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11. AuDenwirtschaft und Wahrung 11.1 AuDenwirtschaftliche Verflechtungen 11.1.1 Der Leistungsverkehr Die deutsche Volkswirtschaft ist eine offene Volkswirtschaft, die mit anderen Liindern bzw. mit der ubrigen Welt uber eine Vielzahl wirtschaftlicher Kanale verbunden ist. Fiir jeden am offenkundigsten sind dabei die aus dem internatio- nalen Warenverkehr sich ergebenden Kontakte, sei es, daB aus dem Ausland importierte Waren zum taglichen Lebensbedarf ziihlen, wie z.B. Bananen aus Mit- telamerika oder Kleidung aus Fernost, sei es daB Produkte aus inliindischer Her- stellung ins Ausland exportiert werden, wie beispielsweise deutsche Automobile oder Maschinen. Es gehOrt auch zum Selbstverstandnis vieler Mitbiirger, daB sie im Ausland Urlaub machen und dort entsprechende Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Es ist ebenfalls ublich, in bekannten deutschen Stadten und Feriengebie- ten auslfindische Touristen anzutreffen, die Leistungen von Reiseunternehmen, Hotels und Restaurants nachfragen. Auch wenn die grenziiberschreitenden wirt- schaftlichen Verflechtungen damit bei weitem nicht erschOpft sind, erscheint der Austausch von Waren und Dienstleistungen vielfach als besonders gut erkennbares Beispiel des internationalen Leistungsverkehrs. Der internationale Warenverkehr steht historisch sowie yom quantitativen Gewicht und der ErfaBbarkeit her im Vordergrund bei Betrachtungen zur AuBen- wirtschaft einer Volkswirtschaft. In der Tabelle 6 sind daher ausgewiihlte Daten zum Wert der deutschen Warenausfuhr und Wareneinfuhr im Zeitraurn von 1960 bis 2000 dargestellt. Tabelle 6: Warenausfuhr und Wareneinfuhr in Deutschland Jahr 1960 1 1970 I 1980 I 1990 I 2000 Mrd.DM I Warenausfuhr 47,9 I 125,3 I 350,3 I 642,8 I 1.167,3 I Wareneinfuhr 42,7 I 109,6 I 341,4 I 550,6 I 1.064,3 QueUe: Jahresgutachten 2001102 des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesarntwirtschaftli- chen Entwicklung, TabeUe 48*, S. 434. Ausfuhr und Einfuhr in der Abgrenzung des Spezialhandels. Werte fur 1960 bis 1990 beziehen sich auf das frohere Bundesgebiet, der Wert von 2000 bezieht sich auf Deutschland. Man erkennt aus der Tabelle 6 ein betriichtliches Anwachsen der Waren- strome im Gesamtzeitraurn urn das 24-fache, wobei die relativ groBten Zuwiichse in den 60er und 70er Jahren zu verzeichnen waren. In den 80er und 90er Jahren ha- ben sich die Warenstrome aber noch jeweils etwa verdoppelt. Dies ist ein deut- licher Beleg fUr die uberaus kriiftige Zunahme der auBenwirtschaftlichen Ver- G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre © Physica-Verlag Heidelberg 2002

[Physica-Lehrbuch] Grundlagen der Volkswirtschaftslehre || Außenwirtschaft und Währung

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11. AuDenwirtschaft und Wahrung

11.1 AuDenwirtschaftliche Verflechtungen

11.1.1 Der Leistungsverkehr

Die deutsche Volkswirtschaft ist eine offene Volkswirtschaft, die mit anderen Liindern bzw. mit der ubrigen Welt uber eine Vielzahl wirtschaftlicher Kanale verbunden ist. Fiir jeden am offenkundigsten sind dabei die aus dem internatio­nalen Warenverkehr sich ergebenden Kontakte, sei es, daB aus dem Ausland importierte Waren zum taglichen Lebensbedarf ziihlen, wie z.B. Bananen aus Mit­telamerika oder Kleidung aus Fernost, sei es daB Produkte aus inliindischer Her­stellung ins Ausland exportiert werden, wie beispielsweise deutsche Automobile oder Maschinen. Es gehOrt auch zum Selbstverstandnis vieler Mitbiirger, daB sie im Ausland Urlaub machen und dort entsprechende Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Es ist ebenfalls ublich, in bekannten deutschen Stadten und Feriengebie­ten auslfindische Touristen anzutreffen, die Leistungen von Reiseunternehmen, Hotels und Restaurants nachfragen. Auch wenn die grenziiberschreitenden wirt­schaftlichen Verflechtungen damit bei weitem nicht erschOpft sind, erscheint der Austausch von Waren und Dienstleistungen vielfach als besonders gut erkennbares Beispiel des internationalen Leistungsverkehrs.

Der internationale Warenverkehr steht historisch sowie yom quantitativen Gewicht und der ErfaBbarkeit her im Vordergrund bei Betrachtungen zur AuBen­wirtschaft einer Volkswirtschaft. In der Tabelle 6 sind daher ausgewiihlte Daten zum Wert der deutschen Warenausfuhr und Wareneinfuhr im Zeitraurn von 1960 bis 2000 dargestellt.

Tabelle 6: Warenausfuhr und Wareneinfuhr in Deutschland

Jahr

1960 1 1970 I 1980 I 1990 I 2000

Mrd.DM I Warenausfuhr 47,9 I 125,3 I 350,3 I 642,8 I 1.167,3 I Wareneinfuhr 42,7 I 109,6 I 341,4 I 550,6 I 1.064,3

QueUe: Jahresgutachten 2001102 des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesarntwirtschaftli­chen Entwicklung, TabeUe 48*, S. 434. Ausfuhr und Einfuhr in der Abgrenzung des Spezialhandels. Werte fur 1960 bis 1990 beziehen sich auf das frohere Bundesgebiet, der Wert von 2000 bezieht sich auf Deutschland.

Man erkennt aus der Tabelle 6 ein betriichtliches Anwachsen der Waren­strome im Gesamtzeitraurn urn das 24-fache, wobei die relativ groBten Zuwiichse in den 60er und 70er Jahren zu verzeichnen waren. In den 80er und 90er Jahren ha­ben sich die Warenstrome aber noch jeweils etwa verdoppelt. Dies ist ein deut­licher Beleg fUr die uberaus kriiftige Zunahme der auBenwirtschaftlichen Ver-

G. Graf, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre© Physica-Verlag Heidelberg 2002

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flechtung der deutschen Volkswirtschaft tiber den Weg des internationalen Wa­renverkehrs in den zurUckliegenden Jahren.

Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch Informationen tiber die BestimmnngsHinder nnd die UrsprungsHinder der international en Warenstrome. Die Tabellen 7 und 8 stellen daher die wesentlichen Handelspartner Deutschlands im Zeitraum von 1960 bis 2000 mit ihrenjeweiligen Anteilswerten an der Waren­ausfuhr bzw. Wareneinfuhr dar.

Tabelle 7: Deutsche Warenausfuhr nach Uindergruppen

Jahr 1960 1970 1980 1990 2000

Undergruppen, Bestimmungslllnder Anteilswerte in % EU-Llinder 40,3 49,8 51,1 54,5 56,5 Mittel- und osteuropllische Llinder 3,9 3,8 4,9 3,6 10,2 Obrige europllische Llinder 23,3 19,7 18,3 18,8 6,6 AuBereuropliische Industriellinder 12,7 14,2 9,9 12,2 14,5 Entwicklungs1l1nder 18,5 11,8 14,7 10,1 10,3

Quelle: Jahresgutachten 2001102 des Sachverstllndigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli­chen Entwicklung, Tab. 52*, S. 438 sowie eigene Berechnungen (Differenzen durch Runden). Die Werte von 1960 bis 1990 beziehen sich auf das friihere Bundesgebiet, der Wert von 2000 bezieht sich auf Deutschland.

Tabelle 8: Deutsche Wareneinfuhr nach Landergruppen

Jahr 1960 1970 1980 1990 2000

Llindergruppen, Ursprungslllnder Anteilswerte in % EU-Llinder 39,5 51,5 48,6 52,1 51,8 Mitte1- und osteuropllische Llinder 4,0 3,7 4,6 4,0 11,8 Obrige europllische Llinder 14,6 11,9 12,8 16,0 6,7 AuBereuropliische Industriellinder 18,8 16,4 13,1 14,5 15,0 Entwicklungs1l1nder 22,1 16,1 20,4 12,0 11,0

Quelle: Jahresgutachten 2001102 des Sachverstllndigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli­chen Entwicklung, Tab. 53*, S. 439 sowie eigene Berechnungen (Differenzen durch Runden). Zum Gebietsstand siehe Quellenangabe zu Tab. 7.

Aus den Tabellen 7 und 8 zeigt sich, daB der deutsche AuBenhandel seit 1970 zu tiber 50 % mit den unmittelbaren Nachbam in der EG bzw. der ED abgewickelt wird. Dorthin gehen die meisten Warenausfuhren und von dort stammt der GroBteil der Wareneinfuhren. Bedingt ist dies zum Teil auch durch die Erweiterung der Mitgliedslander der ED. Gehandelt werden hierbei vielfach technisch relativ gleichartige Produkte wie z.B. Kraftfahrzeuge und Lebensmittel, die allerdings im jeweiligen Partnerland auf eine besondere Nachfrage stoBen. 1m wesentlichen gilt das Gleiche fUr den Warenhandel mit den westeuropaischen und den auBereuropai­schen Industrielandern. Auffallend ist daneben der deutliche Anstieg des Waren-

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handels mit den mittel- und osteuropaischen Landern bis zum Jahr 2000 sowohl was die Ausfuhr wie die Einfuhr anbetrifft. Noch deutlicher fallt der Riickgang des Anteilswertes der Entwicklungsllinder in der jiingsten Vergangenheit aus.

Der Au6enhandel errullt damit vorrangig die Funktion, iiber internationale Arbeitsteilung die Vielfalt der Gfiter zu erweitern, die in den jeweiligen Lan­dern produziert und angeboten werden k6nnen. Den Nachfragern, d.h. den Haus­halten und Unternehmen, steht auf diese Weise eine gr613ere Ffille an Produkten zur Auswahl, die eine gr613ere Unterschiedlichkeit und Differenziertheit aufweisen als es durch rein nationale GUterproduktion wirtschaftlich darstellbar ware. Diese Argumentation gilt insbesondere deshalb, weil der Au13enhandel vorwiegend zwi­schen Industrielandern abgewickelt wird. Der Au13enhandel dient zu einem gerin­geren und eher abnehmenden Teil den Lieferbeziehungen mit Rohstoffen, obwohl Rohstoffe eine zentrale Grundlage der materiellen Produktion, der Energieerzeu­gung und der Nahrungsmittelversorgung sind. Das Schwergewicht des Au13enhan­dels liegt demnach auf der Erweiterung des Giiterspektrums in den Warenmarkten der offenen V olkswirtschaften un serer Tage.

Die Erweiterung der Warenrulle, die der Au13enhandel zulai3t, verhilft nicht nur zu zusatzlichen Konsumm6g1ichkeiten und zu Produktionsvarianten. Der Au-6enhandel ist vielmehr und vielfach in erster Linie darur verantwortlieh, da13 sich in den daran beteiligenden Landern fiber die gesamtwirtschaftlichen Nachfrage­komponenten Zuwachse in der Giiterproduktion und beim gesamtwirtschaftli­chen Einkommen ergeben konnen. Der Au13enhandel fungiert insoweit als Motor der Wirtschaftstatigkeit in den offenen Volkswirtschaften und pragt zu einem we­sentlichen Teil auch Konjunkturveriaufe, wie im nachfolgenden Kapitel 12 rur deutsche Verhaltnisse noch deutlich werden wird. 1m Umkehrschlu13 bedeutet dies aber auch, da13 Behinderungen des Au13enhandels fiber Handelshemrnnisse in Form von Zollen, Einfuhr- und Ausfuhrbeschrankungen und sonstigen Restriktionen bis hin zu Boykotts nieht nur eine direkte Wirkung auf das AuI3enhandelsvolumen haben, sondern dane ben Produktion und Einkommen in den davon betroffenen Volkswirtschaften nachhaltig beeintrachtigen konnen. Au13enhandel ermoglicht eine gro13ere Gfiterproduktion und ein hOheres gesamtwirtschaftliehes Einkommen. Dies bedingt aber selbstverstandlieh fiber die weitergehende Arbeitsteilung aueh eine gro13ere gegenseitige Abhangigkeit. Au13enhandel verstarkt die internationale Konkurrenz und fiihrt aus nationaler Sieht zum Erfordernis naeh gro13erer Flexibi­litat im wirtsehaftlichen Verhalten.

Zum Leistungsverkehr zlihlt neben dem Au13enhandel mit Waren aueh der internationale Austauseh von Dienstieistungen. Der rur deutsehe Verhaltnisse gro13te Posten besteht dabei im Reiseverkehr. Allerdings sind zu den Dienstlei­stungen aueh traditionell bedeutsamere Positionen wie die rur Transportleistungen zu reehnen. Die international ausgetausehten Dienstleistungen besitzen ein he­aehtliehes Gewicht und expandieren weiterhin. Daraus resultieren rur die Partner­Hinder wiederum bedeutsame Moglichkeiten rur die GUterproduktion und die Ein­kommensentstehung. Tahelle 9 weist rur ausgewahlte Jahre die Einnahmen und

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Ausgaben aus, die sich aus dem deutschen Dienstleistungsverkehr mit dem Aus­land ergeben haben.

