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Persönliche PDF-Datei für Thomas Drechsler Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag www.thieme.de Korrektur der vertikalen Dimension in der Aligner-Therapie DOI 10.1055/a-1026-2458 ZWR Das Deutsche Zahnärzteblatt 2019; 128: 632645 Dieser elektronische Sonderdruck ist nur für die Nutzung zu nichtkommerziellen, persönlichen Zwecken bestimmt (z. B. im Rahmen des fachlichen Austauschs mit einzelnen Kollegen und zur Ver- wendung auf der privaten Homepage des Autors). Diese PDFDatei ist nicht für die Einstellung in Repositorien vorgesehen, dies gilt auch für soziale und wissenschaftliche Netzwerke und Plattformen. Verlag und Copyright: © 2019 by Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart ISSN 0044-166X Nachdruck nur mit Genehmigung des Verlags

Persönliche PDF-Datei für Thomas Drechsler · 2020. 3. 15. · größer 0,5–2mm die klinische Umsetzung der vertikalen Bewe-gung verbessern [15]. Dabei entsprechen diese in ihrer

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Persönliche PDF-Datei für

Thomas Drechsler

Mit den besten Grüßen vom Georg Thieme Verlag www.thieme.de

Korrektur der vertikalen Dimensionin der Aligner-Therapie

DOI 10.1055/a-1026-2458ZWR – Das Deutsche Zahnärzteblatt 2019; 128:632–645

Dieser elektronische Sonderdruck ist nur für dieNutzung zu nicht‑kommerziellen, persönlichenZwecken bestimmt (z.B. im Rahmen des fachlichenAustauschs mit einzelnen Kollegen und zur Ver-wendung auf der privaten Homepage des Autors).Diese PDF‑Datei ist nicht für die Einstellung inRepositorien vorgesehen, dies gilt auch für sozialeund wissenschaftliche Netzwerke und Plattformen.

Verlag und Copyright:© 2019 byGeorg Thieme Verlag KGRüdigerstraße 1470469 StuttgartISSN 0044-166X

Nachdruck nurmit Genehmigungdes Verlags

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Autor

Thomas Drechsler

Institut

Fachpraxis für Kieferorthopädie, Wiesbaden

Schlüsselwörter

Aligner, Invisalign, Biomechanik, offener Biss, Tiefbiss

Key words

Clear Aligner, Invisalign, biomechanics, open bite, deep bite

Bibliografie

DOI https://doi.org/10.1055/a-1026-2458

ZWR – Das Deutsche Zahnärzteblatt 2019; 128: 632–645

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York |

ISSN 0044-166X

Korrespondenzadresse

Dr. Thomas Drechsler

Fachpraxis für Kieferorthopädie

Wilhelmstraße 40, 65183 Wiesbaden

Tel.: + 49(0)61139666, Fax: + 49 (0)61139655

[email protected]

www.kfo-wiesbaden.de

ZUSAMMENFASSUNG

Bei den bekannten, fest auf den Zähnen angebrachten Appa-

raturen sind in den meisten Fällen die elastischen Eigenschaf-

ten verschiedener Metalllegierungen für die Zahnauslenkun-

gen verantwortlich. Aber auch die flexiblen Materialeigen-

schaften von bestimmten Kunststoffarten lassen sich zur

Zahnbewegung nutzen. Seit fast 20 Jahren hat sich durch im

CAD/CAM-Großserienverfahren hergestellte, thermoplas-

tische Polyurethan-Kunststoff-Schienen das Indikationsspek-

trum der Aligner-Therapie aufgrund technologischen Fort-

schritts der verschiedenen Aligner-Hersteller und der Erfah-

rung der Behandler zunehmend erweitert. Unter anderem

durch die Weiterentwicklung spezieller Attachments, Mate-

rialien oder der digitalen Planungssoftware kann beobachtet

werden, dass bei verantwortungsvoller, korrekter Planung sei-

tens des in dieser Technik erfahrenen Kieferorthopäden und

unbedingter Compliance seitens des Patienten mittlerweile

auch anspruchsvolle kieferorthopädische Behandlungen, wie

die Therapie des frontal offenen oder tiefen Bisses, größten-

teils vorhersagbar mit Alignern durchgeführt werden können.

Hierbei bedarf es jedoch auf Basis einer umfassenden Anam-

nese und Diagnostik einer genauen Berücksichtigung patien-

tenspezifischer Parameter wie unter anderem Alter, mögli-

cher Parafunktion, skelettaler Konfiguration, Parodontalzu-

stand und Funktionsbefund durch den erfahrenen Fachzahn-

arzt. Dieser muss unter Wahrung der bekannten biomecha-

nischen Prinzipien die Anwendung der modernen software-

gestützten Applikationen so zu nutzen wissen, dass aus einer

virtuellen Computersimulation eine realistische, klinische Um-

setzung resultiert. Anhand von Fallbeispielen werden exem-

plarisch die Chancen und Grenzen der Aligner-Therapie auf-

gezeigt, die zur Korrektur der vertikalen Dimension gegeben

sind.

