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Pfingstgottesdienst 15. Mai 2016 «Wie sich der Heilige ... · «Wie sich der Heilige Geist uns zeigt» Pfr. Max Hartmann Wie würden Sie jemanden erklären, was der Heilige Geist

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Page 1: Pfingstgottesdienst 15. Mai 2016 «Wie sich der Heilige ... · «Wie sich der Heilige Geist uns zeigt» Pfr. Max Hartmann Wie würden Sie jemanden erklären, was der Heilige Geist

Pfingstgottesdienst 15. Mai 2016 «Wie sich der Heilige Geist uns zeigt» Pfr. Max Hartmann Wie würden Sie jemanden erklären, was der Heilige Geist ist? Wo und wie erleben Sie ihn selbst? Eigentlich ist die Erfahrung des Heiligen Geistes uns gar nicht so fremd im Alltag. Achten wir doch auf unsere Sprache. Da spricht jemand von einem guten Geist, der in einem Team herrscht. Oder wir reden von einer besonderen Inspiration, einer Eingebung, die jemand bekommen hat. Der Heilige Geist: Er ist der gute Geist, der uns regieren will. Sein Hauptkennzeichen ist die Liebe. Überall dort, wo sich Liebe zeigt, ist Gott unter uns gegenwärtig. Im 1. Johannesbrief steht: «Gott ist Liebe. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm.»(1. Joh 4,16) Und Paulus spricht im 1. Korintherbrief von den Gaben des Heiligen Geistes und sagt zuletzt: «Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe. Die grösste unter ihnen ist die Liebe.»(1. Kor 13,13) Der Heilige Geist zeigt sich in positiver Inspiration. «Inspiration» heisst wörtlich «Einhauchung». Wir bekommen von aussen her, von Gott, durch seinen Geist einen Impuls, der mehr ist als nur eine gute Idee von uns selbst. Wenn ein Mensch durch Gottes Geist inspiriert wird, kann etwas entstehen, das viele berührt. Es entsteht etwas Grösseres – etwas, das einen Hauch der Ewigkeit, des Unvergänglichen in sich trägt. Besonders in der Kunst ist Inspiration sehr wichtig. Ein Künstler kann nicht auf Befehl hin ein grosses Werk schaffen. Inspiration lässt sich nie erzwingen. Der Künstler muss manchmal lange warten und ringen, bis es in ihm durchbricht – und dann entsteht es, vielleicht sogar in kurzer Zeit. Es ist wie bei einer Schwangerschaft und einer Geburt. Was ist der Heilige Geist? Das war die erste Ausgangsfrage. Die andere Frage war: Wo und wie erlebe ich selbst den Heiligen Geist? Ich möchte Sie heute Morgen in etwas hineinnehmen, was mich selbst berührt hat und mich das grosse Geheimnis von Gott und seinem Geist tiefer erahnen lässt. Es kommt Ihnen wohl zunächst sehr fremd entgegen und weit hergeholt. Aber vielleicht ergeht es Ihnen wie mir, dass auch Sie berührt sind. Es ist arabisch-christliche Kalligrafie. Kalligrafie ist die Kunst, schön zu schreiben. Ursprünglich geht es dabei immer um heilige Texte. Für denjenigen, der schreibt, ist es wie eine Meditation. Er lässt sich von den Worten berühren und versucht, so schön wie möglich so zu schreiben, dass die Bedeutung des Inhaltes hervorgehoben wird. Wer es später liest, staunt mit. Es kann auch bei ihm eine Meditation auslösen, die ihn in die Tiefe, zu Gott hinführt.

