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Organische Chemie am Bɒrgenstock: Wo stehen wir?** Gerard Roelfes Der Bɒrgenstock diese renommierte, aber etwas geheimnisumwobene, im wahrsten Sinne des Wortes hoch angesiedelte Konferenz in den Schweizer Alpen! Viel hatte ich davon gehɆrt: dass sie eine lange Tradition hat und strengen Regeln unterliegt, dass die Teilnehmerzahl begrenzt ist, dass man nicht weiß, wer kommen, geschweige denn vortragen wird und dass die Redner nur einmal in ihrer Laufbahn hier einen Vortrag halten. In diesem Jahr hatte ich endlich die Gelegenheit, an dieser Konferenz teilzunehmen, und ich war sehr gespannt, was mich dort erwarten wɒrde. Am 17. Mai fanden sich die Teilnehmer zu- sammen – indes nicht hoch in den Alpen, sondern am Ufer des VierwaldstȨttersees in dem schmu- cken Ferienort Brunnen, der auch im nȨchsten Jahr Austragungsort der Konferenz sein wird. Jeder schaute als allererstes im Programm nach, wer denn vortragen wɒrde, und die Liste las sich in der Tat verheißungsvoll. Das Treffen wurde mit einem gemeinsamen Abendessen erɆffnet, im Verlauf dessen der dies- jȨhrige Vorsitzende Ben L. Feringa (UniversitȨt Groningen) die Teilnehmer und besonders den Ehrengast Dr. Klaus Mɒller (Abbildung 1), der bis voriges Jahr Mitglied des Organisationskomitees war, begrɒßte. Danach begann die eigentliche Konferenz, und die Teilnehmer erlebten von Sonntag bis Freitag Wissenschaft auf hɆchstem Niveau. Die Themenbreite deckte weite Teile der organischen Chemie und verwandter Disziplinen ab, ganz entsprechend den vielfȨltigen For- schungsinteressen des Organisations- komitees und des Vorsitzenden. Als all- gemeine Themen waren zu unterschei- den: organische Synthese und Katalyse, chemische Biologie und ChiralitȨt. Jedoch ließen sich nicht alle der VortrȨge so leicht einordnen, und manche ɒberspannten mehr als ein Thema. Es ist unmɆglich, all die faszinierende Chemie in diesem knappen Be- richt auch nur annȨhernd wiederzugeben – einige Momentaufnahmen sollen also genɒgen. Organische Synthese und Katalyse In der Totalsynthese von Naturstoffen kommt der Stereochemie zwangslȨufig eine Schlɒsselrolle zu, und passend dazu gab Ian Paterson (Cambridge) den ersten Vortrag der Tagung. Als „Meister des Aldols“ angekɒndigt, referierte er ɒber Fortschritte in der stereokontrollierten Synthese von Polyketi- den wie Dictyostatin und ɒber aktuelle AnsȨtze zur Synthese von Spirastrellolid A. [1] Die Aldolreakti- on spielte naturgemȨß eine wichtige Rolle. Das Thema Totalsynthese wurde am letzten Tag von Erik J. Sorensen (Princeton University), dem Mitautor der Classics in Total Synthesis , [2a] fortge- setzt. Nach einem historischen Rɒckblick auf Klassiker der Totalsynthese – Robinsons Tropinon- Synthese, Woodwards Chlorophyll-Synthese und Eschenmosers Vitamin-B 12 -Synthese – ging es ɒber zu eigenen Arbeiten, die eindrucksvoll belegen, dass klassische organische Umsetzungen wie die Michael-Reaktion und vor allem die Diels-Alder- Reaktion noch immer sehr wichtige Methoden fɒr die Synthese komplexer Verbindungen sind. Ƞberzeugende Beispiele sind die Totalsynthesen von FR 182871 und Abyssomycin C sowie jɒngste Arbeiten zur Synthese der Hirsutellone, die eine elegante intramolekulare Tandemsequenz beste- hend aus einem Keten-Abfang und einer Diels- Alder-Reaktion umfassen (Schema 1). [2b] Katalyse war ein Schwerpunktthema der Kon- ferenz mit gleich vier BeitrȨgen zu unterschiedli- chen Aspekten. Lawrence Que, Jr. (University of Minnesota) zeigte, wie das Studium von Metallo- enzym-Mechanismen mithilfe von synthetischen Modellkomplexen, insbesondere Nicht-HȨm-Ei- senkomplexen, zu neuen Katalysatoren fɒr die stereoselektive Oxidation organischer Substrate gefɒhrt hat. [3] Auch die Rolle von EssigsȨure in durch Nicht-HȨm-Eisenkomplexe katalysierten Oxidationen wurde kurz erɆrtert. Im zweiten Teil Abbildung 1. Klaus Mɒller, langjȨhriges Mitglied des Organisationskomitees. Schema 1. Die Schlɒsselreaktion in der Synthese der Decahydrofluo- ren-Einheit der Hirsutellone: eine Tandemsequenz bestehend aus einem Keten-Abfang und einer Diels-Alder-Cyclisierung. [*] Dr. G. Roelfes Stratingh Institute for Chemistry, University of Gronin- gen, Nijenborgh 4, 9747 AG Groningen (Niederlande) Fax: (+ 31) 50-3634296 [email protected] [**] Ich danke dem Junior Scientist Program (JSP) fɒr die großzɒgige finanzielle Unterstɒtzung. Tagungsberichte 6894 # 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2009, 121, 6894 – 6897

