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107 Hilde Fendrich und Gerhard E. Schmid Ostergasse 1 – Restaurierung eines barocken Bürgerhauses Ostergasse 1 – Restaurierung eines barocken Bürgerhauses A Hausgeschichte der Familie Wolff B Die Restaurierung A Hausgeschichte der Familie Wolff (Hilde Fendrich) Spurensuche Im Jahr 1995 hat der Mitverfasser, Architekt Ger- hard E. Schmid, das Haus Ostergasse 1 ohne die da- zugehörige Scheuer von der Stadt Markgröningen er- worben. Der Vorbesitzer war Theo Dick, Unterriexin- gen, der die Wohnungen und den Laden vermietet hatte, dem es aber nicht gelang, die Scheuer zu einem Wohnhaus umzubauen. Vor diesem hatte die Kauf- mannsfamilie Fauth das Haus in drei Generationen besessen. So weit ist die Geschichte dieses Hauses Markgröninger Bürgern noch gegenwärtig. Von Egon Fauth erhielt Gerhard Schmid die noch im Original vorhandene Wetterfahne. Er hatte diese einst aus dem Sperrmüll gerettet, nachdem das alte Stück vom Dach gefallen war. Auf ihr fanden sich die Initialen PW und die Jahreszahl 1714. Eine Suche im Index des Kirchenregisters jener Zeit brachte wenig Auswahl: Peter Werner, Peter Wixler Steinhauer, Pau- lus Wolff, Kammerrat und Bürgermeister. Nur der Letztere konnte wohl über die nötigen Mittel verfü- gen, um die relativ luxuriöse Innenausstattung dieses Hauses zu finanzieren. Bild 1: Das Haus Ostergasse 1 heute (Foto Gerhard E. Schmid)

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Hilde Fendrich und Gerhard E. Schmid

Ostergasse 1 –Restaurierung eines barocken Bürgerhauses

Ostergasse 1 – R

estaurierung eines barocken Bürgerhauses

A Hausgeschichte der Familie Wolff

B Die Restaurierung

A Hausgeschichte der Familie Wolff(Hilde Fendrich)

SpurensucheIm Jahr 1995 hat der Mitverfasser, Architekt Ger-

hard E. Schmid, das Haus Ostergasse 1 ohne die da-zugehörige Scheuer von der Stadt Markgröningen er-worben. Der Vorbesitzer war Theo Dick, Unterriexin-gen, der die Wohnungen und den Laden vermietethatte, dem es aber nicht gelang, die Scheuer zu einemWohnhaus umzubauen. Vor diesem hatte die Kauf-mannsfamilie Fauth das Haus in drei Generationenbesessen. So weit ist die Geschichte dieses HausesMarkgröninger Bürgern noch gegenwärtig.

Von Egon Fauth erhielt Gerhard Schmid die nochim Original vorhandene Wetterfahne. Er hatte dieseeinst aus dem Sperrmüll gerettet, nachdem das alteStück vom Dach gefallen war. Auf ihr fanden sich dieInitialen PW und die Jahreszahl 1714. Eine Suche imIndex des Kirchenregisters jener Zeit brachte wenigAuswahl: Peter Werner, Peter Wixler Steinhauer, Pau-lus Wolff, Kammerrat und Bürgermeister. Nur derLetztere konnte wohl über die nötigen Mittel verfü-gen, um die relativ luxuriöse Innenausstattung diesesHauses zu finanzieren.

Bild 1: Das Haus Ostergasse 1 heute (Foto Gerhard E.Schmid)

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In dem „Medaillon“ der Stuckdecke im 1. OG sindebenfalls die Initialen PW zu finden. Weiterhin ist indiesem Medaillon das Handelszeichen des PaulusWolff angebracht. Die Initialen sind so ausgerichtet,daß es von der Ostergasse aus möglich ist diese zuerkennen.

Laut Eheregister Markgröningen wurden am 15.Februar 1707 hier copuliert: Herr Paulus Wolff, Kauff-und Handelsmann, Herrn Michael Wolffen, Bürgerund bernhaupter Handelsmann zu Reychenbach inSaxen, ehelicher Sohn, und mitt ihm Jungfrau MariaRosina, Herrn Christian Hammen, wohl bernhaup-ten Bürger und Handelsmanns ehliche Tochter allhier.Der Bräutigam besaß eine stattliche Summe Bargeldund Schmuck, darunter Diamantringe. Die Braut hat-te etwa 1/3 weniger, bekam aber einen Bauplatz dazu.1

Paulus Wolff hatte 1706 sein Monopoly-Spiel inMarkgröningen begonnen und von Andreas Schüss-ler eine Behausung auf dem Markt neben Hans Mi-chael Crayß und alt Hans Jerg Griesinger gekauft, siestieß vorne auf den Markt, hinten auf das Kirchgässle(das jetzt Turmgässle heißt), samt einer Scheuer indiesem Gässle. Es handelt sich um das AnwesenMarktplatz 7. 1710 erwarb er das Anwesen darunter,Marktplatz 8, von alt Hans Jerg Griesinger –Zusam-men mit dem Schwiegervater Christian Hamm, Han-delsmann, belegte er sozusagen die beste Lage amMarkt. Die Schwiegermutter Maria Margretha wareine Tochter des Apothekers Johann Georg Kerner(auch Körner und Kurner geschrieben), der ein paarHäuser weiter in der Schlossgasse 2 seine Apothekehatte und bereits 1668 Consul (Bürgermeister) genanntwurde. Er war am 30.2.1698 als wohlverdienter Bür-germeister mit 78 Jahren gestorben. Maria Margre-tha Kerner hatte 1674 Friedrich Severin Anshelm, desRats und Handelsmann geheiratet, der ihr aber schonnach zehn Ehejahren erst 32jährig starb. Von den sechsKindern dieser Ehe hatte Magdalena Katarina Ans-helm 1701 Johann Jakob Hemminger geheiratet. Erund Magdalenas Bruder Johann Wilhelm, Nestler von

Beruf, und ein Herr Haubtmann waren Mitbesitzer vonMarktplatz 6 mit anderthalb Vierteil auf einer Behau-sung. Aus der Kernerin zweiten Ehe mit ChristianHamm dem jüngeren stammte die Tochter Maria Ro-sina, getauft am 5.10.1686. Sie sollte die Haupterbinwerden.

