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Psychoanalyse und Politik - Ein historischer Überblick Psychoanalyse und Politik. Ein historischer Überblick. Ernst Federn Zusammenfassung: Freuds Einstellung zur Gesellschaft wird zuerst beschrieben. Es folgt eine Darstellung des Verhaltens einiger Freud-Schüler, die sozialistisch oder kommunistisch eingestellt waren. 1925 versuchten Paul Federn und Heinrich Meng eine Darstellung der Psychoanalyse für das Volk durch Das Psychoanaly- tische Volksbuch, das sehr erfolgreich war. Die Zeitschriften Psychoanalytische Pädagogik und Psychoana- lytische Bewegung folgten schnell und waren ein Beginn, auf gesellschaftliche Verhältnisse einzuwirken. Alles endete 1938. In den Vereinigten Staaten versuchten einige Analytiker einen ähnlichen Weg zu gehen, der für etwa 25 Jahre auch beträchtlichen Erfolg zeigte, aber heute kaum Beachtung findet. In Europa setzt sich der eine Gedanke Freuds, daß Eros über Thanatos siegen müsse, doch langsam durch. Die Frage der Laienanalyse wird behandelt, da sie darauf aufbaut, daß die Psychoanalyse eine Psychologie des Unbewußten ist und nicht eine Psychotherapie; diese ist nur eine, und keineswegs die wichtigste Anwendung. Summary: Freud's attitude in regard to social condition is described. This is followed by a presentation of the position in this respect by some of his social ist and communist followers.1925 Paul Federn and Heinrich Meng tried through the publication of a people's book of psychoanalysis (Psychoanalytisches Volksbuch) to take influence an society. .This was followed shortly by the appearance of two journals for psychoanalytic paedagogy (Psychoanalytische Pädagogik) and a general application for all Problems of society (Die Psychoanalytische Bewegung), All this ended in 1938. In the USA a number of psychoanalysts tried a similar way and were successfulfor about 25 years but are hardly known today. . In Europe the recognition that Freud 's statement that Eros misst vanquish Thanatos has gained some kind of recognition. The question of layanalysis is also discussed because it is the basis of Freud's opinion that psychoanalysis is a psychology of the unconscious and not a psychotherapy. The lauer is only orte and by no means the most important application. Der junge Freud wie wir heute wissen, war stets in die praktischen Ereignisse eingespannt. Aus eher ärmlichen Verhältnissen kommend, bestand bei ihm ein unstillbarer Zwang groß und bedeutend zu werden. Er wurde in der Tat auch bald ein Privatdozent. Die Universitäts- professur erhielt er aber erst spät und niemals vollständig. Wenn man sein Leben betrachtet, so hat er früh mit ungefähr 20 Jahren ein wirkliches Interesse an den politischen Ge- schehnissen seiner Zeit aufgegeben. Er war von der Beständigkeit des Systems, in dem er lebte, überzeugt, und als er seinen Untergang im Jahre 1916 erkannte, war er bereits 60 Jahre alt. Daß es sein Untergang war, erfaßte er relativ schnell, aber er war selber überzeugt, nicht mehr lange zu leben. Die großen Verluste, der Tod seiner Tochter und des Lieblingsen- kels lagen noch vor ihm. Freud war ein Liberaler in einem Lande, das einen politischen Liberalismus nicht wirk- lich gekannt hat. Österreich-Ungarn war ein konservatives, grundsätzlich rückständiges Land, das in seiner Hauptstadt Wien zwischen 1880 und 1914 ein unglaublich strahlendes, intellektuelles Leben entwickelt hat, das aber immer, schon wegen seiner Kürze, nur in der Hauptstadt, niemals im ganzen Österreichi- schen Volk existiert hat. Unter dem Schutze eines immer älter werdenden Kaisers entwik- kelte sich für eine relativ kleine Schicht Intel- lektueller ein „großes Leben" oder etwas, das so aussah. Politisch gab es diejenigen, die alles so erhalten wollten, die von einer veränderten, aber konservativen Wende träumten und die Sozialisten, die 1886 ihren Aufstieg began- nen. Einen echten politischen Liberalismus gab es nicht, wohl aber den Wunsch, in das große deutsche Reich wieder aufgenommen 88 Psychologie und Geschichte

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Psychoanalyse und Politik - Ein historischer Überblick

Psychoanalyse und Politik.Ein historischer Überblick.

