorzuhalten, dessen Höhe dem Drei-Jahres-Durchschnitt eines festgelegten Prozent-satzes (Alpha genannt) des positiven jährlichen Bruttoertrages entspricht. Beiträge von Jahren, in denen der jährliche Bruttoertrag negativ oder null ist, sollen weder im Zähler noch im Nenner berücksichtigt werden.“

Es zeigt sich mit dieser Passage, warum auf eine weitere Erläuterung der Ver-lustquellen verzichtet werden kann. Im Basisindikatorenansatz kommt es zwar zu einer Registrierung von Risikoquellen, die ihren Ursprung unter anderem in organisationalen Aspekten besitzen. Auf eine Beobachtung dieser organisationa-len Aspekte und eine kausale Verknüpfung damit einhergehender Verlustereig-nisse, verbunden mit einer entsprechenden Kapitalunterlegung wird jedoch ver-zichtet. Mit anderen Worten: Gleichgültig wie viele technische Schäden, Be-trugsfälle von Mitarbeitern oder gar Erdbeben die Bank und ihre Infrastruktur ‚erschüttern’. Schadensereignisse und ihre Verlusthöhe sowie das zu unterlegen-de Eigenkapital stehen zunächst in keinem Abhängigkeitsverhältnis – sie sind entkoppelt. Statt der Berechnung von Verlusten wird auf einen Faktor der Bilanz (Bruttoertrag) rekurriert, der als Richtschnur zur Besicherung dieser Risikoquel-

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len dient.423 Wir können somit sehen, dass der Fokus der Aufsicht geöffnet wird für Aspekte, die sich nicht in die Logik des Finanz- und Bankensystems überfüh-ren lassen und die der Umwelt dieser Sozialsysteme verortet sind. Zugleich lässt sich zumindest im Falle des so genannten Basis-Indikatoren-Ansatzes erkennen, dass dennoch der gleiche Schließungsmechanismus – nämlich ein Verweis auf die Bilanz – greift.

Läuft der Aspekt der operationellen Risiken somit allein auf eine erhöhte Kapitalunterlegung hinaus, deren vermutete und dann zu besichernde Verlusthö-he einzig auf dem Bruttoertrag der Bank basiert? Blicken, wir auf die weiterfüh-renden Ansätze, so scheint auf diese Frage eine differenzierte Antwort vonnö-ten.424 Es zeigt sich, dass die bloße Orientierung an der Bilanz zur Ermittlung der Kapitalunterlegung in den weiteren Ansätzen zurückgefahren wird und stattdes-sen die Verlustwahrscheinlichkeit einzelner Geschäftsbereiche Berücksichtigung findet. So sieht der Standardansatz bereits eine Differenzierung in acht Ge-schäftsfelder vor.425 Dem folgend dient – wie auf Seite 160 genannt – der jewei-lige „Bruttoertrag als allgemeiner Indikator zur Bestimmung des Geschäftsum-fanges und damit verbunden der möglichen Gefährdung durch operationelle Risiken innerhalb jedes Geschäftsfelds. Zwar sind also auch in diesem Fall die Bruttoerträge der jeweiligen Geschäftsfelder die relevanten Indikatoren, die zur Errechnung der Kapitalunterlegung eine Rolle spielen. Gleichwohl wird nun eine unterschiedliche Gewichtung der einzelnen Geschäftsfelder vorgenommen. So

423 Die Kopplung von operationellen Risiken und dem Bruttoertrag einer Bank in der vorgenomme-nen Form wird auch von Beobachtern als fragwürdig eingeschätzt. Exemplarisch dafür die Aussage einer Führungsperson eines deutschen Bankenverbands: „Also, der Bereich operative Risiken, der ist ja eigentlich immer noch ein Bereich, wo auch die Bankaufsicht noch im Dunkeln tappt. Sonst wäre sie ja nicht auf die fatale Idee verfallen, die operativen Risiken an den Ertrag anzubinden. Zu sagen, der Betrag oder die Risikobemessungsgrundlagen für operative Risiken ist der Bruttoertrag. Es gibt ein ganz einfaches Argument: Banken, die Verluste machen, die zahlen gar nichts für operative Risiken, obwohl sich gerade vielleicht operative Risiken verwirklicht haben. Die ‚Bank X’ z.B., die haben ja keinen Ertrag mehr in den letzten Jahren gehabt. Den war es völlig egal, weil die sagen: Operative Risiken haben wir zwar ohne Ende, aber die Eigenkapitalunterlegung ist null. Und wir haben immer gesagt, das operative Risiko kann ich vielen Fällen gar nicht mit Eigenkapital abde-cken. Weil das Risiko eines Bankraubes ist völlig unabhängig davon, ob ich für das Risiko eines Bankraubes 100 Millionen Euro hinlege als Eigenkapital oder 200. Völlig irre. (...) Bei Bankraub muss ich nicht Eigenkapital hinlegen, sondern ich muss Kameras aufbauen und schusssichere Kabi-nen. Das ist alles, was ich tun muss" (050302). 424 Da sich im Folgenden strukturell gesehen keine neuen Erkenntnisse zeigen, wohl aber inhaltlich aufschlussreiche Dinge benannt werden, verzichten wir – wie auch bereits an einigen Stelle zuvor – auf eine hermeneutische Ausdeutung und fahren in deskriptiver Weise fort. 425 Dabei handelt es sich – wie unter Abschnitt 652 ersichtlich – um die Bereiche Unternehmensfi-nanzierung/Beratung, Handel, Privatkundengeschäft, Firmenkundengeschäft, Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung, Depot- und Treuhandgeschäfte sowie Vermögensverwaltung und Wertpa-pierprovisionsgeschäft.

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geht der Bruttoertrag aus dem Bereich der Unternehmensfinanzierung mit einem Faktor von 18 Prozent in die Gesamtrechnung ein, der Bereich des Wertprovisi-onsgeschäfts dagegen nur mit einem Faktor von 12 Prozent. Eine derartige Diffe-renzierung ergibt sich nicht aus der Bilanz der Bank. Sie entspricht dagegen der Setzung einer unterschiedlichen Risikogewichtung, die im Text unbegründet vorgenommen wird.

Als noch weitergehend erweisen sich schließlich die ambitionierten Mess-ansätze (AMA), die ab Seite 163 zur Sprache kommen. Diese Ansätze entkop-peln schließlich die Kategorie der Verluste von der des Bruttoertrages und damit von der Bilanz. Statt einer Orientierung am Ertrag sieht dieser Ansatz nun die Messung ökonomischer Verluste aus Ereignissen vor, die unter die Definition des operationellen Risikos fallen, wofür das Baseler Rahmenwerk im Anhang eine detaillierte Methodologie bereithält. Zum einen berechnet sich die entspre-chende Kapitalrücklage dann auf der Basis interner Datensätze. Zum anderen sieht das Regelwerk – wie auf Seite 168 ausgeführt – die Hinzuziehung externer Daten sowie die Erstellung so genannter Szenarien-Analysen vor, auf deren Basis die Kapitalunterlegung zu errechnen ist. Die Einführung elaborierter, risi-kosensitiverer Verfahren ist dabei an besondere Voraussetzungen geknüpft, die von der Bank erfüllt werden müssen. Hierbei handelt es sich – wie auf Seite 164 ersichtlich – um organisationale Voraussetzungen, also um entsprechende Pro-gramme, Kommunikationswege aber auch Personen, die diesen Messsystemen entsprechen. Vor dem Hintergrund dieser Voraussetzungen erklärt sich, warum die ausgearbeitete Methodologie als „Grundgerüst“ positioniert wird. Insbeson-dere bei den ambitionierten Messansätzen hängt ihr Einsatz von Bedingungen ab, welche außerhalb der Zahlen-, Mess- und Formellogik zu verorten sind.

Zwischenergebnisse der Analyse von Säule 1

Betrachten wir den Themenkomplex der operationellen Risiken aus einer distan-zierten Perspektive, so lassen sich mit Blick auf unsere Forschungsfrage nach einem erweiterten Fokus der Bankenaufsicht verschiedene Elemente, der Dis-kontinuität beobachten (1). Ebenso zeigen sich jedoch weiterhin Sedimente einer Logik, die auch bereits für Basel I bezeichnend war und die somit Kontinuität herstellt (2).

(1) Die Risikokategorie der operationellen Risiken selbst und die abgestuf-ten Ansätze erlauben den Schluss, dass der zweite Baseler Akkord die Evolution aufsichtlicher Modelle, die von einer reinen Beobachtung der Bilanzen hin zu einer Beobachtung von Prozessen geht, vorsieht. Hierin liegt eine Diskontinuität dieses Aspektes mit Blick auf die bisherige Fokussierung auf Risiken des Kre-ditgeschäftes sowie des Marktes. Ziehen wir zudem in Betracht, dass als Ziel des

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Ausschusses die Stabilität des Bankensystems als spezifische Relation von Zah-lungsvorgängen und Zahlungserwartungen im Zentrum steht, so zeigt sich eine Veränderung des Fokus, die mit der Thematisierung operationeller Risiken ein-hergeht. Diese Veränderung der latenten Sinnstruktur des Textes markiert damit eine Verschiebung von Sinngrenzen und damit eine Veränderung der regulatori-schen Wissensordnung von Basel I hin zu Basel II. Die Ausschließungsmecha-nismen von Basel I, die alles „Nicht-finanzökonomische“ bisher exkludiert und in den Bereich des unspezifischen Nichtwissens verschoben hatten, greifen nun nicht mehr. Stattdessen werden operationelle Aspekte in den Bereich des spezifi-schen Nichtwissens überführt.

(2) Gleichwohl steht der Bereich der operationellen Risiken auch in Konti-nuität zur bisherigen kapital- und messbasierten Logik. Auch er sieht regulatori-sche Interventionen auf der Basis von Berechnungsmodellen und der Festlegung von Kapitalquoten vor. Auch wenn sich damit der Inhalt des aufsichtlichen Fo-kus ändert, bleibt die Form der Betrachtungsweise – nämlich die Zuhilfenahme von Zahlen und Modellen – eine vergleichbare. Damit erklärt sich auch, warum dieser Risikoaspekt scheinbar geräuschlos in den Umgang mit anderen Risiko-formen – den Kredit- und den Marktrisiken – eingereiht werden kann. Trotz der Überschreitung des Fokus bleibt der Modus der Regulierung in seinen Grundfes-ten unerschüttert. Er baut damit auf Erwartungsstrukturen auf, die bereits im Text von Basel I zu identifizieren waren und deshalb an dieser Stelle keine be-sondere Ausstattung mit Legitimität erfordern. Auch wenn zum „Grundgerüst“ herabgestutzt, bleibt es damit eine tragende Gerüst, die den zentralen Halt ver-spricht.

Offen bleibt jedoch auch hier die Frage, in welcher Weise die Phänomene, die in diesem Zusammenhang als „qualitative“ Aspekte bezeichnet werden, von Seiten der Regulierer aber selbst auch von Seiten der Banken zu beobachten und zu bewerten sind. Somit wird die Annahme verstärkt, die wir bereits im Zuge der Analyse der Einleitung vornahmen: Brüche und eine Veränderung des aufsichtli-chen Paradigmas dürften ihren zentralen Bezugspunkt in der zweiten Säule von Basel II finden. Blicken wir deshalb nun auf die zweite Säule des Rahmenwer-kes. Wiederum wird uns die Sequenzanalyse helfen zu klären, ob dieser Ab-schnitt inhaltlich einlöst, was auf Basis der bisherigen Ausführungen zu erwarten ist und ob sich strukturelle Verschiebungen im Text fortsetzen, die Basel II ge-genüber Basel I zu einem anderen Fall machen.

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7.3.3 Die zweite „Säule“

„Teil 3: Säule 2 – Aufsichtliches Überprüfungsverfahren“

Betrachten wir diesen Ausdruck vor dem Hintergrund der bisherigen Analyse, so erscheinen „Teil 3“ als auch „Säule 2“ nicht weiter explikationsbedürftig. Anders aber steht es mit den Begriffen „aufsichtliches“ und „Überprüfungsverfahren“. Beginnen wir mit dem ersten Wort „aufsichtliches“, das sich als Adjektiv „im Sinne von Aufsicht“ verstehen lässt. Bereits im Laufe des Textes wurden Auf-sicht oder die Aufsichtsinstanzen als Synonyme für die Bankenaufsicht ge-braucht, so dass dieser Bezugspunkt an dieser Stelle die sparsamste Lesart des Textes darstellen dürfte. Zugleich jedoch nimmt die adjektivische Verwendung des Begriffs hier bestimmte Weichenstellungen vor, die erklärungsbedürftig erscheinen. Betrachten wir den Begriff der Aufsicht in seiner üblichen Bedeu-tung, so lässt sich feststellen, dass die Ausführung von Aufsicht allein Personen und Organisationen zugeschrieben wird. Maschinen können etwas kontrollieren und regeln, Aufsicht wird dagegen üblicherweise von Personen und Organisatio-nen ausgeübt. Der Begriff stellt damit einen anderen Zusammenhang her, als der vorher vielfach gebrauchte Begriff des „Messens“, der ebenfalls auf Prozesse verweist, die von Maschinen ausgeführt werden können.

Aufsicht beschreibt weiter ein Hierarchiegefälle zwischen dem oder denen, die beaufsichtigen und denen, die beaufsichtigt werden. Und auch diesbezüglich erscheint es unüblich, abseits von Personen, Organisationen oder vielleicht noch von Tieren – also abseits nichttrivialer Phänomene426 – von Aufsicht zu spre-chen. Maschinen oder auch Gebäude werden nicht beaufsichtigt, sondern be-wacht oder kontrolliert. Wir haben es somit auf beiden Seiten mit nichttrivialen psychischen bzw. sozialen Entitäten zu tun. Betrachten wir nun das zweite Wort, das durch das Adjektiv „aufsichtlich“ – also im Sinne von Aufsicht – charakteri-siert wird: das „Überprüfungsverfahren“. Auch der Begriff „Überprüfen“ selbst verweist auf bestimmte Aspekte und schließt andere aus: Überprüft werden Din-ge oder Prozesse, von denen man wissen möchte, ob sie noch im erwarteten Sinne funktionieren. Überprüfung folgt damit einer Präventionslogik. Es impli-ziert zwar die Erwartung, dass das zu Überprüfende noch ‚geht’. Schließlich handelt es sich nicht um eine Prüfung, sondern um eine Überprüfung, die mögli-cherweise im Turnus bestimmter zeitlicher Abstände immer wieder vorgenom-men wird. Dennoch schließt diese Erwartung auch mit ein, dass etwas fehlerhaft operieren oder gar nicht mehr funktionieren bzw. erwartungsgemäß operieren

426 Mit dem Begriff trivial/nicht trivial beziehen wir uns auf eine Unterscheidung von Heinz von Foerster (z.B.: Von Foerster 2002, 35ff.).

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könnte. Erst dies rechtfertigt eine Überprüfung. Eine solche Präventionslogik an dieser Stelle ist zwar nichts grundsätzliches Neues, trägt man dem Umstand Rechnung, dass der Zweck des gesamten Rahmenwerkes, eine Stabilisierung des internationalen Bankensystems durch die Politik vorsieht. Jedoch war im Zuge einer Erreichung dieses Zweckes allein von „Messung“, nicht aber von „Über-prüfung“ die Rede. Mit „Überprüfen“ werden damit potentiell auch Formen der Prävention eingeschlossen, die im Modus des Messens eben nicht impliziert sind.

Der Text spricht nun nicht von einer aufsichtlichen Überprüfung, sondern von einem aufsichtlichen Überprüfungsverfahren. Auch mit dieser Formulierung sind bestimmte Weichenstellungen vorgegeben. Zum einen verweist der Begriff des Verfahrens auf eine Wohlgeordnetheit der Prüfung. Verfahren folgen keinem beliebigen, sondern einem jeweils bestimmten Ablauf, der üblicherweise in ver-schiedene Verfahrensabschnitte zerlegt werden kann. Die Möglichkeit der Zer-gliederung verweist dabei zugleich auf seine Komplexität. Von Verfahren wird in der Regel nicht bei einzelnen Handlungen oder Äußerungen gesprochen. Stattdessen deuten Verfahren auf sachlich umfassendere und zeitlich länger wäh-rende Prozesse hin.

„719. Dieser Abschnitt enthält die zentralen Grundsätze des aufsichtlichen Überprü-fungsverfahrens, Empfehlungen zum Risikomanagement sowie zur aufsichtlichen Transparenz und Rechenschaftspflicht, welche der Ausschuss bezüglich der Risiken im Bankgeschäft erarbeitet hat, einschliesslich Empfehlungen, die u.a. das Zinsände-rungsrisiko im Anlagebuch, das Kreditrisiko (Stresstests, Ausfalldefinition, Restrisi-ko und Kreditrisikokonzentration), das operationelle Risiko, verstärkte grenzüber-schreitende Kommunikation und Kooperation sowie Verbriefungen betreffen.“

Zunächst ist die Selbstbeschränkung des Textes bemerkenswert. Ähnlich, wie im Falle der operationellen Risiken, wo vom „Grundgerüst“ die Rede war, sind es nun die „Grundsätze“ und allein die „zentralen Grundsätze“, auf die im Folgen-den eingegangen wird. Das aufsichtliche Überprüfungsverfahren kommt – anders gesprochen – in seiner detaillierten Ausgestaltung gar nicht zur Sprache. Diese Selbstbeschränkung wird über den Begriff der „Empfehlungen“ noch verstärkt. Empfehlungen haben – anders als klassische rechtliche Normen – keinen bin-denden, sondern einen optionalen Charakter. Trotz dieser Selbstrelativierung drückt sich im Begriff der „Empfehlung“ ein asymmetrisches Verhältnis zwi-schen dem Empfehlenden und seinem Adressaten aus. Empfehlungen werden gegeben, entweder 1. auf der Basis eines überlegenden Wissens, oder 2. auf der Basis einer überlegenen Erfahrung. Diese „Empfehlungen zum Risikomanage-ment sowie zur aufsichtlichen Transparenz und Rechenschaftspflicht“ beziehen

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sich nicht auf einige Aspekte, sondern auf die Risiken im Bankgeschäft und damit auf eine zählbare, abschließbare Menge.

Mit dem Begriff des „Risikomanagements“ kehrt zudem ein Terminus wie-der, der bereits in der Einleitung auftaucht und der anzeigt, dass diese zweite Säule über das Procedere der Messung und Berechnung hinausgehen dürfte. Mit dem Einschluss verschiedener Risiken – wie auch der operationellen Risiken – wird damit auch in dieser zweiten Säule die Fokuserweiterung des zweiten Rah-menwerkes unterstrichen.

Betrachten wir den Term „aufsichtliche Transparenz“, so fällt auf, dass nicht deutlich wird, auf welcher Seite nun Transparenz empfohlen wird: Ge-schieht es auf Seiten der Aufseher oder auf Seiten der Beaufsichtigten, oder auf beiden Seiten? Diese Frage lässt sich an dieser Stelle nicht klären. Noch allge-meiner lässt der Text bisher offen, an wen er sich wendet. Beziehen sich die Empfehlungen auf Prozesse in Banken, geht es um Überprüfung durch die Ban-kenaufsicht oder um beides? Auch dies ist auf Basis dieser Einführungen (noch) nicht bestimmbar. Selbst die Aspekte „verstärkte grenzüberschreitende Kommu-nikation und Kooperation sowie Verbriefungen“ werden hier unspezifisch einge-führt.

Relevanzmarkierung und Bedeutungsbekundigung – zur besonderen Begründungslast der Säule 2

Der Text muss somit nun klären, wer mit diesem Text adressiert wird, ob es sich um Vorschriften für die Banken, um Vorschriften für die Bankaufseher oder gar um Vorschriften für beide Seiten handelt. Zudem wäre zu erwarten, dass dieser Abschnitt seinen Status zum Gesamttext klärt. Die in der Einleitung in Punkt 11 abgegebene Unverzichtbarkeitserklärung blieb schließlich unspezifisch, ohne weiterführende Einsichten für den Status der zweiten Säule zu liefern.

„I. Bedeutung des aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens“

Mit dieser Unterüberschrift fährt der Text fort. „Bedeutung“ könnte in der deut-schen Sprache in zweifachem Sinne verstanden werden. Da der englische Text jedoch an dieser Stelle den Begriff „importance“ führt, ist „Bedeutung“ im Sinne von „meaning“, also im Sinne einer Erläuterung hier auszuschließen. Die Über-schrift lässt damit eine weitere Rechtfertigung erwarten. Der Text führt so eine Argumentationslogik fort, die sich bereits in der Einleitung zeigte. In diesem Zusammenhang wurde – wie wir deutlich machten – auf die besondere Bedeu-tung der zweiten und dritten Säule aufmerksam gemacht. Unter Bezugnahme auf rechtlich/politische Regulierungstexte, aber selbst mit Blick auf die bisherige

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Struktur des Rahmens liegt damit jedoch eine bemerkenswerte Wendung vor. Im Fall von politisch/rechtlicher Kommunikation sind vorangestellte Rechtfertigun-gen/Begründungen generell unüblich. Aber auch im Vergleich mit dem ersten Baseler Akkord sowie der ersten Säule von Basel II ist eine Relevanzmarkierung an dieser Stelle auffällig. Basel I nimmt zwar in seiner Einleitung ausführliche Legitimitätsbekundigungen vor. Das Konzept der Eigenkapitalmessung sowie der Standard von 8 Prozent werden dann jedoch direktiv und ohne weitere Erklä-rungen eingeführt. Auch zur ersten Säule von Basel II zeigt sich eine deutliche Differenz. Diese ‚zehrt’ allein von den Relevanzmarkierungen der Einleitung, die eine vergleichbare Funktion erfüllen wie im Falle von Basel I. Selbst die operationellen Risiken werden – wie ausgeführt – mit einer Definition, nicht aber mit einer expliziten Bedeutungsbekundung thematisiert.

Zusammengefasst lässt dieser Vergleich die Annahme zu: Das, was im Fol-genden ausgeführt wird, überspannt nicht allein die Erwartungen an poli-tisch/rechtliche Texte. Es bricht zudem auch mit Erwartungen, die sich auf Basis der bisherigen Sinnstruktur der Baseler Rahmenwerke gebildet hat und trägt daher eine besondere Begründungslast. Erst dies machte plausibel, warum über die Einleitung hinaus eine weitere Rechtfertigung als notwendig erachtet wird.

„720. Das aufsichtliche Überprüfungsverfahren der Rahmenvereinbarung soll nicht nur sicherstellen, dass Banken über angemessenes Eigenkapital für alle Risiken ver-fügen, die mit ihrem Geschäft verbunden sind,“

Die Erläuterung der Bedeutung beginnt also nun mit einer Einschränkung. Eine Möglichkeit, nämlich die reine Sicherstellung, dass Banken über angemessenes Eigenkapital verfügen, wird hier ausgeschlossen. Wann aber ist eine solche For-mulierung erwartbar? Wohl vor allem dann, wenn genau dies zu erwarten wäre: Die „nicht nur“-Konstruktion weist darauf hin, dass es möglich und erwartbar gewesen wäre, dass das Überprüfungsverfahren „nur“ sicherstellt, „dass Banken (...).“ Der Text kündigt damit an, dass nun etwas folgt, was auf Basis der voran-gegangenen Ausführung oder der generellen Erwartung gegenüber aufsichtlichen Überprüfungsverfahren etwas Neues darstellt.

„sondern es soll die Banken auch darin bestärken, bessere Risikomanagement-Verfahren für die Überwachung und Handhabung ihrer Risiken zu entwickeln und anzuwenden.“

An dieser Stelle zeigt sich der bereits in der Einleitung angedeutete Bruch mit den konzeptionellen Elementen des ersten Baseler Rahmenwerks. Es geht nun nicht mehr allein um die Frage einer Messung und Bereitstellung von Kapital. Stattdessen wird nun die in der Einleitung angekündigte ‚Verbesserung’ von

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Verfahren aufgenommen. Es geht nicht mehr ausschließlich darum, Risiken mit entsprechendem Eigenkapital zu begegnen. Zugleich wird nun die „Überwa-chung und Handhabung“ zum Thema gemacht. Bemerkenswert ist dabei auch die Form, in welcher dies geschieht. So spricht der Text hier von „bestärken“. Mit anderen Worten: Den Banken ist nicht vorgeschrieben, etwas zu tun. Sie sollen vielmehr darin bestärkt werden. Wer von „bestärken“ spricht, impliziert damit, dass das Ziel und die Richtung, bereits eingeschlagen sind, es aber (nur noch) um eine graduelle Steigerung geht. Blicken wir auf die gesamte Textstelle 721, so zeigt sich, dass die Frage des Initiators aber auch des Adressaten an die-ser Stelle weiterhin unklar bleibt. Handelndes Subjekt ist das „aufsichtliche Ü-berprüfungsverfahren“, nicht aber beispielsweise eine Aufsichtsinstanz. Die Norm der Sicherstellung wird an das Verfahren gerichtet, nicht aber an die Bankaufseher oder andere Aufsichtsinstanzen.

Verantwortung und Angemessenheit – zur Variabilität von Regel, Regelsetzer und Regelanwender

Diese Subjektstellung des Verfahrens setzt sich im Weiteren fort.

„721. Das aufsichtliche Überprüfungsverfahren erkennt die Verantwortung der Ge-schäftsleitung der Bank an, ein internes Verfahren zur Kapitalbeurteilung zu entwi-ckeln und Eigenkapitalziele festzulegen, die dem Risikoprofil der Bank und ihrem Kontrollumfeld entsprechen.“

Auch hier ist das Verfahren selbst Subjekt. Deutlich wird nun aber auch, dass die Banken einen Adressaten dieses Abschnitts darstellen. Was aber wird an die Banken adressiert? Auf den ersten Blick verhält sich diese Textstelle wie ein Zugeständnis gegenüber den Banken. Ihre Verantwortung wird anerkannt, sie wird mit anderen Worten akzeptiert und vom Baseler Akkord nicht beschnitten. Tatsächlich aber nimmt die damit verbundene Selbstbeschränkung nun die Ban-ken in die Pflicht. Mit anderen Worten: Es reicht diesem Ansatz nach für die Banken nicht aus, sich auf die Methodologie der ersten Säule zu verlassen. Ne-ben diesen politisch/rechtlichen Vorgaben werden nun Entscheidungen der Or-ganisation über eine entsprechende Eigenkapitalunterlegung erwartet. Als Be-zugspunkt ist dabei keine konkrete Kennzahl aus der Bilanz, sondern das Risiko-profil angegeben. So unspezifisch dieser Begriff an dieser Stelle erscheint: Er verdeutlicht, dass es nicht um einzelne Risiken, beispielsweise Kreditrisiken, sondern um das (ganzheitliche) Risikoprofil von Banken geht. Eine ähnliche

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Konotation umgibt auch den Begriff des Kontrollumfelds,427 der in mannigfalti-ger Weise Aspekte der Organisation, jenseits des Kerngeschäftes als relevant positioniert. Dabei setzt der Text eine interne Differenzierung voraus, die bereits in der ersten Säule vorzufinden war. So wird die Geschäftsleitung, der an dieser Stelle Verantwortung zugeschrieben wird, ein besonderer Status zugeschrieben. Dieses Verständnis setzt sich fort.

„Nach der Rahmenvereinbarung ist nach wie vor die Geschäftsleitung dafür verant-wortlich, dass die Bank über die aufsichtlichen Mindestanforderungen hinaus über angemessene Eigenmittel für die Deckung ihrer Risiken verfügt.“

Diese Passage verstärkt die oben genannte Deutung. Es geht nicht um ein Zuge-ständnis, sondern um die Auferlegung einer Pflicht, die der Geschäftsleitung angetragen wird. Damit zeigt sich, wie sich angefangen mit Basel I über die erste Säule von Basel II nun in der zweiten Säule der Blick auf die Banken verändert und die Bank als Organisation nun verstärkt in den Fokus rückt. Sie ist nicht mehr bloßes Objekt der Messung oder black box hinter der Bilanz, sondern er-scheint nun als ein sich selbst beobachtendes, selbst regulierendes Objekt, das eine interne Differenzierung mit bestimmten Verantwortlichkeiten aufweist, auf deren Basis Entscheidungen produziert werden. Der Begriff des „nach wie vor“ impliziert dabei, dass sich etwas verändert hat. Er zeigt, an, dass der Text ein danach markiert. Auf Basis der bisherigen Textkenntnis erscheint hier die spar-samste Lesart der Bezug auf die Risikomodelle aus der ersten Säule zu sein.

Bemerkenswert ist schließlich das Wort „angemessen“, das das Kriterium festlegt, woraus sich die Eigenkapitalhöhe ergibt. Zwar ist im deutschen Wort „angemessen“ das Wort „messen“ enthalten. Bezeichnet wird damit aber gerade eine andere Kategorie. Auch das klassische Recht kennt den Umgang mit Ange-messenheit, jedoch impliziert die Angemessenheit dann die Abwägung, nicht aber die präzise Errechnung, die angemessene Entscheidungen produziert. Letzt-lich legt dieses Kriterium eben gar nichts fest. Operierte Basel I und die erste Säule – von den bereits thematisierten einzelnen Stellen abgesehen – mit Grenz-werten, die Eindeutigkeit produzierten, so lässt der Begriff „angemessen“ ein hohes Maß an Variabilität; Variabilität, die Freiheit und Bindung zugleich er-zeugt. Zum einen können die Banken nun selbst beobachten und entscheiden,

427 Dabei handelt es sich dem Deutschen Institut für Interne Revision (IIR) nach um einen Begriff aus dem Themenfeld der Corporate Governance, unter dem sehr unterschiedliche Dinge in allgemeiner Weise versammelt sind: „Integrität und ethische Werte, Philosophie und Arbeitsstil des Manage-ments, Organisatorische Struktur, Zuordnung von Befugnissen und Verantwortung, Personalpolitik und deren Umsetzung, Fachkompetenz der Mitarbeiter“ (http://www.iir-ev.de/deutsch/fachwissen/glossar.asp?navid=10 (05.11.07)).

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was als angemessen bezeichnet werden kann. Zum anderen müssen Banken nun selbst beobachten und entscheiden, ohne sich dabei auf die Mindeststandards des Rahmenwerks zurückziehen zu können. Wenn der Kontext weitere Risikokate-gorien jenseits der etablierten Formen, bzw. eine weitere Eigenkapitalunterle-gung als angemessen erscheinen lassen, so ist diese vorzunehmen. Angemessen-heit erfordert somit Erwägung, Begründung und entzieht sich der festen Kopp-lung einer technischen Verfahrensform.

„722. Von den Aufsichtsinstanzen wird erwartet, dass sie beurteilen, wie gut die Banken ihren Kapitalbedarf im Verhältnis zu ihren Risiken einschätzen, und dass sie eingreifen, wo es angebracht erscheint.“

Nun also kommen nach den Banken auch die Bankenaufseher ins Spiel, womit klar wird, dass der Text mehrere Adressaten, mindestens Banken und Banken-aufsicht, anspricht. Und auch in diesem Punkt liegt eine Terminologie zugrunde, die sich von dem unterscheidet, was sich in Basel I und – von den benannten Textstellen ausgenommen – in der ersten Säule von Basel II finden ließ. Es geht nicht um Messung oder Berechnung, sondern darum zu „beurteilen“. Urteile können sich dabei zwar auf Messungen und Berechnungen beziehen. Dennoch implizieren sie eine Entscheidung, kein empirisch/mathematisches Ergebnis. Aufschlussreich ist hier nun auch, worauf sich die Beurteilung bezieht. Beurteilt wird nicht der Kapitalbedarf selbst, sondern die Einschätzung des Kapitalbe-darfs. Im Fokus liegen somit die Entscheidungen von Organisationen.

„Damit soll ein aktiver Dialog zwischen Banken und Aufsichtsinstanzen gefördert werden,“

Dieser Anschluss ist merkwürdig. Die Initiierung der Beurteilung sowie des Eingreifens wird nicht damit begründet, dass dadurch das Ziel des Rahmen-werks, die Stabilität des internationalen Bankensystems gestärkt wird. Stattdes-sen soll das Procedere ‚lediglich’ einen aktiven Dialog fördern. Wie aber kann ein ‚Eingriff’ aussehen, der dann einen aktiven Dialog fördert? Und wie ist das Fördern hier zu verstehen? Entweder hat dieser aktive Dialog bisher nicht statt-gefunden und er soll nun initiiert werden. Eine zweite Möglichkeit besteht darin, dass es bereits einen Dialog gibt, der aber nun verstärkt werden soll. Auch wenn dies hier nicht entschieden werden kann, so lässt sich formulieren, dass an dieser Stelle eine Förderungswürdigkeit, aber auch eine Förderungsnotwendigkeit die-ses Dialogs ins Spiel gebracht wird. Der Begriff des Dialogs ist dabei selbst ungewöhnlich. Ein Dialog wird üblicherweise zwischen zwei Interaktionspart-nern auf einer Ebene ausgeübt, nicht aber zwischen einem Regulierten und sei-nem Regulierer, in welchem eine hierarchische Rollenverteilung a priori gege-

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ben ist und in welchem Eingriffe vorgesehen sind. Das Rahmenwerk skizziert damit hier ein Verhältnis von Aufsicht und Banken, das durch viele Widersprü-che gekennzeichnet ist.

„sodass beim zutage treten von Mängeln schnelle und wirkungsvolle Schritte unter-nommen werden können, um das Risiko zu reduzieren oder Eigenkapital wieder aufzubauen.“

Es folgt nun die Begründung für die erwartete Förderung des Dialogs, die Reak-tion auf zutage tretende Mängel. Liest man den Satz in seinem Kontext, so wird es sich dabei um Mängel im Umgang mit Risiken handeln. Von wem diese Schritte unternommen werden, bleibt hier unbeachtet. Dafür aber werden zwei Möglichkeiten genannt, um diese Mängel zu beheben. An zweiter Stelle wird der Aufbau von Eigenkapital genannt – dies ist die bereits bekannte Logik von Basel I und Basel II, wie sie aus den vorangegangenen Textstellen bereits bekannt ist. Der erste Teil, der davon spricht, das Risiko zu reduzieren, bringt eine alternative Option ins Spiel. Statt einer Risikobegegnung sieht diese nun eine Risikoredu-zierung vor. Angesprochen ist damit wiederum die Präventionslogik.

„Dementsprechend entscheiden sich die Aufsichtsinstanzen vielleicht dafür, sich in-tensiver mit jenen Banken zu befassen, deren Risikoprofil oder geschäftliche Erfah-rungen solche Aufmerksamkeit rechtfertigen.“

Dieser Satz schließt an eine Terminologie und einen Regulierungsmodus an, die sich bereits im zweiten Satz von Punkt 4 in der Einleitung offenbarten. Dort war vom ‚Glauben’ an bessere Risikomanagementpraktiken die Rede (s.o.). In dieser Vagheit – in der vorderen Stelle durch das ‚glaubt’ – hier durch das ‚vielleicht’ zum Ausdruck gebracht, unterscheiden sich diese Passagen von dem, was bis-lang die Baseler Akkorde und vor allem die konzeptionellen Teile der Baseler Akkorde auszeichnete. Sie kündigen keine Regulierungskonzepte an oder geben Direktiven vor. Stattdessen gibt der Text eine Prognose, formuliert eine Hoff-nung, die als Konsequenz aus dieser neuen Konstellation als möglich erachtet wird. Der Text will an dieser Stelle damit nichts festlegen, keine Regulierung vorgeben. Hinsichtlich der Sinnverweisung rekurriert der Text in dieser Passage ebenfalls auf eine Rationalität jenseits des Kapitals. Er stellt eine intensivere Beschäftigung mit Banken, nicht aber mit bestimmten Teilen in Aussicht. Das Risikoprofil unterstreicht dabei den ganzheitlichen Ansatz, der schließlich mit dem Erfahrungsbegriff, welche auf das soziale Gedächtnis der Organisation verweist, abgeschlossen wird.

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Kapital und Kontrolle – zur Komplementarität zweier Regulierungsmechanismen

„723. Dem Ausschuss ist bewusst, dass“

Mit dieser Sequenz wechselt nun das Subjekt. Traten zuvor zunächst vor allem das Verfahren selbst und dann später die Banken und die Aufseher als Subjekte auf, so geht diese Rolle nun an den „Ausschuss“ über. Welche Funktion aber kann mit einer solchen Satzeröffnung an dieser Stelle erfüllt werden? ‚Ihm ist bewusst, dass’ ist zunächst ein Eingeständnis. Er teilt damit etwas über sich mit, was vielleicht nicht erwartet wurde, oder so wichtig ist, nun explizit gemacht zu werden. Üblicherweise wird eine solche Formulierung auch verwendet, wenn es darum geht, potentiellen Einwänden zu begegnen, sie vorwegzunehmen. Der Text markiert damit dann ein Problem, von dem erwartet wird, dass es durch ‚vorauseilenden Gehorsam’ entschärft wird. ‚Mir ist das schon bewusst, du brauchst es mir gar nicht mehr zu nennen.’ Dies wäre ein Sinngehalt, der sich dann hinter einer derartigen Satzkonstruktion verbergen würde. Auf was für einen Einwand aber reagiert diese Textstelle?

„ein Zusammenhang zwischen dem von der Bank zur Risikounterlegung gehaltenen Eigenkapitalbetrag einerseits und der Robustheit und Effektivität des Risikomana-gement-Systems und der internen Kontrollmechanismen der Bank andererseits be-steht.“

Hingewiesen wird also auf ein Kernstück des bisherigen Regulierungsmecha-nismus in Basel I und Basel II. Kapital für bzw. gegen Risiken – dieser Zusam-menhang wurde in Basel I allein mit Blick auf bestimmte Risiken hergestellt. In Basel II folgte dann – wie in der ersten Säule ersichtlich wurde – die Ausweitung auch auf operationelle Aspekte. Derartige organisationale Aspekte werden hier nun genannt, wenn vom Risikomanagementsystem als auch von internen Kon-trollsystemen der Bank der Fall ist. Auffällig ist vielleicht an dieser Stelle der Begriff der Robustheit. Kann Robustheit, also das Aushalten von negativen Ein-wirkungen aus der Umwelt durch Eigenkapital erreicht werden? Oder ist Eigen-kapital nicht eher ein kompensatorisches Medium für die mangelnde Robustheit eines Systems und dem damit verbundenen Risiko seines Ausfalls? Trotz dieses hier gezogenen eigentümlichen Zusammenhangs bleibt die Frage: Warum eine solche Bekundung an dieser Stelle? Schließlich ließ der Ausschuss an diesem „Zusammenhang“ von Risiko und Stabilität generell bisher keinen Zweifel. Es kann damit allein angenommen werden, dass nun im folgenden Argumente und Sinnverweisungen auftauchen, die diesen Zweifel erwartbar werden lassen. Die

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Beteuerung von Kontinuität lässt vermuten, dass im Folgenden nun die Brüche mit der bisherigen Regulierungslogik explizit werden:

„Dennoch sollte eine Erhöhung des Eigenkapitals nicht als die einzige Möglichkeit gesehen werden, mit der eine Bank zunehmenden Risiken begegnen kann.“

Und tatsächlich wird nun in ausdrücklicher Weise eine Relativierung der Grund-beziehung Kapital-Risiko vorgenommen. Im Basel I stand dieser Zusammenhang ungebrochen. Auch in Basel II ist (zunächst) die Kapitallogik das zentrale ‚Pro-gramm’ des Rahmenwerks, wenngleich einige oben aufgeführte Passagen bereits auf eine Neujustierung hindeuteten. Nun aber kommt es in expliziter Weise zu einer Relativierung. Zwar wählt der Text eine vorsichtige Formulierung. Das „sollte“ macht die defensive Einführung deutlich. Das Aufbrechen der Kapitallo-gik besitzt so weniger einen direktiven als vielmehr einen appellierenden Cha-rakter. Welche Möglichkeiten aber schweben dem Ausschuss nun vor?