Tabelle 9: Dienstleistungsverkehr mit dem Ausland

Jahr 1970 I 1980 I 1990 I 2000

Mrd.DM I Einnahmen 31,8 I 88,6 I 105,7 I 182,9 I Ausgaben 39,6 I 111,5 I 125,4 I 270,3

QueUe: Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik. Die Werte von 1970 und 1980 sind wegen Anderungen in der statistischen Abgrenzung nicht vOllig mit den weiteren Werten vergleichbar. 1m iibrigen gelten die Hinweise iiber den Gebietsstand aus der QueUenangabe zu Tab. 6.

Uber die gesamte in Tab. 9 enthaltene Beobachtungsperiode hin kommt es wie beim Warenhandel zu einer betrachtlichen Expansion der Einnahmen und Ausgaben aus dem Dienstleistungsverkehr urn das 6 bis 7-fache. Nicht aIle Posi­tionen des intemationalen Leistungsverkehrs weisen aber eine gleichartige Dy­namik auf. Es gibt darunter auch solche, die aus deutscher Sicht absolut rucklaufig sind, wie z.B. die zu den Regierungsleistungen zahlenden Einnahmen von auslan­dischen militarischen Dienststellen rur Warenlieferungen und Dienstleistungen. Eine Reihe anderer Positionen, die hier im Detail nicht nachvoIlzogen werden soIlen, stagniert iiber Jahre hin auf dem gleichen Niveau.

11.1.2 Der internationale Kapitalverkehr

Intemationale Kapitalstrome sind ein weiterer Verbindungskanal zwischen inlan­dischen Wirtschaftssubjekten und der iibrigen Welt. Sie weisen in den letzten Jahr­zebnten eine besonders dynamische Entwicklung auf. Dies liegt zum einen daran, daB sie mit der finanziellen Abwicklung des Leistungsverkehrs einhergehen. Die Zahlungen, die beispielsweise fUr die Waren- und Dienstleistungsexporte und -importe erforderlich sind, fiihren zu Kapitalstromen und machen bereits erhebliche Betrage aus. Es kommt hinzu, daB Kapitalstrome nicht nur der Abwicklung von Leistungsstromen dienen, sondem aus einem eigenstandigen Anlageinteresse ent­stehen. Intemationale Kapitalstrome erfolgen insoweit mit der Absicht, einen Ver­mogensbetrag im jeweiligen Ausland anzulegen und ibn iiber die Zeit hin in seinem Wert zumindest zu erhalten. Vermogensbetrage konnten selbstverstandlich auch immer in der jeweiligen nationalen Volkswirtschaft der Vermogensbesitzer aufbe­wahrt oder angelegt werden. Allerdings stellt sich den Vermogensbesitzem immer wieder die Frage, ob die Anlage des Betrags im Inland wirtschaftlich genau so gut, besser oder aber auch schlechter ist als die Anlage im Ausland.

FOr internationale Kapitalstrome spielen von vornherein Einschiitzungen iiber Sicherheit und Werthaltigkeit von Vermogensbestandteilen in einer jeweiligen Volkswirtschaft eine wesentliche Rolle. Diese Einschiitzungen sind einerseits sub­jektiv gepragt und von den personlichen Praferenzen der einzelnen Vermogens-

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besitzer abhangig. Hierbei sind auch Aspekte zu berucksichtigen, die sich gewis­sermaBen ausschlieJ31ich daraus ergeben, daB die Hille der Anlagemoglichkeiten international groBer ist als national und sich dementsprechend spezielle Wtinsche -wie z.B. ein Haus unter Palmen - vornehmlich im Ausland realisieren lassen.

Andererseits wirken auf die internationalen Kapitalstrome auch Eintltisse ein, die sich aus dem allgemeinen WirtschaftsprozeB im Inland und den Erwar­tungen tiber wirtschaftliche und soziale Stabilitat, die Sicherheit der Rechtsord­nung, den Schutz der Eigentumsrechte, die Wahrscheinlichkeit von fiskalischen oder anders motivierten Eingriffen des Staates in Eigentum, Verfugungsmoglich­keiten tiber Vermogensanlagen und deren Ertrage erstrecken. Vermogensanleger werden daher ihre Anlageentscheidung vor dem Hintergrund der vorherrschenden und zu erwartenden gesamtstaatlichen Politik eines Landes treffen. In diesem Zu­sammenhang werden sie auch eine Einschatzung des politischen und wirtschaftli­chen Systems der anderen Lander, die fur Vermogensanlagen in Frage kommen, vornehmen. Insbesondere unsichere Regierungen und politische Systeme, die zu wirtschaftlichen Risiken neigen, scheuen sich vor den Einschatzungen von Wirt­schaftssubjekten, auf die sie keinen hoheitlichen Zwang austiben konnen und beo­bachten Kapitalstrome mit besonderem MiBtrauen.

Kapitalstrome werden international schlieOlich dann ausgelOst, wenn bei sonst gleichen Bedingungen die Renditen oder die Ertragsmoglichkeiten zwi­schen den Landern differieren. Hierzu zahlen auch nachhaltige Kostenunterschiede fur Produzenten, die den Standort fur eine InvestitionsmaBnahme festlegen wollen. Die Ertragsmoglichkeiten fur Anlagen werden bei Geld- oder Finanzanlagen unter Umstanden ein Kriterium sein, das bei ktirzerfristig gebundenen Kapitalanlagen im Einzelfall von groBerer Bedeutung ist als die dauerhafte Wertbestandigkeit.

Die Einschatzungen der Kapitalanleger tiber Attraktivitat, Sicherheit und Rentabilitat bestehender oder moglicher Auslandsanlagen sind insgesamt sehr vielgestaltig zumal in globalisierten internationalen Markten die Entscheidungen einen groBen Kreis von Volkswirtschaften umfassen. Es kommt hinzu, daB die international en Kapitalbewegungen zwischenzeitlich ein groBes finanzielles Ge­wicht besitzen und dementsprechend ihrerseits in den offenen Volkswirtschaften wirtschaftliche Veranderungen auslosen konnen. Auf diesem Weg kann es schlieB­lich sogar zu noch weiteren Kapitalstromen kommen, die verstarkend oder modifi­zierend fur den ersten Impuls wirken.

Die Dimension der internationalen Kapitalstrome laBt sich anhand unter­schiedlicher Daten belegen. Zum einen solI sie mit Werten aus der deutschen Zahlungsbilanz verdeutlicht werden, die in Tabelle 10 enthalten sind. Tab. 10 macht deutlich, daB die Kapitalausfuhr und die Kapitaleinfuhr in der Beob­achtungsperiode von 1971 bis 2000 besonders stark gewachsen sind und in ihrem Wachstum die oben aufgefuhrten LeistungsgroBen des Warenhandels und der Dienstleistungen bei weitem tibertreffen. Was in den Werten der Tab. 10 nicht hinreichend zu Tragen kommt, ist aber die erhebliche Volatilitat oder Schwan­kungsbreite der Kapitalstrome. Die Entwicklung verlauft namlich keineswegs kontinuierlich, sondern vollzieht sich im Rahmen von zum Teil extremen Schwan-

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kungen, die in einzelnen Jahren mit absoluten Riickgangen auf weniger als die Halfte des jeweiligen Vorjahreswertes verbunden sein k6nnen.

Tabelle 10: Deutscher Kapitalverkehr mit dem Ausland

Jahr 1971 1980 1990 2000

Mrd.DM Zunahme deutscher Nettokapitalanlagen imAusland 7,1 52,5 181,9 680,1 = Kapitalausfuhr Zunahme auslandischer Nettokapitalanla-gen im Inland 15,6 52,5 92,4 699,3 = Kapitaleinfuhr

Quelle: Jahresgutachten 2001102 des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli­chen Entwicklung, Tab. 38*, S. 420-1. Werte fur 1971 bis 1990 beziehen sich aufdas friihere Bundes­gebiet, der Wert fur 2000 auf Deutschland.

Die Dimension der internationalen Kapitalstrorne zeigt sich zurn anderen anhand von Daten, die von der Bank fUr Internationalen Zahlungsausgleich (Bank for International Settlements, BIS) erhoben werden und sich auf internationale Devisentransaktionen beziehen. Solche Devisentransaktionen bestehen in Kassa­geschaften, gesicherten und ungesicherten Termingeschaften und in Tafeigeschaf­ten flir Wiihrungs- und Zinsderivate. Die Bank flir Internationalen Zahlungsaus­gieich tragt die Daten mit Hilfe der nationalen Zentralbanken zusammen und legt dementsprechend Schatzwerte flir den durchschnittlichen Devisenumschiag pro Tag jeweils im April flir ausgewahlte Jahre vor. Tab. II enthalt die giobalen tagIi­chen Devisenmarkttransaktionen.

Tabelle 11: Giobale Devisenmarkttransaktionen

Jahr 1989 I 1992 I 1995 I 1998 I 2001

Mrd. US-Dollar I Tagliches Volumen der globalen Devisenmarkttransaktionen 590 1 820 1 1.190 11.490 1 1.210

Quelle: Bank for International Settlements, Central bank survey of foreign exchange and derivatives market activity in April 200 I: preliminary global date, Press release, Basel 09 October 2001, S. 4

Aus der Tab. II wird deutlich, daB sich das Tagesvolumen der Transaktionen auf den internationalen Devisenmiirkten einerseits bis Ende der 90er Jahre nach­haltig gesteigert hat, seither andererseits absolut riickgiingig ist. Die Dimension der Tagesumsatze libertrifft gleichwohl mit zuletzt 1.210 Mrd. US-Dollar gelaufige Gr6Benordnungen und zeigt besonders eindrucksvoll die Gewichtigkeit der welt­weit bestehenden Kapitalverflechtungen.

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Das tagliche Transaktionsvolumen beliiuft sich im Jahr 2001 auf etwa 60 % des Werts des deutschen Bruttoinlandsprodukts, wofUr die GUterproduktion eines ganzen Jahres erforderlich ist. Auch wenn sich aus weiteren statistischen Unter­lagen der Bank fUr Intemationalen Zahlungsausgleich entnehmen liillt, daB bei­spielsweise die auf DM lautenden Kontrakte nur rd. 20 % der Devisenmarkttrans­aktionen ausgemacht haben, so ergibt sich daraus eine nicht uninteressante Ver­gleichszahl, denn in etwa acht (Handels-)Tagen wurde an den Devisenmiirkten soviel an DM-Transaktionen durchgefilhrt wie es dem Wert des deutschen BIP eines Jahres entspricht. Der Euro ist zwischenzeitlich an die Stelle der DM getre­ten, seine Bedeutung fUr die Devisentransaktionen diirfte sich aber erst in den niichsten Jahren deutlicher zeigen.

11.1.3 Weitere internationale Vertlechtungen

Die ohen unter 11.1.1 angefilhrten Beispiele fUr den intemationalen L~istungsver­kehr waren bereits nicht vollstiindig, sie haben sich auf den Warenhandel und die Dienstleistungen konzentriert. Zum Teil noch wichtiger als die erwiihnten sowie die dort Ubergangenen Positionen mogen grenziiberschreitende Wanderungen von Personen sein. Wanderungen von Menschen konnen okonomische Griinde haben und mit dem Wunsch nach (hOherem) Einkommen verbunden sein, sie konnen aber auch auf Argumenten wie wirtschaftliche oder politische Sicherheit griinden. Wan­derungen fmden zwischen den Industrieliindem in eher geringerem Umfang statt, da die kulturellen und sozialen Bindungen zum Herkunftsland in aller Regel ein Ubersiedeln in ein anderes Land erschweren. Sofem diese Bindungen nicht beste­hen und sofem sich kulturelle und soziale Gegebenheiten nivellieren, werden Wan­derungen wahrscheinlicher bis hin zu der Beobachtung, daB Wanderungen von Mittellosen in die Liinder erfolgen, die das vergleichsweise hochste Soziallei­stungsniveau versprechen.

1m Einwanderungs- oder Zuwanderungsland filhrt die Zuwanderung zu einer Bevolkerungsvermehrung, die zu einem Teil ein erhOhtes Angebot an Arbeitslei­stungen zur Folge hat. Zugleich steigt mit Bevolkerungszunahme die Nachfrage nach Giitem. Sofem die zusiitzliche Giitemachfrage nicht aus Arbeitsentgelten oder Vermogensertriigen fmanziert wird, muB das Sozialsystem die Mittel zur Verfii­gung stellen, was gegebenenfalls mit Umverteilungsvorgiingen einhergeht. 1m Her­kunftsland der Wanderungsbewegung wird durch die Abwanderung die Bevolke­rungszahl und gegebenenfalls das Angebot an Arbeitsleistungen reduziert, und es sinkt zugleich die GUtemachfrage. Welche weiteren Effekte mit den Wanderungen verbunden sind, Hillt sich nicht allgemein darstellen, zumal es in der kurzen Frist eventuell andere okonomische Wirkungen geben kann als sie auf Dauer zu erwar­ten sind. Historisch ist lediglich festzuhalten, daB Einwanderungsliinder nachhal­tige gesamtwirtschaftliche Produktions- und Einkommenszuwiichse zu verzeichnen hatten.

Internationale Verflechtungen mUssen sich nicht nur in Giitem, Geld- oder Wertstromen, Kapitalanlagen und grenziiberschreitenden Wanderungen nieder-

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schlagen. Sie konnen vielmehr vollig immaterielle Qualitat haben. Damit sind grenziiberschreitende Einfliisse gemeint, die sich in Ideen, wirtschaftlichen, kultu­rellen, politischen Moden sowie Werthaltungen niederschlagen. Es ist eine historische Erfahrung, daB Lander, die sich wirtschaftlich bzw. von ihren Wert­haltungen her autark verhalten wollen, erhebliche Anstrengungen unternehmen, urn alle von auBen kommenden immateriellen Einfliisse zu unterbinden. Es werden dernnach Verbote und Restriktionen fUr auslandische Druckerzeugnisse, auslandi­sche Kleidennoden, ausHindische Musik und dergleichen durchgesetzt. Solche Verbote sind allerdings in den Tagen von Satellitenempfang und e-mail nicht mehr leicht durchsetzbar. Die immateriellen Einfliisse konnen sich daher leicht und weit­gehend international verbreiten. Sie haben zum Teil groBere Auswirkungen auf Volkswirtschaften als ein gut iiberschaubarer Giiter- oder Geldverkehr. Sie konnen insbesondere in kfuzesten Fristen wirksam werden, ohne daB sich hierfiir eine allgemeine RegelmaJ3igkeit feststellen lieBe.