Ernst Federn

Zusammenfassung: Freuds Einstellung zur Gesellschaft wird zuerst beschrieben. Es folgt eine Darstellungdes Verhaltens einiger Freud-Schüler, die sozialistisch oder kommunistisch eingestellt waren. 1925 versuchtenPaul Federn und Heinrich Meng eine Darstellung der Psychoanalyse für das Volk durch Das Psychoanaly-tische Volksbuch, das sehr erfolgreich war. Die Zeitschriften Psychoanalytische Pädagogik und Psychoana-lytische Bewegung folgten schnell und waren ein Beginn, auf gesellschaftliche Verhältnisse einzuwirken. Allesendete 1938. In den Vereinigten Staaten versuchten einige Analytiker einen ähnlichen Weg zu gehen, der füretwa 25 Jahre auch beträchtlichen Erfolg zeigte, aber heute kaum Beachtung findet. In Europa setzt sich dereine Gedanke Freuds, daß Eros über Thanatos siegen müsse, doch langsam durch. Die Frage der Laienanalysewird behandelt, da sie darauf aufbaut, daß die Psychoanalyse eine Psychologie des Unbewußten ist und nichteine Psychotherapie; diese ist nur eine, und keineswegs die wichtigste Anwendung.

Summary: Freud's attitude in regard to social condition is described. This is followed by a presentation of theposition in this respect by some of his social ist and communist followers.1925 Paul Federn and Heinrich Mengtried through the publication of a people's book of psychoanalysis (Psychoanalytisches Volksbuch) to takeinfluence an society. .This was followed shortly by the appearance of two journals for psychoanalytic paedagogy(Psychoanalytische Pädagogik) and a general application for all Problems of society (Die PsychoanalytischeBewegung), All this ended in 1938. In the USA a number of psychoanalysts tried a similar way and weresuccessfulfor about 25 years but are hardly known today. . In Europe the recognition that Freud 's statement thatEros misst vanquish Thanatos has gained some kind of recognition. The question of layanalysis is also discussedbecause it is the basis of Freud's opinion that psychoanalysis is a psychology of the unconscious and not apsychotherapy. The lauer is only orte and by no means the most important application.

Der junge Freud wie wir heute wissen, warstets in die praktischen Ereignisse eingespannt.Aus eher ärmlichen Verhältnissen kommend,bestand bei ihm ein unstillbarer Zwang großund bedeutend zu werden. Er wurde in der Tatauch bald ein Privatdozent. Die Universitäts-professur erhielt er aber erst spät und niemalsvollständig. Wenn man sein Leben betrachtet,so hat er früh mit ungefähr 20 Jahren einwirkliches Interesse an den politischen Ge-schehnissen seiner Zeit aufgegeben. Er warvon der Beständigkeit des Systems, in dem erlebte, überzeugt, und als er seinen Untergangim Jahre 1916 erkannte, war er bereits 60 Jahrealt. Daß es sein Untergang war, erfaßte errelativ schnell, aber er war selber überzeugt,nicht mehr lange zu leben. Die großen Verluste,der Tod seiner Tochter und des Lieblingsen-kels lagen noch vor ihm.

Freud war ein Liberaler in einem Lande,das einen politischen Liberalismus nicht wirk-lich gekannt hat. Österreich-Ungarn war einkonservatives, grundsätzlich rückständigesLand, das in seiner Hauptstadt Wien zwischen1880 und 1914 ein unglaublich strahlendes,intellektuelles Leben entwickelt hat, das aberimmer, schon wegen seiner Kürze, nur in derHauptstadt, niemals im ganzen Österreichi-schen Volk existiert hat. Unter dem Schutzeeines immer älter werdenden Kaisers entwik-kelte sich für eine relativ kleine Schicht Intel-lektueller ein „großes Leben" oder etwas, dasso aussah. Politisch gab es diejenigen, die allesso erhalten wollten, die von einer veränderten,aber konservativen Wende träumten und dieSozialisten, die 1886 ihren Aufstieg began-nen. Einen echten politischen Liberalismusgab es nicht, wohl aber den Wunsch, in dasgroße deutsche Reich wieder aufgenommen

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Ernst Federn

zu werden, aus dein man 1866 ausgeschlossenworden war. Sieht man sich die Psychoanaly-tiker aus der Zeit vor 1914 an, so erkennt maneinige Sozialisten, sonst aber Leute, die für daswaren, was es gab.