„Andere Mittel, wie die Stärkung des Risikomanagements, die Anwendung interner Limits, die Stärkung von Rückstellungen und Reserven sowie die Verbesserung in-terner Kontrollen, müssen ebenfalls erwogen werden. Darüber hinaus sollte Eigen-kapital nicht als Ersatz dafür angesehen werden, grundlegend unzureichende Kon-troll- oder Risikomanagement-Verfahren zu verbessern.“

Die Kapitalunterlegung erhält mit dieser Passage nun den Status eines Mittels neben anderen Mitteln. Derartige ‚Mittel’ waren bereits partiell Thema der Pa-piere, die wir in Abschnitt 4.2 behandelten. Zudem fanden sie in der Einleitung, aber auch in vereinzelten angesprochenen Passagen in der ersten Säule Erwäh-nung. An dieser Stelle jedoch sind sie nun nicht der Kapitalunterlegung nachge-ordnet, sondern erscheinen als komplementäre Mechanismen. Mit Blick auf die vorausgegangenen Ausführungen lässt sich hier deshalb formulieren: Die Bedeu-tung der Organisation in ihrer internen Verfasstheit, insbesondere mit Blick auf das Kontroll- und Risikomanagement, avanciert damit zu einem expliziten Ge-sichtspunkt zur Stabilisierung des internationalen Bankensystems. Der appellie-rende, optionale Charakter, welchen wir in der Textstelle zuvor skizzierten, ist hier durch das „müssen“ konterkariert.

„724. Es gibt drei Hauptbereiche, die besonders für die Behandlung im Rahmen der Säule 2 geeignet sind: Risiken, die zwar innerhalb der Säule 1 betrachtet werden, dort aber nicht vollständig erfasst sind (z.B. Kreditrisikokonzentration); Faktoren, die im Rahmen der Säule 1 nicht berücksichtigt werden (z.B. Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch, Geschäftsrisiken und strategische Risiken); Einflüsse, die ausser-halb der Bank liegen (z.B. Auswirkungen des Konjunkturzyklus). Ein weiterer wich-tiger Aspekt der Säule 2 ist die Beurteilung, ob die Mindeststandards und die Offen-

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legungsanforderungen für die fortgeschritteneren Methoden von Säule 1 eingehalten werden, insbesondere das IRB-Regelwerk für Kreditrisiken und die fortgeschritte-nen Messansätze (AMA) für operationelle Risiken. Die Aufsichtsinstanzen müssen sicherstellen, dass diese Anforderungen sowohl bei der Zulassung als auch fortlau-fend erfüllt werden.“

Dieser Absatz trägt zu einer weiteren Klärung des Status der zweien Säule bei. Er lässt erwarten: Die zweite Säule besitzt keinen exklusiven Gegenstandsbe-reich. Während in der ersten Säule Regulierungsobjekte anhand von Risikokate-gorien definiert werden, als ‚Gegenstände’ also dann das Kreditrisiko, das Marktrisiko oder auch das operationelle Risiko fungieren, bezeichnet die zweite Säule eher eine Operationsform. Sie verweist auf nichts Bestimmtes, sondern kann in unterschiedlichen Kontexten angewendet werden. Der Begriff des „eig-nen“ verweist dabei weniger auf eine Vorgabe, sondern vielmehr auf eine Emp-fehlung. Es werden drei Hauptbereiche als besonders geeignet bezeichnet. Dies kann zugleich bedeuten: Auch andere Bereich sind geeignet, wiederum andere Bereiche dann weniger geeignet und andere ungeeignet.

Das Fehlen eines klar umrissenen Gegenstandsbereichs, dessen Regulierung ausschließlich über die Säule 2 eine internationale Standardisierung erfahren soll, erklärt nun auch, warum die Verwirklichung von Säule 1 und 2 als kom-plementäre Mechanismen beobachtet wurden. Die Wirksamkeit einiger Aspekte der ersten Säule 1 hängt – so lässt sich auf Basis des Texts verstehen – davon ab, dass sie im Rahmen des aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens realisiert wer-den. Auch klärt sich in diesem Sinne die Gleichwertigkeit der drei Säulen, die in der Säulenmetapher zu Ausdruck kommt. Aufgrund der unterschiedlichen Quali-täten – zumindest von Säule 1 und Säule 2 – lassen sich die Eigenkapitalmessung sowie das aufsichtliche Überprüfungsverfahren nicht in einem Hierarchie-, son-dern allein in einem Komplementärverhältnis denken.

Der optionale Charakter dieser Formulierung lässt einerseits auf eine relati-vierte Bedeutung des Verfahrens schließen. Anderseits dringt das Baseler Rah-menwerk hier in Bereiche vor, die bisher unangetastet blieben, oder gar explizit ausgeschlossen wurden. Der Aspekt der strategischen Risiken ist dafür ein Bei-spiel. Stellen wir zudem in Rechnung, in welcher Eindringlichkeit in der Einlei-tung auf die Relevanz der zweiten Säule hingewiesen wurde, so ist dieser optio-nale Charakter bemerkenswert. Was in einer Lesart als ein widersprüchliches Arrangement gelesen werden kann, kann andererseits auch auf als ein Zusam-menhang interpretiert werden, in welchem ein ständiges Ausbalancieren von Optionen, Normen und Direktiven vorgenommen wird – wir kommen auf diesen Punkt noch zurück. Was dann im Text folgt, ist schließlich die Präsentation vier

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„zentraler Grundsätze“, die den inhaltlichen Kernbestand dieser zweiten Säule ausmachen.428

Die vier zentralen Grundsätze und der damit verbundene ‚paradigmatische’ Charakter der Säule 2

(1) Der erste Grundsatz richtet sich an die Banken, die diesem Grundsatz nach „über ein Verfahren zur Beurteilung der Angemessenheit ihrer gesamten Eigen-kapitalausstattung im Verhältnis zu ihrem Risikoprofil sowie über eine Strategie für den Erhalt ihres Eigenkapitalniveaus „zu verfügen“ haben (147). Überwacht werden die damit verbundenen Tätigkeiten – Beurteilungen von Eigenkapital-ausstattungen aber beispielsweise auch die Überprüfung interner Kontrollen – von der Geschäftsführung. Ferner ist diese auch verantwortlich für die Erfüllung des Grundsatzes. Kriterien sind Aspekte wie die Genauigkeit, aber auch die Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit einzelner Elemente dieses Grundsatzes (150).

(2) Der zweite Grundsatz richtet sich an die „Aufsichtsinstanzen“, welche diesem zufolge nun die unter Grundsatz 1 gefassten Aspekte zu beurteilen haben. Dazu zählen die „externe Überprüfung anhand eingereichter Unterlagen“, so genannte „Vor-Ort-Prüfungen“ der Aufseher in den Banken, aber auch „Gesprä-che mit der Geschäftsleitung der Bank“ (150). (3) Grundsatz drei äußert, „die Bankenaufsicht sollte von den Banken erwarten, dass sie über eine höhere Ei-genkapitalausstattung als die regulatorischen Mindestquoten verfügen, und sie sollte die Möglichkeit haben, von den Banken eine Eigenkapitalausstattung zu verlangen, die über dem Minimum liegt.“ Begründet wird dieser Grundsatz unter anderem damit, dass Risiken zu erwarten sind, die in der ersten Säule nicht aus-geführt sind und die eine weitere Kapitalunterlegung erforderlich machen. (4)Der letzte Grundsatz sieht vor, dass die Bankenaufsicht eingreift, wenn das Kapi-tal unter die vorgeschriebene Mindesthöhe zu fallen droht. Auch in diesem Grundsatz wird geäußert: „Die dauerhafte Lösung für die Schwierigkeiten von Banken ist nicht immer durch ein höheres Kapital gegeben“ (189). Es folgen nun in der zweiten Säule noch weitere Aspekte, die sich mit der aufsichtlichen Transparenz und der Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden beschäf-tigt. So klärt sich hier mancher Aspekt, der mit Blick auf den Teil der Einfüh-rung der zweiten Säule noch unbestimmt schien.

428 Auch an dieser Stelle fahren wir zunächst rein deskriptiv fort, um den Inhalt vorzustellen und werden erst danach auf die Strukturmerkmale zu sprechen kommen, die im Weiteren – wie zu zeigen ist – in Kontinuität mit der bisherigen Textstruktur stehen. Die Grundsätze werden im Folgenden ((1) - (4)) ausgeführt.

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Festzuhalten bleibt mit Blick auf unser Erkenntnisinteresse: Die Ausführungen der Grundsätze führen somit inhaltlich aus, was sich bereits auf Basis verschie-dener Äußerungen in der Einleitung, aber auch in der ersten Säule sowie schließ-lich in der Einführung der zweiten Säule erwarten ließ. Das Prinzip der Kapital-unterlegung behält eine Zentralstellung. Es wird jedoch in dieser zweiten Säule seines Exklusivitätsstatus beraubt. Die angesprochenen Aufsichtsformen zeigen Möglichkeiten auf, wie die Beobachtung und Beaufsichtigung von Prozessen oder die Eignung von Personen vorzustellen ist. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Gespräche der Aufsicht mit der Geschäftsführung, sowie die angesprochenen Vor-Ort-Prüfungen. Die Nennung dieser Aspekte erläutert schließlich auch den Begriff des „aufsichtlichen“, in dem die starke „personale Komponente“ ansons-ten unverständlich bleiben würde (s.o.).

Auf einer generellen Ebene fügen sich damit weitere Elemente hinzu, die nun die Veränderung im Sinne einer Erweiterung des Aufsichtsfokus anzeigen. Kapital und seine Messung bleiben ein unverzichtbarer Bestandteil. Zugleich produziert der Text Erwartungen, die fortwährend über diese Betrachtung hi-nausgehen. Einer Terminologie des „Messens“ wird nun ein „Management“ hinzugefügt. Dieser Rekurs auf Management verweist in besonderer Weise dar-auf, dass die Inperfektion formaler Organisationen und Banken anerkannt wird. Bereits der Rekurs auf die Kategorie der operationellen Risiken kann als Reakti-on auf eine bestimmte Erkenntnis gesehen werden; auf die Erkenntnis, dass in Organisationen Entscheidungsprogramme fehlerhaft funktionieren, Kommunika-tionswege fehlerhaft verlaufen und Personen fehlerhaft operieren könn(t)en. Das Verfahren der Kapitalmessung bleibt in diesem Zusammenhang jedoch (noch) unangetastet und stand diesbezüglich in Kontinuität zu bisherigen Ansätzen.

Die zweite Säule des Rahmenwerkes bricht nun mit dieser Kontinuität. Sie reagiert auf die (erwartete) Erwartung, dass der Umgang mit Risiken in den Ban-ken nicht mehr allein berechnet werden kann. Er muss nun zudem auch entschie-den werden. Der Baseler Ausschuss traut nicht mehr den bloßen Zahlenwerken, die als Signifikanten finanzökonomischer und – wie in der ersten Säule verdeut-licht – operationeller Risiken bisher als alternativlos erschienen. Stattdessen setzt das von ihm verabschiedete Rahmenwerk auf die Überprüfung von Entschei-dungsprämissen – und dies durch die Aufsicht sowie das Management der Ban-ken selbst. Es ist nun eine Form der Präventionslogik, um die das Instrument von Eigenkapital ergänzt wird. Nicht nur soll die Möglichkeit bestehen zu bezahlen, wenn etwas passiert. Zusätzlich soll in Betracht gezogen werden, ob nicht auch verhindert werden kann, dass etwas passiert. Ein solcher Transformationsprozess führt zu deutlichen Verschiebungen der Wissensordnung des Baseler Rahmen-werkes; und es sind diese Grenzverschiebungen, mit denen sich der Ausschuss auf ein argumentativ unsicheres ‚Gelände’ begibt. Das erste Rahmenwerk konnte

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– wie wir mit Hilfe der Sequenzanalyse zeigten – an spezifische Erwartungen und Ordnungsmuster wie die Logik der Zahl sowie die internationale Wir-kungsmächtigkeit der Bilanz als Beobachtungsinstrument von Banken anschlie-ßen. Auch der zweite Baseler Akkord bringt in Säule 1 mit komplexen Berech-nungsmodellen wirkungsmächtige Legitimationsformen für sich in Stellung, die über nationalstaatliche und funktionssystemische Grenzziehungen hinweg die Annahmebereitschaft erhöhen. Die Performativität dieser Zahlen- und Formello-gik wird selbst für die Anwendung bei Risikokategorien erwartet, die in der Umwelt des Finanzsystems verortet sind. Darin liegt schließlich ein Grund dafür, dass die Fokuserweiterung um operationelle Risiken keine besonderen kommu-nikativen Erklärungsfiguren mitführt. Diese Ordnungs- und Legitimationsmus-ter, die unwahrscheinliche Kommunikationsofferten mit Selbstverständlichkeit ‚ausstaffierten’, sind in der zweiten Säule vergeblich zu suchen. Dies hat – wie gezeigt – Konsequenzen mit Blick auf das Selbstverständnis sowie die Stringenz des Textes.

Zwischen Relevanzmarkierung und Bedeutungsrelativierung – inhaltliche und strukturelle Oszillationen

Charakteristisch für die zweite Säule ist schließlich ein fortwährendes Oszillieren zwischen verschiedenen strukturellen, aber auch inhaltlichen Anschlüssen. Statt einer nachvollziehbaren Öffnung und Schließung von Sinnselektion, beobachten wir ein Changieren zwischen und Produzieren von partiell widersprüchlichen Erwartungen. Es offenbart sich damit eine für unser Erkenntnisinteresse wichtige Eigentümlichkeit dieses Rahmenwerkes, die in dieser zweiten Säule ihren Höhe-punkt findet: Während Regulierungstexte üblicherweise Kontingenz reduzieren und Mehrdeutigkeiten in kodifizierte Eindeutigkeiten überführen, um die Ein-schränkung von Freiheitsgeraden zu realisieren, vermeidet dieser Textabschnitt strukturell aber auch inhaltlich jede klare Positionierung. Strukturell zeigt sich dies vor allem in einem fortwährenden Oszillieren zwischen Relevanzmarkie-rung und Bedeutungsrelativierung. Besonders an Textstellen, die den sicheren Boden des Mess- und Berechenbaren verlassen, ist dies zu bemerken. Der Be-ginn von „Grundsatz 1“ (S.181) liefert dafür noch einmal ein Beispiel:

„Banken sollten über ein Verfahren zur Beurteilung ihrer angemessenen Eigenkapi-talausstattung im Verhältnis zu ihrem Risikoprofil sowie über eine Strategie für den Erhalt ihres Eigenkapitalniveaus verfügen.“

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Dieser Formulierung, die mit dem „sollten“ einen begrüßenswerten Zustand beschreibt, folgt nun in der Erläuterung dieses Grundsatzes unter Punkt 726:

„726. Die Banken müssen darlegen können, dass die gewählten internen Kapitalziele gut begründet sind und dass diese Ziele mit dem Gesamtrisikoprofil und der aktuel-len Geschäftssituation in Einklang stehen.“

Dem „sollte“ folgt somit an dieser Stelle nun ein „müssen“, ohne das eindeutig ist, welcher Logik dieses Changieren zwischen Soll, Kann und Muss-Aussagen nun folgt. Diese strukturellen Uneindeutigkeiten werden dadurch gestützt, dass viele Gesichtspunkte – wie bereits ausgeführt – unter Bezugnahme auf das Krite-rium der Angemessenheit zu beobachten sind. Sowohl die Eigenkapitalunterle-gungen, aber auch die Risikomanagementverfahren wie auch die internen Kon-trollsystem haben – das sieht die zweite Säule vor – das Kriterium der Angemes-senheit zu erfüllen. Die Figur des Oszillierens und die Vermeidung von Eindeu-tigkeiten zeigt sich zweitens auf der inhaltlichen Ebene und daher mit Blick auf Objekt und Form der zu implementierenden Regulierungsverfahren. Auffällig ist das Changieren zwischen der (eindeutigen und nicht mehr zu klärenden) Logik der Kapitalmessung und dem ‚vorsichtigen Herantasten’ an weitere Gesichts-punkte. Diese wird bis in die Grundsätze der zweiten Säule hineingetragen:

„742. Andere Risiken: Obwohl dem Ausschuss bewusst ist, dass ‚andere’ Risiken wie Reputationsrisiken und strategische Risiken nicht leicht zu messen sind, erwar-tet er von der Kreditwirtschaft, die Techniken zur Messung, Überwachung und Min-derung aller Aspekte dieser Risiken weiter zu entwickeln.“

An dieser Stelle zeigt sich das gleiche Argumentationsmuster wie beispielsweise unter Punkt 723. Der Einstieg reagiert hier in vorauseilendem Gehorsam auf mögliche Einwände, die er selbst erwartet. Der zweite Teil des Satzes macht die Perspektiven auf, die für Basel II als neue Wissensordnung in der Bankenauf-sicht konstitutiv sind. Es geht zunächst um die Konstruktion neuer Risiken, jen-seits der finanzwirtschaftlichen Wirklichkeit. Insbesondere der Begriff der Repu-tation, der die Vertrauenswürdigkeit der Bank als Organisation und die der sie repräsentierenden Personen mit impliziert, verdeutlicht die Mehrdimensionalität und Multiperspektivität dieses Risikoverständnisses. Darüber hinaus geht es nicht allein um die Messung und Überwachung, sondern auch um eine Minde-rung von Aspekten im Zusammenhang mit Risiken. Deutlich wird hier also wie-derum die wiederholt angesprochene Präventionslogik. Schließlich zeigt sich ein drittes Oszillationsprinzip dieses aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens: Die Oszillation zwischen den Adressaten, die sowohl in der Einführung als auch in dem inhaltlichen Teil der zweiten Säule zu beobachten ist. Einerseits lässt sich

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diese Oszillation, dieses ‚Balancieren’, in den Grundsätzen selbst feststellen. Grundsatz 1 richtet sich explizit an die Banken, die drei weiteren Grundsätze explizit an die Aufsichtsorgane. Zum zweiten wechseln auch innerhalb der Er-läuterungen zu den einzelnen Grundsätzen die Adressaten. Bald sind es die Aufsichtsbehörden, bald die Verantwortlichen in den Banken, die in die Pflicht genommen oder zu bestimmten Operationen ermuntert werden. Aus diesem Konglomerat verschiedener, in sich verwobener Pflichten, Normen und Optionen, das Kapitalmessungen, Anforderungen, Risikomanage-ment, Kontrollsysteme zum Thema hat und sich an unterschiedliche Adressaten wendet, lässt sich vieles herauslesen. Ein wohlgeordneter, nachvollziehbarer und wiederholbarer Ablauf aber, wie ihn der Begriff des „Verfahrens“ vorsehen wür-de, scheint auf Basis der hier zu erwartenden Sinnstrukturen wenig erwartbar. Zusammengenommen lassen diese Oszillationsfiguren den Schluss zu: Die Schaffung eindeutiger Regeln, die zur Reduktion von Kontingenz und dann – nach Maßgabe des Rechts – zur contrafaktischen Stabilisierung von Erwartungen führt, ist zumindest auf Basis dieses „Meilensteins“ der Bankenaufsicht nicht zu erwarten. Schließlich kommt es zu einer Öffnung hin zu Sinnanschlüssen, die außerhalb der finanzialisierten Verfahren zu sehen sind. Diese Ausweitung ‚be-zahlt’ der Text jedoch mit einem Maß an Varietät, das für eine einheitliche An-wendung in den Nationalstaaten wenig förderlich sein dürfte.

Das Prinzip Verantwortung und die Norm der Organisation

Die einzige ‚Regel’, auf die sich der Text stützt, ist die fortwährende Zuweisung von „Verantwortung“. Verantwortung oder auch ein ‚verantwortlich sein’ wer-den zunächst primär an die Geschäftsführung adressiert. Dies zeigt sich in Punkt 721, in dem das Überprüfungsverfahren auf die Anerkennung der Geschäftslei-tung der Bank verweist. Es wird zudem deutlich im ersten Grundsatz, in wel-chem der Text darauf aufmerksam macht.429 Darüber hinaus erweist sich auch im Folgenden die Zuweisung von Verantwortung als ein kontinuierliches Text-merkmal, das dann noch um einen weiteren Adressaten – das oberste Verwal-tungsorgan – erweitert wird. Dieses Organ fungiert in dieser zweiten Säule eben-falls als Konstante, der in letzter Hinsicht Verantwortung zugewiesen wird. Ge-schäftsleitung und oberstes Verwaltungsorgan nehmen damit eine pars pro totoStellung ein. Unabhängig davon, wo mögliche Fehler und Probleme der Kapital-unterlegung, bzw. des Risikomanagements oder anderer organisationaler Abläu-fen auftauchen. Es ist die Spitze der Organisation in Form der genannten zwei

429 Hier ist zu lesen: „Es gehört eindeutig zur primären Verantwortung der Geschäftsleitung, sicher-zustellen, dass die Bank über angemessenes Eigenkapital zur Unterlegung ihrer Risiken verfügt.“

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Gremien, auf die letztlich zugerechnet wird und die im Rahmen ihrer eigenen Entscheidungsproduktion Verantwortung tragen.

Auf einer abstrakteren Ebene wird ersichtlich, was diese Zuschreibung von ‚Verantwortung’ zu leisten vermag: Sie trägt – wie Niklas Luhmann bereits früh herausgestellt hat – in beträchtlichem Maße zur Absorption von Unsicherheit bei (Luhmann 1964, 175). Die Zuschreibung von Verantwortung ermöglicht den Umgang mit (erwartbaren) Informationsdefiziten. Denn mit der Zuschreibung von Verantwortung wird zugleich die Erwartung kommuniziert, dass an verant-wortlicher Stelle diese Informationen als vorhanden vorausgesetzt sind (Luh-mann 1964, 175). Dieser Mechanismus entlastet sowohl den Ausschuss, die nationalen Bankaufseher und selbst die Mitarbeiter der Banken unterhalb des Topmanagements.430 Die Unsicherheit, welche durch die Konstitution von An-gemessenheitsregeln erzeugt wird, kann so durch den Verweis auf verantwortli-che Stellen abgefedert werden. Unabhängig von dem was passiert: In letzter Konsequenz ist es die Geschäftsleitung, welche allein für einen angemessenen Umgang mit Risiken verantwortlich zeichnet. Der Text sichert sich als Rahmen-werk damit gegenüber vielerlei Einwänden ab. Mängel in den Messsystemen, fehlerhafte Berichte oder unrealistische Szenarienanalysen über zukünftige Ge-schäfte können nicht mit dem Verweis auf Vorgaben des Rahmenwerks begrün-det werden. Zugleich zeigt sich auf einer abstrakten, gesellschaftstheoretischen Ebene aber auch, dass ein solches, hier formuliertes Arrangement nicht voraus-setzungslos ist: Die Zuschreibung von Verantwortung ist in dieser generalisierten Form sozial nicht beliebig realisierbar. Sie lässt sich – wie Niklas Luhmann ausführt – ‚lediglich’ an bestimmte soziale Adressen richten. Von einem Sach-verständigen kann so beispielsweise aufgrund eines bestimmten (ihm zuge-schriebenen) Wissens Verantwortung eingefordert werden, ebenso wie von ei-nem ‚Erfahrenen’, dem ein Maß an über die Zeit erworbener Versiertheit zuge-schrieben wird (Luhmann 1964, 175).

In unserem Fall ist es nun nicht die Kategorie der Sachautorität, die als Kri-terium bezeichnet wird. Schließlich sind es nicht die einzelnen Personen der Vorstands- und Aufsichtsratsetagen, denen auf Basis individueller Fähigkeiten Verantwortung zuzusprechen ist.431 Dafür aber ist es die Amtsautorität, oder besser: die Autorität der organisationalen Stelle(n), an welche die Zuschreibung

430 Mit der Zuschreibung von Verantwortung in dieser Form wird verständlich, warum der Text die Erwartung produziert, dass die Geschäftsleitung die Managementsysteme zu verstehen habe. Dies erscheint erst in Zusammenhang mit der hier vorgenommenen Verantwortungszuschreibung konsi-stent.431 Dies innerhalb mag in einzelnen Bankorganisationen der Fall sein, und wir werden in der späteren Zusammenführung sehen, dass ja gerade im Kontext von Basel II die fachlichen Voraussetzungen von Personen als Entscheidungsprämissen relevant werden. In diesem hier aufgezeigten Zusammen-hang ist dies jedoch – aus den erklärten Gründen – ausgeblendet.

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von Verantwortung hier anschließt. Es ist also die – ebenfalls von Luhmann als Möglichkeit gesehene – formalisierte „Sozialordnung“ (Luhmann 1964, 175) und damit dann ein bestimmtes Verständnis von Organisation, auf dessen Basis diese Erwartungsbildung im Baseler Rahmenwerk formuliert werden kann. Erst in diesem Kontext kann eine derartige Verhaltenserwartung und die damit ver-bundene Entscheidungszumutung zur Mitgliedschaftsbedingung stilisiert wer-den. 432 Mit anderen Worten: Erst auf der Grundlage formaler Stellenbeschrei-bungen der Geschäftsleitung, bzw. des Verwaltungsrates ist die Zuschreibung von Verantwortung in dieser generellen Form artikulierbar. Der Text realisiert damit eine Reduktion von Kontingenz sowie ein basales Maß an Konvergenz durch die Inanspruchnahme des Modells formaler Organisa-tion. Dieses Modell in der hier aufgezeigten Spielart, das die Steuerbarkeit der Organisation über ein zentrales Leitungsorgan impliziert, mag zwar dem For-schungsstand der Organisationstheorie nicht mehr in allen Punkt entsprechen. Argumente dafür finden sich bereits in den Ausarbeitungen vorangegangener Abschnitten (vor allem in den Abschnitten 1.2.2 und 2.1). Eher erinnert es an Vorstellungen aus den bürokratietheoretischen Arbeiten Max Webers oder den frühen Ansätze der Organisationslehre eines Henry Fayol.433

Entscheidend jedoch ist: Mit dem Rekurs auf Organisation als hierarchische formalisierte Sozialordnung mit einer adressierbaren Spitze erreicht das Rah-menwerk ein hohes Maß an kommunikativer Anschlussfähigkeit. Dass „Organi-sation“ insbesondere im Zuge der Globalisierung als globales kulturelles Modell an Wirkungsmächtigkeit gewinnt, lässt sich vor allem auf Basis der neoinstituti-onalistischen Arbeiten zu diesem Thema nachvollziehen (z.B. Meyer, 2006, 41f.). Auf Basis dieser Ansätze finden sich Erklärungen dazu, wie der „Mythos“ moderner Organisation über die gesellschaftliche Selbstbeschreibung weit über nationalstaatliche sowie vermeintliche kulturelle Grenzen abgesichert wird.434

Ein weiterer Punkt erscheint noch bedeutsamer: Dieses Modell von Organisation erzeugt vor allem auch Perspektiven für eine hohe Anschlussfähigkeit in rechtli-chen Kontexten. Die so genannte „Organtheorie“, die unter anderem in Deutsch-

432 Siehe zu diesem Zusammenhang auch (Luhmann 1964, 177). 433 Henry Fayol stellte bereits 1918 allgemeine Organisationsprinzipien auf, die den notwendigen Zusammenhang von Autorität und Verantwortung, Einheit der Auftragserteilung, Einheit der Lei-tung, Zentralisierung, Hierarchie und Ordnung erläuterten (Fayol 1971, 19-42). 434 Eine solche Betrachtung findet sich auch bei James Coleman in der von ihm beschriebenen Prin-cipal-Agent-Problematik wieder, in der er sich mit dem Verhältnis von „principal“, „agent“ und der „third party“ beschäftigt. Coleman weist darauf hin, dass zwischen „agent“ und „third party“, und damit dann in unserem Fall zwischen nicht-leitenden Stellen und Bankenaufsicht gar keine Bezie-hung besteht. Jegliche Formen der Kommunikation laufen demzufolge zwischen „agent“ und „prin-ciple“ und dann zwischen „principle“ und „third party“ ab (Coleman 1994, 149f.).

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land die herrschende Meinung darstellt, arbeitet mit der Fiktion, dass die Organi-sation durch ihr entsprechendes leitendes Organ zu vertreten ist.435

Das Modell der Organisation als einem korporativen Akteur, wie es in die-ser zweiten Säule vorausgesetzt wird, besitzt damit ein hohes Maß an Anschluss-fähigkeit mit Blick auf allgemeingesellschaftliche aber eben auch rechtliche Erwartungen. Seine Positionierung an dieser Stelle erweist sich als eine (text-)strukturelle Parallele zur Positionierung der ‚Bilanz’ im ersten Rahmenwerk. Auch diese schloss an bereits bestehende Erwartungsstrukturen an und schraubte damit die kommunikativen Ablehnungsschwellungen für das entsprechende Konzept herunter. ‚Organisation’ offenbart sich damit als ein funktionales Äqui-valent zur „Bilanz“, die im Baseler Akkord von 1988 als globales Modell und zentraler Beobachtungsmechanismus positioniert wurde. Die Bilanz markierte zugleich die Grenzen der Wissensordnung, die sich auf Basis des Rahmenwerkes als internationale Wissensordnung der Bankenaufsicht einspielte. Auch hier zeigt sich mit Blick auf ‚Organisation’ vergleichbares. Es kommt – und dies sprachen wir mit der Entlastungsfunktion durch Verantwortung bereits an – zu spezifi-schen Grenzziehungen und damit auch zu einer Einschränkung von Freiheitsgra-den.

Der Text erwartet normativ eine Organisation, die von ihrer Spitze aus ge-steuert wird, so dass für fehlerhaftes Operieren eben auch die Spitze verantwort-lich gemacht werden kann. Diese strikte Zuweisung von Verantwortung kommt dabei vor allem dann zum Tragen, wenn sich das Regelwerk auf Varietät einlässt und sich damit das Problem von Uneindeutigkeiten ‚einhandelt’.436 Die Mög-lichkeiten einer Reduktion von Komplexität, die hier durch die Fiktion einer Zentralsteuerung eröffnet werden, werden dabei in ihrer Tragweite vor allem dann ersichtlich, wenn wir uns der internen Komplexität der multinationalen Bankorganisationen erinnern, die wir in Abschnitt 5.3 beschrieben hatten. Gleichgültig, in welcher Abteilung auf welchem Kontinent auch immer sich Prozesse abspielen, die das Kriterium der Angemessenheit nicht mehr erfüllen

435 Siehe dazu in einem einschlägigen Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch. Hier heißt es in §26 zur Stellung eines Vorstands. "Sein Handeln ist kein Handeln für den Verein, sondern Handeln des Vereins" (Palandt/Bassenge/Brudermüller 2007, 31). Siehe gundlegender zur Organtheorie im Recht (Holtmeier 1959). 436 Der Rekurs auf Organisation tangiert damit auch ein Kriterium, das angesichts der unscharfen Formulierung von Regeln und Optionen in den Berechnungen sowie den Angemessenheitsklauseln ad absurdum geführt wurde: das Kriterium der Homogenität, das für den erste Baseler Akkord noch ein zentrales Begründungsmoment darstellte. Auch wenn eine Weiterführung von Homogenität – wie es die Einleitung verriet – nicht Gegenstand des zweiten Baseler Akkords war, so wurde doch – wie in Punkt 4 ersichtlich – eine „gleichmäßige“ Anwendung in den Nationalstaaten als begrüßenswert kommuniziert. Der Rekurs auf die Spitze der Organisation und die explizite Zuschreibung der Ver-antwortung schafft eine Grundlage dafür, dass – wie es in der Einleitung zu lesen ist – ein bestimmtes Maß an Vergleichbarkeit in der Anwendung zu finden ist.

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und damit möglicherweise unwillkommene Ereignisse für die Stabilität des Ban-kensystems einleiten. Formal sind diesem Rahmenwerk nach die Leitungsorgane der Organisation für die Verhinderung solcher Ereignisse bzw. der Einleitung entsprechender Maßnahmen verantwortlich.

Die Komplementarität von normativen und kognitiven Erwartungen

Charakteristisch für Basel II ist nun aber auch, dass sich das überarbeitete Rah-menwerk nicht in dieser normativen Setzung von Organisation als beherrschba-res Objekt durch ein leitenden Organs erschöpft. Komplementär dazu wird die Komplexität der Organisation auf der Ebene kognitiver Erwartungen zum The-ma.437 Die Einführung der Risikokategorie der operationellen Risiken sowie vor allem das aufsichtliche Überprüfungsverfahren illustrieren die zugleich stattfin-dende Dekonstruierung des Modells hierarchisch beherrschbarer Organisation. Zusammengefasst heißt dies: Obwohl die Perfektion der Organisation normativ erwartet werden kann, kann sie kognitiv bezweifelt werden. Anders ist die Ent-trivialisierung der Organisation und ihre Beobachtung unter Risikogesichtspunk-ten – wie sie in Basel II vorgenommen wird – nicht zu erklären. Das normative Modell formaler Organisation wird also im Baseler Akkord von 2004 durch kognitive Elemente flankiert, durch die sich Beobachtungsperspektiven für die Aufsicht auftun, die jenseits der Betrachtung und Sanktionierung der Führungs-organe angesiedelt sind. Die Initialisierung von Vor-Ort-Prüfungen ermöglicht die Prüfung von Abläufen in der Organisation. Sie ermöglicht die Beobachtung von Personen in den Abteilungen in der Interaktion, aber auch die Evaluation von Kommunikationswegen. Sie ermöglicht die Beobachtung organisationaler Komplexität, die den Banken genuin gegeben ist und die durch ihre Multinatio-nalisierung und die damit einhergehende Konstitution veränderter organisations-interner Sinngrenzen eine neue Qualität erhält.

Diese kognitive Flankierung des normativen Organisationsmodells wird ers-tens verständlich, wenn wir in Betracht ziehen, dass der Staat trotz dieser Ver-antwortungszuschreibung in der gesellschaftlichen Erwartungshaltung nicht von der Rolle des Risikomanagers entbunden ist; ein Aspekt, auf den wir vor allem in Kapitel 3 hinwiesen. Die Figur des „Vermeidungsimperativs“, auf die wir in Abschnitt 3.1.1 im Anschluss an Helmut Willke als zentrale Funktion von Bank-aufsicht beschrieben (Willke 1992, 112), ist in diesem Zusammenhang instruk-tiv. Sie gewinnt zweitens an Plausibilität, wenn wir das in der Einleitung ausge-

437 In dieser Erweiterung um kognitive Elemente sieht Sven Kette einen zentralen Umstellungspro-zess des Regulierungsmodus in der Bankenaufsicht. Was sich dort nach seiner Einschätzung beo-bachten lässt, ist die Etablierung einer „Cognitive Governance“ auf internationale Ebene (Kette 2008).

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gebene Ziel – eine Stabilisierung des Bankensystems durch die Politik – in Be-tracht ziehen. Im Gegensatz zu Basel I kommt es so nicht zu einer systemati-schen Ausblendung der Aspekte, die sich nicht in diesen normativen Rahmen einordnen lassen. Anders ausgedrückt: Zu erwarten ist, dass sich nach Imple-mentierung dieses Rahmenwerkes eine Wissensordnung der Aufsicht konstitu-iert, die – um diesen Terminus vom Anfang von IV wieder aufzugreifen – eine andere Definition von Realität konstruiert; eine Realität, in welcher eben nicht die Perfektion von Organisation unterstellt werden kann.

Die Möglichkeit von Fehlern in den Programmen, Kommunikationswegen oder in der Stellenbesetzung in Bankorganisationen kann dann in der Kommuni-kation von Aufsehern der Nationalstaaten wechselseitig unterstellt werden. Zugleich konstituiert sich eine legitimatorische Basis dafür heraus, dass diesen Defiziten nicht mit allein mit einer Erhöhung des Eigenkapitals begegnet werden muss. Damit verschieben sich die Sinngrenzen von Basel I hin zu Basel II in fundamentaler Weise. Auch wenn eine entsprechende Eigenkapitalunterlegung von finanzsystemischen Risiken ein Kerngesichtspunkt für die wechselseitige Beobachtung von Risikoregulierung der Banken in den Nationalstaaten bleibt. Die überarbeitete Rahmenvereinbahrung eröffnet für die Bankenaufseher kom-munikative Anschlussmöglichkeiten, nach denen die Organisation in ihrer Kom-plexität auf Risken für das Bankensystem hin thematisiert werden kann. Diese kommunikativen Anschlussmöglichkeiten eröffnen sich sowohl für das Verhält-nis zwischen verschiedenen nationalstaatlichen Bankenaufsichten, aber eben auch für die Kommunikation von Bankenaufsicht und den Banken selbst.

7.4 Zwischenfazit und Ausblick

Die Analysen der beiden Rahmenwerke des Baseler Ausschusses haben deutlich gemacht, warum diesen Dokumenten von wissenschaftlichen Beobachtern aber auch in der bankwirtschaftlichen Praxis eine Sonderstellung auf dem Feld der Bankenaufsicht eingeräumt wird. Beide Texte (re-)formieren das soziale Terrain der internationalen Bankenregulierung. Sie formulieren Grenzen. Dabei bleibt die nationalstaatlich/territoriale Entgrenzung des globalen Bankensystems, die seit dem Ende von Bretton Woods auszumachen sind, unberührt. Es kommt also nicht zu einer Renaissance nationalstaatlicher Grenzziehungen, auch wenn der Nationalstaat als Bezugspunkt für die Implementierung und Durchführung von Aufsichtsprozessen unverzichtbar bleibt. Stattdessen orientieren sich die neuen Grenzen nun an ihrem Regulierungsobjekt – dem Bankensystem und seiner or-ganisationalen Umwelt – den Kreditinstituten. Der Einflussbereich dieser Grenz-ziehungen erstreckt sich zwar im Kern allein auf die G10-Staaten. Zugleich je-

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doch ist den Papieren eine Expansionsdynamik inhärent, mit denen sie Ansprü-che weit über den originären Einflussbereich hinaus anmelden. Dass wir es dabei nicht allein mit bloßem ‚talk’ eines fleißigen aber machtlosen Expertengremium zu tun haben, lässt sich aus den strukturellen Ausprägungen beider Dokumente schließen. Bereits die Einleitungen führen einen Geltungsanspruch mit sich, der sich deutlich von dem der bisherigen Wortmeldungen des Baseler Komitees unterscheidet. Beide Dokumente geben in ihren Einleitungen zu verstehen: Es wird erwartet, dass die formulierten Regeln in den nationalstaatlichen Regulie-rungskontexten zur Anwendung kommen.

