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- 29- Repertorium fur Kunstwissenschaft Bd. 51 (1930) 5.14 Erwin Panofsky A. Warburg Wer einem Bericht uber das Leben, dem der 26. Oktober des Jahres 1929 ein Ende gesetzt hat, ein Motto voranstellen wollte, wurde vieleicht am besten jene wunderbare Zeile wahlen, die sich in Lionardo da Vincis Aufzeichnungen gefunden hat: "Es kehrt nicht urn, wer an einen Stern gebunden ist". Denn wohl nie sind die Wege eines Gelehrtendaseins, wiewohl sie nicht nur ins Un- betretene, sondern geradezu ins Nicht-zu-Betretende zu fuhren schienen, so streng von einer unausweichlichen und unveranderlichen Kraft gelenkt wor- den, wohl nie aber hat ein wissenschaftlicher Geist dieses damonische-·Mussen so vollig in bewuBtes Wollen zu verwandeln vermocht wie hier. In der Einleitung zu seiner Doktordissertation bezeichneta es der damais Funfundzwanzigjahrige ais seine Absicht, durch einen Vergleich zwischen dem Schaffen eines groBen Ouattrocentomalers und den literarischen AuBerungen seiner Zeitgenossen den Nachweis zu fuhren, daB die italienische Fruhrenais- sance antike Vorbilder zu Hilfe rief, wenn es "sich _urn die Darstellung auBer- lich bewegten Beiwerks -der Gewandung und der Haare- handelte"; aber am AbschluB dieser Arbeit laB t s ich aus einigen wie zufallig hingeworfenen AuBe- rungen erkennen, daB Warburg in diesem "bewegten Beiwerk" schon damais den symbolischen Ausdruck "leidenschaftlicher Seelen-Erregung" ahnte. Darnit war beinah alles vorgezeichnet, was fur Warburgs Lebensarbeit in einem schicksalhaften Sinn bestimmend werden sollte: die klare Einsicht in die Notwendigkeit, die vor ihm fast durchweg getrannten Forschungswege der Formanalyse, der ikonographischen Deutung und der Ouellen-Exegese zusam- menzufuhren und dadurch das Bild zum Sprechen und das Wort zum leibhaf- ten Dasein zu bringen;die unbedingte Achtung vor dem anscheinend unbedeut- samen Detail, in dessen sorgsamster Erforschung er stets die Voraussetzung aller Erkenntnis erblickte; und auch, wenngleich nur erst in jener beilaufi- gen AuBerung sich ankundigend, der Wille (oder besser der Zwang), die Ge-

Panofsky - Aby Warburg

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Erwin Panfofsky Aby Warburg

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    und Richtigkeit seiner Arbeit. Er sagte scherzweise zu uns Brudern: "In der ganz groBen Ausgabe vom Brockhaus werdet lhr vielleicht auch erscheinen, a ber in die kleine kom me ich nur a Ile in."

    Er war dankbar fur sein "zweites Leben" nach seiner groBen Krankheit. Er wurde abgekHirter und durfte feststellen, daB die Wege, die er freigelegt hatte, immer selbstverstandlicher auch von anderen begangen wurden. Er blieb unbeugsam und wurde er in seinem unbeugsamen Willen uns unbequem, so sagte er: "Recht habe ich doch, aber ich bin wie gemacht fur eine schone Erinnerung."

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    Repertorium fur Kunstwissenschaft Bd. 51 (1930) 5.14

    Erwin Panofsky A. Warburg

    Wer einem Bericht uber das Leben, dem der 26. Oktober des Jahres 1929 ein Ende gesetzt hat, ein Motto voranstellen wollte, wurde vieleicht am besten jene wunderbare Zeile wahlen, die sich in Lionardo da Vincis Aufzeichnungen gefunden hat: "Es kehrt nicht urn, wer an einen Stern gebunden ist". Denn wohl nie sind die Wege eines Gelehrtendaseins, wiewohl sie nicht nur ins Un-betretene, sondern geradezu ins Nicht-zu-Betretende zu fuhren schienen, so streng von einer unausweichlichen und unveranderlichen Kraft gelenkt wor-den, wohl nie aber hat ein wissenschaftlicher Geist dieses damonische-Mussen so vollig in bewuBtes Wollen zu verwandeln vermocht wie hier.