Im Lagerbuch der Kellerei Gröningen von 17002 fin-det sich folgender Eintrag: Jung Christian Hamm solljährlich zinsen auser seinen beiden Hofstädtenaneinander im Markbronnengäßlen zwischen HansWilhelm Wielanden Wittib und Ludwig Schneider, Be-cken Häusern gelegen, stoßen hinten an des Inhaberselbs Hofraiten und vornen an obgemelt Gäßlein 1Schilling, 10 Heller, thut Kreuzerwährung 3 x 5.

Im städtischen Steuerbuch stellen sich die Liegen-schaften des Krämers Hamm folgendermaßen dar:3

Häuser und Gebäu: ¾ an einer Behausung, Scheu-ren, samt einem Hof hinden daran auf dem Markt ne-ben Ludwig Schneider, Becken, und ihm, Hammen selb-sten, stoßt vornen auf den markt und hinden auf JungHans Melchior Wielanden, und zinst die Scheurenhiervon in die Kellerey jährlich 3 x (Kreuzer). Anmer-kung am Rand: Anno 1723 Herr Anshelm und HerrHaubtmann ¼, Herr Hemminger 1/8, Herr Wolf 1/8.

Weiter besaß Hamm: ¾ auf einem leeren Plaz, wo-rauf vorhin die Cronenwirts-Herberg gestanden, auchauf dem Markt neben ihme Hammen beederseits, stoßtvornen auf die Gassen und hinden auf sein selbs Scheu-ren. Weilen dieser Platz noch ohnüberbaut ...

¾ an einer Scheuren hinder hieübgemeltem Chron-platz neben dem sogen. Späthengäßle und sein, Ham-men, lehren Platz, stoßt vornen wieder auf das Gäss-len und hinten auf ermeltes Gäßlen.

Ein Heuhaus, darauf er, Hamm, auch drey Viertheilinnen hat, auch auf dem Markt, bei berührtem Cro-nen Platz, stoßt vornen und hinten auf Ihme, Hammenselbsten (Ostergasse 3?). Obstehende 4 Teile wurden1714 Paul Wolfen zugeschrieben.

Ein Jahr nach der Hochzeit hatte Christian Hammseinem Schwiegerson Wolff schon einige Immobilien

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überschrieben: Eine Behausung auf dem Markt nebendem Späthen Gäßlen und ihme, Hammen selbsten,stoßt vornen auf die Gassen und hinden auf ihme,Hammen selbsten sowie Ein leeres Hofstattpläzlen imSpäthengäßlen neben Hans Veit Schudeln und HerrnM(agister) Clessen, Pfarrern zu Bissingen, stoßt vor-nen auf das Gäßlein und hinten auf die Beuttenmülle-rische Scheuren. – Nach Hamms Tod teilten sich 1723Ein Plätzlen, so aniezo zu einem Kuchengartten ge-macht worden, im Späthengäßlen, neben JohannesLehlen und Ludwig Schneidern, Becken, gelegen stoßtvornen auf das Gäßlein und hinten auf die Stadtmau-er. Daran haben Herr Wolff 5/8, Herr Hemminger1/8, Herr Anshelm 1/8, Herr Haubtmann 1/8.

Die in diesem und den folgenden Abschnitten auf-geführten Gebäude, Gassen und Plätze sind im Stadt-plan von heute und auch in der historischen Karte von1832 (Bild 2) nicht leicht aufzufinden. Die ursprüng-liche Lage verraten besonders Gebäudekeller, diemit den darauf später errichteten Häusern oft nichtübereinstimmen (vgl. den Abschnitt „Die Keller“unten).

In Nr. 36 wohnte Hamm, 36a und b und 37a samtdem Garten Nr. 16 gehörten dazu, wahrscheinlich auchGebäude 40, ein früheres Heuhaus. In Nr. 34 wohnteHans Wilhelm Wielanden Wittib bzw. Hans MelchiorWieland (ehemals Marktbrunnengässle 4) und Nr. 35war der Bäcker Ludwig Schneider. Aus Nr. 21 kamWolffs Schwiegermutter, die Apothekerstochter. Dazugehörte der riesige Garten Nr. 31, auf dem heute dieKüferei Dietrich steht. Nr. 238 am Marktplatz mit derScheuer Nr. 61 gehörten Wolff seit 1706.

Der Bauplatz: ehemalige „Cronen-Herberge“Seit Jahrhunderten stellte man sich die „Krone“ an

der Stelle vor, wo sie heute ist: unten am Marktplatz.Dass sie vor 1700 oben am Marktplatz lag, war bisdato niemand bekannt. Ob sie im 30jährigen Kriegoder bei den Franzoseneinfällen in den 1693er Jahrenzerstört wurde, abgebrannt ist oder vor Altersschwä-

che einfiel, weiß man nicht. Die Krone war jedenfallsim Besitz der Familie Anshelm gewesen, aus der dererste Mann der geborenen Kerner stammte, und in dersich wohl ein kleines Drama abgespielt haben mag,denn ein Johann Anshelm wurde einmal entwichenerBürger, gewesener Cronenwirt genannt. Seine vermut-lich zweite Frau, eine Pfarrerstochter4 aus Ehningenbei Böblingen, Johann Anshelms, gewesenen Cronen-wirts verlassenes und geschiedenes Weib heiratete am15.6.1680 Friedrich Pommer, Witwer und Kantengie-ßer von Calw und hatte mit ihm 1681 noch eine Toch-ter Maria Justina.