Die Sonderstellung der Dokumente zeigte sich jedoch noch in einer weite-ren Hinsicht: So wurden auch die strukturellen Unterschiede zu klassischen Ge-setzestexten oder Verwaltungsverordnungen, deren Geltung über nationalstaatli-che Institutionen bis hin zu Sanktionspotentialen abgesichert ist, deutlich. Beide Texte reagieren auf den Umstand, dass die Implementierung internationaler Ver-einbarungen in nationalstaatliche Politik potentiell als unwahrscheinlich betrach-tet werden kann. Anders lassen sich die ausführlichen und zugleich spezifischen Legitimitätsbekundigungen in sozialer, sachlicher und zeitlicher Hinsicht, die den eigentlichen Regeln vorangestellt sind, nicht erklären. Die Verweise auf die Zustimmung der G10-Staaten sowie der Bankpraxis (sozial), die Bezugnahme auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien (sachlich) sowie die Nennung der langwierigen und deshalb gründlichen Erarbeitungsphase (zeitlich) sind nur einige Beispiele für dieses wiederkehrende Argumentationsmuster. Einerseits offenbart sich damit anhand dieser Legitimitätsbekundigungen das Problem, das mit dem Status der Baseler Rahmenwerke verbunden ist. Andererseits sind sie bereits auch als Teil der Lösung des Problems zu verstehen. Schließlich erhöhen sie – wie wir zeigten – die Ablehnungsschwellen und damit die Möglichkeit einer Implementierung in nationalstaatliche Regulierungsprämissen der Aufsicht. Dies geschieht, indem die Rahmenwerke potentielle Einwände erwidern, mit denen sie konfrontiert werden dürften.

Diese Form der Realisierung von Anschlussfähigkeit findet sich derweil nicht allein in den Einleitungen. Auch die konzeptionellen Teile begegnen der potentiellen Unwahrscheinlichkeit einer Annahme ihrer Sinnofferten jeweils mit der Inanspruchnahme spezifischer und zugleich generalisierter Strukturmuster. In Basel I ist es die „Bilanz“ als Beobachtungsinstrument, die in rechtlicher aber auch ökonomischer Hinsicht Anschlussfähigkeit besitzt (1). In Basel II sind es die Universalität mathematischer Formeln (in Säule 1) sowie ein Modell moder-ner Organisation (in Säule 2), die die Annahmeoptionen in heterogenen national-staatlichen Kontexten wahrscheinlicher machen (2). Alle drei Mechanismen erinnern in diesem Kontext in ihrer Funktionsweise an die Leistungen der sym-bolisch generalisierten Kommunikationsmedien.

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(1) Das bilanzzentrierte Konzept der Kapitalmessung, wie es im ersten Baseler Akkord zum Ausdruck kommt, legt die Sinngrenzen fest, die den Möglichkeits-raum einer internationalen Konvergenz in der Bankenaufsicht fixieren. Aspekte jenseits dieser finanzialisierten Perspektive, für welche allein die genuinen Risi-ken des Kredit- und Finanzgeschäfts von Relevanz sind, werden – wie wir her-ausarbeiteten – ausgeschlossen. Dieser Ausschließungsmechanismus dient als Instrument der Struktursicherung. Er präsentiert in seiner Rationalität der Mes-sung eine Form technischer Rationalität, die für sich die Zuschreibung von Ob-jektivität und Konvergenz beanspruchen kann.

(2) Im überarbeiteten Rahmenwerk wird dieses Paradigma unbedingter Konvergenz bei der Messung der Eigenkapitalquote für Kreditrisiken aufgege-ben. Bereits in der Säule 1, in der die Einführung so bezeichneter risikosensitive-rer Verfahren formuliert wird, ist Konvergenz nicht mehr der zentrale Bezugs-punkt. Der damit verbundene Paradigmenwechsel kündigte sich bereits im Zuge der so genannten Amendments an, und er wird dann in Basel II weitergeführt und mit neuen Geltungsansprüchen kontextuiert. Mit dem Begriff des „Manage-ments“ kommt zudem bereits in der Einleitung eine Kategorie ins Spiel, die über die Figur der Kapitalmessung hinausgeht. Der Titel des Basler Rahmenwerkes, der weiterhin auf die Kapitalmessung rekurriert, aber auch die so genannte erste Säule lassen zwar auf den ersten Blick noch Kontinuität zum Rahmenwerk Basel I erwarten. In diesen Zusammenhängen dominiert das Modell der Kapitalmes-sung, das sich über die Wirkungsmächtigkeit mathematischer Kalküle abgesi-chert findet. Zugleich offenbarte die Feinanalyse, dass bereits in der ersten Säule – die primär auf eine sensitivere Form der finanzialisierten Regulierung der Kre-dit- und Marktrisiken hinausläuft – auf organisationale Aspekte Bezug genom-men wird und es so zu einer Erweiterung des Fokus kommt. Einerseits erweitert sich der Messfokus. Er schließt nun auch mögliche Risiken der Organisation (operationelle Risiken) mit ein. Andererseits werden Bedingungen für wirksame Risikoregulierung formuliert, die die Formen der Messung kontextuieren und in bestimmte Formen des Managements einordnen.

Was sich damit beobachten lässt, ist die Kondensierung von Beobachtungs-formen, die den Weg für eine paradigmatische Veränderung der Wissensord-nung in der internationalen Bankenaufsicht bereitet. Basel II konstituiert neue Erwartungshorizonte für nationalstaatliche Regulierungsverfahren, die sich in einer gesellschaftstheoretischen Betrachtung vor allem über ein funktionalisti-sches Argument plausibilisieren lassen. Die veränderten – von uns aufgezeigten – Sinnbezüge sind Ausdruck des Umstands, dass das internationale Bankensys-tem nicht allein durch die Herstellung von Kapitaladäquanz bei der Unterlegung von Kreditrisiken der internationalen Banken zu stabilisieren ist. Sie reagieren damit auf den Umstand, dass die Organisation in ihrer Multireferentialität über

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spezifische Kopplungsmechanismen für die Stabilität des internationalen Ban-kensystems als relevant zu betrachten ist. Was sich damit zwischen Basel I und Basel II abspielt lässt sich in den Worten Michael Powers auch als einen Wech-sel von „Risk Analysis“ hin zum „Risk Governance“ bezeichnen (Power 2007, 18). Anders aber, als in anderen Kontexten bei Power (Power 2004a) aber auch in weiteren Beiträgen der kritischen Accountingforschung beschrieben, haben wir es dabei jedoch nicht mit der reinen Fokussierung auf ein „Management by numbers“ zu tun. Das Management und die Produktion von Entscheidungen werden nicht – wie dort häufig angenommen (z.B. Messner/Scheytt/Becker 2007, 88) – einer zunehmenden Messlogik unterzogen, wodurch ja dann das „Entscheiden“ im konventionellen Sinne obsolet werden müsste.438

Die Fokuserweiterung im Kontext der Baseler Rahmenwerke beschreitet stattdessen gar den umgekehrten Weg. Stand für Basel I zunächst allein das Mes-sen, das Betrachten der Zahlen im Mittelpunkt, so tritt – wie geschildert – die Dimension des Managements nun erst in Basel II hinzu. Dabei geht es zum einen um die Frage, wie Zahlen zustande kommen. Die Operationen des Messen und Rechnen werden reflexiv und Möglichkeiten einer Veränderung damit auf Basis des Rahmenwerkes artikulierbar. Zum anderen geht es um grundsätzliche Alter-nativen zur kapitalfixierten Form des Risikomanagements, die einem anderen Modus folgen; einem Modus, den wir schon mit dem Begriff der Präventionslo-gik gefasst hatten (s.o.). Es geht nicht um die Fähigkeit einer kapitalbasierten Kompensation, sondern dann um eine Verhinderung unwillkommener Ereignis-se. Basel II eröffnet damit Potentiale, den Rahmen des Ensembles von Techniken zu sprengen, die in der Accountingforschung mit den Begriffen der „Soziokalku-lation“ (Vormbusch 2007, 57ff.) bzw. dem „organisierten Rechnen“ (Vollmer 2004) bezeichnet werden.439 Die notwendige Bedingung eines organisierten Zahlengebrauchs (Vormbusch 2007, 57) ist in diesem Kontext nicht mehr not-wendig erwartbar: weder zur Objektivierung, oder – wie für die Soziokalkulation

438 Entscheidungen werden im Falle eines „Managements by Numbers“ schließlich nicht entschieden. Sie werden errechnet. Rechnungen aber sind keine Entscheidungen. Das Ergebnis steht vorher fest, es muss nun (lediglich) noch über die Rechnung verfügbar gemacht werden. 439 Eine Ausnahme bildet dabei das Verständnis von Kalkulation, wie es von Michel Callon und Fabian Muniesa vorgeschlagen wird. Diese argumentieren für ein noch deutlich erweitertes Ver-ständnis von Kalkulation, in welchem der Rückgriff auf Zahlen nur eine Möglichkeit darstellt. In ihrem Verständnis lässt sich bereits bei dem Treffen von Unterscheidungen sowie bei der Imaginati-on möglicher zukünftiger Ereignisse von Kalkulation sprechen (Callon/Muniesa 2005, 1231). Diesem Verständnis nach wären zweifellos die hier vorliegenden Regulierungsformen lediglich eine weitere Variante der Kalkulation. Einzuwenden ist allerdings aus systemtheoretischer Perspektive die Diffe-renzlosigkeit des Kalkulationsbegriffs, da ihm zufolge ja jede soziale Operation eine Unterscheidung vollzieht und damit Kalkulation dann als Bestandteil jeder sozialen Operation angesehen werden muss. Kalkulation avanciert dann zu einem „catch-all“-Begriff mit wenig theoretischem aber auch heuristischem Erklärungspotential.

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symptomatisch (Vormbusch 2007, 60) – zur Fixierung sozialer Phänomene mittels numerisch dargestellter Wirklichkeiten.

Diese potentielle Abkehr von einem „trust in numbers“ ist im Feld, aber auch in der Literatur bereits unter dem Begriff der „qualitativen Aufsicht“ disku-tiert worden (z.B. Strulik 2006). Nach Peter Pelzer kommt damit in Basel II zum Ausdruck, „dass einerseits das Bewusstsein um die Dimension und Komplexität der Risiken der internationalen Finanzmärkte vorhanden ist. Andererseits sei es Ausdruck der Überzeugung, dass durch Formen der Datensammlung und des Controllings „das Problem“ nicht zu lösen sei (Pelzer 2007, 116). Pelzer stellt dabei darauf ab, dass diese Komplexität vor allem in der internen Umwelt des Bankensystems, nämlich auf dem Bankenmarkt beobachtet wird (Pelzer 2007, 118).440 Was in seiner Analyse jedoch aus dem Blick gerät: Es ist nicht primär die Komplexität der Märkte, sondern vor allem die Komplexität von (internatio-nal operierenden) Bankorganisationen, die durch Basel II zum Gegenstand der Regulierung avanciert. Diese Komplexität aber ist – wie unsere theoretische Argumentation zeigte (siehe 1.2.2 und 2.1) – zu weiten Teilen in der Umwelt des Bankensystems verortet. Hier müssen sich die entsprechenden Stellen mit der Unsicherheit neuer Finanzinstrumente, den Risiken des Risikomanagements sowie den Unzulänglichkeiten von Techniken im weiteren Sinne arrangieren. Diese Phänomene und ihre Schadenpotentiale sind mit der Rationalität einer finanzialisierten Messung nur begrenzt erfassbar und können damit über die Messung der operationellen Risiken wohl nur unzureichend begriffen werden.

Eine regulierungspolitische Thematisierung dieser Komplexität und die Versuche einer internationalen Koordinierung brechen dabei mit bisherigen Er-wartungsstrukturen. Bereits unsere Beschreibungen zur Affinität zwischen Staat und Statistik (siehe ausführlich in Abschnitt 5.1 aber auch in 7.2.2) illustrierten, wie sehr die Zahlen- und Formellogik und die Faszination quantitativer Klassifi-kationsraster die politischen Entscheidungsprogramme geprägt haben. Vor die-sem Hintergrund erklären sich die besonderen Herausforderungen dieses neuen vorgesehen Regulierungsstils. Dass das Baseler Komitee mit der Abkehr eines strikten Rekurs auf Zahlen und Messungen sowie durch die Relativierung der Kapitaladäquanz als exklusivem Maßstab internationaler Regulierung mit beson-deren Annahmeschwierigkeiten, ja vielleicht sogar mit Aufmerksamkeitsschwie-rigkeiten rechnet, haben wir am Text und dann vor allem in der zweiten Säule von Basel II aufgezeigt. Die vorausseilenden Entgegnungen von erwarteten Ein-wänden stellen Textmerkmale dar, die auf die paradigmatische Veränderung dieses Rahmenwerkes – vor allem im Zuge der zweiten Säule – hinweisen. Hier

440 Zur Bedeutung von Märkten als internen Umwelten von Systemen, siehe bei Niklas Luhmann (Luhmann 1988, 131-150).

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werden besondere Brüche mit bisherigen regulatorischen Erwartungsstrukturen, die bisher auf den Mechanismus der Kapitaladäquanz oder zumindest auf analo-ge Mechanismen der Soziokalkulation fokussierten, erwartet.441 Der Text erwar-tet mit dem Verlust der finanzialisierten und messbasierten Logik nun Probleme der Anschlussfähigkeit in den nationalstaatlichen Aufsichtsbehörden.

Zum einen reagiert Basel II auf diese Herausforderung in der zweiten Säule mit der Inkaufnahme von Inkonsistenzen sowie einer partiellen Zulassung von Heterogenität. Kennzeichnend dafür sind die dargestellten Oszillationsfiguren bzw. die vielen Angemessenheitsregeln in diesem Dokumentabschnitt. Der Text handelt sich damit zwar Folgeprobleme ein, wirft er doch die Frage auf, ob die mit Basel I erreichte Konvergenz nicht durch die Einführung von Varietät kon-terkariert wird. Aber auch für dieses Problem ersucht das Papier mit einem zur Bilanz analogen Modell zu kompensieren: dem der formalen Organisation in ihrer hierarchischen, rational strukturierten Verfasstheit. Der Rekurs auf dieses Modell von Organisation dient als Mechanismus der Struktursicherung. Es fährt die Kontingenz zurück, die durch die Angemessenheitsregeln produziert wird, indem es anzeigt: Unabhängig davon, welche nationalstaatlichen Aufsichtsprak-tiken sich auf Basis der unbestimmten Regeln herausbilden: Die obersten Organe tragen als Organisationsspitze in erster und in letzter Konsequenz Verantwor-tung. Entscheidend für dieses Arrangement ist dabei, dass sich der Baseler Ak-kord einem Verständnis von Organisation bedient, das überwiegend zum einen mit dem in der modernen Gesellschaft im Allgemeinen aber auch dem des Rechts im Besonderen konvergiert. Erst auf diese Weise ist eine Anschlussfähig-keit an nationalstaatliche Rechtsordnungen zu erwarten.

Die formale „Organisation“ ist damit der zentrale Gesichtspunkt – Problem und Lösung zugleich. Sie fungiert einerseits als Beobachtungs- und Regulie-rungsobjekt, das über Formen der Kapitalmessung, aber auch durch komple-mentäre Überprüfungsverfahren hinsichtlich ihrer Risikopotentiale beobachtet wird. Andererseits stellt sie einen Bezugspunkt dar, der – wie die Bilanz – zur Struktursicherung des Baseler Rahmenwerkes dient. Was jedoch folgt aus dieser Fokuserweiterung? Welche Auswirkungen bringt die Konstitution dieser verän-derten Wissensordnung mit sich? Und was ergibt sich operativ für das Verhältnis zwischen den nationalstaatlichen Aufsichtsbehörden (1) sowie für das Verhältnis zwischen Aufsichts- und Bankorganisation (2)? (1) Die Aussage, dass die Verab-schiedung von Basel II für das Verhältnis zwischen den nationalstaatlichen Auf-sichtsbehörden nicht ohne Folgen bleibt, dürfte vor dem Hintergrund der Analy-

441 Unsere Analysen sind somit nicht als Kritik der Accountingforschung zu verstehen. Vielmehr bestätigen sie die Wirkungsmächtigkeit und Omnipräsenz dieser kalkulativen Techniken, indem sie anzeigen, welche kommunikativen Probleme erwartet werden, wenn an diese Schemata nicht mehr angeschlossen wird.

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sen dem Status einer Trivialität gleichkommen. Mit der in Säule 2 angesproche-nen Koordinierung zwischen den Aufsichtsbehörden liefert der Text einen expli-ziten Hinweis für ein Arrangement, in dem die Regelanwendung nicht allein jeweils für sich in den Nationalstaaten zum Ausdruck kommt, sondern von ei-nem internationalen Koordinationszusammenhang überspannt wird. Aber auch der herausgestellte veränderte Fokus selbst berechtigt zu dieser Annahme. Die Einleitung „wirkungsvoller Schritte“ zur Reduzierung von Risken dürfte in mul-tinationalen Organisationen auch Fälle umfassen, die sich nicht auf einen natio-nalstaatlichen Kontext beschränken. Unsere Ausführungen zu den verschiedenen Typen multinationaler Banken in Abschnitt 5.3 haben schließlich aufgezeigt, welche vielfältigen internen Strukturmuster sich über nationalstaatliche Grenzen hinweg in Banken herausgebildet haben. Die Frage nach der Ausgestaltung einer Home-Host-Aufsicht, also der Zusammenarbeit zwischen der Aufsichtsbehörde des Landes, in welchem sich der Konzernsitz befindet und der des Landes, in welchem die Filiale angesiedelt ist,442 gewinnt damit eine neue Qualität. Fragen der Angemessenheit lassen sich in diesem Kontext nicht durch einen Abgleich von Zahlen beantworten. Sie müssen zwischen den Aufsichtsbehörden erörtert und schließlich entschieden werden.

(2) Auch für das Verhältnis zwischen Bankenaufsicht und Bankenorganisa-tion sind bedeutsame Modifikationen abzusehen. Unsere Ausdeutungen des „aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens“ zeigten die Sinnverweisungen an, die über bisherige Konzeptionen von Aufsichtsprozessen hinausgingen. Die Termini der Vor-Ort-Prüfungen und des aktiven Dialogs sowie die dahinter stehenden Regulierungsprogramme sind dafür ein weiteres starkes explizites Indiz. Auf Basis einer Argumentationsfigur aus Abschnitt 2.2 lässt sich sagen: Die Banken-aufsicht verlangt von sich und von den Banken selbst nun explizit einen Blick in die „Abgründe der Ungewissheit“ (Baecker 2003, 35). Indem die innerorganisa-tionalen Differenzierungsformen, die wir bereits in Abschnitt 1.2.2 darstellten, nun auch zum Thema des internationalen Rahmenwerks avancieren, lassen sich Veränderungen der Aufsichtsformen absehen. Entscheidend dafür ist die ange-sprochene Unbestimmtheit der Regeln, in welcher Sven Kette die Entstehung einer Form des „cognitive governance“ beobachtet (Kette 2008). Sie ‚nötigt’ die Bankenaufsicht förmlich dazu, sich auf die Abgründe der Ungewissheit einzulas-sen. Für sie besteht aus kognitiver Perspektive die Notwendigkeit, die mangeln-den Möglichkeiten einer Reduktion von Kontingenz über Techniken der Kalku-lation und Berechnung mit einer Beobachtung der Komplexität von Organisatio-nen zu kompensieren. Erst auf diese Weise ist eine Konkretisierung der abstrak-ten Vorgaben wie Verbesserung des Managements überhaupt erwartbar. Erst

442 Dieses Thema wurde bereits im Baseler Konkordat (BCBS 1975) erörtert.

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dann ist ein Vorgang, der hier mit dem Begriff „Überprüfung“ benannt ist, reali-sierbar. Allein: Diese Folgerungen kommen an diesem Punkt nicht über den Status (gut begründeter) Hypothesen hinaus. Im folgenden, letzten Kapitel dieser Arbeit wollen wir deshalb einen nächsten Schritt machen, indem wir die Kom-munikationsofferten des internationalen Rahmenwerks zu Entwicklungen auf nationalstaatlicher Ebene in Beziehung setzen. Dabei werden exemplarisch Ver-änderungen nationalstaatlicher Aufsicht nachgezeichnet, die sich jetzt nach der vorgesehenen Implementierung von Basel II beobachten lassen.

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8 Zur Implementierung von Basel II

Thema des vorangegangenen Kapitels war die Manifestation von regulatorischen Erwartungsstrukturen auf supranationaler Ebene. Wir zeigten auf, wie unter dem Dach des Baseler Komitees zwei internationale Regelwerke zur Regulierung internationaler Banken formuliert wurden, die die Aufseher mit sehr weit rei-chenden Anforderungen konfrontierten. Basel I und Basel II führten einen An-spruch mit sich, der in den vorangegangenen, in Abschnitt 5.1 analysierten Pa-pieren vergeblich zu finden war. Beide Regelwerke ‚intendieren’443 eine Stabili-sierung des internationalen Bankensystems über die Regulierung international operierender Bankorganisationen.

Anhand einer hermeneutischen Analyse der Dokumente konnten wir deut-lich machen, auf welche Weise die Rahmenwerke jeweils bestimmte kommuni-kative Muster bereitstellten, die die potentiellen Schwellen an Ignoranz oder auch Ablehnung der damit verbundenen Regeln und Prinzipien erhöhten. Daraus generierten wir die folgenden Hypothesen: Zum einen erhöhten die angespro-chenen Legitimitätsfiguren in den Einleitungen die Wahrscheinlichkeit einer Annahme der Kommunikationsofferten. Zum zweiten minimierte der Rekurs auf wirkungsmächtige globale Modelle die Ablehnungsoptionen. Der erste Akkord schrieb dafür Regeln zur Kapitalunterlegung von Kreditrisiken vor. Er fokussier-te dabei auf die ‚Bilanz’ als Steuerungs- und Beobachtungsinstrument einer Bank, das in den verschiedenen ökonomischen und regulierungsrechtlichen Kon-texten der Nationalstaaten Anschlussfähigkeit genießen sollte. Der zweite Basler Akkord erweiterte diese Perspektive. Er verfeinerte das Verfahren zur Ermittlung der Kapitaladäquanz. Zugleich führte er weitere Kriterien zur Beurteilung einer Bank ein und relativierte damit die Bedeutung von Kapital. Die erste For-schungsfrage dieser Arbeit – die nach dem erweiterten Fokus internationaler Bankenaufsicht – haben wir damit bearbeitet. Über die Frage einer faktischen

443 Der Begriff der Intentionalität hat in der systemtheoretischen Literatur zweifellos spätestens seit „Zweckbegriff und Systemrationalität“ von Niklas Luhmann (Luhmann 1999b) einen schweren Stand. Eine Möglichkeit, den Begriff für systemtheoretische Arbeiten und dann auch für die Auto-poiesis der Kommunikation nutzbar zu machen hat Helmut Willke in den „Symbolischen Systemen“ vorgelegt (Willke 2005b, 183-192).

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Zur Implementierung von Basel II 299

Implementierung gibt diese Bearbeitung jedoch keine Auskunft.444 Vor allem aber vor dem Hintergrund unserer theoretischen Ausführungen des Kapitels 3, in denen es um operative Formen der Bankenregulierung ging (s.o.), ist dieser Zu-sammenhang bedeutsam Im folgenden Kapitel werden wir deshalb die national-staatliche Bankenaufsicht, aber auch Bankinstitute beobachten, um eine Vorstel-lung darüber, zu gewinnen, welche Auswirkungen dieser Paradigmenwechsel für sie mit sich bringt. Auf diese Weise können wir dann weitergehende Annahmen darüber treffen, welchen Strukturwert die Baseler Rahmenwerke auf national-staatlicher Ebene besitzen.

Im Falle von Basel I dürfte sich diesbezüglich eine weitergehende, eigene Forschung erübrigen. An der Performanz des ersten Regelwerkes besteht schließlich in der Literatur wenig Zweifel (z.B. Wagster 1996; Wood 2005, 93ff.) – auch wenn es in einigen Ländern dauerte, bis die geforderte Höhe von 8 Prozent Eigenkapital erreicht wurde. Die Frage nach den Folgen von Basel II auf die nationalstaatlichen Regulierungssysteme ist dagegen in weiten Teilen noch unbeantwortet. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass das Regelwerk in den meisten Nationalstaaten erst Anfang 2007 in Kraft trat. Eine (vor allem zeitlich) distanzierte Evaluierung der Regelumsetzung ist somit allein aufgrund der zeitlichen Nähe nicht leistbar. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Regelfindung und Regelanwendung, wie sie sich hier stellt, verkompliziert sich aber zugleich auch aufgrund der inhaltlichen Ausgestaltung des Regelwerks. Anders als im Falle von Basel I lässt sich die Frage nach einer Implementierung nicht mit der Bewertung der Eigenkapitalquoten zur Unterlegung von Kreditrisi-ken beantworten.

Ein bedeutsamer Grund für die anspruchsvollere Evaluation kann vor allem in den vielen Uneindeutigkeiten in Form der Angemessenheitsregeln und ande-ren Oszillationsfiguren, wie sie beispielsweise in der zweiten Säule vorkommen, gesehen werden. Diese Strukturmerkmale des Textes erschweren eine Klärung des Zusammenhangs zwischen internationaler Regelfindung sowie einer natio-nalstaatlichen Regelimplementierung und -anwendung. Auch deshalb verbieten sich klare Kausalitätsannahmen. Die vielen verschiedenen Arbeitspapiere, die das Baseler Komitee ergänzend zum eigentlichen Text zur inhaltlichen Konkreti-sierung der Implementierungsprozesse veröffentlichte,445 reflektieren bereits von Seiten des Komitees das hohe Maß an Kontingenz im Regelwerk sowie die lose Kopplung zwischen Regelwerk und Regelanwendung. Sie deuten eben darauf hin, dass für die Umsetzung der Regeln von Basel II weitergehende Erklärun-

444 Dass diese an der sozialen Komplexität der jeweiligen Kontexte scheitern kann, zeigen bereits Jeffrey Pressman und Aaron Wildavsky in ihrer einschlägigen Studie zur Implementierung eines öffentlichen Programms auf (Pressman/Wildavsky 1973, 125-162). 445 Siehe dazu beispielsweise in folgenden Dokumenten des Komitees: (BCBS 2004b; BCBS 2005a).

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gen als notwendig betrachtet werden. Schließlich stellt sich die Frage, zu wel-chem Ausmaß aufgrund der bestehenden Regulierungsordnungen in den Natio-nalstaaten verschiedene Voraussetzungen bestehen, die nun mit den Inhalten der internationalen Vereinbahrungen konfrontiert werden.

Diese genannten Herausforderungen in Rechnung stellend, werden im letz-ten Kapitel nun Formen der Anschlusskommunikation auf nationalstaatlicher Ebene aufgezeigt, die einen Eindruck über die Performativität der durch Basel II konstituierten Wissensordnung vermitteln. Dafür wollen wir vor allem die Mit-arbeiter von Aufsichtsbehörden, Bankinstituten, Bankenverbänden, Wirtschafts-prüfer und andere Berater sowie die akademischen Beobachter aus den feldnahen Reflexionswissenschaften (Finanzwirtschaft, Finanzwissenschaft) zu Wort kommen lassen. Ihre Aussagen werden illustrieren, welche Veränderungen sich im Anschluss an das Basel II-Paradigma für die nationalstaatliche Aufsichtspra-xis beobachten lassen. Die Berichte haben dabei vor allem explorativen Charak-ter. Sie fügen sich zu einer Darstellung zusammen, die – bildlich gesprochen – eher die Charakteristika einer skizzenhaften Kreidezeichnung, denn die einer hoch auflösenden Farbfotografie aufweist.

Inhaltlich stehen dabei zwei Aspekte im Zentrum der Aufmerksamkeit: Ers-tens gilt es, eine Beschreibung der Regulierungsformen anzufertigen, die vor der Implementierung von Basel II die nationalstaatlichen Aufsichtssysteme domi-nierten (8.1.1 und 8.2.1). Erst auf dieser Basis erhalten wir eine Vergleichsper-spektive. In einem zweiten Schritt werden wir diese Darstellungen mit den Ent-wicklungen kontrastieren, die im Zuge der Implementierung von Basel II zu erwarten sind (8.1.2 und 8.2.2). In unseren empirischen Zuschnitt werden wir uns auf die Betrachtung der Prozesse in Deutschland sowie den Vereinigten Staaten konzentrieren. Anhand der Betrachtung dieser beiden Länder mit sehr unterschiedlichen Traditionen der Bankenaufsicht wird dann der jeweils spezifi-sche Folgenreichtum von Basel II in den unterschiedlichen nationalstaatlichen Kontexten nachvollziehbar. Das Kapitel schließt mit einer Einordnung dieser Veränderungen vor dem Hintergrund der gesellschaftstheoretischen und zeitdia-gnostischen Beschreibungen, die wir in den ersten beiden Teilen dieser Arbeit (II und III) angefertigt haben (8.3).

8.1 Wandlungsprozesse politischer Bankenaufsicht in Deutschland

8.1.1 Die Gärtner des „Zahlenfriedhofs“ – ein Blick zurück

Das deutsche Regulierungssystem stellt ein mustergültiges Beispiel einer Auf-sichtspraxis dar, die angesichts der Basel II Regeln vor signifikanten Verände-

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rungen stand. Diese Änderungen vollzogen sich zum einen im Kontext des The-menbereichs ‚operationelle Risiken’. Hinsichtlich dieser Thematik waren zu-nächst vor allem die Bankinstitute, die ambitionierte Messansätze einführen wollten, selbst gefragt waren. Sie standen vor der Aufgabe, leistungsfähige In-strumente zur Generierung von aussagekräftigen Daten zu implementieren, um operationelle Risiken messen zu können.446 Kleinere Institute bedienten sich dabei vor allem auch eines Poolings. Wie uns ein banknaher Dienstleister für diesen Bereich erläuterte, wurden die Datenreihen vieler Institute ‚gepoolt’, um über eine kritische Masse zur Errechnung von Verlustwahrscheinlichkeiten zu verfügen (050509). Die Aufsicht hingegen sah in der Umsetzung einer Risikore-gulierung der operationellen Risiken in der durch Basel II geforderten Form geringe Probleme. Trotz der dürftigen Datenlage in manchen Instituten wurden hier keine grundsätzlichen Schwierigkeiten befürchtet (050314).

Die Säule 2 und das bankenaufsichtliche Verfahren dagegen führten für die Aufsicht selbst zu signifikanten Veränderungen. In der Zeit vor Basel II operierte die deutsche Regulierungsbehörde vor allem auf Basis eines Regulierungsstils, der sich in der Terminologie von Christopher Hood, Henry Rothstein und Robert Baldwin als „fire alarm“ bezeichnen lässt.447 Die Aufsicht war – so drückt es der Vertreter einen Bankenverbandes aus – primär „meldebasiert“ aufgestellt (050302). Dies bedeutet: Erst bei offensichtlichen Problemen wurden besondere Prüfungsschritte eingeleitet. Oder in den Worten eines Bankaufsehers: „auf gut

446 Ein Verantwortlicher für den Bereich der operationellen Risiken in einem Institut beschreibt dies wie folgt: „Diese ‚self-assessments’ werden bei uns im Hause so durchgeführt, dass wir zentral vom Bereich ‚Controlling’ in die Bereiche gehen und sagen: Wir müssen jetzt ein ‚self-assessment’ für Operationelle Risiken machen. Gehen in den Bereich zu dem Bereichsleiter und sagen: Benennen Sie mir vier bis fünf Experten in ihrem Bereich, die die Prozesse genau kennen und die auch eine Aussa-ge zu Risiken treffen können. [...] Und dann geht man hin und sagt: OK, jetzt nehmt euch mal eure Prozesse vor und überlegt euch, wo sind da Risiken. Das erfolgt in einer Phase des Brainstormings, vielleicht so eine Stunde, dann können die auf Kärtchen schreiben: Hier könnte das passieren. Und das wird einfach aufgeschrieben. Und dann wird es gesammelt, ausgewertet, werden vielleicht noch paar Fragen zu diesem Szenario gestellt, was da passieren könnte. Und dann wird in einer zweiten Runde dann versucht, das zu bewerten, dass man sagt: OK, diese Szenarien habt ihr jetzt aufgestellt. Jetzt müsst ihr uns bitte noch sagen, wie oft kommt so was vor, und wenn so was vorkommt, was für Auswirkungen hat das? Und das wird in so eine Matrix zusammen geschrieben: Schadenswahr-scheinlichkeit, Schadenshöhe. Und dieser ganze Workshop inklusive der Bewertung dauert dann vier Stunden. [...] Und das wird dann in regelmäßigen Abständen eben durchgeführt, einmal im Jahr oder wie auch immer, dass man auch Entwicklungen sieht. Und es werden auch, wenn man Potentiale erfasst oder erkannt, wo man sagt: Oh, da sollten wir vielleicht was tun. (…) Wenn man dann das nächste Mal in den Bereich geht, geht es auch darum zu prüfen, welche Maßnahmen sind umgesetzt und haben die Wirkung gezeigt oder schätzen Experten ihre Risiken immer genauso hoch ein?“ (050317) 447 Das Gegenstück, das sich in unseren späteren Beschreibungen zeigen wird, wird als „police patrol“ bezeichnet (Hood/Rothstein/Baldwin 2001, 25).

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Deutsch: da muss es geknallt haben, bevor da eine Prüfung gemacht worden ist“ (070726). Die rechtlichen Grundlagen für eine Beaufsichtigung und Regulierung der Organisation und ihrer Abläufe, waren dabei durchaus bereits zuvor gegeben. Das Kreditwesengesetz (KWG) band die Eröffnung von Kreditinstituten an enge organisatorische Voraussetzungen. Die Aufsicht konnte die Erlaubnis für das Betreiben von Kreditgeschäften aus sehr verschiedenen Gründen, die sich nicht allein auf eine mangelnde Kapitalbasis zurückführen ließen, versagen, bzw. ent-ziehen. Möglich war dies zum Beispiel, wenn „Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass Antragsteller bzw. Geschäftsführer nicht zuverlässig sind“, „die fachliche Eignung nicht erkennbar ist“ oder auch „im Institut nicht die erforder-lichen organisatorischen Vorkehrungen zum ordnungsgemäßen Betreiben für die Geschäfte geschaffen sind“ (Fischer 2000, 815).

An diesen Bedingungen zeigt sich, dass im Gesetzestext die Bank als Orga-nisation in der Vor-Basel-II-Zeit sehr wohl als relevant erachtet wurde, wenn es der Aufsicht darum ging, bankwirtschaftliche Geschäfte rechtlich zu flankieren. Zudem erschien das Instrument von detaillierten Prüfungen bereits vor der Erar-beitung des aufsichtlichen Überprüfungsprozesses rechtlich vorgesehen. Gemäß §44 des KWG hatten ein Institut und seine Mitglieder der Aufsicht, bzw. assozi-ierten Personen auf Verlangen Auskünfte über alle Geschäftsangelegenheiten zu erteilen und Unterlagen vorzulegen. Auch war es für die Aufsicht, bzw. beauf-tragte Prüfer möglich, im Rahmen der Prüfungen die Geschäftsräume des Insti-tuts zu den Geschäftszeiten betreten und sich Unterlagen vorlegen lassen, die die Richtigkeit der durch das Institut gemachten Auskünfte belegen (Braun 2000, 889). Neben Informationsrechten besaßen die Aufseher – wie der einschlägige Kommentar zum KWG ausführt – auch „Sachverhaltsermittlungsrechte“, die es den Aufsehern erlaubten, Prüfungen durchzuführen und an Organversammlun-gen teilzunehmen (Braun 2000, 891).

Ferner finden sich unterhalb der Gesetzesebene entsprechende Verwal-tungsverordnungen. Bereits seit dem Jahr 1975 hatten sich – auch als Antwort auf den Zusammenbruch der Herstatt Bank (siehe Abschnitt 4.1) – erste Min-destanforderungen herausgebildet, die organisationale Aspekte berücksichtigten (Stützle 2006, 9). Im Laufe der Jahre kam es dann über die Formulierung so genannter Mindestanforderungen wie beispielsweise denen für das Betreiben von Handelsgeschäften (MaH) oder für das Kreditgeschäft (MaK) zu immer weiteren Verfeinerungen, die die Möglichkeiten einer Regulierung von Bankorganisatio-nen eröffneten (Stützle 2006, 13-19). Trotz dieser Möglichkeiten und dem breit ausgestalteten Recht der Sachverhaltsermittlung bestätigte sich jedoch auf Basis unserer Gespräche der Eindruck: Eine fortlaufende Beobachtung der Organisati-on auf diese Aspekte hin war im Rahmen der Bankenregulierung in Deutschland nicht üblich. Vor-Ort-Prüfungen zur Überprüfungen der Organisation blieben

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Sonderprüfungen, die auf einen bestimmten Anlass, z.B. auf Unregelmäßigkeiten reagierten. Worauf sich die Bankenaufsicht im Rahmen ihres ‚business as usual’ stattdessen nahezu ausschließlich konzentrierte, war eine Kontrolle der Kapital-flüsse, in welche die Banken eingebunden waren. Ein Mitarbeiter einer Auf-sichtsinstitution erklärt dies wie folgt:

„Jede Bank in Deutschland, jede lizenzierte Bank (...) muss also monatlich, viertel-jährig, halbjährig einen bestimmten Meldekatalog einfach erfüllen. Das geht zwar alles elektronisch heute. Also da kommen jetzt nicht mehr Papierzettel durch die Gegend, sondern das geht also alles auf elektronischem Wege. Aber gleichwohl, ein sehr sehr hoher Zahlenfriedhof, jetzt abfällig, der da jeweils fabriziert und wird und der dann also hier in die Datenbank bei der Bundesbank, bei der BaFin einfließt und dann eben ausgewertet wird“ (050222).

Es waren somit numerische Daten, auf deren Basis die Aufsicht bisher die Bank-institute beobachtete – und dies nicht bei den Banken vor Ort sondern im „Elfen-beinturm“ (Interview 050413) der Aufsicht. Die folgende Aussage des gleichen Gesprächspartners verdeutlicht weiter, in welcher Form diese Daten den primä-ren Beobachtungszugang zur bankwirtschaftlichen Realität darstellten.

