43
Patientenversorgung im Krankenhaus im Spannungsverhältnis zwischen Ethik und Ökonomie Georg Marckmann Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Ethikbeirat ATEGRIS Krankenhäuser Mülheim/Ruhr, 12. März 2012

Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

  • Upload
    others

  • View
    9

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Patientenversorgung im Krankenhaus im Spannungsverhältnis zwischen Ethik und Ökonomie

Georg Marckmann Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin

Ethikbeirat ATEGRIS Krankenhäuser Mülheim/Ruhr, 12. März 2012

Page 2: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Gliederung o  Problemhintergrund o  Strategien zum Umgang mit der

Mittelknappheit o  Situation im Krankenhaus

n  Personal (v.a. Pflegebereich) n  Leistungen

o  Handlungsoptionen im Krankenhaus n  Makroebene: Finanzierung der Krankenhäuser n  Mesoebene: Wertemanagement, Ethikkomitee/

Ethikberatung, kostensensible Leitlinien n  Mikroebene: „Ethisches Kostenbewusstsein“

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 2

Page 3: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Medizinischer Fortschritt

Demographischer Wandel

Begrenzte Einnahmen

Nachfrage á Angebot â

Mittelknappheit im Gesundheitswesen

+

Strategien? Mülheim, 12.03.12 3 Georg Marckmann, LMU

Page 4: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Medizinischer Fortschritt

Demographischer Wandel

Reduzierte Einnahmen

Nachfrage á Angebot â

Mittelknappheit im Gesundheitswesen

+

Effizienzsteigerungen (Rationalisierungen) Erhöhung der Mittel im

Gesundheitswesen

Charybdis

Leistungsbegrenzungen (Rationierungen)

Skylla

Page 5: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU

o  BMBF-Forschungsverbund Allokation: Repräsentative Umfrage 2008 unter 1137 Klinikern in D aus Intensivmedizin & Kardiologie, Rücklauf: 507 Bögen (45%)

o  Frage: Wie häufig haben Sie in den letzten 6 Monaten eine für den Patienten nützliche Maßnahme aus Kostengründen nicht durchgeführt bzw. durch eine preiswertere und zugleich weniger effektive Leistung ersetzt?

o  Nie: 22% o  Seltener als monatlich: 32% o  Monatlich: 33% o  Wöchentlich: 11% o  Täglich: 2%

78% 13%

Leistungsbegrenzung: Empirische Daten

Strech, D. et al. (2009) Ausmaß und Auswirkungen von Rationierung in deutschen Krankenhäusern. DMW 2009;134:1-6.

5

Page 6: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 6

Ethische Entscheidungskonflikte

o  „Weil die finanziellen Mittel im Gesundheitswesen begrenzt sind, können bereits heute nicht mehr alle medizinisch nützlichen Leistungen bei GKV-Versicherten erbracht werden“. n  72% Stimme voll zu/Stimme eher zu

o  „Jeder Arzt ist dazu verpflichtet, allen Patienten unabhängig von den entstehenden Kosten stets die bestmögliche Diagnostik und Therapie anzubieten“. n  83% Stimme voll zu/Stimme eher zu

Page 7: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 7

Wer soll entscheiden? o  Wenn in einem Gesundheitssystem nicht alle medizinisch

nützlichen Leistungen finanziert werden können, sollten Ärzte jeweils im Einzelfall entscheiden, welcher Patient welche Leistungen erhält. n  53% (stimme voll zu + stimme eher zu)

o  Wenn in einem Gesundheitssystem nicht alle medizinisch nützlichen Leistungen finanziert werden können, sollte „oberhalb“ der individuellen Arzt-Patient-Beziehung in allgemeinen Regeln (z.B. in Positivlisten, Leitlinien oder ähnlichem) festgelegt werden, welche Leistungen bei welcher Indikation durch die GKV erstattet werden. n  74% (stimme voll zu + stimme eher zu)

o  Vergleichbare Ambivalenz in den Tiefeninterviews!

Strech, D. et al. (2009) Ausmaß und Auswirkungen von Rationierung in deutschen Krankenhäusern. DMW 2009;134:1-6.

