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Auszug aus dem Roman „Pacific Avenue“, Seite 202-204 Autor: Claude Cueni, 440 Seiten, Wörterseh Verlag Die Interview Antworten von Imelda Marcos stammen mehrheitlich aus Original-Interviews. Die Rose von Tacloban Die Rose von Tacloban blüht im 43. Stockwerk eines Hochhauses in der teuersten Attikawohnung der Philippinen. Nach einer umständlichen Leibesvisitation in der Portiersloge hatten wir einen edlen Fahrstuhl von Schindler bestiegen. Die Marke schafft Vertrauen. Ich habe ein paar Aktien der Firma, die zurzeit für das Pingan International Finance Center im chinesischen Shenzhen 33 Aufzüge baut, die mit einer Fahrt 2000 Personen 115 Meter hochtransportieren können. Henri richtete seinen Hemdkragen. Er trug nie Krawatte, ich habe diesen Strick am Hals auch nie gemocht.

Pacific Avenue, Textauszug Imelda Marcos

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Pacific Avenue, Textauszug Imelda Marcos

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Page 1: Pacific Avenue, Textauszug Imelda Marcos

Auszug aus dem Roman „Pacific Avenue“, Seite 202-204

Autor: Claude Cueni, 440 Seiten, Wörterseh Verlag

Die Interview Antworten von Imelda Marcos stammen mehrheitlich aus Original-Interviews.

Die Rose von Tacloban

Die Rose von Tacloban blüht im 43. Stockwerk eines Hochhauses in der

teuersten Attikawohnung der Philippinen. Nach einer umständlichen

Leibesvisitation in der Portiersloge hatten wir einen edlen Fahrstuhl von

Schindler bestiegen. Die Marke schafft Vertrauen. Ich habe ein paar Aktien

der Firma, die zurzeit für das Pingan International Finance Center im

chinesischen Shenzhen 33 Aufzüge baut, die mit einer Fahrt 2000 Personen

115 Meter hochtransportieren können. Henri richtete seinen Hemdkragen. Er

trug nie Krawatte, ich habe diesen Strick am Hals auch nie gemocht.

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»Auf der höchsten gesellschaftlichen Stufe kennen sich alle, egal, ob

Demokraten, Republikaner, Kommunisten, Faschisten oder Diktatoren«, sagte

Henri mit gedämpfter Stimme, »das ist eine einzige große Geldoligarchie. Die

Casinobetreiber in Macau haben mir den Kontakt zur Rose von Tacloban

hergestellt. Wenn du hier ein Casino errichten willst, musst du zu ihr in den

43. Stock.«

Ein Diener, gekleidet wie zur spanischen Kolonialzeit, öffnete uns die Tür

und bat uns herein.

»Versailles auf den Philippinen?«, flüsterte ich Henri zu. Vor uns breitete sich

ein hallenartiger Salon aus; an den Wänden hingen Bilder von alten Meistern,

orientalische Teppiche bedeckten den Boden, überall standen exquisite Möbel

aus der Zeit von Louis XIV., ein goldener Lüster hing an der Decke.

»Wen darf ich melden?«, fragte der Diener.

Henri gab ihm seine Visitenkarte: »Professor Henri Dupont und Begleitung,

zehn Uhr.«

Der Diener nahm die Karte und nickte unterwürfig. »Sie sind noch etwas

früh, Sir.«

»Wir sind auf zehn Uhr verabredet«, lächelte Henri. Ich sah ihm an, dass er

sich nicht von einem Angestellten belehren lassen wollte.

»Ja, Sir, deshalb sind Sie zu früh.«�

»Aber es ist doch jetzt zehn Uhr.«�

»Western time, Sir«, lächelte der Bedienstete verlegen, »Madame wird Sie in

etwa einer Stunde empfangen.«�Wenigstens konnten wir uns setzen. �

»Ich hasse diese ewige Warterei«, seufzte Henri und wischte sich einige

Schweißperlen von der Stirn, »aber es ist nun mal so in diesen langsamen

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Kulturen, da musst du einen Gang zurückschalten. Aber es muss sein, ich