Organische Chemie am Bürgenstock: Wo stehen wir?

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Organische Chemie am B�rgenstock: Wostehen wir?**Gerard Roelfes

Der B�rgenstock – diese renommierte, aberetwas geheimnisumwobene, im wahrsten Sinne desWortes hoch angesiedelte Konferenz in denSchweizer Alpen! Viel hatte ich davon geh�rt: dasssie eine lange Tradition hat und strengen Regelnunterliegt, dass die Teilnehmerzahl begrenzt ist,dass man nicht weiß, wer kommen, geschweigedenn vortragen wird und dass die Redner nureinmal in ihrer Laufbahn hier einen Vortrag halten.In diesem Jahr hatte ich endlich die Gelegenheit, andieser Konferenz teilzunehmen, und ich war sehrgespannt, was mich dort erwarten w�rde.

Am 17. Mai fanden sich die Teilnehmer zu-sammen – indes nicht hoch in den Alpen, sondernam Ufer des Vierwaldst�ttersees in dem schmu-cken Ferienort Brunnen, der auch im n�chsten JahrAustragungsort der Konferenz sein wird. Jederschaute als allererstes im Programm nach, wer dennvortragen w�rde, und die Liste las sich in der Tatverheißungsvoll.

Das Treffen wurde mit einem gemeinsamenAbendessen er�ffnet, im Verlauf dessen der dies-j�hrige Vorsitzende Ben L. Feringa (Universit�tGroningen) die Teilnehmer und besonders denEhrengast Dr. Klaus M�ller (Abbildung 1), der bisvoriges Jahr Mitglied des Organisationskomiteeswar, begr�ßte. Danach begann die eigentlicheKonferenz, und die Teilnehmer erlebten vonSonntag bis Freitag Wissenschaft aufh�chstem Niveau. Die Themenbreitedeckte weite Teile der organischenChemie und verwandter Disziplinen ab,ganz entsprechend den vielf�ltigen For-schungsinteressen des Organisations-komitees und des Vorsitzenden. Als all-gemeine Themen waren zu unterschei-den: organische Synthese und Katalyse,chemische Biologie und Chiralit�t. Jedochließen sich nicht alle der Vortr�ge so leichteinordnen, und manche �berspanntenmehr als ein Thema. Es ist unm�glich, alldie faszinierende Chemie in diesem knappen Be-richt auch nur ann�hernd wiederzugeben – einigeMomentaufnahmen sollen also gen�gen.