ABSTRACT

In well-known fixed appliances on teeth, in most cases, the

elastic characteristics of various metal alloys are responsible

for the tooth deflections. But also the flexible material charac-

teristics of certain types of plastic can be used for tooth move-

ment. For almost 20 years, thermoplastic polyurethane-plas-

tic splints produced using CAD/CAM mass production meth-

ods have been increasingly used to expand the range of indi-

cations for aligner therapy due to the technological progress

of the various aligner manufacturers and the experience of

the orthodontist. Through the development of special attach-

ments, aligner features, or digital treatment software it can

be recognized that with proper planning by the experienced

orthodontist, complex orthodontic treatments, such as the

treatment of frontal open and deep bite, predictable treat-

ment outcomes performed with Aligners are possible. How-

ever, this requires a specific diagnosis of the individual pa-

tient, detailed parameters such as age, possible parafunction,

skeletal configuration, periodontal condition, functional signs

and symptoms, and patient compliance – by the experienced

orthodontist. He must responsibly use the well-known biome-

chanical principles in combination with the software-tools in

such a way that a virtual computer treatment simulation re-

sults in a realistic clinical outcome. By means of case studies,

the chances and limitations of the aligner therapy, which are

given for the correction of the vertical dimension, are shown.

Korrektur der vertikalen Dimension in der Aligner-Therapie

Correction of the Vertical Dimension with Aligners

Wissenschaft | Kieferorthopädie

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Intrusion Extrusion

Tiefbiss Offener Biss

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Tiefbiss Offener Biss

Intrusion Extrusion

▶ Abb. 1 a Kraftapplikation zur Behandlung von Tiefbiss und offe-nem Biss – klinische Behandlungsbeispiele vor Aligner-Therapie.b Kraftapplikation bei Tiefbiss und offenem Biss nach Behandlungmit Alignern.

▶ Abb. 2 Extrusionsversuche ohne Attachments führen zur Diskre-panz am Aligner-Rand – hier am Beispiel der Zähne 11, 21.

Extrusion der maxillären Frontzähne en masse

Optimized Extrusion Attachment für einzelnen Frontzahn

▶ Abb. 3 Optimized Extrusion Attachments zur Einzelzahn- undEn-masse-Extrusion.

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Die Initialisierung einer orthodontischen Zahnbewegung ge-schieht in aller Regel durch Auslenkung eines Werkstoffes, dessenRückstellkraft sich in geeigneter Weise auf die Zähne übertragenlässt. Bei den bekannten, fest auf den Zähnen angebrachtenApparaturen sind in den meisten Fällen die elastischen Eigen-schaften verschiedener Metalllegierungen der orthodontischenBögen für die Zahnauslenkungen verantwortlich. Aber auch dieflexiblen Materialeigenschaften von bestimmten Kunststoffartenlassen sich zur Zahnbewegung nutzen. Ab der im Jahr 2001 durcheinen US-amerikanischen Hersteller erfolgten Markteinführung inEuropa von im CAD/CAM-Großserienverfahren hergestellten,thermoplastischen Polyurethan-Kunststoff-Schienen [1] gewanndiese schon lange vorher bekannte Technik, mittels sogenannterherausnehmbarer Aligner Kraft auf Zähne zu applizieren, in denletzten Jahren weltweit immer mehr an Bedeutung. Mittlerweilegibt es alleine im europäischen Raum über 50 verschiedeneAligner-Hersteller [2], wobei Invisalign des Herstellers Align Tech-nology mit bereits mehr als 6 Mio. behandelten Patienten den glo-balen Marktführer darstellt [3].

Wurde durch die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie(DGKFO) in ihrer Stellungnahme von 2010 ursprünglich nur eineingeschränkter Indikationsbereich, unter anderem die Behand-lung dentoalveolärer Korrekturen im Sinne von „moderatem fron-talem Eng- und Lückenstand“ und „geringer In-, Extrusionen“ bei

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„stabiler neutraler Interkuspidation“ beschrieben [4], hat sich dasTherapiespektrum für die Miniplastschienen-Therapie inzwischendeutlich erweitert [5–7].

Spezifische Attachments zur Extrusionsbewegung, Impressi-onsflächen in Alignern zur gezielteren Frontzahntorquebewegungoder auch flexibleres, mehrschichtiges Aligner-Material sind unteranderem als Grund eines mit der Zeit gestiegenen Indikations-bereichs zu nennen. So wurden z.B. spezielle Tools, wie inter-aktive „Bite Ramps“ auf den oberen Inzisiven in Kombination mitentsprechenden Attachments zur gezielteren Behandlung von

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▶ Abb. 4 a Klinisches Erscheinungsbild von Extrusionsattachments ohne Aligner bei Stage 17 von 36. b Klinisches Erscheinungsbild von Extrusi-onsattachments mit eingesetztem Aligner bei Stage 17 von 36.

▶ Abb. 5 a Behandlungsindikation offener Biss – extraorale Frontansicht zu Behandlungsbeginn. b Extraorale Frontansicht mit Lächeln zuBehandlungsbeginn. c Extraorale Schräglateralansicht mit Lächeln zu Behandlungsbeginn. d Extraorale Profilansicht zu Behandlungsbeginn.

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▶ Abb. 6 Unterkiefer-Okklusalansicht – trotz suffizientem Retainerin situ zeigt sich ein deutliches Rezidiv nach vorheriger Behandlung.

▶ Abb. 7 a DVT-Rekonstruktion im FRS-Darstellungmodus zuBehandlungsbeginn. b DVT-Rekonstruktion im Panoramamodus zuBehandlungsbeginn.