Page 8: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU

Kriterien ärztlicher Entscheidung bei Mittelknappheit

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Ob der betreffendePatient schwer oder

leicht erkrankt ist

Das Lebensalter desPatienten

Ob der betreffendePatient akut oder

chronisch erkrankt ist

sehr relevant etwas relevant

72%

78%

81%

0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%

Die Wünsche undWertvorstellungen des

Patienten

Meine eigenenWertvorstellungen

Mein Verhältnis zu demPatienten

sehr relevant etwas relevant

60%

69%

28%

8

Page 9: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Leistungsbegrenzungen (Rationierungen)

explizit implizit

Vergütungsformen • DRGs • Kopfpauschalen • Bonus-/Malus-System

Zuzahlungen •  Fixbetrag • Prozentual • Selbstbehalt

Budgets Finanzielle Anreize

Leistungs-erbringer

Versicherte/ Patienten

Leistungs-ausschlüsse

Versorgungs-Standards

•  Transparent •  Konsistent •  Medizinisch rationaler •  Gerechter (Gleichbehandlung) •  Entlastet A-P-Beziehung •  Simultane Steuerung von

Kosten und Qualität

Page 10: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Rahmenbedingungen im Krankenhaus

o  Prospektive Vergütung mit Fallpauschalen (DRGs) ð steigender Kostendruck für Krankenhäuser

o  Reaktion der Krankenhäuser (u.a.) ð  Enge Budgetvorgaben für die Abteilungen ð  Produktivität ↑ ð Leistungsverdichtung

o  Fallzahl ↑ o  Verweildauer der Patienten ↓

ð  Rationalisierungsbemühungen o  Umstrukturierung von Abteilungen o  Optimierung organisatorischer Abläufe o  Outsourcing

ð  Einsparungen durch Personalabbau o  v.a. im Pflegebereich!

ð  Implizite Rationierung von medizinischen & Pflege-Leistungen

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 10

Page 11: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Konsequenzen für Pflegepersonal o  Anstieg der Mehrarbeitsstunden: 745.000h (2003) ð

850.000h (2006) (2006 = ~5.000 Vollzeitstellen) o  Erhöhte Arbeitsbelastung (Pflege-Thermometer 2007)

n  92%: Arbeitsbelastung von 2005 nach 2006 gestiegen n  84,4%: Aufwand für Koordination, Administration und

Dokumentation ↑ o  Patientenzahlen ↑ ð Therapie, Diagnostik, Patiententransporte,

Anforderungsscheine ↑ ð Verwaltungs- & Transportaufgaben für Pflegende ↑

n  69,6%: Betreuungsleistung für Angehörige ↑ n  91,3%: Aufwand für direkte Patientenversorgung ↑ durch

höhere Pflegebedürftigkeit der Patienten o  Belastung der Pflegenden: Burnout ↑, Arbeitszufriedenheit ↓

(z.B. NEXT-Studie, Aiken et al. 2002) o  Schlechtere Bedingungen für Ausbildung & Einarbeitung

neuer MitarbeiterInnen

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 11

Page 12: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Wo liegt das Problem?

o  Vordergründiger Konflikt: Ökonomische Interessen des KH ó Wohlergehen der Mitarbeiter

o  Ethische Relevanz des Personalabbaus: Auswirkungen auf Wohlergehen der Patienten?? n  Effizienzgewinn oder Qualitätsverlust??

o  Empirische Fragestellung n  IQWiG-Bericht 2006, Nr.: Für D keine hinreichenden

empirischen Daten (noch aktuell?) n  Aber: verschiedene Internationale Studien belegen

Zusammenhang zwischen Pflegekapazität und Versorgungsqualität!