Aus der Cronen-Zeit überkommen zu sein scheintjedenfalls die alte Scheuer, heute Altenbegegnungs-stätte. Sie ist voll unterkellert, eine breite Treppe führthinter dem linken Torbogen hinunter. Der Scheunen-keller ist durch einen unterirdischen Gang mit demKeller des Haupthauses verbunden. (Nach dem Ver-kauf durch die Stadt wurde dieser Gang zugemauert).

Über dem südlichen Scheunentor findet sich dieInschrift Johannes Vimpelin AD 1609. Es handelt sich

Bild 2: Ausschnitt aus der Urnummernkarte 1:2500, NOXXXVIII, Blatt 2 von 1832; StadtA M

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jedoch nicht um das Baujahr der Scheuer, eher umeine Inbesitznahme, denn links vom Kellertor stehtdie Jahreszahl H 158., inzwischen leider kaum nochlesbar. Hermann Roemer hat sie noch mit 1588 über-liefert. Darüber hinaus finden sich an der Stelle vielekleine Initialen, vielleicht von zwischenzeitlichenBesitzern: C E S , darunter M, wieder darunter wohlein H und ein W.

Johannes Vimpelin, geboren am 3.1583, war derSohn des Metzgers und Bürgermeister Hans Vimpe-lin und der Elisabeth Dolmetsch. 1604 oder früher hater eine Maria5 geheiratet, 1615 in zweiter Ehe eineSabina. Sein jüngerer Bruder Sebastian, geboren31.7.1586 trat in den Besitz in der Wimpelingasse ein.Johannes Vimpelin starb vor 1627 als gewesener Bür-germeister. Drei Söhne und eine Tochter haben gehei-ratet, eine Verbindung zu der Familie Anshelm lässtsich jedoch nicht herauslesen. Johanns Großmutter vonMutterseite, die Witwe des Veit Dolmetsch, steuerteim Lagerbuch von 1572 aus Haus, Hofraithe, Scheu-er und aller Zugehörung am Markt zwischen alt Mar-tin Eberlin und Michel Ziphsers Häusern gelegen, stoßtvornen auf die Gassen …Von einer Herberge war nichtdie Rede. Hermann Roemer überlieferte die Jahres-zahl 1530 zur Scheuer von Marktplatz 6.

Die KellerSicher ist jedenfalls, dass der leere Platz, den Chris-

tian Hamm Tochter und Schwiegersohn vermachte,nicht so ganz leer war, denn der Keller der ehemali-gen Krone war wohl noch da, und hinten stand diebereits erwähnte alte Scheuer, auch das Heuhaus.Beauftragte des Landesdenkmalamtes haben die Kel-lergewölbe (flüchtig) untersucht und datieren Teile desjetzigen Kellers unter Gebäude Ostergasse 1 in die Zeitum 1300(!), der Rest stammt aus dem 17. bis 18. Jahr-hundert.6 Den Keller der Scheune datiert das Teamins 15./16. Jahrhundert. Außerdem existiert noch einkleiner Gewölbekeller unter dem Innenhof, der nichtweiter untersucht wurde. Er dokumentiere ein ehema-

liges Nebengebäude im nördlichen Anschluss an dasHaupthaus. Dabei fiel ihnen der Zugang zur Keller-anlage des Hauptgebäudes auf, der eine Mauer von1,60 m Dicke durchbricht. Eine genauere Untersu-chung dieser Situation war aber nicht Bestandteil ih-res Auftrages. Übersehen haben sie den zugemauer-ten Durchgang, der die Häuser Marktplatz 5 und Os-tergasse 1 einst verband, und die kleine enge leichtgewendelte Treppe, die vom Keller direkt in den ehe-maligen Laden im Erdgeschoss führte. Interessant istauch die Auskerbung in der Mitte der großen Keller-staffeln, hier hatte man unbeschadet die Fässer her-aufziehen und herunterlassen können.

Auch im Nachbarhaus (ehemaliges Heuhaus?) Os-tergasse 3 ist der vermutlich aus dem 13. Jahrhundertstammende Kern im Grundriss des Kellers noch ab-lesbar erhalten. Er greift unter das heutige Turmgäss-le, das demnach früher so nicht existierte.

Ferner gehörte zur alten Hofanlage auch ein eige-ner Schöpfbrunnen vor der Scheuer.

Der reiche Paulus WolffIm 18. Jahrhundert bestand die Stadtverwaltung

noch aus vier Bürgermeistern, dem Gericht und demRat. Über allen stand der Vogt, der Verbindungsmannzwischen Stadt und Regierung. Wurde eine Stelle va-kant, so wählte nicht die Bürgerschaft sondern dasGremium einen der ihren hinzu.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Frau HammsSchwiegersohn Johann Jacob Hemminger einer derBürgermeister und Güterinspektor bei dem Hospitalzu Markgröningen.7 Bei der Visitation wurde seineRechnungslegung nicht abgenommen. Hemmingerwar landflüchtig und um 5 große und 5 kleine Frevel(= 86 fl 15 xr) gestrafft und seiner Stell entsetzt wor-den. Er fühlte sich wohl unschuldig, denn hartnäckigkam er immer wieder um seine Restitution in eineRichterstelle ein. Noch war 1711 nichts endgültig ent-schieden. Da erschien plötzlich Paulus Wolff undmachte mit Hilfe des Vogts Andler Ansprüche auf die

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vakante Richterstelle geltend. Nachdem Wolff abge-wiesen worden war, versuchte er ein Jahr später denSpitalverwalter Laux abzusetzen, um nicht nur des-sen Richterstuhl sondern auch dessen Amt als Spital-verwalter an sich zu bringen. Ein langer Streit folgte.Die Sache endete 1713 damit, dass Hemminger in dieunterste Gerichtsstelle herabgestuft wurde und einDrittel der Gerichtskosten auferlegt bekam, ebenso wiedem Wolffen aber nebst einem scharfen Verweis derandere Dritteil zu bezahlen auferlegt wurde.