„Die werden mit statistischen Verfahren ausgewertet und geben dann dem Sachbe-arbeiter in der Bankenaufsicht Indikatoren, welche Sachverhalte er in einzelnen Banken sich näher angucken muss. Und bilden unter Umständen mal den Anlass für ein Gespräch mit der Bank. [...] Der Gegenpol dazu, also qualitative Aufsicht, das heißt: Vor-Ort-Tätigkeit bei den Instituten, findet derzeit kaum statt. Es gibt derzeit einige ganz wenige Bereiche, wo wir das machen“ (050222).

Weiterführende Schritte – wie ein Gespräch mit der Bank – wurden also nur im Falle von Missständen, die sich dann in den Zahlen finden ließen, unternommen. Diese Charakterisierung von Aufsichtspraxis wird zugleich aus Perspektive der Bankwirtschaft bestätigt. Auch hier lassen sich Aussagen anführen, die das Pro-cedere vor der Einführung von Basel II in vergleichbarer Weise beobachten. Dazu ein Mitarbeiter eines Bankenverbandes:

„Also heute ist das ja eher so’n obrigkeitliches Denken. Du lieferst die Zahlen nach oben, und ich guck mir die dann an. Und wenn sie mir gefallen ist es in Ordnung und wenn nicht, dann frag’ ich nach“ (050413).

Dabei brachten die Aufseher selbst Argumente hervor, die auf die Nachteile dieses Aufsichtsverfahrens verwiesen. Ein Aufseher: „Es ist auf jeden Fall von Vorteil, ein Institut nicht nur von Schreibtischen zu kennen“ (Interview 050314). Die Reduktion von Komplexität auf Zahlen wurde also keineswegs als unprob-

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lematisch erfahren, „weil zwischen den Hochglanzdokumentationen, die man teilweise auf den Tisch bekommt als Aufseher und der in den Instituten zu beo-bachtenden Wirklichkeit mitunter nicht unerhebliche Diskrepanzen auftreten“ (050222). Ein Vertreter aus der Kreditwirtschaft skizzierte im Gespräch einen Fall, der diesen Umstand illustriert:

„Also so ein schönes Beispiel ist eines, was mir vor kurzem begegnet ist. Da hat ein Vorstand bestimmte Reporting-Listen (...) vorliegen. Der hat die immer abgezeich-net, aber im Prinzip immer einen Tag später. Der hat quasi immer mit einem Tag Verzögerung, die Listen bekommen und hat die aber dann auf dem Datum unter-zeichnet, mit dem aktuellen Datum unterzeichnet. Er hat also gar nicht gemerkt of-fensichtlich, dass es sich um die Vortagesliste handelt, bei der normalerweise keine Diskrepanz liegen darf. Also es ist jetzt nicht so, dass er es absichtlich immer wieder um einen Tag verzögerte. Aufgrund dieses Prozesses hat sich eben herausstellt: Der hat das Zeug nicht gelesen, sonst hätte er das so nicht abgezeichnet. Ja, aber das ist so ein klassisches Beispiel, ich sage mal: Jahrelang geht es trotz mangelhafter Pro-zesse eben gut. Aber irgendwann wird es zurückschlagen, weil man eben den Pro-zess nicht im Griff hat“ (050426).

Erfahrungen mit derartigen Diskrepanzen durfte die Prüfung erwartungsgemäß bei den Sonderprüfungen sammeln, in welchen Uregelmäßigkeiten offenkundig wurden. Darüber hinaus sind in Deutschland Präzedenzfälle für Vor-Ort-Prüfungen außerhalb eines konkreten Verdachts zu finden. So sammelte die Aufsicht im Zuge der Einführung der Amendments zum ersten Baseler Akkord im Jahre 1996 Erfahrungen dieser Art.448 Kern dieser Amendments war die Zu-lassung interner Risikomodelle zur bankinternen Berechnung von Marktrisiken: ein Prozess der mittels einer Durchführung von Vor-Ort-Prüfungen begleitet wurde, in welchem eine Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Modelle vorge-nommen wurde. Ein Mitarbeiter, der zu diesem Zeitpunkt Mitglied eines solchen Prüfungsteams war, zeigt dabei auf, dass es nicht allein um die Modelle selbst, sondern auch um ihre organisationale Einbettung ging (051103). Warum aber, so fragten wir nach – wurde für die Abnahme der Modelle eine Vor-Ort-Prüfung als notwendig erachtet? Schließlich lassen sich die Parameter von Modellen auch ohne Vor-Ort-Präsenz analysieren. Deutlich wurde nun, dass vor allem die Kon-textuierung der Modelle, ihre Einbettung in die Organisation als bedeutsam an-gesehen wurde.

448 In Abschnitt 7.3 waren wir auf diese Amendments eingegangen hatten insbesondere dieses von 1996 als einen Schritt identifiziert, in dem sich partiell schon der durch Basel II eingeleitete Para-digmenwechsel andeutete. Dieser eingeleitete Schritt zeigt sich somit nun komplementär auf der nationalstaatlichen Ebene.

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Befürchtet wurde beispielsweise,

„dass das Risikocontrolling vielleicht nur noch blind nur irgendwelche Zahlen aus-rechnet, ohne ein Verständnis für Strategien zu entwickeln. (...) Das lag dann jetzt weniger genau an den Details des Modells, sondern an irgendwelchen Schwachstel-len des Datenzuflusses. Das konnte man an den Resultaten festmachen, aber man konnte natürlich nicht genau sagen, woran das lag“ (051103).

Wie wir aus dem selben Interview erfuhren, beschäftigten sich die 6-8köpfigen Teams der Bankaufseher zur Abnahme der Modelle etwa drei Wochen mit einem Institut, in welchem sie für diese Zeit auch eigene Büroräume in der Bank bezo-gen. Dabei fungierten vor allem die Mitarbeiter des Risikocontrollings als An-sprechpartner. Darüber hinaus sprachen die Aufseher mit Mitarbeitern aus ande-ren Abteilungen, um etwas über die Kommunikationsflüsse in der Organisation sowie die Personen auf den entsprechenden Stellen zu erfahren.

„Es ist eine Sache zu erfahren, ja die und die Risikoreports oder Profit- und Loss-Reports werden täglich bis 17.00 Uhr erstellt, oder sich grundsätzlich auch mal die-sen ganzen Prozess der Report-Erstellung auch mal anzugucken. Und ich denke es ist auch nicht unwichtig, sich konkret von den Mitarbeitern ein Bild zu verschaffen, ob man jetzt glaubt, die sind gut oder schlecht oder wie knapp ist letztlich das Risi-kocontrolling personell ausgestattet. Das kann man doch wesentlich besser einschät-zen, wenn man sich vor Ort noch mal einen Überblick über das Business verschafft“ (051103).

Anhand dieser Aussage lässt sich nachvollziehen, dass nicht allein die Entschei-dungsprämisse „Kommunikationswege“ in den Blick rückt, sondern dass im Rahmen dieser Prüfungen auch die „Person“ als weitere Entscheidungsprämisse einer Beobachtung/Begutachtung unterzogen wurde. Zudem zeigt sich anhand dieser Passage, dass nun nicht allein die Entscheidungsprogramme des Geschäfts sowie des Risikomanagements Gegenstand der Beobachtung sind. Ins Zentrum rückt damit auch die Frage der Personalplanung und damit letztlich eine Katego-rie jenseits des reinen Kreditgeschäfts sowie des Risikomanagement, womit dann auch die Programme der Personalabteilung berührt sein dürften. Die Vor-Ort-Prüfungen, die im Anschluss an die Einführung der Marktrisikomodelle einge-führt wurden, wiesen somit schon bereits Züge einer Betrachtung der Organisati-on als Organisation auf. Auch wenn es in diesem Zusammenhang primär um die Beobachtung besonderer Aspekte in den Banken ging. Betrachtet wurde die Bank auch in diesem Zusammenhang nicht allein als eine riesige Rechen- und Verkaufsmaschine, sondern als ein nicht-triviales soziales System, in welchem

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verschiedene Systemrationalitäten zum Ausdruck kamen.449 An dieser Stelle lässt sich so eine deutliche Konvergenz zwischen den im SRP konstituierten Erwartungen beobachten, denen nach Kapital eine wichtige, aber nicht die einzi-ge Voraussetzung für die Stabilität der Bank darstellte. Die Vor-Ort-Prüfungen der Marktrisikomodelle in der hier dargestellten Form liefern schließlich auch ein Argument für die Säulen-Architektur von Basel II, in welchem kein Bereich ohne den anderen zu realisieren ist. Sie liefern die empirische Begründung, wa-rum das Zulassen bankinterner Risikomessverfahren und eine ganzheitliche Be-obachtung der Organisation nicht in einem nachgeordneten, sondern in einem Komplementärverhältnis zu sehen sind, in welchem beide Bereiche in ihrem Zusammenwirken ihre regulatorischen Funktionen erfüllen.

8.1.2 „Ein Sprung ins kalte Wasser – der Weg nach vorn

Diese Formen der Prüfungen blieben jedoch zunächst Ausnahmeprüfungen. Sie waren ein Beispiel für die oben genannten „wenigen Bereiche“, in denen die Bankenaufsicht Aspekte jenseits finanzökonomischer Kennziffern prüfte. Die traditionelle Regulierungspraxis einer Überprüfung quantitativer Norm blieb eben weiterhin der dominierende Regulierungsstil (Lüders/Weber 2006, 62). Damit lässt sich festhalten: Die im Baseler Akkord formulierten Erwartungen hinsichtlich der Regulierungspraxis trafen im deutschen Regulierungssystem auf Regulierungsformen, die zuvor einer deutlich anderen Logik folgten. Für das deutsche System sollten die Basel II-Regeln deshalb eine deutliche Veränderung der Aufsichtspraktiken bedeuten. Diese Veränderungen betrafen die Bankinstitu-te selbst, was sich insbesondere am Umgang mit der Risikokategorie der operati-onellen Risiken zeigte. Hier ging es für die Institute darum, die erforderlichen Datensammlungen, das soziale Gedächtnis über die eigenen Unzulänglichkeiten der Organisation aufzubereiten. Mit Blick auf die zweite Säule war aber eben zugleich auch die Aufsicht von Umstellungen betroffen. Dass es im Zuge einer Implementierung von Basel II zu einer intensivierten Nutzung des „Sachver-haltsermittlungsrechts“ kommen würde, stand dabei im Vorfeld für Aufseher und auch für die Kreditwirtschaft außer Zweifel: Erwartet wurde nach Aussagen der Aufsicht eine deutliche Verstärkung der so genannten ‚qualitativen’ Aufsichts-

449 So führen beispielsweise die Fragen nach der Kompetenz und Ausbildung von Personen eben auch zur Verwendung von Unterscheidungen, die primär im Erziehungssystem eine Rolle spielen. So interessiert dann, ob (vormals vermitteltes) Wissen bei Personen in ‚besserer’ oder ‚schlechterer’ Weise vorhanden ist (Luhmann 2002a, 73). Die Thematisierung und Untersuchung der Leistungsfä-higkeit technischer Modelle rekurrieren nicht zuletzt auf Theorien und Methoden aus dem Wissen-schaftssystem.

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praktiken, die dann vor Ort stattfinden würden (050222; 050314). Zudem war von einer „grundlegenden Änderung in der Aufsichtspraxis“ die Rede, nach der es „im Vergleich zu heute viel mehr Vor-Ort-Prüfungen geben wird“ (Interview 050413). Die damit einhergehenden veränderten Regulierungsprogramme wur-den dabei zunächst als besondere Herausforderungen für Personen betrachtet. Ein Mitarbeiter einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, spezialisiert auf die Prü-fung und Beratung von Banken, brachte diese Herausforderung für die einzelnen Bankaufseher wie folgt auf den Punkt:450

„Das Hauptproblem (aber) für diese neuen Mitarbeiter wird nicht das Fachliche sein, das kann man lernen. Sondern das Problem ist die Praxis. Wie geht man in der Pra-xis mit bestimmten Fragestellungen um. Wie geht man methodisch vor? Wie unter-hält man sich mit einem Vorstand? Wie kann man das einschätzen? Der Vorstand sagt: Wir haben ne Risikostrategie eine Seite, das reicht uns. Da kann der nicht sa-gen von soher: Eine Seite, Checkliste raus, eine Seite ist wenig, ist zuviel sondern er muss sich mit den Inhalten beschäftigen. (...) Und damit umzugehen und damit die ganzen Banken zu beaufsichtigen. Das ist die große Herausforderung“ (050322).

Ausformuliert finden sich diese Umstellungen, durch welche die Herausforde-rungen hervorgerufen werden, in den Mindestanforderungen für das Risikoma-nagement (MaRisk), welche nun es in Deutschland die Grundlage für die Prü-fungsvorgänge darstellen. In den MaRisk kommt somit das aufsichtliche Über-prüfungsverfahren des Basel II-Rahmenswerks auf nationaler Ebene zum Aus-druck (Meusel 2006). Die in diesem Papier formulierten Richtlinien führen damit zugleich verschiedene, bereits in den so genannten MaH’s und MaK’s themati-sierte Aspekte zusammen und stellen unter diesem Gesichtspunkt betrachtet einen „wesentlich ganzheitlicheren Ansatz“ dar (Wohlert 2006, 48). Trotz der Verabschiedung dieser Vorgaben und ersten Erfahrungen mit Vor-Ort-Prüfungen, die sich als erste Reaktion auf Vorschriften der zweiten Säule des Baseler Rahmenwerkes herausgebildet haben, wurden diese veränderten Prü-fungsformen als Herausforderungen begriffen, die für einen Teil des Aufsichts-personals eben einen „Sprung ins kalte Wasser“ (051103) bedeuten würden. Es darf deshalb nicht verwundern, dass dieser Sprung ins kalte Wasser von ver-schiedenen ‚Trockenübungen’ begleitet wurde – sowohl auf Seiten der Aufsicht, aber auch auf Seiten der Bankwirtschaft, für die der neue Aufsichtsfokus und -modus ebenfalls ein Spiel mit vielen Unbekannten werden konnte. Zu derartigen Trockenübungen zählten zum einen die jeweilige fachliche Schulung und Quali-

450 Die Wirtschaftsprüfung ist in diesem Kontext eine hilfreiche und kompetente Quelle, da diese Organisationen bereits vergleichbare Prüfungen in den Banken durchgeführt haben und deshalb diese Interaktionsverhältnisse in Ansätzen kennen.

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fizierung für den Umgang mit prüfungsrelevanten Inhalten, die – wie erwähnt – zu lernen waren, aber dann eben auch gelernt bzw. vertieft werden mussten (1).Darüber hinaus kam es zu einer Institutionalisierung von Interaktion zwischen Bankenaufsicht, Mitgliedern der Bankenverbände und den Mitarbeitern von Instituten (2).

(1) Auf Seiten der Bankenaufseher wurde neben der Schulung individueller Schwerpunkte in den Kompetenzen zugleich auch Wert auf eine ganzheitliche Perspektive gelegt. Mitarbeiter mit einem finanzmathematischen Hintergrund wurden mit Fragen des praktischen Kreditgeschäfts oder auch mit Grundlagen des Verwaltungsrechts geschult. Praktiker bekamen dagegen die theoretischen und methodischen Grundlagen von Modellen vermittelt (070726). Auf Seiten der Banken wurde die Vorbereitung auf die durch Basel II zu erwartenden Änderun-gen in vielen Häusern durch „Projekte“ zu einzelnen Themenbereichen wie eben Kreditrisiken, operationelle Risiken oder SRP begleitet (050317b; 070718). Im Gegensatz zur ganzheitlichen Vorbereitung der Aufsicht, die vor allem auf die Ergänzung nicht vorhandenen Wissens bei einzelnen Personen setzte und damit mögliche individuelle Kompetenzlücken zu schließen ersuchte, setzten die Ban-ken auf Spezialisierung und die Vertiefung der Kompetenzen einzelner Mitarbei-ter, um der Aufsicht in Prüfungssituationen auch entsprechende ‚Experten’ zur Seite stellen zu können (070718). Neben dieser inhaltlich/thematischen Vorbe-reitung griffen einige Häuser außerdem auf externe Expertise zurück, um sich auf die spezifischen Prüfungskontexte einzustellen. Während dabei im Falle der ersten Säule – wie wir erfuhren – standardisierte, so genannte „Gap-Analysen“ mit bis zu 1000 spezifischen Fragen durchgeführt wurden, gestaltete sich die Vorbereitung auf die zweite Säule deutlich anders:

„Dieser gesamte Bereich der Säule 2 ist relativ, ja, mit weichen Faktoren belegt. Da muss sich ja jede Bank selbst was überlegen und da versuchen wir die Banken ei-gentlich zu coachen, zu sagen: Wir würden als Prüfer – und das ist ja genau der Vor-teil von Abschlussprüfern – die wissen ja, was für eine Denke die BaFin hat, (...), Wir sind ja praktisch wie die Aufsicht. (...) Und da coachen wir eben. Wir schreiben auch mit Fachkonzepte, was wir tatsächlich nicht machen, wir jetzt als Unternehmen >xy<, ist IT-Umsetzung. Also das wir tatsächlich in die Bits und Bytes runtergehen und da in den Niederungen der IT rumfrickeln. Da gibt es andere, da arbeiten wir auch mit anderen zusammen“ (050322).

Trotz derartiger Formen einer fachlichen und konzeptionellen, simulationsförmi-gen Vorbereitung auf die Prüfungen im Rahmen der Säule 2 konnten auf diese Weise nicht alle Unklarheiten auf Bankenseite erschöpfend beseitigt werden. Insbesondere die Angemessenheitsregeln der Säule 2 erwiesen sich als eine be-sondere Herausforderung. Ein Verbandsvertreter mit Beratungserfahrung von

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Instituten in diesem Kontext schildert die Ambivalenz der Angemessenheitsre-geln wie folgt:

„In den Konsultationen war unser Ziel immer, diese Öffnungsklausel zu erhalten, möglichst auszudehnen um einfach die Freiheit zu schaffen. Das ist die eine Seite des Pendels. Das ist dann aber natürlich im Moment der Umsetzung zurückgeschla-gen, weil dann kam natürlich die Frage: Ja, wie müssen wir es denn jetzt machen? Und Sie stoßen oftmals, wenn Sie Institute auch beraten, beim Doing, da stoßen Sie an die Grenze, dass Sie sagen: Ich kann es dir nicht verbindlich vorgeben. Das musst du für dich entscheiden! Das heißt: Freiheit auf der einen Seite ist immer auch ver-bunden auch mit Verantwortlichkeit und mit Entscheidungen treffen. Das kann man überhaupt nicht unterschätzen, das ist eine sehr, sehr anspruchsvolle Aufgabe“ (050426).

(2) Dieser Überlegung folgend erscheint es nachvollziehbar, dass die entspre-chenden Vorbereitungen auf den Prüfungsalltag und die Anwendung der neuen Regeln auf Seiten von Aufsicht und Kreditwirtschaft nicht allein in separierter Weise stattfanden. Begleitet wurden diese fachlichen Schulungen und Coachings von Gesprächen zwischen den Vertretern der Aufsicht sowie der Kreditwirt-schaft. Ein bereits zitierter Aufseher fasst diese Komplementarität wie folgt zu-sammen:

„Zum einen haben wir natürlich Schulungen gemacht, es gab Treffen, Ergebnisse auf Arbeitsgruppen „Was sind die Anforderungen, wo wollen wir eigentlich hin? Im Prinzip haben wir uns mit den Instituten vorbereitet, würd ich das mal nennen“ (070726).

Als maßgeblicher Impuls fungierte dabei das in Abschnitt 7.3 erwähnte „Konsul-tationsverfahren“ zur Erarbeitung des Rahmenwerks. In der besagten Textstelle behandelten wir das Verfahren vor allem als kommunikative Äußerungen, die die Legitimität der Rahmenwerke und dann folgend die kommunikative An-schlussfähigkeit realisieren sollte (s.o.). Blicken wir nun auf die nationalstaatli-che Ebene, so zeigt sich: Die Einführung der Konsultationsverfahren auf Ebene des Baseler Komitees setzte in der Tat bereits während der Regelfindungsphase bestimmte Prozesse des Austausches zwischen Aufsicht und Kreditwirtschaft in Gang – dies vor allem im Kontext von Basel II. Im Windschatten der internatio-nalen Regelfindung kam es zu einer Institutionalisierung des Austausches zwi-schen Aufsicht und Kreditwirtschaft, die sich in der Einrichtung des „Arbeits-kreises Bankenaufsicht“ und den entsprechenden thematisch differenzierten

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Fachgremien niederschlug.451 In diesen Organen, die von der Bundesbank einge-richtet worden waren, etablierte sich ein regelmäßiger Austausch zwischen Auf-sehern und Vertretern der Kreditwirtschaft. Zusammenkünfte dauerten in der Regel ein bis zwei Tage und fanden bis zu einem Mal im Monat statt (050203).

Einerseits dienten die Arbeitskreis- und Fachgremiumssitzungen dazu, die Aufseher auf die Interessen der deutschen Kreditwirtschaft aufmerksam zu ma-chen und sie dahingehend für die Verhandlungen in Basel mit Informationen ‚auszurüsten’. Zugleich aber hoben die Gesprächspartner hervor, dass es sich dabei „um ein Fachgremium und keine Politikveranstaltung“ (050203) handelte. Der Sinnbezug der Kommunikation im Rahmen dieser Zusammenkünfte lag somit nicht immer in der Sozial-, sondern war häufig auch in der Sachdimension verortet. Die Fachgremien wurden in dieser Hinsicht auch als eine „eine Art Ratgeber“ (050203) angesehen – dies sowohl für die erste Säule, aber eben auch für die zweite Säule. Ein Verbandsvertreter schildert Gesprächssituationen, in denen die Vertreter der Aufsicht die Einrichtung der Arbeitskreise nicht nur damit begründeten, „dass wir unsere Gedanken zur Umsetzung vorstellen, wir brauchen dieses Fachgremium da für die Säule II auch um Input zu kriegen, was ist überhaupt Status Quo in der deutschen Kreditwirtschaft“ (050426). Diese fachliche Charakterisierung der Arbeitskreise wird auch von Vertretern der Bankinstitute selbst bestätigt. Ein Mitarbeiter einer Bank, der in einem dieser Arbeitskreise mitgewirkt hat, erinnert sich an Situationen, „wo die Bundesbank einfach gesagt hat, sie möchte auch mal außerhalb der Verbandsmeinung direkt mit den Instituten am Tisch sitzen, (…) und fragen. Wo drückt euch eigentlich wirklich der Schuh, fachlich?“ (050317) Die Aufsicht zeichnet dazu ein entspre-chendes Bild und sieht in dieser wechselseitigen Bereitstellung von Informatio-nen ein kommunikatives Arrangement mit Strukturwert:

„ ...da haben sich jetzt einfach auch Gesprächskanäle etabliert, die dazu beitragen werden, dass ein weiterer permanenter Informationsfluss letztlich von den Beauf-sichtigten zu den Aufsehern hin stattfindet“ (050222).

Diese Beschreibungen verschiedener Beteiligter illustrieren, in welcher Intensität über die formale Regelsetzung hinaus ein wechselseitiger Austausch mit Blick auf die neuen Aufsichtsformen für nötig befunden wurde. Dieser Austausch bezog sich einerseits auf die Ausgestaltung der Eigenkapitalanforderungen und

451 Diese Aspekten wurde bereits mit unterschiedlicher Gewichtung in anderen Arbeiten thematisiert (z.B.: Kette/Kussin/Strulik 2007; Strulik/Kussin 2005). Eine eingehende empirische Beschreibung dieser Gremien sowie detaillierte Protokolle der Sitzungen finden sich auf der Internetseite der Deutschen Bundesbank unter der Adresse: URL: http://www.bundesbank.de/bankenaufsicht/bankenaufsicht_basel_nationaleumsetzung.php (13.12.07)

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ihre Berechnung, wie sie in der ersten Säule ausgeführt waren. Er wurde aber zum zweiten auch für die Bereiche der Säule 2 als notwendig befunden. Der „aktive Dialog“, dessen Förderung im zweiten Baseler Rahmenwerk als Ziel der zweiten Säule ausgegeben worden war (siehe 7.2.3), begann so bereits vor der eigentlichen Einführung der Regeln seine Dynamik zu entfalten. Seit dem Januar 2007 erfuhr dieser Austausch dann schließlich eine neue Qualität, traten doch mit diesem Datum die Regeln auf Basis des Basel II-Standards in Kraft. Die bisher institutionalisierten Formen des Austausches in den Fachgremien sowie die so genannten Aufsichtsgespräche452 wurden nun um das eigentliche kommu-nikative Element, die Vor-Ort-Prüfung, erweitert. Dabei wiesen die ersten Prü-fungen, die bisher stattfanden, einerseits vergleichbare Züge zu den Prüfungen im Rahmen der Abnahme der Marktrisikomodelle im Jahr 1996 auf.453 Anderer-seits macht ein Bankaufseher deutlich, in welcher Weise nun nach der Imple-mentierung von Basel II durch die MaRisk in Deutschland eine neue Situation geschaffen wurde.

„MaRisk (...) ist jetzt die Vollendung des Ganzen. Und jetzt sehen wir die ganze Bank das erste Mal, können wir zumindest sehen. Von den Liquiditätsrisiken, opera-tionelle Risiken, Strategien und wirklich Kreditgeschäft“ (070726).

Bereits beim Ausgangspunkt einer Prüfung, der vor der eigentlichen Vor-Ort-Prüfung zu terminieren ist, offenbart sich diese Ganzheitlichkeit. Für das Institut besteht die erste Aufgabe darin, der Prüfungsinstitution bestimmte angeforderte Informationen bereit zu stellen. Dabei geht es nun nicht (mehr) allein um die Übersendung standardisierter Meldungen über finanzökonomische Kennziffern. Im Zentrum stehen – im Sinne der angesprochenen Ganzheitlichkeit – auch wei-tere Aspekte, wie ein Abteilungsleiter einer Bank ausführt,

„auch grundsätzlich Fragen, wie das Organigramm der Bank, also Geschäftsvertei-lungspläne, welcher Vorstand für was zuständig ist, (...) ob eine Funktionstrennung/ internes Kontrollsystem sichergestellt ist, auch auf Vorstandsebene, damit man das auch alles ableiten kann. Dann auch wesentliche Arbeits- und Prozessbeschreibun-gen, (...). Und dann halt auch Revisionsberichte zu dem Thema, Prüfungspläne von

452 Dabei handelt es sich um ein jährliches Treffen zwischen der Geschäftsleitung unter Bankenauf-sicht, in welchem unter anderem über die wirtschaftliche Lage des Instituts oder dann auch neue Entwicklungen im Risikomanagement gesprochen wird (070718). 453 Noch zu erwähnen ist, dass im Rahmen von Basel II unterschiedliche Prüfungstypen, nämlich die Routineprüfungen und dann die Prüfungen zur Abnahme von Modellen – vergleichbar mit den Prüfungen zur Abnahme der Marktrisikomodelle 1996 – vorgesehen sind. Da jedoch bei allen For-men so genannte qualitative Elemente, also Prüfungsformen „im Rahmen der Säule 2“ (siehe 7.3.3) vorgesehen sind, verzichten wir hier auf Unterscheidungen, die für unser Erkenntnisinteresse von geringer Relevanz sind.

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der Innenrevision, der letzte Prüfungsplan und und und... Also eine ganze Latte von Anforderungen“ (070718).

Den eigentlichen Prüfungszeitraum verbringt das Prüfungsteam, das sich aus Experten für Methoden aber auch für organisatorische Aspekte zusammensetzt, in der Bank. Es bezieht dort eigene Büros, in denen sie nun ihren Prüfungstätig-keiten überwiegend nachkommt. Ein Bankmitarbeiter erinnert:

„die haben verschiedene Termine gemacht mit den unterschiedlichen Organisations-einheiten mal so ein Morgens oder Mittagstermin, würde ich mal so bezeichnen. Und dann haben sie sich verschlossen und haben teilweise auch bis in die Abend-stunden hinter verschlossenen Türen gebrütet und diskutiert und ihren Bericht ge-schrieben, sind Unterlagen durchgegangen (...), sind Arbeitsanweisungen durchge-gangen, sind Methodiken durchgegangen“ (070718).

Charakteristisch für die Ausgestaltung der Prüfungen ist dabei auch die Tatsache, dass nicht allein den Programmen der Organisation, sondern auch – wie bereits 1996 – den Kommunikationswegen und Personen eine besondere Aufmerksam-keit zukommt. Diese Beschreibung macht deutlich, wie Programme, Kommuni-kationswege und Personen verwoben sind, wenn es um die detaillierte Rekon-struktion einzelner Operationsketten geht. Ein Bankaufseher erläutert: „Dann spricht man natürlich auch mit den Leuten, aber man muss sich auch einzelne Fälle anschauen. Man guckt sich wirklich mal eine Kreditakte an, wie ist das gelaufen. (...) Wie sind die Entscheidungswege eingehalten worden. Wenn es kritisch wurde, wurde der Vorstand informiert? Wie hat der Vorstand darauf reagiert? Diese Dinge kann man sich schon angucken (...) Wie hat der Vorstand auf eine Limitüberschreitung reagiert. Wie ist er eingebunden bei großen Kredit-entscheidungen? Wann ist er eingebunden? Das kann man sich natürlich schon anschauen. Wie sieht die Risikotragfähigkeit aus, wie risikofreudig ist er, was stellt er alles ins Feuer?“ (070726) So offenbart sich in dieser Passage nun auch die exponierte Position des Vorstands, werden doch alle Operationen und Ent-scheidungen vor dem Hintergrund seiner Person(en) betrachtet. Die Beobachtung von Personen bezieht sich dabei jedoch nicht allein auf die Vorstandsstellen. Darüber hinaus werden auch weitere Stelleninhaber hinsichtlich ihrer Kompeten-zen beobachtet, wie der folgende Erfahrungsbericht verdeutlicht:

„Also die gehen dann also nicht nur hin und gucken sich die Modelle an, sondern die gehen auch zu den Mitarbeitern hin und sagen: Erklären sie mir mal das Ratingver-fahren, um zu gucken ob die Mitarbeiter auch qualifiziert sind, ob die das Rating-modul auch verstehen. Es nützt ja nichts wenn man Instrumente dahin stellt, einen Ferrari dahinstellt, und keiner kann damit fahren. Und das habe ich auch schon jetzt von mehreren anderen Banken gehört, dass die teilweise wahllos irgendwo hingehen

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und wissen, ah der macht irgendwie Immobilienfinanzierung, der muss sich mit dem Immobiliengeschäftsrating auskennen also fragen wir den mal im Rahmen eines In-terviews“ (070718).

Erkennbar wird, in welcher Form der Prüfungsmodus die Unterscheidung zwi-schen formaler Stelle und ‚Person’ als nicht weiter entscheidbare Entscheidungs-prämisse reflektiert. Die Prüfer verlassen sich also nicht allein auf die – in Ab-schnitt 7.3.3 – geschilderte Verantwortung des Vorstandes, in die auch die Be-setzung von Stellen fällt. Stattdessen richtet sich ihr Fokus auch auf die Ebenen unterhalb der Führungsetage, um die Frage nach dem ‚richtigen Mann am richti-gen Platz’ zu beantworten. Die Interviewpassage verrät zugleich aber auch etwas über die Prüfungsmöglichkeiten, die sich aufgrund der räumlichen Verschrän-kung von Prüfungsobjekt und Prüfungsprozess ergeben. Neben formalen Ge-sprächen besteht für die Aufseher eben auch die Möglichkeit, die Beschäftigten der Institute an ihren Arbeitsplätzen und damit die Organisation im Zuge ihres Operierens zu beobachten. Es ergeben sich spontane Möglichkeiten des Nachfra-gens, die im Rahmen einer isolierten Gesprächssituation im Büro des Aufsehers so nicht möglich sind. Diese erweiterten Formen des Prüfungsmodus, die primär aus dem Vor-Ort-Arrangement resultieren – betrachten die Aufsichtsbehörden selbst als Chance einer kognitivierten Ausrichtung, von der wir in Abschnitt 7.3.3 sprachen – und dies im dreifachen Sinne: Zum einen sehen sie die Mög-lichkeit, die Ausgestaltung der Prüfung situativ zu modifizieren und damit auf Basis von Zwischenergebnissen anzupassen (1). Zum zweiten wird das Vor-Ort-Sein von den Aufsehern als Chance für einen impressionistischen, intuitiven Prüfungszugang betrachtet, der programmierte Formen von Aufsicht ergänzt (2).Drittens erwarten die Prüfer die Möglichkeiten, ihre eigenen Erwartungen und Wissensbestände auf Basis der Vor-Ort-Erfahrungen anzupassen, bzw. zu erwei-tern (3).

(1) Die Intensität und Länge der Vor-Ort-Prüfungen ist zum einen von der Dokumentation abhängig, die die Bank im Vorfeld für die Aufsicht zu erstellen hat (070726). Wie und wie lange eine derartige Vor-Ort-Prüfung dann durchge-führt wird, hängt aber zum zweiten auch von dem Eindruck ab, den die Aufsicht unmittelbar vor Ort erhält. Ein Aufseher verrät:

„Ich komme in ein Haus rein und stelle fest: Ich habe wirklich sehr gut aufgesetzte Prozesse, klare Strukturen, klare Organisation. Dann ist man relativ schnell durch. Wenn ich meine da irgendwelche Probleme zu finden wo ich meine, da harkt es, dann muss ich die Prüfung verlängern. Die Freiheit habe ich dann auch zu sagen, ok: ich bleibe eine Woche länger, zwei Wochen länger. (...) Das ist dann eine Fallent-scheidung“ (070726).

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Anhand dieser Aussage zeigt sich, dass die Ausgestaltung der Prüfung auch erst vor Ort entschieden werden kann. Wie und auf welchen Zeitraum sich Prüfungen erstrecken, ist eine Fallentscheidung und nicht bereits im Vorfeld normiert. Mit anderen Worten: Die Aufsicht ‚lernt’ erst vor Ort, in welchem Umfang und in welcher Intensität sie welche Prozesse betrachtet. (2) Diese Lernprozesse müssen dabei nicht zwingend bestimmten formalisierten Programmen folgen. Stattdessen geht es nun auch um Prüfungsprozesse, die sich auf kognitive Schemata der Prüfungspersonen und ihren Wahrnehmungshorizont beziehen:454 Für Aufseher eröffnet sich auf Basis der Vor-Ort-Präsenz die Möglichkeit, als Personen die eigene Multidimensionalität ihres Beobachtungs- und Erfahrungskontextes aus-zunutzen. Er erhält die Chance, die Risikopotentiale der Organisation außerhalb seiner formalen Aufsichtsprogramme wahrzunehmen. Welche Bedeutung diesen Formen zukommt stellt ein Bankaufseher in leitender Position heraus:

„Es geht um Erfahrungswerte, die sich nur über physische Präsenz vermitteln. es muss uns darum gehen, unsere Reflexe zu schulen und zu verstehen, ja wie funktio-niert so ein Laden. Was sind das für Menschen da“ (050421).

Verstehen, läuft hierbei somit nicht allein über die detaillierte Rekonstruktion von Abläufen, über Protokolle und andere schriftlich tradierte Formen sozialer Wirklichkeit. Sie geschieht zudem über unvermeidliche Wahrnehmungsprozesse, die sich im Falle der Vor-Ort-Präsenz einstellen.455 Wir haben es mit einer spezi-fisch ausgeprägten Risikosensitivität zu tun, die nun nicht über ausgefeilte Mo-delle, sondern – wie in Abschnitt 7.3.3 anhand des Terminus der „aufsichtlichen Überprüfung“ gezeigt – über aufmerksame Personen herzustellen ist. Befördert wird dieser Ansatz nicht zuletzt durch den Umstand, dass die Prinzipien der zweiten Säule keinen exklusiven Gegenstandsbereich für sich in Anspruch neh-men, sondern allein eine „Behandlung im Rahmen der Säule 2“ vorgeben (s.o.). Der Verzicht auf eine eindeutig umrissene Begrenzung der Aufmerksamkeits-schwerpunkte öffnet den Horizont für den Einsatz der dargestellten Wahrneh-

454 Dieser Zusammenhang wird ersichtlich, wenn wir noch einmal erinnern, dass Wahrnehmung nicht über soziale, sondern allein über psychische Systeme geschehen kann (Luhmann 1995b, 19ff.). 455 Wir haben es in diesem Kontext also wiederum mit der Konstellation der „folgenschweren Offen-sichtlichkeit“ (Goffman 2001, 58) zu tun, auf die wir bereits in Abschnitt 5.3 hingewiesen haben. In dem vorangegangenen Kontext ging es dabei um die Absenz dieser „folgenschweren Offensichtlich-keit“ zwischen Mitgliedern einer (multinationalen) Organisation. Nun aber geht es hingegen um die ‚Produktion’ einer folgenschweren Offensichtlichkeit im Zusammenspiel zwischen Mitgliedern verschiedener Organisationen, der Aufsichts- bzw. Prüfungsbehörde und der zu prüfenden Bank. Dieser Aspekt plausibilisiert zugleich unsere Ausdeutungen zum ‚bankaufsichtlichen Überprüfungs-verfahren’. Wir hatten betont, dass Beaufsichtigung nur von Personen durch Personen vorzustellen ist. Gerade durch die hier ins Feld geführte physische Präsenz verstärkte sich dieser Gesichtspunkt.

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mungsmöglichkeiten. Ein solches aufsichtliches Vorgehen erscheint dabei vor allem in kleineren Häusern geboten, in denen „natürlich viel über den Flur“ läuft (070726). Generell registriert dieses Vorgehen auch kommunikative Vorgänge, die sich nicht den formalen Entscheidungsprämissen zurechnen lassen. Zudem eröffnet es die Möglichkeit des ‚Aufspürens’ von Prozessen, die aus anderen Gründen im ‚Zwielicht’ der Informalität verbleiben – zum Beispiel, weil sie mit formalen Vorgaben, Anforderungen und Beschreibungen kollidieren.