    In der Einleitung zu seiner Doktordissertation bezeichneta es der damais Funfundzwanzigjahrige ais seine Absicht, durch einen Vergleich zwischen dem Schaffen eines groBen Ouattrocentomalers und den literarischen AuBerungen seiner Zeitgenossen den Nachweis zu fuhren, daB die italienische Fruhrenais-sance antike Vorbilder zu Hilfe rief, wenn es "sich _urn die Darstellung auBer-lich bewegten Beiwerks -der Gewandung und der Haare- handelte"; aber am AbschluB dieser Arbeit laB t s ich aus einigen wie zufallig hingeworfenen AuBe-rungen erkennen, daB Warburg in diesem "bewegten Beiwerk" schon damais den symbolischen Ausdruck "leidenschaftlicher Seelen-Erregung" ahnte.

    Darnit war beinah alles vorgezeichnet, was fur Warburgs Lebensarbeit in einem schicksalhaften Sinn bestimmend werden sollte: die klare Einsicht in die Notwendigkeit, die vor ihm fast durchweg getrannten Forschungswege der Formanalyse, der ikonographischen Deutung und der Ouellen-Exegese zusam-menzufuhren und dadurch das Bild zum Sprechen und das Wort zum leibhaf-ten Dasein zu bringen;die unbedingte Achtung vor dem anscheinend unbedeut-samen Detail, in dessen sorgsamster Erforschung er stets die Voraussetzung aller Erkenntnis erblickte; und auch, wenngleich nur erst in jener beilaufi-gen AuBerung sich ankundigend, der Wille (oder besser der Zwang), die Ge-

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    schichte der menschlichen Kultur ais eine Geschichte der menschlichen Lei-denschaften zu sehen, die sich in ihrer grauenvollen Einfachheit- Habenwollen, Gebenwollen, Totenwollen, Sterbenwollen - in einer von der Zivilisation nur scheinbar uberdeckten Daseinsschicht bestandig gleichbleiben, und die der formverleihende Geist - gerade deswegen - in immer neuen Kulturgebilden zugleich offenbaren und bandigen muB.

    Die Aufgabe, die Geschichte dieser Ausdrucks-Formen zu schreiben und sie dabei sowohl ais Ausdruck wie ais Formen darzustellen, hatte nun aber nicht einmal gesehen werden konnen, wenn Warburg sich nicht, ebenfalls schon mit dem ersten Beginn seines Forscherdaseins, einer Tatsache gewiB gewesen ware, die fur ihn einer Denknotwendigkeit gleichkam: der Tatsache, daB die gr i e-c h i s c h e A n t i k e es gewesen sei, die jenen Doppelkampf des Geistes-den Kampf urn die Offenbarung und die Bandigung der menschlichen Ur-Er-regtheit - zum ersten Male vollig durchgekampft habe, und daB den Sieges-denkmalern diese Kampfes, den "Formen" der griechischep Religiosit~h und des griechischen Denkens nicht minder ais den "Formen" der griechischen Kunst, in der Kulturgeschichte Europas eine ganz andere Bedeutung zukom-me, ais man bis dahin zu meinen pflegte: nicht nur die Bedeutung von "Nor-men", nach denen sich ein idealisch gestaltendes Denken zurichten vermoch-te, sondern ebensowohl die Bedeutung von Erregungsfaktoren, die unter-druckte Leidenschaften wachruten und sprachlos gewordenen Leidenschaften zum Ausdruck verhelfen konnten; und sowohl in dieser ais in jener Bedeu-tung, sowohl ais Tragerin heiligen EbenmaBes wie ais damonische Meduse, muBte die Antike immer wieder vergessen, immer wieder gewonnen und wieder uberwunden werden.