Unter den Sozialisten waren es Friedjung,Furtmüller und Frau Hilferding. Nach demAbfall der Adlerianer verblieb nur Friedjung,der ein aktiver sozialdemokratischer Politikerwar und es auch bis zum Ende blieb. 1918 kamdann Paul Federn dazu, der für ein Jahr sozial-demokratischer Bezirksrat, aber immer Par-teimitglied war. Betrachtet man die Biogra-phien der einzelnen Mitglieder, so stand wahr-scheinlich die Hälfte eher links, die andereHälfte für das, was war. Praktisch tätig warenneben Friedjung und Federn auch noch Sieg-fried Bernfeld, Annie und Wilhelm Reich undschriftstellerisch tätig war auch Fritz Wittels.Unter den Kandidaten gab es wahrscheinlichmehr Sozialisten und Kommunisten als kon-servativ eingestellte. Heinz Hartmann war derSohn eines führenden Sozialisten. SiegfriedBernfeld spielte vor allem nach dem I. Welt-krieg eine große Rolle, mit ihm auch WilhelmHoffer. Aber nach dem Abgang Bernfeldsnach Berlin verschwand dieser Einfluß.

1926/27 bewegte die Frage der „Laienana-lyse" die Wiener Zeitungen. Theodor Reikwar von einem Patienten angezeigt wordenund sollte vor Gericht kommen. Auch AnnaFreud machte man Schwierigkeiten. Bezieh-ungen zu der Regierung, über die Federn ver-fügte, machten der Sache ein Ende. Übrigblieb Freuds Buch über die "Laienanalyse".1926 bestand Freud darauf, daß auch Nicht-Ärzte als Psychoanalytiker ausgebildet wer-den. Da Paul Federn denselben Standpunktvertrat, war auch die offizielle Linie der Wie-ner Vereinigung für die "Laienanalyse".

In Deutschland war Ernst Simmel (1882-1944) sicher auch politisch tätig, denn er grün-dete den „Verein Sozialistischer Ärzte" 1913.Aus einer Besprechung des InternationalenÄrztlichen Bulletins I-VI, 1934-1939 in derPsyche 45/3/91, S. 276 erfahren wir von Hans-Joachim Rothe, daß Henry und Yella Löwen-feld ebenso politisch aktiv waren. Von Edith

Jacobson und John Rittmeister wußten wir esschon lange, und Otto Fenichels schriftlichesEngagement ist bekannt. Simmel leitete einigeJahre ein Sanatorium, in dem die psychoanaly-tische Behandlung Formen annahm, die mitder Freudschen Analyse nicht ganz konformgingen. Freud hatte aber keine uns bekanntenEinwände. Es ist sicher, daß unter der jüngerenGeneration von Kandidaten viele politisch en-gagiert waren, nähere Details sind mir leidernicht bekannt.

Auch in England waren Janes und EdwardGlover an einer Anwendung Freudscher Ge-danken auf soziale Begebenheiten interessiert.Ein wirklicher Versuch, Psychoanalyse sozia-len Wirklichkeiten einzuordnen, ist aber erstin den 70er Jahren geschehen. Es gibt Zeit-schriften und Vereine, die aber außerhalb derpsychoanalytischen Vereinigung stehen. InEngland und den Vereinigten Staaten began-nen in den 20er Jahren psychoanalytische Ide-en unter Sozialarbeitern und Group WorkersEinfluß zu nehmen. Es muß leider festgestelltwerden, daß die Internationale Psychoanalyti-sche Vereinigung sich im großen und ganzenvon ihnen fernhielt. Herausgekommen ist, daßFreuds Ideen ein viel breiteres Feld der An-wendung gefunden haben als die Organisationder Internationalen Vereinigung kontrolliert.Warum das so geschehen ist, läßt sich nicht soeinfach erklären. Sicher ist., daß die Einstel-lung, die Psychoanalyse zu einem Bestandteilder Naturwissenschaften zu machen, grund-sätzlich alle ihre Anwendungen auf den Ge-bieten der Sozialwissenschaften eingeschränkthat. Es überschreitet den Rahmen diesesAufsatzes, im Detail auf den Ablauf der Er-eignisse einzugehen, aber ein Buch soll hiererwähnt werden: Yiannis Gabriel, „Freud andSociety", Routledge and Kegan Paul, London1983, gibt eine sehr klare Übersicht über dengegenwärtigen Stand der Verhältnisse. Er gehtauch auf das Übereinkommen zwischen Heinz .