Nachdem der aus Sachsen stammende Paulus Wolffauf dem Rathaus keine Karriere beginnen hatte kön-nen, begann er, sich auf dem Cronen-Platz ein luxuri-öses Haus zu bauen. (Wohl zur Finanzierung verkauf-te er Marktplatz 8 an Joseph Reuchlen.) Zum Nach-barhaus des Hamm gab es keinen Winkel, wie sonstüblich, man demonstrierte Besitz aus oder in einerHand. 1714 wurde das Haus fertiggestellt und stolzdie goldglänzende Wetterfahne auf das Dach gepflanzt.

1716 erwarb Wolff eine halbe Behausung, zweiScheuren und Hofraite, alles an- und beieinander inder Metzgergasse (heute Finstere Gasse) von der Frau

Wächterin, hat es aber bald darauf Herrn VerwalterWächter überlassen.

1717 kaufte Wolff einen leeren Scheurenplatz imKlostergässle unterhalb der sog. Heiligenscheuer undvon der Wittib des Abraham Sick ein Haus in derSchloßgasse oberhalb Heinrich Mattheiß, also Nr.12.Das Hofstattplätzle mit Garten dahinter, das oberhalbdieses Hause lag, erwarb er 1717 dazu, dazu noch dashalbe Haus von Franz Bernhard Sonderer, dem nächs-ten Nachbarn.

Das Gröninger Umfeld wurde der Familie indes baldzu eng. Man orientierte sich nach Stuttgart und kauftesich bei Jud Süß Oppenheimer den Titel eines Cammer-raths. Dass er im Städtle aber herzhaft unbeliebt war,zeigte ein Schreiben an den Herzog-Administrator CarlRudolf vom 1. Juni 17378, in dem sich die Verwaltungdagegen wehrte, Wolf als Hauptzoller und Bürgermeis-ter, das ist etwa das Amt des Stadtkämmerers, vor dieNase gesetzt zu bekommen. Unter anderem schriebensie, dass der vormals allhier wohnhafft geweste Bürgerund Handelsmann Paulus Wolff, welcher sich damalenschon so schlimm, ärgerlich und gegen dem nächstenlieblos aufgeführt, daß er allhier nicht mehr bestehenkönnen, zu einem Titular Cammerrath und Haubt Zol-ler zu Stuttgardt mittelst erlegten großen Stück Geldeseingekauft. Bey solch seiner Bedienstung aber, eben soschlimm und noch schlimmer als er bey uns gemacht,sich aufgeführt habe, maßen er nicht nur in die Inquisi-tion gefallen, und wegen seiner vihlen bösen Factorumzur Hafft gezogen, so gar, daß jener, malversationes(üble Umtriebe) vor Criminal ausgegeben worden. Wieer sich dann dem sichern vernehmen nach mit 14 bis15000 fl. davon loß kauffen, und dem Jud Süsen, als mitdeme er diesfalls accordirt hat, gewiß eine nahmhaff-te Summe pro discretione darschißen (vorschießen) müs-sen, die er auf das unterm 23. Martii huius anni (die-sen Jahres) in das Landerlassene gnädigste Rescriptdrin hiesigen Vogt Amt, nicht einmal nahmhaft machenmögen, damit er sich nicht verrathe. Wie er bey diesemJudenaccord, zugleich auch auf eine recht gewissen

Bild 3: Siegel mit Wappen des Paulus Wolff (Foto: Stadtar-chiv; Aufnahme: Petra Schad)

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lose Weise zu einem allhiesigen Bürgermeister einzu-tringen sich unterfangen haben, denn es brachte er,Wolff, ein unterm 24 Dezember post annum (vorigenJahres) durch ihne Süßen extrahirtes Rescript, wel-ches er 2 ganzer Monat lang bey sich behalten unduns vorzulegen aus Trieb seines Gewissens Scheu ge-tragen bey. Krafft dessen er nach seiner gänzlichenCassation von seinem vormalig herrschaftlichenDienst, unter Beybehaltung des CammerRaths Titulszu einem Bürgermeister allhier und zwar für einenbeständigen Rechner creirte und ihne quartalem an-zunehmen gnädigst befohlen worden. Durch welchunvermuthet subetobreptitie (erschlichenes) Rescrip-to aber, die dermalig allhiesigen beide Bürgermeisterohne einige Ursache gleichsam mit Schand und Spotthätten sollen aus ihrer Activitaet gesetzt werden, diedoch Zeit ihres Officii (Amts) sich unklagbar aufge-führt, und hätten abdanken müssen. Und gegen Endedes Briefes baten sie noch einmal flehentlich, daß di-ser schadhaffte Wolff in unseren Gerichts und Ge-meindsStall nicht eintringen, und die so sehr durchvihle Onera (Belastungen) entkräftete Schafe vollendaufreiben könne. – Eigenhändig unterschrieben JohannJakob Haumacher, Johann Georg Feinmann, GallusReißer, Johannes Wildt und Georg Friedrich Haug.

Die untersuchenden Räte in Stuttgart drehten undwendeten sich qualvoll. Eines Teils hatte Wolff einPapier in der Hand, das vom kürzlich verstorbenenHerzog unterschrieben war, andererseits war geradeder Prozess gegen Jud Süß gelaufen und dieser verur-teilt worden – und Jud Süß Oppenheimer hatte Wolffdas Amt gegen Bezahlung von 13-14000 Gulden ver-kauft. Schließlich drehte man es aber so, dass die Be-zahlung des Betrags als Loskauf vom Gefängnis an-gesehen wurde, in das Wolff wegen seiner üblen Ma-chenschaften hätte einsitzen müssen. Fazit: Die Mark-gröninger mussten ihn deshalb – vorerst – nicht alsBürgermeister akzeptieren.