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 12

Page 13: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Auswirkungen auf Versorgungsqualität

o  Aiken et al. 2002 ð  Jeder zusätzliche Patient pro Pflegekraft erhöht die

Sterbewahrscheinlichkeit (30d) der Patienten um 7%! o  Needleman et al. 2002: Höherer Anteil an höher

qualifizierten Pflegekräften („registered nurses“) ð  Harnwegsinfektionen ↓ ð  Obere GI-Blutungen ↓ ð  Pneumonien ↓ ð  Verweildauer ↓ (!!)

o  Übersicht der Canadian Health Services Research Foundation (CHSRF 2005) ð  5/7 Studien: höhere Mortalität bei niedrigerer

Pflegekapazität ð  3 Übersichtsarbeiten belegen Zusammenhang zwischen

Pflegekapazität und Patientensicherheit

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 13

Page 14: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Wie viele Pflegende benötigt das KH?

o  Erforderlich: Objektivierung des Pflegebedarfs o  Strukturdaten über Personalzahlen sind vorhanden,

inhaltliche Erfassung bislang nur ansatzweise n  Daten über pflegerische Interventionen n  Daten über Fähigkeitseinschränkungen der Patienten

(Pflegebedürftigkeit) o  Leistungserfassung in der Pflege (LEP)?

n  Möglich: Erfassung des Ist-Zustandes n  (Fern-)Ziel: Definition eines Soll-Wertes für den

Pflege-Personalschlüssel! n  Bessere Abbildung des Pflegebedarfs in den DRGs

o  Aktuelle Herausforderung: Handeln ohne die gewünschte sichere Datengrundlage

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 14

Page 15: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Handlungsoptionen o  Makroebene: Finanzierung der KHs verbessern

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 15

Page 16: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Quelle: OECD Health Data 2009, Abbildung: Rudolf Kösters (Vortrag 25.-26.03.12)

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 16

Page 17: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Quelle: OECD Health Data 2005, McKinsey-Kalkulation, Abbildung: Rudolf Kösters (Vortrag 25.-26.03.12)

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 17

Page 18: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 18

Quelle: OECD Health Data 2009, Abbildung: Rudolf Kösters (Vortrag 25.-26.03.12)

Page 19: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Handlungsoptionen o  Makroebene: Finanzierung der KHs verbessern

n  Wie viel ist erforderlich? Realistisch?

o  Mesoebene: Krankenhausorganisation n  Optimierung des Wertemanagements im KH n  Ethikkomitee / Ethikberatung bei Allokationsfragen n  Kostensensible Leitlinien

o  Mikroebene: Entscheidungen im Einzelfall n  Kostenbewusstes Handeln der Akteure im Einzelfall

fördern ➪  Modell „Ethisches Kostenbewusstsein“

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 19

Page 20: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Handlungsoptionen o  Makroebene: Finanzierung der KHs verbessern

n  Wie viel ist erforderlich? Realistisch?

o  Mesoebene: Krankenhausorganisation n  Optimierung des Wertemanagements im KH n  Ethikkomitee / Ethikberatung bei Allokationsfragen n  Kostensensible Leitlinien

o  Mikroebene: Entscheidungen im Einzelfall n  Kostenbewusstes Handeln der Akteure im Einzelfall

fördern ➪  Modell „Ethisches Kostenbewusstsein“

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 20

Page 21: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Wertemanagement im KH (1) o  Hintergrund

n  Zunehmende Unzufriedenheit der MA durch steigenden ökonomischen Druck („Diktat der Ökonomie“)

➪  Motivation der MA ↓, Krankenstand ↑ ➪  Effizienz & Wettbewerbsfähigkeit ↓ n  Leitbilder („Werteorientierung“): im Unternehmen wenig

wirksam, da von konventionellem operativem Controlling nicht erfasst

n  Prozesse im Krankenhaus nur begrenzt regelbar ð Bedeutung des Faktor „Mensch“

o  Handlungsoption: „Normatives Controlling“ n  Umsetzung der normativen Vorgaben („Leitbild“)

systematisch messen, analysieren und steuern n  Zentrales Instrument: (wiederholte) Mitarbeiterbefragungen n  Vgl. CGIFOS | MikroControlling (Stuttgart)

