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TREFFPUNKT FORSCHUNG 188 Pharm. Unserer Zeit 3/2011 (40) www.pharmuz.de © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Sowohl für die Entwicklung von Impfstoffen wie auch in der Therapie des einzelnen Patienten besteht das besondere Problem in der großen Va- riabilität des Virus. In jedem individu- ellen Patienten entwickelt sich das HI-Virus so stark weiter, dass man von Patienten-individuellen Quasi- Spezies redet, die sowohl neue anti- gene Eigenschaften als auch Resisten- zen gegen bestimmte Arzneistoffe ausbilden können. Die Fortschritte in der immun- biologischen Forschung sind der Schlüssel zur Entwicklung von Impf- stoffen oder neuen Therapieansätzen gegen HIV. Seit längerem ist bekannt, dass die meisten experimentellen Impfstoffe in der klinischen Praxis versagen, weil sie keine hinreichende T-Zell-vermittelte Immunität induzie- ren können. Scheinbar kommt insbe- sondere der Population der CD8-posi- tiven cytotoxischen T-Lymphozyten (CTL) bei der Kontrolle der HIV-In- fektion durch das Immunsystem eine besondere Rolle zu. Diese Rolle wird vielleicht auch noch dadurch ver- stärkt, dass eine andere Stütze der adaptiven Immunabwehr, die CD4- positiven T-Helferzellen, selbst Ziel des HI-Virus sind und von diesem im Verlauf der Infektion zerstört werden. Dendritische Zellen (DC) spielen im Immunsystem eine entscheidende Rolle, weil sie Antigene prozessieren und als Peptide den Zellen des spezi- fischen Immunsystems präsentieren. Die Peptide werden in MHC-Mole- küle eingelagert und der MHC-Peptid- Komplex wird von T-Zellen über ihre T-Zell-Rezeptoren abgefragt (Abb. 1A). Passt ein T-Zell-Rezeptor an den MHC- Peptid-Komplex, wird die T-Zelle akti- viert und kann nachfolgend ihre Effektorfunktion als Helferzelle oder CTL ausüben. Für die Aktivierung von T-Zellen spielen jedoch noch andere Inter- aktionen mit DC eine wichtige Rolle. Beispielsweise exprimieren DC das Adhäsionsmolekül CD40 konstitutiv auf ihrer Oberfläche. CD40 kann mit „CD40-Ligand“ (CD40L) interagieren, der auf T-Helferzellen exponiert ist (Abb. 1). Seit längeren ist bekannt, dass T-Helferzellen in ihrer primären Funktion B-Zellen CD40/CD40L-ab- hängig aktivieren. Sie können aber auch CTL in ihrer Aktivität stimulie- ren, allerdings scheint das nicht durch eine direkte Interaktion der beiden Zelltypen zu geschehen. Neuere Erkenntnisse belegen, dass T-Helferzellen in DC die Expression von CD40L induzieren können. Da- durch können die CD40L-exprimie- renden DC mit aktivierten CTL inter- agieren, da diese CD40 exprimieren (Abb. 1A). Wie führen diese Erkenntnisse zu einer personalisierten HIV-Therapie? Eine wichtige weitere Erkenntnis ist, dass bestimmte Viren wie HIV in DC die Expression von CD40L induzieren können, ohne dass T-Helferzellen da- ran beteiligt sind (Abb. 1B) [1]. Da sich die HI-Viren in jedem einzelnen Patienten deutlich voneinander un- terscheiden, hatte eine neue Immun- therapie, die Routy et al. [2] in einer MEDIZIN | Personalisierte Therapie der HIV-Infektion Für die Suche nach Impfstoffen oder neuen Therapien gegen die HIV- Infektion ist der rasche Wandel des Virus die größte Herausforderung. Eine neue Strategie könnte die Therapie mit körpereigenen Immun- zellen sein, die ex vivo gegen das „persönliche“ Virus scharf gemacht werden. ABB. 1 AKTIVIERUNG VON CTL B A TZR MHC CD40L CD40 Dendritische Zelle CD8 + CTL CD4 + Helferzelle CD40 CD40L MHC TZR TZR MHC CD40L CD40 Dendritische Zelle CD8 + CTL Virus C TZR MHC CD40L CD40 Dendritische Zelle CD8 + CTL 5‘ 3‘ CD40L-mRNA A. T-Helferzellen-abhängige Aktivie- rung von CTL. Dendritische Zellen (DC) exprimieren MHC-Moleküle, in die pro- zessierte Antigene in Form von Pepti- den eingelagert werden. Der MHC-Pep- tid-Komplex wird durch den T-Zell-Re- zeptor (TZR) der T-Zellen abgefragt. Die Aktivierung von T-Helferzellen erfor- dert zusätzlich eine Bindung von CD40 und CD40L. Diese Interaktion induziert in DC die Expression von CD40L. CTL ex- primieren CD40 und können deshalb von DC aktiviert werden, sofern auch der TZR der CTL den MHC-Peptid-Kom- plex erkennt. B. T-Helferzellen-unabhängige Aktivie- rung von CTL durch Viren. Bestimmte Viren induzieren in DC die Expression von CD40L. Dieses kann durch Bindung von CD40 T-Zellen aktivieren, sofern diese die auf MHC präsentierten viralen Peptide durch ihren TZR erkennen. C. Experimentelle Aktivierung von CTL. Hier wurde die für CD40L codierende, in vitro hergestellte mRNA in DC transfi- ziert. Die DC translatieren diese mRNA und exprimieren dann CD40L, so dass eine T-Helferzellen-unabhängige Akti- vierung von CTL möglich ist.