Trotzdem gelang es einem Sohn von Wolff, Fried-rich Paul, hiesiger Kauf- und Handelsmann, 1739 auch

in die Ehrbarkeit einzuheiraten. Jungfer Maria Agnes,Herrn Urban Kellers seelig gewesenen Gerichtsver-wandten (und Zieglers) allhier ehelich Tochter wardie Auserwählte. Nach zwei Töchtern wurde am17. November 1742 ein Sohn Johann Eberhard gebo-ren. Der Pfarrer bemerkte unter dem Taufeintrag: NB.Edictus postquam Mater, ut et ex ipso Wolffio gravi-da, ab adulterium commissum, ab illo legitime dissol-vi voluit (N.B. Eingetragen, nachdem die Mutter, ob-wohl wiederum durch Wolff schwanger, wegen Ehe-bruchs, den er begangen hatte, von diesem rechtmä-ßig geschieden sein wollte). Unter dem Namen derMaria Agnes fügte er ein: a Marito adultero legitimeseparata (vom ehebrecherischen Ehemann rechtmä-ßig getrennt). – Das Städtle hatte wieder seinen Skan-dal.

Im selben Jahr hat Herr Paul Wolf, Herzog. Württem-bergischer Kammer-Rath und Bürgermeister allhier– er hat es also doch noch geschafft! – wegen seinerim Jahr 1735 zu Stuttgart verstorbenen Jungfer Toch-ter Rosina Barbara 200 fl gestiftet. Diese Summewurde nach dem Tod seiner Frau am 13. Dezember1765 an die Heiligenpflege überwiesen und zu einemStipendium für geistlich Studierende bestimmt.

Die geschiedene Frau Wolff heiratete 1746 in Löch-gau den Verwaltungskastenknecht Ernst Friedrich Mül-ler, der ihr am sog. Vollandhaus an der Ecke zur Wette-gasse in Form einer Hausinschrift ein Denkmal setzte.Getraut hat sie ein Verwandter Pfarrer namens Keller, des-sen Sohn war später im Besitz des Hauses Marktplatz 6.

Friedrich Paul Wolff hat in zweiter Ehe (nicht inMarkgröningen) Maria Juliana Francisca Schortmannvon Stuttgart geheiratet und zeitweise auch mit ihr inMarkgröningen gewohnt. Am 11.11.1750 wurde hierder Sohn Carl Paulus getauft, der Beruf des Vaterswurde mit privatus angegeben, beim nächsten Kindschlicht Herr Friderich Paul Wolff, jun. War man soreich, dass man es nicht nötig hatte zu arbeiten? 1755und 1758 wurde Wolff jun. als Eisenfaktor bezeich-net, 1761 wurde er Handelsmann genannt.

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1744 waren noch beide Häuser – Marktplatz 6 undOstergasse 1 – im Besitz der Familie Wolff. Der NamePaulus Wolff wurde dann aber durchgestrichen unddurch Bernhard Röckle ersetzt mit der Bemerkung,dass dieser es nur interim in die Steuer, bis zur Ausge-hung des Processes und Aufrichtung eines andernt-heils Kaufbriefs, übernahm. Die Hälfte des Hauseswurde auf 450 fl geschätzt.

1750 war ein Pfarrer aus Botnang Besitzer desMarktplatzhauses und der Hälfte von Ostergasse 1,die auf 600 fl. geschätzt wurde.

Paul Wolff starb am 13.10.1753 an seinem bekann-ten Podagra und einem Schlagfluss, 70 Jahre alt. 50Gulden machten die „Leichkosten“ aus. Mit der Even-tualabteilung, d.h. mit der Vermögensinventarisierung,ließ man sich Zeit bis zum 28. März 1757, was ei-gentlich nicht rechtens war.9 Das Anwesen Ostergas-se 1 Eine neue Behausung, Scheuren, 2 Keller undHofraithen auf dem Markt zwischen Ihme selbsten undSamuel Kirnen, stoßt vornen auf die Gassen und hintenHerrn Samson Bühlers Wittib Scheuren, zinsfrey, wur-de auf 2000 fl veranschlagt. Der Bargeldbestand warjedoch sehr zusammengeschrumpft, da der Prozess mitder fürstlichen Rentkammer, der mehr als 30 Monategedauert hatte, zwar letzthin gütlich finalisirt werdenkonnte, jedoch viel Geld verschlungen hatte, dennWolff hatte 8500 fl vor dem höchsten Reichsgerichtgeklagt. Man hatte nicht nur viel Geld aufnehmen,sondern auch die von der Wolffschen Familie herge-kommenen Preciosen (= Schmuckstücke) teilweiseversetzen müssen, die aber später wieder eingelöstwerden konnten. Auf der Liste standen ein Diamant-Kreuz mit zwei Diamant-Ohrengehängen im Wert von65 fl, ein Diamantring mit 3 Steinen zu 56 fl, einer mit9 Steinen in Gold zu 26 fl (...) ein Hembder Knöpflevon Gold mit einem Diamant und eine goldene Hemb-der Schnall mit 4 Diamanten, ein goldener Pitschier-Ring mit einem Carniol und 2 Diamenanten, zusam-men 27 fl (...) Eine Panzerkette von Gold mit 5 Rayhlemit einem geschmeltzten Schloss, Perlen-Nüster, eine

silberne Repetier-Uhr, vergoldete Tabattieren ... so-weit dieser kleine Auszug aus der Liste der Schmuck-stücke. Vom Bargeld war im Jahre 1757 so viel con-sumirt, worunter auch der an die Brentano in Stutt-gart verspielte und zu bezahlen geweste Process a625 fl mit begriffen ist, dass „nur“ noch 3720 fl übrigblieben.