Organische Synthese und KatalyseIn der Totalsynthese von Naturstoffen kommt derStereochemie zwangsl�ufig eine Schl�sselrolle zu,und passend dazu gab Ian Paterson (Cambridge)den ersten Vortrag der Tagung. Als „Meister desAldols“ angek�ndigt, referierte er �ber Fortschrittein der stereokontrollierten Synthese von Polyketi-den wie Dictyostatin und �ber aktuelle Ans�tze zurSynthese von Spirastrellolid A.[1] Die Aldolreakti-on spielte naturgem�ß eine wichtige Rolle.

Das Thema Totalsynthese wurde am letzten Tagvon Erik J. Sorensen (Princeton University), demMitautor der Classics in Total Synthesis,[2a] fortge-setzt. Nach einem historischen R�ckblick aufKlassiker der Totalsynthese – Robinsons Tropinon-Synthese, Woodwards Chlorophyll-Synthese undEschenmosers Vitamin-B12-Synthese – ging es �berzu eigenen Arbeiten, die eindrucksvoll belegen,dass klassische organische Umsetzungen wie dieMichael-Reaktion und vor allem die Diels-Alder-Reaktion noch immer sehr wichtige Methoden f�rdie Synthese komplexer Verbindungen sind.�berzeugende Beispiele sind die Totalsynthesenvon FR 182871 und Abyssomycin C sowie j�ngsteArbeiten zur Synthese der Hirsutellone, die eineelegante intramolekulare Tandemsequenz beste-hend aus einem Keten-Abfang und einer Diels-Alder-Reaktion umfassen (Schema 1).[2b]

Katalyse war ein Schwerpunktthema der Kon-ferenz mit gleich vier Beitr�gen zu unterschiedli-chen Aspekten. Lawrence Que, Jr. (University ofMinnesota) zeigte, wie das Studium von Metallo-enzym-Mechanismen mithilfe von synthetischenModellkomplexen, insbesondere Nicht-H�m-Ei-senkomplexen, zu neuen Katalysatoren f�r diestereoselektive Oxidation organischer Substrategef�hrt hat.[3] Auch die Rolle von Essigs�ure indurch Nicht-H�m-Eisenkomplexe katalysiertenOxidationen wurde kurz er�rtert. Im zweiten Teil

Abbildung 1. Klaus M�ller,langj�hriges Mitglied desOrganisationskomitees.

Schema 1. Die Schl�sselreaktion in der Synthese der Decahydrofluo-ren-Einheit der Hirsutellone: eine Tandemsequenz bestehend auseinem Keten-Abfang und einer Diels-Alder-Cyclisierung.

[*] Dr. G. RoelfesStratingh Institute for Chemistry, University of Gronin-gen, Nijenborgh 4, 9747 AG Groningen (Niederlande)Fax: (+ 31)[email protected]

[**] Ich danke dem Junior Scientist Program (JSP) f�r diegroßz�gige finanzielle Unterst�tzung.

Tagungsberichte

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seines Vortrags kam Que auf Modelle von a-Ke-toglutarat-abh�ngigen Enzymen zu sprechen.Unter Verwendung des Eisenkomplexes[Fe(L)(BF)] (L = Hydrotris(3,5-diphenylpyrazol-1-yl)borat; BF = Benzoylformiat) konnte einFeIVO-Intermediat erzeugt werden, das mit einemorganischen Substrat wie Cyclohexen unter Dehy-drierung und Bildung von Cyclohexadien abge-fangen werden konnte (Schema 2). Interessanter-

weise h�ngt die Effizienz der Reaktion nicht vonder St�rke der C-H-Bindung ab, sondern von derForm des Molek�ls, das in eine vom Katalysatorgebildete Tasche passen muss (Abbildung 2).[4] Ausdiesem Grund ist auch die Dehydrierung von Cy-clohexen effizienter als die von Ethylbenzol,obwohl die C-H-Bindungen �hnlich stark sind.