    Von dem Problem, dies alles darzustellen, ist also schon der Jungiing er-griffen gewesen. Aber noch konnte er nicht voraussehen, auf welche Wege es ihn treiben wurde. Er war ausgegangen von einem Vergleich des Kunst-werks mit den AuBerungen von Dichtern und Kunsttheoretikern; allein der ge-meinsame Fluchtpunkt, dem diese drei Linien zuzustreben schienen, erwies sich ais das Zentrum eines Kreises mit unendlich vielen Radien. Nicht nur die Dichtung und die Kunsttheorie, sondern auch der Kult, die Sprache, die Philosophie, die Mathematik und die Naturwissenschaften, kurzurn die ganze

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    Summe dessen, was Ernst C a s s i r e r ais die Welt der "symbolischen Formen" systematisch begrunden sollte, muBte Warburg historisch zu er-fassen suchen. Ja mehr noch: das Festwesen, das Rechts- und Wirtschafts-leben ais die praktische Voraussetzung des immerwahrenden Kulturaus-tausches nicht nur zwischen den Volkern, sondern auch zwischen den Zei-ten,- all das muBte in die Betrachtung mit einbezogen werden.

    Und wenn all diese Wege in die Weite zu fuhren schienen, so gab es andere, die in Tiefen drangen -in Tiefen, vor denen es den Zuschauern oft schwindel-te. Der Forscher, der mit der Beobachtung des "auBerlich bewegten Bei-werks" begonnen hatte und der gleichwohl von Anfang an zu Erkenntnis der innerlich erregten Seele strebte, muBte die Leidenschaften, deren ge-staltete Form er durchdringen wollte, ais wirksame Krafte unmittelbar zu erleben suchen; und dies Bedurfnis trieb ihn nicht nur an die Wohnplatze und Kulturstatten primitiver Volker, sondern auch in geistige Bezirke, die vor ihm nur wenige, und unter diesen wenigen kein Kunsthistoriker, zu be-treten gewagt hatten: in die Gebiete der Astrologie und Magie, der Zeichen-deutung und der Prophezeiungen, kurz in die Regionen jenes "wusten Aberglaubens", der gleichwohl- auch er ein heilig-unheiliges Erbteil des Alter-tums - in entscheidenden Perioden der europaischen Geistesgeschichte einer der machtigsten Erregungs- und schlieBiich auch Entwicklungsfaktoren gewesen war. Gerade diese Erkenntnis wird nicht zum mindesten Warburg verdankt: es ist das merkwurdige Ergebnis seines wissenschaftlichen Wirkens, daB all die dunklen Schachte, in die der Geist der Vergangenheit hinabge-stiegen war und in die der Forscher ihm nachzufolgen wagte, sich schlieBiich immer wieder ais abenteuerliche Wege zum Lichte erwiesen. Warburg ge-lang es, aufzuzeigen, daB gerade die Sintflut- und Wunderzeichenangst der deutschen Renaissance die Taten Luther und Durers begreiflich mache und daB aus der arabischen Astrologie die Leistung Keplers verstandlich werde; und er konnte aus den verzerrten Vorstellungen der mittelalterli-chen Mythographie etwas wie einen neuen Raftael aufsteigen lassen. Denn er hatte die Kraft, in der Re z e p t i o n s g e s c h i c h t e d er A n t i k e, wie er sie verstand, die S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g d e s e u r o-p a i s c h e n B e w u B t s e i n s z u sehen.

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    schichte der menschlichen Kultur ais eine Geschichte der menschlichen Lei-denschaften zu sehen, die sich in ihrer grauenvollen Einfachheit- Habenwollen, Gebenwollen, Totenwollen, Sterbenwollen - in einer von der Zivilisation nur scheinbar uberdeckten Daseinsschicht bestandig gleichbleiben, und die der formverleihende Geist - gerade deswegen - in immer neuen Kulturgebilden zugleich offenbaren und bandigen muB.