11.2 Die Zahlungsbilanz

11.2.1 Inhalte der Zahlungsbilanz

Die Zahlungsbilanz ist eine systematische Darstellung aller wirtschaftlichen Transaktionen zwischen Gebietsansassigen und Gebietsfremden in einer Peri­ode. Man kann auch sagen, daB die Zahlungsbilanz die Wertstrome registriert, die zwischen den Wirtschaftseinheiten des Inlands und des Auslands flieBen. Die Zah­lungsbilanz ist allerdings keine Bilanz im betriebswirtschaftlichen Sinn, weil in ihr keine Bestande, sondern Strome verzeichnet werden. Sie ist auch nicht nur eine Aufzeichnung von Zahlungsvorgangen aus dem Wirtschaftsverkehr zwischen Ge­bietsansassigen und Gebietsfremden. Zwar besteht ein groBer Teil der wirtschaftli­chen Transaktionen im Austausch von Giitern oder Forderungen gegen Geld. Es werden in der Zahlungsbilanz aber auch Vorgange erfaBt, bei denen eine Zahlung nicht in der gleichen Periode stattfindet oder die zu keiner Zahlung von Geld fiih­ren, weil es sich beispielsweise urn unentgeltliche Obertragungen handelt.

In der Zahlungsbilanz werden beide Seiten einer Transaktion, also z.B. die Lieferung von Waren, Dienstleistungen oder Kapitaltiteln und der korrespondie­rende Empfang der Gegenleistung erfaBt. Die Summe der zuflieBenden und ab­flieBenden Wertstrome ist deshalb im Prinzip immer gleich. In der Zahlungsbilanz wird mithin jede okonomische Transaktion doppelt gebucht, so daB im Ergebnis die Zahlungsbilanz immer ausgegJichen ist. Von null verschiedene Salden wei­sen nur die Teilbilanzen auf. Die okonomischen Transaktionen werden im iibrigen aus der Sicht des Inlandes wiedergegeben.

Der Aufbau der Zahlungsbilanz und die Zuordnung von wirtschaftlichen Transaktionen zu den Teilbilanzen ist vom Internationalen Wahrungsfonds im "Balance of Payments Manual" geregelt, das Ende 1993 in der 5. Auflage verOf­fentlicht wurde. Die Deutsche Bundesbank und die Europaische Zentralbank halten

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sich bei den von ihnen erstellten Zahlungsbilanzen an die vom Intemationalen Wahrungsfonds vorgegebenen Regein.

Die erste groBe Teilbilanz der ZahlungsbiIanz ist die Leistungsbilanz. Sie umfaBt ihrerseits vier Unterbilanzen, in denen recht verschiedenartige Transak­tionen verzeichnet werden. Insoweit sind die in der Literatur anzutreffenden zu­sammenfassenden Definitionen fUr die Leistungsbilanz kaurn himeichend interpre­tationsfahig. Dies gilt auch flir die von der EZB benutzte Defmition, wonach die LeistungsbiIanz Transaktionen umfaBt, "bei denen wirtschaftlicher Wert geschaf­fen, ausgetauscht, ubertragen oder vernichtet wird" (EZB- Monatsbericht Mai 1999, S. 30). Sehr wohl verstandlich sind aber die Unterbilanzen der Leistungsbi­lanz und die in ihnen enthaltenen Transaktionsarten. Die Leistungsbilanz besteht aus folgenden Unterbilanzen: • Handelsbilanz, Au6enhandel oder Warenhandel. In der Handelsbilanz wird

die Ausfuhr (Export) und die Einfuhr (Import) von Waren erfaBt. In der deut­schen Handelsbilanz ist hierflir der Spezialhandel der Ausgangspunkt. Er wird mit dem Wert der Ware frei Grenze des Erhebungsgebiets erfaBt, d.h. ein­schlieBlich der bis zur Grenze anfallenden Transport-, Versicherungs- und Ne­benkosten (fob-Ansatz). Die Einfuhren werden mit ihrem Wert beim Verlassen des Ursprungslandes angesetzt. Die Einfuhrwerte der AuBenhandelsstatistik (cif-Werte) mussen fUr die Zahlungsbilanz daher urn die Fracht- und Versiche­rungskosten vom Ursprungsland bis zur deutschen Grenze gekiirzt werden, urn ebenfalls fob-Werte zu erhalten. Die sogenannten Erganzungen zum Warenver­kehr betreffen vomehmlich den Lagerverkehr auf inHindische Rechnung und Absetzungen flir Ruckwaren.

• Dienstleistungsbilanz. Die Dienstleistungsbilanz wird zum Teil auch als Bi­lanz der unsichtbaren Ein- und Ausfuhren bezeichnet. Zur Dienstleistungsbilanz zahlt die Transportbilanz, die Frachten sowie ubrige Verkehrsleistungen wie Personenbeforderung und das Chartem von Fahrzeugen miteinschlieBt. Die fUr deutsche Verhiiltnisse quantitativ groBte Unterposition in der Dienstleistungs­biIanz ist seit vielen Jahren die Reiseverkehrsbilanz, die die Ausgaben inlan­discher Reisender im Ausland und auslandischer Reisender im Inland flir Dienstleistungen und fUr Waren des personlichen Bedarfs urnfaBt. Die Dienst­leistungsbilanz verzeichnet auch die WertschOpfung der Versicherungen sowie die Regierungsleistungen, wie beispielsweise Zahlungen von auslandischen, im Inland stationierten Truppen. Zu den weiteren Positionen der Dienstlei­stungsbiIanz zahlen u.a. Provisionen, Spesen, Bankgebiihren, Werbe- und Messekosten, Zahlungen fUr Lizenzen und Patente sowie der Transithandel.

• Erwerbs- und Vermogenseinkommen. In dieser Unterbilanz werden Ein­kommen aus unselbstiindiger Arbeit und Kapitalertriige gebucht. Die be­sondere Rolle dieser Transaktionen als Faktoreinkommen wird damit herausge­hoben, nachdem deren fmanzielles Gewicht seit geraumer Zeit deutlich ange­stiegen ist.

• Laufende Ubertragungen. Diese Unterbilanz erfaBt unentgeltliche Transfers realer oder finanzieller Leistungen durch Inlander an Auslander oder urnge-

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kehrt. Fiir deutsche Verhiiltnisse bedeutsame Positionen sind hierbei die Bei­tragszahlungen an die EU und an andere internationale Organisationen. Zu den laufenden Ubertragungen zahlen zudem die staatlichen Renten, Pensi­ons- und Untersrutzungszahlungen sowie die laufenden Wiedergutmachungen. Unter den privaten Ubertragungen spielen u.a. Gastarbeiteriiberweisungen eine besondere Rolle. Auch private Renten- und Pensionszahlungen werden hier erfaBt. Die laufenden Obertragungen enthalten damber hinaus erhebliche Teile der Versicherungsleistungen, namlich die Nertopramien bzw. die eigentli­chen Risikopramien. Grenziiberschreitende Entschiidigungszahlungen sowie Riickvergiitungen werden ebenfalls dort erfaBt.

Die Vermogensiibertragungen bilden eine eigenstandige Teilbilanz der Zahlungsbilanz. Bei den Vermogensiibertragungen handelt es sich urn Transfers, die zunachst nur das Vermogen der beteiligten Wirtschaftseinheiten verandem. Fiir die Klassifizierung als Vermogensiibertragung ist es ausreichend, wenn ein Trans­fer von einer der beteiligten Seiten als einmalig betrachtet wird. Beispiele fUr Ver­mogensiibertragungen sind Schuldenerlasse, Erbschaften, Schenkungen, Erb­schaft- und Schenkungsteuem sowie bestimmte Investitionszuschiisse und einma­lige Leistungen der Entwicklungshilfe. Vermogensmitnahmen von Auswanderem bzw. Einwanderem fallen unter diese Teilbilanz. Die Zahlungen von der EU wer­den teilweise auch als vermogenswirksam betrachtet, wenn sie beispielsweise in Zuschiissen zu InfrastrukturmaBnahmen bestehen.

Die Kapitalbilanz ist eine Darstellung des intemationalen Kapitalverkehrs. Sie ist eine weitere wesentliche Teilbilanz der Zahlungsbilanz und nimmt tradi­tionell die Gegenbuchungen zur Leistungsbilanz auf. Da Kapitalverkehr aber auch unabhiingig von Transaktionen in der Leistungsbilanz erfolgen kann, wie oben unter 11.1.2 erlautert wurde, sind die Transaktionsvolurnina vielfach groBer und ergeben sich lediglich von ihrem Saldo her in Entsprechung zum Saldo der Leistungsbilanz, sofem die weiteren Teilbilanzen nicht fUr den Ausgleich der Wertstrome sorgen. Die Kapitalbilanz kann ihrerseits in folgende Unterbilanzen aufgegliedert werden: • Direktinvestitionen. Hier werden die Veranderungen an Beteiligungen von

Untemehmen erfaBt. AuBerdem werden der grenziiberschreitende Erwerb und die VerauBerung von Immobilien den Direktinvestitionen zugeordnet. Grund­gedanke dabei ist, jene wirtschaftlichen Beziehungen zusammenzufassen, die ihrer Natur nach durch ein besonders intensives untemehmerisches Engagement gepragt sind. Die Ertrage aus den Direktinvestitionen einschlieBlich der reinve­stierten Gewinne gehen in den Saldo der Vermogenseinkommen und damit (zu­nachst) in die Leistungsbilanz ein.

• Wertpapieranlagen. Diese Unterbilanz verzeichnet Anlagen in langfristigen Schuldverschreibungen, Dividendenwerten und Investmentzertifikaten sowie Anteile an Geldmarktfonds und Geldmarktpapieren, die iiber eine Peri ode hin getatigt werden.

• Finanzderivate. Das Derivategeschaft mit dem Ausland wird getrennt von den Wertpapiertransaktionen betrachtet. Unter Finanzderivaten sind Geschafte bzw.

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Aktiva oder Passiva zu verstehen, die auf einem anderen Instrument basieren oder aus einer anderen Vereinbarung abgeleitet werden. Bei dem einem Fi­nanzderivat zugrunde liegenden Instrument handelt es sich in der Regel urn ein anderes fmanzielles Aktivum, in bestimmten Hillen jedoch auch urn eine Ware oder einen Index. Zu den Finanzderivaten zahlen u.a. Zinsfutures, Zinsoptio­nen, Wahrungsfutures, Wahrungsoptionen, Aktienfutures, Aktienoptionen, Zinsswaps, Wahrungsswaps. Ein Teil der Finanzderivate wurde friiher bei den Vermogenseinkommen in der Leistungsbilanz gebucht.

• Kreditverkehr. Der Kreditverkehr wird fUr Kreditinstitute, die Untemehmen und Privatpersonen, den Staat und zwischenzeitlich fUr die Deutsche Bundes­bank getrennt ausgewiesen und in kurzfristige und langfristige Transaktionen untergliedert. Ais kurzfristig gelten alle Auslandsaktiva und -passiva mit einer ursprilnglichen Laufzeit oder Kilildigungsfrist von bis zu 12 Monaten.

• Sonstige Kapitalanlagen. Hier finden sich in der deutschen Zahlungsbilanz vomehmlich VeIiinderungen von Beteiligungen des Bundes an Intemationalen Organisationen.

Die Veranderung der Wahrungsreserven enthalten im Rahmen der deut­schen Zahlungsbilanz nur noch die Veranderungen an Goldbestanden und der IWF-Position sowie an liquiden Fremdwahrungsforderungen gegeniiber Ansiissi­gen auBerhalb des Euro-Wahrungsgebiets. Die Bundesbank weist die VeIiinderun­gen zu Transaktionswerten nacho Diese Teilbilanz der Zahlungsbilanz war friiher urnfassender konzipiert und wurde als Devisenbilanz bezeichnet.

SchlieBlich kommt keine Zahlungsbilanz ohne einen Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen oder den Restposten aus. Diese Teilbi­lanz ergibt sich als rechnerische Differenz der Salden aller anderen Teilbilanzen. In ihm schlagen sich siimtliche Erfassungsliicken, Erfassungsfehler und Bewer­tungsdifferenzen nieder, die in einer Statistik, die aus verschiedenen nicht aufein­ander abgestimmten Quellen stammt, unvermeidlich sind. AuBerdem konnen sich insbesondere bei kurzfristig sich lindemden Zahlungsgewohnheiten Zuordnungs­probleme ergeben. Der Restposten dient dem rechnerischen Ausgleich der Zah­lungsbilanz insgesamt.

11.2.2 Die deutsche Zahlungsbilanz

In Tabelle 12 sind die wesentlichen Positionen der von der Bundesbank aufge­stellten deutschen Zahlungsbilanz mit ihren Werten filr die Jahre 1997 bis 2000 angegeben.