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Tiefbissen entwickelt. Neuerdings wurden auch rampenartige,

distobukkal angebrachte Flügel in Alignern integriert, welche,ähnlich einer funktionskieferorthopädischen Twin-Block-Appara-tur, bei jugendlichen Patienten in der Wachstumsphase zu einerBeeinflussung der intermaxillären Kieferrelation [8] führen sollen.Neben solchen technologischen Entwicklungen der Aligner-Fir-men, was bspw. auch deren digitale Planungssoftware betrifft, istauch die jeweils individuelle Lernkurve des einzelnen Behandlersmit verantwortlich für die steigende Komplexität der behand-lungsfähigen Malokklusionen mittels Aligner. So hat sich dieseTherapieoption in den letzten 20 Jahren zu einem wesentlichen,nicht mehr ignorierbaren Bestandteil insbesondere in der Erwach-senen-Kieferorthopädie entwickelt. Aber auch immer mehr Kin-der und Jugendliche werden inzwischen selbst bei Lösung kompli-zierter Behandlungsaufgaben bereits in denWechselgebissphasenmit transparenten Miniplastschienen therapiert. Steht bei Er-wachsenen der ästhetische Aspekt und die geringere Einschrän-kung im Alltag und Beruf, was Phonetik und Erscheinungsbild be-trifft, im Vordergrund [9], sind es bei jungen Patienten insbeson-dere auch die Vorteile des scheinbar geringeren Dekalzifizierungs-risikos während der kieferorthopädischen Behandlung gegenüberfestsitzenden Apparaturen [10], die für eine Aligner-Therapiesprechen.

Trotz der z.T. beschriebenen Weiterentwicklungen auf demGebiet der kieferorthopädischen Schienentechnik verbleiben auf-grund systembedingter, unterschiedlicher Kraft- und Drehmo-mentapplikation der Aligner gegenüber festsitzenden Apparatu-ren nach wie vor therapeutische Einschränkungen [11]. Wie inder Literatur bereits mehrfach beschrieben, lassen sich aber auchkomplexere Bewegungen, zu denen auch vertikale Korrekturenzählen, durchaus in einem bestimmten Ausmaß mit transparen-ten Alignern durchführen [12,13]. Diese Erkenntnisse sollen imvorliegenden Artikel an entsprechenden Patientenbeispielen de-skriptiv dargestellt werden.

Die kieferorthopädischen Therapieziele der vertikalen Verän-derung bei der Behandlung von Tiefbissen sind grundsätzlich dieIntrusion der Frontzähne, bei idealerweise gleichzeitiger Extrusion

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der Seitenzähne, in Abhängigkeit unter anderem von Schädel-struktur, Profil oder Lippenlinie. Andererseits sind bei einem fron-tal offenen Biss im Allgemeinen die Frontzahnextrusion und dieIntrusion der posterioren Dentition anzustreben. Dabei handeltes sich bei dieser Art der orthodontischen Kraftausübung gemäßdem dritten Newtonʼschen Axiom jeweils immer um ein reziprokwirkendes Kraftmodell. Nur sind in der kieferorthopädischenAnwendung die Art und die Höhe der Kraftapplikation durch dieAligner, die Verankerungsverhältnisse sowie zusätzlich beeinflus-sende, patientenspezifische Besonderheiten die entscheidendenParameter einer wirksamen klinischen Umsetzung (▶ Abb. 1a,b).

Die zur Behandlung eines frontal offenen Bisses benötigtenrealen Extrusionskräfte lassen sich in der Aligner-Therapie nichtohne die Anbringung geeigneter Attachments als Retentionsele-mente im Frontzahnbereich applizieren. Extrusionsversuche ohneentsprechende Attachments auf den zu extrudierenden Zähnenbleiben ab einem Betrag von ca. fünf Zehntel Millimetern ohne zu-sätzliche Mechaniken wie Gummizüge in aller Regel erfolglos, so-fern es sich dabei nicht um eine reine Retroinklinationsverän-derung im Sinne einer relativen Extrusion handelt [14]. Leicht er-kennbar sind dann entsprechende Diskrepanzen zwischen derInzisalkante der betreffenden Zähne und dem Aligner-Rand(▶ Abb. 2) infolge unzureichender klinischer Bewegungsumset-zung.

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▶ Abb. 8 a Behandlungsindikation offener Biss – intraorale Frontalansicht zu Behandlungsbeginn. b Intraorale rechte Seitenansicht zu Behand-lungsbeginn. c Intraorale linke Seitenansicht zu Behandlungsbeginn. d Intraorale okklusale Aufsicht des Oberkiefers. e Intraorale okklusale Auf-sicht des Unterkiefers.

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So können spezielle, voraktivierte, softwaredeterminierte Ex-trusionsattachments ab einer geplanten absoluten Extrusion vongrößer 0,5–2mm die klinische Umsetzung der vertikalen Bewe-gung verbessern [15]. Dabei entsprechen diese in ihrer Grund-form nicht exakt der Aussparung des jeweiligen Aligners und sol-len so, abhängig vom angestrebten Bewegungsausmaß sowie derForm, Größe und Zahnmorphologie, zu einer Effizienzsteigerungbeitragen [16]. Die ansonsten mit Aligner ohne Zusatzmechani-ken grundsätzlich schwierig durchzuführende Vertikalbewegungkann durch diese Art der Attachments somit sowohl für Einzel-zahn- als auch für En-masse-Extrusion aller Frontzähne in ihrer Ef-fizienz zum Schließen offener Bisse gesteigert werden (▶Abb. 3).