Hartmann und Talco Parsons ein, das in derPsychoanalyse letzten Endes ein Mittel zumZwecke der Anpassung an bestehende Ver-hältnisse sieht. Es besteht kein Zweifel, daß eserlaubt ist, solche Schlüsse aus Freuds Werk

3. Jahrgang Heft 3/4 89

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Psychoanalyse und Politik - Ein historischer Überblick

zu ziehen. In Deutschland hat sich aber nachdem Krieg eine andere Auffassung entwickelt,die die Psychoanalyse als den Ausgangspunktfür Veränderungen sieht. Das dafür entschei-dende Buch ist Helmut Dahmers „Libido undGesellschaft", Suhrkamp Verlag, 2. Auflage,1982. Es ist sicher die Grundlage einer linkenPsychoanalyse, die hieranerkannt werden soll,ohne daß ich auf sie im Detail eingehen könnte.

Während Dahmers Buch eine Darstellungder Auffassung sozialer Verhältnisse durcheinen Teil der Freudschen Psychoanalyse bie-tet - es gibt auch einen, der es vermeidet,Stellung zu nehmen - hat die Adlersche Indivi-dual Psychologie einen anderen Weg genom-men. Ausgehend von einem jedem Menscheninnewohnendem Gemeinschaftsgefühls undWir-Erlebnisses ist sie zum Unterschiedteleologisch, das heißt auf ein Ziel gerichtet, be-stimmt. Das Entstehen einer sozial besserenWelt wird von dem meisten Individual Psy-chologen als Voraussetzung ihres Denkensgenommen. Damit sind sie von Freuds Auffas-sung, die zwar den Sieg von Eros erhofft, aberAggression und Thanatos voll anerkennt undderen Sieg befürchtet, ziemlich weit unter-schieden. 1926 erschien das von Paul Federnund Heinrich Meng herausgegebene „Psycho-analytische Volksbuch", das zum ersten Malversucht, die Psychoanalyse nicht nur als Be-handl ung seelischer Krankheiten, sondern auchals Methode für Sozialwissenschaften undPädagogik der breiten Öffentlichkeit bekanntzu machen. Das Buch erschien in 5 Auflagen,bis es als Taschenbuch in drei kleinen Bänden1965 bei Goldmann herauskam. 1926 erschienauch das erste Heft der Zeitschrift „Psycho-analytische Pädagogik", die bis 1938 von Wienaus publiziert wurde. Es scheint, als ob einAnfang gemacht worden wäre, die Psycho-analyse auch auf soziale Problem anzuwenden.Der Beginn war ein sehr guter, Hunderte Zu-hörer kamen zu Versammlungen und Vorträ-gen in Deutschland. 1931 erschien ein Buch„Das unbewußte Europa", eine psychoanaly-tische Betrachtung europäischer Politik voneinem Fedor Vérgin, im Hess-Verlag, Wien-Leipzig. Es ist nicht klar, wer sich hinter

diesem Namen verbirgt. Es endet mit der Vor-aussage eines neuen schrecklichen nationalenKrieges. Der letzte Satz lautet: „Auch Idealesind Giftgas." Das Buch erklärt den Krieg alsAusdruck menschlichen Wahnsinns. „Dochdie geheimnisvolle Rache der Naturgesetzeliegt darin, daß viele Menschen unbewußtzerstören, was sie bewußt zu fördern glauben"(S. 119) und „Im Laufe der Entwicklung wirdsich daher Demokratie als letztes Sicherungs-mittel aller durchsetzen" (5. 119). Im Buchsteht nichts über den Autor, von dem derRezensent, wohl A.J. Storfer selbst in der„Psychoanalytischen Bewegung" schreibt, daßes ein Erstling ist. In einem „Vermächtnis andie künftigen Erforscher der europäischenWüste" schreibt der Verfasser (S. 342) „So ihrin einigen Jahrzehnten die europäische Wüstedurchforscht, nachdem die Giftgase des letz-ten Krieges sich zersetzt haben und findetdieses Büchlein, wisset, daß die Europäer sichselbst zugrunde gerichtet haben, daß sie sichmit allen Mitteln der Wissenschaft einfach,praktisch und realistisch gegenseitig ausgerot-tet haben."