Eine wesentliche Grundlage fUr die Erstellung der deutschen Zahlungsbilanz ist die AuOenhandelsstatistik, die yom Statistischen Bundesamt gefiibrt wird und deren Gegenstand der entgeltliche und unentgeltliche intemationale Warenverkehr ist. Die Zahlungsbilanz selbst wird von der Deutschen Bundesbank aufgestellt. Diese Zustandigkeit ergibt sich aus der Tatsache, daB in der Zahlungsbilanz vor allem Geld- und Wertstrome erfafit werden und die finanziellen Auslandstransak­tionen zum Teil die Bundesbank tangieren. Das AuBenwirtschaftsgesetz legt in

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Verbindung mit der Au8enwirtschaftsverordnung die Meldepflichten fest. Da­nach haben Gebietsansassige Zahlungen, die sie von Gebietsfremden oder fUr de­ren Rechnung von Gebietsansassigen entgegennehmen (eingehende Zahlungen) oder an Gebietsfremde oder fUr deren Rechnung an Gebietsansassige leisten (aus­gehende Zahlungen) zu melden (§ 59, Abs. 1 AuBenwirtschaftsverordnung). Diese Zahlungen sind zu melden, sofem die einzelnen Transaktionen den Betrag von 12.500 Euro oder den Gegenwert in anderer Wahrung ubersteigen. Die deutsche Zahlungsbilanz wird monatlich erstellt.

Tabelle 12: Die deutsche Zahlungsbilanz (Salden)

Jahr 1997 1998 1999 2000

Mrd. Euro I. Leistungsbilanz - 2,4 - 6,1 - 16,8 - 23,0

I. Au6enhandel + 63,4 + 69,9 +66,6 + 60,1 2. Dienstleistungen - 37,6 -42,2 - 49,4 - 54,9 3. Erwerbs- und Verrnogenseinkommen - 1,2 - 6,5 - 8,2 -1,2 4. Laufende Dbertragungen - 27,0 - 27,3 - 25,8 -27,0

II. Verrnogensiibertragungen +0,0 +0,7 - 0,2 + 15,3 III. Kapitalbilanz - 0,0 + 16,4 - 35,3 + 10,0

(Nettokapitalexport: -) I. Direktinvestitionen - 26,2 - 57,9 - 50,6 + 138,4 2. Wertpapiere + 1,0 +4,5 - 13,6 - 164,2 3. Finanzderivate -7,8 - 6,9 - 1,1 - 3,8 4. Kreditverkehr +35,6 + 80,8 +32,0 +41,7 5. Sonstige Kapitalanlagen - 2,6 -4,2 - 2,1 - 2,0

IV. Veriinderungen der Wlihrungsreserven zu Transaktionswerten (Zunahme: -) +3,4 - 3,6 + 12,5 + 5,8

V. Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen (Restposten) - 1,0 -7,4 +39,8 - 8,1

Quelle: Deutsche Bundesbank: Geschaftsbericht 2000, Tabelle 8, S. 83

11.2.3 Die Zahlungsbilanz des Euro-Wihrungsgebiets

Die Zahlungsbilanz fUr das Euro-Wahrungsgebiet wird monatlich von der Euro­paischen Zentralbank erstellt. Hierzu werden die von den teilnehmenden Mitglied­staaten gemeldeten Brutto-Auslandstransaktionen der Ansassigen des Euro-Wah­rungsgebiets mit Gebietsfremden aggregiert. Transaktionen zwischen Ansassigen des Euro-Wahrungsgebiets werden nicht berucksichtigt. 1m Rahmen der Statistik werden Institutionen der Europaischen Union (mit Ausnahme der EZB selbst) als Gebietsfremde behandelt. Die EZB ermittelt die Zahlungsbilanz nicht durch Addi­tion der in den Zahlungsbilanzen der einzelnen Mitgliedstaaten ausgewiesenen Netto-Salden. Die Zahlungsbilanz des Euro-Wahrungsgebiets beruht selbstver­standlich wiederum auf den Konzepten der 5. Auflage des Balance of Payments Manual des IWF vom Oktober 1993 sowie den zwischen der EZB und der Euro-

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paischen Kommission (Eurostat) vereinbarten methodischen Vorgaben. Diese wurden zwischen den fUr die Erstellung der Zahlungsbilanz zustandigen nationalen Stellen weitgehend harmonisiert (Vgl. EZB-Monatsbericht Mai 1999).

Tabelle 13: Die Zahlungsbilanz des Euro-Wahrungsgebiets (Salden)

Jahr 1997 1998 1999 2000

Mrd. Euro (bis 1998 Mrd. ECU) I. Leistungsbilanz 62,1 31,9 - 18,3 - 59,9

1. Warenhandel 116,4 109,0 75,6 35,6 2. Dienstleistungen 3,1 - I, I - 11,9 - 16,1 3. Erwerbs- und Vermogenseinkommen - 15,2 -28,8 - 35,7 - 26,7 4. Laufende Obertragungen -42,2 - 47,2 - 46,3 - 52,6

II. Vermogensiibertragungen 13,0 12,4 12,9 9,7 III. Kapitaibilanz - 68,4 10,9 93,4

I. Direktinvestitionen - 44,5 - 81,3 - 118,1 17,6 2. Wertpapieranlagen - 24,3 - 110,0 - 45,7 - 111,5 3. Finanzderivate - 8,2 4,5 - 1,7 4. Obriger Kapitalverkehr 123,0 160,1 171,5 5. Wiihrungsreserven 8,2 10,1 17,6

IV. Restp_osten 24,1 - 5,5 - 43,2

Quelle: EZB-Monatsbericht Dezember 2001, S. 57*, Zufliisse (+); Abfliisse (-). Wiihrungsreserven: Zunahme (-); Abnahme (+).

Der gro/3te Posten der Leistungsbilanz besteht aus dem Warenhandel. Dieser wird unter dem Datum des Eigentumswechsels erfaBt. Allerdings ist der Posten Warenhandel in der Zahlungsbilanz des Euro-Wahrungsgebiets nicht vollstandig mit dem entsprechenden Posten in der AuBenhandelsstatistik vergleichbar, was sich durch Unterschiede in der Abgrenzung, der Erfassung und dem Berichtszeitpunkt ergibt. Dienstleistungen werden gemaJ3 ihrer tatsachlichen Erbringung registriert. Das Erwerbs- und Vermogenseinkommen wird in der Regel zu dem Zeitpunkt erfaJ3t, zu dem es anfallt. Die laufenden Ubertragungen werden zu dem Zeitpunkt registriert, zu dem die zugrunde liegenden Transaktionen erfolgen.

In der Kapitalbilanz werden Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen und iib­riger Kapitalverkehr als Netto-Zu- beziehungsweise -Abfliisse von Forderungen und Verbindlichkeiten gegeniiber Gebietsfremden erfaJ3t. Daruber hinaus sind in der Bilanz des iibrigen Kapitalverkehrs auf der Forderungsseite des Unterpostens Eurosystem ab 1999 die N ettoveranderungen der Verrechnungssalden des ESZB gegeniiber den nationalen Zentralbanken (NZBen) der nicht teilnehmenden Mit­gliedstaaten, die sich im allgemeinen aus den iiber TARGET abgewickelten Aus­landsiibertragungen ergeben, auf Netto-Basis enthalten. Finanzderivate werden auf Netto-Basis erfaBt. Netto-Zahlungsstrome im Zusammenhang mit Zinsderivaten werden im Einklang mit den intemationalen Vereinbarungen nicht als Zinsstrome, sondem als Finanzderivate erfaJ3t.

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Die intemationalen Wahrungsreserven des Euro-Wahrungsgebiets umfassen hochliquide, marktfahige Forderungen gegentiber Gebietsfremden in fremder Wiib­rung, die von der EZB und den teilnehmenden NZBen gehalten werden, sowie Gold, Sonderziehungsrechte und die Reservepositionen der teilnehmenden NZBen beim IWF. Die Wahrungsreserven des Eurosystems werden auf Brutto-Basis ohne eine Verrechnung der reservezogenen Verbindlichkeiten erfaBt. Sie werden zu Marktwerten bewertet. Einige der friiheren Angaben zur Zahlungsbilanz sind ge­schatzt und nicht immer vollstandig mit jiingeren Daten vergleichbar, zumal das Euro-Wiihrungsgebiet seit 2001 durch die Aufuahme von Griechenland erweitert wurde.

11.2.4 Die Bedeutung der Zahlungsbilanz

Die Zahlungsbilanz ist von ihrer Konzeption her eine rein statistische Zusam­menstellung von Werten aus Transaktionen zwischen Gebietsansassigen und Ge­bietsfremden tiber eine Zeitperiode hin. Wie diese Werte zu interpretieren sind, ist eine Aufgabenstellung fUr die Wirtschaftstheorie. Sie kann danach fragen, welche Konsequenzen aus den Ergebnissen der Zahlungsbilanz und ihrer Teilbi­lanzen fUr die davon betroffene Volkswirtschaft zu erwarten sind. Welche Auswir­kungen hat beispielsweise ein UberschuB oder ein Defizit in der Leistungsbilanz fur den WirtschaftsprozeB der Volkswirtschaft oder des Wirtschaftsraums? Was folgt aus Zufltissen oder Abfltissen von Kapital im Zusammenhang mit Direktinve­stitionen oder den Veranderungen der Wahrungsreserven? Diese Fragen lassen sich auch normativ stellen und fiihren dann zur Einschatzung von Uberschiissen in der Handelsbilanz oder in der Leistungsbilanz als positive Erscheinung, die in histo­rischen Zeiten mit einer Zunahme von Gold oder Wahrungsreserven der Volks­wirtschaft verbunden war. Entsprechend umgekehrt sind Handelsbilanz- oder Lei­stungsbilanzdefizite als passiv oder negativ qualifiziert worden.

Die okonomische Wirkung solcher Salden hangt selbstverstandlich davon ab, welches Wechselkurssystem eine Volkswirtschaft besitzt. Bei fixen Wechsel­kursen fuhrt ein Leistungsbilanzsaldo zu Kapitalstromen und nationalen Geld­mengenveranderungen. Bei flexiblen Wechselkursen kann ein entsprechender Saldo Wechselkursveranderungen auslOsen, die wiederum mit Kapitalstromen einhergehen werden. Solche okonomischen Strome sind ihrerseits unter wirt­schaftspolitischen Aspekten zu beurteilen. Sie konnen aus Sicht der wirtschafts­politischen Instanzen erwiinschte oder unerwiinschte Folgen haben, wobei ein gleicher Strom nicht immer gleichartig eingeschatzt werden muB.

Eine bekannte wirtschaftspolitische Beurteilung von Zahlungsbilanzpositio­nen hat das Stabilitatsgesetz mit dem Ziel des au6enwirtschaftlichen Gleich­gewichts vorgenommen. Da die Zahlungsbilanz selbst immer ausgeglichen ist, kann sich das auBenwirtschaftliche Gleichgewicht in erster Linie als ausgeglichene Leistungsbilanz interpretieren lassen, wodurch sich im wesentlichen keine Netto­kapitalbewegungen ergeben. Bei den damaligen fixen Wechselkursen haben be i­spielsweise Kapitalzustrome Geldmengenvermehrungen bedeutet und von daher

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eine Tendenz zu Preissteigerungen verursacht. Seit der EinfUhrung flexibler Wech­selkurse in den 70er Jahren besteht diese Problematik ganz generell nicht mehr, da seither Wechselkursveranderungen eine von KapitalzuflUssen unabhangige Geld­mengenpolitik im Inland moglich machen. Db allerdings solche Wechselkursver­anderungen aus inlandischer Sicht jeweils positiv, negativ oder neutral beurteilt werden, ist wiederum von vie len zusatzlichen Gegebenheiten in einer konkreten wirtschaftlichen Situation abhangig. Insoweit bleibt das Ziel des auBenwirtschaftli­chen Gleichgewichts eine Uberaus unbestimmte wirtschaftspolitische Vorstellung.

Die Zahlungsbilanz und die Salden ihrer Teilbilanzen konnen mit den darin enthaltenen Werten bzw. GroBenordnungen der Strome von der umgekehrten Wir­kungsrichtung interpretiert werden und stellen dann ein Spiegelbild nationaler oder intemationaler wirtschaftspolitischer Entscheidungen dar. Ein wie auch immer definiertes Gleichgewicht oder Ungleichgewicht von Zahlungsbilanzwerten ware dann ein MaBstab fur die wirtschaftlichen Konsequenzen, die sich aus dem Han­deln von politischen Entscheidungstragem ergeben. KapitalabflUsse oder eine Abwertung der heimischen Wahrung waren dementsprechend ein Zeichen fur eine wirtschaftspolitische Performance, die hinter der in anderen Landem zuruckbleibt. ZahlungsbilanzgroBen wirken daher nicht nur von auBen auf eine Volkswirtschaft ein, die sich passiv diesem EinfluB ausgesetzt sieht, sie sind auch ein Reflex des Wirtschaftsprozesses in der Volkswirtschaft selbst.

Wie auch immer die Zahlungsbilanz und ihre Bestandteile beurteilt werden, hangt nach allem von vielen Einflussen und institutionellen Gegebenheiten abo An dieser Stelle konnen diese Zusammenhange nicht abschlieBend diskutiert werden. FUr deutsche Verhaltnisse bleibt darauf hinzuweisen, daB der Aussagewert der deutschen Zahlungsbilanz insgesamt tendenziell abnimmt, da die deutsche Volks­wirtschaft sei 1999 Mitglied des Eurosystems ist und weder die nationalen Grenzen noch die Gebietsansassigkeit eine Begrenzung fur die verwandte Wahrung darstel­len. Die deutsche Zahlungsbilanz kann noch einige Strukturinformationen lief em, sie tritt in ihrer Aussagekraft aber mehr und mehr hinter die Zahlungsbilanz fur das Euro-Wahrungsgebiet zuruck.