Dabei sollte allerdings der Patient vor Durchführung dieserbissschließenden Maßnahme dahingehend aufgeklärt werden,dass es sich bei dieser Art der Therapie nicht mehr um eine „nahe-zu unsichtbare“, sondern nur noch um eine „wenig sichtbare“ Be-handlung handelt, denn die Attachments sind im anterioren sicht-baren Frontzahnbereich sowohl ohne als auch noch mehr mit ein-gesetzten Alignern, je nach Verlauf der Lippenlinie, durchauserkennbar, wie das „Lächelfoto“ des Patientenbeispiels zeigt(▶ Abb. 4a,b).

Diese 25 Jahre alte Patientin (▶ Abb. 5a–d) wurde bereits imTeenageralter mit einer Multibracketapparatur kieferorthopä-disch behandelt und mittels Lingualretainer im Unterkiefer reti-niert. Die unbehandelte, persistierende Zungendysfunktion führ-te allerdings trotz intakter Klebestellen zum deutlich erkennbaren

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Rezidiv innerhalb von etwa 10 Jahren nach Behandlungsabschluss(▶ Abb. 6). Vor Beginn einer erneuten kieferorthopädischen Kor-rektur wurde daher der erfolgreiche Abschluss einer voraus-gehenden logopädischen Therapie als zwingende Voraussetzungangesehen. Die skelettale Konfiguration zeigt hier ein typisch ver-tikales Wachstumsmuster bei einer weitgehend neutralen Sagit-talbeziehung mit leicht protrudiert stehender Oberkieferfront(▶ Abb. 7a,b). Die Rekonstruktion der Panoramaaufnahme ausder digitalen Volumentomografie stellt einen weitgehend unauf-fälligen Befund ohne Weisheitszähne dar. Auf den intraoralen Auf-nahmen (▶ Abb. 8a–e) lässt sich der 1–2Millimeter große frontaloffene Biss bei weitgehender Neutralokklusion zu Beginn der Be-handlung erkennen.

Entscheidend für den grundsätzlichen medizinischen Erfolgeiner Aligner-Therapie ist die individuelle, exakte Planung durcheinen in dieser Technik erfahrenen Kieferorthopäden mittels einergeeigneten Behandlungssoftware. Die Festlegung des individuel-len Therapiezieles sollte dabei auf keinen Fall ausschließlich einem„Techniker“ oder einem Computeralgorithmus überlassen wer-den. Mit einer interaktiven Planungssoftware wie z. B. dem„ClinCheck-Pro“ von Invisalign hat der Behandler die Möglichkeit,in seiner Verschreibung und Planung auf Basis seiner spezifischenDiagnostik exakt das angestrebte Therapieziel anzugeben. Dabeiexistieren durchaus von Anbieter zu Anbieter deutliche System-unterschiede, welche technologischen Optionen der Behandlerzur Therapieplanung und ‑umsetzung nutzen kann. Allerdings

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▶ Abb. 10 a Erfolgte Bisssenkung bei Behandlungsabschluss –intraorale Frontalansicht des klinischen Ergebnisses. b Intraoralerechte Seitenansicht zu Behandlungsende. c Intraorale linke Sei-tenansicht zu Behandlungsende.

▶ Abb. 9 a ClinCheck-Behandlungssimulation bei Ausgangssitua-tion – zur Korrektur sind in jedem Kiefer 35 Aligner geplant. b Clin-Check-Planung: Endsituation bei Extrusion der Frontzähne und In-trusion der Molaren. c ClinCheck-Planung: Endsituation mit simu-lierter Autorotation des Unterkiefers.

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dürfen hierbei nie die bekannten allgemeinen und die im speziel-len für die Aligner-Applikation geltenden Grundsätze der Bio-mechanik mit Wirkung und Nebenwirkung außer Acht gelassenwerden, auch wenn eine bunt animierte Computersimulationden unbedarften Anwender hierzu verleiten mag. Basis muss da-bei immer eine umfassende, sorgsame Diagnostik sein, mit demkieferorthopädischen Bewusstsein, dass bei bedachter Anwen-dung sich durchaus komplexe Behandlungsaufgaben mittelsAlignern lösen lassen, aber eben in klar umschriebenen Indikati-onsgrenzen. So bestimmt ausschließlich der behandelnde Kiefer-orthopäde, ob und inwieweit eine Veränderung der vertikalen Di-mension als Therapieziel angestrebt wird. Danach besteht bei derEntscheidung zum Schließen eines frontal offenen Bisses die Op-tion, sich lediglich auf die Extrusion der Ober- und/oder Unterkie-ferinzisiven zu beschränken oder – über die zwangsweise rezipro-ke Kraftapplikation hinaus – auch „aktiv“ die Molaren zu intrudie-ren. Diese Vorgehensweise empfiehlt sich grundsätzlich, sofernkein progener Formenkreis vorliegt, um über den Effekt der Auto-

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rotation der Mandibula das Schließen der Frontzähne zu forcieren[17,18]. Die ▶ Abb. 9a zeigt die ClinCheck-Planung mittels 35 Ali-gnern jeweils für Ober- und Unterkiefer (bei späteren 15 zusätz-lichen Alignern zur Feinkorrektur) in der Ausgangsposition, wäh-rend ▶ Abb. 9b das geplante Therapieziel mit Attachments –auch auf den Oberkiefer-Frontzähnen und aktiv intrudierter pos-teriorer Dentition erkennen lässt. Im letzten Schritt Nummer 36(▶ Abb. 9c) wird dabei die endgültige vertikale Okklusion unter si-mulierter Autorotation der Mandibula im ClinCheck dargestellt.