verspreche mir sehr viel von diesem Casinoprojekt. Weißt du, Macau, das Las

Vegas von Asien, hat seine besten Zeiten hinter sich, man sieht es an der

Börse. Galaxy Entertainment: minus 13,5 Prozent; MGM Resorts

International, SJM Holdings Limited: alle im zweistelligen Prozentbereich

gefallen. Im Moment sind Korea und die Philippinen im Kommen. Der

Bloomberry-Konzern und die Belle Corporation rentieren mit sieben bis neun

Prozent und sind stark unterbewertet. Ich sage dir, die Philippinen sind das

nächste Las Vegas, sie sind das größte katholische Land der Welt und somit

auch das abergläubischste. Die ideale Voraussetzung für die Spielsucht.«

Wir warteten eine geschlagene Stunde, ehe uns der Diener erlöste und in

einen zweiten, ebenso prächtig ausgestatteten Salon führte. Die 86-Jährige saß

hinter einem massigen Tisch, das pechschwarze Haar hochtoupiert, der

Lippenstift ein bisschen zu dick aufgetragen, das Make-up großzügig

gespachtelt, die Gesichtszüge von Botox-Exzessen gelähmt. Sie trug einen

hellblauen Hosenanzug, dazu eine weiße Bluse mit Blumenmustern. Sie

schien uns nicht wahrzunehmen.

Der Diener lächelte uns freundlich zu, als wolle er uns mitteilen, dass wir uns

noch ein wenig gedulden müssten.

»Ich wusste gar nicht, dass es auch auf den Philippinen ein

Wachsfigurenkabinett gibt«, flüsterte ich Henri zu.

Da hob Imelda Marcos kurz den Kopf, als verstünde sie Deutsch. Sie lächelte

freundlich, erhob sich majestätisch, zeigte mit theatralischer Geste auf eine

bronzene Büste, die auf einer Jugendstil-Kommode stand, und sagte: »Hier

sehen Sie den größten Filipino unserer Geschichte, und doch wird mir bis

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heute verwehrt, seine Gebeine würdig zur letzten Ruhe zu betten.«

Sie fuchtelte zornig mit den Armen. »Alle unsere Präsidenten liegen auf dem

Nordfriedhof, alle unsere Stars und Dichter, aber meinem geliebten Ehemann

verwehrt man dort die letzte Ruhe. Tausende von Verlumpten haben sich an

diesem sakralen Ort niedergelassen. Sie sagen, sie fürchten die Toten nicht,

sie fürchten die Lebenden, doch sie haben keine Ahnung von der Trauer in

meinem Herzen.«

Imelda Marcos erhob sich, führte uns durch den Salon und sagte mehr zu sich

selber: »Sie haben uns verjagt wie Hunde. Wir mussten mit unserer ganzen

Familie nach Hawaii flüchten. Uns ist nichts geblieben außer schönen

Erinnerungen.« Dann zeigte sie auf eine eingerahmte Fotografie, auf der eine

junge Filipina mit einer Krone auf dem Kopf zu sehen war. »Hätten Sie mich

erkannt? Ich war achtzehn und wurde in einem Schönheitswettbewerb zur

Rose von Tacloban erkoren.« Sie neigte den Kopf kapriziös zur Seite und

lächelte verträumt. »Fidel Castro sagte mir auf seiner Jacht in der Bucht von

Havanna einmal, ich sei noch genauso schön wie damals.« Sie hielt einen

Augenblick inne, schaute uns zum ersten Mal an und lächelte gütig, sichtlich

bewegt. »Mao Tse-tung, Muammar al-Gaddafi, Sad- dam Hussein, ich habe

sie alle gekannt, sie waren unsere treuen Freunde. Mein Mann hat sich für

sein Volk zu Tode gearbeitet«, fuhr sie fort. »Disziplin war für ihn die

Voraussetzung für das Funktionieren einer großen Nation. Glauben Sie mir,

es fiel ihm schwer, das Kriegsrecht auszurufen und Tausende von

Oppositionellen zu eliminieren, aber am Ende musste er sogar das Verbreiten

falscher Gerüchte unter Strafe stellen, ausgerechnet er, Ferdinand Marcos, ein

überzeugter Demokrat! Ein philippinisches Sprichwort lautet: Es ist leichter,

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einen Fluss zu stauen, als die Verbreitung eines Gerüchts.«

Sie zeigte auf eine weitere Fotografie: »Hier bin ich bereits neunzehn. Ich

nahm an einem weiteren Schönheitswettbewerb teil, doch die anderen

Familien missgönnten uns den Sieg. Weil ich nur Zweite geworden war, ging

ich zum Bürgermeister, um mich zu beschweren. Er entschuldigte sich und

sagte, er habe noch nie eine schönere Frau als mich gesehen.« Imelda Marcos

kostete den Moment aus und fuhr dann fort: »Da er die Preisverleihung nicht

rückgängig machen konnte, verlieh er mir den weitaus wertvolleren Titel

einer Muse von Manila. Nach mir hat keine Frau mehr diese Auszeichnung

erhalten.«

Henri und ich warfen uns einen gequälten Blick zu und versuchten, freundlich

zu lächeln.

