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Parodontitis neu einteilen – mit Hilfe der Gene! Hat die bisherige Einteilung der Parodontitis bald ausgedient? Dem Bonner Parodontologen Dr. Moritz Kebschull ist es zusammen mit Kollegen der Arbeitsgruppe von Prof. Panos Papapanou an der Columbia University in New York gelungen, eine neue Klassifikation von schweren parodontalen Erkrankungen auf Basis von genomischen Profilen zu entwickelt. Anstelle der bisherigen, nicht unumstrittenen Einteilung nach klinischen Symptomen könnte diese neuartige Klassifikation Wege zu einer früheren und sicheren Diagnose und somit auch zu einer gezielteren Behandlung schwerer Parodontalerkrankungen eröffnen. B islang wurden parodontale Erkrankungen nach den kli- nischen Kriterien der 1999 eingeführten Klassifikation im wesentlichen in zwei Hauptgruppen eingeteilt: die chronische sowie die aggressive Parodontitis. Der Terminus ,aggressive Par- odontitis‘ kennzeichnet ein Krankheitsbild, was von rapidem Verlust von zahntragenden Geweben gekennzeichnet ist und für den behandelnden Zahnmediziner eine besondere Heraus- forderung darstellt. Allerdings sind die Kriterien, welche Zahn- fleischerkrankung ,aggressiv‘ ist und welche eben nicht, sehr unscharf. Im klinischen Bild gibt es zwischen den beiden Haupt- formen der Parodontitis deutliche Überschneidungen. Man kann aber leider erst dann eine aggressive Parodontitis diagnostizie- ren, wenn bei dem Patienten bereits ein erheblicher irreversibler Schaden eingetreten ist. Aber wie kann man zu einer besseren, biologisch sinnvollen Einteilung der Parodontitis gelangen? Hier ist ein Blick über den Tellerrand der zahnmedizinischen Forschung in die Onkologie von Nutzen. Die Aggressivität des Wachstums sowie die era- pieresistenz einiger Tumorformen mit sonst sehr ähnlichem kli- nischen und histologischen Erscheinungsbild können nämlich aufgrund unterschiedlicher charakteristischer Muster der Tran- skriptomprofile der Krebszellen vorhergesagt werden. Nun stell- te sich die Frage, ob eine solche Klassifikation in Untergruppen mit verschiedenen klinischen Charakteristika auch bei Zahn- fleischerkrankungen funktionieren könnte. 240 Biopsien unter der Gen-Lupe Zur Überprüfung dieser Hypothese untersuchte die Arbeits- gruppe um Dr. Moritz Kebschull, Poliklinik für Parodon- tologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde am Universitätsklinikum Bonn, die genomweiten Transkrip- tomprofile von insgesamt 240 Biopsien parodontal erkrank- ter Gingiva von 120 Patienten mit chronischer oder aggres- siver Parodontitis. Die Probanden rauchten nicht, waren systemisch gesunden und zwischen 11 und 76 Jahre alt. Es gelang, die Präsenz von zwei Gruppen von Parodontitis- patienten mit charakteristischen genomischen Profilen festzu- stellen. Die beiden Gruppen zeigten allerdings keine Überein- stimmung mit der derzeit gängigen Klassifikation in chronische und aggressive Parodontitis. Auf der anderen Seite zeigten die beiden neuidentifizierten Gruppen von Patienten ausgeprägte Unterschiede sowohl in der klinischen Präsentation als auch in der Besiedlung der Zahnfleischtaschen mit spezfischen Parodon- talpathogenen und den Serumantikörpern gegen diese Bakterien. Die Gruppe, die durch einen erhöhten Schweregrad und eine größere Ausdehnung der Parodontitis sowie eine ausgeprägtere Infektion mit bekannten parodontalen Bakterien gekennzeich- net war, zeigte einen deutlich höheren Anteil an männlichen Patienten. Diese Beobachtung passt zu der heute als etabliert geltenden Feststellung von im Mittel schwererer Parodontitis bei Männern als bei Frauen. Schwere parodontale Erkrankungen erfordern häufig chirurgisches Eingreifen, z.B. mit resektiver Knochenchirurgie. © Moritz Kebschull medizin 22 der junge zahnarzt 02 | 2014

Parodontitis neu einteilen — mit Hilfe der Gene!