Nach 1 Jahr und 5 Monaten aktiver Behandlungszeit, mit 36 Ali-gnern jeweils in Ober- und Unterkiefer sowie jeweils 16 zusätz-lichen Alignern gelang der Behandlungsabschluss. Dabei konntesowohl ein Ausformen der Zahnbögen als auch das Schließen desfrontal offenen Bisses gemäß der Behandlungssimulation im Sinneeiner Bisssenkung klinisch umgesetzt werden, wie auf den finalenIntraoralaufnahmen (▶Abb. 10a–c) und der Panoramarekon-struktion (▶ Abb. 11a) zu erkennen ist. Die Frontzahninklinationblieb hierbei weitgehend unverändert (▶Abb. 11b), wie die FRS-

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▶ Abb. 11 a DVT-Rekonstruktion im Panoramamodus zu Behand-lungsabschluss. b DVT-Rekonstruktion im FRS-Modus zu Behand-lungsabschluss mit erfolgter Bisssenkung.

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Rekonstruktion des finalen DVTs zeigt. Bei der exemplarischenBetrachtung des oberen rechten zentralen und des oberen linkenlateralen Inzisivus scheinen in den korrespondierenden Arch-Section-Einzeldarstellungen zu Behandlungsbeginn und ‑ende ne-ben der real erfolgten vertikalen Veränderung sich die leichte Re-trusion und die ossären Umbauprozesse der Extrusion offenbarpositiv auf die Wurzel-Kortikalis-Relation ausgewirkt zu haben(▶ Abb. 12a–d).

Als stabile Retentionsmaßnahmen bei den stark rezidivgefähr-deten Konstellationen der Offenen-Biss-Therapie wurden hier so-wohl palatinal bzw. lingual geklebte Retainer im Oberkiefer vonEckzahn zu Eckzahn (▶ Abb. 13a) sowie im Unterkiefer zu den je-weils ersten Prämolaren geklebt (▶ Abb. 13b). Zusätzlich erhieltdie Patientin stabile Halteschienen für die Nacht.

In der Behandlung von Tiefbissen wird grundsätzlich eine derTherapie des offenen Bisses entgegengerichtete Vertikalbewe-gung der Front- und Seitenzähne beabsichtigt. Daher werden Ali-gner auch zu bisshebenden Maßnahmen als bedingt geeignetesBehandlungsmittel mit den oben bereits genannten Vorteilen be-schrieben [16]. Als weitere, meist positive Eigenschaft der Ali-gner-Tiefbiss-Therapie kann die systembedingte Besonderheit er-wähnt werden, dass die Inzisal- und Okklusalflächen der kiefer-orthopädisch zu korrigierenden Zähne durch die Miniplastschie-nen bedeckt werden. Dies kann sich bei okklusionsaktiven Patien-ten als zahnhartsubstanzschonend während der orthodontischen

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Behandlung auswirken, ebenso kann es in diesem Zusammen-hang bei jeder Art von Schienenapplikation zumindest initial zueiner unspezifischen Muskelrelaxation kommen. Bedingt durcheine angehobene Vertikaldimension sind in der Literatur beiCMD-Patienten mit okklusal bedingten Belastungsvektoren auchEntlastungen einer traumatisierten bilaminären Zone beschriebenworden [19,20]. Diesem positiven Effekt steht häufig zugleich –gerade bei Patienten mit vorliegender Bruxismusanamnese, dienicht selten auch über eine horizontale Gesichtskonfiguration ver-fügen – der schienenspezifische Nachteil des Entstehens einesseitlich offenen Bisses während oder nach der kieferorthopädi-schen Korrektur gegenüber (▶Abb. 14). Dieser Nebeneffekt dervertikalen Disklusion im posterioren Dentitionsbereich wirkt sichumso ausgeprägter aus, je dicker die Schienen gestaltet sind, jelänger sie pro Tag und insgesamt über die Behandlungszeit getra-gen werden und je kauaktiver sich der Patient verhält. Dieses Phä-nomen führt damit häufig durch bereits beschriebene Autorota-tion der Mandibula zu einem anterioren Frühkontakt im Schneide-zahn- und Eckzahnbereich bei gleichzeitig vertikalem posteriorenOkklusionsverlust.