„Europa stirbt an seinen Idealen" lauteteine Überschrift (S. 19). Das Buch geht davonaus, daß der Freudsche Satz „Die Schicksals-frage der Menschheit scheint mir zu sein, obund in welchem Maße es ihrer Kulturentwick-lung gelingen wird, der Störung des Zusam-menlebens durch den menschlichen Aggres-sions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zuwerden" (G.W. 506) aus dem "Unbehagen inder Kultur" negativ beantwortet werden muß.Er behält in einem gewissen Sinne recht, wennman an das Europa des Jahres 1945 denkt. Ausder Buchbesprechung in der „Psychoana-lytischen Bewegung" von 1931 erfahren wir,daß der Verfasser „ein homo novus und jeden-falls kein Psychoanalytiker ist". Diese Bespre-chung von 9 Seiten sagt nichts über den Inhaltdes Buches aus, das rezensiert wird. Eine wei-tere Besprechung ist angekündigt, ich konntesie aber nicht finden. Das Buch blieb ohneirgendwelche Wirkung.

1938 war alles zu Ende. Zwischen 1934und 1938 versuchten die Wiener Psychoana-

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Ernst Federn

lytiker unter der Regierung Schuschnigg zuüberleben, und Federn verbot jede politischeArbeit, die illegal war, den Mitgliedern undKandidaten. Ein Vertreter der Polizei saß inden Sitzungen der Vereinigung, ohne jemalszu intervenieren. Freud konnte 1936 ungestörtseinen 80. Geburtstag im Konzerthaus und ander Universität gefeiert sehen.

Da nur vier ehemalige Mitglieder nach1938 in Wien blieben, von denen Isidor Sad-ger in Theresienstadt umgekommen ist undvon Winterstein als Halbjude sowieso nicht inErscheinung treten konnte, waren es nur Ne-pallek und Aichhorn, die in Wien die Psycho-analyse vertraten. Sie hielten private Konfe-renzen ab, von denen einige Protokolle erhal-ten geblieben sind. Nepallek starb 1941 undnahm wahrscheinlich schon aus Altersgrün-den an ihnen nicht mehr teil. Aichhorn warbrieflich ein „deutscher Psychoanalytiker" ge-worden. Ein Sohn von ihm war ja im Konzen-trationslager, er ging aber persönlich niemalsnach Berlin. Ella Rainer-Lingens war Teil-nehmerin dieser Gruppe, wurde aber verhaftetund kam nach Auschwitz. In diesen Jahrenkamen noch Dr. Nowotny und von Gebsattelmit Aichhorn zusammen. Eine Tätigkeit aus-zuüben war außerordentlich schwierig, wurdeaber versucht, und der eine oder andere kam indiesen Jahren zur Psychoanalyse. 1945 begannsie sich in Wien wieder zu organisieren. DieVerhältnisse waren aber so schlecht, daß Kan-didaten weggingen und Hans Jokl, der ausParis nach Wien gekommen war, wieder fort-fuhr. Bis zum Internationalen Kongreß 1971blieben die Psychoanalytiker eine kleineGruppe, von der außer Aloys Becker, LambertBolterauer, Wilhelm Solms und Hans Strotzkaniemand allgemein bekannt wurde. Mit derErnennung des letzteren zum OrdentlichenProfessor für Psychotherapie und Tiefenpsy-chologie hat sich vieles gewandelt. 1988 wur-de Freud gefeiert und gilt heute offiziell als„goßer Österreicher". Psychoanalytiker zusein ist offiziell kein Grund, von irgendeinerPosition ausgeschlossen zu werden. Die Uni-versitäten sind aber nach wie vor eher feind-lich als freundlich, die Psychoanalyse ist ei-

gentlich durch Erwin Ringel vertreten, der einmit Freud ausgesöhnter Adlerianer ist.

