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DIE NATURWISSENSCHAPTEN 5t. Jahrgang Heft 5 (Erstes Marzheft) 1964 Otto Hahn zum 85. Geburtstag Von LISE MEtTNER, Cambridge OTTO HA}IN, der-- obwohl es ihm niemand glaubt-- am 8. M~irz dieses Jahres 85 Jahre alt wird, hat vor kurzem in einem Dr. jut. F.H. VITS gewidmeten Fest- baud einen Artikel geschrieben, in dem er aus seinem eigenen Lebenswerk Beispiele erbringt, wie Arbeiten, die in Erwartung eines bestimmten Resultats begon- hen wurden, zu ganz anderen und oft viel wichtigeren Ergebnissen geffihrt haben. Diese sehr bedeutungs- volien Hahnschen Resultate waren, obwohl zun~tchst un- erwartet, keineswegs ein Zufallsprodukt; HAItN be- herrschte schon in seiner Jugend die damals zugang- lichen chemischen Arbeits- methoden in ungew6hn- lichem AusmaB; was ihn aber besonders auszeichnete, war seine starke intuitive Be- gabung verbunden mit groBer Gewissenhaffigkeit und groBem FleiB. Siehaben ihn sozusagen gefiihlsm~il3ig immer zu prinzipiell wichti- gen Fragestellungen geffihrt. Er hat fast nie ein neben- sachliches Detailproblem studiert. Darin war er der getreue Schiller seines ge- nialen Lehrers RUTHERFORD. Auch der ]3eginn yon HaHNs wissenschaftlicher Laufbahn ist ein unerwarte- tes Ergebnis seiner ~ugend- lichen Plane gewesen. Er hatte als organischer Che- miker sein Studium bei Pro- fessor ZINCK~ in Marburg begonnen und wurde nach seinem Doktorat fiir zwei Jahre ZINCI;Es Assistent. Der Gedanke, Wissensehaftler zu werden, lag ibm ganz fern. Er woIite nach England gehen, um Englisch zu lernen, als Voraussetzung fiir eine erwfinschte Anstel- lung in der deutschen Industrie. Oewissermal3en um die Zeit auszufiillen, begann er im Laboratorium yon Sir WILLIAM RAMSAY zu arbeiten. Obwohl er damals nichts von Radioaktivitat wul3te, bekam er dort ein angebtiches Radiumpr~tparat zur Unter- suchung, bei dessen Bearbeitung er das Radiothor entdeckte. RAMSAY, dessert grol3e Leistuugen auf ganz anderen Gebieten der Chemie lagen, erkannte gleich- wohl HA}INs starke Begabung und riet ihm, bei der Wissenschaft zu bleiben. HAHN entschlog sich bald danach, zu RUT~t~RFORI> ~ach Montreal zu gehen, und war damit auf den richtigen Weg gekom- men. Eine Geschichte mehr zu den yon HaI~ ange- fiihrten Beispielen ! Sicher haben wir beide das Gliick gehabt, in einer Zeit zu arbeiten, wo die Physik und die Radioaktivitfit in ungeahnter, stttrmischer und weitausgreifender Ent- wicklung war. Jeder Monat brachte aufregende ~ber- raschungen auf allen Teilgebieten der Physik, zunachst an neuen experimentellen Ergebnissen, die sehr bald zu revolutionaren Entwicklungen der Theorie f~hrten. Trotzdem w~iren HA}INs groBe Leistungen unm6glich gewesen, ware er nieht yon seinem feinen Instinkt fiir grundlegende Problemstel- lungen geleitet worden und hatte er nicht so tiefe Kennt- nisse der Chemie und ihrer Nachbargebiete (wie Minera- logie und Oeologie) gehabt. Fiir HAHN, wie ffir jeden wahren Wissenschaftler, be- deutete die wissenschaftliche Arbeit Freude, Anregung und SpaB oder Erheiterung (was im Englischen als,,fun" bezeichnet wird) auch dann, wenn das riehtige Ergebnis erst auf Umwegen gewonnen werden konnte, besonders in den glficklichen Zeiten der ,,reinen Wissenschaft", wo der Wissenschaftler nicht an gef~thrliche Anwendungs- m6glichkeiten seiner Ergeb- nisse zu denken brauchte. Uber HAttNs Arbeiten babe ich in den ietzten ~5dah- ren mehrfach ausffihrlicher berichtet, so dab ich hier nur Wiederholungen bringen k6nnte. Augerdem hat HAHN in seiner bei Vieweg er- schienenen Selbstbiographie ,,Vom Radiothor zur Uran- spaltung" eine reizvolle und sehr Mare Darstellung seiner ganzen Lebensarbeit gegeben. Was ich abet nicht unterlassen m6chte, ist, ein paar Worte fiber OTTO HAI~ als Mensch zu sagen, mit dem reich eine fast 60 Jahre are Freundschaft ver- binder. Seine groge Liebeuswiirdigkeit, seine stere Hilfsbereitschaft, sein Humor und seine Freude am Scherzen, sein starkes Verantwortungsgeftihl und sein Nut haben ihn auch in schweren Zeiten oder in schwe- ren Situationen immer den richtigen Weg oder Ausweg finden lassen und ihm die Liebe und Verehrung aller Menschen erworben, die mit ihm in Bertihrung gekom- men sind. Er wird es am 8. Marz an den Briefen der Yreunde, Kollegen und Seh;dIer wieder merke~. Meine eigenen Wiinsche daft ich vielleicht in den kurzen Worten zusammenfassen: bleib noch lang so, wie Du bist! Naturwissenschaften 1964 9