Dies ist eine der häufigsten und sehr unerwünschten Neben-wirkungen der Tiefbissbehandlung mit Alignern, da dies eineOkklusionsveränderung für die Patienten bedeutet und der ei-gentlichen anterioren Bisshebung entgegensteht. Während dem-nach die Behandlungssimulation der Planungssoftware, sofernfunktionsbedingte Parameter wie Zungeninterposition beachtetwerden, zum tatsächlich erreichbaren Ergebnis bei der Therapiefrontal offener Bisse ziemlich kongruent ist, unterscheidet sichdie grundsätzliche Vorhersagbarkeit der klinischen Umsetzungbei bisshebenden Maßnahmen im Frontzahnbereich deutlich.Hierfür sind insbesondere patientenspezifische Unterschiedenoch mehr als bei bisssenkenden Maßnahmen von wesentlichererBedeutung. Generell lässt sich nach den empirischen Beobachtun-gen des Autors, basierend auf einer Fallzahl von über 2000 mitAlignern behandelten Patienten erkennen, dass eine erfolgreicheTiefbisskorrektur maßgeblich von der skelettalen Gesichtskon-figuration, vom Alter sowie den Mm.-masseter- und -temporalis-Aktivitäten des Patienten abhängig ist. Dabei stehen sich die Ef-fekte einer aktiven oder reziproken Extrusion von Prämolarenund Molaren, wie sie sich in der animierten Behandlungssimula-tion darstellen lassen und zu einer effektiveren anterioren Biss-hebung beitragen könnten, durch die allgemein erheblichenUnterschiede zwischen orthodontischen und körpereigenenKräften deutlich entgegen. So ist bei einem Staging-Protokollvon 0,1 bis 0,25mm Auslenkung pro Aligner, bezogen auf denEinzelzahn [14], mit dem vom Marktführer verwendeten Doppel-schicht-Aligner-Material [15] die Kraftapplikation auf maximal0,4 Newton limitiert [8], während natürliche Kaukräfte durchMm. masseter und Mm. pterygoideus medialis um den Faktor1000 höher sein können [21].

Niedrige Raten der Kraftapplikation werden unter anderem zurVermeidung von Wurzelresorptionen allgemein als biologischerangesehen [22], können aber unter Umständen nicht ausreichendgenug sein, um eine effektive, vertikal gerichtete Zahnbewegungzu gewährleisten. Aus diesem Grund empfiehlt sich bei einer Tief-bissbehandlung mittels Alignern zum einen eine deutliche ver-tikale Überkorrektur von Anbeginn in der Planungssoftware vor-

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▶ Abb. 12 a Arch Section des Zahnes 11 zu Behandlungsbeginn. b Arch Section des Zahnes 11 zu Behandlungsende bei erkennbarer frontalerBissenkung und verbesserter Wurzel-Kortikalis-Relation. c Arch Section des Zahnes 22 zu Behandlungsbeginn. d Arch Section des Zahnes 22 zuBehandlungsende – auch hier ist eine Bisssenkung und eine verbesserte Wurzel-Kortikalis-Relation nachweisbar.

▶ Abb. 13 a Intraorale Okklusalaufsicht des Oberkiefers mit Kleberetainer von Eckzahn zu Eckzahn zur Rezidivprophylaxe nach Behandlungs-abschluss. b Intraorale Okklusalaufsicht des Unterkiefers mit Kleberetainer zu jeweils den ersten Prämolaren nach Behandlungsabschluss.

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▶ Abb. 14 Entstehung eines seitlich offenen Bisses während odernach einer Tiefbissbehandlung bei okklusionsaktiven Patienten.

Power Rigde Technology Precision Bite Rampes

▶ Abb. 15 Innovative Smart-Force-Features von Invisalign zur Effi-zienzsteigerung bei Bisshebung und Torquebewegungen.

▶ Abb. 16 Behandlungsindikation Tiefbiss – extraorale Front-ansicht zu Behandlungsbeginn.

▶ Abb. 17 a Provisorische Kompositverblockung der mobilen Zäh-ne 11, 21 vor Behandlungsbeginn. b Zusätzliche Aufbissschiene insitu des überweisenden Hauszahnarztes zu Behandlungsbeginn.

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zusehen, zum anderen sollte ein Staging gewählt werden, welchesein Bewegungsprotokoll von 0,1mm Intrusion pro Aligner nichtüberschreitet. Als sinnvolle Zusatzmaßnahme haben sich ausSicht des Autors Aufbiss-Plateaus im Aligner-Material im Palatinal-bereich der oberen Inzisiven bewährt, die sich dem Behandlungs-verlauf dynamisch anpassen und so zu einer Effizienzsteigerung inder Tiefbissbehandlung beitragen können, in dem durch Aus-übung okklusaler, körpereigener Kräfte die Intrusionswirkung aufdie Frontzähne verstärkt wird. Weiterhin sollen spezifische Einker-bungen am Gingivalrand der Aligner für eine gezieltere Kraftapp-likation näher am Widerstandszentrum des Zahns zur verbesser-ten Übertragung von Wurzeltorquebewegungen sorgen.

Der mögliche Effizienzgewinn dieser oben genannten Tools(▶ Abb. 15) lässt sich am Beispiel einer zu Behandlungsbeginn56-jährigen Patientin darstellen (▶ Abb. 16). Hier stand insbeson-dere die Erhaltung und Einordnung der Frontzähne 11 und 21 imVordergrund, die aufgrund ihres fortgeschrittenen parodontalenAttachmentverlustes bereits einen Lockerungsgrad von II–III auf-wiesen und vom Hauszahnarzt alternativ zur geplanten Extraktionvorerst durch Komposit-Material provisorisch verbockt und mit-tels Aufbissschiene zusätzlich stabilisiert wurden (▶Abb. 17a,b).Die FRS-Rekonstruktion des DVTs zu Behandlungsbeginn(▶ Abb. 18a) zeigt eine Deckbisskonfiguration, auf der Panorama-rekonstruktion (▶Abb. 18b) lassen sich z.T. ausgeprägte vertika-

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le und horizontale Knochenverluste nachweisen. Sehr deutlich er-kennbar ist der Befund an Zahn 11 (▶ Abb. 18c), bei dem sich zu-dem aufgrund des Parodontalverlustes bei ausgeprägter Retro-inklination eine bukkale knöcherne Deckung in der Arch-Section-Darstellung radiologisch kaum darstellen lässt. Intraoral zeigt sichim Oberkiefer zudem das Fehlen der beiden ersten Prämolarensowie ein ausgeprägter frontaler Engstand im Unterkiefer(▶ Abb. 19a–e).