Personalisierte Therapie der HIV-Infektion

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

188 Pharm. Unserer Zeit 3/2011 (40) www.pharmuz.de © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Sowohl für die Entwicklung vonImpfstoffen wie auch in der Therapiedes einzelnen Patienten besteht dasbesondere Problem in der großen Va-riabilität des Virus. In jedem individu-ellen Patienten entwickelt sich dasHI-Virus so stark weiter, dass manvon Patienten-individuellen Quasi-Spezies redet, die sowohl neue anti-gene Eigenschaften als auch Resisten-zen gegen bestimmte Arzneistoffeausbilden können.

Die Fortschritte in der immun-biologischen Forschung sind derSchlüssel zur Entwicklung von Impf-stoffen oder neuen Therapieansätzengegen HIV. Seit längerem ist bekannt,dass die meisten experimentellenImpfstoffe in der klinischen Praxisversagen, weil sie keine hinreichendeT-Zell-vermittelte Immunität induzie-ren können. Scheinbar kommt insbe-sondere der Population der CD8-posi-tiven cytotoxischen T-Lymphozyten(CTL) bei der Kontrolle der HIV-In-fektion durch das Immunsystem einebesondere Rolle zu. Diese Rolle wirdvielleicht auch noch dadurch ver-stärkt, dass eine andere Stütze deradaptiven Immunabwehr, die CD4-positiven T-Helferzellen, selbst Zieldes HI-Virus sind und von diesem im Verlauf der Infektion zerstörtwerden.

Dendritische Zellen (DC) spielenim Immunsystem eine entscheidendeRolle, weil sie Antigene prozessierenund als Peptide den Zellen des spezi-fischen Immunsystems präsentieren.Die Peptide werden in MHC-Mole-küle eingelagert und der MHC-Peptid-Komplex wird von T-Zellen über ihreT-Zell-Rezeptoren abgefragt (Abb. 1A).Passt ein T-Zell-Rezeptor an den MHC-Peptid-Komplex, wird die T-Zelle akti-viert und kann nachfolgend ihre

Effektorfunktion als Helferzelle oderCTL ausüben.

Für die Aktivierung von T-Zellenspielen jedoch noch andere Inter-aktionen mit DC eine wichtige Rolle.Beispielsweise exprimieren DC das

Adhäsionsmolekül CD40 konstitutivauf ihrer Oberfläche. CD40 kann mit„CD40-Ligand“ (CD40L) interagieren,der auf T-Helferzellen exponiert ist(Abb. 1). Seit längeren ist bekannt,dass T-Helferzellen in ihrer primärenFunktion B-Zellen CD40/CD40L-ab-hängig aktivieren. Sie können aberauch CTL in ihrer Aktivität stimulie-ren, allerdings scheint das nichtdurch eine direkte Interaktion derbeiden Zelltypen zu geschehen.Neuere Erkenntnisse belegen, dass T-Helferzellen in DC die Expressionvon CD40L induzieren können. Da-durch können die CD40L-exprimie-renden DC mit aktivierten CTL inter-agieren, da diese CD40 exprimieren(Abb. 1A).