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Vielleicht haben einzelne unter Ihnen das «Book of Kells» aus dem Kloster Iona in Schottland gesehen, das in Dublin ausgestellt wird. Es ist vielleicht das kostbarste Schriftstück, das existiert. Welche gewaltige Liebe zu Gottes Wort zeigt sich in dieser Schreibkunst. Arabische Christen kennen die Kultur der Kalligrafie noch viel früher als bei uns im Westen. Arabische Christen gehören zu den ersten Christen überhaupt. Nachdem nach Pfingsten sich die erste christliche Gemeinde gebildet hatte, wurde diese bald verfolgt. Viele Christen flüchteten nach Damaskus. Dort entstand die erste Gemeinde ausserhalb von Jerusalem. Bald schlossen sich auch nicht Nichtjuden dieser Gemeinde an. Die Evangelien, das Neue Testament und später auch das Alte Testament wurden in ihre Sprache übersetzt und es entstand dazu eine Kalligrafie. Sie wird bis heute gepflegt. So auch von Maanum Kamran. Er ist geboren und aufgewachsen im Irak, und hat an der Kunstakademie in Bagdad Grafik und Schreibkunst studiert. Nachdem er einige Zeit in seinem Beruf arbeiten konnte, zwangen ihn die Umstände in seinem Land zur Emigration, die ihn schliesslich nach Deutschland führte. Was an Gottes Worten sein Herz berührte, sein Leben und seine Gedanken prägte, wie er diese Worte an sich verstand, drückt er mit seiner Schreibkunst aus und öffnet so für andere einen neuen, ungewöhnlichen Zugang zur biblischen Botschaft im arabischen Raum und auch hier im Westen. Aktuelle Beispiele sind gegenwärtig in Riehen im Geistlich-Diakonischen Zentrum der Diakonissengemeinschaft ausgestellt. Ich möchte Sie nun mit hineinnehmen in vier Beispiele arabisch-christlicher Kalligrafie zu Versen über den Heiligen Geist. Es ist ein Versuch, uns staunen zu lassen über das, was uns mit dem Heiligen Geist geschenkt ist. 1.

«Der Vater im Himmel wird den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.» (Lukas 11,13) Der vierzeilige Text ist eingebettet in ein Koordinatensystem mit blauer Farbe. Da Arabisch von rechts nach links geschrieben wird, befindet sich die Vertikale auf der rechten Seite. Von dort her wird der Text gelesen: in Blau «der Vater», in Rot bis Gelb «der im Himmel ist, wird den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.»

Gott verbindet Himmel und Erde. Wichtig die Zahlensymbolik: vier und drei. Vier weist auf die irdische Welt (vier Himmelsrichtungen, vier Elemente: Feuer, Wasser, Luft und Erde). Sie kommt uns in den vier Zeilen entgegen, in denen von bittenden Menschen die Rede ist. Die Zahl drei erinnert an den dreieinen Gott und begegnet uns in den blauen Buchstaben mit der Bedeutung «der Vater».

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Wir Menschen sind eingespannt in Gottes Koordinatensystem, das Himmel und Erde umfasst, Zeit und Ewigkeit. In diesen Rahmen eingebettet ergeht die Einladung Gottes, mit allem, was uns bewegt, zu ihm zu kommen. Er möchte uns erfahren lassen, wie wir bei ihm gut aufgehoben und getragen sind. Das zeigt uns der Zusammenhang dieses Bibelverses: Die Jünger beobachten, wie Jesus sich immer wieder zurückzieht um zu beten. Er braucht den direkten Draht zu seinem himmlischen Vater. Ohne kann er nicht existieren. Aus dem Gebet bezieht er seine Kraft und Inspiration. Die Jünger sind neugierig. Sie möchten auch diesen besonderen Draht zum Himmel haben. Sie kommen zu Jesus mit der Bitte: «Herr, lehre uns beten.» Und dann lehrt Jesus sie das Unservater. Sehr speziell und für sie neu ist die Anrede: «Unser Vater»: Wir dürfen wie ein Kind zu Gott kommen, uns vertrauensvoll und ungeniert an ihn wenden, uns ihm anvertrauen. Anschliessend spricht er weiter über das Gebet und ermutigt seine Jünger mit ihren sehr persönlichen Anliegen zu Gott zu kommen: «Bittet, so wird euch gegeben. Sucht, so werdet ihr finden. Klopft an, so wird euch aufgetan.» Und dann, am Schluss dieses Abschnittes, fordert Jesus seine Jünger zu einer ganz besonderen Bitte heraus. Es ist die Bitte um den Heiligen Geist. Sie trägt eine besondere Verheissung in sich. «Der Vater im Himmel wird den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.» Die tägliche Bitte um den Heiligen Geist in allem, dem ich ausgesetzt bin. Ja, ich brauche die Erfahrung von Gottes Gegenwart in meinem Leben! Ich brauche Inspiration für meine Entscheidungen – Wegzeichen, die mich ermutigend voranführen. Den Geist der Liebe. Wie leer und lieblos ich doch aus mir allein oft bin. Ich brauche es, dass Gott mich mit seinem Hauch berührt, zärtlich und deutlich. Manchmal brauche ich es auch, dass er mich durch seinen Geist aufrüttelt, schüttelt und herausfordert, wenn ich in Lethargie verharre, lahm und gleichgültig bin.