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▶ Abb. 18 a DVT-Rekonstruktion im FRS-Modus zu Behandlungsbeginn bei deutlich retroinklinierter Oberkieferfront. b DVT-Rekonstruktion imPanoramamodus zu Behandlungsbeginn. c Arch Section des steilstehenden, mobilen Zahnes 11 zu Behandlungsbeginn.

▶ Abb. 19 a Behandlungsindikation Tiefbiss – intraorale Frontalansicht zu Behandlungsbeginn. b Intraorale rechte Seitenansicht zu Behand-lungsbeginn. c Intraorale linke Seitenansicht zu Behandlungsbeginn. d Intraorale okklusale Aufsicht des Oberkiefers. e Intraorale okklusale Auf-sicht des Unterkiefers.

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▶ Abb. 20 Geplante Endsituation der ClinCheck-Simulation mitjeweils 45 Alignern in Ober- und Unterkiefer.

▶ Abb. 21 Behandlungsverlauf bei Aligner 18 von 45 in situ.

▶ Abb. 22 a DVT-Rekonstruktion im FRS-Darstellungmodus zu Behandlungsabschluss. b DVT-Rekonstruktion im Panoramamodus zu Behand-lungsabschluss. c Arch Section des Zahnes 11 zu Behandlungsabschluss. Nach erfolgter Intrusion und Inklinationsveränderung ist die Bildung einerbukkalen Knochenlamelle erkennbar.

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Die ClinCheck-Behandlungsplanung sieht die Hebung des Tief-bisses durch langsames, kontinuierliches Intrudieren bei gleichzei-tigem Torquen der Oberkieferfrontzähne vor, sowie die Ausfor-mung der Ober- und Unterkieferzahnbögen zur Beseitigung derEngstände unter Beibehaltung der Seitenverzahnung (▶ Abb. 20).Hierfür wurden pro Kiefer 45 aktive Aligner geplant, wobei die In-trusionsgeschwindigkeit nicht mehr als 0,1mm pro Aligner be-trug. Dabei war auch eine vertikale Überkorrektur von etwa1mm vorgesehen. Die ▶Abb. 21 zeigt den Behandlungsverlaufbei Stage 18, zu erkennen sind die als Druckpunkte wirkenden Ein-kerbungen an den oberen zentralen und unteren lateralen Inzisivisowie die zur Bisshebung vorgesehenen Attachtments, welche

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immer an den Nachbarzähnen der zu intrudierenden Dentitionangebracht sind.

Das Behandlungsziel wurde nach 1 Jahr und 10 Monaten mitinsgesamt 10 Visiten – von der ersten Diagnose bis zur Retenti-onsphase – bei zwischenzeitlich selbstständigem, 14-tägigem Ali-gner-Wechsel gemäß der digitalen Planung erreicht. Weitere, zu-sätzliche Aligner im Sinne einer Nachkorrektur waren nicht not-wendig. Verantwortlich für die exakte klinische Umsetzung desvorhergesagten Behandlungsziels ist zum einen neben der indivi-duellen Planung auch – wie grundsätzlich bei jeder Therapie mitherausnehmbaren Geräten – die unbedingte Compliance des Pa-tienten, wobei durch die geringe ästhetische oder phonetische

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▶ Abb. 23 a Intraorale Okklusalaufsicht des Oberkiefers nach Behandlungsabschluss. b Intraorale Okklusalaufsicht des Unterkiefers nachBehandlungsabschluss. c Intraorale Frontalansicht der klinisch erfolgten Bisshebung mit sichtbarer Verbesserung der Parodontalsituation beiBehandlungsabschluss. d Intraorale rechte Seitenansicht unmittelbar zu Behandlungsende bei moderatem passagerem seitlich offenem Biss imBereich der zweiten Molaren. e Intraorale linke Seitenansicht unmittelbar zu Behandlungsende bei moderatem seitlich offenem Biss distal alsNebeneffekt bei Tiefbissbehandlung.

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Beeinträchtigung diese nach unseren Erfahrungen im Allgemei-nen meist als unkompliziert eingestuft werden kann.