(3) Schließlich lässt sich die Kognitivität des Aufsichtsmodus auch mit Blick auf die inhaltliche Erwartungshaltung aufzeigen. Es geht nicht mehr um die Bewertung nach vorher gefassten Richtig- oder Falsch- Kriterien, sondern um die aufsichtliche Rekonstruktion und schließlich die Entscheidung darüber, ob bestimmte Programme, Kommunikationswege oder Stellenbesetzungen in ihren Kontexten als ‚angemessen’ zu bewerten sind. Ein Aufseher erläutert diese Haltung der Prüfer:

„Man sollte überhaupt nicht mit einer festen Meinung reingehen. Es ist fast immer so, ich les mir die Dokumentation durch und hab dann so eine Hand voll bis Dut-zende von Punkten, wo ich denke: Ah mal gucken ob das so in Ordnung ist. Und dann gehe ich in ein Haus rein und erfahre auch die Hintergründe, warum ein Haus das macht. Vielleicht haben die bestimmte Erfahrungen damit, vielleicht ist das auch ein spezielles Geschäft, und es gibt da ein paar Besonderheiten, und so klärt sich das. Manchmal ist es auch schlichtweg ein Missverständnis, es kann ja auch banal sein, ich les eine Dokumentation durch und denk Oh mein Gott’, was machen die da. Und dann stellt sich heraus, Ne, das haben wir anders gemeint, entweder es war doof ausgedrückt oder ich bin in die falsche Richtung gedanklich gelaufen. Also die Ge-spräche sind schon Diskussionen, wo man zunächst mal die Meinung des Hauses sich anhört und deren Erfahrungen. Man geht ja auch nicht in ein Gespräch rein und sagt: Ich hab mir das durch gelesen und schaut, das ist falsch. Dann ist das Gespräch relativ schnell auf einem uninteressanten Level. Sondern man fragt rein: Wir haben das gelesen, können sie uns erklären, was sind die Hintergründe, was sind ihre Er-fahrungen damit? Da kommt dann oft schon eine Story dahinter. Das hat dann oft einen bestimmten Hintergrund. Die überlegen sich ja auch was dabei. Und dann muss man fragen, ok: ist das für das Geschäft angemessen, ist das vielleicht sehr gut für dieses Geschäft, was vielleicht bei den anderen beiden vielleicht gar nicht taug-lich wäre, weil es ein anderes Geschäft ist“ (070726).

Auch diese Aussage gibt Anlass zu der Vermutung, dass Prüfungen zwar Struk-turen aufweisen, sie aber zugleich in einem hohen Maß von Elastizitäten geprägt sind. Sie verweisen auf die Probleme und Chance, die sich ergeben, wenn ein-deutige Zahlen nicht (mehr) das einzige Bewertungskriterium darstellen. Die Darstellung organisationaler Wirklichkeit bietet einerseits die Gefahr von Miss-verständnissen – vor allem deshalb, weil Personen von Banken und Bankenauf-

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316 Paradigmen

sicht über andere unterschiedliche Wissensbestände verfügen und damit be-stimmte Problem- und Lösungskontexte andersartig interpretieren.456 Anderer-seits aber eröffnen gerade diese Uneindeutigkeiten Lernpotentiale auf Seiten der Aufsicht, die mit der Komplexität des Bankengeschäfts jenseits von Bilanzzah-len konfrontiert werden.

Betrachten wir diese Regulierungsform vor dem Hintergrund unserer Inter-pretation der Säule 2, so zeigt sich: Die hier anzutreffenden Prüfungsformen gehen deutlich über das hinaus, was wir in Abschnitt 7.3.3 mit den Begriffen des „aufsichtlichen“ sowie des „Überprüfungsverfahrens“ verbunden haben. So sind zum einen die Prüfungsabläufe selbst nicht durch ein Hierarchieverhältnis ge-kennzeichnet, welches aufgrund des Aufsichtsbegriffs hätte erwartet werden können. Zum zweiten haben wir es nicht mit einem schlichten Überprüfungspro-zess zu tun. Die hier berichteten Aufsichtsformen dienten zunächst nicht dazu zu beobachten, ob etwas (das Risikomanagement) noch funktioniert, sondern viel-mehr dazu, wie es funktioniert. Zusammengenommen lassen unsere Gespräche mit verschiedenen Beobachtern und Beteiligten den Schluss zu, dass die Erweite-rung des Aufsichtsfokus auf internationaler Ebene deutliche Veränderungen für die Regulierungsprogramme in Deutschland bedeutet. Zum einen fand mit der systematischen Betrachtung von operationellen Risiken eine neue Risikokatego-rie Einzug, die vor allem die Institute vor die Herausforderung stellt, künftig über brauchbares Verlustdatenmaterial zu verfügen. Für die Aufsicht jedoch scheint vor allem die zweite Säule operativ den größten Einschnitt darzustellen. Ein strikt meldebasierter und zahlenorientierter Aufsichtsmodus wird nun erwei-tert durch neue Vor-Ort-Prüfungen, die nun auch Risikowirklichkeiten jenseits der Zahlen aufnehmen und damit an die Programme aber auch Personen der Aufsicht veränderte Anforderungen stellen.

Haben wir es dabei mit einem ubiquitären Phänomen zu tun? Wir wollen uns im Folgenden den Vereinigten Staaten zuwenden, um die Frage zu klären, ob in diesem Kontext vergleichbare Veränderungen zu beobachten sind. Dabei wird sich zeigen, dass in diesem nationalstaatlichen Regulierungskontext ganz andere Herausforderungen eine Rolle spielen.

456 Dieser Gesichtspunkt wird vor dem Hintergrund der Theoriefigur unterschiedlicher Relevanzsys-teme aus der phänomenologischen Soziologie von Alfred Schütz, welche dieser zunächst für das Ablaufen von Alltagshandlungen konzipiert hat, verständlich. So wählen Bankaufseher und Bank-mitarbeiter auf Basis unterschiedlicher Wissensvorräte verschiedene Typisierungen aus, um die gleichen Themen und Probleme zu interpretieren. Die Form kognitivierter Aufsicht birgt so die Möglichkeit, divergierende Auslegungsrelevanzen (inkongruente Erfahrungen und Wissensbestände von Aufsicht und Bank) bei gleichen thematischen Relevanzen (leistungsfähiges Risikomanagement) trotz divergierender motivationaler Relevanzen (primäre Orientierung an Politik versus primärer Orientierung an der Rationalität des Bankensystems) in einen kongruenten Sinnzusammenhang zu bringen (Schütz 1971a, 56-86).

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8.2 Wandlungsprozesse politischer Bankenaufsicht 2 – der Fall ‘USA’

8.2.1 “These guys are bullshitting me” – being “on site”

Die Baseler Vereinbahrungen trafen in den Vereinigten Staaten auf deutlich andere Voraussetzungen als in der Bundesrepublik Deutschland, unterschied sich doch die institutionelle Ausgestaltung der Bankenaufsicht deutlich. In Deutsch-land zeichnet allein die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Ba-Fin),457 die dem Bundesministerium der Finanzen unterstellt ist, für die Erteilung und den Entzug der Betriebserlaubnis, sowie die Einleitung rechtlicher Schritte verantwortlich.458 In den Vereinigten Staaten dagegen verteilt sich bereits die Beaufsichtigung der Bankorganisationen auf drei Behörden: das Office of the Comptroller of Currency (OCC), die Aufsichtsorganisationen des Federal Reser-ve Systems (Fed) sowie die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC).459

Diese Institutionen operieren – auch wenn sie sich seit 1979 im Federal Financial Institutions Examination Council (FFIEC) abstimmen – unabhängig voneinander und besitzen unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche.460

Trotz unterschiedlicher Zuständigkeitsbereiche, über die die jeweiligen Be-hörden verfügen, ist es jedoch nicht selten der Fall, dass Bankinstitute von ver-schiedenen Aufsichtsbehörden reguliert werden. Andreas Busch erläutert, dass eine so genannte Holding Company, die in verschiedenen Geschäftsbereichen tätig ist, es mit nicht weniger als vier Aufsichtsbehörden zu tun haben kann (Busch 2003, 75). Über diese institutionelle Ausgestaltung hinaus unterscheiden

457 Dies ist erst seit 2002 der Fall. Die BaFin entstand zu diesem Zeitpunkt aus dem Zusammen-schluss des Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred), des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel (BAWe) und des Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV). Diese koordinierte Aufsichtsform in einer Organisation wurde gewählt, um ein funktionsfähiges, stabiles und integeres deutsches Finanzsystem zu gewährleisten. Siehe dazu auch im Online-Börsenlexikon der FAZ: URL: http://boersenlexikon.faz.net/bafin.htm (26.01.08). 458 Zwar wird die Behörde in diesem Zusammenhang insbesondere bei den Ausführungen der Prü-fungen von der Bundesbank und ggf. weiteren Prüfungsinstitutionen wie Wirtschaftsprüfern unter-stützt. Die Entscheidung über mögliche Konsequenzen aber trifft sie letztlich allein. 459 Wir verzichten an dieser Stelle auf eine historische Rekonstruktion der Entstehung dieses Auf-sichtssystems, da es zu unserer Argumentation wenig beitragen würde. Für eine detaillierte Beschrei-bung siehe bei Andreas Busch (Busch 2003, 55-94) und Susanne Lütz (Lütz 2002, 254-268). 460 Während das OCC dem Finanzministerium zugeordnet ist, kann das Federal Reserve System, das vom Borard of Governors geleitet wird, vergleichsweise unabhängig operieren – auch wenn seine Mitglieder ebenfalls vom Präsidenten mit Zustimmung des Senates ernannt werden (Busch 2003, 71). Der Aspekt der verschiedenen Zuständigkeitsbereiche äußert sich unter anderem in der Beaufsichti-gung verschiedener Bankentypen. Während internationale Holdings beispielsweise allein vom Fede-ral Reserve System beaufsichtigt werden, ist das OCC beispielsweise für Banken mit so genannter Bundeslizenz zuständig. Darüber hinaus fungieren die Aufsichtsbehörden wechselseitig als Haupt-, bzw. als Nebenaufsichten (Busch 2003, 73).

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sich die Voraussetzungen für die Implementierung von Basel II von denen in Deutschland noch in einer weiteren Hinsicht. So zeichnete sich in den Vereinig-ten Staaten bereits zu einem frühen Zeitpunkt ab, dass die Basel II – Regeln nicht für alle Banken zur Geltung kommen sollten. Anders als in Deutschland werden demnach allein die internationalen Banken gemäß des neuen Standards beauf-sichtigt. Die Regelungen besitzen so für etwa zehn Banken einen verbindlichen, für weitere zehn Banken einen freiwilligen Charakter (051109). Vor allem hin-sichtlich der ersten Säule wurde dieses Vorgehen jedoch insbesondere von Ban-kenseite als nicht unproblematisch erachtet. So stand die Befürchtung im Raum, dass kleinere Banken Wettbewerbsnachteile erhalten würden, durch den Um-stand, dass die Basel II-Banken im Zuge der Reform ihre Eigenkapitalquoten werden senken können.461

Den Regelungen der zweiten Säule, die im Kontext unserer Untersuchung neben den operationellen Risiken von besonderer Bedeutung waren, wurde da-gegen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Gründe dafür sind dabei nicht etwa darin zu sehen, dass die Regulierer der Vereinigten Staaten die Beaufsichtigung der Organisation als Organisation als nicht relevant erachteten. Im Gegenteil hatten die Behörden dort schon vor Basel II damit begonnen, Phä-nomenbereiche jenseits der finanzökonomischen Zahlenwelten der Banken auch operativ systematisch auszuleuchten. Bereits Ende der 70er Jahr wurde unter dem Dach des OCC eine Abteilung eingerichtet, die allein für die Beaufsichti-gung multinationaler Institute zuständig war. Zu den Aufgaben dieser Abteilung zählten zum einen die Analyse von Bilanzen, sowie auch die Betrachtung von Strategien und Prozessen anhand entsprechender Dokumente. Zum zweiten führ-ten die zuständigen Aufseher dieser Abteilung bereits regelmäßige Vor-Ort-Prüfungen durch. Die Einrichtung des Büros bei der OCC war der erste Schritt in die Richtung dieses neuen Aufsichtsstils. Zu Beginn der 90er Jahre modifizierte auch das Fed System mit der Erarbeitung des so genannten „risk focussed appro-ach“ seinen Regulierungsansatz (Deferrari/Palmer 2001; Spillenkothen 1996). Im Rahmen dieses Ansatzes standen fortan zwei Elemente im Zentrum, die später auch für Basel II paradigmatisch werden sollten: Zum einen die Auswei-tung des Risikofokus (1), zum zweiten die Einführung neuer Überprüfungsver-fahren (2).

(1) So verlangt der ‚risk focussed approach’ eine Sensibilität auch für Risi-kodimensionen, die jenseits der Risiken des Bankensystems, den Kreditrisiken verortet sind. Die Aufseher sollen diesem Ansatz nach „apply to the entire spec-trum of risks facing an banking institution including, but not limited to credit,

461 Diese Probleme interessieren mit Blick auf unsere Forschungsfrage nur am Rande. Zu erwähnen ist, dass in diesem Zuge ein Basel Ia Vorschlag erarbeitet wurde, um damit die Wettbewerbsfähigkeit der kleineren Banken zu bewahren.

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market, liquidity, operational, legal and reputational risk“ (Spillenkothen 1995, 4). Demzufolge waren die Institute bereits deutlich früher dazu angehalten, die Sammlung relevanter Schadensdaten, das Pooling der Daten verschiedener Insti-tute und damit die Möglichkeit einer sensitiveren Berechnung von Verlustwahr-scheinlichkeiten vorzunehmen.

(2) Der erweiterte Ansatz des ‚risk-focussed-approach’ äußerte sich jedoch nicht allein in der systematischen Messung und Berechnung von verschiedenen Risikoarten jenseits der klassischen Kreditrisiken. Zum zweiten schrieb der An-satz eben zugleich auch neue Aufsichtsverfahren vor, die – den Prinzipien der zweiten Säule von Basel II ähnlich – ein Verständnis der Organisation, ihrer Abläufe und Prozesse von Bankbeschäftigten, aber auch der Aufsicht einfordern. Diesem Regulierungsansatz nach ging es darum, nicht nur Kapitalrücklagen für Krisen zu ermitteln, sondern allem voran mögliche Krisen zu verhindern (Lütz 2002, 262). Auch in dieser Hinsicht zeigen sich deutliche Parallelen zwischen den Präventionslogiken des Washingtoner „risk-focussed-approach“ und denen des Baseler bankaufsichtlichen Überprüfungsverfahrens. Als Gründe für diese gewandelte Aufsicht nennt die Fed dabei Gesichtspunkte, die bereits im Zentrum unserer Beschreibungen zu den Diskontinuitäten, die sich seit den 1970er Jahren abzeichnen, standen. Es sind die Wandlungsprozesse in politischer (siehe Ab-schnitt 5.1), technischer (5.2) und finanzwirtschaftlicher Hinsicht (Kapitel 6), die bei der Aufsicht zunächst auf nationalstaatlicher Ebene entsprechende Fokuser-weiterungen auslösten, um signifikante negative Effekte auf die Öffentlichkeit, die Finanzmärkte und das Finanzsystem der USA zu verhindern (Deferra-ri/Palmer 2001, 50). Was sich für die Aufsicht damit eröffnete, war – wie ein Mitarbeiter einer US-amerikanischen Aufsichtsbehörde berichtete –

”to a much more a kind of big picture, how: What are the risk management func-tions? What are the risk management methodologies? What is the organization look like in the bank? So, does the risk manager report to the line manager or does the risk manager report to corporate function like the cfo?“ (051107)

Die Vereinigten Staaten besaßen somit bereits im Vorfeld der Basel II -Prozesse ein anderes Aufsichtsverständnis als beispielsweise ihre deutschen Kollegen. Sie stellten bereits die Fragen, die im Zuge der Basel II-Implementierung auch inter-national bedeutsam werden sollten. Blicken wir auf die institutionelle Ausgestal-tung der Regulierungspraxis, so erfahren wir, dass der US-amerikanische Ansatz sogar weit über die Basel II-Vorstellungen hinausging.

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320 Paradigmen

Ein Wirtschaftsprüfer mit langjährigen Erfahrungen als US-Aufseher erläutert.

”So, in the larger banks they have what is called a resident examination team. The teams are always around, they never leave. Maybe, the people who are there, You have a head examiner called Examiner In Charge (EIC) and that head examiner has a staff that is there the full time doing survey and continuous review and analysis of the institution. And they used to have that for a smaller number of institutions. But now, if we have institutions with a trillion dollars, or 750 billion, 450 billion, you know, they are just so complex that you have to have a sort of a base team. And then, like I said, they have specialists come in and they take a look at how you are managing your securities portfolio, managing an equity risk, an operational risk. And so the process is one of continuing examination. And so, I think in that sense, for Pillar II, the US have always had a Pillar II system, oppose to the Canadians that even still have a very tiny examination force and who principally rely upon the ac-countants to do the work“ (051114).

Die amerikanische Aufsicht unterscheidet dabei – wie ein Aufseher bestätigt – zwischen der „relationship side“ und der „risk dimension side“ – eine Strukturie-rung, die zur Jahrtausendwende ihre heutige Gestalt annahm (051110). Während die Vertreter der „relationship side“, die das „resident team“ bilden, sich dauer-haft ein generelles Bild von der Bankorganisation und ihrem Alltag machen, besteht die „risk dimension side“ aus Experten, die für die Prüfung einzelner Risikotypen und ihrer Managementformen verantwortlich sind. Betrachten wir diese Aspekte vor dem Hintergrund der Aufsichtsformen, wie sie seit jüngster Zeit in Deutschland zu finden sind, so zeigt sich, dass in diesem Regulierungs-kontext kognitive Elemente des Aufsichtsmodus in ähnlicher Weise eine unver-zichtbare Rolle spielten. Die Länge und Dauer der Prüfungen, die wir als ersten Gesichtspunkt kognitiver Anpassung ausgemacht hatten (1), spielt in diesem Kontext zwar eine untergeordnete Rolle. Schließlich operieren zumindest die Aufseher der „relationship side“ dauerhaft Vor-Ort und haben damit nicht über eine Verlängerung oder Verkürzung der Prüfdauer zu entscheiden. Die Elemente einer intuitiven/ impressionistischen Aufsicht (2), sowie die Möglichkeiten des Lernens durch die Beobachtung der bankwirtschaftlichen Realität (3) scheinen hingegen ebenfalls eine wichtige Elemente des ‚risk-focussed-approach’ darzu-stellen.

(2) Für die dauerhafte Präsenz in den Banken lieferten uns die Aufseher nicht allein ‚rationale’ Gründe. Vielmehr folgen sie dabei einer intuitiven Strate-gie, einem ‚Gefühl’, wonach sich dieses Arrangement auszahlt:

”We feel that by being on site and speaking with people in the normal course of business you have a better insight to what is going on in the institutions and there-

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fore we’re able to better identify concerns as they come up or things that we think might be concerns“ (051110).

Es zeigt sich somit, dass auch in diesem Fall Aufsichtsmöglichkeiten realisiert werden, die über programmierte Regulierungsverfahren hinausgehen und so Gespräche „in the normal course of business“ mit den Beschäftigten in den Ban-ken befördern. Anders als die deutschen Kollegen ist die US-Aufsicht dabei an keinen zeitlichen Rahmen gebunden. Gerade die dauerhafte Präsenz von Auf-sichtspersonen in den Banken ermöglicht es, sich für einzelne Prozesse Zeit zu nehmen und einzelne Prozesse nachzuvollziehen: “The only way you discover that is actually doing it. Right. So how do we know that they did it? We go on and talk to them about it. That’s a classic Pillar II example. Right” (051107). Dabei besteht für die Aufseher die Herausforderung darin, den Charakter der Aufsichtssituation aufrechtzuerhalten und im Fall der Fälle zu ‘spüren’: “These guys are bullshitting me” (051107).

Während in Deutschland im Zuge des bankaufsichtlichen Überprüfungsver-fahrens Prozesse der De-Hierarchisierung in Form der kognitivierten Herange-hensweise zu beobachten waren, steht die Aufsicht in den Staaten vor der umge-kehrten Herausforderung, ihren Prüfungs- und Sanktionierungsanspruch aufrecht zu erhalten. Die dauerhafte Vor-Ort-Präsenz und die damit einhergehende physi-sche Eingebundenheit in die organisationalen Abläufe der Bank erweisen sich so nicht allein als Chance, sondern zugleich auch als Herausforderung. Für die Beibehaltung des prüfenden Blicks und die “Schulung der Reflexe”, wie es in 8.1.2 benannt wurde, existiert deshalb auch eine weitere institutionelle Vorgabe. Um den so genannten ‚Tunnelblick’ zu vermeiden, beziehungsweise sich nicht von einen Institutskontext und seinen Eigenheiten vereinnahmen zu lassen, be-steht bei den Aufsehern der „relationship side“ ein Rotationsprinzip (051110).462

Das Rotationsprinzip schützt dabei nicht allein vor der Erlahmung der aufsichtli-chen ‚Reflexe’. Es ermöglicht den Aufsehern zugleich auch Einblicke in die Operationsweise verschiedener Bankorganisationen, wodurch in der Folge an den Differenzen zwischen den verschiedenen Häusern Erfahrungen gesammelt werden können.

(3) Derartige Erfahrungswerte und ihre Implikationen für die Regulierungs-praxis spiegeln schließlich einen Gesichtspunkt wieder, den wir auf deutscher Seite als Konsequenz aus Basel II beobachten durften. Auch in dieser Hinsicht

462 Dieser Prozess muss nicht einmal intentional geschehen. Niklas Luhmann weist in seiner Be-schreibung der Grenzstelle von Organisationen auf das Problem hin, dass Personen in Grenzstellen „in die Fakten der Außenwelt (...) hineingezogen werden“ und es so zu Rollenverflechtungen kommt (Luhmann 1964, 225f).

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322 Paradigmen

hatte das US-System bereits im Vorfeld komplementäre Schritte eingeleitet, wie eine Aufseherin erläutert:

”So I mean there’s going to be a lot of information exchange between consultants and banks and supervisors. It’s very kind of a two-way street, it’s all about a dia-logue, communicating with our banks so that we can understand what their imple-mentations are about, how we can assess them, identifying for instance through their implementation plans how they’ve identified their risks, how they’ve identified gaps in their process, how they’re gonna remediate those gaps. It’s very much a chance for a learning process right now“ (051110b).

Das US-amerikanische Aufsichtssystem verfügte somit bereits im Vorfeld der Basel II-Implementierungsphase über etablierte Austauschkanäle zwischen Ban-ken, Aufsicht und anderen Experten. Damit erklärt sich nicht zuletzt, warum anders als in Deutschland auf die Einrichtung eines Basel II-Arbeitskreis sowie verschiedene Fachgremien verzichtet werden konnte. Man besaß bereits auf-grund der Vor-Ort-Präsenz die Möglichkeit für einen kontinuierlichen Austausch zwischen Aufsicht, Banken und anderen relevanten Beteiligten. Wechseln wir nun die Perspektive und betrachten das US-System aus kreditwirtschaftlicher Perspektive, so haben die Banken die Ausgestaltung ihres Regulierungssystems nicht nur zu ertragen, sondern partiell auch zu schätzen gelernt. Nach Aussage des bereits zitierten Wirtschaftsprüfers, der heute große Banken in den USA berät, kann diese Form der Regulierungspraxis in bestimmten Bereichen auch Vorteile für die Banken mit sich bringen:

”Yeah, you know, the agencies job is poking their nose just into everything you are doing. But I think it just became a fact of life that you have a resident team, because the banks became so big. I think in a way it is helpful because in that kind of cir-cumstance it is easier to meet with the regulators on a regular basis and to develop trust and confidence. We certainly do have an enforcement action, but those tend to be for violations of law. But in the risk management area, we actually have less en-forcement problems now with institutions in terms of how they manage their busi-ness. And that is because of this ongoing dialogue with the examiner in charge and with his people and so if they are going to start or enter a new product or business, they will let the examiner know, and so the examiner can talk to them and about what they are doing, how they are going to manage the risk. So, it is more of a con-tinuous process. It is not burdensome“ (051114).

Zusammengefasst lassen die Verhältnisse in den USA aus der Vor-Basel II-Zeit den Schluss zu: Während aus internationaler Perspektive und dann in national-staatlichen Aufsichtssystemen wie dem deutschen die Vorgaben der zweiten Säule aus Basel II als paradigmatische Veränderung wahrgenommen wurden,

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Zur Implementierung von Basel II 323

dürften diese in den USA in weiten Teilen als überfällig betrachtet werden. Eine Beachtung der Prinzipien des aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens war dort schließlich – zumindest in den großen Banken – nicht allein Prüfungsroutine, sondern bereits ein Bestandteil des Arbeitsalltags. Die besondere Ausgestaltung der Aufsichtspraxis in den USA erlaubt dabei jedoch nicht den Schluss, dass in diesen Kontexten mit Blick auf die Ausgestaltung der zweiten Säule alle Prob-leme gelöst waren. Trotz des Systems der dauerhaften on-site-inspections, ent-hielt das US-System in anderen Hinsichten Charakteristika, die einer konsisten-ten Betrachtung aller Risiken der Bankorganisation im Wege standen.

8.2.2 ”Lots of enhancements“ – being under the ”umbrella“

Verantwortlich dafür war nun weniger – wie in Deutschland – die Ausgestaltung der Aufsichtspraktiken. Vielmehr muss der Blick auf die institutionelle Ausprä-gung des Bankensektors (1) sowie des Aufsichtssystems (2) gerichtet werden, um die Faktoren zu identifizieren, an denen sich Divergenzen zu den Erwar-tungsstrukturen auf internationaler Ebene nachzeichnen lassen.(1) Seit den 80er Jahren ist der Bankensektor in den Vereinigten Staaten einem strukturellen Wandel unterzogen. Als übergeordnete Gründe für diese Veränderungen können die Diskontinuitäten betrachtet werden, die wir in den Kapiteln 5 und 6 beobach-tet hatten (s.o.). Konkreter Auslöser aber waren vor allem die Umgestaltungen des politisch-rechtlichen Rahmens, die in dem so genannten „Gramm-Leach-Bliley-Bill“ gipfelten.463 Gab es zuvor aufgrund gesetzlicher Bestimmungen464

ein strikt fragmentiertes Bankensystem, in welchem einzelne Institute nur spezi-fische Finanzdienstleistungen und -produkte anbieten konnten, so wurden diese Reglementierungen sukzessive zurückgefahren. In der Folge bildete sich ein System des „Universal banking ‚American-stye’“ (Calomiris 2000, 334) heraus (Dale 1992, 61ff.). Es entstanden komplexe, so genannte Financial Conglome-rats, in welchen das klassische Kreditgeschäft nur einen Geschäftsbereich neben dem Versicherungs- oder Kapitalmarktgeschäft darstellte.

”Because in the United States usually you have a holding company, you have a bank, you have a securities firm, then you have maybe an insurance company, then you have a mutual fund complex, then a mortgage company. So, in the United States

463 Der entsprechende Text sowie ein erklärender Konferenzreport findet sich beim Internetauftrifft des Senate Banking Committee (Sbc 1999). 464 Zentrale Referenz ist hier der Glass-Steagal-Act, der 1933 als Antwort auf die US-Bankenkrisen in den Jahren 1929-33 verabschiedet wurde und eine strikte Trennung zwischen Commercial und Investment Banks vorsah (Dale 1992, 59).

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324 Paradigmen

it’s a holding company and the holding company holds a whole bunch of things. Sometimes, they are under the bank, sometimes the brothers and sisters are affiliate to the bank (…)“ (051114).

Auch wenn die Operationsbasis der Bank und ihr Kreditgeschäft eigenständig blieben, bestanden aufgrund der finanziellen Verflechtungen und Haftungsbe-stimmungen riskante Kopplungsverhältnisse. Eine Beobachtung der gesamten Konglomerate mit ihren komplexen Kopplungsverhältnissen ist deshalb mit besonderen Anstrengungen verbunden.465 Sie erscheint dabei nun jedoch für die Aufsichtsbehörden nicht allein aufgrund der faktischen Risikokonstellationen geboten. Zugleich spricht auch dafür, dass die Financial Conglomerats selbst auf Basis eines übergreifenden Risikoansatzes, der mit dem Begriff der „umbrella supervision“ verbunden ist, operieren (Ferguson 2000).

(2) Eine adäquate koordinierte Regulierung, für die eine einheitliche und ganzheitliche Betrachtung vorauszusetzen ist, wird durch das angesprochene segmentierte Aufsichtssystem und die Aufteilung in drei unabhängige Aufsichts-institutionen erschwert. Bisher galten die überlappenden Aufsichtsverfahren vor allem aus Kostengründen für die Banken als unattraktiv, binden aufsichtliche Prüfungen doch immer auch Ressourcen der Banken und bringen so eine Behin-derung des Geschäftsalltags mit sich. Aus Sicht des Staates dagegen wurde die-ses System aus Gesichtspunkten eines „check and balances“ begrüßt (Busch 2003, 75). Im Zuge der strukturellen Veränderungen sowie der Basel II-Vereinbarungen offenbaren sich die Argumente für eine Veränderung. So birgt die Pluralität der Aufsicht nicht allein die Gefahr, Dinge doppelt zu betrachten. Vielmehr besteht zugleich das Problem, dass unterschiedliche Aufseher unter-schiedliche Maßstäbe anlegen und dann zu keinem einheitlichen Ergebnis kom-men (Vitols 1997, 143). Zudem wird im ‚segmentierten Blick’ das Risiko gese-hen, dass aufgrund begrenzter Zuständigkeiten relevante Zusammenhänge nicht gesehen werden und nicht verstanden wird, welche Kopplungsverhältnisse zwi-schen den einzelnen Tochtergesellschaften einer Holding bestehen. Tragen wir in diesem Zusammenhang dem Umstand Rechnung, dass die zweite Säule von Basel II nun Risikoformen wie strategische Risiken, die eben über einzelne Ge-schäftsbereiche hinausgehen können, in den Blick nahm (siehe 7.3.3), so lässt

465 Die einzelnen Teilunternehmen einer Holding mögen zwar Eigenständigkeiten aufweisen. Trägt man jedoch dem Umstand Rechnung, dass die Unternehmen in Risikofällen füreinander haften und damit riskante Entscheidungen eines Unternehmens immer auch riskant für ein anderes Unternehmen sind, erscheint es einsichtig, eine Holding unter regulatorischen Gesichtspunkten als Organisation zu behandeln. Die Bankenaufsicht beobachtet in diesem Kontext vor allem das Problem, dass Holding-Gesellschaften in bestimmten Bereichen hohe Verluste anhäufen und sich dabei darauf verlassen, in anderen Subsaridies Gewinne einzufahren. Ein Umstand, der unter Stabilitätsgesichtspunkten kritisch einzuschätzen ist (Schmidt Bies 2006, 5).

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Zur Implementierung von Basel II 325

sich folgern: Auch das US-amerikanische Aufsichtssystem stand trotz bestehen-der Vor-Ort-Prüfungspraktiken sowie der Beschränkung auf die großen Bankin-stitute vor der Herausforderung, ihren Regulierungsmodus an die Erwartungs-strukturen des zweiten Akkords anzupassen. Dieser Gesichtspunkt verschärft sich schließlich vor dem Hintergrund des Umstands, dass für die Wertpapierauf-sicht mit der Security and Exchange Commission (SEC) ggf. noch eine weitere Behörde ins Spiel kommt. Auch wenn sich – wie Susanne Lütz deutlich macht – die Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden deutlich verbessert hat (Lütz 2002, 265): Die Beteiligten betrachten dieses Thema noch immer als einen Transformationsprozess, der nicht zuletzt als Reaktion auf die in Basel II festge-legten Erwartungsstrukturen geschieht:

”What the US is seeking now (…) is a greater emphasis on enterprise-wide risk management, how you are managing the whole enterprise. And some more reviews are horizontal in terms of how you manage a risk of compliance with laws of regula-tions. When you have separate regulators, who are looking at maybe different parts, the bank, the broker dealer, the investment manager, then they want someone at the corporate level who looks at the whole umbrella, you know, someone understanding of what is going on in each area. And the idea is that, as you use in enterprises man-agement principles, to analyze the risk across the organization, you then bring back up to the board the key issues, so that the board then becomes aware of what advice a board member needs to be concerned about. Is it in time money laundering? Is it derivatives? Is it capital? Is it credit exposure? And the idea, in the United States particularly, is to get an enterprise-wide view. (…) I think, that is the biggest change in the Pillar II area, is the enterprise-wide focus“ (051114).

Die Zusammenhänge zwischen einem ‚Enterprise-View’ sowie den Prinzipien des bankaufsichtlichen Überprüfungsverfahrens werden deutlich, wenn wir die Dimensionen der Angemessenheit sowie des Verstehens hinzuziehen, die im zweiten Baseler Akkord eine Rolle spielen. Um zu verstehen, ob ein Vorstand alle relevanten Risikodimensionen einer Institutsgruppe angemessen verstanden hat, erweist sich eine isolierte Betrachtung von Geschäftsprozessen – selbst wenn sie vor Ort stattfindet – nur als bedingt hilfreich. Der „enterprise-view“ wird dabei nicht durch die Verschmelzung der Organisationen und eine Einstampfung der institutionellen Trinität von FED, OCC und FDIC realisiert. Vielmehr geht es um ein koordinierteres Zusammenspiel der Aufsichtsinstitutionen. Diese sieht einen verbesserten Austausch relevanter Informationen, die Schaffung gemein-samer Grundlage durch „Interagency guidance“466 und damit schließlich das

466 Beispiele für Formen des Interagency Guidance finden sich zu unterschiedlichen aufsichtlichen Themen. Siehe beispielsweise bei (Biern 2003; Spillenkothen 2002; Spillenkothen 2006).

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326 Paradigmen

Schließen von Regulierungslöchern vor.467 Vor allem in dieser Hinsicht erwartet die US-Aufsicht „lots of enhancements“ deren Triebkräfte im Baseler Rahmen-werk und dann insbesondere in der Säule 2 verortet werden (051110).

8.3 „The grey zone will never disappear“ – Herausforderungen ‚angemessener’ Aufsicht

Die empirischen Betrachtungen haben gezeigt, inwieweit die durch Basel II manifestierten supranationalen Erwartungsstrukturen mit unterschiedlichen nati-onalstaatlichen Voraussetzungen konfrontiert werden. Die Gesprächspartner aus den verschiedenen Kontexten präsentierten die von ihnen beobachteten Folgen, die durch Basel II auf Seiten der Banken sowie der Bankenaufsicht ausgelöst wurden. Die Beobachtungen und Einschätzungen zeichneten dabei ein Bild, aus dem sich schließen lässt: Das neue Baseler Paradigma führte und führt in der Tat zu deutlichen Modifikationen der nationalen Regulierungssysteme, ihrer Struktu-ren und Aufsichtspraktiken. Die Aussagen der von uns befragten Beobachter gewinnen zudem an Gewicht vor dem Hintergrund der Prämissen, die wir in Dokumenten wie den MaRisk, aber auch den Federal Reserve Letters schriftlich fixiert fanden. Schließlich liefern diese Schriftstücke komplementäre Informatio-nen über die rechtliche Rahmung der neuen Aufsichtsformen. Damit bestätigt sich die Hypothese des Strukturwerts von Basel II und die nationalstaatliche Performanz der international generierten Wissensordnung, die ihre Annahme-wahrscheinlichkeit nicht zuletzt aus den in Kapitel 7 besprochenen kommunika-tiven Mechanismen schöpft.

Die komparative Perspektive führte zugleich zu zwei weiteren Einsichten: Zwar kam und kommt es nun in beiden Ländern zu Veränderungsprozessen, als dessen Auslöser der Baseler Akkord bezeichnet werden darf. Diese Verände-rungsprozesse weisen jedoch deutliche Unterschiede auf; Unterschiede, die sich nicht zuletzt auf die divergierenden Ausgangslagen in den Aufsichtssystemen zurückführen lassen und – in der Terminologie des historischen Institutionalis-mus ausgedrückt – mit dem Begriff der Pfadabhängigkeit erklärt werden kön-nen.468 An diesen Pfadabhängigkeiten waren bereits die in Kapitel 4 beschrieben Initiativen des Baseler Komitees zu weiten Teilen gescheitert. Der Eigenkapital-standard des ersten Baseler Akkords von 1988 hatte dann zwar später zu einer

467 Dieser Weg stand bereits im Jahr 2000 fest (Ferguson 2000). 468 Dazu zählen dann unter anderem verwaltungsstrukturelle Ausgangsbedingungen, institutionelle und kulturelle Traditionen, die verfassungsrechtlichen und -politischen Institutionen eines Landes aber auch die sozioökonomischen und budgetären Rahmenbedingungen (siehe dazu bei Wollmann 2004, 120f).

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Zur Implementierung von Basel II 327

Annährung der Eigenkapitalquoten für Kreditrisiken geführt. Dieser Schritt be-deutete jedoch keine weitergehende Harmonisierung einer strukturellen Ausges-taltung von Aufsicht. Zu vieles blendete dieser Akkord – wie wir darstellten – explizit aus und vermied damit eine Kollision mit den Heterogenitäten der Nati-onalstaaten. Er beließ damit den entsprechenden Aufsichtsbehörden weiterhin Raum für die unterschiedlichen Ansätze jenseits der Kapitalunterlegung im Kre-ditgeschäft. Die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen können somit als eine Erklärung dafür gesehen werden, dass die Konvergenz ein bestimmtes Maß nicht überschreitet. Mit anderen Worten: Auch im Zuge von Basel II kommt es nun nicht zu Isomorphieprozessen, zu einer Einebnung der Unterschiede der konkreten Praxis. Die nationalstaatlichen Persistenzen wirken immer noch als „Filter“ für das internationale Rahmenwerk,469 das zwar eine ‚Wissensordnung’ aber eben noch keine Rechtsordnung herstellte. Dieser Umstand spricht dabei jedoch nicht gegen den Folgenreichtum der durch Basel II konstituierten Wis-sensordnung. Zwar unterscheiden sich die Aufsichtssysteme auf einem konkreten Level. In Deutschland ist beispielsweise aus unterschiedlichen Gründen nicht abzusehen, dass es zu einer dauerhaften ‚Stationierung’ von Aufsehern in den Banken kommt. Die Vereinigten Staaten werden wohl auch weiterhin mit dem geteilten ‚aufsichtlichen Blick’ verschiedener unabhängiger Regulierer leben müssen.

Dennoch aber konnten wir auch zeigen: Die fundamentalen Prinzipien eines erweiterten Risikofokus sowie die charakteristische Aufsichtsform der Vor Ort Prüfungen finden sehr wohl Eingang in die nationalstaatlichen Regulierungsord-nungen, bzw. verfestigen die bereits eingeleiteten Schritte. Dem folgend werden wir zum Ende dieses empirischen Teils nun zeigen, bis zu welchem Maß die dargestellten Modifikationen von Aufsicht aus einer gesellschaftstheoretischen/ funktionalistischen Perspektive plausibel sind. Für diesen Schritt werden sich unsere theoretischen Überlegungen zur Regulierung (Abschnitt 3.1) sowie die zeitdiagnostischen Beschreibungen zum Aufstieg multinationaler Bankorganisa-tionen (Abschnitt 5.3) als hilfreich erweisen. Sie erlauben uns mit Blick auf un-sere Forschungsfrage eine wissenschaftlich kontrollierte Form der Einordnung der Folgen des Basel II-Paradigmenwechsels. Dabei werden wir uns konzeptio-nell an zwei Entscheidungsprämissen – den Entscheidungsprogrammen (8.3.1) sowie den Kommunikationswegen (8.3.2) – orientieren, an denen sich Potentiale und Grenzen dieser Modifizierungen beurteilen lassen.