11.3 Devisenmarkte

11.3.1 Die Bedeutung des Wechselkurses

Auf den Devisenmarkten werden unterschiedliche Wahrungen gehandelt und ge­genseitig getauscht. Die Devisenmarkte sind der Platz, wo intemationale Kapital­strome zusammentreffen und sich aus dem Treffen die Preise fUr die jeweiligen Wiihrungen herausbilden. Diese Preise sind die Wechselkurse zwischen je zwei Wahrungen. 1m Unterschied zu Gllterpreisen, die sich immer darauf beziehen, was man fur eine Einheit eines gewiinschten Gutes an Geld aufzugeben hat, wie in dem bereits fiiiher angefUhrten Beispielsfall 1,50 Euro pro ein Kilo Bananen, ist an den Devisenmarkten die Wechselkursnotierung nie einheitlich gewesen. Es gibt eine

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Preisnotierung wie im Bananenbeispiel und es gibt eine Mengennotierung, die seit der Einfiihrung des Euro benutzt wird und beispielsweise in England immer ublich war.

Benutzt man fUr den Wechselkurs das Symbol e, so ist darunter im heutigen Euro-Raum beispielsweise im Verhaltnis zum US-Dollar folgende Relation zu verstehen:

e = Wert des Euro in US-Dollar

oder zu einem bestimmten Zeitpunkt

eo = 0,9 US - Dollar

, bzw. 0,9 $11 € . I Euro

Der Wechselkurs e wird in der Mengennotierung verwendet und insoweit lautet die damit zu beantwortende Frage: Welche Menge an auslandischer Wah­rung ist ein bzw. mein Euro wert?

Zu den Zeiten der DM galt die Preisnotierung, die im Verhaltnis zum Dol­lar danach gefragt hat, was muB ich fUr einen Dollar bezahlen, oder was muB ich von meiner nationalen Wahrung DM aufgeben, urn eine Einheit der auslandischen Wahrung Dollar zu erhalten?

Preisnotierung und Mengennotierung verhalten sich spiegelbildlich zuein­ander. Geht man von den gleichen Wahrungen aus, so ist die Mengennotierung der Kehrwert der Preisnotierung allerdings unter Beriicksichtigung der Normierung auf eins im Nenner.

1m Zusammenhang mit Veranderungen des Wechselkurses werden die Be­griffe Aufwertung und Abwertung benutzt. Eine Aufwertung einer Wahrung be­deutet, daB sie gegenuber anderen mehr wert geworden ist oder daB von der ande­ren mehr fUr sie aufzugeben ist. Anhand der Mengennotierung laBt sich eine Auf­wertung als eine ErhOhung des Wechselkurses darstellen. Wenn mithin der Wechselkurs eo von 0,9 US-Dollar fUr einen Euro als Ausgangspunkt genommen wird, so bedeutet eine Aufwertung des Euro eine Erhohung des Wechselkurses auf el und damit beispielsweise auf einen Wert von 1,2 US-Dollar je Euro. Der Aufwertung des Euro entspricht in diesem Beispiel selbstverstandlich die Abwer­tung des Dollar.

Eine Abwertung des Euro fiihrt vom anfanglichen Wechselkurs eo von 0,9 US-Dollar je Euro zu einem geringeren Wechselkurs ez von beispielsweise 0,8 US-Dollar je Euro. Der Wert des Euro ist damit geringer, was gleichzeitig einer Aufwertung des Dollar entspricht.

11.3.2 N achfrage nach Devisen

Auf den Devisenmarkten, die sich aus dem Zusammentreffen von Nachfrage nach Devisen und Angebot an Devisen bilden, ergibt sich der Wechselkurs einer Wah­rung als jeweiliger Preis oder Wert, der die zu einem Zeitpunkt nachgefragten und

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angebotenen Mengen der Wahrungen in Ubereinstimmung bringt. Die Nachfrage nach Devisen, die hier wiederum mit N bezeichnet werden solI, setzt sich in einem jedem Moment aus zumindest zwei verschiedenen Komponenten zusammen, die sich aus der Eigenschaft einer Devise oder Wahrung ergeben. Eine Wahrung be­steht aus einer nationalen Erscheinungsform von Geld. Auf dem Devisenmarkt werden daher Geldarten gegenseitig getauscht. Die Geldarten erfliIlen hierbei die beiden zentralen Funktionen des Tauschmittels und des Wertautbewahrungs­mittels. Jede Devisennachfrage ist demnach darauf zurUckzufiihren, daB mit der nachgefragten Wahrung Tauschvorgange abgewickelt werden soIlen und daB dar­fiber hinaus die Wahrung als Anlagemedium dient, um Werte fiber die Zeit hin zu erhalten oder gar Ertrage damit zu erzielen.

Konzentriert man sich zunachst auf das Tauschmittel, so werden Devisen deshalb nachgefragt, urn Guter zu importieren und bezahlen zu konnen. Diese Teilnachfrage N) ist eine Funktion, die abhiingt von den inlandischen Preisen P, den auslandischen Preisen p., dem Wechselkursniveau e und dem nationalen Ein­kommen Y, aus dem die Importe letztlich zu finanzieren sind. Diese Teilnachfrage N) laBt sich durch folgende Funktion erfassen:

Die durch N) ausgedriickte Devisennachfrage resultiert aus der Tauschmittel­funktion der Devisen oder der auslandischen Wahrung. N) wird ein um so hOhe­res Volumen aufweisen, je hOher das inlandische Preisniveau P ist, wei! sich dann bei Konstanz der anderen EinfluJ3groBen Gfiterimporte eher lohnen. Ein hoheres auslandisches Preisniveau p. wirkt diimpfend auf die Devisennachfrage, wei! steigende auslandische Gfiterpreise flir Importe ins Inland erschwerend sind. Wenn der Wechselkurs e steigt oder die inlandische Wiihrung aufgewertet wird, fiihrt dies zu einer Ausweitung der nachgefragten Menge nach Devisen, weil die aus­Hindischen GUter mit der hOherwertigen heimischen Wiihrung giinstiger zu er­werben sind. Mit steigendem nationalem Einkommen Y nimmt schlieBlich die Nachfrage nach Devisen ebenfaIls zu, weil ein steigendes Einkommen die Nach­frage nach GUtem insgesamt anregt und insbesondere die Nachfrage nach den auslandischen Giitem fordem wird, die einen besonderen Geschmack oder beson­dere Praferenzen erfiiIlen konnen.

Sofem Devisen nachgefragt werden, um Vermogenswerte im Ausland wert­bestandig oder ertragbringend anzulegen, Devisen also als Wertautbewahrungs­mittel nachgefragt werden, kann eine weitere Teilnachfragefunktion Nz unter­schieden werden. Diese Teilnachfrage wird als wesentliche BestimmungsgroBen den aktueIlen Wechselkurs e, den kfinftig erwarteten Wechselkurs E( e), und als NaherungsgroBe flir die erwarteten Ertrage der Auslandsanlage den auslandischen Zins i. enthalten:

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Die Teilnachfragefunktion N2 nach Devisen wird mit steigendem aktuelIem Wechselkurs e dem Volumen nach zunehmen, weil es gunstiger wird, die auslan­dische Wahrung zu erwerben. Je hOher der erwartete kunftige Wechselkurs E(e) ist, zu dem uber das in Auslandswahrung angelegte Vermogen und seine Ertrage durch Rucktausch in nationale Wahrung verfugt werden solI, urn so geringer ist die Nachfrage nach Devisen. Aufwelche Zeitperiode sich die Devisenkurserwartungen konkret beziehen, laBt sich alIgemein nicht naher bestimmen, da hierfur die indivi­due lIen Anlagestrategien und die subjektiv gewahlten Anlageformen ausschlagge­bend sind. SchlieBlich wird die Nachfrage nach Devisen dann steigen, wenn die Ertragserwartungen fur auslandische Vermogensanlagen ia zunehmen. Die Anleger werden selbstverstandlich die Ertragsmoglichkeiten fur auslandische Vermogens­anlagen ia immer im Vergleich zu den national erzielbaren Ertragen sehen und insoweit ihre Nachfrage auch davon abhangig sein lassen.

Die Gesarntnachfrage nach Devisen N setzt sich aus den beiden Teilnach­fragen NJ und N2 zusammen. 1m ubrigen konnen gegebenenfalIs noch weitere hier nicht separat betrachtete autonome Nachfragekomponenten hinzutreten, die sich beispielsweise aus den laufenden oder den Vermogensubertragungen ergeben, die auf kurzfristigen Reaktionen auf wirtschaftspolitische Entscheidungen beruhen oder die mit groBeren unternehmenspolitischen Entscheidungen wie Fusionen bzw. Unternehmensubernahmen verbunden sind. Solche autonomen Nachfragekompo­nenten mussen nicht den gleichen wirtschaftlichen Einflussen unterliegen wie die erlauterten Teilnachfragen. Beschrankt man sich auf die Teilnachfragen, so laBt sich die Gesamtnachfrage nach Devisen N wie folgt fassen:

N = NJ + N2 = N(P, Pa, e, E(e), Y, ia)

Diese vereinfachte Gesamtnachfrage nach Devisen N enthalt zwar bereits sechs separate okonomische EinfluBgroBen. Die gleichwohl bestehende Vereinfa­chung zeigt sich einerseits darin, daB weitere durchaus nennenswerte Einflusse nicht erfaBt worden sind. Andererseits gibt die Gesamtnachfrage keine Auskunft daruber, welche unterschiedlichen Gewichte die Einflusse besitzen und wie sich diese Gewichte uber die Zeit hin verandern. SchlieBlich geht die vereinfachte Ge­samtnachfrage davon aus, daB es nur eine Devisennachfrage gibt, obwohl auf den Devisenmiirkten tatsachlich mehrere Wahrungen gleichzeitig gehandelt werden und die EinfluBgroBen aus Sicht der Nachfrager keinesfaIls aIle identisch sind.

11.3.3 Angebot an Devisen

Fur das Angebot an Devisen A gelten die meisten Uberlegungen spiegelbildlich zur Devisennachfrage. Das Angebot an Devisen erfolgt zurn einen wiederum, weil damit ein Tauschrnittel fur den grenziiberschreitenden Giiterverkehr abgegeben und dafur die nationale Wahrung beschafft werden solI. Dieser EinfluB kommt besonders deutlich zum Tragen, wenn es darum geht, die in Devisen anfalIenden

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Erlose aus nationalen Exportgeschaften in die nationale Wahrung zu transfonnie­reno Diesen Teilaspekt kann man wie folgt fassen:

Das Angebot an Devisen als Tauschmittel Al ist urn so geringer, je hoher das inlandische Preisniveau P ist, weil mit steigenden inlandischen Preisen weniger Guter exportiert werden konnen. Damit sinken die Exporterlose, wodurch das Devisenangebot kleiner wird. Dieser Wirkungszusammenhang gilt unabhiingig davon, in welcher Wahrung die Geschaftspartner im In- und Ausland die Rech­nungssteIlung und Bezahlung der grenziiberschreitenden Transaktionen vereinba­reno Steigen die Preise im Ausland P a, so steigt das Devisenangebot, da es nun fUr die Exporteure leichter wird, ihre Guter im Ausland abzusetzen. Ein steigender Wechselkurs e wird zu einer geringeren Menge an angebotenen Devisen fUhren, weil eine Aufwertung der national en Wahrung Exporte erschwert. SchlieBlich bewirkt ein steigendes Einkommensniveau im Ausland Ya ein ebenfaIls steigendes Devisenangebot, weil das steigende Einkommen im Ausland die Gutemachfrage insgesamt positiv beeinfluBt und auf diesem Wege auch zu erhohten Exporten yom Inland ins Ausland beitragt.

Ein Angebot an Devisen kommt auch dann zustande, wenn Vennogenswerte aus dem Ausland ins Inland verlagert werden soIlen, urn sie im Inland wertbestan­dig und ertragbringend anzulegen. Dieses Teilangebot an Devisen A2 erfolgt aus der Wertaufbewahrungsfunktion der nationalen Wahrung bzw. der in nationaler Wahrung bewerteten Vennogensobjekte. Es wird im wesentlichen yom aktueIlen Wechselkurs e, dem kunftig erwarteten Wechselkurs E( e) und dem inlandischen Zins i bestimmt:

A2 = Aie, E(e), i) .

Ein steigender Wechselkurs e wird das Devisenangebot aus dem Wertaufbe­wahrungsmotiv reduzieren, wei! auslandische Wirtschaftssubjekte fUr ihre Wah­rung weniger inlandische Wahrungseinheiten erhalten und insoweit auf inlandische Wahrung lautende Vennogensobjekte teurer werden. Je hOher der erwartete kiinf­tige Wechselkurs E( e), zu dem uber das Vennogen und dessen Ertrage verfiigt werden solI, urn so hoher ist das Angebot an Devisen. Denn ein hOherer Wert von E( e) bedeutet eine Aufwertungserwartung fUr die inlandische Wahrung, so daB aus Sicht des auslandischen Wirtschaftssubjekts die im Inland angelegten Vennogens­groBen und die daraus zu ziehenden Ertrage an Wert gewinnen. SchlieBlich wird das Devisenangebot zunehmen, wenn der inliindische Zins i, die NaherungsgroBe fUr die erwarteten Ertrage aus einer Vennogensanlage im Inland, steigt.

Das Gesamtangebot an Devisen A setzt sich aus den beiden Teilkomponen­ten Al und A2 zusammen, wobei gegebenenfaIls wiederum hier nicht naher be­trachtete autonome Angebotskomponenten hinzutreten:

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Selbstverstandlich sind flir das Devisenangebot A insgesamt die gleichen er­ganzenden Anmerkungen zu machen wie bei der Devisennachfrage. Die Angebots­funktion ist insoweit eine besondere Vereinfachung, weil es neben den sechs aufge­fiihrten okonomischen Einfliissen noch weitere geben wird, weil die Gewichtigkeit der Einfliisse nicht dauerhaft feststeht und weil es mehr als eine angebotene Devise gibt, die gegen die nationale Wahrung ausgetauscht werden solI.