Neben der Beseitigung der Engstände im Ober- und Unterkie-fer (▶ Abb. 23a,b) ist sowohl radiologisch (▶ Abb. 22a,b) alsauch klinisch (▶ Abb. 23c) eine deutliche anteriore Bisshebung er-kennbar, allerdings in etwas geringerem Umfang als in der digita-len Behandlungssimulation gezeigt. Dies unterstreicht auch hierdie Bedeutsamkeit der notwendigen Einplanung einer vertikalenÜberkorrektur. Es hat sich bei unseren Behandlungen gezeigt,dass diese Überkorrekturmaßnahmen umso ausgeprägter ausfal-len müssen, je älter die Patienten sind. Bei der Tiefbissbehandlungjugendlicher Patienten lassen sich in der Regel vertikale Korrektu-ren demnach deutlich vorhersagbarer aus der Behandlungs-simulation klinisch umsetzen. Die tatsächliche Reduktion des

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Overbites geht im vorgestellten Behandlungsbeispiel einher miteiner signifikanten Inklinationsänderung der oberen zentralenInzisivi. In der Arch-Section-Darstellung zum Behandlungsende(▶ Abb. 22c) zeigt sich im Vergleich zur Ausgangssituation(▶ Abb. 18c) nun eine klargezeichnete, bukkale kortikale Struktur.Diese scheinbare ossäre Regeneration, ausschließlich durch diekieferorthopädische Intrusions- und Torquebewegung induziert,steht offenbar in Kausalität mit einer klinisch verbesserten paro-dontalen Situation im Bereich der attached Gingiva (▶ Abb. 23a).Der Lockerungsgrad der zentralen Inzisivi entsprach unmittelbarnach kieferorthopädischem Abschluss wie üblich dem hierbeiphysiologischen Grad I. Zur Retention kamen sowohl in Ober- alsauch Unterkiefer herausnehmbare Halteschienen zum Einsatz, diehier ohne weiteren Scan oder Abformung auf Basis des finalen

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▶ Abb. 24 Harmonisch erscheinende Zahn-Lippen-Relation zuBehandlungsende.

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Aligners (Stage 45) der Planungssoftware bereits vorab bestelltwerden konnten.

Auch bei dieser Patientin zeigt sich unmittelbar nach Behand-lungsabschluss als Nebeneffekt einer jeden Schienenbehandlungüber einen gewissen Zeitraum, wie bereits oben beschrieben, einleicht seitlich offener Biss im Bereich der zweiten Molaren(▶ Abb. 23d,e). In aller Regel ist hier bei diesem Ausmaß miteinem spontanen Settling zu rechnen, wenn die Schienen-Trage-zeiten in der Retentionsphase auf die Nachtstunden reduziertwerden.

Insgesamt konnte bei dieser Patientin durch die Behandlungdes Tiefbisses mittels Alignern eine deutliche Verbesserung derfunktionellen und parodontalen Situation im Sinne der Zahnerhal-tung, eines parodontalen Attachmentgewinns sowie der Kiefer-gelenksprophylaxe erreicht werden. Gleichzeitig verbesserte sichdarüber hinaus das ästhetische Erscheinungsbild der Patientin(▶ Abb. 24).

SchlussfolgerungDie dargestellten Behandlungsbeispiele zeigen, dass seriell her-gestellte Miniplastschienen, basierend auf einer digitalen Pla-nungssoftware, heutzutage grundsätzlich geeignet sind, vertikaleorthodontische Veränderungen im Sinne bisshebender oder biss-senkender Maßnahmen weitgehend vorhersagbar klinisch umzu-setzen. Gegenüber bukkal oder lingual fest angebrachten Appara-turen sind mit der Aligner-Therapie aufgrund einer sich deutlichunterscheidendenTherapiemethodik und einer systembedingten,generell schwierigeren Kraft- und Drehmoment-Applikation mitt-lerweile zwar viele, aber nicht immer alle gewohnten Zahnbewe-gungen möglich. Da es zum Wesen der Aligner gehört, dass sienun mal nicht auf den Zähnen festgeklebt sind, sollten die aligner-spezifischen Parameter bei jeder Therapieplanung gründlich be-rücksichtigt werden. Dies setzt zum einen eine geeignete Indika-tionsstellung auf Erhebung einer individuellen, umfassendenAnamnese und Diagnostik voraus, zum anderen verlangt es vomverantwortungsbewussten, behandelnden Kieferorthopädien eingewisses Maß an Erfahrung und fachlichen Kenntnissen, die ei-gens in der Aligner-Therapie erforderlich sind, um auch komple-xere Behandlungsaufgaben erfolgreich lösen zu können. Dabeisollte der Fachzahnarzt unter Anwendung moderner technologi-scher Soft- und Hardware-Tools, die die verschiedenen Aligner-

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Hersteller mit z. T. sehr unterschiedlichem Entwicklungsgradmittlerweile bieten, unbedingt die Prinzipien der bekannten bio-mechanischen Grundsätze wahren. Daneben sind die patienten-individuellen Eigenheiten, wie skelettale Konfiguration, eventuellePara- oder Dysfunktionen, Parodontalbefund, das Alter sowie beiallen herausnehmbaren Therapiemitteln grundsätzlich unbedingterforderliche, zuverlässige Compliance der Patienten zu beachten.Dann bieten transparente Aligner aufgrund ihrer Unauffälligkeit,ihres Tragekomforts, der geringeren Wartungsintensität, derSchonung der Zahnhartsubstanz sowie einer wahrscheinlich ge-ringeren White-Spot- oder Kariesinzidenz nicht unerhebliche Vor-teile sowohl für den Patient als auch für den Behandler. Nicht zu-letzt auch aufgrund ihres digitalen Planungs- und Herstellungs-prozesses kann die Aligner-Therapie in den Händen des ausgebil-deten Fachzahnarztes das traditionelle kieferorthopädische The-rapiespektrum sinnvoll ergänzen und wird in Zukunft wohl auchimmer mehr an Bedeutung gewinnen.

Interessenkonflikt

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Clinical Speaker Align Technology Europe.

Zitierweise für diesen Artikel

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