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Parodontitis neu einteilen – mit Hilfe der Gene! Hat die bisherige Einteilung der Parodontitis bald ausgedient? Dem Bonner Parodontologen Dr. Moritz Kebschull ist es zusammen mit Kollegen der Arbeitsgruppe von Prof. Panos Papapanou an der Columbia University in New York gelungen, eine neue Klassifikation von schweren parodontalen Erkrankungen auf Basis von genomischen Profilen zu entwickelt. Anstelle der bisherigen, nicht unumstrittenen Einteilung nach klinischen Symptomen könnte diese neuartige Klassifikation Wege zu einer früheren und sicheren Diagnose und somit auch zu einer gezielteren Behandlung schwerer Parodontalerkrankungen eröffnen.

Bislang wurden parodontale Erkrankungen nach den kli-nischen Kriterien der 1999 eingeführten Klassi� kation im

wesentlichen in zwei Hauptgruppen eingeteilt: die chronische sowie die aggressive Parodontitis. Der Terminus ,aggressive Par-odontitis‘ kennzeichnet ein Krankheitsbild, was von rapidem Verlust von zahntragenden Geweben gekennzeichnet ist und für den behandelnden Zahnmediziner eine besondere Heraus-forderung darstellt. Allerdings sind die Kriterien, welche Zahn-� eischerkrankung ,aggressiv‘ ist und welche eben nicht, sehr

unscharf. Im klinischen Bild gibt es zwischen den beiden Haupt-formen der Parodontitis deutliche Überschneidungen. Man kann aber leider erst dann eine aggressive Parodontitis diagnostizie-ren, wenn bei dem Patienten bereits ein erheblicher irreversibler Schaden eingetreten ist.

Aber wie kann man zu einer besseren, biologisch sinnvollen Einteilung der Parodontitis gelangen? Hier ist ein Blick über den Tellerrand der zahnmedizinischen Forschung in die Onkologie von Nutzen. Die Aggressivität des Wachstums sowie die � era-pieresistenz einiger Tumorformen mit sonst sehr ähnlichem kli-nischen und histologischen Erscheinungsbild können nämlich aufgrund unterschiedlicher charakteristischer Muster der Tran-skriptompro� le der Krebszellen vorhergesagt werden. Nun stell-te sich die Frage, ob eine solche Klassi� kation in Untergruppen mit verschiedenen klinischen Charakteristika auch bei Zahn-� eischerkrankungen funktionieren könnte.

240 Biopsien unter der Gen-LupeZur Überprüfung dieser Hypothese untersuchte die Arbeits-gruppe um Dr. Moritz Kebschull, Poliklinik für Parodon-tologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde am Universitätsklinikum Bonn, die genomweiten Transkrip-tompro� le von insgesamt 240 Biopsien parodontal erkrank-ter Gingiva von 120 Patienten mit chronischer oder aggres-siver Parodontitis. Die Probanden rauchten nicht, waren systemisch gesunden und zwischen 11 und 76 Jahre alt. Es gelang, die Präsenz von zwei Gruppen von Parodontitis-patienten mit charakteristischen genomischen Pro� len festzu-stellen. Die beiden Gruppen zeigten allerdings keine Überein-stimmung mit der derzeit gängigen Klassi� kation in chronische und aggressive Parodontitis. Auf der anderen Seite zeigten die beiden neuidenti� zierten Gruppen von Patienten ausgeprägte Unterschiede sowohl in der klinischen Präsentation als auch in der Besiedlung der Zahn� eischtaschen mit spez� schen Parodon-talpathogenen und den Serumantikörpern gegen diese Bakterien. Die Gruppe, die durch einen erhöhten Schweregrad und eine größere Ausdehnung der Parodontitis sowie eine ausgeprägtere Infektion mit bekannten parodontalen Bakterien gekennzeich-net war, zeigte einen deutlich höheren Anteil an männlichen Patienten. Diese Beobachtung passt zu der heute als etabliert geltenden Feststellung von im Mittel schwererer Parodontitis bei Männern als bei Frauen.Schwere parodontale Erkrankungen erfordern häufig

chirurgisches Eingreifen, z.B. mit resektiver Knochenchirurgie.