M. Christina White (University of Illinois,Urbana-Champaign) demonstrierte in ihrem Vor-trag eindrucksvoll, wie diese Nicht-H�m-Eisen-komplexe in organischen Synthesen genutztwerden k�nnen, um terti�re Kohlenstoffzentrenerst in den letzten Reaktionsstufen zu oxidieren.Die entscheidende Entdeckung war ein Eisen-komplex mit einem Bispyrrolidin-Liganden, der inVerbindung mit Essigs�ure einen ausgezeichnetenKatalysator f�r die stereoselektive Hydroxylierungterti�rer C-Atome ergibt.[5] Die Regioselektivit�tder Oxidation l�sst sich �ber elektronische undsterische Effekte steuern. Im zweiten Teil derVortrags lag der Schwerpunkt auf der Pd-Katalyse,insbesondere der allylischen Funktionalisierung

durch C-H-Oxidation. White stellte klar heraus,dass mit Blick auf diese neuen katalytischen Me-thoden die C-H-Gruppe als eine komfortablefunktionelle Gruppe anzusehen ist.

�ber die Katalyse mit kationischen Interme-diaten berichtete F. Dean Toste (University of Ca-lifornia, Berkeley), wobei der Schwerpunkt nat�r-lich auf AuI-Komplexen lag, einem neuen aufre-genden Gebiet, in dem die Toste-Gruppe einef�hrende Rolle spielt. Neben Beschreibungen ka-talytischer Anwendungen von AuI-Komplexenwurden die Ursachen der Elektrophilie und Re-aktivit�t dieser Komplexe, die Eigenschaftengoldstabilisierter Carbene und die Bedeutung re-lativistischer Effekte diskutiert.[6]

Eine ganz eigent�mliche Facette wurde durchAlan Rowan (Radboud University, Nimwegen)aufgezeigt, der �ber die Rolle von Bewegungsvor-g�ngen in der Katalyse referierte. Im Vortrag ginges um prozessive Katalysatoren, die in der Lagesind, s�mtliche Doppelbindungen in Polybutadienzu epoxidieren. Ein Schl�sselschritt bei diesemVorgang ist das Einf�deln des Polymers in dieH�hlung des Katalysators. Der Einf�delprozesswird durch eine Pr�assoziation zwischen dem Po-lymer und dem Katalysator ausgel�st, die bewirkt,dass sich das andere Ende der Polymerkette in dieKatalysatorh�hlung schl�ngeln kann. Das Ergebnisist eine beschleunigte unidirektionale Einf�delung,die an die Translokation von Proteinen durchMembranporen erinnert.[7] Der zweite Teil desVortrags galt Einzelmolek�lstudien zur Untersu-chung enzymatischer Aktivit�ten. Es wurde pos-tuliert, dass Enzyme nur in einem kleinen Zeitraumaktiv sind und die �brige Zeit „schlafend“ ver-bringen – Strukturdynamik und Konformations�n-derungen sind die entscheidenden Stichworte.[8]

Chemische BiologieWie schon in den vergangenen Jahren war dasThema chemische Biologie auch diesmal gut ver-treten. Nachdem zuvor Paterson �ber die chemi-sche Synthese von Polyketiden berichtet hatte,schilderte nun Chaitan Khosla (Stanford), wie dieNatur diese �ußerst komplexen Strukturen mithilfevon Polyketidsynthasen (PKS) hervorbringt. Einwichtiges Ziel der PKS-Forschung ist die Herstel-lung von Hybridsystemen, die zur Biosyntheseneuartiger Polyketide verwendet werden k�nnen.Die wohl am h�ufigsten untersuchte PKS ist 6-Deoxyerythronolid-B-Synthase, von der Khosla einkatalytisches Minimalmodul vorstellte, das Ein-blick in die katalytische Effizienz und Spezifit�tvon PKS-Modulen bietet.[9]

Die Leistungsf�higkeit der ribosomalen Syn-these wurde eindrucksvoll von Hiroaki Suga(Universit�t Tokio) aufgezeigt, der ein Verfahrender genetischen Umprogrammierung einsetzt, um

Schema 2. Dehydrierung von Cyclohexen durch[Fe(L)(BF)]/O2.