469 So auch die Conclusio der Studie von Andreas Busch (Busch 2003, 247ff.).

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328 Paradigmen

8.3.1 Von der Routine zur Relationierung

Insbesondere in Abschnitt 8.1.2 konnten wir deutlich machen, in welcher Weise das neue Aufsichtsverfahren veränderte Anforderungen an das Aufsichtspersonal stellt. Wir führten aus, dass die Aufseher in Schulungen mit bankwirtschaftlicher Expertise ausgestattet werden. Zudem erörterten wir, inwieweit durch die Vor-Ort-Prüfungen neue Kompetenzen eingefordert werden, um die bankwirtschaftli-che ‚Realität’ in den Blick zu kommen. Diese Transformation auf der Ebene des Personals stellt dabei jedoch nur einen Gesichtspunkt einer Neuordnung der Bankenaufsicht dar. Als ebenso folgenreich dürften nun auch die Veränderungen betrachtet werden, die auf der Programmebene stattfinden. Betrachten wir die Aufsichtsprozesse in der Vor-Basel II-Ära vor dem Hintergrund unserer Typolo-gie der Programmformen, die wir in Abschnitt 3.1 ausgeführt haben,470 so lässt sich formulieren: Das Aufsichtssystem in Deutschland operierte vor allem auf der Basis einer Routineprogrammierung. Erst wenn Anzeichen für Missstände aufkamen, dann wurden entsprechende Schritte eingeleitet und ggf. vom Recht der Sachverhaltsermittlung vor Ort Gebrauch gemacht.

Die (Selbst-)Beschränkung auf diesen Regulierungsansatz wurde von der Aufsicht selbst als ergänzungsbedürftig gesehen – nicht zuletzt auf Basis von Erfahrungen, die sie bei alternativen Formen im Rahmen der Abnahme von Marktrisikomodellen machen durften. Die Beschreibungen unserer Interview-partner spiegelten die Risiken eines routineprogrammmierten Vorgehens wieder, die vor allem mit Bezug auf unsere Ausarbeitungen in Abschnitt 2.2 nachvoll-ziehbar erscheinen. Die Komplexität der Organisation, die Kopplungsmechanis-men zwischen verschiedenen Funktionskontexten, aber auch die riskanten Si-cherheitsfiktionen von Technik blieben im Zuge der dargestellten meldebasierten Aufsicht unbeleuchtet. Die alleinige Fokussierung auf die richtigen Zahlen sowie eine angemessene Eigenkapitalbasis erwies sich als blind zur Beobachtung von komplexen kommunikativen Prozessen im Bankgeschäft sowie seiner sozialen Umwelt. Was damit zugleich fehlte, war ein Sensorium, um aufsichtsrelevante Transformationen, die in den Bankorganisationen vor sich gingen, entsprechend aufzunehmen und zu verarbeiten.

Dieses Dilemma leitet über zum zweiten Gesichtspunkt, der die von den In-terviewpartnern beschriebenen, durch Basel II angestoßenen Veränderungen gesellschaftstheoretisch plausibilisiert. Es weist bereits darauf hin, warum die Ausgestaltung von Regulierung nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Fremd-

470 Wir unterschieden in diesem Zusammenhang zwischen Zweck-, Routine- und Relationie-rungsprogramm und führten die unterschiedlichen Operationsmodi und Leistungspotentiale der Programmtypen aus (s.o.).

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Zur Implementierung von Basel II 329

referenz von den Aufsehern als problematisch angesehen wurde.471 Auch mit Blick auf Ereignisse, die der Selbstrefererenz zugerechnet werden – also den Operationen der Bankenaufsicht selbst –, wurden die Grenzen dieses Arrange-ments sichtbar. So mangelte es in dem routineprogrammierten Verfahren an Mechanismen, mit denen die Angemessenheit sowie die Folgen der eigenen Operationsformen reflektiert werden konnten. Möglichkeiten einer Modifikation der eigenen Schemata und Anpassungen an Veränderungen des Regulierungsfel-des waren im Rahmen der Programme, die uns die Aufseher beschrieben, schwerlich möglich. Die Verwaltung konnte somit gar nicht wissen, ob die Re-geln der Aufsicht sich noch als wirksam erweisen, welche Überwachungsformen künftig notwendig sind und welche Sanktionen abschreckend im Falle der Re-gelübertretung wirken.472

Die mangelnde Leistungsfähigkeit dieses Verfahrens kann in zweierlei Hin-sicht begründet werden. Sie wird einerseits mit Blick auf das politische System selbst ersichtlich, wenn wir an die Erwartungsstrukturen erinnern, die gegenüber dem Staat als Risikomanager in der Gegenwartsgesellschaft entgegengebracht werden. Und sie gewinnt zum zweiten mit Blick auf seine gesellschaftliche Um-welt an Relevanz, vor dem Hintergrund eines dynamischen, globalen Finanzsys-tems, dessen veränderten Risikokonstellationen wir in Abschnitt 6.2 beschrieben haben. So lässt sich wohl kaum ein gesellschaftlicher ‚Ort’ denken, an welchem das Lernen gemäß eines Trial- und Error Verfahrens noch unangebrachter er-schiene.

Unsere Beschreibungen in 8.1.2 machten wir im Anschluss daran am Fall ‚Deutschland’ deutlich, wie sich dieses Arrangement ab dem Jahr 1999 schritt-weise veränderte. Zunächst führte das Konsultationsverfahren zu einem engeren Kontakt zwischen Bankenaufsicht und Bankinstituten. Erst im Rahmen dieses Kontaktes wurde die Unangemessenheit bisheriger Praktiken für die Regulierer selbst offenkundig. Es institutionalisierten sich Gesprächskanäle, die die Interak-tionschancen jenseits der hoheitlichen Akte deutlich erhöhten. Reflektieren wir diesen Prozess vor dem Hintergrund der Begrifflichkeiten aus Abschnitt 3.1.2, so lässt sich diesbezüglich von einem zweiten Kommunikationskreislaufs für das politische System sprechen, der sich im Zuge des Konsultationsverfahrens her-

471 Dazu zählen Ereignisse, die in der Bankenaufsicht zum Thema werden, aber der Umwelt zuge-rechnet werden. Beispiele dafür sind dann beispielsweise Organisationsabläufe in Banken. Auf den Begriff der Selbstreferenz sind wir bereits in den Abschnitten 1.2.1 und 3.1.2 eingegangen. Zum Verständnis der Unterscheidung von ‚Selbstreferenz und Fremdreferenz’ und seiner Position in der Begriffsarchitektur der Systemtheorie erweist sich vor allem das gleichnamige Kapitel aus der Reali-tät der Massenmedien von Niklas Luhmann als hilfreich (Luhmann 1996b, 24-31). 472 An dieser Stelle skizzieren wir nun auf der Basis unseres empirischen Falls ein Problem, das wir bereits zum Ende von Abschnitt 3.1.1 theoretisch skizziert hatten, und das Ausgangsfrage für Ab-schnitt 3.1.2 darstellte (s.o.).

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330 Paradigmen

ausbildete.473 Dieser Kreislauf speiste sich dabei eben nicht über Machtkommu-nikation, sondern über Kommunikation, die sich primär über die Referenz auf Wissen realisierte. Die regelmäßigen Erörterungen der Papiere aus Basel in dem Arbeitskreise sowie in den Fachgremien schufen Kapazitäten, die der Banken-aufsicht das bereits angesprochene „problemspezifische Suchen“ für neue Auf-sichtsformen erleichterte und nicht zuletzt auch Impulse an die politischen Ent-scheider in Basel und Berlin/Bonn weitergaben. Der Kreislauf installierte ein Sensorium, mit dem zum einen neue Themen (Fremdreferenz) ins Zentrum der Aufsicht gelangten. Ihr wurde es erst auf dieser Basis möglich, im Gespräch etwas über die Bank zu erfahren, was jenseits der sonst zur Verfügung gestellten Zahlen und Bilanzen oder auch den angesprochenen „Hochglanzdokumentatio-nen“ verortet war. Zum zweiten ermöglichte es eine Spiegelung und Problemati-sierung der Aufsichtsprozesse selbst (Selbstreferenz). Der Austausch mit der Kreditwirtschaft erhöhte damit die eigene Reflexionsfähigkeit der Aufsicht, aber auch die der weiteren, gesetzgeberischen Einrichtungen des politischen Systems, die über den rechtlichen Rahmen zu entscheiden haben. Die partielle Inklusion der Kreditwirtschaft auf diesem Weg kann deshalb als der erste Schritt gesehen werden, der über die (notwendigen!) Routinepro-grammierungen hinauswies und auf diesem Wege Informationen über die Kom-plexität des Regulierungsobjektes der Aufsicht zur Verfügung stellte. In Form der in 8.1.2 erwähnten Aufsichtsgespräche sowie anderen Zusammenkünften findet diese Form der Interaktion auch nach der Implementierung von Basel II seine Fortsetzung. Die Einführung der Vor-Ort-Prüfungen stellt einen weiteren Schritt in diese Richtung dar. Die in diesem Zuge sich etablierenden Formen des kognitivierten Aufsichtsstils können als regulatorische Relationierungsprogram-me bezeichnet werden, die macht- und wissensbasierte Kommunikation mitein-ander verknüpfen. Diese Relationierungsprogramme ergänzen dauerhaft die bisherigen Programmtypen. Sie schaffen Potentiale, die theoretisch in 3.1.2 und analog dazu empirisch in 8.1.2 ausgeführt wurden. Im Zuge der Vor-Ort-Prüfungen eröffnet sich so eine Schnittstelle zwischen dem machtbasierten Kreislauf und dem wissensinduzierten Gegenkreislauf des politischen Systems. An dieser Schnittstelle kommt es zu einer Oszillation zwischen (machtbasierter) Sanktionierung durch die Regel und (wissensinduzierter) Modifizierung der Regel selbst.474 Möglich wird dies auf Basis der Elastizitäten, die sich vor allem

473 Zur Erinnerung. Wir hatten in diesem Abschnitt zwischen dem Machtkreislauf des politischen Systems, der auch mit der Selbstbeschreibung des Systems konvergiert, und einem Gegenkreislauf gesprochen, der sich vor allem auch über wissensinduzierte Kommunikation reproduziert (s.o.). 474 Zwar kann es zu Konstellationen kommen, in denen die Bundesbank prüft und die BaFin sanktio-niert – schließlich kann allein die BaFin die hoheitlichen Akte der Sanktionierung durchführen.

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Zur Implementierung von Basel II 331

in den Angemessenheitsklauseln aber auch den weiteren – in 7.3.3 herausgear-beiteten – Unbestimmtheiten gezeigt haben. Sie halten – wie wir anhand der Beschreibungen aus unseren Interviews herausstellten – Potentiale für einen kognitivierten Aufsichtsstil bereit. Betrachten wir diese Veränderung vor dem Hintergrund früherer Regulierungsansätze, so lässt sich in der Gesamtschau von einer „Kognitivierung sozialer Ordnung“ sprechen.475 Diese Kognitivierung vollzieht sich zum einen auf der Ebene sozialer Erwartungen. Normative Erwar-tungen über die Aussagekraft der Bilanz oder die Perfektion der Organisation werden nun um kognitive Erwartungen ergänzt. Sie skizziert aber eben auch das Moment der Wahrnehmung (im psychischen Sinne) durch Aufsichtspersonen vor Ort, das nun – wie beschrieben – bestimmte Beobachtungen (im sozialen Sinne) erst ermöglicht. Dabei erscheint auch mit Blick auf diese Mechanismen der Ty-pus des Relationierungsprogramms auf kommunikativer Ebene unverzichtbar. Erst dieser Typus trägt dem zirkulären Verhältnis von Wahrnehmung und sozia-ler Operation gebührend Rechnung.476

Aufgrund der Programmform wird so die kommunikative Thematisierung von psychischen „Frames“ und damit – um in der Terminologie Erving Goff-mans zu bleiben – das Zusammenspiel zwischen dem „Wahrnehmen und der Organisation des Wahrgenommenen“ strukturell erleichtert (Goffman 1980, 36f). Es ist das Zusammenspiel von normativen und kognitiven Mechanismen, von normativen Regeln und kognitiver Regelinterpretation und -modifikation, das schließlich für diese Aufsichtsprogramme charakteristisch ist.

Aufgrund der engen Abstimmung zwischen beiden Institutionen schmälert diese Aufteilung jedoch nicht das Argument der Oszillation. 475 Dieser Begriff geht auf eine Garfinkel-Interpretation von Wolfgang-Ludwig Schneider zurück. Schneider markiert damit einen Abgrenzungspunkt von Harold Garfinkel zu Talcott Parsons Gesell-schaftstheorie. Garfinkel geht es – Schneider zufolge – darum, deutlich zu machen, dass – anders als von Parsons beschrieben – „normative Regeln nicht in der Lage sind, Verhalten auf eine eindeutige determinierte Weise zu steuern, sondern angewiesen sind auf die situationsbezogene Interpretation durch die Akteure“ (Schneider 2005, 37). Der Aufsicht geht es – und hier können wir diesen Gedan-ken für unsere Argumentation adaptieren – nicht allein um die Einhaltung von Regeln, sondern um „die Regelinterpretation unter den Bedingungen der jeweiligen Handlungssituation“ (Schneider 2005, 37). 476 Wie Petra Hiller ausführt, zählt diese Erkenntnis, die Karl Weick zugeschrieben werden kann, selbst in der Soziologie nicht zum ‚common sense’ (Hiller 2005b, 15ff). Peter Berger und Thomas Luckmann fassten soziales Handeln als die Folge individueller Wahrnehmung und Interpretation sozialer Regeln auf (Berger/Luckmann 2003, 139f.). Erst Karl Weick machte in seinen sozialpsycho-logischen Organisationsstudien deutlich, dass soziale Operationen auch psychischen Bewusstseins-prozessen vorausgehen können und es erst danach zu einem „sense-making“ kommt (Weick 1995, 51f.). Mit dem Begriff der Interpenetration verfügt die Systemtheorie über die Möglichkeit einer theoretisch kontrollierten Betrachtung dieses Phänomenbereichs. Dieser Begriff zeigt an, wie sich Bewusstseins- und Sozialsysteme wechselseitig Komplexität zu Verfügung stellen, ohne, dass eine Vor- oder Nachordnung notwendig ist (Luhmann 1999a, 290ff.).

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332 Paradigmen

Die Veränderungen, die sich also in Deutschland einstellten, gewannen an Plau-sibilität vor dem Hintergrund der Berichte, die wir von unseren Interviewpart-nern über das US-amerikanische Bankenaufsichtssystem erhielten. Hier bestand – eben aufgrund anderer nationalstaatlicher Voraussetzungen – bereits ein Auf-sichtssystem, das im Kontext der Beaufsichtigung internationaler Banken über Zweck- und Rountineprogrammierungen hinaus auch auf Basis von Relationie-rungsprogrammen operierte. Wir bekamen einen Einblick geliefert in den Stel-lenwert der Vor-Ort-Präsenz und die damit einhergehende Möglichkeit einer kontinuierlichen Beobachtung organisationaler Wirklichkeit, ergänzt um die spezifische Prüfung bestimmter Risikobereiche. Die Erfahrungen der amerikani-schen Aufsicht brachten schließlich einen Gesichtspunkt zutage, der den verän-derten Fokus der Bankenaufsicht noch in einem weiteren Licht erscheinen lässt. Wir erfuhren, dass die neuen Aufsichtsformen nicht allein als Versuch einer Lösung gesehen werden können, sondern zugleich auch als Eingeständnis eines unlösbaren Problems verstanden werden müssen: Das Problem des Verzichts auf eindeutige Verfahren zur sicheren Ausschaltung von Risiken. Dazu ein ameri-kanischer Aufseher abschließend:

”I think it will never be solved. If you think about this problem it is not clear to me how you can solve this. All you can do is kind of narrow the grey zone. The grey zone will never disappear. That’s the whole point of Pillar II. It is recognition. This is really important, actually. It is the reason that Pillar II exists and it is going to (…) in the light that become the most important Pillar is because it is a recognition that the grey zone will always exist. Right. If we narrow the grey-zone today, something new is coming along tomorrow that’s gonna widen it. And we recognized that and so we have to think about a way of doing business that allows for that, the existence of a grey zone“ (051107).

Es ist die zweite Säule von Basel II, die diesen „way of business“ aufzeigt. Sie ermöglicht einerseits die Ausleuchtung der Black-Box Organisation. Zugleich jedoch reflektiert sie die unausleuchtbaren Schattenseiten dieses Procederes. Die dargestellten Angemessenheitsregeln sind der Ausdruck der Einsicht, dass das rettende Ufer der Sicherheit und Eindeutigkeit auch auf diesem Wege nicht zu erreichen ist. Gerade die Unauslöschbarkeit der Grauzone, das Leben mit der Gewissheit von Ungewissheiten erzwingt eine weitere Neuformierung der Auf-sicht.477 Und auch diese Neuformierung eines kognitivierten, situativ geprägten Aufsichtsstils sieht sich nun mit einer weiteren Prämisse des zweiten Baseler

477 An dieser Stelle treffen sich die Beschreibungen mit der Idee des ‚unspezifischen Nichtwissens’ und seinen komplexitätssteigernden Leistungen, die Torsten Strulik prominent für den Finanzsektor herausgearbeitet hat (Strulik 2004, 58ff.). Ähnliche Überlegungen dazu finden sich im Anschluss daran auch bei Boris Holzer und Stefan May (Holzer/May 2005).

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Zur Implementierung von Basel II 333

Akkords konfrontiert: der Forderung nach einer Beibehaltung der aufsichtlichen Konvergenz (siehe 7.3.1). Wie aber ist Konvergenz und Konsistenz möglich, wenn Angemessenheit das Ergebnis spezifischer, kontextueller Umstände dar-stellt? In welcher Form können Aufsichtsbehörden diesen widersprüchlich er-scheinenden Anforderungen gerecht werden? Derartige Fragen erscheinen nicht allein drängend mit Blick auf einen kognitivierten Aufsichtsstil. Sie gewinnen zudem an Relevanz, wenn wir die segmentierte Struktur der Aufsicht erinnern, die sich nationalstaatlich in den Vereinigten Staaten aber grundsätzlich aber mit Blick auf das segmentierte weltpolitische System zeigt. Die Beantwortung dieser Fragen stellt eine zweite Herausforderung dar, die im Zuge des zweiten Baseler Akkords für die nationalstaatlichen Regulierungsbehörden aufgeworfen wird.

8.3.2 Von der Segmentierung zur Vernetzung

Das Problem der Segmentierung bezieht sich auf einen Gesichtspunkt, der in unseren theoretischen Überlegungen zur Aufsicht in Abschnitt 3.1 und auch sonst bislang keine Rolle gespielt hatte. In 3.1 setzten wir die Aufsicht als mono-lithischen Block, als einheitlichen Beobachter und damit als Kollektivsingular voraus. Die institutionelle Ausgestaltung in den Vereinigten Staaten verdeutlich-te jedoch, dass diese theoretische Darstellung für manche empirischen Kontexte einer Modifizierung bedarf. In diesen zeigt sich eine Pluralität von Aufsichtsor-ganisationen, die in bestimmter Hinsicht nicht folgenlos bleibt.

Unter Aspekten der Machtausübung in Form von regulatorischen Eingriffen erscheint eine segmentierte Aufsicht vielleicht auf den ersten Blick unproblema-tisch. Schließlich sind die Aufsichtskompetenzen klar verteilt. Jede Aufsichtsin-stitution kümmert sich als alleinige, bzw. als Haupt- oder Nebenaufsicht um ihren Kompetenzbereich.478 Unter dem Aspekt einer Generierung von aufsicht-lich relevantem Wissen eröffnen sich aber – wie wir beschrieben haben – Zwei-fel an diesem Arrangement des Nebeneinanders. Insbesondere die Verwirkli-chung eines ‚Enterprise view’, in welchem komplexe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Kontexten einer ‚financial holding’ beleuchtet werden, kollidiert mit der Idee der segmentierten Blicke, für die das Wissen an den Grenzen der formalen Zuständigkeitsbereiche endet. Diese Segmentierung des aufsichtlichen Fokus tangiert dabei schließlich auch den Bereich des regulatorischen Eingriffs: Sie führt zurück zu der Frage: Wie kann die jeweilige Aufsicht wissen, dass...? Insbesondere in Kontexten, in denen eindeutige Entscheidungskriterien fehlen

478 In diesem Zusammenhang erweist sich noch einmal die Übersicht von Andreas Busch als auf-schlussreich, die aufzeigt, welche Behörden in den Vereinigten Staaten für welche Regulierungsbe-reiche in welcher Funktion verantwortlich ist (Busch 2003, 73).

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und stattdessen auf Basis von Angemessenheit entschieden werden muss, ver-kompliziert sich damit die Lage. Dabei handelt es sich um ein Problem, welches nicht allein auf der Ebene von Personen oder der Programme zu identifizieren ist. Was an dieser Stelle primär berührt wird, ist die Ausgestaltung der Kommu-nikationswege. Schließlich geht es um die (Un-)Möglichkeit der Verknüpfung von Stellen, auf deren Grundlage sich Kommunikationsflüsse aktualisieren. Es geht um die Bedeutung der Systemgrenzen von Organisationen, deren Funktion als Sinngrenzen ja zunächst in einer Limitierung und Selegierung der Kommuni-kation zwischen Innen- und Außenseite zu sehen ist.479

Dieser Sachverhalt, welcher sich in den USA zeigt, spiegelt im national-staatlichen Rahmen ein Problem wieder, das analog dazu ebenfalls auf suprana-tionaler Ebene zu beobachten ist. Auch auf diesem Level haben wir es, gemäß der segmentierten Ausprägung der Staatenwelt, mit einer segmentierten Banken-aufsicht zu tun. Die Zuständigkeiten enden zunächst an den Grenzen der natio-nalstaatlichen Territorien. Betrachten wir diesen Umstand vor dem Hintergrund der Beschreibungen, die wir in Abschnitt 5.3 über die Ausbreitung multinationa-ler Bankorganisationen angefertigt haben, so werden Argumente für die Inadä-quanz dieses Aufsichtsregimes ersichtlich. Schließlich bekommen Aufseher gemäß ihrer Zuständigkeiten nur einen Teil der Organisation in den Blick. Wei-tere Zusammenhänge aber bleiben ihnen möglicherweise verwehrt, wenn be-stimmte Prozesse jenseits ihres jeweiligen nationalstaatlichen Aufsichtsbereichs vor sich gehen.

Bereits im ersten Papier des Baseler Komitees, dem Baseler Konkordat, stand – wie wir in Kapitel 4 darstellten – dieses Problem im Zentrum. Beabsich-tigt wurde mit diesem Dokument, die Regulierung von Banken international so zu regeln, dass „no foreign banking establishment escpace supervision“ (BCBS 1975, 1). Mit der Form der so genannten Home-host-Supervision wurde später dann ein konkreter Modus festgelegt, mit welchem multinationale Bankorganisa-tionen adäquat reguliert werden sollten.480 Doch auch dieser Ansatz hatte nur begrenzte Konsequenzen: Auch wenn es im Laufe der Zeit zu einer Zusammen-arbeit zwischen verschiedenen Aufsichten kam, und in Teilen gar bilaterale Ab-kommen bestanden (07026). Von einem internationalen Strukturmuster, das die Segmentierung überwand, ließ sich noch nicht sprechen. Die Herausforderung, der sich bereits das Konkordat angenommen hatte, blieb somit bestehen.

479 Auf diesen Umstand hatten wir bereits in Abschnitt 2.1.3 mit Blick auf den Mechanismus der Interdependenzunterbrechung aufmerksam gemacht (s.o.). 480 In diesem Verständnis fungiert die Aufsichtsbehörde des Landes, in welchem der Headquarter angesiedelt als Home, die für die übergreifende Regulierung verantwortlich ist. Die Behörde, in welche eine entsprechende Tochter ihren Sitz hat, operiert als Host und richtet ihren Fokus somit zunächst auf die Tochtergesellschaft.

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Zur Implementierung von Basel II 335

Wie wir in Abschnitt 7.4 bereits andeuteten, wird im Basel II-Rahmenwerk auf eine Lösung dieser Herausforderungen gedrängt: Was deshalb in diesem Zu-sammenhang vorgesehen ist, wird in den Papieren des Baseler Komitees als „consolidated supervision of international banking groups“ bezeichnet (BCBS 2006, 3).481 Kennzeichnend für diesen Ansatz sind dem Komitee nach ein deut-lich erhöhter Informationsaustausch sowie eine verstärkte Kooperation zwischen Heim- und Gastaufseher (BCBS 2006, 3). Für diesen verstärkten Austausch wurde ein formalisiertes Austauschverfahren eingerichtet, welches zu einer Insti-tutionalisierung des Informationsaustausches zwischen den Aufsichtsbehörden führt. Diese Verfahren erweisen sich – wie unsere Interviewpartner verdeutlich-ten – vor allem für die Abnahme der bankinternen Risikomodelle (siehe dazu in 7.3.2) durch die Regulierungsbehörde als unverzichtbar. Ein Aufseher mit Erfah-rungen in Home-Host-Kooperationen in diesem Bereich erläutert, dass die for-malen Rahmenbedingungen zwar die Kooperation vorantreiben, für eine effekti-ve Zusammenarbeit jedoch Prozesse darüber hinaus als erforderlich zu betrach-ten sind:

„Es gab auch Treffen im Vorfeld, dann fährt man dort hin und fragt: Was wollt ihr eigentlich wissen? Wie sieht das aus, wie ist überhaupt das Informationsbedürfnis bei denen? Die kriegen selbstverständlich die Berichte, da werde ich wahrscheinlich dann noch mal hinfahren müssen und dann noch mal die Ergebnisse präsentieren (..). Dann tauscht man sich da aus. Sowohl auf einem formalen Weg, indem ich halt Berichte übersende, indem ich eine Management Summary und eine Präsentation vielleicht dort mache, als auch inoffiziell natürlich über die Telefone. Da sagt man: Ok. Da und da habe ich vielleicht für den Bericht noch fünf Fragen. (...) Das würde uns interessieren, könnt ihr die bitte mal aufnehmen und uns ein Feedback dafür ge-ben. Ja und so läuft das im Prinzip auch andersherum wenn ich dann Home bin, in-formiere ich dann die Host, dann werden meine Berichte an die Host gesendet, ich fahr ich vielleicht auch da hin und sage: Macht das doch so oder so. Und das man sich austauscht: Also von unserer Seite sind die in die Steuerung so eingebunden in die Töchter, das funktioniert gut. Was sind eure Erfahrungen auf der anderen Seite“ (070726).

Eine engere Zusammenarbeit ist Voraussetzung und zugleich auch Folge der durch Basel II manifestierten Erwartungsstrukturen. Abstrakter betrachtet ist damit zu sehen, wie sich die entsprechenden staatlichen Institutionen auf die veränderte finanzökonomische Geographie, auf die wir in den Abschnitten 5.2 und 5.3 aufmerksam gemacht hatten, einstellen. Diese Umstellung hat jedoch Grenzen: Entlang der Primärdifferenzierung des politischen Systems kommt es

481 Die Idee der „consolidated supervision“ kam zwar bereits in den 80er Jahren im Rahmen der Überarbeitung des Baseler Konkordats zur Sprache. Sie erlebt nun jedoch weitere Konkretisierungen.

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336 Paradigmen

nicht zur Herausbildung einer globalen multinationalen Bankenaufsicht. Was ausbleibt, ist die Gründung einer Superbehörde, einer „world financial authority“ (WFA), über die in der Wissenschaft im Zuge der Basel II-Erarbeitung diskutiert wurde. Beobachter wie beispielsweise John Eatwell, Lance Taylor und Kern Alexander erachten die Installierung einer solchen Institution, die in Fragen der Überwachung aber auch des Eingriffs eine Führungsrolle gegenüber national-staatlichen Subeinheiten einnimmt als notwendig. Nur auf diese Weise lässt sich ihrer Einschätzung nach eine wirkungsvolle Regulierung des globalen Banken-systems erreichen (Alexander 2001; Eatwell/Taylor 2000, 220-226). Im Zentrum des politischen Systems selbst stießen diese Vorschläge nicht auf genügend Re-sonanz. Das Verhältnis der Behörden untereinander bleibt ein heterarchisches Verhältnis ohne übergeordnete Steuerungsinstanz. In diesem Rahmen bildet sich ein Aufsichtsregime heraus, das Netzwerkstrukturen482 aufweist und in welchem temporär und themenspezifisch nun Informationen auf formalen und informellen Wege zirkulieren.

Die Konstitution einer solchen Konstellation ist dabei auch nichts prinzi-piell Neues. Die Herausbildung derartiger Netzwerke und ihre Leistungsfähigkeit in Regulierungskontexten ist bereits im Rahmen verschiedener sozialwissen-schaftlicher Studien und Theoriearbeiten behandelt und bewertet worden. Ad-rienne Heritier zeigt auf, wie sich auf supranationaler Ebene so genannte Policy-Netzwerke identifizieren lassen (Héritier 1993). Michael Zürn sieht – wie bereits in 6.2 angesprochen – die Netzwerkbildung als bedeutsames Element für sein Projekt des „komplexen Weltregierens“ (Zürn 1998, 358ff). Karl-Heinz Ladeur verdeutlicht die Leistungsfähigkeit einer netzwerkförmigen organisierten (Selbst-)Regulierung am Beispiel des Mediensektors in Deutschland (Ladeur 2001). Im Bereich der Finanzmarktregulierung ist es zunächst die Studie von Torsten Strulik, die auf die regulatorischen Möglichkeiten von Netzwerkstruktu-ren aufmerksam macht (Strulik 2000). Schließlich wiesen wir selbst in unserer Beschreibung zur Institutionalisierung von Aufsichtskanälen zwischen Banken und Bankenaufsicht auf Vernetzungsprozesse hin (8.1.1), die sich für die Vorbe-reitung auf Basel II als förderlich erwiesen. Für diese empirischen Betrachtungen von Netzwerken, die in ihrer Bildung einen adäquateren Umgang mit systemin-ternen Grenzen und Grenzen zwischen Systemen zu erkennen meinen, gibt es systematisch formulierbare Gründe. Walter Powell betrachtet Netzwerke als Kommunikationszusammenhänge, die beispielsweise besondere Anreize für

482 Wir verzichten im Folgenden auf die Einführung eine allgemeine Konzeptualisierung von Netz-werken und orientieren uns bei der Heranziehung der entsprechenden Literatur an der empirischen Problemstellung. Für eine theoretisch gehaltvolle Darstellung des Netzwerkphänomens, die eine empirische Varianz des Begriffs für ganz verschiedene Netzwerkerscheinungen in der Gesellschaft bereithält, siehe in einem Aufsatz von Veronika Tacke (Tacke 2000).

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Lernprozesse wie auch Möglichkeiten zur Erweiterung der impliziten Wissens-basis bereithalten (Powell 1996, 250). Gunther Teubner beschreibt Netzwerke als Sozialsysteme eigener Ordnung, die eine leistungsfähige Kombinatorik von Kooperations- und Tauschbeziehungen ermöglichen (Teubner 1996, 545f).

Betrachten wir die Netzwerkbildung jedoch im Kontext unseres aktuellen empirischen Gegenstandsbereichs und blicken auf die netzwerkförmige Abstim-mung zwischen nationalstaatlichen Regulierungsbehörden der Bankenregulie-rung, so werden nicht allein die Potentiale, sondern zugleich auch die Grenzen dieser Koordinierungsformen sichtbar. Kern Alexander, Rahul Dhumale und John Eatwell machen als Befürworter einer übergeordneten institutionellen In-stanz darauf aufmerksam, dass eine wirkungsvolle Regulierung multinationaler Bankorganisationen trotz der vorgeschriebenen Kooperation zwischen Heim- und Gastaufsicht in verschiedenen Hinsichten scheitern kann. Nicht nur die weiter bestehenden Unterschiede in den rechtlichen Rahmen erweisen sich dabei als Hürde für eine konsistente Regulierung multinationaler Bankorganisationen. Auch die unterschiedlichen Beurteilungen und Blicke der Aufseher in ihren insti-tutionellen Kontexten bergen das Risiko, dass Informationen trotz der Möglich-keit einer Aktivierung von Netzwerkstrukturen nun faktisch eben gar nicht oder nur unzureichend ausgetauscht werden. Dies gilt für die Zusammenarbeit zwi-schen Aufsichtsbehörden in den G10-Staaten. Es betrifft zudem in zugespitztem Sinne die Kooperation zwischen G10 Staaten und einem Entwicklungsland mit Host-Funktion, die ja – gemäß der in 7.3.1 dargestellten Expansionslogik von Basel II ebenfalls unter den Schirm des neuen Aufsichtsansatzes gebeten werden (Alexander/Dhumale/Eatwell 2006, 262f.). Auch von Vertretern der Bankenauf-sicht selbst werden immer wieder Zweifel dazu geäußert, ob dieses Arrangement sich als leistungsfähig erweisen wird. Auch wenn mit der Gründung eines weite-ren Koordinationsgremiums, der „Liaison Group“, eine Institution zur Abstim-mung ins Leben gerufen wurde, bleibt Skepsis, ob damit die notwendige Kon-vergenz mit Blick auf multinationale Bankorganisationen herzustellen ist (Schmidt Bies 2005, 3).

Die Gründe für dieses Dilemma erscheinen gleichfalls bei abstrakterer Be-trachtung einsichtig: Auch wenn internationale Kooperation und der Austausch von regulatorischem Wissen gemäß der durch Basel II konstituierten Wissens-ordnung erwartet werden, bzw. erwartet werden können. Solange keine ‚world financial authority’ existiert, können diese Dinge nicht erzwungen werden. Was Alexander, Dhumale und Eatwell so in ihren Ausführungen mit Blick auf sehr konkrete Phänomene ansprechen, lässt sich auf theoretischer Ebene plausibilisie-ren, wo die Unterschiede zwischen Organisation und Netzwerk systematisch aufscheinen. Zwar operiert auch das Netzwerk der Aufsichtsorganisationen über Kommunikationskanäle wie sie für multinationale Bankorganisationen charakte-

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ristisch sind (siehe 5.3). Dazu zählt dann – wie unser letztes Zitat anzeigte – die Herstellung und Pflege von Interaktionsbeziehungen zur Kompensation der mangelnden Reichhaltigkeit von schriftlicher Kommunikation sowie zur Schaf-fung besserer Voraussetzungen für informale Kommunikation. Diese Herausfor-derung der räumlichen Expansion von Aufsicht sind auch für Netzwerke über die ‚Verschickung von Körpern’ oder den Einsatz digitaler Kommunikationstechno-logien partiell zu kompensieren. In der Sachdimension aber sind Netzwerke mit Herausforderungen konfrontiert, die sich für Organisationen so nicht stellen. Hier kann die System/Umwelt Differenz, mit der jede Organisation ihre Umwelt beobachtet – die Zirkulation von Informationen in beträchtlichem Maße reduzie-ren und zu einem Mangel an (für die Regulierung) notwendigem Wissen führen. Anders aber als im Falle von Organisationen lassen sich die im Netzwerk mani-festierten Austauschbeziehungen nämlich nicht auf Dauer stellen. Schließlich sind die einzelnen Elemente des Netzwerkes zwar an die durch Basel II konstitu-ierten Erwartungsstrukturen, jedoch nicht an Mitgliedschaftsrollen gebunden. Die für Organisationen charakteristische „zone of indifference“ (siehe dazu in Abschnitt 2.1.2) weist in Netzwerken eine andere Qualität auf. Kommunikati-onskanäle können unmittelbar zum Versiegen kommen, wenn – aus welchen Gründen auch immer – von Kooperation auf Konflikt umgestellt wird und Wis-sens- und Lernbereitschaft durch Ignoranz und Machtkommunikation ersetzt werden.483 Für solche Konstellationen sind Netzwerke strukturell schlecht aufge-stellt. Ihre Hybridität – ansonsten ein Zeichen für ihre Leistungsfähigkeit – avan-ciert dann zu einem Problem, weil eben im Gegensatz zur Organisation nicht durch Hierarchie entschieden und durchgesetzt werden kann.

Nicht allein ein Mangel an Informationen und Wissensbeständen kann in regulatorischen Netzwerken zum Problem werden. Auch für den Umgang mit einem Übermaß an diesen ‚Ressourcen’ ist ein Netzwerk nicht immer gut aufge-stellt. Es fehlt der Mechanismus, den wir im Anschluss an Niklas Luhmanns Organisationstheorie als zentrale gesellschaftliche Funktion formaler Organisati-on in der modernen Gesellschaft herausgestellt haben: Die Absorption von Un-gewissheit und damit auch die Bearbeitung von Komplexität (siehe dazu aus-führlich in 2.1.2).

483 Dieser Zusammenhang erscheint einsichtig, wenn man bedenkt, dass Netzwerke zum Erhalt den Mechanismus des „Vertrauens“ in Anspruch nehmen (Powell 1996, 22). Vertrauen aber stellt eine äußerst zerbrechliche Ressource dar. Niklas Luhmann macht im Anschluss an Wildavsky am Beispiel der Beziehungen zwischen Kongressmitgliedern und Verwaltungsangehörigen bei der Vorbereitung des amerikanischen Bundeshaushalts deutlich, dass gerade in komplexen sozialen Feldern nicht zuletzt der Vertrauen in persönliche Aufrichtigkeit hoch bedeutsam ist und dass bereits kleine Dar-stellungsfehler oder Anzeichen von Unredlichkeit destruktive Folgen haben können (Luhmann 2000, 36).

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Netzwerke verfügen im Gegensatz zu Organisationen nicht unbedingt über derar-tige Mechanismen der Komplexitätsreduktion durch bindende Entscheidungen, auch wenn die Einführung von hierarchischen Kommunikationsbeziehungen – wie im Home-host-Fall ersichtlich – temporär möglich ist.484 Das Netzwerk kann so zum Opfer seiner eigenen Flexibilität und kognitiven, anpassungsbereiten Ausgestaltung werden, wenn es nicht gelingt, Informationen und Wissen konsen-sual zu hierarchisieren. Eine derartige Bereithaltung von Ungewissheit muss dabei zwar nicht in allen gesellschaftlichen Kontexten zum Problem werden. Für so genannte innovationsorientierte Unternehmensnetzwerke kleiner Start-Ups kann auf Basis von Mehrdeutigkeit und derartiger unbearbeitbarer Selbstirritati-on ein Moment produktiver Unruhe entstehen, das sich für den entsprechenden Kontext leistungsfördernd auswirkt. Im Bereich der Bankenregulierung aber, in welchem aufsichtliche Konvergenz einen wichtigen Bestandteil der Selbstbe-schreibung ausmacht und der Gefahr von Systemkrisen ein klarer Vermeidungs-imperativ entgegenzustellen ist, sind Zweifel angebracht, ob hybride Netzwerk-strukturen die strukturell adäquate Antwort auf die Wucht von Krisen des Ban-kensystems auch für das politische System darstellen. Insbesondere unsere Aus-führungen zur kognitivierten Aufsicht, die eine Flut an Wahrnehmungs- und Lernmustern und ihre Zirkulation zwischen Aufsichtsbehörden erwarten lässt, führen nun zu dem Schluss, dass Informationsselektion im Vergleich zur Infor-mationsgenerierung ein nicht minder anspruchsvolles Unterfangen für die inter-nationale Aufsicht darstellt.