    Die Aufgabe, die Geschichte dieser Ausdrucks-Formen zu schreiben und sie dabei sowohl ais Ausdruck wie ais Formen darzustellen, hatte nun aber nicht einmal gesehen werden konnen, wenn Warburg sich nicht, ebenfalls schon mit dem ersten Beginn seines Forscherdaseins, einer Tatsache gewiB gewesen ware, die fur ihn einer Denknotwendigkeit gleichkam: der Tatsache, daB die gr i e-c h i s c h e A n t i k e es gewesen sei, die jenen Doppelkampf des Geistes-den Kampf urn die Offenbarung und die Bandigung der menschlichen Ur-Er-regtheit - zum ersten Male vollig durchgekampft habe, und daB den Sieges-denkmalern diese Kampfes, den "Formen" der griechischep Religiosit~h und des griechischen Denkens nicht minder ais den "Formen" der griechischen Kunst, in der Kulturgeschichte Europas eine ganz andere Bedeutung zukom-me, ais man bis dahin zu meinen pflegte: nicht nur die Bedeutung von "Nor-men", nach denen sich ein idealisch gestaltendes Denken zurichten vermoch-te, sondern ebensowohl die Bedeutung von Erregungsfaktoren, die unter-druckte Leidenschaften wachruten und sprachlos gewordenen Leidenschaften zum Ausdruck verhelfen konnten; und sowohl in dieser ais in jener Bedeu-tung, sowohl ais Tragerin heiligen EbenmaBes wie ais damonische Meduse, muBte die Antike immer wieder vergessen, immer wieder gewonnen und wieder uberwunden werden.

    Von dem Problem, dies alles darzustellen, ist also schon der Jungiing er-griffen gewesen. Aber noch konnte er nicht voraussehen, auf welche Wege es ihn treiben wurde. Er war ausgegangen von einem Vergleich des Kunst-werks mit den AuBerungen von Dichtern und Kunsttheoretikern; allein der ge-meinsame Fluchtpunkt, dem diese drei Linien zuzustreben schienen, erwies sich ais das Zentrum eines Kreises mit unendlich vielen Radien. Nicht nur die Dichtung und die Kunsttheorie, sondern auch der Kult, die Sprache, die Philosophie, die Mathematik und die Naturwissenschaften, kurzurn die ganze

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    Summe dessen, was Ernst C a s s i r e r ais die Welt der "symbolischen Formen" systematisch begrunden sollte, muBte Warburg historisch zu er-fassen suchen. Ja mehr noch: das Festwesen, das Rechts- und Wirtschafts-leben ais die praktische Voraussetzung des immerwahrenden Kulturaus-tausches nicht nur zwischen den Volkern, sondern auch zwischen den Zei-ten,- all das muBte in die Betrachtung mit einbezogen werden.

    Und wenn all diese Wege in die Weite zu fuhren schienen, so gab es andere, die in Tiefen drangen -in Tiefen, vor denen es den Zuschauern oft schwindel-te. Der Forscher, der mit der Beobachtung des "auBerlich bewegten Bei-werks" begonnen hatte und der gleichwohl von Anfang an zu Erkenntnis der innerlich erregten Seele strebte, muBte die Leidenschaften, deren ge-staltete Form er durchdringen wollte, ais wirksame Krafte unmittelbar zu erleben suchen; und dies Bedurfnis trieb ihn nicht nur an die Wohnplatze und Kulturstatten primitiver Volker, sondern auch in geistige Bezirke, die vor ihm nur wenige, und unter diesen wenigen kein Kunsthistoriker, zu be-treten gewagt hatten: in die Gebiete der Astrologie und Magie, der Zeichen-deutung und der Prophezeiungen, kurz in die Regionen jenes "wusten Aberglaubens", der gleichwohl- auch er ein heilig-unheiliges Erbteil des Alter-tums - in entscheidenden Perioden der europaischen Geistesgeschichte einer der machtigsten Erregungs- und schlieBiich auch Entwicklungsfaktoren gewesen war. Gerade diese Erkenntnis wird nicht zum mindesten Warburg verdankt: es ist das merkwurdige Ergebnis seines wissenschaftlichen Wirkens, daB all die dunklen Schachte, in die der Geist der Vergangenheit hinabge-stiegen war und in die der Forscher ihm nachzufolgen wagte, sich schlieBiich immer wieder ais abenteuerliche Wege zum Lichte erwiesen. Warburg ge-lang es, aufzuzeigen, daB gerade die Sintflut- und Wunderzeichenangst der deutschen Renaissance die Taten Luther und Durers begreiflich mache und daB aus der arabischen Astrologie die Leistung Keplers verstandlich werde; und er konnte aus den verzerrten Vorstellungen der mittelalterli-chen Mythographie etwas wie einen neuen Raftael aufsteigen lassen. Denn er hatte die Kraft, in der Re z e p t i o n s g e s c h i c h t e d er A n t i k e, wie er sie verstand, die S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g d e s e u r o-p a i s c h e n B e w u B t s e i n s z u sehen.