Wie führen diese Erkenntnisse zueiner personalisierten HIV-Therapie?Eine wichtige weitere Erkenntnis ist,dass bestimmte Viren wie HIV in DCdie Expression von CD40L induzierenkönnen, ohne dass T-Helferzellen da-ran beteiligt sind (Abb. 1B) [1]. Dasich die HI-Viren in jedem einzelnenPatienten deutlich voneinander un-terscheiden, hatte eine neue Immun-therapie, die Routy et al. [2] in einer

M E D IZ I N |Personalisierte Therapie der HIV-InfektionFür die Suche nach Impfstoffen oder neuen Therapien gegen die HIV-Infektion ist der rasche Wandel des Virus die größte Herausforderung.Eine neue Strategie könnte die Therapie mit körpereigenen Immun-zellen sein, die ex vivo gegen das „persönliche“ Virus scharf gemachtwerden.

A B B . 1 A K T I V I E R U N G VO N C T L

B

A

TZR

MHC CD40L

CD40Dendritische

Zelle

CD8+ CTL

CD4+ Helferzelle

CD40

CD40L

MHC

TZR

TZR

MHC CD40L

CD40Dendritische

Zelle

CD8+ CTL

Virus

C

TZR

MHC CD40L

CD40Dendritische

Zelle

CD8+ CTL

5‘

3‘

CD40L-mRNA

A. T-Helferzellen-abhängige Aktivie-rung von CTL. Dendritische Zellen (DC)exprimieren MHC-Moleküle, in die pro-zessierte Antigene in Form von Pepti-den eingelagert werden. Der MHC-Pep-tid-Komplex wird durch den T-Zell-Re-zeptor (TZR) der T-Zellen abgefragt. DieAktivierung von T-Helferzellen erfor-dert zusätzlich eine Bindung von CD40und CD40L. Diese Interaktion induziertin DC die Expression von CD40L. CTL ex-primieren CD40 und können deshalbvon DC aktiviert werden, sofern auchder TZR der CTL den MHC-Peptid-Kom-plex erkennt.B. T-Helferzellen-unabhängige Aktivie-rung von CTL durch Viren. BestimmteViren induzieren in DC die Expressionvon CD40L. Dieses kann durch Bindungvon CD40 T-Zellen aktivieren, soferndiese die auf MHC präsentierten viralenPeptide durch ihren TZR erkennen.C. Experimentelle Aktivierung von CTL.Hier wurde die für CD40L codierende, invitro hergestellte mRNA in DC transfi-ziert. Die DC translatieren diese mRNAund exprimieren dann CD40L, so dasseine T-Helferzellen-unabhängige Akti-vierung von CTL möglich ist.

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kleinen Phase-I-Studie getestet haben,zum Ziel, CTL-Reaktionen auf die in-dividuellen Virusvarianten des je-weiligen Patienten abzustimmen. Zu-nächst haben die Autoren aus demBlut der Patienten myeloische Vorläu-ferzellen isoliert, da bekannt war,dass man in vitro durch Zugabe vonGranulozyten-Makrophagen Kolonie-stimulierendem Faktor (GM-CSF) undInterleukin-4 aus Monozyten unreifeDC differenzieren kann [3]. Paralleldazu wurden von den individuellenPatienten Blutproben, die vor Beginnder antiretroviralen Therapie (ART)eingefroren wurden, vier Gensequen-zen der HI-Viren durch Polymerase-Kettenreaktion hergestellt: Gag, Vpr,Rev und Nef (Abb. 2). Diese Gense-quenzen wurden in Plasmide inse-riert, die eine Herstellung von RNAdieser Gene in vitro erlaubte. Zusätz-lich wurde die codierende RNA vonCD40L in vitro hergestellt, die dazudienen sollte, in DC die Expressionvon CD40L zu induzieren (Abb. 1C).

Die RNAs wurden dann so formu-liert, dass sie durch Elektroporationin die zuvor hergestellten unreifenDC transfiziert werden konnten. Die für die Klinik entwickelte RNA-Formulierung bekam den NamenAGS-004.