Wie sieht die Situation heute internationalaus? Da die kontinentale Psychoanalyse mitAusnahme der Schweiz 1938 verschwand,müssen wir uns der amerikanischen Seite zu-wenden. Mit dem Beginn des Krieges wurdeWilliam Menninger, ein bedeutender psycho-analytischer Psychiater, Chef der amerikani-schen Streitkräfte, was zum Aufstieg der Psy-choanalyse in den Vereinigten Staaten vielbeigetragen hat. Sein Bruder Carl war einerder wenigen amerikanischen Psychoanalyti-ker, der für die Ausbildung auch nichtärztlicherKandidaten war und diese auch durchführte.Er setzte sich auch in Wort und Schrift für eineAnwendung psychoanalytischer Gedanken aufsoziale Verhältnisse ein. Im großen und gan-zen gesehen blieb aber Carl Menninger allein,wenn wir von Männern wie Robert Lindner,der aber bald nach dem Kriege starb, EricErikson, Fritz Redl, Benjamin Spock und Bru-no Bettelheim absehen. Auch einige Frauenwie Selma Freiberg und Marianne Kris be-schäftigten sich mit der Erziehung von Kin-dern. Erikson machte die Psychoanalyse füreine Periode zum Bestand der amerikanischenKultur. Spock beeinflußte die Erziehung maß-gebend in der Mittelklasse, Fritz Redl undBruno Beuelheim trugen ebenfalls zur Ein-stellung der amerikanischen „besseren Klassen" bei. Es muß aber trotzdem gesagt werden,daß die Beeinflussung der sozialen Verhält-nisse und des Lebens in den Vereinigten Staatenals geringer angesehen werden muß als derVerkauf der Bücher dieser Autoren annehmenhätte lassen. Der Einfluß auf Washington, denFritz Redl in den 50er Jahren versuchte, bliebvöllig ergebnislos. Auch heute gibt es eineamerikanische Psychoanalyse, aber von einerwirklichen Veränderung des sozialen Lebensdurch sie kann man nicht sprechen. Das hängtzum Teil davon ab, daß die amerikanischePsychoanalyse als Heilmittel individueller Er-krankungen angesehen und auch als solchegelehrt und praktiziert wird.

Eine ähnliche Situation sehen wir auch inDeutschland. Obwohl Alexander Mitscher-

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Psychoanalyse und Politik - Ein historischer Überblick

lich und etwas später Horst Eberhard Richterdurch ihre Bücher der Psychoanalyse inDeutschland zur Anerkennung und man darfauch sagen zum Durchbruch verholfen haben,ist sie im Wesentlichen aus der Gestaltung despolitischen Lebens noch immer draußen.Trotzdem darf man sagen, daß in Zeitschriftenund Assoziationen psychoanalytische Gedan-ken einen immer größer werdenden Rahmengewonnen haben. Seit dem Ende der 80erJahre beginnt auch psychoanalytische Erzie-hung wieder bekannt zu werden. Ähnlichesdarf auch von England und Frankreich berich-tet werden, wenngleich in einem geringerenAusmaß und auf einige Stellen beschränkt.

Aus Österreich muß auch noch über dieSigmund Freud Gesellschaft berichtet wer-den. Sie wurde 1968 von Friedrich Hacker,Wolfgang Kraus und Janko Musulin untereiner konservativen Regierung mit wenig In-teresse der Öffentlichkeit gegründet. 1971 än-derte sich die Situation durch die Abhaltungdes Internationalen Kongresses der Psycho-analytischen Vereinigung und vor allem durchdas Auftreten von Anna Freud in Wien. IhreWeigerung, Wien zu besuchen, hatte sich ge-ändert. Sie war mit Wien versöhnt und unter-stützte alle Aktivitäten, die nun folgten. DasFreud-Museum wurde eingerichtet und istheute eines der meist besuchten Museen Wiens.Ein Anna-Freud-Kindergarten wurde eben-falls errichtet und hat im Jahre 1990 seinen 10.Geburtstag gefeiert. Der auf Friedrich Hacker-

folgende Präsident der Sigmund Freud Ge-sellschaft, Harald Leupold-Löwenthal, ver-sucht durch regelmäßige Vorträge und Veran-staltungen für Richter und Lehrer Freuds Ideenin die Gesellschaft zu bringen. Die Veran-staltungen sind immer gut besucht.