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 21

Page 22: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Wertemanagement im KH (2) o  Normative Vorgaben klären ð Qualitätsregeln („Leitbild“)

n  Patienten-/Kundenorientierung n  Mitarbeiterorientierung n  Führung n  Strukturen, Prozesse n  Umgang mit Ressourcen

o  Messung durch Mitarbeiterbefragung n  führungsrelevante Informationen gewinnen n  „Klimaindices“ für „interne Qualität“ des KH

o  Analyse der Ergebnisse n  Profile, Schwachstellen

o  Steuerung n  Zielvorgaben n  Maßnahmen (Transparenz, Klimazirkel, Fortbild., Anreizsysteme...) n  Wirkungskontrolle durch erneute Mitarbeiterbefragung

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 22

Quelle: CGIFOS | MikroControlling

Page 23: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Handlungsoptionen o  Makroebene: Finanzierung der KHs verbessern

n  Wie viel ist erforderlich? Realistisch?

o  Mesoebene: Krankenhausorganisation n  Optimierung des Wertemanagements im KH n  Ethikkomitee / Ethikberatung bei Allokationsfragen n  Kostensensible Leitlinien

o  Mikroebene: Entscheidungen im Einzelfall n  Kostenbewusstes Handeln der Akteure im Einzelfall

fördern ➪  Modell „Ethisches Kostenbewusstsein“

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 23

Page 24: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 24

Mögliche Aufgaben eines KEK

1.  Fortbildung 2.  Identifizierung der hausinternen

Kernprobleme 3.  Entscheidungsunterstützung im

Einzelfall (Verwaltung, Patientenversorgung)

4.  Unterstützung bei der Entwicklung von Leitlinien

5.  Evaluation Co-Author dieses Abschnittes: Daniel Strech, MHH

Page 25: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 25

1. Fortbildung

o  Hintergründe der Mittelknappheit o  Handlungsoptionen

n  Mittelerhöhungen, Rationalisierungen, Rationierungen

o  Ethische Grundlagen einer gerechten Mittelallokation n  Prozedurale vs. materiale ethische Kriterien

o  Methoden der Nutzen- & Kosten-Nutzen-Bewertung n  Übertragbarkeit auf den klinischen Kontext

o  Handlungsspielräume im Einzelfall

Page 26: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 26

2. Bewusstsein schaffen für hausinterne Kernprobleme

o  Was ist der institutionelle Status quo hinsichtlich der Ressourcenknappheit? n  Sammeln konkreter Beispiele

o  Welche spezifischen, institutionellen Kontextvariablen spielen eine Rolle? n  Eingespielte Abläufe, Trägerschaft, Abteilungsstruktur etc.

o  Welche Einstellungen und Erwartungen bestehen im Haus bzgl. Ressourcenallokation? n  Evtl. Hausinterne sozialempirische Untersuchung

o  Weitere Ziele n  Systematisierung des (hausinternen) Diskurses zum

Umgang mit Mittelknappheit n  Kritische Reflexion der hausinternen Ressourcenallokation

Page 27: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 27

3. Entscheidungsunterstützung im Einzelfall - Möglichkeiten

o  Beratung der Geschäftsführung bei wichtigen strategischen Entscheidungen zur Mittelallokation n  Hinweis auf Knappheitsprobleme & Rationalisierungsreserven n  Herausforderung: Begründete Allokation knapper Mittel im

Klinikum aufgrund fehlender Outcome-Daten & Benchmarks o  „Wann ist eine Abteilung unterfinanziert?“ o  „Welcher Personalschlüssel ist gerecht?“

o  Beratung bei kostenrelevanten klinischen Einzelfallentscheidungen: “Kosten-Fallbesprechungen“ n  Vor allem bei teuren Maßnahmen mit geringem/fraglichem

Grenznutzen für den Patienten n  Anwendung ethisch vertretbarer Zuteilungskriterien

sicherstellen n  Konsistenz der Entscheidungen sichern n  Fallbezogene Fortbildung der Mitarbeiter