Abbildung 2. Kalottenmodell der formselektiven Tasche immutmaßlichen FeIV-O-Intermediat.

AngewandteChemie

6895Angew. Chem. 2009, 121, 6894 – 6897 � 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de

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neuartige Peptidstrukturen zu gewinnen. Einezentrale Rolle spielt hierbei ein so genanntes„Flexizym“, ein Ribozym, das die tRNA mit einerVielzahl von Aminos�uren und Aminos�urederi-vaten beladen kann.[10] Unter Verwendung eineszellfreien Translationssystems konnten viele unge-w�hnliche Peptide und Peptoide mit nichtprotei-nogenen Gruppen hergestellt werden.[11]

Dirk Trauner (LMU M�nchen) stellte inseinem Vortrag seine Forschungen zur „chemi-schen Neurologie“ vor. Ein wichtiger Aspekt dieserArbeiten ist die Kontrolle der neuronalen Aktivit�tmithilfe molekularer Schalter. Der Glutamatre-zeptor kann lichtinduziert durch Verwendung einesso genannten MAG-Schalters ge�ffnet oder blo-ckiert werden. Dieser molekulare Schalter enth�lteine Maleimid-Gruppe f�r die Konjugation miteinem Cysteinrest, eine photochemisch isomeri-sierbare Azobenzol-Einheit und ein Glutamatana-logon, das als Agonist fungiert. Besonders beein-druckend ist, dass die Technik auch in vivo ange-wendet werden kann, z. B. zur Modulation der be-r�hrungsinduzierten Fluchtreaktion von transge-nen Zebrafischlarven.[12]

Xiaoling Sunney Xie (Harvard University)stellte einige seiner Ergebnisse zur Einzelmole-k�lspektroskopie in lebenden Systemen vor. Nacheiner kurzen Erkl�rung der Technik wurde derenLeistungsf�higkeit in Genexpressionsstudien de-monstriert. Mit der Genexpression verbundeneProzesse sind schwer zu untersuchen, da gew�hn-lich nur wenige Kopien zur Verf�gung stehen – diesmacht solche Prozesse allerdings zu einem idealenStudienobjekt f�r die Einzelmolek�lspektroskopie.Als ein Beispiel wurde gezeigt, wie und wie schnellTranskriptionsfaktoren wie der lac-Repressor ihreZiel-DNA-Sequenz finden.[13]

Chiralit�tIn Anbetracht des eigentlichen Themas der Kon-ferenz (und der Forschungsinteressen ihres dies-j�hrigen Vorsitzenden) �berraschte es nicht, dasssich ein großer Teil der Vortr�ge dem Thema Chi-ralit�t annahm. So referierten Joanna Aizenberg(Harvard University) ebenso wie auch Karl-HeinzErnst (EMPA, D�bendorf, Schweiz) �ber Chirali-t�t im Zusammenhang mit Oberfl�chen. Kristall-Engineering, die Herstellung von Nanokristallenund chirale Nanostrukturen sind die zentralenForschungsthemen der Arbeitsgruppe um Aizen-berg. Nach einer Diskussion der Biomineralisationund ihrer m�glichen Steuerung durch selbstorga-nisierende Monoschichten beeindruckte sie dasPublikum durch zahlreiche Bilder �sthetischerchiraler Strukturen. Taucht man etwa periodischeAnordnungen von Nanos�ulen in eine Fl�ssigkeitein und l�sst diese anschließend verdunsten, sobewirken Kapillarkr�fte eine Verformung und

Aggregation der S�ulen, und es entstehen faszi-nierende Konstrukte (Abbildung 3).[14]

Bei K.-H. Ernst stand die Oberfl�chenchiralit�tvon supramolekularen und molekularen Schichtenim Mittelpunkt. Aktuelle Arbeiten betreffen dieErzeugung von Monoschichten aus Bucky-bowls (Corranulenen) auf Cu(111)-Oberfl�chen.Beim Abk�hlen findet ein Phasen�bergang statt,der mit einer Verlangsamung der Molek�lschwin-gungen und, damit einhergehend, einem geringerenPlatzbedarf der Molek�le erkl�rt wurde.[15]