11.3.4 Gegebenheiten auf den Devisenmarkten

Auf einem Devisenmarkt, der sich frei aus Angebot und Nachfrage bilden kann, ergibt sich ein Wechselkurs einer Wahrung als ein jeweiliger Wert oder Preis, der die zu einem Zeitpunkt angebotenen und nachgefragten Mengen der zu tauschen­den Wahrungen in Obereinstimmung bringt. Diese einfache Umschreibung des Prozesses, der zu einem bestimmten Niveau eines Wechselkurses flihrt, laBt sich auch in einer Abbildung erfassen. Urn die Gleichartigkeit mit anderen Marktdia­grammen herzustellen, sind allerdings Angebot und Nachfrage von Devisen preis­abhangig zu gestalten, was nichts anderes bedeutet, als daB auf der Ordinate eines Preis-Mengen-Diagramms der Kehrwert des Wechselkurses stehen muB. Damit laBt sich die Devisennachfrage beispielsweise als eine Nachfrage nach US-Dollar darstellen, die yom Preis des US-Dollar in Euro abhangt. Der Preis des US-Dollar in Euro ist lie.

e

l/eo

Dollar-Menge

Abb. 66: Bildung des Wechselkurses auf dem Devisenmarkt (Fall flexibler Wech­selkurse)

Abb. 66 enthalt mit A eine Angebotsfunktion, die das Dollarangebot in Ab­hangigkeit vom Dollar-Preis (lie) darstellt. Mit hoherem Preis steigt die angebo­tene Menge. Dies ergibt sich iibrigen aus dem Umschreibung des Angebotsver­haltens in 11.3.3 sowohl im Zusammenhang mit der Tauschmittelfunktion als auch mit der Funktion einer Wahrung als Wertautbewahrungsmittel. Die Dollamach-

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frage N verlauft in Abhangigkeit yom Preis typischerweise negativ, d.h. je niedri­ger der Dollar-Preis (lie), urn so gr5Ber ist die nachgefragte Menge nach Dollar. Auch diese Abhangigkeit ist oben in 11.3.3 fUr den Kehrwert erlautert worden und ergibt sich aus der Nachfrage nach einer Wahrung sowohl als Tauschmittel als auch als Wertautbewahrungsmittel.

1m Schnittpunkt von Angebot A und Nachfrage N stellt sich das Markt­gleichgewicht bei einem Wechselkurs von eo oder einem Dollar-Preis von lIeo ein. Diese Art der Kursbildung entspricht dem Fall flexibler Wechselkurse, bei denen ein Marktergebnis ohne Zutun staatlicher wahrungspolitischer Instanzen zustande kommt. In Systemen flexibler Wechselkurse resultiert der Preis einer Wah rung oder ihr Wert ausschlieBlich aus den privatwirtschaftlich begrtindeten Uberlegungen von Anbietem und Nachfragem einer Wahrung. Der Preis kann daher auch jedes Niveau annehmen und wird sich auf gut organisierten offenen Markten in aller Regel auch rasch verandern k5nnen.

Einige der moglichen Einfliisse, die zu einer verlagerten Angebots- oder Nachfragekurve filhren, haben wir oben in den Funktionen des Devisenangebots A und der Devisennachfrage N bereits erlautert und in den jeweils filnf weiteren Gr5Ben neben dem Wechselkurs zu erfassen versucht. Dies bedeutet, daB die Preise im Inland und im Ausland, die Einkommensentwicklungen im Inland und im Ausland, die Zinsen oder Ertragsraten im Inland und im Ausland sowie die Er­wartungen iiber kiinftige Wechselkursniveaus Verschiebungen der Funktionen in Abb. 66 bewirken konnen, was sich in geanderten aktuellen Wechselkursniveaus niederschlagen wird.

Fiir Beobachter der Devisenmarkte ist es dabei nicht leicht, die Wechsel­kursbewegungen auf konkrete einzelne Sachverhalte zuriickzufiihren, zumal sich kiirzerfristige und langerfristige Einfliisse iiberlappen werden. Die kiirzer­fristigen Einfliisse hangen vorwiegend yom Tauschmittelcharakter einer Wah­rung abo Hierbei spielen die laufenden Wirtschafts- oder Einkommensentwick­lungen im In- und Ausland eine zentrale Rolle, da sie fUr den Giitertausch von besonderer Bedeutung sind. Steigt z.B. das Einkommen im Inland schneller als im Ausland, konnen verstarkt Giiter importiert werden, was zu einer erMhten Nach­frage nach Devisen und einem steigenden Preis der Auslandwahrung oder zu einem sinkenden Wechselkurs fiIhrt. Steigen die Preise im Inland rascher als die im Aus­land wird wiederum mit steigenden Giiterimporten zu rechnen sein, die mit einem groBeren Umfang der Devisennachfrage einhergehen.

Sofem sich die langerfristigen Einfliisse, die yom Anlagecharakter der Wahrungen ausgehen, durchsetzen, ist insbesondere auf Wechselkurserwartungen zu achten. Sie sind von den Unterschieden in der Werthaltigkeit der Anlagen ge­pragt, die einerseits von den unterschiedlichen Preissteigerungsraten im In- und Ausland, d.h. den Inflationsdifferenzen, abhangen. Die langerfristigen Inflations­differenzen pragen die Kautkraftunterschiede zwischen den Wahrungen, so daB sich die Wechselkursentwicklung an den Kautkraftunterschieden ausrichten wird. Die Werthaltigkeit der Anlagen wird andererseits von den daraus zu erzielenden Ertragen beeinfluBt. Damit spielen Ertragsdifferenzen zwischen In- und Ausland

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eine Rolle, so daB die Wahrung der Volkswirtschaft mit hoheren Ertragen verstiirkt nachgefragt und damit aufgewertet wird. Auf die Vermogensertrage wirken sich ihrerseits die Produktivitaten aus. Die Wiihrung der Volkswirtschaft mit der hohe­ren oder schneller steigenden Produktivitat wird damit eher nachgefragt und erfahrt eine Aufwertungstendenz.

Dieses reichhaltige Bild unterschiedlicher Einflusse, die gleichzeitig auftre­ten, sich uberlappen und zudem durch allgemein wirtschaftspolitische Tendenzen modifiziert werden konnen, kennzeichnet die taglichen Ablaufe auf den Devisen­markten. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, daB der gleiche okonomische Grund selbst gegenlaufige Effekte auslost. Wachst z.B. eine Volkswirtschaft mit steigender Produktivitat schneller als andere, so fUhrt dies zu Mehrimporten, einer hoheren Devisennachfrage und einer Abwertungstendenz fUr die Wahrung der betreffenden Volkswirtschaft. Zugleich werden Vermogensanlagen in der Volks­wirtschaft wegen der hOheren Produktivitat ertragreicher, was eine Mehmachfrage nach dieser Wiihrung und eine Aufwertungstendenz auslOsen kann.

Insgesamt hat der Weehselkurs auf freien Devisenmarkten eine allgemeine Preisausgleiehsfunktion. Er gleieht aber bei flexiblen Wechselkursen aile die genannten Einflusse und Wirkungszusammenhange gleiehzeitig in einem Preis oder einem Wertverhaltnis zwischen den Wahrungen aus. Dabei mag er zeitweise starker von den kiirzerfristigen Entwicklungen in den Wahrungsraurnen gepragt sein, wird aber dabei jeweils die langerfristigen Entwicklungsperspektiven der Volkswirtschaften gewissermaBen immer als Leitschnur oder Basisinformation zugrunde legen.

Devisenmarkte sind nieht immer freie Markte, die ohDe staatIiehe Ein­griffe ablaufen. Viele Staaten haben vielmehr zu allen Zeiten die Neigung beses­sen, be schrank end und reglementierend einzugreifen, weil sie einerseits bewuBt Auslandskontakte und Auslandseinflusse unterbinden wollen, urn spezifische na­tionale wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ziele besser realisieren zu konnen. Andererseits steht hinter staatlichen Reglementierungen auf den Devisenmarkten nicht selten die Scheu staatlicher Entscheidungstrager, daB Einschatzungen der eigenen volkswirtschaftlichen Entwicklung seitens des nicht der eigenen Machtho­heit unterworfenen Auslands im Wechselkurs offenbar werden konnten. Es mag schlieBlich die Moglichkeit geben, daB Eingriffe des Staates dem Devisenmarktge­schehen eine wirtschaftliche Grundinformation vermitteln, mit der die Ablaufe auf den Devisenmarkten verlaBlicher und weniger risikobehaftet vonstatten gehen.

Systeme mit fixeD oder gebundeDeD Weehselkursen lassen sich in einigen historischen Perioden der letztgenannten Eingriffsart zuordnen. Sie bestehen darin, daB nationale WahrungsbehOrden teilweise in Abstimmung mit den betroffenen auslandischen Wahrungsinstanzen mit der Festlegung auf ein System fixer Wech­selkurse den fixeD Kurs selbst, d.h. die Wahrungsparitat bestimmen und zu­gleich die zulassigen Bandbreiten vorsehen, innerhalb derer der sich auf einem spezifischen Devisenmarkt taglich ergebende Wechselkurs frei schwanken darf.

Ein Devisenmarkt mit fixen Wechselkursen laBt sich durch Abbildung 67 veranschaulichen, die wiederum als Preis-Mengen-Diagramm konzipiert ist. Zu-

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nachst ist mit der Paritat ein Austauschverhliltnis zwischen den Wahrungen fest­zulegen, das mit I1epar bezeichnet werden solI. Wie die wahrungspolitischen In­stanzen zu der konkreten Hohe des Wechselkurses epar gelangen, ist hochst unter­schiedlich. In historischen Zeiten ist epar aus den Mengenverhliltnissen an Gold von auslandischen und nationalen Goldmiinzen (als Kurantmiinzen) gebildet worden. 1m tibrigen werden unter- und oberhalb der Paritlit Bandbreiten festgelegt. Die Bandbreiten grenzen den Kursbereich ab, innerhalb derer sich der Wechselkurs frei bilden und taglichen Schwankungen unterliegen darf. Sie seien mit emin und emax bezeichnet. Die Bandbreitengrenzen stellen insoweit Interventionsgrenzen dar, bei denen spatestens seitens der Wahrungsbehorden auf dem Devisenmarkt ein­zugreifen ist.

Ergibt sich mithin auf dem Devisenmarkt des Fix-Kurs-Systems eine Tendenz daflir, daB der sich ohne Zutun der Wahrungsbehorden bildende Wechselkurs eo unter emin fallen oder tiber emax steigen sollte, mtiBten die Wahrungsbehorden zu­satzliche Nachfrage oder zusatzliches Angebot austiben. Die Nachfrage- und die Angebotsfunktion wiirde damit an der oberen oder unteren Interventionsgrenze vollig elastisch, was in der Abbildung nicht besonders dargestellt ist. Urn den Kurs im Bandbreitenbereich zu stabilisieren, waren dementsprechend groBe Betrage an auslandischer Wahrung anzubieten oder an inlandischer Wahrung nachzufragen. Derart groBe Interventionsbetrage konnen aber im Widerspruch zu nationalen Zielen flir die Geldpolitik stehen und insbesondere eine selbstandige nationale Geldmengenpolitik unmoglich machen.

e A

I1emin

I1epar

I1eo

I1emax

N

Devisenmenge

Abb. 67: Devisenmarkt bei fixen Wechselkursen

Der Vorteil eines Systems fixer Wechselkurse besteht darin, daB das fixe Kursniveau auBenwirtschaftliche Transaktionen insoweit erleichtert, als dadurch eine sichere Kalkulationsgrundlage geschaffen wird. Allerdings konnen sich die Marktteilnehmer nur dann auf den Bestand der sicheren Kalkulationsgrundlage verlassen, wenn im Abwicklungszeitraum ihrer Transaktionen keine AufWertungen

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oder Abwertungen des Wechselkurses, d.h. keine Paritatsanderungen zu erwarten sind. Historische Fix-Kurs-Systeme sind nur selten fUr langere Zeit ohne Paritats­anderungen ausgekommen, wenn sie nicht rur ihre Wahrungen einen gemeinsamen Nenner, wie z.B. Gold, benutzt haben.

Ein Uingerfristiger Bestand einer einmal festgelegten Paritat erfordert ver­gleichbare Wirtschaftsentwicklungen zwischen Inland und Ausland, was bei souve­ranen Staaten nicht zu erwarten ist. Hat man also keinen gemeinsamen Nenner, wie es beim intemationalen Goldstandard im 19. Jahrhundert der Fall war, so wer­den Fix-Kurs-Systeme immer nur rur beschrankte Zeit ohne AuiWertung oder Ab­wertung der Paritat auskommen. Dies mindert aber den Vorteil des fixen Wechsel­kurses, da die sichere Kalkulationsgrundlage immer nur zeitlich begrenzt vorhan­den ist und durch die sich herausbildenden Erwartungen auf eine AuiWertung oder Abwertung eher noch grofiere Unsicherheiten und Risiken entstehen.

11.4 Europa auf dem Weg zum Euro

11.4.1 Das System von Bretton Woods

In der Ortschaft Bretton Woods in den USA wurden im Jahr 1944 die Entschei­dungen rur die intemationale Wiihrungsordnung getroffen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Kraft treten sollte. Zurn einen wurde der Internationale Wah rungs­fonds (IWF) geschaffen, der bei intemationalen Zahlungsproblemen der Mit­gliedslander mit Kreditmoglichkeiten beistehen konnte. Das Wiihrungssystem selbst bestand in einem System fixer Wechselkurse aller Wiihrungen der Teil­nehmerlander gegenUber dem US-Dollar. Zu den Teilnehmerlandem zahlten insbe­sondere auch die westeuropaischen Staaten. Die Bundesrepublik Deutschland ist 1952 beigetreten. Die Bandbreite urn die Paritat zum Dollar betrug +/- ein Pro­zent. Der Dollar war aber nicht nur die Leitwahrung, an der sich andere Wah­rungen in ihrem Austauschverhaltnis orientierten, er war vielmehr an eine weitere Bezugsgrofie, das Gold, mit einem fixen Umtauschsatz von 35 Dollar fUr eine Unze Gold gebunden. Die WiihrungsbehOrden der anderen Mitgliedsliinder konn­ten ihre Dollarbestande zu diesem fixen Satz beim amerikanischen Zentralbanksy­stem in Gold eintauschen. Insoweit galten auch fUr aIle Teilnehmerlander am Bretton Woods-System fixe Umtauschverhaltnisse ihrer Wiihrungen zum Gold. Mit der gemeinsamen Basis Gold war eine wesentliche Voraussetzung rur die Funkti­onsweise des Systems fixer Wechselkurse gegeben.