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    Man darf behaupten, daB Warburgs Wirksamkeit der Kunstgeschichte, Durerisch zu reden, ein "neu Kunigreich" gezeigt und ihr die Mittel zu dessen Eroberung in die Hand gelegt hat. Allein es ware aussichtslos, mit Warburgs Arbeitsmethodik auch seinen Denkstil ubernehmen zu wollen; denn dieser ist geknupft an eine unwiederholbare und wohl selten so vollig verwirklichte Ent-sprechung zwischen der menschlichan Person und dem wissenschaftlichen Gegenstand. Den Weg, den Warburg in der Geschichte des modernen Geistes zu erkennen glaubte - den Weg "per monstra ad sphaeram" - , diesen Weg hat er selbst nicht nur in seiner Arbeit, sondern auch in seinem Leben zu durchmessen gehabt. Er hatte jene Akte der "Befreiung", die er durch Luther, durch Kepler, durch Raftael und schlieBiich auch durch Rembrandt und Giordano Bruno vollzogen sah, niemais so nachzuerleben vermocht, wenn er nicht selber im allereigensten Sinn mit den Damonen hatte kampfen mussen und diese Damonen besiegt hatte.

    Das Wesen und das Denken Warburgs waren durch eine ungeheure Span-nung bestimmt, die man - urn einen Ausdruck zu haben - ais eine Spannung zwischen Rationalem und lrrationalem bezeichnen mag. Allein gerade diese Spannung, die er in sich selbst nicht minder ais in seinen Forschungsobjekten vorfand, gab seinem Wesen die innere Einheit. Sie fuhrte nicht zu einer romantischen Gespaltenheit, sondern zu einer faszinierenden Verbindung blendenden Witzes mit dunkler Schwermut, scharfster Verstandeskritik mit nachfuhlender Hilfsbereitschaft; und sie spiegelte sich aufs Klfrste in seinem Stil, der ein leidenschaftlich erregtes Denken in eine unvergleichlich strenge, gleichzeitig komplizierte und pragnante Sprachform preBte. Ja gerade diese Spannungen, die ein bloB kontemplatives Dasein einfach zersprengt hatten, begrundetan eine Aktivitat, die uber die Wirksamkeit eines wie immer be-deutenden Gelehrten weit hinausgriff. Beherrscht von seinem Stern, muBte er herrschen; selbst opferfahig, verlangte er Opfer; und mit derselben Gewalt-samkeit, mit der er - seit Jahren wissend, daB er allstundlich vom Tode be-droht sei - seinem eigenen Korper ein hochstes MaB von Leistungen abrang, mit eben dieser Gewaltsamkeit griff er in alle Angelegenheiten des tatigen Lebens ein, erreichte er den Aufbau seiner wundervollen Bibliothek, die nicht nur das Instrument, sondern auch die ansehauliche Darstellung seiner

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    geistigen Arbeit ist, erzwang er die Verwirklichung der mannigfaltigsten wis-senschaftlichen und auBerwissenschaftlichen Plane, in deren Auswirkung wir noch mitten inne stehen. Was er aber nicht zu erzwingen brauchte, son-dern was sich ais die unmittelbare Strahlwirkung seines Wesens von selbst ergab, war die Entstehung einer geistigen Gemeinschaft, die - sonderbarar Gegensatz - zugleich die Atmosphare Europas und die Atmosphare seines von ganzem Herzen geliebten Hamburg zur Voraussetzung hat: einer Gemein-schaft, deren Wirksamkeit sein Leben i.iberdauern wird.

    Bei allem, was er tat und was er andere zu tun veranlaBte, dachte er nicht an s ich: er h at nie Diener fur seine Person gewollt, sondern nur Mann-schaft fur sein Kolumbusschiff; und die vielen, denen er die innere und auBere Moglichkeit zu wissenschaftlicher Arbeit gab, erlebten an ihm eine Humanitat, die nur bei starken und strengen Naturen moglich ist.