Eine besondere Vortragsreihe fand am Diens-tagnachmittag zum Thema „Chiralit�t und derUrsprung des Lebens“ mit Vortr�gen von BernardKaptein (DSM Research), G�nter von Kiedrowsky(Universit�t Bonn), Meir Lahav (Weizmann-Insti-tut) und Stephen Mann (University of Bristol) statt.Jay Siegel (Universit�t Z�rich) bemerkte in seinemVortrag – dem wohl k�rzesten, den eine B�rgen-stock-Konferenz je gesehen hat –, dass bereits dann„wenn die Forschung oder die Art wie wir For-schung [zu diesem Thema] betreiben, unsere Artund Weise ver�ndert, �ber ein Problem nachzu-denken, wir unsere Aufgabe erf�llt haben.“

Zwei Vortr�ge, die sich keiner der obigen Ka-tegorien zuordnen ließen, stammten von Nadri-an C. Seeman (New York University) und Ru-stem F. Ismagilov (University of Chicago). Vorge-stellt als der „Weltmeister der DNA-Technologie“,erl�uterte Seeman die grundlegenden Konzepteder Synthese von DNA-Konstrukten und wie sichdas Gebiet von der Erzeugung von Holliday-Junc-tions bis hin zum Aufbau dreidimensionalerFormen wie W�rfel oder gar funktionellen DNA-Vorrichtungen wie „DNA-Walkern“ entwickel-te.[16]

Rustem Ismagilov ging auf die Bedeutung undden Einfluss der r�umlichen Abmessung chemi-scher Systeme ein. Ein wichtiges Werkzeug indiesen Forschungen ist die Mikrofluidik, denn sieerlaubt eine sehr genaue r�umliche Einteilung der

Abbildung 3. Rasterelektronenmikrogramm von durchSelbstorganisation entstandenen helicalen Nanos�ulen-b�ndeln. Wiedergabe mit Genehmigung der AAAS.

Tagungsberichte

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Komponenten eines chemischen Systems. Vieleinteressante Beispiele des „Raumeffekts“ wurdenvorgestellt. Zum Beispiel k�nnen k�nstliche mi-krobielle „Gesellschaften“, die im Labor norma-lerweise instabil sind, stabilisiert werden, wenn dieOrganismen auf bestimmte Weise r�umlich ge-trennt werden, man eine chemische Komunikationunter ihnen aber zul�sst.[17] Ismagilov erl�uterte,wie Bakterien die Blutgerinnung durch Quorum-Verhalten ausl�sen k�nnen. Dies f�hrte zu derFrage, ob man nach Isolierung der Organismen einQuorum-Sensing aufrechterhalten kann, und tat-s�chlich konnten Ismagilov et al. in einer elegantenUntersuchung zeigen, dass einzelne Zellen ineinem beschr�nkten Raum hierzu in der Lagesind.[18]

Zus�tzlich zu diesen ausgezeichneten Vortr�-gen waren den Teilnehmern zwei lebhafte Poster-Sessions geboten. Zu dieser Gelegenheit, wie auchw�hrend der gesamten Konferenz, bot sich viel Zeitf�r Diskussionen.

Obwohl die Stereochemie nach wie vor dasbeherrschende Thema der Konferenz ist und alleredlich versucht haben, stereochemische Aspektein ihre Vortr�ge einfließen zu lassen, ist klar ge-worden, dass die B�rgenstock-Konferenz mehr istals nur ein Treffen von Stereochemikern; dieTagung ist heute an den aktuellsten und neuestenThemen der organischen Chemie ausgerichtet. Diediesj�hrige B�rgenstock-Konferenz hat die hohenErwartungen der Teilnehmer ganz und gar erf�lltund setzt ihre lange Tradition erfolgreich fort. Dem

Vorsitzenden Ben Feringa, der vergebens zu ver-heimlichen suchte, dass er w�hrend des TreffensGeburtstag hatte (Abbildung 4), und dem Organi-sationskomitee kann zum großen Erfolg dieserKonferenz gratuliert werden. F�r mich war dieB�rgenstock-Konferenz eine wundervolle Erfah-rung, die ich jedem empfehlen kann, der dieGrenzen der Wissenschaft ausloten will.