Page 28: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 28

4. Leitlinien-Entwicklung o  Unterstützung der Entwicklung von Leitlinien zum

Umgang mit knappen Mitteln (1)  Allgemeine Grundsätze

n  Entwicklung eines „Leitbildes“ zum Umgang mit knappen Ressourcen

n  Vgl. Modell „Ethisches Kostenbewusstsein“ (2)  Mitarbeit bei der Entwicklung von indikationsbezogenen

kostensensiblen Leitlinien n  Konkrete Vorgaben für einzelne Leistungsbereiche n  Z.B. Einsatz von teuren Reserveantibiotika in der

Intensivmedizin n  Ziel: kostenbewusster Einsatz kostspieliger Interventionen,

Entlastung des einzelnen Entscheidungsträger

Page 29: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 29

5. Evaluation o  Evaluation der Zufriedenheit mit dem

Beratungsangebot o  Dokumentation & Evaluation von

Entscheidungen (Ergebnisse & Prozesse) n  Effekte (vorher-nachher) n  Basis für Reflexion und Weiterentwicklung n  Interne und externe Transparenz?

o  Kritische Selbstreflexion der Arbeit des KEK n  Begrenzte Reichweite der Handlungsoptionen n  „Ethik als Schmiermittel“? (vgl. Hagen Kühn)

Page 30: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Handlungsoptionen o  Makroebene: Finanzierung der KHs verbessern

n  Wie viel ist erforderlich? Realistisch?

o  Mesoebene: Krankenhausorganisation n  Optimierung des Wertemanagements im KH n  Ethikkomitee / Ethikberatung bei Allokationsfragen n  Kostensensible Leitlinien

o  Mikroebene: Entscheidungen im Einzelfall n  Kostenbewusstes Handeln der Akteure im Einzelfall

fördern ➪  Modell „Ethisches Kostenbewusstsein“

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 30

Page 31: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 31

Kostensensible Leitlinien o  Ziel: Patienten möglichst geringen (Zusatz-)Nutzen vorenthalten ð  Maßnahmen begrenzen mit

n  geringem Grenznutzen für den Patienten n  bei hohen Grenzkosten

o  Effekte ð  Optimiert den gesundheitlichen Gesamtnutzen ð  Minimiert den „Schaden“ für den Einzelnen

o  Umsetzung in der Praxis: Kostensensible Leitlinien (KSLL) n  BMBF-Forschungsverbund „Allokation“ (2006-2010) n  Grundlage: Evidenz zum Nutzen und Kosten-Nutzen-

Verhältnis medizinischer Maßnahmen n  Nutzengewinn variiert ð Patienten-Subgruppen identifizieren n  Einschränkung: Ausschluss von Patienten, die (im Vergleich

zur Alternative) nur wenig profitieren n  (Ggf. Festsetzung von Höchstpreisen)

31

Page 32: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 32

Beispiel: DES vs. BMS bei KHK

Kosteneffektivitäts-Verhältnisse

Preisdifferenz DES – BMS

400 € 800 €

Alle Patienten 98.000 €/QALY 227.000 €/QALY

Lange Läsionen (>15mm) 62.000 €/QALY 167.000 €/QALY

Kleine Gefäße (< 3mm) 33.000 €/QALY 126.000 €/QALY

Kostenübernahme nur wenn (vgl. NICE TA 152): •  das zu behandelnde Zielgefäß einen Durchmesser von

weniger als 3 mm hat oder die Läsion länger als 15 mm ist und

•  der Preisunterschied zwischen DES und BMS nicht mehr als 400 Euro beträgt.

(Ausführlichere Version: www.iegm.uni-tuebingen.de/allokation)

32

Page 33: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Handlungsoptionen o  Makroebene: Finanzierung der KHs verbessern

n  Wie viel ist erforderlich? Realistisch?

o  Mesoebene: Krankenhausorganisation n  Optimierung des Wertemanagements im KH n  Ethikkomitee / Ethikberatung bei Allokationsfragen n  Kostensensible Leitlinien

o  Mikroebene: Entscheidungen im Einzelfall n  Kostenbewusstes Handeln der Akteure im Einzelfall

fördern ➪  Modell „Ethisches Kostenbewusstsein“

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 33

Page 34: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 34

Modell „Ethisches Kostenbewusstsein“

o  Ethisch gebotener Umgang mit knappen Mitteln erfordert Rationalisierung und Rationierung