»Bereits vor 500 Jahren vertrauten uns die Spanier die Herr- schaft über die

Inselgruppe der Visayas an«, fuhr die alte Dame fort. »Auf unsere Familie,

die Romualdez, war stets Verlass. Wir haben uns bis heute gehalten. Alle

unsere Vorfahren und Nachkommen waren oder sind Bürgermeister,

Kongressabgeordnete, Richter, Minister geworden. Das Schicksal der

Philippinen liegt in den Händen von achtzehn Großfamilien; die Romualdez

und die Marcos sind zwei der wichtigsten.«

Mit weit ausladender Geste zeigte sie auf eine Reihe von Ge- mälden an der

Wand: »Pablo Picasso, Michelangelo, Botticelli, Paul Gauguin, Canaletto –

die kleinen Leute da unten erwar- ten von der Mutter der Nation, dass sie

Liebe und Schönheit zelebriert. Die kleinen Leute wollen jemanden, den sie

bewun- dern, zu dem sie aufschauen können. Ein Vorbild. Wir haben noch

ein weiteres Sprichwort auf den Philippinen: Jemand, der kein Geld hat, ist

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wie ein Vogel ohne Federn.«

Imelda Marcos machte ein Gesicht, als laste die gesamte Ver- antwortung für

die Philippinen auf ihren Schultern. »Mag sein, dass ich der größte Star der

Gegenwart bin, aber ich bin vor allem die Sklavin der kleinen Leute. Ihr

macht euch keine Vorstellung davon, wie viel Arbeit und Zeit es kostet, sich

für einen Besuch in den Elendsvierteln schön zu machen. Das ist mehr

Aufwand als bei einem Staatsbesuch, denn die kleinen Leute wollen eine

Königin sehen, die Rose von Tacloban!«

Nun wurde es Henri zu bunt, und er kam zur Sache. »Exzellenz«, begann er

vorsichtig, »wir bedanken uns sehr herzlich, dass Sie uns empfangen. Es ist

uns eine große Ehre. Der Grund unseres Besuchs ist das Casinoprojekt.« Er

schilderte ihr seine Pläne.

Sie zeigte Interesse unter der Voraussetzung, dass sie mit fünfzig Prozent am

Nettogewinn beteiligt würde, so habe es die Fa-milie bei ihren Geschäften

immer gehalten.

»Dann werden Sie uns eine schriftliche Bewilligung zukommen lassen?«,

fragte Henri hoffnungsvoll.

»Gern, aber zuvor müssen Sie auch noch das Einverständnis des Bischofs von

Cebu einholen. Die katholische Kirche ist mächtiger als wir kleinen Leute.

Ohne sie läuft nichts. Gehen Sie nach Makati, dort erhalten Sie eine

Genehmigung für eine Audienz.«

»Eine Genehmigung?« Henri machte ein langes Gesicht.

»Ja«, lächelte sie, »bei uns muss alles seine Ordnung haben. Das ist doch

auch in Deutschland so. Sie sind doch aus Deutsch- land?«

Zwei hübsche Filipinas in Livreen betraten schüchtern den Salon, verneigten

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sich demütig vor ihrer Herrin und sagten etwas in Tagalog. Die Rose von

Tacloban gab ihrem Diener, der wie eine Wachsfigur in der Gemäldegalerie

stand, ein Zeichen, uns hinauszubegleiten. An der Tür übergab er uns einen

Zettel mit den Adressen und Namen der Ansprechpartner in Makati City und

Cebu. Und dazu ein hübsches Empfehlungsschreiben der Rose von Tacloban.

»War das jetzt die versteckte Kamera, oder ist sie tatsächlich so entrückt?«,

fragte ich Henri, als wir wieder auf der Straße stan- den. »Die sah ja aus wie

Uriella.«

»Irgendwie haben alle einen Sprung in der Schüssel in diesem Land. Ich weiß

gar nicht, ob diese Irre bemerkt hat, dass sie Besuch hatte. Wieso, zum

Teufel, haben die Filipinos diese korrupte Zynikerin nach ihrer Rückkehr aus

Hawaii wieder ins Parlament gewählt? Sind die Leute eigentlich blöd? Diese

verwelkte Rose hatte über 400 Klagen am Hals, wurde zu langjährigen

Gefängnisstrafen verurteilt, aber vom Obersten Gericht immer wieder

freigesprochen. Und sie wählen dieses Miststück erneut ins Parlament?«

»Das ist ihre Kultur, Henri.«