Otto Hahn zum 85. Geburtstag

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DIE NATURWISSENSCHAPTEN 5t. Jahrgang H e f t 5 (Erstes Marzheft) 1964

Otto Hahn zum 85. Geburts tag

Von LISE MEtTNER, Cambridge

OTTO HA}IN, d e r - - obwohl es ihm niemand g laub t - - am 8. M~irz dieses Jahres 85 Jahre alt wird, hat vor kurzem in einem Dr. jut. F.H. VITS gewidmeten Fest- baud einen Artikel geschrieben, in dem er aus seinem eigenen Lebenswerk Beispiele erbringt, wie Arbeiten, die in Erwartung eines bestimmten Resultats begon- hen wurden, zu ganz anderen und oft viel wichtigeren Ergebnissen geffihrt haben. Diese sehr bedeutungs- volien Hahnschen Resultate waren, obwohl zun~tchst un- erwartet, keineswegs ein Zufallsprodukt; HAItN be- herrschte schon in seiner Jugend die damals zugang- lichen chemischen Arbeits- methoden in ungew6hn- lichem AusmaB; was ihn aber besonders auszeichnete, war seine starke intuitive Be- gabung verbunden mit groBer Gewissenhaffigkeit und groBem FleiB. Siehaben ihn sozusagen gefiihlsm~il3ig immer zu prinzipiell wichti- gen Fragestellungen geffihrt. Er hat fast nie ein neben- sachliches Detailproblem studiert. Darin war er der getreue Schiller seines ge- nialen Lehrers RUTHERFORD.

Auch der ]3eginn yon HaHNs wissenschaftlicher Laufbahn ist ein unerwarte- tes Ergebnis seiner ~ugend- lichen Plane gewesen. Er hatte als organischer Che- miker sein Studium bei Pro- fessor ZINCK~ in Marburg begonnen und wurde nach seinem Doktorat fiir zwei Jahre ZINCI;Es Assistent. Der Gedanke, Wissensehaftler zu werden, lag ibm ganz fern. Er woIite nach England gehen, um Englisch zu lernen, als Voraussetzung fiir eine erwfinschte Anstel- lung in der deutschen Industrie. Oewissermal3en um die Zeit auszufiillen, begann er im Laboratorium yon Sir WILLIAM RAMSAY zu arbeiten. Obwohl er damals nichts von Radioaktivitat wul3te, bekam er dort ein angebtiches Radiumpr~tparat zur Unter- suchung, bei dessen Bearbeitung er das Radiothor entdeckte. RAMSAY, dessert grol3e Leistuugen auf ganz anderen Gebieten der Chemie lagen, erkannte gleich- wohl HA}INs starke Begabung und riet ihm, bei der Wissenschaft zu bleiben. HAHN entschlog sich bald danach, zu RUT~t~RFORI> ~ach Montreal zu gehen, und war damit auf den richtigen Weg gekom- men. Eine Geschichte mehr zu den yon H a I ~ ange- fiihrten Beispielen !

Sicher haben wir beide das Gliick gehabt, in einer Zeit zu arbeiten, wo die Physik und die Radioaktivitfit in ungeahnter, stttrmischer und weitausgreifender Ent- wicklung war. Jeder Monat brachte aufregende ~ber- raschungen auf allen Teilgebieten der Physik, zunachst an neuen experimentellen Ergebnissen, die sehr bald zu revolutionaren Entwicklungen der Theorie f~hrten. Trotzdem w~iren HA}INs groBe Leistungen unm6glich

gewesen, ware er nieht yon seinem feinen Instinkt fiir grundlegende Problemstel- lungen geleitet worden und hatte er nicht so tiefe Kennt- nisse der Chemie und ihrer Nachbargebiete (wie Minera- logie und Oeologie) gehabt. Fiir HAHN, wie ffir jeden wahren Wissenschaftler, be- deutete die wissenschaftliche Arbeit Freude, Anregung und SpaB oder Erheiterung (was im Englischen als, ,fun" bezeichnet wird) auch dann, wenn das riehtige Ergebnis erst auf Umwegen gewonnen werden konnte, besonders in den glficklichen Zeiten der ,,reinen Wissenschaft", wo der Wissenschaftler nicht an gef~thrliche Anwendungs- m6glichkeiten seiner Ergeb- nisse zu denken brauchte.

Uber HAttNs Arbeiten babe ich in den ietzten ~ 5 dah- ren mehrfach ausffihrlicher berichtet, so dab ich hier nur Wiederholungen bringen

k6nnte. Augerdem hat HAHN in seiner bei Vieweg er- schienenen Selbstbiographie ,,Vom Radiothor zur Uran- spaltung" eine reizvolle und sehr Mare Darstellung seiner ganzen Lebensarbeit gegeben.

Was ich abet nicht unterlassen m6chte, ist, ein paar Worte fiber OTTO HAI~ als Mensch zu sagen, mit dem reich eine fast 60 Jahre a r e Freundschaft ver- binder. Seine groge Liebeuswiirdigkeit, seine stere Hilfsbereitschaft, sein Humor und seine Freude am Scherzen, sein starkes Verantwortungsgeftihl und sein Nut haben ihn auch in schweren Zeiten oder in schwe- ren Situationen immer den richtigen Weg oder Ausweg finden lassen und ihm die Liebe und Verehrung aller Menschen erworben, die mit ihm in Bertihrung gekom- men sind. Er wird es am 8. Marz an den Briefen der Yreunde, Kollegen und Seh;dIer wieder merke~.

Meine eigenen Wiinsche daft ich vielleicht in den kurzen Worten zusammenfassen: bleib noch lang so, wie Du bist!

Naturwissenschaften 1964 9