Nach des Vaters Tod konnte offensichtlich der Juni-or nun seine freiwillige oder unfreiwillige „Warte-schleife“ beenden und den Laden übernehmen. Zu-sammen mit der Mutter besaß er jetzt das Haus Oster-gasse 1. Der junge Wolf eröffnete darin einen Eisen-warenhandel, die offizielle Berufsbezeichnung warChaland. Im Inventar von 1757 ist von dem vom Va-ter ererbten10 Geld nichts mehr vorhanden. Dafür wer-den unter den Ladenwaaren die Handelsartikel auf-geführt: Eisenstangen, 2 Zentner Huf- und Schönnä-gel, Stahl, Draht, Alteisen, ganze und halbe Bretter-nägel, Bandnägel, Stabnägel und Absatznägel, Schnä-gel, Batzen-Nägel und Groschen-Nägel, gelbe Sessel-nägel, Segesen (Sensen) und ErndSichlen, Weißblechund Schwarzblech, Ofenschraufen (lange, eiserneÖfen), messingene Stäbe und messingene Strickna-deln ... 1 Dutzend lange kölnische Pfeifen, ¼ Centnerordinärer Tabac und 1 Dutzend Päcklen allerhandTobac ... Die Summe der Fahrnis wurde auf 1010 flund 33 x geschätzt.

Die Tradition der Tabakwaren haben sich gehalten,denn als Philipp Fauth kurz vor 1900 den Laden kauf-te, war im Inventar noch ein Zigarrenabschneider er-wähnt – und bei seinem Sohn Ernst und Tochter Otti-lie gab es 1960 noch Villinger Stumper oder Schnee-hasen zu kaufen ...

Am 13. Dezember 1765 war Frau Wolfin, Kammer-räthin geb. Hammin, Herrn Paul Wolfen nachgelasse-ne Wittib verstorben. Was die Krämerstochter anSchmuck, Büchern, darunter auch das Württembergi-sche Landrecht, an Kleidern und Hausrat hinterließ,konnte sich sehen lassen, und kann in der Realabthei-lung im Stadtarchiv nachgelesen werden.

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Anmerkungen

1 StadtA M, M 02 Bü 62 HStAS, 1091 Band 5413 StadtA M, Stb. I (1700)4 M. Jacob Heerbrandt, Pfarrer zu Eningen (= Ehningen bei Böb-

lingen)5 Leider trug der zuständige Pfarrer zwischen 1600 und 1620 nur

sporadisch die Eheschließungen ins Kirchenbuch ein. Maria warmöglicherweise die Tochter des Bernhard Hertlin und der Ka-tharina Sigloch.

6 Katz, Schaetz, Bönsch, Voruntersuchung: Vörstetten 19967 HStAS, A 206 Bü 21288 HStAS, A 206 Bü 21469 StadtA M, M 02 Bü 5999

10 StadtA M, M 02 Bü 6002

Der Junior bewies als Einsenwarenhändler keineallzu große Ausdauer – oder die Konjunktur war ein-fach schlecht. Er benützte den Tod der Mutter, um vonMarkgröningen wegzuziehen. Die Wolffs verkauftenden Rest des stattlichen Anwesens. Es bestand nochaus der Hälfte an der Ostergasse 1, die der Handels-mann Johann Majer, der die Witwe seines Berufskol-legen Magenau geheiratet hatte, für 1800 fl erwarbund zusätzlich 200 fl für ein abgelöstes Wohnrechtbezahlte. 1769, anlässlich der Eheschließung des Soh-nes (aus der Ehe mit der Kellerin) Johann EberhardWolff mit der Witwe des Rotgerbers Jakob FriedrichSchütt, wurde der Vater Paul Friedrich Wolff als inStuttgart wohnhaft genannt.

Die Aera Wolff ist damit abgeschlossen. Was bleibt,ist ein wunderschönes barockes Haus auf geschichts-trächtigem Grund.

Quellen

HStAS, 1091 Band 541HStAS, A 206 Bü 2128HStAS, A 206 Bü 2146Katz, Schaetz, Bönsch, Bauhistorische Voruntersu-chung: Kellerbebauung im Areal zwischen Marktplatz– Helenenstraße – Marktbrunnen- und Turmgässle.Vörstetten 1996. Maschinenschriftliches Manuskriptim Stadtarchiv MarkgröningenStadtA M, M 02 Bü 5999StadtA M, Kaufbücher 1700 ff.StadtA M, M 02 Bü 6StadtA M, M 02 Bü 6002StadtA M, Steuerbücher 1700

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B Die Restaurierung(Gerhard E. Schmid)

NutzungskonzeptDas Haus Ostergasse 1 verfügt über drei Vollge-

schosse. Seit langer Zeit befindet sich im Erdgeschossein Lebensmittelgeschäft. Das erste Obergeschoss so-wie das zweite Obergeschoss wurden jeweils als Woh-nung genutzt.

Das selten gut erhaltene Treppenhaus mit hallenar-tigen Fluren in den beiden Obergeschossen sollte nachdem Willen des Bauherren so erhalten bleiben. Des-halb war eine Nutzung mit zwei abgeschlossenen Woh-nungen kaum möglich. Dies hätte den Einzug vonTrennwänden in den Treppenhallen mit sich geführt.

Die Vorstellung des Bauherren im ersten Oberge-schoss sein Architekturbüro und im zweiten Oberge-schoss seine Wohnung unterzubringen kam dem Er-halt der historischen Innenausstattung sehr entgegen.So konnte auf fast alle brandschutztechnischen Auf-lagen bei den Türen und Decken verzichtet werden.Das Dachgeschoss und der Spitzboden wurden nichtausgebaut.