Die Universitäten sind im Grunde immernoch gegen Freud eingestellt, aber die Auffüh-rung eines Musicals „Freudiana" und die großeVeranstaltung anläßlich des 40sten Jahresta-ges der „Vertreibung der Vernunft" aus Öster-reich haben sicherlich dazu beigetragen, daßdie Toleranz viel größer geworden ist und daßeine Reihe von Psychoanalytikern in ihrenFachgebieten anerkannt werden, die aber im-

mer noch in der Medizin liegen. So wurdeLeupold-Löwenthal Dozent für Psychoanalysean der Universität Wien, Klaus Ottomeyer andie Universität Klagenfurt und Ewald Englertan die Universität Salzburg berufen. In Salz-burg versucht der Verein „Werkstatt für Ge-sellschafts- und Psychoanalyse" Einfluß zugewinnen. Es ist besser zu sagen, daß derÖsterreichische Staat und die Öffentlichkeitbedeutend weniger feindlich der Psychoana-lyse entgegentreten und langsam auch einigeihrer wesentlichen Erkenntnisse annehmen.

Was sollte die Analyse im Hinblick aufsoziales Verhalten erreichen? Sie sollte vorallem im Strafvollzug Veränderungen herbei-führen. Das ist in einem gewissen Maße auchgeschehen. Ihr Einfluß ist bemerkenswert undsoll nicht übersehen werden. Hier waren dieNiederlande Pioniere, gefolgt von Österreichund Deutschland. Auch in der Schweiz hatsich vieles zum Besseren geändert.

Man muß auch anerkennen, daß das Ver-stehen von unbewußten Kräften in der Seele indas Denken von Politikern eingedrungen ist.Ich meine, es hat zu zwei entscheidendenÄnderungen in der Politik geführt.

1)Es wird anerkannt, daß Aggression einTeil des menschlichen Lebens ist, der ständigin Schach gehalten werden muß. Das brauchtZeit, auch Geld. Um Eros stärker werden zulassen, müssen die großen sozialen Verhält-nisse so gestaltet werden, daß Zeit und Raumfür das gesellschaftliche Leben immer größerwerden. Es scheint, als ob diese Grunder-kenntnisse Freuds langsam auch in die Hirneder Politiker Eingang finden. Immer mehrsehen wir Politiker, die diese Zusammenhängeverstehen und in die Tat umzusetzen versu-chen. Zum Beispiel wurden große Fehler, diebei der Vereinigung Deutschlands begangenwurden, erkannt und zu korrigieren versucht.

2) Eros, der gegen Aggression steht, kannnur dann stärker werden und bleiben, wenn diesozialen Bedingungen ihm erlauben, sein Spielzu treiben. Wird Aggression einmal gerufen,kann sie sehr lange und mit verheerendenKräften an der Macht bleiben. Diese Gefahrscheint auch in Europa immer mehr erkannt zu

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Ernst Federn

werden. Damit wird aber Freuds Einsicht, daßbeinahe beide Triebe als gleich stark angese-hen werden müssen und nur durch das Ein-schreiten auf Seite des Eros sein Sieg möglichgemacht wird. Daß das die Aufgabe der Politiksein müßte, wird umso klarer als die Kraft desAtoms zum Ausdruck der Aggression gewor-den ist und durch Tschernobyl allgemein aner-kannt wurde.

Es ist daher anzunehmen erlaubt, daß dasaggressive Element im Menschen immer mehrals zu unterdrücken und zu beherrschen aner-kannt wird. Es ist zu hoffen, daß die Anfänge,die sich zeigen, größer werden und die Barbe-rei immer weiter unterdrückt wird. Auch ist eserlaubt zu hoffen, daß eine solche „Friedens-

politik" im Laufe der Generationen zumLeitpunkt allen politischen Handelns gemacht wird.Damit wären die Freudschen Erkenntnisse übersoziale Verhältnisse auch allgemein anerkannt.

Literatur

Federn, P. & Meng, II. (1926). Das PsychoanalytischeVolksbuch. Hit,' pok Tates Verlag: Stuttgart (später HansHuber: Bern)

Gabriel, Y. (1983). Freud and Society. London:Routled-ge & Kegan.Vérgin, F. (1931). Das unbewußte Europa. Wien, Leipzig:Hess Verlag.

Zum Autor: Ernst Federn, geb. 1914, ist der Sohn von Paul Federn, Mitherausgeber der "Protokolle der Wiener Psychoanaly-tischen Vereinigung, 1906-1918", 4 Bd., S. Fischer Verlag. Herausgeber von "Freud im Gespräch mit seinen Mitarbeitern",S. Fischer Taschenbuch, Sozialtherapeut und Autor. Ehrenmitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung.Anschrift: Kolingasse 20/11, 1090 Wien, Österreich.

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