à  Widerspricht nicht notwendig den traditionellen ethischen Verpflichtungen gegenüber dem Patienten! à  Partielle Konvergenz zwischen Ethik und Ökonomie

o  Wichtig: Grenzen zwischen Rationalisierung und Rationierung sind durch die häufig unsichere Evidenz nicht scharf! à  Nutzen für den Patienten ungewiss

ð  Genau dort muss man ansetzen! n  „Schaden“ für den Einzelnen am geringsten n  Insgesamt: Nutzenmaximierung

Marckmann G, in der Schmitten J, Wie können Ärzte ethisch vertretbar Kostenerwägungen in ihren Behandlungsentscheidungen berücksichtigen? Ein Stufenmodell. Ethik in der Medizin 2011;23(4):303-314

Page 35: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 35

Ethisches Kostenbewusstsein (1)  Berücksichtigung der Evidenz zu Wirksamkeit/Nutzen

& Risiken der Maßnahmen

(2)  Konsequente Berücksichtigung individueller Patientenpräferenzen

(3) Minimierung des Ressourcenverbrauchs für das Erreichen eines Therapieziels

(4) Unterlassung von teuren Maßnahmen mit geringem/fraglichem Nutzengewinn bei Verfügbarkeit kosteneffektiverer Alternativen

a)  Lokale Versorgungsstandards b)  Im Einzelfall

o  Berücksichtigung prozeduraler Mindeststandards o  Durchführung von Kosten-Fallbesprechungen o  Beratung durch klinisches Ethik-Komitee

Individual-ethischer Therapie- verzicht

Sozial-ethischer Therapie-verzicht

ð Nutzen/Nichtschaden

ð Respekt der Autonomie

ð Nichtschaden

ð Gerechtigkeit

Page 36: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 36

Ethisches Kostenbewusstsein (1)  Berücksichtigung der Evidenz zu Wirksamkeit/Nutzen

& Risiken der Maßnahmen

(2)  Konsequente Berücksichtigung individueller Patientenpräferenzen

(3) Minimierung des Ressourcenverbrauchs für das Erreichen eines Therapieziels

(4) Unterlassung von teuren Maßnahmen mit geringem/fraglichem Nutzengewinn bei Verfügbarkeit kosteneffektiverer Alternativen

a)  Lokale Versorgungsstandards b)  Im Einzelfall

o  Berücksichtigung prozeduraler Mindeststandards o  Durchführung von Kosten-Fallbesprechungen o  Beratung durch klinisches Ethik-Komitee

Individual-ethischer Therapie- verzicht

Sozial-ethischer Therapie-verzicht

ð Nutzen/Nichtschaden

ð Respekt der Autonomie

ð Nichtschaden

ð Gerechtigkeit

Page 37: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 37

Berücksichtigung v. Patientenpräferenzen

o  Klinisch-ethische Beratung ð konsequente Berücksichtigung von Wohl & Wille (Präferenzen) des Patienten

o  Randomisierte kontrollierte Multicenter-Studie von Schneiderman et al. (JAMA 2003;290(9):1166-72): n  551 ICU-Patienten n  2 Arme: klinische Ethikberatung ja/nein

à  Mortalität: kein Unterschied à  Im KHS versterbende Patienten mit Ethikberatung:

n  Krankenhaustage ↓ (-2.95 d, p=.01) n  ICU – Tage ↓ (-1.44 d, p=.03) n  Beatmungstage ↓ (-1.7 d, p=.03)

à  klinisch-ethische Beratung fördert individualethischen Therapieverzicht (+ kann Kosten in Todesnähe reduzieren!)