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2. «Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.» (Joh 4,24) In der Mitte steht ein Kreuz in seiner griechischen Form: die Botschaft der vier Evangelisten (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) wird in alle vier Himmelrichtungen gepredigt, verbreitet sich über die ganze Erde. Blau ist der Gottesname, die Farbe des Himmels. Er wird nach oben verlängert und in der Mitte werden sie ineinander verschlungen: der vierfache Gottesname bildet das Kreuz. Gott offenbart sich uns

Menschen im Kreuz. Dort zeigt er uns seine Barmherzigkeit und Liebe in Vollkommenheit. Zwischen den Kreuzbalken liegt vierfach «ruh», «Heiliger Geist», in Braun, der Farbe der Erde. Gott ist gegenwärtig in dieser Welt durch seinen Geist. Das alles: der dreieinige Gott wird umschlossen von einem Achteck – einem Zwischenform von Quadrat (= Erde) und Kreis (= Himmel). Himmel und Erde, Gott und Mensch, werden vereint. Gott ist allumfassend. Der restliche Vers – «die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten» - ist um das Achteck geschrieben. Diejenigen, die Gott anbeten, bilden ein Kreis rund um das Kreuz. Das Ziel ist, mit Paulus gesagt, dass jede Zunge sich zum dreieinen Gott bekennt und sich jedes Knie in der Anbetung vor ihm beugt (Phil 2,10-11). In Johannes 4 spricht Jesus in der Mittagshitze am Jakobsbrunnen mit einer Frau aus Samaria. Er bittet sie um Wasser. Sie reagiert erstaunt, dass ein Jude sich von ihr Wasser schöpfen lässt. Die Juden verachten Samaritaner, weil sie Gott nicht in Jerusalem, im Tempel anbeten. Doch Jesus verbindet, was getrennt ist. Seine Wertschätzung gilt dieser fremden Frau – einer Frau, die bereits den sechste Mann hat, auch moralisch als minderwertig gilt. Er sieht in ihr eine Frau auf der Suche nach echter Liebe. Er sagt ihr: Das Wasser, das du mir gibst, löscht für einen Moment meinen Durst. Das Wasser dagegen, das ich dir geben kann, stillt deinen Durst nach wahrhafter Erfüllung in deinem Leben. Der Mensch ist auf der Suche nach mehr, nach etwas, was grösser ist. Bewusst oder nicht suchen wir alle etwas oder jemanden, den wir anbeten können. Für viele ist es ihr Ego, das sie aufblasen bis der Ballon platzt. Man kann auch in materiellen Dingen Erfüllung suchen, in Karriere und Besitz. Aber das alles kann uns nie über den Tod hinaus begleiten. Die wahre Erfüllung liegt beim dreieinen Gott. Von ihm komme ich, zu ihm gehe ich. Er will durch seinen Geist in mir wohnen. Das Ziel ist, dass wir ausgerichtet sind wie in dieser Kalligraphie – hin zu IMH. ER ist der Dreh- und Angelpunkt meines Lebens. Gott ist dort, wo

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ich berührt bin, wo etwas in mir auflebt von diesem ganz grossen Geheimnis, dem wir den Namen Gott geben. Gott begegnet mir dort, wo ich ein tiefes Sehnen in mir erlebe, einen Durst nach Glück und Liebe, den nur Gottes Geist in mir stillen kann. 3. «Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.» (2. Kor 3,17)