[1] I. Paterson, R. Britton, O. Delgado, A. Meyer, K. G.Poullennec, Angew. Chem. 2004, 116, 4729 – 4733;Angew. Chem. Int. Ed. 2004, 43, 4629 – 4633.

[2] a) K. C. Nicolaou, E. J. Sorensen, Classics in TotalSynthesis, Wiley-VCH, Weinheim, 1996 ; b) S. D.Tilley, K. P. Reber, E. J. Sorensen, Org. Lett. 2009, 11,701 – 703.

[3] M. Costas, M. P. Mehn, M. P. Jensen, L. Que, Jr.,Chem. Rev. 2004, 104, 939 – 986.

[4] A. Mukherjee, M. Martinho, E. L. Bominaar, E.M�nck, L. Que, Jr., Angew. Chem. 2009, 121, 1812 –1815; Angew. Chem. Int. Ed. 2009, 48, 1780 – 1783.

[5] M. S. Chen, M. C. White, Science 2007, 318, 783 – 787.[6] D. J. Gorin, F. D. Toste, Nature 2007, 446, 395 – 403.[7] A. B. C. Deutman, C. Monnereau, J. A. A. W. Ele-

mans, G. Ercolani, R. J. M. Nolte, A. E. Rowan,Science 2008, 322, 1668 – 1671.

[8] H. Engelkamp, N. S. Hatzakis, J. Hofkens, F. C.De Schryver, R. J. M. Nolte, A. E. Rowan, Chem.Commun. 2006, 935 – 940.

[9] A. Y. Chen, D. E. Cane, C. Khosla, Chem. Biol. 2007,14, 784 – 792.

[10] H. Xiao, H. Murakami, H. Suga, A. R. Ferr�-D�Amar�, Nature 2008, 454, 358 – 361.

[11] T. Kawakami, H. Murakami, H. Suga, J. Am. Chem.Soc. 2008, 130, 16861 – 16863.

[12] S. Szobota, P. Gorostiza, F. Del Bene, C. Wyart, D. L.Fortin, K. D. Kolstad, O. Tulyathan, M. Volgraf, R.Numano, H. L. Aaron, E. K. Scott, R. H. Kramer, J.Flannery, H. Baier, D. Trauner, E. Y. Isacoff, Neuron2007, 54, 535 – 545.

[13] J. Elf, G.-W. Lei, X. S. Xie, Science 2007, 316, 1191 –1194.

[14] B. Pokroy, S. H. Kang, L. Mahadevan, J. Aizenberg,Science 2009, 323, 237 – 240.

[15] L. Merz, M. Parschau, L. Zoppi, K. K. Baldridge, J. S.Siegel, K. H. Ernst, Angew. Chem. 2009, 121, 2000 –2003; Angew. Chem. Int. Ed. 2009, 48, 1966 – 1969.

[16] W. B. Sherman, N. C. Seeman, Nano Lett. 2004, 4,1203 – 1207.

[17] H. J. Kim, J. Q. Boedicker, J. W. Choi, R. F. Ismagi-lov, Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2008, 105, 18188 –18193.

[18] J. Q. Boedicker, M. E. Vincent, R. F. Ismagilov,Angew. Chem. 2009, 121, 6022 – 6025; Angew. Chem.Int. Ed. 2009, 48, 5908 – 5911.

DOI: 10.1002/ange.200903792Abbildung 4. Konferenzpr�sident Ben Feringa beim An-schneiden seiner Geburtstagstorte.

AngewandteChemie

6897Angew. Chem. 2009, 121, 6894 – 6897 � 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de