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Oxmox Magazin - Artikel: "Fourty Nine-Sprüher in Hamburg" 01.1988

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Oxmox - Hamburgs Stadtmagazin, "Fourty Nine-Sprüher in Hamburg" 01.1988

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Page 1: Oxmox Magazin - Artikel: "Fourty Nine-Sprüher in Hamburg" 01.1988
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Nachts waren sie unterwegs, angezogen von den weißen Wänden in den Ham­burger S-Bahnhöfen und dem aufregenden nlichtlichen Herumturnen in Waggons und Schächten. Graffiti zu sprühen gilt als eines der letzten Aben­

teuer der Großstadt. Von den Behörden als Straftäter eingestuft, ist man ihnen ständig auf den Fersen. Ihre Kunst gilt als Schmiererei und wird immer wieder mit weißer Farbe übertüncht. Einige wollen anerkannt werden und herauskommen aus der Grauzone der illegali­tät. In Hamburg schlossen sich zehn junge Sprüh er zur Euro-Graffiti-Union zusam­men.

"Cisco" ist schon mal erwischt worden und mußte 500,- DM für die Reinigung der Wag­gons zahlen . Dabei ist er noch mit einem blau­en Auge davongekommen. Schwierig war auch die Beschaffung der Dosen, die die "writer" bisher immer geklaut haben. Damit soll nun Schluß sein. "Zum Klauen hab' ich echt kei­nen Bock mehr", meint "Jerk". Ihre Minimal­forderung, wenn sie einen Auftrag annehmen, ist daher, daß sie die Dosen gestellt bekom-

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men. Später wollen sie mal richtig Geld ver­dienen mit ihrer Arbeit. "On line", nachts in der S-Bahn, kann man kein Geld verdienen. "On line" geht es um das Abenteuer, um das Aufregende, nachts heim­lich unterwegs zu sein, um das Kribbeln im Bauch, wenn man sich während der Fahrt aus­sen an den Waggons lang hangelt.

Und um Wettbewerbe, die die zahlreichen "writer" untereinander ausführen. Man

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schmückt sich mit schillernden Begriffen, wie "king of line", "king of inside", "king of tags" und hat entweder die meisten Graffiti in einer S-Bahn-Linie oder im Inneren der Wagen angebracht oder hat seinen Codenamen so oft wie kein anderer gesprüht.

Man sieht: In der Graffitiszene wimmelt es von englischen Ausdrücken. Schließlich ist die Sprühkunst auch eine jener Mot;!en, die irgend­wann aus den USA zu uns rÜberschwappten. Und New York steht auf der Hitliste der Sprü­her immer noch ganz obenan. "Aber Europa" , meinen sie, " ist erst im Kommen." Langsam aber sicher legt sich auch hier der bunte Lack aus der Dose über die Städte. Paris, Hamburg, Amsterdam und München sprühen ganz oben­an mit. Und zwar in dieser Reihenfolge.

Was sie von Altmeistern der Graffiti, wie Keith Haring und Harald Naegeli halten, frage ich. "Keith Haring macht doch keine Graffi­ti", empört sich "Jerk", "der läuft immer nur unter diesem Label mit. Aber er sprüht gar nicht, sondern sitzt mit Pinsel und Acryl ­farbe in seinem Atelier". Harald Naegeli, der nachts in Zürich mi.t der Sprühdose rumzieht, gilt auch nichts. "Schmiererei", meint"Chuck" grinsend. Echte Graffiti müssen laut sein, echte Graffiti sind die knallbunten "tags" und "characters", die aus der Dose kommen. Rü­berbringen müssen die nichts. "Wir haben keine message" Wir wollen künstlerisch arbei­ten, mit Buchstaben und Formen spielen, mit Farbe rumexperimentieren" , erklärt mir "Crome Jase" und alle nicken zustimmend.

Und kein Graffiti ohne Entwurf. Was ein echter "writer" ist, der hat ein "blackbook", in dem er alle seine Skizzen, Entwürfe und Ideen sammelt. Der Auftrag in einem Fotostudio hat schon richtig ein bißchen Geld gebracht. Langsam kleckern immer mehr Aufträge ein, so daß die Jungs hoffen, bald richtig im Geschäft zu sein . Der Nachwuchs meldet sich auch schon; "Jerk" arbeitet daran, in die EGU aufgenom­men zu werden. Dazu muß er vor allem gut sein und Probestücke in S- und U-Bahn vor­weisen. "In der EGU sind nur die besten ham­burger Sprüher", meint "Cisco" selbstbewußt. Und dabei soll es auch bleiben.

An einem Sonntag Anfang Dezember ist die Discothek schon mittags geöffnet und ein kleines Grüppchen Jugendlicher steht vor dem Eingang. Ein Teil von ihnen, Sprühdose in der Hand, begutachtet mit zusammengekniffenen Augen die Wand neben der Tür. Die anderen stehen ein Stück abseits, stecken die Köpfe zusammen und meinen anerkennend: "Echt geilt" Am Steindamm wird gesprüht. An der Außen-

wand der Disco sind die ersten Schichten fer­tig. "Disco fortynine" wird dort stehen, wenn's fertig ist.

Drinnen, im Dunkeln der Discothek, sieht es noch mehr nach Arbeit aus. Tresen und Bänke sind sorgfältig mit Plastikfolien abgedeckt. An den Wänden ringsum erkennt man die Anfänge mehrerer Graffiti. Hier werden "caracters" gesprüht, comicähnliche Figuren in grellen Farben.

Das Aussprühen dieser Discothek ist einer der ersten Aufträge der hamburger EGU, die im Oktober '87 gegründet wurde. Zur Zeit be­steht sie aus zehn "writern", wie sich die Sprüher im Graffitijargon nennen. Federfüh­rend ist "Cisco" , mit bürgerlichem Namen Bernhard. Er koordiniert die Aufträge und er­ledigt den anfallenden Papierkram.

In München, Mainz und Dortmund gibt es eine EGU schon länger. Sie haben, wie die hamburger Graffiti-Union, alle das eine Ziel: herauszukommen aus der Illegalität der nächt­lichen Streifzüge in der S-Bahn. Ab jetzt soll das Sprühen legal weitergehen und vielleicht auch Geld in die Kasse bringen. "Wir wollen endlich wegkommen vom "Schmiererimage", erklärt "Crome Jase", der eigentlich Sunni heißt.

Nicht nur in der Disco und in einem Fotoate­lier haben sie gesprüht, sondern haben auch ihre "tags", ihre Namenszüge, im Großformat auf Bussen alternativer Reisegesellschaften hinterlassen und sogar die Stadt scheint in­teressiert. Sie hat eingewilligt, daß die jungen Sprühe~ Vorschläge für die Verschönerung einiger öffentlicher Mauern einreichen, von denen dann einer genehmigt und offiziell in Auftrag gegeben werden soll. Hier ist natür­lich auch Imagepflege im Spiel. Doch gleich­zeitig schwärmen immer noch regelmäßig Männer mit weißer Farbe aus, um die Ordnung an Hamburgs Mauern wiederherzu­stellen.

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