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Halbblindes Kleinkind

Zähne drückten Sehnerv abEin paar Zähne zu viel fanden Ärzte im Kopf eines kleinen Jungen. Aber nicht etwa im Kiefer, sondern über der Sella turcica hatten sich die 40 überzähligen Zähne eingenistet.

Weil seine Sehstärke auf beiden Augen nachgelassen hatte, musste der gerade mal 18 Monate alte Junge ärztlich behan-delt werden. Nach einer Augenspiegelung gingen die Ärzte zuerst von einer Athrophie des linken Sehnervs aus. Doch das Labor brachte die Verdachtsdiagnose ins Schwanken: Erhöhte Werte für Prolaktin, TSH und T3 veranlassten die Ärzte, wei-terzusuchen. Und tatsächlich, das MRT in der Uniklinik für Neuroradiologie von Montpellier zeigte einen großen hete-rogenen Tumor im Kopf des Jungen. Und damit nicht genug, in der T1- und T2-gewichteten Sequenz entdeckten die Ärzte kalkhaltige Körper in der Geschwulst, die sich auch im CT darstellen ließen. Der anschließende neurochirurgische Ein-gri� , der über die Keilbeinhöhle erfolgte, brachte ein Teratom mit 40 Zähnen zu Tage. Von den überzähligen Beißern befreit, verbesserte sich der Zustand des Jungen wieder. Auf dem lin-ken Auge blieb seine Sehstärke allerdings verringert. (ch)Vendrell J-F et al, Lancet 2010, 375:1556

Hingucker

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Ein Tumor voller Zähne (rechts: im CT,

unten: intraoperativ).

Diese Daten zeigen, dass eine Klassi� kation auf der Basis geno-mischer Pro� le der betro� enen Gewebe sowohl biologisch als auch klinisch unterschiedliche Gruppen identi� zieren kann. Die neue ‚molekulare‘ Klassi� kation ist die erste ihrer Art in der Zahnmedizin, und könnte, weil sie auf der jedem Phäno-typ zugrunde liegenden Pathophysiologie und nicht unschar-fen, nicht eindeutig fassbaren Symptomen basiert, zu einer ver-besserten Diagnose und � erapie beitragen.

Es gibt noch viel zu tunAllerdings gibt es vor einem breiten Einsatz in der Klinik noch einiges zu tun. So muss überprü� werden, ob die neue Klassi� -kation neben der hier gezeigten Au� eilung in verschiedene kli-nische Phänotypen auch die zukün� ige Erkrankungsintensität und das Ansprechen auf therapeutische Bemühungen vorhersa-gen kann. Hierzu ist es wesentlich, einfach zu erfassende Para-meter zu identi� zieren, die eine unkomplizierte Einteilung in eine der molekularen Klassen ermöglicht. Denn eine Diagnostik, die auf der genomweiten Untersuchung eines chirurgisch ent-fernten Stückes Gingiva beruht, wäre sehr unpraktisch. Diese Parameter könnten z.B. charakteristische Antikörper im Blut oder besondere Proteine im Speichel sein. Ein Nachweis dieser Parameter und damit eine spezi� sche Diagnose könnte ähnlich wie bei dem heute in Zahnarztpraxen gängigen Nachweis von parodontalen Bakterien durchgeführt werden.

Ein solches Vorgehen hätte enorme Vorteile gegenüber der derzeitigen klinischen Routine. In der zahnärztlichen Praxis könnte so unkompliziert und schon zu einem sehr frühen Zeit-punkt eine sichere Diagnose gestellt werden. Bei Nachweis der schwereren Parodontitisform könnte darauf schon frühzeitig und beherzt eingegri� en werden – idealerweise schon bevor signi� -kanter, irreversibler Schaden entstanden ist.

Pressemitteilung der Universität Bonn

Die Ergebnisse der Arbeit wurden unlängst in der renommierten Fachzeitschrift ‚Journal of Dental Research‘ online veröffentlicht J Dent Res. 2014 May;93(5):459-68.

Dr. Moritz Kebschull //Poliklinik für Parodontologie, Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Universität Bonn

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