Diese Kalligrafie spricht für sich. Da ist etwas, was mich vorantreibt, beflügelt. Es wie bei einem Vogel, der sich aufschwingt im Wind und in Freiheit davonfliegt, weg von jeder Gefangenschaft. Das hebräische Wort für «Heiliger Geist» heisst «ruach»: wörtlich Wind, Hauch, Lebensatem. Ebenso ist mit dem arabischen Wort – die beiden Sprachen sind verwandt. «Der Herr» ist in Blau geschrieben, der Farbe des Himmels, und in Form einer

Taube, dem Symbol des Heiligen Geistes oder allgemein als Vogel, dem Symbol der Freiheit. «Der Geist» ist rot geschrieben, der Farbe des Feuers des Heiligen. Erinnern wir uns an das, was uns von Pfingsten berichtet wird. Die erste christliche Gemeinde war in der Anbetung Gottes versammelt. Plötzlich legte sich der Geist Gottes in Zungen wie Feuer über alle und ein gewaltiges Brausen wie bei einem Sturm erfüllte den Raum. «Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.» Gottes Geist führt hinaus in die Weite, in der Freiheit. Es ist keine Freiheit des «laisser faire», der Gleichgültigkeit. Gottes Geist löst von allen Bindungen in dieser Welt, wo andere mich für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren, mich manipulieren und beherrschen wollen. Gottes Geist kennt nur eine Bindung: die Beziehung zu Gott. Sie macht frei zur Dienst am Mitmenschen - nicht weil ich es muss, sondern weil ich es selber will. «Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit»: Was für ein Geist zeigt sich eigentlich in meinem Glauben? Es gibt leider unter frommen Leuten oft viel Enge und Unbarmherzigkeit sich und den Mitmenschen gegenüber. Manchmal brauchen auch fromme Leute Befreiung: dass Gottes Geist sie aus der Enge führt in eine neue Liebe zu Gott, den Mitmenschen und sich selbst gegenüber.

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4. «Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Rechtschaffenheit, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung,» (Gal 5,22)

Auch hier spricht die Schrift für sich. Es ist eine wunderschöne Blüte. Sie zeigt, was in uns aufleben will durch Gottes Geist. Im Zentrum der Kalligraphie steht «die Frucht des Geistes» in leuchtendem Gelb wie die Staubblätter. Die Schrift ist beschwingt, bewegt, die Buchstaben frei angeordnet, greifen ineinander, verschlingen sich – lebendiger Geist. Wie ein geflochtener Kranz umgeben Ranken und andere blühende Elemente diesen Kern – eine gewaltige Dynamik. Ganz aussen wie schwarze Perlen einer Kette stehen die einzelnen Früchte des Geistes

aneinander gereiht ohne Anfang und Ende. Der Hintergrund ist tiefes, sattes Rot: die Farbe der Liebe als die höchste von allen drei Gottesgaben, die bleiben: Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Farbe als Hintergrund ist auch ein Hinweis auf die Liebe Gottes, die uns trägt und von allen Seiten umgibt, dem Urgrund unseres Seins. Der Geist Gottes wohnt unsichtbar im Herzen eines jeden Glaubenden, aber wirkt aber über ihn hinaus, trägt Früchte. Wie eine Blüte sich entfaltet, so werden Früchte des Glaubens von aussen her sichtbar. Sie sind nicht künstlich gemacht. Sie wachsen organisch. Sie machen sichtbar, was einen Menschen im Innersten erfüllt und prägt. Die Früchte des Heiligen Geistes. Wo erlebe ich, dass auch bei mir sich etwas davon zeigt? Was fehlt mir und möchte ich darum bitten, dass Gott es mir schenkt? Schauen wir einen Moment lang in der Stille diese Früchte an im Blick auf unser Leben. Dort, wo wir es an uns erleben, danken wir. Dort, wo es uns fehlt, bitten wir. «Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Rechtschaffenheit, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung.» «Veni Sancte Spiritus, tui amoris ignem accende.» Komm, Heiliger Geist, entzünde mich mit dem Feuer deiner Liebe. Amen.