In einer Phase-I-Studie wurdenzehn HIV-Infizierten, die alle unter

ART eine Viruslast < 200 HIV-Ko-pien/mL Blut hatten, in einem Ab-stand von vier Wochen insgesamt vierDosen AGS-004 appliziert. Alle Pa-tienten erhielten parallel eine antire-trovirale Therapie. Primärer End-punkt der Studie war die Fähigkeitder CTL der Patienten zur Prolifera-tion, was als Maß für die Aktivierungdieser Zellen gesehen wird, und dieReaktivität der CTL gegen die vier mitAGS-004 applizierten HIV-Antigene.Zusätzlich wurden die Viruslast unddie Zahl CD4-positiver Zellen be-stimmt.

Daten von neun der ursprünglichzehn in die Studie eingeschlossenenPatienten konnten ausgewertet wer-den. Dabei zeigten vier Patienteneine Zunahme der CTL-Proliferationund Reaktivität der CTL gegen allevier applizierten Antigene. Drei wei-tere Patienten zeigten eine partielleAntwort auf die Therapie. Die Virus-last und die Zahl der CD4-positivenZellen änderte sich nicht, was bei derkurzen Studiendauer wohl auch nichtzu erwarten war. Die Therapie zeigtenur geringe Nebenwirkungen.

Die ermutigenden Ergebnisse die-ser Studie haben zwischenzeitlicheine Phase-IIa-Studie nach sich ge-zogen, in der die Effektivität von AGS-004 in 34 weiteren Patientenüberprüft wurde [4]. In einer Presse-

mitteilung [5] gab die an der Studiebeteiligte Firma Argos Therapeuticsnun bekannt, dass die Therapie zu ei-nem signifikanten Abfall der Viruslastund einer überraschend langen Zeitbis zum Wiederauftreten der Virämienach vorübergehendem Absetzen derART geführt habe. Es werde derzeiteine weitere randomisierte, doppel-blinde, placebokontrollierte Phase-IIb-Studie geplant, für die bis zu 42 Patienten rekrutiert werden sollen[6]. Die Studie soll im Dezember2011 beendet sein.

Argos Therapeutics plant nacheigenen Angaben auch eine neuePhase-I-Studie, diesmal mit ART-nai-ven Patienten, in der geprüft werdensoll, ob die individuelle Therapie mitAGS-004 den Zeitpunkt bis zum Be-ginn einer ART in neu infizierten Pa-tienten hinauszögern kann.

[1] Johnson, S., Zhan, Y., Sutherland, R.M.,Mount, A.M., Bedoui, S., et al.: SelectedToll-like receptor ligands and viruses pro-mote helper-independent cytotoxic T cellpriming by upregulating CD40L on dendri-tic cells. Immunity 30 (2009), 218–227.

[2] Routy, J.-P., Boulassel, M.-R., Yassine-Diab,B., Nicolette, C., Healey, D., et al.: Immun-ologic activity and safety of autologousHIV RNA-electroporatd dendritic cells inHIV-1 infected patients receiving antiretro-viral therapy. Clin. Immunol. 134 (2010),140–147.

[3] Bender, A., Sapp, M., Schuler, G., Stein-man, R.M., Bhardwaj, N.: Improved me-thods for the generation of dendritic cellsfrom nonproliferating progenitors in hu-man blood. J. Immunol. Methods 196(1996), 121–135.

[4] Clinical trial registry numberNCT00672191; www.clinicaltrials.gov

[5] http://www.argostherapeutics.com/news/news_HIV_DART_2010_Final.html

[6] Clinical trial registry numberNCT01069809; www.clinicaltrials.gov

Thomas Winckler, Jena

A B B . 2 G E N O M VO N H IV- 1

gagLTR

polenv

LTRΨ

vif

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vpu

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nef

Schematischer Aufbau des Genoms des HI-Virus. Neben den in Retroviren üblichenGenen gag, pol und env codiert das HIV-Genom für weitere regulatorische undakzessorische Proteine (Vif, Vpr, Tat, Rev, Vpu, Nef). Die in der aktuellen Phase-I-Studie [2] zur Immunisierung verwendeten Antigene sind rot hervorgehoben. LTR: Lange terminale Wiederholungen; Ψ: RNA-Signalsequenz für die Verpackungdes viralen Genoms in Virus-Capside.