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    Man darf behaupten, daB Warburgs Wirksamkeit der Kunstgeschichte, Durerisch zu reden, ein "neu Kunigreich" gezeigt und ihr die Mittel zu dessen Eroberung in die Hand gelegt hat. Allein es ware aussichtslos, mit Warburgs Arbeitsmethodik auch seinen Denkstil ubernehmen zu wollen; denn dieser ist geknupft an eine unwiederholbare und wohl selten so vollig verwirklichte Ent-sprechung zwischen der menschlichan Person und dem wissenschaftlichen Gegenstand. Den Weg, den Warburg in der Geschichte des modernen Geistes zu erkennen glaubte - den Weg "per monstra ad sphaeram" - , diesen Weg hat er selbst nicht nur in seiner Arbeit, sondern auch in seinem Leben zu durchmessen gehabt. Er hatte jene Akte der "Befreiung", die er durch Luther, durch Kepler, durch Raftael und schlieBiich auch durch Rembrandt und Giordano Bruno vollzogen sah, niemais so nachzuerleben vermocht, wenn er nicht selber im allereigensten Sinn mit den Damonen hatte kampfen mussen und diese Damonen besiegt hatte.

    Das Wesen und das Denken Warburgs waren durch eine ungeheure Span-nung bestimmt, die man - urn einen Ausdruck zu haben - ais eine Spannung zwischen Rationalem und lrrationalem bezeichnen mag. Allein gerade diese Spannung, die er in sich selbst nicht minder ais in seinen Forschungsobjekten vorfand, gab seinem Wesen die innere Einheit. Sie fuhrte nicht zu einer romantischen Gespaltenheit, sondern zu einer faszinierenden Verbindung blendenden Witzes mit dunkler Schwermut, scharfster Verstandeskritik mit nachfuhlender Hilfsbereitschaft; und sie spiegelte sich aufs Klfrste in seinem Stil, der ein leidenschaftlich erregtes Denken in eine unvergleichlich strenge, gleichzeitig komplizierte und pragnante Sprachform preBte. Ja gerade diese Spannungen, die ein bloB kontemplatives Dasein einfach zersprengt hatten, begrundetan eine Aktivitat, die uber die Wirksamkeit eines wie immer be-deutenden Gelehrten weit hinausgriff. Beherrscht von seinem Stern, muBte er herrschen; selbst opferfahig, verlangte er Opfer; und mit derselben Gewalt-samkeit, mit der er - seit Jahren wissend, daB er allstundlich vom Tode be-droht sei - seinem eigenen Korper ein hochstes MaB von Leistungen abrang, mit eben dieser Gewaltsamkeit griff er in alle Angelegenheiten des tatigen Lebens ein, erreichte er den Aufbau seiner wundervollen Bibliothek, die nicht nur das Instrument, sondern auch die ansehauliche Darstellung seiner

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    geistigen Arbeit ist, erzwang er die Verwirklichung der mannigfaltigsten wis-senschaftlichen und auBerwissenschaftlichen Plane, in deren Auswirkung wir noch mitten inne stehen. Was er aber nicht zu erzwingen brauchte, son-dern was sich ais die unmittelbare Strahlwirkung seines Wesens von selbst ergab, war die Entstehung einer geistigen Gemeinschaft, die - sonderbarar Gegensatz - zugleich die Atmosphare Europas und die Atmosphare seines von ganzem Herzen geliebten Hamburg zur Voraussetzung hat: einer Gemein-schaft, deren Wirksamkeit sein Leben i.iberdauern wird.

    Bei allem, was er tat und was er andere zu tun veranlaBte, dachte er nicht an s ich: er h at nie Diener fur seine Person gewollt, sondern nur Mann-schaft fur sein Kolumbusschiff; und die vielen, denen er die innere und auBere Moglichkeit zu wissenschaftlicher Arbeit gab, erlebten an ihm eine Humanitat, die nur bei starken und strengen Naturen moglich ist.