Die Eingriffe in die Grundrisse wurden auf ein Min-destmaß reduziert. Nur zwei Einbauten des frühen 20.Jahrhunderts in den Treppenhallen wurden entfernt,um die frühere Raumwirkung wieder zu erhalten.

Im zweiten Obergeschoss war eine Wand (Badezim-mer), die ebenfalls im frühen 20. Jahrhundert einge-zogen worden war, zu entfernen und durch eine neueWand zu ersetzen. Im Erdgeschoss wird der Ladenwie bisher betrieben. Die Obstabteilung befindet sichweiterhin in der früheren Hofdurchfahrt. Die hier not-wendigen Brandschutzmaßnahmen führten zu keinemVerlust historischer Bausubstanz, da der Laden schonmehrfach umgebaut worden war. Der Gewölbekellereinschließlich unterirdischem Verbindungsgang unterdem Hof blieb ohne Veränderungen erhalten.

Abschließend kann festgestellt werden, dass die aufden Bedarf des Bauherren abgestimmte Nutzung und

der Wille des Bauherren keine Änderungen der Grund-risse vorzunehmen, den vollständigen Erhalt der his-torischen Innenausstattung ermöglichte.

Restaurierungsmaßnahmen – erhaltene undwieder hergestellte Bauelemente

Das Haus Ostergasse 1 befindet sich in direktemAnschluss an den Marktplatz der Stadt Markgrönin-gen. Es bildet zusammen mit drei weiteren Gebäudenden nördlichen Abschluss des Marktplatzes zwischenTurmgäßle und Marktbrunnengäßle.

Durch die Restaurierung konnten neue Erkenntnis-se über die Geschichte des Hauses gewonnen werden.Die noch im Original vorhandene Wetterfahne weißtdie Initialen „ P. W. 1714 „ auf. Dabei handelt es sichum die Initialen des Erbauers Paulus Wolff.

Am Baukörper ist leicht zu erkennen, dass das mas-siv gemauerte Erdgeschoss älter ist als die oberenStockwerke. Die Außenwände sind hier teilweise 70bis 80 cm dick. Im Erdgeschoss fand sich unter Ver-schalungen eine Sandsteinsäule mit ionischem Kapi-tell. Sie dürfte der Zeit vor 1600 zuzuschreiben sein.Im Jahre 1609 wurde die Scheuer an der Nordseiteder Hofanlage von Johannes Vimpelin umgebaut. DieFamilie Vimpelin war eine überregional bedeutendeMetzger- und Handelsfamilie, die auch einige Staats-männer hervorgebracht hat.

Die von Paulus Wolff neu erstellten Stockwerke biszum Dachstuhl sind zeittypisch ausgestattet. Erhaltenhaben sich im Treppenhaus das barocke Geländer mitDocken, die geohrten Türrahmen, die nach Meinungdes Verfassers auch noch aus dem Vorgängerbau stam-men können. Erhalten geblieben sind die Fassungendes früheren Sichtfachwerks im Treppenhaus und ineinigen Nebenräumen. Im ersten Stockwerk zwei starkprofilierte Stuckdecken. Eine davon mit den Initialendes Erbauers.

Während der Restaurierungsarbeiten fand sich immittleren Zimmer des ersten Stockwerks unter meh-reren Schichten Bodenbelägen und Spanplatten ein

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Felderboden mit eingelegter zentraler Rosette. Dieserschöne jedoch vollkommen desolate Felderbodenkonnte unter großem Aufwand durch einen Parkettre-staurator, welcher in der Schweiz ansässig ist, geret-tet werden.

Auf dem Dachboden waren mehrere bleiverglaste Fen-sterflügel des 18. Jahrhunderts erhalten geblieben. Vierdieser Flügel konnten nach Ergänzung mit einem Kreuz-stockrahmen zu einem zeittypischen Fenster rekonstru-iert und im Treppenhaus, am Aufgang zum 2. Stock, ein-gebaut werden. Das Fenster stellt heute einen eigen-tümlich schönen Blickfang dar. Zwei weitere origina-le Fenster übereinander, innliegend im ersten Stock,wurden in situ belassen und blicken von einem derRäume ins Treppenhaus. Ein Schiebefenster des 18.Jahrhunderts schließlich mit Blick auf den Hof (beimWC) behielt ebenfalls seinen angestammten Platz.

Auch im Treppenhaus fanden sich Reste des frühe-ren Bodenbelags aus Sandsteinplatten. Ein Teilbereichkonnte mit Steinplatten, die zuvor auf dem Dachbo-den lagen, ergänzt werden. Zusammen mit den restau-rierten Fenstern, einer Rankenmalerei mit Hagebut-tenmotiv und der restaurierten, marmoriert gefasstenAborttüre kommt so im Treppenhaus das Erschei-nungsbild des 18. Jahrhunderts wieder originalgetreuzum Ausdruck.

Im zweiten Stockwerk war eine weitere stark profi-lierte Stuckdecke im mittleren Zimmer sehr gut erhal-ten. Sie wurde wie die beiden anderen Stuckdeckenrestauriert. Auch die originalen Türblätter und Türrah-men mit seltenem Beschlagwerk sind wieder sichtbar.

Im östlichen Zimmer konnte die Stuckkehle, wohlder Rest einer Stuckdecke, erhalten und ergänzt wer-den. Im westlichen Zimmer und im Treppenhaus wur-den Schablonenmalereien an der Decke (unter Putz-schichten und Anstrich) freigelegt.

Leider waren im zweiten Stockwerk an beiden Längs-seiten des Hauses sämtliche Schwellen, Balkenaufla-ger und die Fachwerkteile der Außenwände vollkom-men zerstört, teilweise überhaupt nicht mehr vorhan-

den. An den beiden Traufseiten nämlich stößt das Hausmit Nachbargebäuden zusammen. Dachkehlen (mit derFunktion einer Dachrinne) verbinden die sich berüh-renden Dächer. Dort war es über Jahrzehnte hinwegzu Wassereinbrüchen gekommen. Der Mittelbereichdes Hauses dagegen blieb frei von Wasserschäden.