Die am Bretton Woods-System teilnehmenden Volkswirtschaften, vorrangig die westlichen Industrielander, wollten sich jedoch auf Dauer nicht an der durch das Gold, d.h. die Goldmengen bei den WiihrungsbehOrden, begrenzten Entwick­lung der internationalen Liquiditat orientieren. Dies war mit ein Grund, weshalb Ende der 60er Jahre Sonderziehungsrechte (Special drawing rights, SDRs) ge­schaff en wurden, urn ein grofieres intemationales Reservevolurnen zu erreichen, mit dem sich Zahlungssalden zwischen den Volkswirtschaften leichter ausgleichen

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lassen. Die Mitgliedsliinder betrieben allerdings weit dariiber hinaus gehende un­terschiedliche nationale Wirtschaftspolitiken und Geldmengenentwicklungen, mit denen sie einerseits das eigene Wirtschaftswachstum und andererseits liinderspezi­fische Infiationsprozesse gestalten wollten. Dies fiihrte im Verlauf der Zeit zu geiinderten Knappheitsverhaltnissen der einzelnen Wlihrungen zum Gold oder zum Dollar. Es kam daher seit Beginn der 60er Jahre zu mehrfachen Paritatsiinderun­gen. Diese auBerten sich zunachst ausschlieBlich in Aufwertungen oder Abwertun­gen der Wlihrungen einzelner Mitgliedsliinder gegeniiber dem Dollar. Als jedoch zu Beginn der 70er Jahre das internationale Vertrauen in den Dollar selbst abnahm, kam es nach zwei Abwertungen des Dollar im Verhaltnis zum Gold zur Autkiin­digung der Goldeinlosepflicht fUr Dollar seitens der USA und schlieBlich im FrUh­jahr 1973 (am 12. Mlirz 1973) zur Freigabe des Wechselkurses der Wlihrungen wichtiger Industrieliinder gegeniiber dem Dollar. Damit war das Bretton Woods­System untergegangen.

11.4.2 Der europaische Wechselkursverbund

1m Vert rag von Rom zur Grundung der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft aus dem Jahr 1957 ist bereits im damaligen Art. 107 vorgesehen, daB jeder Mit­gliedstaat seine Politik auf dem Gebiet der Wechselkurse als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse betreibt. Als gegen Ende des Bretton Woods-Sy­stems nicht nur der Dollar, sondern auch das Pfund und der Franzosische Franc gegeniiber der DM an Wert verloren, kam es auf der Konferenz der Staats- und Regierungschefs 1969 in Den Haag zur Einsetzung einer Kommission, unter dem Vorsitz des Luxemburgischen Ministerprasidenten Werner. Diese Werner­Gruppe sollte einen Vorschlag zur stufenweisen Verwirklichung einer Wirtschafts­und Wlihrungsunion unterbreiten. Der von der Gruppe vorgelegte Plan scheiterte jedoch 1971 am Veto Frankreichs, das damals nicht bereit war, nationale geld- und wirtschaftspolitische Kompetenzen auf die Gemeinschaftsebene zu iibertragen und den Franc als nationale Wahrung aufzugeben.

Es kam nur zu einer Wechselkurskooperation zwischen den Zentralbanken in der Europaischen Gemeinschaft. Die Mitglieder haben im April 1972 ein Block­Floating gegeniiber dem Dollar vereinbart, d.h. untereinander fixe Wechselkurse festgelegt und die Kursschwankungen zwischen den Gemeinschaftswlihrungen auf +/- 2,25 % beschriinkt. Mit der vom Ministerrat der Gemeinschaft im Marz 1973 beschlossenen Befreiung der Zentralbanken der Gemeinschaft von ihrer Interventi­onspflicht gegeniiber dem Dollar wurde der europiische Wechselkursverbund fortgefiihrt. Der europaische Wechselkursverbund wollte die fixen Wechselkurse zwischen den Gemeinschaftswlihrungen beibehalten, bei Bandbreiten von +/- 2,25 %, und zugleich Schwankungen der Gemeinschaftswlihrungen insgesamt gegen­iiber dem Dollar zulassen. Dieses Block-Floating wurde deshalb popular als Schlange oder Wihrungsschlange bezeichnet, weil die Wechselkursentwicklung der Gemeinschaftswlihrungen innerhalb des Bandbreitenrahmens in grafischen Abbildungen ein schlangentormiges Muster ergaben, zumal der Bandbreitenrah-

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men gegeniiber dem Dollar selbst ein gewundenes Band und keinen ausschlieBlich kontinuierlichen Trend darstellte.

Die Gemeinschaftsmitglieder GroBbritannien, lrland und Italien sahen sich wegen ihrer Wirtschaftssituation nicht in der Lage, dem Block-Floating beiwtre­ten. Sie hatten ihre Wahrungen bereits wvor gegeniiber den PartnerHindem frei­gegeben, d.h. flexible Wechselkurse eingeflihrt, was im wesentlichen eine Ab­wertung von Pfund und Lira wr Folge hatte. Demgegeniiber schlossen sich Schwe­den und Norwegen, die nicht ruT Gemeinschaft gehorten, dem Block-Floating an.

Wahrend das Fix-Kurs-System von Bretton Woods mit dem Gold eine ge­meinsame BewgsgroBe und Recheneinheit besaB, galt dies flir die am europai­schen Wechselkursverbund teilnehmenden Wahrungen nicht. Es ist daher nicht iiberraschend, daB der Wechselkursverbund angesichts der fortbestehenden Un­terschiedlichkeiten in den Wirtschaftspolitiken und den Wirtschaftsentwicklun­gen der Mitgliedslander kein Fix-Kurs-System mit dauerhaftem Bestand sein konnte. Einige Mitglieder, wie z.B. Frankreich, schieden daher aus, und es kam mehrfach w geanderten Paritaten zwischen den Wahrungen der Schlange. Die dem europaischen Wechselkursverbund innewohnende Instabilitat konnte auch nicht dadurch behoben werden, daB Mitte des Jahres 1975 eine neue eigenstandige EG­Recheneinheit ERE geschaffen wurde. Diese Recheneinheit beruhte auf einem Korb mit festen Betragen an EG-Wahrungen, dessen Wert aufgrund der Leitkurse der Schlangen-Mitglieder und der Marktkurse zwischen der Wahrungen der iibri­gen EG-Lander von der EG-Kommission arbeitstaglich ermittelt und bekanntgege­ben wurde. Die ERE steUte einen gewogenen Durchschnitt der Mitgliedswahrun­gen der EG-Lander dar. Sie wurde in vie len Bereichen der EG offiziell eingeflihrt, beispielsweise flir den EG-Haushalt, nicht aber flir die Agrarpolitik.

11.4.3 Das Europiische Wihrungssystem (EWS)

Das Europaische Wahrungssystem EWS IOste im Jahr 1979 den Wechselkursver­bund ab und vereinigte bestehende und neue Regeln fUr die Wahrungsbeziehungen in der Europaischen Gemeinschaft. Das EWS bestand zunachst wiederum in einem Fix-Kurs-System, mit dem die wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Teil­nehmerlandem gefordert werden soUte. Die Bandbreiten wurden fUr die bisher am Wechselkursverbund beteiligten Gemeinschaftswahrungen auf +/- 2,25 % urn die bilateralen Leitkurse festgelegt. AUerdings gab es von vornherein Ausnahmen, z.B. flir die italienische Lira, der eine Schwankungsbreite von +/- 6 % wgebilligt wurde. Zudem blieb das EG-Land GroBbritannien dem EWS zunachst ganzlich fern.

1m Unterschied rum Wechselkursverbund sah das EWS deutlich erweiterte Unterstiitzungs- und Kreditmechanismen vor, mit denen umfangreiche Eingriffe der Wahrungsbehorden auf den Devisenmarkten ruT Stiitwng oder Verteidigung der Paritaten moglich waren. Diese gegenseitigen Hilfen bestanden in der sehr kurzfristigen Finanzierung sowie den Interventionskrediten, flir die es keine betragsmaJ3ige Begrenzung gab, dem kurzfristigen Wahrungsbeistand der EG-

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Zentra1banken mit einer Summe von rd. 14 Mrd. ECU und dem mittelfristigen finanziellen Beistand mit einem Volumen von rd. 11 Mrd. ECU. Zu Beginn glaubte man, mit diesen Instrumenten auch groBere Wahrungsturbu1enzen bekamp­fen und somit Paritatsanderungen vermeiden zu konnen. Tatsachlich hat sich dieser Glaube nicht bewahrheitet, da die auf den Devisenmarkten gehandelten Wahrungs­betrage die vom EWS bereitgestellten Summen in den entsprechenden Zeitraumen bei weitem uberstiegen haben.

Eine Schliisselrolle im EWS ist daneben der Europaischen Wahrungseinheit, der European Currency Unit ECU, zugeordnet worden. Die Europaische Wah­rungseinheit ECU, diente als Bezugsgro6e fUr die Wechselkurse der Teilnehmer, als Indikator fUr Wechselkursabweichungen, als Rechengro6e fUr Forderungen und Verbindlichkeiten im EWS sowie als Zahlungsmittel und Reserveinstru­ment der Zentralbanken in der EG untereinander. Die ECU ist im ubrigen zur zentralen HaushaItswahrung der Gemeinschaft geworden, in der nun auch die einheitlichen Agrarpreise im gemeinsamen Agrarmarkt festgesetzt wurden. Inso­weit fand die ECU von vornherein eine weitergehende und einheitlichere Verwen­dung als RechengroBe in Europa als deren Vorlaufer die ERE. Die ECU war je­doch weiterhin eine Kunstwahrung, die sich aus einem Korb nationaler europai­scher Wahrungen zusammensetzte und sich fUr Transaktionen auBerhalb der Zen­tralbanken nicht anbot. Sie unterlag auBerdem den Wertschwankungen, die im Einzelfall durch Auf- und Abwertungen der Mitgliedswahrungen ausgelOst wurden, und anderte zudem ihren Wert permanent durch die zu ihrer Berechnung weiterhin erforderliche HilfsgroBe, den US-Dollar.

Die Europaische Wahrungseinheit ECU wurde am 13. Marz 1979 wie folgt konstruiert und ergab sich aus der Summe folgender Wahrungsbetrage:

1 ECU (1979) 0,828 Deutsche Mark + 0,0885 Pfund Sterling + 1,15 Franzosische Francs + 109,00 Italienische Lira + 0,286 Hollandische Gulden + 3,66 Belgische Francs + 0,14 Luxemburgische Francs + 0,217 Danische Kronen + 0,00759 lrische Pfund.

Wollte man den Wert diese Wahrungskorbs aus neun unterschiedlichen natio­nalen Geldbetragen ermitteln, so bedurfte es eines gemeinsamen VergleichsmaB­stabs. Als VergleichsgroBe diente der US-Dollar, so daB erst uber die Umrechnung der aufgefiihrten Wahrungsbetrage in Dollar eine Summe gebildet werden konnte. Diese auf Dollar lautende Summe war dann in einem weiteren Schritt wieder in eine jeweilige EG-Wahrung zurUckzurechnen. Zum Ausgangszeitpunkt des EWS ergab sich der auf diesem Weg festzustellende Wert einer ECU beispielsweise mit 2,51064 DM.

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In den Folgejahren hat sich der Wert der ECU, deren Korbanteile aIle fiinf Jahre zu fiberpriifen waren, durch Auf- und Abwertungen der Mitgliedswahrungen, durch Ausweitung der Anzahl der Korbwahrungen und durch Revisionen des Wah­rungskorbs mehrfach geiindert. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht zum 1.1.1993 ist aIlerdings die Zusammensetzung des ECU-Wiih­rungskorbs festgeschrieben worden, so daB keine periodische Uberpriifung der Wahrungsbetrage mehr stattfand. Eine ECU war daher als Summe der untenste­henden Wahrungsbetrage definiert. AIlerdings bedeutete die Festschreibung der Zusammensetzung des ECU-Wahrungskorbs im Jahr 1993 noch keine Sicherung des Werts der ECU gegenuber den Teilnehmerwahrungen. 1m Rahmen des EWS existierte daher keine fUr ein dauerhaftes Fix-Kurs-System erforderliche stabile BezugsgroBe.

1 ECU (1993) 0,6342 Deutsche Mark + 1,332 Franzosische Francs + 0,08784 Pfund Sterling + 151,8 Italienische Lira + 0,2198 Hollandische Gulden + 3,301 Belgische Francs + 0,130 Luxemburgische Francs + 6,885 Spanische Peseta + 0,1976 Danische Kronen + 0,008552 Irische Pfund + 1,440 Griechische Drachmen + 1,393 Portugiesische Escudos

Einen wesentlichen Systembruch im Fix-Kurs-System des EWS hatte es im Jahr 1993 gegeben. Nachdem mehrere Mitgliedswahrungen fiber das Jahr hin be­reits abgewertet worden waren, haben die EG-Finanzminister und die Notenbank­prasidenten Anfang August 1993 eine Erweiterung der Bandbreiten fUr die am Wechselkursmechanismus teilnehmenden Wahrungen von +/- 2,25 % bzw. +/- 6 % auf immerhin +/- 15 % beschlossen, wobei die bilateralen Leitkurse oder Paritaten unverandert blieben. Dies konnte auch als Ende der mit dem Maastricht-Vertrag beabsichtigten Europaischen Wahrungsunion gewertet werden. Tatsachlich haben die Paritaten im EWS seither Bestand gehabt, da die meisten EU-Lander Konver­genzanstrengungen in einem zuvor nicht fUr moglich gehaltenen AusmaB unter­nommen haben.