Ob derartige Probleme jedoch mit der Gründung einer supranationalen Re-gulierungsbehörde besser zu bearbeiten wären, muss dabei aus gesellschaftstheo-retischer Sicht nicht minder skeptisch betrachtet werden. Schließlich agierte auch eine solche Institution im Schatten einer segmentierten Staatenwelt die immer noch das primäre Differenzierungsmerkmal des weltpolitischen Systems dar-stellt. Vielleicht erweist sich vor diesem Hintergrund das Netzwerk zum gegen-wärtigen Zeitpunkt als das noch leistungsfähigere funktionale Äquivalent, weist es doch ein höheres Maß an Komplementarität mit diesem Strukturmerkmal des Politischen auf.

Welche Folgen sich letztlich aus diesen knapp und kursorisch aus der Theo-rie hergeleiteten Unterschieden in der Empirie ergeben, wenn globale Märkte und supranationale Organisationen von internationalen Politiknetzwerken regu-liert werden, ist empirisch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch eine vollkommen offene Frage. Selbst die Möglichkeit, dass es sich bei unseren ‚Problematisierun-gen’ um viel (theoretischen) Lärm um (empirisches) Nichts handelt, ist nicht

484 Auf diesen Punkt der Einführung von Hierarchie in egalitär strukturierte Netzwerke weist auch Gunther Teubner als strukturelle Stärke von Netzwerken hin (Teubner 1996, 546f).

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340 Paradigmen

auszuschließen. Für eine befriedigende, wissenschaftlich kontrollierte Antwort wären in Zukunft weitere, ganz andere Forschungen notwendig. Wir müssen uns deshalb an dieser Stelle damit begnügen, festzuhalten: Das Netzwerk der Aufse-her ist die Krücke, an welcher eine grenzübergreifende Aufsicht das Laufen lernt, um multinationale Bankorganisationen in ihrer Binnenkomplexität und ihren Risikopotentialen in den Blick zu bekommen und dabei etwas über sie aber auch sich selbst zu erfahren. Mit der ‚Segmentierung zur Vernetzung haben wir eine Veränderungsdyna-mik skizziert, die sich nun in die Reihe verschiedener zuvor beschriebener Pro-zesse einreiht: die Änderung von einem Regulierungsstil des ‚fire alarm’ hin zur ‚police patrol’, die Umstellung des Regulierungsverständnisses von einem quan-titativen zu einem qualitativen Ansatz, die Ergänzung von bisher primär routine-programmierten Regulierungsformen um Relationierungsprogramme und schließlich die Erweiterung normativer um kognitive Erwartungsmuster auf Sei-ten der Aufsicht – diese verschiedenen Entwicklungen zeigen den Facettenreich-tum der Konsequenzen des Baseler Paradigmas auf. Und sie verdeutlichen damit, dass sich die Konsequenzen schlechterdings auf eine Formel oder gar eine Un-terscheidung bringen lassen. Vielmehr haben wir es mit einem (Begriffs-)Netzwerk an lose gekoppelten Unterscheidungen zur tun, mit welchem jeweils bestimmte Gesichtpunkte der Veränderungen in der Bankenregulierung zu ande-ren Gesichtspunkten in Beziehung gesetzt werden können.

Im nun folgenden Fazit werden wir auch deshalb noch einmal herausstellen, warum wir unserem Fall die Unterscheidung zwischen Bankensystem und Bank-organisation zentral gestellt haben, um die Herausbildung einer neuen internatio-nalen bankaufsichtlichen Wissensordnung zu erörtern. Dafür werden sowohl unsere empirischen Ergebnisse der hermeneutischen Sequenzanalyse, in denen sich diese Unterscheidung aufdrängte, aber auch die gesellschaftstheoretischen Betrachtungen, in denen sich die Unterscheidung zwischen Funktions- und Or-ganisationssystem als basale Ebenendifferenz offenbart, dienlich sein.

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V Fazit und Folgerungen

Ziel dieser Arbeit war es – wie wir bereits in der Einleitung formulierten (S.1) –, die zentrale Logik des durch Basel II ausgelösten Paradigmenwechsels zu analy-sieren. Zudem ging es darum, aus einer soziologischen Perspektive die entschei-denden Konsequenzen für die Operationsweise des Bankensystems und die Form seiner Regulierung in der modernen Gesellschaft herauszuarbeiten. An diesem Ziel orientiert sich damit auch der Anspruch, an dem wir die Ergebnisse dieser Arbeit nun zum Ende hin zu messen haben. In unseren theoretischen, histori-schen und empirischen Ausarbeitungen haben wir uns den damit verbundenen Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven genähert, sie mit bisherigen Forschungsständen konfrontiert, aber auch ‚ins Gespräch gebracht’. Nun gilt es, die Themenstränge der Einleitung noch einmal aufzugreifen, ein Fazit zu ziehen und mögliche Anschlüsse für weitere Forschung anzudeuten. Wir werden des-halb zunächst die Logik dieses Paradigmenwechsels rekapitulieren, wie wir sie auf Basis unserer Ergebnisse formulieren können (1). Im Anschluss daran wer-den die Konsequenzen für die Form der Regulierung auf Basis unserer bereits gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst (2). Die dritte Aufgabe, welche in der Beschreibung der Konsequenzen für die Operationsweise des Bankensystems zu sehen ist, haben wir an verschiedenen Stellen der Arbeit behandelt. Wir wol-len die dabei gewonnenen Erkenntnisse nun abschließend verknüpfen und zu-spitzen (3). In diesem Zuge werden wir schließlich über unsere bisherigen Über-legungen hinausgehen. Ziel dabei ist es, die gesellschaftstheoretischen Konse-quenzen dieses Paradigmenwechsels mit Blick auf den Zusammenhang zwischen dem politischen System und dem Bankensystem aus Perspektive des Bankensys-tems zu reflektieren.

(1) Die „Regulierung der Organisation“ – zur zentralen Logik des Paradigmenwechsels

‚Von der Bilanz zur Organisation’ – mit diesem Term lässt sich die Logik des Paradigmenwechsels von Basel II auf eine schlichte Formel bringen. Die Trag-weite dieser Transformation wurde dabei erst mit Blick auf ihren Ausgangspunkt (die Bilanz) und einer In-Bezug-Setzung zum vorherigen Paradigma (Basel I)

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342 Fazit und Folgerungen

ersichtlich. Wir zeigten auf, wie der erste Baseler Akkord im Jahr 1988 die Vor-aussetzungen für die Herausbildung einer Wissensordnung schuf, die als erstes internationales Paradigma der Bankenregulierung bezeichnet werden kann. Da-bei wurde ersichtlich: Basel I grenzte alle Faktoren jenseits der ‚finanzialisierten’ Perspektive aus. Zwar fungierten internationale Bankorganisationen als zentrale Referenzpunkte für das Ziel einer Stabilisierung des Bankensystems. Die Bank-organisation in ihrer organisationalen Ausprägung blieb jedoch in diesem Rah-menwerk ausgeblendet. Die Beobachtung von „Menschen, Prozessen und Sys-temen“ fand so nicht statt. Ihre Bedeutung wurde – wie wir zeigten – auf einer latenten Strukturebene systematisch negiert. Als Maßstab wurden allein die Bi-lanz und die darin ausgewiesenen Kapitalreserven ausgezeichnet.

Die Ausblendung von Aspekten jenseits der Bilanz lässt sich dabei in der Retrospektive nicht als Unzulänglichkeit oder Irrationalität des Rahmenwerkes betrachten. Vielmehr erwiesen sich die damit verbundenen Grenzziehungen und Selbstbeschränkungen zum entsprechenden Zeitpunkt als funktional. Sie dienten dazu, das strukturell Unwahrscheinliche – nämlich die Befolgung supranationa-ler Regeln in nationalstaatlichen Kontexten – operativ möglich zu machen. Ge-rade vor dem Hintergrund des Umgangs mit vorangegangenen Papieren des Baseler Komitees (BCBS) wie dem Baseler Konkordat von 1974 (siehe Kapitel 4), kann diesen Mechanismen der Selbstbeschränkung ein hohes Maß an Plausi-bilität zugesprochen werden. Erst mit dem Rekurs auf das wirkungsmächtige Medium der Bilanz wurden Folgewirkungen in den nationalstaatlichen Auf-sichtssystemen wahrscheinlich. Es stellte – analog zu symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien – kommunikative Anschluss- und Annahmefähigkeit her und überwand damit die Annahmeschwellen nationalstaatlicher Grenzen und Aufsichtssysteme.

Vor dem Hintergrund von Basel I erklärt sich die besondere Qualität von Basel II. So erst lässt sich bewerten, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass im „überarbeiteten Rahmenwerk“ nun ‚Menschen, Prozesse und Systeme’ in den Blick der internationalen Bankenaufsicht rücken. Mit der Veränderung der internationalen aufsichtlichen Wissensordnung verändern sich so die Erwar-tungsstrukturen darüber, was als relevant für die Aufsicht zu gelten hat. Dies bedeutet nicht, dass der Basel I-Ansatz als obsolet betrachtet wird. Basel II be-deutet keine Substitution, sondern eine Erweiterung des Aufmerksamkeitsfokus der Bankenaufsicht. Auch fortan stellt die Bilanz eine gewichtige Größe dar, an welcher sich die Bankenaufsicht orientiert. Zugleich aber gewinnen weitere Pa-rameter an Aufmerksamkeit, die im Falle von Basel I ausgeschlossen wurden. Im Rahmen unserer hermeneutischen Analyse konnten wir damit empirisch eine zentrale Differenz zwischen Basel I und Basel II auf der Strukturebene herausar-beiten, die wir bereits in unserem theoretischen Zuschnitt als wichtige Unter-

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Fazit und Folgerungen 343

scheidung (in) der soziologischen Systemtheorie entnommen hatten: die Diffe-renz zwischen Funktions- und Organisationssystem. Es wurde deutlich, wie Basel I ausschließlich kommunikative Anschlüsse bereitstellte, die sich den Sinnzusammenhängen von Banken- und dem Finanzsystem zuordnen. Dies be-deutet: Die politische Stabilisierung des Bankensystems war auf internationaler Ebene ausschließlich über die Fokussierung auf genuin bank- und finanzsystemi-sche Phänomene/Ereignisse vorgesehen.

Basel II dagegen stellt kommunikative Anschlüsse her, die diesen Horizont überspannen und auf Rationalitäten anderer Funktionskontexte rekurrieren. Die Beschäftigung mit Modellen des Risikomanagements, das Verstehen der Be-schäftigten, oder auch die hoheitliche Zurechnung von Verantwortlichkeiten nehmen die Rationalitäten von Wissenschaft/Technik, Bildung/Erziehung bzw. von Recht in Anspruch. Somit lässt sich analog dazu formulieren: Für die politi-sche Stabilisierung des Bankensystem ist auf internationaler Ebene künftig eine Einbeziehung von Phänomenen/Ereignissen vorgesehen, die jenseits des kom-munikativen Sinnzusammenhangs von Bankensystem und Finanzsystem verortet sind. Es geht um Aspekte, die nicht der Operationsweise des Kreditmechanismus und nicht einmal der Unterscheidung von Investment/nicht Investment gehor-chen, sondern zunächst die organisationale Umwelt dieser Sozialsysteme betref-fen. Diese Aspekte finden ihre Einheit allein in der multireferentiellen formalen Bankorganisation.

Auf diese Weise erschließt Basel II nun Potentiale für eine regulatorische Ausleuchtung der ‚Black Box’ Organisation. Es ist die zentrale Logik dieses Regulierungswerkes, selbst erzeugte Gewissheiten und Rationalitätsansprüche der Organisation zu problematisieren. Die Politik entzieht damit der Bilanz als dem ausschließlichen Beobachtungsinstrument das Vertrauen. Sie blickt fortan hinter dieses Fremd- und Selbstbeobachtungsmedium der Bankorganisation, das alle organisationalen Vorgänge üblicherweise in eine finanzialisierte Betrachtung umrechnet. Und sie misstraut zugleich den formal festgelegten Verantwortlich-keiten, nach denen die Organisation immer noch als zentral beherrschbare Trivi-almaschine vorausgesetzt ist. Somit eröffnet sich der Politik ein Blick auf die komplexe Realität der jeweiligen Bankorganisation. Diese Realität ‚ist’ – wie der Dreisatz der ‚Menschen, Prozesse und Systeme’ bereits suggerierte – zu-nächst die Realität ihrer Entscheidungsprämissen. Es sind Personen, Kommuni-kationswege und Programme, die nun von der Aufsicht in den Blick genommen werden. Ihnen und ihren Schadenspotentialen für das Bankensystem gilt nun die Aufmerksamkeit der Aufseher. Auf Basis dieser Erkenntnisse können wir nun Schlüsse ziehen, die wir bereits in der Einleitung kursorisch ansprachen, nun aber präzisieren und in einen historischen und systematischen Kontext stellen können. Die Umstellung des Aufsichtsfokus fand und findet zwar innerhalb der

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344 Fazit und Folgerungen

Politik statt. Sie kann jedoch nicht allein über die Referenz auf Ziele und Zwecke des politischen Systems bzw. bestimmte Organisationen oder Segmente erklärt werden. Zum einen ist die Stabilisierung des Bankensystems durch die Aufsicht ein Ziel, das zunächst in der Politik formuliert wird und das an veränderte Erwar-tungen an den Staat als Risikomanager anschließt (siehe Abschnitt 3.2). Zum anderen lässt sich der Impuls für die Umstellungen der Bankenaufsicht auch auf Prozesse zurückverfolgen, die außerhalb der Politik, aber auch jenseits der natio-nalstaatlichen Pfadabhängigkeiten aufzuspüren sind. Diese Einschätzungen lie-ferten den konzeptionellen Ausgangspunkt für unsere Arbeit, die zu der Diagno-se führten: Es sind vor allem die Veränderungsdynamiken der modernen Gesell-schaft im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, die eine Konstituierung und Aus-richtung einer internationalen bankaufsichtlichen Wissensordnung in dieser Form erklärbar machen. Dazu zählen: die Globalisierungsprozesse des Finanz-systems, die das Ende der Ko-Evolution von Nationalstaat und Weltwirtschaft forcieren und die Bedeutung nationalstaatlicher Grenzen für die Finanzökonomie minimieren (5.1); die Digitalisierung der kommunikativen Verbreitungsmedien, die die Bedeutung des territorialen Raumes für soziale Operationen unterminie-ren, wovon die (Finanz-)Wirtschaft im Vergleich zu anderen Gesellschaftsberei-chen in besonderer Weise betroffen ist (5.2); die wissenschaftlichen und techni-schen Innovationsdynamiken der Finanzwirtschaft, die die Gewinn- und Verlust-potentiale von Kredit- und anderen Finanzgeschäften in neue Dimensionen trei-ben (6); und schließlich die Ausbreitung multinationaler Banken, die sich diese neuen Konstellationen mit veränderten Geschäftsstrategien zu nutze machen und damit eine Rekonfiguration der ökonomischen Geographie einleiten (5.3).

Deutlich wurde: In einem territorial entgrenzten Bankensystem avancieren die multinationalen Bankorganisationen zu den zentralen sozialen Orten, an welchen das globale Bankensystem seine Rückbindung in die gesellschaftliche Umwelt realisiert. Im Zuge ihrer Entscheidungsproduktion werden die Grenzen des Bankensystems neu gezogen, reproduziert und überschritten. Organisationen fungieren als gesellschaftliche Einrichtungen, durch welche Geld in Wissen oder auch Informationen in Geld konvertiert werden; in welchen Regelsysteme die Kapitalströme begrenzen und veränderte Kapitalströme neue Regelsysteme her-vorrufen. Es fällt schwer, Banken aus dieser Perspektive zum Akteur auf einer Mirkoebene und dann als Counterpart zu Makroprozessen auf der Ebene der Märkte zu trivialisieren.485 Die Bewegungen der Märkte lassen sich schlechter-dings durch die bloße Aggregation der einzelnen Operationen der Organisationen hochrechnen; und noch schlechter lässt sich die Entscheidungsproduktion der

485 So wie beispielsweise bei John Eatwell und Lance Taylor (Eatwell 2000, 218). Diese Unterschei-dung ist aber auch – worauf wir immer wieder hinwiesen – für die einschlägige Literatur der Interna-tional Political Economy charakteristisch.

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Fazit und Folgerungen 345

Organisationen allein über die Bewegungen der Märkte zurückrechnen. Plausib-ler erscheint es, Banken als Kristallisationspunkte für die Kommunikation des globalen Finanzsystems zu begreifen, das auf dieser Ebene gesellschaftlicher Differenzierung seinen kommunikativen Halt zu finden vermag. Für unsere Ana-lysen erwies es sich deshalb als hilfreich, bereits zu Beginn dieser Arbeit über (für diesen Arbeitskontext nahe liegende) akteurszentrierte Ansätze hinauszuge-hen und stattdessen auf das Analysepotential der soziologischen Systemtheorie zu setzen. Aus systemtheoretischer Perspektive konnten wir dabei auch einen weiteren Gesichtspunkt ausarbeiten, der die ambivalente Wirkungsweise von Organisatio-nen freilegt. Ihre zentrale Positionierung führt die multinationale Bank nicht allein in die ‚Täterrolle’. Sie löst nicht allein Kapitalkonzentrationsprozesse aus, die daher resultieren, dass Banken ihre exponierte Stellung in der Finanzökono-mie für ihre eigenen Geschäftsstrategien ausnutzen können und in diesem Zuge gesellschaftliche Schief- und Gefährdungslagen im weitesten Sinne heraufbe-schwören. Ebenso laufen Bankorganisationen dieses Typs Gefahr, selbst ‚Betrof-fene’ ihrer eigenen Komplexität und ihrer Selbstgewissheit und Abstumpfung gegenüber potentiellen Überraschungen werden. Auch in diesem Fall ist die Gefahr der Produktion negativer Externalitäten, von denen das Bankensystem, aber auch verschiedene Funktionssysteme dann betroffen sind, gegeben. In unse-ren Ausführungen zur Globalisierung arbeiteten wir Argumente heraus, warum die multinationale Bankorganisationen dafür besonders anfällig erscheinen: Ne-ben den Herausforderungen einer Auseinandersetzung mit den Rechtsordnungen verschiedener Staaten und möglichen so genannten kulturellen Heterogenitäten lässt sich in systematischer Betrachtung auf zwei weitere Aspekte verweisen: Zum einen wird ihre eigene Undurchsichtigkeit durch die Entfaltung im Raum verstärkt. Im Zuge ihrer territorialen Expansion lassen sie sich schließlich (not-gedrungen) darauf ein, auf die ‚reichhaltige’ Kommunikationsform der Interakti-on zu verzichten und stattdessen auf riskantere technikbasierte Kommunikation zu setzen (dazu in 5.2). Zum zweiten erhöht die Erschließung neuer Geschäfts-felder über das klassische Kreditgeschäft hinaus, wie beispielsweise der Handel mit innovativen Finanzinstrumenten, die interne Komplexität von Banken: ein Umstand, der sich nicht zuletzt in neuen Abteilungen und einer diversifizierten Personalstruktur äußert.

Einerseits verdeutlichten unsere historischen Beschreibungen in Kapitel 5 damit die besondere Ausgestaltung der Organisation von Bankgeschäften in der Gegenwartsgesellschaft. Sie illustrierten: Die multinationale Bankorganisation des 21. Jahrhunderts hat nur (noch) wenig gemein mit der florentinischen Privat-bank des Spätmittelalters, den Monte Pietas der frühen Neuzeit, den Bank- und Geldhäusern der Hochfinanz in Zeiten des Imperialismus (dazu in 2.1.2); und

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auch von den primär nationalstaatlich verankerten Kredithäusern modernen Zu-schnitts, die das Ende des 19. und die ersten beiden Drittel des 20. Jahrhunderts prägten und die heute natürlich auch noch existieren, hat sich dieser Banktypus in verschiedenen Hinsichten strukturell entfernt.

Andererseits lassen die gesellschaftstheoretischen Ausarbeitungen zur Funktion der Organisation in Kapitel 2 den Schluss zu, dass auch die multinatio-nale Bank eine Funktionsstelle in der modernen Gesellschaft einnimmt, die ihre Vorläuferformen mehr oder minder bereits erfüllten: Die Bearbeitung von Unsi-cherheit und Kontingenz. Diese Leistungen sind in ihrer gesellschaftlichen Fol-gewirkung kaum zu überschätzen. Sie erst schufen die Bedingungen der Mög-lichkeit eines ausdifferenzierten Bankensystems. Und auch heute noch liefern sie die Voraussetzungen für den Komplexitätserhalt und die Stabilisierung dieses selbstreferentiellen Gesellschaftsbereichs, ohne welchen die moderne Ökonomie wohl eine andere wäre. In früheren Zeiten wurde diese Aufgabe – wie wir in Abschnitt 2.1.2 herausstellten – vor allem durch funktionale Äquivalente reali-siert. Für die Vormoderne sind diesbezüglich beispielsweise die Insignien der Ständegesellschaft in Form von Status und gesellschaftlicher Achtung zu nen-nen, die mit mehr oder minderem Erfolg Kreditgeschäfte abzusichern und damit zu realisieren halfen und so das Risiko des Kreditausfalls zu minimieren ersuch-ten. Im Zuge der funktionalen Differenzierung avancierten neben der Herausbil-dung formaler Bankorganisationen vor allem der Staat und seine Außengrenzen zu Stabilisatoren des Systems (5.1). Als Hüter der Stabilität von Währung und Bankensektor konstituierte der Staat das Maß an Erwartungssicherheit, das für die Reproduktion eines territorial segmentierten, aber bereits weltweit operieren-den Bankensystems notwendig schien. Auch heute noch erscheint er als die zent-rale Adresse, auf welche gesellschaftliche Beobachter ihre Hoffnungen und Wünsche einer Vermeidung massiver Wohlstandverluste projizieren (3.1.1). Allein: Bei der Verteidigung seiner Außengrenzen steht der Staat auf dem Feld der Finanzökonomie auf verlorenem Posten. Er ist auf den Zugriff auf ein zentra-les Ordnungsmuster angewiesen, das durch die Entgrenzungs- und Digitalisie-rungsdynamiken zwar transformiert, aber eben nicht in ihrer strukturellen Bedeu-tung relativiert wurde. Eine Form sozialer Ordnung, die auch heute noch – als Inbegriff für Rationalität und Berechenbarkeit von der Gesellschaft beobachtet (2.1.1) – an der Absorption von Unsicherheit und Kontingenz und damit an der Produktion von Systemvertrauen zentralen Anteil hat: die formale Organisation.

An dieser Stelle schließt sich der Kreis, und es klärt sich ein vermeintlicher Widerspruch, den wir in der Einleitung ansprachen. Wir können verstehen, wa-rum die Bankenregulierung auf ein Objekt mit festen Grenzen rekurriert, um das grenzenlos gewordene Bankensystem unter politische Aufsicht zu stellen. Unsere ausführlichen gesellschaftstheoretischen, historischen und zeitdiagnostischen

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Ausführungen schufen so eine breitere Erklärungsbasis für die Möglichkeit und Plausibilität des zu beobachtenden Paradigmenwechsels. Wir vermieden es da-mit, diese Umstellung allein mit Blick auf politische Interessenlagen einzelner Akteure und damit auf Ereignisse und Konstellationen zu beschreiben, die in der Sozialdimension angesiedelt sind.486 Stattdessen setzten wir die Logik des Para-digmenwechsels zu den sich ereignenden Transformationsprozessen der Globali-sierung, Digitalisierung und Innovationsorientierung in Beziehung. Dieses Vor-gehen brachte uns vor allem in die Lage, Basel II als eine (politische) Antwort auf die Strukturprinzipien der gegenwärtigen Weltgesellschaft zu begreifen und in ihrer Logik eine Unterscheidung wieder zu finden, die als Ebenendifferenz für die moderne Gesellschaft konstitutiv ist und die wir nicht müde wurden, in dieser Arbeit zu betonen: Die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Organisation. Wir entgingen damit zugleich – obwohl es um Politik geht – einer politikzent-rierten Perspektive, indem wir die politischen Prozesse in den gesamtgesell-schaftlichen Kontext einrückten. Erst auf dieser Ebene wurde ersichtlich, welche komplexen Vorbedingungen sich vorfinden ließen, die schließlich in der Politik einen Aufsichtsverständnis hervorriefen, welches wir nun – wie bereits im Titel dieser Arbeit geschehen – als ’Regulierung der Organisation’ bezeichnen möch-ten.

Den Titel dieser Arbeit noch einmal bemühend, stellt sich zugleich die Fra-ge. Wie verhält sich dazu die ‚Organisation der Regulierung’? Welche Verände-rungsprozesse löste dieser erweiterte Fokus mit Blick auf die Form der Regulie-rung aus? Auch auf diese Fragen fand unsere Arbeit Antworten.

(2) Die „Organisation der Regulierung“ – zur neuen Form der Beaufsichtigung des Bankensystems

‚Vom Measurement zum Management’ – dies ist die Formel, mit der sich kom-plementär zu unserem Einstieg in (1) die Transformation der Regulierungsformbeschreiben lässt. Und auch in diesem Zusammenhang gilt: Der Ausgangspunkt – das ‚Measurement’ – erleidet keinen Bedeutungsverlust, sondern wird um weitere Verfahren erweitert. Wiederum diente in unserer Analyse Basel I als Referenzpunkt, von welchem aus die Bewegung der Erweiterung nachzuvollzie-hen war. Entsprechend zur Begrenzung des Objektbereichs rekurrierte Basel I einzig auf das Verfahren der Kapitalunterlegung, um das selbst formulierte poli-tische Ziel einer Stabilisierung des Bankensystems zu realisieren. Andere Mög-lichkeiten des Umgangs mit Risiken kamen dagegen in diesem Regelwerk nicht

486 Eine derartig verengte Perspektive hat Armin Nassehi als klassisches Charakteristikum und gleichzeitig als eine Schwäche der üblicherweise verwendeten Gesellschaftsbegriffe und Zeitdiagno-sen ausgemacht (Nassehi 2006, 438).

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zur Sprache. Auch sie wurden im Rahmen des aufsichtlichen Paradigmas ausge-grenzt, obwohl das Baseler Komitee im Rahmen vorangegangener Papiere (siehe 4.2) auch alternative Mechanismen angesprochen hatte.Diese Engführung der Prüfungsform gewann an Plausibilität vor dem Hintergrund der (unwahrscheinli-chen) Anschlussfähigkeit anderer, weitergehenden Alternativen in den verschie-denen Nationalstaaten.487 Die Festsetzung eines quantitativen Regulierungsstan-dard von acht Prozent erwies sich aus folgenden Gründen als zunächst erfolgrei-che Lösung. Zum einen schuf sie die Möglichkeit einer wechselseitige Transpa-renz und Vergleichbarkeit des jeweiligen Kapitalniveaus der Banken. Zudem konnte sie – wie wir in 7.2.2 herausstellten – die Legitimität der Messung und damit die Insignie der Objektivität für sich in Anspruch nehmen.

Diese Bedeutung von Messung, Quantifizierung und Objektivierung von und in gesellschaftlichen Prozessen führten wir in Abschnitt 7.4 auch mit Blick auf die breite sozialwissenschaftliche Diskussion, die sich unter anderem in der kritischen Accountingforschung niederschlägt, aus. Dabei konnten wir zugleich auch erste Schlüsse über die Ausgestaltung bestimmter Prüfungselemente von Basel II ziehen. Besonders der Umstand, dass es in der so genannten ersten Säule zu einer Ausdifferenzierung verschiedener Risikomodelle kommt, die den Tech-niken der Kalkulation von Risiken und ihrer Kapitalunterlegung eine breitere Grundlage bereitstellt, zeigt an: Basel II treibt das ‚Government by numbers’ in neue Dimensionen. Es sieht nicht mehr nur die Messung von Kapital, sondern auch die Berechnung der Wahrscheinlichkeit von monetären Verlusten als (risi-kosensitiveres) Instrument politischer Regulierung vor.

Die Arbeiten zur gesellschaftlichen Zahlen- und Formelbasierung lieferten grundsätzliche Argumente dafür, warum sich so im Zuge der Erweiterung des Fokus auch der Anwendungsbereich dieser zahlen- und formelbasierten Aufsicht ausbreitet. Sie machten darauf aufmerksam, dass sich in dem Zusammenhang nicht allein von einer historischen Kontinuität staatlichen zahlenbasierten Regie-rens, die wir in Abschnitt 5.1 herausarbeiteten, sprechen lässt, sondern es sich um allgemeine soziale Dispositive der Moderne handelt, an welche die Aufsicht anschließt. Aus Perspektive ihrer Argumentationslogik erklärt sich, warum nun selbst erwartete Verluste aus menschlichem oder technisch/infrastrukturellem Versagen in Häufigkeitsschemata reformuliert werden, um auf diese Weise ent-sprechende Kapitalrücklagen regulatorisch vorzuschreiben. Die ‚Finanzialisie-rung’ derartiger Phänomene verdeutlicht, dass – um noch einmal Ian Hackings Metapher zu bemühen – auch organisationale Aspekte von der „Lawine gedruck-ter Zahlen“ erfasst werden. Die Ausweitung des Regulierungsfokus spült damit

487 Wir haben es so mit einem Selektionsmechanismus zu tun, der sich analog zur Begrenzung des Fokus vollzieht, den wir im ersten Teil dieses Fazits und in 7.2.2 thematisierten.

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diese Techniken auch in Bereiche der Bankorganisation, die bis vor kurzem noch als ‚unquantifiable’ (Avery 2000) betrachtet wurden; und die Studien zur gesell-schaftlichen Performativität von Zahlen- und Formeln können Argumente lie-fern, warum dies geschieht.

Allein: Im Zuge unserer Analysen konnten wir gleichzeitig auch Ansätze der Regulierung identifizieren, die sich diesem Sog des „Trust in numbers“ ent-ziehen und stattdessen anderen Beobachtungs- und Beurteilungssrastern folgen. In Abschnitt 7.3 stießen wir auf Vorschriften, die einen expliziten Verzicht auf eindeutige Zahlen fordern und statt eindeutigen (quantifizierbaren) Regeln nun Prinzipien der „Angemessenheit“ vorsehen. Die in Abschnitt 8.1.2 dargelegten Ausführungen der Aufseher widersprechen zugleich der (möglichen) Vermutung, dass es später auf nationalstaatlicher Ebene zu einer Re-Codierung von Ange-messenheitsprinzipien in quantitative Grenzwerte kommt. In den Kapiteln 7 und 8 konnten wir so herausarbeiten, wie sich diese Regulierungsformen der Ange-messenheit grundsätzlich von den modellbasierten Prüfungsansätzen, die wir in der ersten Säule von Basel II identifizierten, unterscheiden. Die Angemessen-heitsprinzipien kontextuieren die quantitativen Modelle in besonderer Weise. Sie bringen diese in einen Bewertungszusammenhang, der sich nicht mehr auf Krite-rien wie richtig oder falsch, Grenzwert überschritten oder unterschritten bezieht. Stattdessen sieht dieser Regulierungsmodus die Erstellung von Urteilen vor, die der Unterscheidung „angemessen/unangemessen“ folgen. Personen, aber auch die technische Infrastruktur werden nicht mit einem monetären Satz einer Aus-fallwahrscheinlichkeit in Beziehung gesetzt – sie werden auf ihre Kompetenz bzw. ihre Verlässlichkeit hin beobachtet.

Der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden Prüfungsansätzen spiegelt sich auch auf der Ebene der Textstruktur des Rahmenwerks wieder. Wir zeigten auf, wie mit dem partiellen Verzicht auf Zahlen und Modelle auch ein Verzicht auf Medien der Legitimierung einhergeht. Die Medien der Messung und Berech-nung ließen eine länderübergreifende Anschlussfähigkeit der internationalen Regeln wahrscheinlich werden. Dieser Mechanismus steht den Angemessen-heitsregeln nicht zur Verfügung. Zwar nimmt Basel II in seiner zweiten Säule Bezug auf ein funktionales Äquivalent zur Bilanz. So orientiert sich das Rah-menwerk in diesem Teil an dem Modell der formal und hierarchisch aufgestell-ten Organisation und den damit verbundenen Verantwortungszuschreibungen. Diese dürften gemäß den Prämissen der so genannten Organtheorie aus den Rechtswissenschaften ebenfalls ein bestimmtes Maß an Anschlussfähigkeit in den verschiedenen nationalstaatlichen Rechtsordnungen erhoffen (7.3.3). Formen der Eindeutigkeit und Verbindlichkeit, wie sie mit Blick auf Basel I aber auch die erste Säule von Basel II ersichtlich werden, lassen sich in diesem Zusam-menhang jedoch nicht herstellen. Der ‚Shift’ vom exakten Measurement zum

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verantwortungsvollen Management wird so mit vielen Unbestimmtheiten und Uneindeutigkeiten bezahlt, die die Aufsicht aber auch die Banken vor ein neues Maß an Erwartungsunsicherheit stellen.

Damit offenbart sich neben dem Gesichtspunkt einer schwachen Legitimi-tätsgrundlage (im Sinne von Anschluss- und Annahmefähigkeit) nun auf operati-ver Ebene eine weitere Herausforderung für die Aufsicht. Die veränderte Regu-lierungsform wird auch in einer weiteren Form erklärungsbedürftig. Der (partiel-le) Verzicht auf Zahlen und Technologien bedeutet zugleich den Verzicht auf Möglichkeiten der Objektivierung, der Distanzierung und damit schließlich auch der Reduktion von Komplexität in den Aufsichtspraktiken. Zu welchen Konse-quenzen dies führte und führt, und welche Umstellungen dadurch in der Praxis eingeleitet werden, ließ sich eindrucksvoll am Fallbeispiel Deutschland (8.1) rekonstruieren. Für die Aufseher bedeutete und bedeutet die Einführung der Angemessenheitsregeln einen Aufbruch: den Aufbruch in die Banken. Die Frage der Angemessenheit von Menschen, Prozessen und Systemen wird fortan nicht mehr allein am eigenen Schreibtisch entschieden. Sie hat zudem auch vor Ort geprüft zu werden. Die Aufseher begeben sich an den Ort des Geschehens, wo-mit zugleich auch neue Arbeitabläufe, Abstimmungsformen zwischen den Auf-sehern, aber auch veränderte personale Kompetenzen von ihnen eingefordert werden.

Diese Veränderungen werden vor allem deshalb notwendig, weil es nicht mehr allein um das ‚Checken’ von Zahlen, sondern zudem um ein Verständnis von Organisation geht. Es sind vor allem die organisationalen Aspekte in For-men von Programmen, Kommunikationswegen und Personen, für welche sich die Bankenaufsicht interessiert. An dieser Stelle erschließt sich ein Zusammen-hang von verändertem Fokus und verändertem Modus der Bankenaufsicht. Er-sichtlich wird, dass der erweiterte Fokus nicht mehr allein über bisherige Routi-nen zahlenbasierter Regulierung in Form der Risikokategorie der operationellen Risiken abgearbeitet wird, sondern Reformprozesse in den Regulierungsbehör-den selbst auslöst. Zwar divergieren die damit zusammenhängenden Herausfor-derungen zwischen den Ländern. So kamen beispielsweise in den USA – wie wir in 8.2.1 beschrieben – bereits vor Basel II vergleichbare Prüfungsformen zur Anwendung. Jedoch ruft der Maßstab der Angemessenheit auch in diesem Kon-text Probleme hervor. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Abstimmung zwi-schen den verschiedenen heterogenen Perspektiven der nationalstaatlichen Auf-sichtsbehörden, durch die sich das US-amerikanische System auszeichnet. Die Beobachtung dieser ‚Zumutungen’ wirft die Frage auf, welchem Problemdruck zufolge die Regulierungsinstitutionen ihre ihnen inhärente administrative Träg-heit (Hannan/Freeman 1984) aufgeben. Gesucht wurde eine Erklärung, warum von ihnen derartige Prüfungsformen erarbeitet und angewendet werden, die nicht

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Fazit und Folgerungen 351

allein unter legitimatorischen Gesichtspunkten, sondern auch hinsichtlich der Anwendungsweise zusätzliche Ressourcen sowie zugleich auch Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten bedeuten. Mit Blick auf die Verwaltung selbst ließ sich diese Frage nicht beantworten. Wie bereits im Fall unserer ersten Frage nach dem Fokus der Aufsicht und unserer These einer ‚Regulierung der Organisation’ suchten wir auch im Zusammenhang mit der ‚Organisation der Regulierung’ nach einer funktionalen Erklärung für diese veränderten Kontrollformen. Dabei entwickelte sich folgendes Argument heraus:

Die Leistung dieser veränderten Aufsichtsform für die Politik wird erst mit Bezugnahme auf den Mechanismus des Vermeidungsimperativs deutlich, auf den wir in Kapitel 3 eingegangen sind. Im Zentrum steht die Vermeidung der Schließung oder extremen Schwächung von Bankorganisationen unter bestimm-ten Voraussetzungen, von denen massive Irritationspotentiale für das Bankensys-tem, aber auch seine gesellschaftliche Umwelt wie das politische System ausge-hen können.488 Der Politik geht es damit auch um die Aufrechterhaltung ihrer eigenen Funktionsfähigkeit, um die Stabilität der politischen Ordnung, welche eine Voraussetzung dafür darstellt, dass in ihrem Zentrum kollektiv bindende Entscheidungen getroffen werden. Für die Vermeidung von Schäden erweist sich die Messung von Kapitalrücklagen als unbrauchbar. Sie dient als Instrumen-tarium, um etwaige Schadenspotentiale in der Zukunft zu kalkulieren. Unwill-kommene Ereignisse wie beispielsweise eklatante Fehler des Managements sind auf diese Weise nicht zu verhindern. Der kapitalbasierte Regulierungsmodus zielt (lediglich) darauf ab, Möglichkeiten der Kompensation solcher Schäden in Form von Eigenkapitalrücklagen vorzuschreiben. Kurz gefasst: Verluste sollten nicht vermieden werden, sondern bezahlbar bleiben.