Nur ein Lehmwickelgefach der Decken im Esszim-merbereich konnte deshalb erhalten werden. Die dar-auf aufgebrachte Schablonenmalerei wurde gesichert,freigelegt aber nicht ergänzt. Im Esszimmer und inwestlichen Teil des Treppenhauses konnte der Restau-rator die Malerei nach Sicherung von zwei Feldernneu aufmalen

Im mittleren Bereich des Treppenhauses wurde inden Bestand nicht eingegriffen. Die Malereien blei-ben unter dem Putz des 19. Jahrhunderts verborgenund sind somit gesichert.

Die Schäden an den Fußpunkten des Dachstuhlwaren so enorm, dass beide Längswände der Außen-wände vollkommen zu ersetzen waren. Die Deckenüber den Räumen entlang der Außenwände musstengeöffnet und die Lehmwickelgefache entfernt werden.Nur ein Balken hatte noch ein gesundes Auflager. Dierestlichen Balken waren anzustücken und beidseitigaufzudoppeln.

Im Treppenhaus reichten die Schäden bis auf dieBodenschwelle der Decke über dem Erdgeschoss. ZurSicherung des Dachstuhls, der eigentlich keine Auf-lager mehr hatte, waren durch das ganze Haus Ab-sprießungen vorzunehmen.

Erfreulicherweise konnten die Farbfassungen derErbauungszeit durch vorhandene originale Bauteileziemlich genau aufgenommen werden. Die Holzteileder Fenster haben deshalb wieder die grüne Fassungdes 18. Jahrhunderts erhalten. Die Klappläden sindrotbraun gestrichen, wie dies einige Läden des Dach-geschosses bezeugten. Der Außenputz ist weißgelb-lich gehalten, wie auf den unteren Putzschichten zuerkennen war. Alle Fensterleibungen, Lamberien(Wandtäfelungen) und die Innentüren erhielten eine

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Bild 4: Türklopfer an der ehemaligen Haustüre,heute im Erdgeschoss, Obstladen (Foto: GerhardE. Schmid)

Bild 5: Treppenunterseite mit Rankenmalerei und Baluster-geländer im 1. Obergeschoss (Foto: Gerhard E. Schmid)

braune Leinöllasur auf grünem Grund, die den Be-funden entspricht.

Trotz enormer Schäden am Dachstuhl und der Bal-kenlage der Decke über dem zweiten Stockwerk wur-den die Fassungen (Anstriche) der Bauteile ebenso wiedie historische Innenausstattung weitgehend erhaltenoder wiederhergestellt. Das Haus Ostergasse 1 hatseine Würde zurück gewonnen.

Bilder zur RestaurierungDie Bilder folgen nicht streng dem Text. Manches,

das dieser erwähnt, ist nicht abgebildet, einige Fotosgehen darüber hinaus. Der Verfasser hofft, dass derLeser möglichst viel sehen kann. Er mag sich einenGang durchs Haus, von unten nach oben, vorstellen,der auf dem Hof endet.

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Bild 8: Stuckzimmer im 1. Obergeschoss (Foto: Gerhard E. Schmid)

Bild 6: Türen in der Halle im 1. Obergeschoss mit geohrtenLeibungen (Foto: Gerhard E. Schmid)

Bild 7: Stuckdecke im 1. Obergeschoss mit Initialen desPaulus Wolff (Foto: Gerhard E. Schmid)

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Bild 10: Türband und Stützkloben an einer derTüren des 18. Jahrhunderts im 2. Oberge-schoss (Foto: Gerhard E. Schmid)

Bild 9: Fenster im Treppenhaus Nordseite, rekonstruiert ausoriginalen Fensterflügeln der Erbauungszeit im Bestand desHauses (Foto: Gerhard E. Schmid)

Bild 11: Mittleres Stuckzimmer im 2. Obergeschoss – „Sa-lon“, Teilansicht (Foto: Gerhard E. Schmid)

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Bild 12: Teilansicht der Stuckdecke des mittleren Raumesim 2. Obergeschoss (Foto: Gerhard E. Schmid)

Bild 13: Wohnraum im 2. Obergeschoss mit gefasster Bal-kendecke, Dekormalerei des 18. Jahrhunderts, rekonstru-iert, teilweise auch original (Foto: Gerhard E. Schmid)

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Bild 14: Treppenhalle im 2. Obergeschoss, Keilblockstufentreppe zum Dachboden ,im Hintergrund (Foto: Gerhard E. Schmid)

Bild 15: Gewerbeschild des Andreas Kaercher (Foto: Stadt-archiv; Aufnahme: Petra Schad).Das Gewerbeschild ist eine Entdeckung des Umbaues. Dasin 9 Teile aufgespaltene Holzschild konnte rekonstruiert undmit einem Rahmen ergänzt werden. Andreas Kaercher be-trieb ab 1802 in einem Anbau des Hauses Ostergasse 1 eineWeißgerberei. Das abgebildete Lamm weist auf die Verar-beitung des Lammfells hin, das mit Hirschleder das Roh-material der Weißgeber war. Die Familie war über mehrereGenerationen Eigentümer des Anwesens.

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Bild 16: Einblick in den Hof von Ostergasse 1 mit Südfassade der Scheuer (Foto: Stadtarchiv; Aufnahme:Petra Schad).In der Scheuer befindet sich die Altenbegegnungsstätte der Stadt Markgröningen. Die Scheuer gehörte bis1995 zum Anwesen Ostergasse 1 und verblieb nach Verkauf des Wohnhauses bei der Stadt Markgröningen. Amgroßen Torbogen ist eine Inschrift erhalten: Johann Vimpelin A D 1609.

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