Page 38: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 38

Ethisches Kostenbewusstsein (1)  Berücksichtigung der Evidenz zu Wirksamkeit/Nutzen

& Risiken der Maßnahmen

(2)  Konsequente Berücksichtigung individueller Patientenpräferenzen

(3) Minimierung des Ressourcenverbrauchs für das Erreichen eines Therapieziels

(4) Unterlassung von teuren Maßnahmen mit geringem/fraglichem Nutzengewinn bei Verfügbarkeit kosteneffektiverer Alternativen

a)  Lokale Versorgungsstandards b)  Im Einzelfall

o  Berücksichtigung prozeduraler Mindeststandards o  Durchführung von Kosten-Fallbesprechungen o  Beratung durch klinisches Ethik-Komitee

Individual-ethischer Therapie- verzicht

Sozial-ethischer Therapie-verzicht

ð Nutzen/Nichtschaden

ð Respekt der Autonomie

ð Nichtschaden

ð Gerechtigkeit

Page 39: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 39

Ethisches Kostenbewusstsein (1)  Berücksichtigung der Evidenz zu Wirksamkeit/Nutzen

& Risiken der Maßnahmen

(2)  Konsequente Berücksichtigung individueller Patientenpräferenzen

(3) Minimierung des Ressourcenverbrauchs für das Erreichen eines Therapieziels

(4) Unterlassung von teuren Maßnahmen mit geringem/fraglichem Nutzengewinn bei Verfügbarkeit kosteneffektiverer Alternativen

a)  Lokale Versorgungsstandards b)  Im Einzelfall

o  Berücksichtigung prozeduraler Mindeststandards o  Durchführung von Kosten-Fallbesprechungen o  Beratung durch klinisches Ethik-Komitee

Individual-ethischer Therapie- verzicht

Sozial-ethischer Therapie-verzicht

ð Nutzen/Nichtschaden

ð Respekt der Autonomie

ð Nichtschaden

ð Gerechtigkeit

Page 40: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, Universität Tübingen 40

Prozedurale Gerechtigkeits-Standards

o  Transparenz ð Aufklärung der Patienten o  Konsistenz ð gleiche Zuteilungskriterien und

Bewertungsstandards bei allen Patienten o  Begründung ð nachvollziehbare Argumente o  Evidenzbasierung ð Berücksichtigung der verfügbaren

Evidenz zu Nutzen & Risiken o  Widerspruchsmöglichkeiten für Patient bei Verweigerung

einer gewünschten Leistung

o  Kosten-Fallbesprechung/Beratung durch klinisches Ethikkomitee à  Entlastet den einzelnen Arzt à  Erhöht medizinische Rationalität der Zuteilungsentscheidungen à  Sichert die (lokale) Konsistenz der Zuteilungsentscheidungen

Page 41: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Teure med. Maßnahme

Lokaler Versor-gungsstandard?

ja Nach Versorgungs-standard behandeln

Individualethischer Therapieverzicht? - Prognoseabschätzung - Patientenpräferenzen

ja Maßnahme nicht

durchführen

nein

Gerechtigkeitsethischer Therapieverzicht?

Indikation durch Leitlinie belegt?

nein

Maßnahme durchführen

ja

Evidenzgrad für Nutzen?

Maßnahme durchführen

hoch Kostengünstigere Alternative verfügbar?

ja

niedrig

nein

Alternative Maß- nahme durchführen

Maßnahme durchführen

nein

Page 42: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

Mülheim, 12.03.12 Georg Marckmann, LMU 42

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

o  Literatur: o  Marckmann G, Gesundheit und Gerechtigkeit.

Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2008;51(8):887-894

o  Strech D, Danis M, Löb M, Marckmann G, Ausmaß und Auswirkungen von Rationierung in deutschen Krankenhäusern. Ärztliche Einschätzungen aus einer repräsentativen Umfrage. Deutsche Medizinische Wochenschrift (DMW) 2009;134:1261-1266

o  Marckmann G, in der Schmitten J, Wie können Ärzte ethisch vertretbar Kostenerwägungen in ihren Behandlungsentscheidungen berücksichtigen? Ein Stufenmodell. Ethik in der Medizin 2011;23(4):303-314

o  Kontakt: [email protected]

Page 43: Patientenversorgung im Krankenhaus im ... - LMU

43

Winkler et al. Lancet Oncology 2011