Durch die „Too big to fail-Doktrin“, die nun auch bei der Aufsicht Einzug hält, wird dieses Verfahren ergänzungsbedürftig. Krisen wie die von Barings und Societee Generale erwiesen sich in ihrem Ausgang zwar als glimpflich für das Finanzsystem. Was aber, wenn – und dies wurde befürchtet – die Societe Gene-rale nicht 4,9, sondern 50 Milliarden verloren hätte? Dies ist (glücklicherweise) eine hypothetische Frage, die weder in der Finanzwirtschaft, der Politik und schon gar nicht von der Soziologie beantwortet werden kann. Der Vermeidungs-imperativ induziert die bereits thematisierte ‚Präventionslogik’ auf operativer Ebene. Es geht mit anderen Worten nicht mehr darum, die Schadenspotentiale abzuschätzen, die durch Personen wie Nick Leeson oder Jerome Kerviel entste-hen können, zu errechnen und dafür entsprechendes Eigenkapital bereitzuhalten. Stattdessen sollen Betrugsfälle, „Verzweiflungsstrategien“ von Banken, auf die

488 Mit diesem Argument lässt sich eine Singularität der Bankwirtschaft zu anderen Wirtschaftsseg-menten identifizieren, in denen der Aufstieg und Niedergang von Firmen zwar nicht (mehr) als schöpferische Zerstörung aber nicht als Auslöser für politische Krisen betrachtet werden.

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wir in Abschnitt 6.2 eingingen, und andere unwillkommenen Ereignisse künftig verhindert werden. Es geht darum, Schäden, die aus der Organisation auf das Bankensystem überschlagen können, zu vermeiden. Im Zuge dieser Veränderung setzt sich die Einschätzung durch, dass Organisationen nicht allein über Kennzif-fern beobachtet werden können, sondern dass weitergehende Formen notwendig sind.

In diesem Zusammenhang wird von den Aufsehern nicht nur der alleinige Blick auf die Bilanz als inadäquat erachtet. Zugleich erscheint auch die aus-schließliche Fokussierung auf das Modell der formalen, hierarchischen Organisa-tion nicht angemessen. Dieses wird zwar zunächst – wie wir zeigten – unter Legitimitätsgründen als funktionales Äquivalent zum Medium der Bilanz kom-munikativ positioniert. Und auch im Falle von Unregel- und Unrechtmäßigkeiten erweist sich der Vorstand als zentrale Adresse mit Blick auf die Zuweisung von Verantwortung. Für eine faktische Vermeidung von Katastrophen wird ein Blick auf die formalen Programme, Kommunikationswege und Ausbildungsgänge der Beschäftigten jedoch im Rahmenwerk, aber auch von den nationalstaatlichen Regulierungsbehörden als nicht ausreichend betrachtet. Auch deshalb geht es den Aufsehern um eine teilnehmende Beobachtung der Ablaufprozesse, um In-konsistenzen von Programmen, Kommunikationswegen und Personen in ihrem Zusammenspiel zu erfassen und dabei eben auch die informalen Gesichtpunkte der Organisation in den Blick zu bekommen.

So erklärt sich die besondere Leistung der Vor-Ort-Prüfung. Sie ermöglicht den Aufsehern einen kognitiven Zugang zur Black Box Organisation; und dies – wie wir in den Abschnitten 8.1.2 und 8.3.1 beschrieben haben – in dreifacher Hinsicht: Zum einen ermöglicht sie den Aufsehern die ‚Wahrnehmung’ der or-ganisationalen Realität durch die teilnehmende Rekonstruktion von Entschei-dungsprozessen und das Zusammenspiel von verschiedenen Stellen der Bank in der Vollzugspraxis. Zweitens erschließt sie Potentiale für eine fortlaufende zeit-liche und sachliche Modifizierung des Prüfungsablaufes, die sich dann in einer situativen Länge und Intensität der Prüfung äußert. Zum dritten wirken die kog-nitiven Anpassungsprozesse auf die generellen kognitiven Schemata der Aufse-her zurück und schaffen damit die Bedingungen der Möglichkeiten für psychi-sches und soziales Lernen. Die Aufsicht konfrontiert sich auf diese Weise selbst mit den Veränderungsdynamiken der organisationalen Abläufe. Die Prüfung dieser Aspekte vor dem Kriterium der Angemessenheit ist damit zugleich immer auch eine Prüfung der eigenen Angemessenheitskriterien, die in der Folge ggf. modifiziert werden. Betrachtet man die veränderte Organisation der Regulierung mit Blick auf das Verhältnis von Bankenaufsicht und Bankorganisation, so lässt sich hier – metaphorisch gesprochen – eine ‚Verschränkung’ der bankaufsichtli-chen und bankwirtschaftlichen Perspektiven beobachten. Die Realisierung von

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Fazit und Folgerungen 353

Vor-Ort-Prüfungen schafft die Bedingungen für ‚kohärente Überlagerungen’489

zwischen Regulierer und Reguliertem in räumlicher, zeitlicher aber auch in sach-licher Hinsicht. Räumlich schlägt sich diese Verschränkung in der Ko-Präsenz von Bankmitarbeitern und Aufsehern in dem entsprechenden Bankinstitut nieder. Auch wenn die Aufsicht für die Zeit der Prüfung eigene Büros in der Bank be-zieht, so eröffnet sich doch für sie die Möglichkeit, jederzeit mit den anderen Beschäftigten im Bankgebäude in Kontakt zu treten. Es kommt nun – allgemein gesprochen – zur Ko-Präsenz von Körpern und den manchmal entscheidenden Unterschieden von Interaktionsbeziehungen, auf die wir verschiedentlich hin-wiesen (siehe 5.3 und Kapitel 8).

Zeitlich äußert sich die Verschränkung in einer Synchronisation der Zeitho-rizonte von Regulierern und Regulierten. Diese Synchronisation realisiert sich nicht allein in den artifiziellen Gesprächs- und Interviewsituationen sowie den informalen Gesprächen, durch welche bei Aufsehern und Bankmitarbeitern eine gemeinsame Zeitbindung erzeugt wird. Sie äußert sich zudem in einer gemein-samen Zeitordnung, die sich in die drei Phasen ‚Vor der Prüfung’ (Vergangen-heit), ‚Prüfung’ (Gegenwart) und nach der ‚Nach der Prüfung’ (Zukunft) unter-teilen lässt. Diese Phasen sind durch wechselseitig verzahnte Abläufe und auf-einander bezogene Erwartungshaltungen und -anpassungen geprägt. Schließlich kommt es auch in sachlicher Hinsicht zur Verschränkung der aufsichtlichen und bankwirtschaftlichen Perspektive. Prägend sind in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen funktionssystemischen Primärorientierungen beider Organisa-tionstypen. Ihre Verschränkung im Rahmen der Vor-Ort-Prüfungen lässt die wechselseitige Spiegelung von regulatorischem und bankwirtschaftlichem Wis-sen und damit das wechselseitige Aufdecken von blinden Flecken erwarten, welches eine veränderte Form des Umgangs mit Nichtwissen ermöglicht.490

Unsere Analogie zu der (aus der Quantenmechanik entnommenen) Figur ei-ner ‚Verschränkung’ von Aufsicht und Bankinstitut endet mit Blick auf die Sozi-aldimension. In dieser Sinndimension wird deutlich, wie es der Aufsicht gelingt, die Verschränkung aufzulösen, und zum entsprechenden Zeitpunkt die (politi-sche) Hierarchie zwischen Aufsicht und Bank wieder herzustellen. An dieser Stelle zeigt sich, wie möglicher Dissens zwischen beiden Seiten durch das Medi-um (politischer) Macht gelöst werden kann, auch wenn dies, wie die Erfahrungen

489 Diese Begrifflichkeit ist – wie auch der Begriff der ‚Verschränkung’ – der Quantenmechanik entnommen (dazu Bruß 2003). Diese Metapher erscheint in sofern passend, als das – wie im Falle der Teilchen – auch in diesen Kontexten von Relationierungsprogrammen (siehe 3.1 und 8.3.1) Aufsicht und Beaufsichtigte nicht mehr autonom gedacht werden können, sondern sich im Zuge der Interakti-onssysteme der Vor-Ort-Prüfungen wechselseitig positionieren und re-positionieren. 490 Diese Formen der Verschränkung haben Helmut Willke und Torsten Strulik als Arrangement „kollektiver Intelligenz“ identifiziert, das sich in der Folge des Elaborierungs- und Implementie-rungsprozesses von Basel II zwischen Bankenaufsicht und Banken einspielt (Willke/Strulik 2008).

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in den USA zeigten (8.2.1), bei langer Vor-Ort-Präsenz eine Herausforderung bedeuten kann. Trotz aller Lernbereitschaft ist die Aufsicht schließlich vor die Aufgabe gestellt, Entscheidungen zu treffen und diese auch gegen die Einwände der Bank durchzusetzen.

In der Sozialdimension sind somit die Stoppmechanismen zu identifizieren, die die Unterbrechung wechselseitiger Lern- und Anpassungsprozesse bereithal-ten und deren potentielle Aktivierung die anderen Sinndimensionen latent durch-dringt.491 Der so produzierte Dissens und die Möglichkeit seiner potentiellen Überwindung durch das Medium Macht stellt die Asymmetrie zwischen Aufse-hern und Banken in politischer Hinsicht wieder her, die sich dann gar in Verfah-ren der Sanktionierung äußern kann. Gerade anhand der möglichen Sanktionie-rungsfolgen lässt sich aufzeigen, dass der veränderte Fokus und die damit kor-respondierende, veränderte Form nicht nur für die Politik in Form der Aufsicht folgenreiche Umstellungen mit sich bringen. Die wechselseitige Verschränkung von Bankenaufsicht und Bank moduliert zugleich zu einer Einschränkung der Operationsweise der Bank. Diese Einschränkung berührt dabei nicht allein die Bank als Organisation. Sie wirkt zugleich – wie wir immer wieder betonten – auf das Bankensystem zurück und führt für diesen Gesellschaftsbereich zu neuen Begrenzungen. Es ist diese neue Form der Einschränkung von Freiheitsgraden, durch welche sich die Regulierung des Bankensystems nun auszeichnet und die schließlich auch für einen weiteren Mechanismus bedeutsame Konsequenzen mit sich bringt: den Mechanismus gesellschaftlicher Integration.

(3) Ent- und Begrenzungen – zu den Konsequenzen für die Operationsweise des Bankensystems

In Abschnitt 3.2 haben wir den Begriff der Integration von normativen und sub-jektzentrierten Konnotationen gelöst. Der systemtheoretischen Definition einer Einschränkung der Freiheitsgrade von Sozialsystemen folgend, sprachen wir von Integration als der anderen Seite, gewissermaßen dem evolutionären ‚Ergebnis’ von Regulierung. Wir zeigten auf, wie sich Integration über strukturelle Kopp-lung als Einschränkung der Freiheitsgrade von Funktionssystemen einstellt. Daran anschließend wollen wir nun abschließend in diesem Fazit beschreiben, wie sich auf Basis des Paradigmenwechsels der Aufsicht zugleich neue Formen der Integration des Bankensystems ergeben. Es soll deutlich werden, dass sich über den Integrationsmechanismus entscheidende Konsequenzen für die Opera-

491 Sven Kette weist darauf hin, dass in einem radikal kognitivierten Prüfungsmodus selbst keine Stoppmechanismen und Sanktionspotentiale angelegt sind. Er macht deutlich, dass es allein die Personen sind, die dann selbst entscheiden müssen, wann sie von Wissen auf Macht und von Lernen auf Durchsetzen umzuschalten haben (Kette 2008, Kapitel 10)

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tions- und Selbstbeobachtungsweise des Bankensystems ergeben. Wir wechseln damit – wie angekündigt – die Perspektive vom politischen System hinüber zum Bankensystem. Dabei verfolgen wir das Ziel, mit diesem Erklärungspotential über genuin politik- und regulierungswissenschaftliche Arbeiten hinauszugehen und den gesellschaftstheoretischen Ertrag unserer empirischen Untersuchung explizit zu machen. Nicht allein für die Politik, sondern auch für das Bankensystem ergeben sich aus den Umstellungen der Aufsichtspraxis folgenreiche Modifikationen: Die Regulierungsimpulse der Politik führen schließlich zu einer wechselseitigen Neujustierung beider Teilsysteme. Das Bankensystem wird so über die durch Basel II induzierte politisch/regulatorische Beaufsichtigung der Bankorganisati-on in seinen Freiheitsgraden in veränderter Weise eingeschränkt. Diese Ein-schränkungen sind dabei zunächst nicht genuin politischer Natur. Vielmehr par-tizipiert die Politik in parasitärer Weise an Strukturvoraussetzungen, die auf-grund der Kopplungsverhältnisse von Funktionssystemen in Organisationen gegeben sind. Die Politik macht sich den bereits ausgeführten Umstand zunutze, dass Organisationen sich sui generis nicht rücksichtslos der Dynamik eines Ge-sellschaftssystems verschreiben können, sondern aufgrund ihrer Multireferenz immer schon interne ‚Stoppregeln’ besitzen, die unter Bezugnahme auf andere Funktionslogiken ‚einrasten’ können.

Wir machten in Abschnitt 2.1 deutlich, wie das Bankensystem zugleich von diesen eigenen Einschränkungen, die in den Organisationen über Entscheidungen produziert werden, profitiert. Es ist nicht zuletzt auf diese Einschränkungen sei-ner Freiheitsgrade angewiesen, um die systemeigene Ausdifferenzierung sowie sein Komplexitätsniveau auszubalancieren. Finanztransaktionen werden so bei-spielsweise vor dem Hintergrund des technisch Möglichen reguliert. Und auch die Frage, was rechtlich verantwortbar ist, spielt beim Betreiben der Bankge-schäfte in Organisationen eine Rolle. So erst konstituieren sich ‚Pufferzonen’, die die (potentiell) festen Kopplungen des Systems in lose Kopplungen überfüh-ren, und damit das erreichen, was wir in Abschnitt 2.1.2 unter Bezugnahme auf Ashby als „Ultrastabilität“ klassifiziert haben.

Bei diesen Mechanismen der Einschränkung handelt es sich um Kontinuitä-ten der modernen Gesellschaft, die auch angesichts der Diskontinuitäten, die durch Globalisierungs- und Digitalisierungsprozesse hervorgerufen werden, potentiell weiterhin Bestand haben. In Abschnitt 5.2.2 beschrieben wir diese Ambivalenz zwischen Desintegration (In der Giddenschen Terminologie: Entbet-tung) des Bankensystems aus lokalen und nationalstaatlichen Kontexten und seiner ‚Re-Integration’ in andere Kontexte. Wir hielten fest: Es sind nicht nur die Global Cities, von denen Saskia Sassen spricht, die die soziale Infrastruktur für das Bankensystem zur Verfügung stellen und die haltlos gewordene Komplexität

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des Systems an bestimmten territorialen und sozialen Knotenpunkten verorten. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang ebenfalls die in 5.3 beschriebenen multinationalen Bankorganisationen, die das Bankensystem über die Verdich-tung verschiedener Kommunikationszusammenhänge rückbetten und damit – systemtheoretisch gesprochen – eine Integrationsfunktion leisten. Mit dem Be-deutungsverlust klassischer Kopplungen mit dem politischen System gewinnen diese Kopplungen, die sich dann – wie wir in Abschnitt 5.2.2 darstellten – vor allem mit dem Wissenschaftssystem oder auch dem System der Massenmedien realisieren, sogar noch an Bedeutung.

Im Zuge von Basel II erhalten diese Mechanismen der Einschränkung bank-systemischer Kommunikation, die sich evolutorisch eingespielt haben, eine poli-tische Flankierung. Ihre Funktionsfähigkeit wird von der Aufsicht normativ er-wartet und kognitiv überprüft. Maßstab für diese Funktionsfähigkeit ist dabei nicht das finanzkökonomische Kalkül der Gewinnmaximierung, sondern das Risikomanagement und damit eine Stabilisierung des Gesamtsystems unter poli-tischen Gesichtspunkten. Und auch in dieser Hinsicht muss das Bankensystem eine komplementäre Entwicklung zu den Prozessen der Desintegration erleben, die durch Dynamiken der Globalisierung und Digitalisierung ausgelöst werden. Während diese – wie wir mit Bezug auf die Analysen von Anthony Giddens in 5.2.2 notierten – vor allem durch elaborierte technische Expertensysteme voran-getrieben werden, realisiert sich die politische Flankierung der Rückbettung hingegen über eine Kommunikationsform, die bereits archaischen Gesellschaften zur Verfügung stand: Das persönliche Gespräch in der Interaktion, durch wel-ches sich die Vor-Ort-Prüfungen auszeichnet.

Die beschriebene Beaufsichtigung des Zusammenspiels der Funktionssys-teme in Organisationen erscheint vor allem dann plausibel, wenn wir vergegen-wärtigen, dass strukturelle Kopplungen von Funktionssystemen nicht allein Be-grenzungen, sondern zugleich auch Interdependenzen zwischen Systemen sowie die Konvertierung symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien ermög-licht. Ein solches Arrangement von Grenzöffnungen492 und -schließungen ent-scheidet mit darüber, ob unwillkommene Ereignisse auf das Bankensystem über-springen können, beziehungsweise sich in diesem über Interdependenzen aus-breiten können. Dies ist die andere Seite der Multireferenz von Organisationen,

492 Der Begriff der Grenzöffnung ist aus systemtheoretischer Sicht ohne Frage problematisch. Wenn wir dennoch an dieser Stelle und im Folgenden von ihm Gebrauch machen, dann nicht im Sinne von Austauschbeziehungen offener Systeme, sondern im Sinne von Prozessen einer Konditionierung und Dekonditionierung von (operativ geschlossenen) Funktionssystemen durch (fremde) Systemgrenzen innerhalb einer Organisation, die zu einer wechselseitigen Neujustierung von Grenzen bzw. zu ver-änderten Interdependenzen und Kopplungen und damit zu wechselseitigen (Selbst-)Irritationen führen.

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die – wie wir in 1.2.2 herausarbeiteten – ein Strukturmerkmal der modernen Gesellschaft darstellt.

Aus Perspektive des Bankensystems kann beobachtet werden, wie die Poli-tik auf diese Grenzöffnung und -schließung von Funktionssystemen, die inner-halb von Bankorganisationen rekurriert und diese mit einer politischen Zweitco-dierung unterlegt.493 Kredite werden auch künftig unter Bezugnahme auf kredit-wirtschaftliche Erwägungen gewährt. Der Einsatz von wissenschaftlich/ techni-schen Finanzinstrumenten wird in den Bankorganisationen weiterhin mit Blick auf seine Möglichkeiten der Gewinnmaximierung betrachtet. Die ‚Verschlan-kung’ von Organisationsstrukturen darf weiterhin unter Effizienzgesichtspunkten entschieden werden, und erfolgreichen Händlern kann eine Beförderung und ein Zuwachs an Verantwortung zugestanden werden. Zugleich aber erhalten all diese Entscheidungen einen politischen Sinn. Sie müssen (von der Organisation) auch darauf hin beobachtet werden, ob sie (auch) von den Regulierern und damit von der Politik unter Risikogesichtspunkten als angemessen beobachtet werden kön-nen. Mit diesem Schritt schafft die Politik zugleich Voraussetzungen für die (Wieder-)Herstellung eines notwendigen Systemvertrauens, das aufgrund der Fragilität globaler Märkte und des Irritationspotentials konditionierter Beobach-tungszusammenhänge (siehe Abschnitt 6.2) durch die ‚natürlichen’ Pufferzonen der Organisationen allein kaum mehr herzustellen ist. Sie greift dort ein, wo selbst die durch Organisationen realisierte ‚Ultrastabilität’ des Systems an ihre Grenzen stößt.

Diese sehr selektive ‚Politisierung’ der internen Organisationsgrenzen wird dabei insbesondere im Falle von Grenzüberschreitungen manifest. Sie zeigt sich, wenn politisch/ rechtliche Kontrollvorgaben auf Kosten kurzfristigem Ge-winnstreben ausgehebelt werden, Geschäfte auf der Basis inadäquater personaler oder technischer Ressourcen getätigt werden oder bestimmte strategische Ent-scheidungen die Gefahr von Systemkrisen bergen. In diesem Fall müssen Bank-organisationen mit Interventionen durch die Politik rechnen: Zum einen weil die Politik auf Basis ihres erweiterten Fokus diese Prozesse in den Blick nimmt. Zum zweiten, weil sie über einen Aufsichtsmodus verfügt, der eine schnelle Identifizierung dieser Grenzverschiebungen ermöglicht. Im (politisch) günstigen Fall gelingt es der Aufsicht, diese Interdependenzen zu verhindern, beziehungs-

493 Dabei ist – mit Blick auf westliche Demokratien – nicht von einer Form der Politisierung der Organisation insgesamt auszugehen, wie sie Guido Palazzo und Andreas Scherer mit Blick auf allgemeine Neujustierungen von Politik und Ökonomie und eine neue Rolle von Moral behaupten (Palazzo/Scherer 2006, 76ff.) und wie sie von Helmut Willke und Gerhard Wille in einer Antwort auf diesen Aufsatz bestritten wird (Willke/Willke 2007, 9f). Vielmehr kommt es dazu, dass die Organisa-tion beobachten kann, dass sie und ihre internen Grenzziehungen von der Politik in sehr selektiver Weise nämlich unter Risikogesichtspunkten beobachtet werden.

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weise Risiken in der organisationalen Umwelt des Bankensystems präventiv auszuschalten. Die Entscheidungsprämissen der Organisation dienen in diesem Zusammenhang als Referenzpunkte des Zugriffs. Unzuverlässigen Programmen des Risikomanagements wird eine Überarbeitung auferlegt; für eine unprofessio-nelle Kommunikation von Back- und Front-Office wird eine Umgestaltung an-gemahnt, und bei als unzuverlässig bzw. überfordert eingestuften oder überführ-ten Mitarbeitern kann eine Stellenumbesetzung gefordert werden.

Das Bankensystem als weltweiter Kommunikationszusammenhang erfährt in diesem Zuge die politische Reaktivierung von ‚Grenzkontrollen’, die jedoch nicht mehr zwischen Staaten, sondern an anderen Stellen ansetzt. Es kann (an sich selbst beobachten), dass die Politik zwar keine Wiedererrichtung territorialer Grenzen unternimmt, um das Problem von Bankenkrisen und ihrer weltweiten Ausbreitung in den Griff zu bekommen. Die Kapitalströme sind weiterhin im Fluss – das Bretton-Woods-System bleibt Geschichte und das Tobin-Tax-System vorerst eine Vision der ökonomisch informierten Globalisierungskritik. Stattdes-sen bedient sich das politische System den Strukturvoraussetzungen der moder-nen (Welt-)Gesellschaft, die trotz oder besser: gerade aufgrund ihrer Globalisie-rung einen performativen Charakter aufweisen: Den Sinngrenzen der funktional differenzierten Gesellschaft. Interne Organisationsgrenzen avancieren damit im Zuge ihrer Politisierung zu funktionalen Äquivalenten von Staatsgrenzen, die ja soziologisch betrachtet ebenfalls als soziale Sinngrenzen aufgefasst werden kön-nen (Stichweh 2000, 186). In vielen gesellschaftlichen Bereichen ist die Bedeu-tung von Staatsgrenzen unbestritten. Und auch in den Sozialwissenschaften gilt fortan immer noch die Einsicht Georg Simmels, wonach territoriale Grenzen wie beispielsweise Staatsgrenzen bedeutsame soziale Institution darstellen (Simmel 1968, 464ff.). Den Ausführungen Uwe Schimanks zufolge besitzen Staatsgren-zen trotz einer weltgesellschaftlicher Ausdifferenzierung vieler Funktionssyste-me und dem von uns beschriebenen Ende der Ko-Evolution von Staat und Welt-wirtschaft in manchen Bereichen wichtige Aufgaben. Sie fungieren fortan als Interdependenzunterbrecher, übernehmen Integrationsfunktionen und erzeugen „bedeutsame Redundanzen für Stabilität und Wandel“ (Schimank 2005b, 398).

In den Politikwissenschaft, der Soziologie, den Kulturwissenschaften und in der Philosophie machen aktuelle Debatten darauf aufmerksam, dass gesellschaft-liche Grenzziehung durch die politische Begrenzung des Raumes – ungeachtet der Thesen der Globalisten (dazu Dürrschmidt 2002, 17f) – ein Thema dar-stellt.494

494 Siehe dazu beispielsweise in den Sammelbänden von Monika Eigmüller und Georg Vobruba (Eigmüller/Vobruba 2006), Paul Ganster und David Lorey (Ganster/Lorey 2005), sowie Allen Bu-chanan und Margaret Moore (Buchanan/Moore 2003), aber auch in Einzelbeiträgen wie denen von

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Die dort versammelten Ergebnisse führen vor Augen, dass territoriale Grenzen und auch politisch/territoriale Staatsgrenzen keineswegs grundsätzlich im Ver-schwinden begriffen sind. Unter Bezugnahme auf unsere eigenen Ergebnisse können wir damit beobachten, dass die moderne, global ausdifferenzierte Welt-gesellschaft es gegenwärtig dann mit unterschiedlichen Grenzregimen der Politik und damit unterschiedlichen Integrationsmechanismen zu tun hat. Die (normati-ve) Ziehung von politisch-territorialen Grenzen verliert endgültig ihren Exklu-sivstatus. Im Bereich der Finanzökonomie, in dem wir den Aufstieg und Fall von Grenzen detailliert rekonstruiert haben, wird ihr Bedeutungsverlust durch die (kognitive) Partizipation an den (Sinn-)Grenzen der Funktionssysteme kompen-siert. Diese Grenzregime erfordern keinen militärischen Apparat und keine Wachtürme. Sie erfordern vor allem Aufmerksamkeit und ein expertokratisches Wissen darüber, worauf sich die Aufmerksamkeit im entscheidenden Moment zu richten hat. Ihre Kehrseite liegt darin begründet, dass damit eine Re-Integration allein unter spezifischen Risikogesichtspunkten gelingt. Eine Rückbettung der Ökonomie unter steuerpolitischen und damit wohlfahrtsstaatlichen Gesichts-punkten können diese Grenzregime nicht leisten. In dieser Hinsicht hat die Staa-tenwelt noch keinen Mechanismus gefunden, der dem ‚race to the bottom’, das vor allem mit dem Ende von Bretton Woods seinen Anfang nahm (siehe 5.1), nun Grenzen setzt.495 Die Standortdebatte bleibt auch weiterhin ein Thema, die Grenzen für Kapital- und Unternehmensflucht bleiben offen und damit der Ver-lust von Steuereinnahmen ein Problem für den betreffenden Nationalstaat. Die Re-Integration der Ökonomie über die neue Regulierungsform Basel II bleibt damit also eine spezifische, die einzig eine Problemlösung für das Management von Risiken bietet, wohlfahrtsstaatliche Aspekte aber nicht erfasst.

Ob auch andere Gesellschaftsbereiche es nun mit diesen Formen der Konsti-tution derartiger Grenzen zu tun bekommen, oder es vielleicht bereits zu tun haben, bleibt eine empirische Frage, welche künftige Forschung und dann vor allem eine vergleichende Forschung verschiedener Gesellschafts-, bzw. Regulie-rungsbereiche notwendig machte. Unsere Darstellungen zur Integration über Organisation können aber in diesem Zusammenhang vielleicht weitere For-schung anregen bzw. Aufmerksamkeitsschwerpunkte aufzeigen. Sie mögen viel-leicht auch die Wirtschaftssoziologie inspirieren, die mit Blick auf Prozesse der Einbettung und Integration bisher vor allem auf allgemeine soziale Beziehungen und Institutionen bzw. die Wirkungsweise von Moral gesetzt haben (z.B. Beckert

Henning Ottmann (Ottmann 2004), Peter Koslowski (Koslowski 2004) und Manuela Boatca (Boatca 2003). 495 Ob man dies bedauern muss, ist eine andere Frage. Schließlich treibt dieses ‚race’ die Ökonomie zu neuen Höchstleistungen und Formen der Ausdifferenzierung an. Die Frage ist somit eher politi-scher Natur und steht deshalb hier nicht zur Debatte.

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2005; Granovetter 1992; Hollingsworth/Schmitter/Streeck 1994, 6). Im Sinne eines Äquivalentsfunktionalismus eröffnet sich die Möglichkeit, diesen Modus der Integration mit anderen Integrationsmechanismen in Beziehung zu setzen und dann mit Blick auf ihren gesellschaftlichen ‚Einsatzort’, ihre Operationswei-se und ihre Lösungskompetenzen mit Bezug auf bestimmte Probleme hin zu vergleichen. Die empirische Frage danach, ob diese neuen Grenzregime nun Krisen des Bankensystems verhindern und den – um auf die Metapher Helmut Willkes zurückzukommen – einäugigen Zyklopen bändigen können, bleibt eine prognostische Frage, die sich in dieser Arbeit nicht beantworten lässt. Wir kön-nen an dieser Stelle lediglich allgemeine Problemstellungen aufzeigen, die sich aus soziologischer Perspektive für die Aufsichtspraxis als heikel erweisen könn-ten:

Bereits am Ende von Abschnitt 8.3.2 zeigten wir mögliche Unzulänglich-keiten der Regulierung auf, die sich aus dem Netzwerkcharakter der national-staatlichen Bankenaufsichten ergeben.496 Diesem Argument lässt sich hinzufü-gen: Auch im Falle einer perfekt abgestimmten Organisation des Netzwerkes sind Problemlagen denkbar. Diese rühren daher, dass letztlich nicht eine Stabili-sierung der Bankorganisationen, sondern des (gesamten) Bankensystems das Ziel der Aufsicht darstellt und mit Blick auf den Vermeidungsimperativ darstellen muss. So lassen sich weitere Argumente dafür anführen, dass derartige Integrati-onsprozesse zwar als Teil einer Lösung, jedoch nicht als die Lösung aller Prob-leme betrachtet werden können. Einerseits erweitert die Bankenaufsicht ihren Blickwinkel. Andererseits bleiben jedoch viele Aspekte, die unter Risikoge-sichtspunkten relevant werden könnten, weiterhin außerhalb dieses Fokus. „The greyzone will never dissapear“ – dieses in 8.3 aufgeführte Zitat eines Bankaufse-hers bringt das Dilemma auf eine Formel. So wird das Bankensystem zwar nun an seinen entscheidenden Stellen ausgeleuchtet, in veränderter Weise politisch kontrolliert und damit in seinen Freiheitsgraden eingeschränkt. Eine Betrachtung aller Elemente des Systems ist so jedoch nicht gegeben. Auch weiterhin finden Kreditgeschäfte mit und zwischen Personen und Organisationen statt, die nicht in Bankorganisationen inkludiert, bzw. als solche positioniert sind. Unsere Be-schreibungen zur Inklusionsdynamik des Systems, die sich – wie wir in Ab-schnitt 5.2 darstellten – insbesondere über das Aufkommen neuer Verbreitungs-medien einstellte, weisen in die gleiche Richtung. Welche Risikopotentiale aus diesen Verknüpfungen jenseits der Bankorganisationen erwachsen können, ist und bleibt undurchsichtig.

496 Wir machten darauf aufmerksam, dass die Distribution von Wissen aber auch der Umgang mit eigener Komplexität in Netzwerken von anderer Qualität sind als in Organisationen, was sich mit Blick auf den spezifischen Kontext der Risikoregulierung als problematisch erweisen kann (s.o.).

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Fazit und Folgerungen 361

Es ist nun ferner nicht allein der genuine Systemzusammenhang des Bankensys-tems, an welchem sich die Grenzen der Leistungsfähigkeit des erweiterten Fokus kennzeichnen lassen. Auch mit Blick auf die Kopplungsverhältnisse zwischen Bankensystem und anderen Funktionszusammenhängen, die als Infrastruktur des Systems unverzichtbar sind, scheitert der Aufseher an (unvermeidbaren) Limita-tionen seines Blickwinkels. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn diese Kopp-lungen über die Systemaußengrenzen der Bankorganisation hinausgehen. Eine Thematisierung derartiger Entwicklungen hat auf der Ebene des Baseler Komi-tees unter dem Stichwort des „Outsourcings“ von Organisationsleistungen be-reits stattgefunden (BCBS 2005). Die Frage eines angemessenen Umgangs mit diesen Risikopotentialen wird deshalb vielleicht auch bald die Agenda zukünfti-ger Regulierungsansätze mitbestimmen. Das von uns in Abschnitt 1.1.2 aufge-worfene Problem inkonsistenter Umwelten, mit denen es Organisationen zu tun haben, erfährt auch im Zuge von Basel II nahezu keine Beachtung. So blickt das Rahmenwerk nahezu ausschließlich auf die ökonomische Umwelt der Organisa-tion, ohne weitere Bereiche mit einzubeziehen (siehe Kapitel 7).

Schließlich lassen sich aber auch Schadenspotentiale identifizieren, die grundsätzlich jenseits des erweiterten Fokus bleiben und auch durch weitere Modifizierungen der Regulierungspraxis schwerlich auszuschalten sind. Zu den-ken ist dabei an die Infrastruktur der digitalen Netze, deren Bedeutung wir in Abschnitt 5.2 herausstellten und deren Verletzlichkeit die globalisierten Kom-munikationszusammenhänge vor ernsthafte Probleme stellen kann.497 Für derar-tige externe Ereignisse sieht Basel II zwar eine Kapitalunterlegung im Zuge der Kategorie der operationellen Risiken vor. Der Vermeidungsimperativ und die damit verbundene Präventionslogik müssen jedoch vor diesen Gefährdungen kapitulieren.

Diese beschriebenen Problemgesichtspunkte weisen vor allem aus Sicht der Politik auf die Limitationen einer wirkungsvollen Regulierung und damit auch einer unzureichenden Integration des Bankensystems hin. Aus Perspektive des Bankensystems selbst kann jedoch auch der gegenteilige Fall in Form von Über-regulierung und dann auch im Zuge einer ‚Überintegration’ zum Problem gerei-chen. Dies dürfte insbesondere für Länder gelten, in denen eine ‚Entzauberung des Staates’ (Willke 1983) und seiner Institutionen noch auf sich warten lassen. So machte ein Professor der Columbia Business School im Gespräch darauf

497 Im Februar 2008 wurde deutlich, welche Konsequenzen das Reißen eines Seekabels für Telefon und Internetverbindungen nach sich ziehen kann. Als acht Kilometer vor der ägyptischen Küste ein solches Kabel riss, musste in Ägypten aufgrund des Leistungsabfalls der Börsenhandel eingestellt werden. Zugleich durchtrennte dieser Riss auch die internen Kommunikationskanäle von multinatio-nalen Wirtschaftsorganisationen zwischen Ost und West, die vor allem ihre Buchhaltung oder Soft-wareentwicklung in Indien erledigen (Martin-Jung 2008).

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362 Fazit und Folgerungen

aufmerksam, dass das, was wir als Zweitcodierung und dann als Politisierung der internen Organisationsgrenzen bezeichnet haben, vor allem in Ländern ohne zuverlässigen Verwaltungsapparat zu Folgeproblemen führten kann (051108). Schließlich impliziert der Regulierungsansatz von Basel II integere Verwal-tungsstrukturen, beinhaltet aber zugleich auch eine Expansionsdynamik in Rich-tung von Ländern, in denen diese politischen Strukturen vergeblich zu suchen sind (siehe 7.2.1 und 7.3.1). Leistungsfähige Mechanismen, die wir mit den Beg-riffen der Verschränkung oder ‚kohärenten Überlagerung’ bezeichnet hatten, können dort in Form von Machtmissbrauch durch Korruption bis hin zu Destabi-lisierung des Bankenstandorts ihre zweite, hässliche Seite entfalten. Gerade die Mechanismen der Angemessenheitsregeln lassen Folgeprobleme zu, die sich im Fall quantitativer Regulierungsformen gar nicht stellten. Was dann tatsächlich zu befürchten ist, kann als eine Politisierung der Bankorganisationen bezeichnet werden, vor welcher Helmut Willke und Gerhard Willke mit Blick auf aufstre-bende Schwellenländer mit unsicheren Rechtsordnungen und einer nur rudimen-tär ausgeprägten Form funktionaler Differenzierung warnen (Willke/Willke 2007, 10).

Derartige Prozesse erscheinen nicht allein unter Bezugnahme auf normative Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit als vermeidenswert. Auch unter gesellschafts-strukturellen Gesichtspunkten lässt sich nicht ausschließen, dass die Weltgesell-schaft solche Entwicklungen mit Differenzierungsverlusten bezahlt, die sich auch in anderen Regionen zeigen. Die supranationale Wissensordnung der Ban-kenaufsicht ist in dieser Hinsicht mit einem Dilemma konfrontiert. Sie erreicht in der OECD-Welt ein hohes Maß an Tiefenschärfe und Komplementarität mit den Strukturprinzipien der funktional differenzierten Gesellschaft. In anderen Regio-nen der Welt aber, in denen der Primat der funktionalen Ausdifferenzierung von Politik, Recht und Wirtschaft keine Stabilität aufweist, hat sie andere Maßstäbe anzulegen.

Was aber folgt aus diesem knappen, assoziativ geführten Problemaufriss? Zum einen fügt er unserer Beschreibung der Folgen für das Bankensystem eine weitere Facette hinzu, mit der diese Arbeit nun an die Grenzen ihres Erkenntnis-horizonts stößt. Zum zweiten öffnet er diese Grenzen, indem er Möglichkeiten für weitere empirische Forschung aufwirft. Schließlich macht er drittens darauf aufmerksam dass die Verwaltung des politischen Systems in ihrer Funktionalität weder zu unter-, noch zu überschätzen ist. Er zeigt an: Jede noch so kognitive und gesellschaftsstrukturell adäquate Aufsichtsform kann und wird an der Hete-rogenität und Komplexität der Welt scheitern, wenn sie ihre eigenen Grenzen nicht zu reflektieren und zu modifizieren in der Lage ist. Es ist dann vor allem die Einsicht in die Selbststeuerungsmechanismen und -potentiale der Funktions-

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Fazit und Folgerungen 363

und ihrer Subsysteme, von und an denen die Politik kontinuierlich lernen kann. Von Ralf Dahrendorf stammt die Bemerkung:

„Grenzen schaffen ein willkommenes Element an Struktur und Bestimmtheit. (...) Eine Welt ohne Grenzen ist wie eine Wüste; eine Welt mit geschlossenen Grenzen ist ein Gefängnis“ (Dahrendorf 2002, 15).

Daran anschließend bleibt zu hoffen, dass Politik, Wirtschaft und die übrigen Funktionsbereiche in ihrem Zusammenspiel auf allen Systemebenen fortwährend zu Formen des Setzens, Beobachtens, Markierens und Überschreitens von Gren-zen finden, die den Strukturmerkmalen des Bankensystems in der modernen Gesellschaft gerecht werden.

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