11.4.4 Die Europiiische Wiihrungsunion

1m Jahr 1988 wurde eine Expertengruppe unter dem Vorsitz des Kommissions­prasidenten Delors eingerichtet, urn die europaische Wahrungsintegration zu for­dem, die sich im Rahmen des bisherigen EWS nicht hinreichend manifestiert hatte. Die Delors-Gruppe legte 1989 ihren Bericht VOT. Der Delors-Bericht fibemahm

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das Grundkonzept des Wemer-Berichts im monetaren Bereich - vor allem hin­sichtlich der Errichtung einer politisch unabhangigen europaischen Zentralbank -verzichtete aber auf die parallele Einrichtung einer europaischen Wirtschaftsregie­rung. Er setzte stattdessen auf einen vorherigen stabilitiitsorientierten Konver­genzprozeD. Der Vertrag von Maastricht hat das Grundkonzept des Delors-Be­richts weitgehend tibemommen.

Am 1. Juli 1990 begann filr die Europliische Gemeinschaft die erste Stufe der Europiiischen Wirtschafts- und Wiihrungsunion. Den rechtlichen Rahmen filr die damit beabsichtigte engere Koordinierung hatte der Finanzministerrat auf der Grundlage des Delors-Berichts im Marz 1990 mit seinen Beschltissen tiber die Verbesserung der wirtschaftlichen Konvergenz und tiber die Intensivierung der wahrungspolitischen Zusammenarbeit zwischen den EWG-Zentralbanken festge­legt.

In der ersten Stufe zur Verwirklichung der Europliischen Wahrungsunion ging es vor allem darum, die nationale Wirtschafts- und Wahrungspolitik in der gesamten Gemeinschaft starker auf die Erfordernisse der Geldwertstabilitiit und Haushaltsdisziplin auszurichten und die EG zu einer Stabilitatsgemeinschaft zu entwickeln. Das Ziel des einheitlichen Wirtschaftsraums erforderte, daB die noch bestehenden Unterschiede in den nationalen wirtschaftspolitischen Zielen und Steuerungsmethoden sowie in den tatsachlichen wirtschaftlichen Entwicklungen vermindert werden. Als oberstes von der Gemeinschaft anzustrebendes Ziel wurde ein anhaltendes nicht-inflationares Wachstum bei hoher Beschliftigung angestrebt. Durch ein multilaterales Uberwachungsverfahren im Ministerrat sollte darauf hin­gewirkt werden, daB die Politiken aller Mitgliedslander primar auf Preisstabilitat ausgerichtet sind auf der Grundlage einer soliden Finanz- und Geldpolitik, ausge­glichener Zahlungsbilanzstrukturen und offener wettbewerbsfiihiger Markte mit denjenigen der anderen Partner in Einklang stehen. Urn das Ziel der Preisstabilitat zu erreichen, untersuchten die Zentralbankprasidenten ein gemeinsames System zur Uberwachung der Geldpolitik. Dieses System sollte auf konzeptionell vergleichba­ren und leicht verstiindlichen Zwischenzielen in Form von Geldmengenaggregaten zumindest fUr die groBeren Lander basieren.

1m ilbrigen sollte die Vollendung des Binnenmarktes erreicht werden, in dem der fteie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital ge­wlihrleistet ist. Hierzu war einerseits der Wegfall der Binnengrenzen erforderlich. Zum anderen waren die nationalen Rechtsvorschriften, die im grenziiberschrei­tenden Verkehr zu Beschriinkungen, Behinderungen oder Verzerrungen des Wett­bewerbs fUhren, in erheblichem Umfang anzugleichen.

Am 1. November 1993 trat der Vertrag fiber die Europiiische Union (EU) in Kraft, der am 7. Februar 1992 in Maastricht von den AuBen- und Finanzmini­stem der EG unterzeichnet worden war. Danach sind mit dem Beginn des Jahres 1994 die Regelungen tiber die zweite Stufe der Europiiischen Wirtschafts- und Wiihrungsunion wirksam geworden. Bereits mit dem Beginn der ersten Stufe hatte der europliische IntegrationsprozeB in verschiedenen Bereichen bemerkens­werte Fortschritte gemacht. So wurde im Waren- und Dienstleistungsverkehr der

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einheitliche Binnenrnarkt weitgehend realisiert und im Kapitalverkehr sind die friiheren vieWiltigen Beschrankungen fast restlos beseitigt worden.

Urn weitere Fortschritte bei der monetaren Integration zu erreichen, hat der Vertrag von Maastricht folgende Konvergenzkriterien festgelegt: • ein anhaltend hoher Grad an Preisstabilitat, wobei die Preissteigerungsrate der

drei stabilsten Lander urn nicht mehr als anderthalb Prozentpunkte uberschrit­ten werden darf;

• ein Haushaltsdefizit, das nicht iibermiiOig sein darf und durch zwei Kenn­zahlen konkretisiert wird: (1) Das jiihrliche Defizit der offentlichen Haushalte darf 3 % des Bruttoinlandsprodukts nicht iibersteigen. (2) Der Bruttoschul­denstand der offentlichen Haushalte darf 60 % des Bruttoinlandsprodukts nicht iibersteigen;

• die Teilnahme am Wechselkursmechanismus des EWS im Rahmen der nor­malen Bandbreiten seit zumindest zwei Jahren ohne Spannungen und ohne Abwertung gegenuber der Wahrung eines anderen Mitgliedstaats sowie

• ein Zinsabstand gegenuber den drei preisstabilsten Landem, der im langfri-stigen Bereich zwei Prozentpunkte nicht iibersteigen darf.

Mit der zweiten Stufe sollte der Konvergenzproze8 fortfiihrt und durch die Reali­sierung der Konvergenzkriterien die monetare Stabilitat in den Landem gestarkt werden. Die zweite Stufe selbst wird nur als Ubergangsphase zur dritten und letzten Stufe der Wirtschafts- und Wahrungsunion gesehen, in der eine gemein­same europiiische Wiihrung eingefiihrt wird, die die bisherigen nationalen Wah­rungen ersetzt.

Nach den Vereinbarungen von Maastricht ist die Wirtschaftspolitik von allen Mitgliedstaaten als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse zu betrachten und im Rat zu koordinieren. Richtschnur und Rahmen fUr die Koordi­nierung sind die yom Finanzministerrat im Dezember 1993 verabschiedeten "Grundziige der Wirtschaftspolitik". Darin wird die Bedeutung eines von den Marktkraften getragenen, inflationsfreien Wachstums fUr die Gemeinschaft be­tont. Neben einer am Ziel der Preisstabilitat ausgerichteten Geldpolitik setzt dies verstarkte Bemuhungen bei der Konsolidierung der Offentlichen Haushalte vor­aus.

Mit Beginn der zweiten Stufe der Wirtschafts- und Wahrungsunion wurde die Zusammenarbeit der Notenbanken auf eine neue institutionelle Grundlage gestellt. Zum 1. Januar 1994 wurde vertragsgemaB das Europiiische Wiih­rungsinstitut (EWI) errichtet. Es lOste bisher bestehende EWS-Institutionen abo Ais Sitz wurde nach einem BeschluB der Staats- und Regierungschefs der Mit­gliedstaaten Frankfurt am Main vorgesehen. Zu den vorrangigen Aufgaben des EWI gehOrte die Mitwirkung an einer verstarkten Koordinierung der nationalen Geld- und Wiihrungspolitiken mit der Ziel der Sicherung der PreisstabilitlU. Daneben war das EWI zu allen Vorschlagen flir Rechtsakte der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten anzuhoren, die seinen Zustandigkeitsbereich berUhrten. Damit wurde versucht, friihzeitig auf eine konsistente Entwicklung der flir die Geld- und

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Wabrungspolitik relevanten Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten hinzuarbeiten, urn eine einheitliche Geldpolitik in der dritten Stufe zu gewahrleisten.

Uber seine Koordinierungsaufgaben hinaus hatte das EWI vor allem die Voraussetzungen dafiir zu schaff en, daB die Europaische Zentralbank, deren Vorlaufer-Institut das EWI war, mit dem Beginn der dritten oder Endstufe der Europaischen Wabrungsunion ihre Tatigkeit in vollem Umfang aufnehmen konnte. Die Aufgaben reichten hierbei von der Entwicklung einer geldpolitischen Stra­tegie fur die 1ctinftige einheitliche europaische Geldpolitik mit den dazu erforderli­chen Instrumenten und Verfahren bis hin zu organisatorisch-technischen Vorbe­reitungsarbeiten fur die rasche und problemlose Abwieklung des Zahlungsver­kehrs in Europa und die Planungen fur die Herstellung und Ausgabe einheitIi­cher europaischer Banknoten und Munzen.

In der zweiten Stufe traten dane ben eine Reihe weiterer vertraglicher Vor­schriften in Kraft. Zu diesen zahlte das Verbot der Kreditgewahrung der No­tenbanken an den Offentlichen Sektor und der Verzicht des Staates auf den pri­vilegierten Zugang zu den Finanzinstituten. AuBerdem muBten die bestehenden Altschulden der Offentlichen Hand in den Notenbankbilanzen mit einer festen Endflilligkeit versehen werden. Dies sollte die Haushaltsdisziplin starken und einen Schutz der Unabhangigkeit der nationalen Notenbanken und des spateren Europaischen Systems der Zentralbanken bewirken. Dementsprechend verlangt der Vertrag von Maastricht auch von den Mitgliedstaaten, die Unabhangigkeit ihrer Zentralbanken vor Errichtung der Europaischen Zentralbank sieherzustellen. Als weitere Regelung ist mit dem Beginn der zweiten Stufe die Bestimmung tiber den HaftungsausschluD der Gemeinschaft und der anderen Mitgliedstaaten fur Ver­bindlichkeiten einzelner Unionslander festgeschrieben worden. Hierdurch sollte das BewuBtsein gestarkt werden, daB auch in Zukunft die Lasten einer iibermaBi­gen nationalen Verschuldung nieht durch eine "Vergemeinschaftung" gemildert werden konnen.

Der Europaische Rat hat am 15. Dezember 1995 anlaBlich seiner Sitzung in Madrid die Strategie fur den Ubergang auf die gemeinsame europaische Wahrung, das sogenannte Einfiihrungsszenarium, gebilligt. Es stellt darauf ab, die Europai­sche Wahrungsunion unter Berlicksichtigung der Interessen und technischen Mog­lichkeiten aller Wirtschaftssubjekte moglichst schonend sowie marktorientiert umzusetzen. Zu den wiehtigsten Elementen des Szenariums gehorten dane ben die Bestatigung des vorgesehenen Eintritts in die dritte Stufe der Wiihrungsunion am 1. Januar 1999 in Ubereinstimmung mit den Konvergenzbedingungen und die Festle­gung des Namens "Euro" rur die kiinftige europaische Wahrung sowie die Be­zeichnung "Cent" rur die Untereinheiten insbesondere auf den Miinzen.

Das Interesse an einer dauerhaften Stabilitatsorientierung des Europaischen Wabrungssystems ist durch den Stabilitats- und Wachstumspakt unterstrichen worden. Diesen Pakt hat der Europaische Rat im Jahr 1997 beschlossen. Er be­steht aus zwei Verordnungen des Ministerrates der EU und aus einer EntschlieBung des Europaischen Rates. In einer Verordnung des Stabilitatspaktes fmden sich nahere Bestimmungen zu dem im EG-Vertrag bereits in GrundzUgen geregelten

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Verfahren bei einem UbennaBigen Defizit der offentlichen Haushalte. Es werden auch Vorkehrungen zur Beschleunigung des Verfahrens getroffen. Zu dem Verfah­ren zahlt insbesondere die Moglichkeit, daB Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat verMngt werden konnen, der ein UbennaBiges offentliches Defizit zulaBt. Zudem ist dem Verfahren bei einem UbennaBigen Defizit ein Dberwachungsverfahren vorgeschaitet, so daB es gar nicht erst zu UbennaBig hohen Defiziten kommt. 1m Ubrigen werden die Mitgliedstaaten, der Ministerrat und die EU-Kommission ver­pflichtet, den Pakt strikt und rechtzeitig anzuwenden.

Auf dem Europaischen Gipfel am 2.und 3. Mai 1998 in Brussel entschieden die Staats- und Regierungschefs, daB mit Belgien Deutschland, Finnland, Frank­reich, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Osterreich, Portugal und Spa­nien elf Lander der Gemeinschaft die notwendigen Voraussetzungen fUr die Ein­flihrung der gemeinsamen Wahrung erflillten und beschlossen den Eintritt in die dritte Stufe der Europaischen Wahrungsunion zum 1. Januar 1999. Damit stellte der Europaische Rat fest, daB alle beitrittswilligen Lander auBer Griechen­land die im Vertrag von Maastricht niedergelegten Konvergenzkriterien erfiillten. Danemark und das Vereinigte Konigreich hatten gemaB den vertraglichen Rege­lungen von ihrer Wahlmoglichkeit Gebrauch gemacht, der Wahrungsunion noch nicht beizutreten. Schweden wollte ebenfalls noch nicht sofort teilnehmen.

Noch im Juni 1998 wurden die Europaische Zentralbank und das Euro­paische System der Zentralbanken errichtet. Am 31. Dezember 1998 wurden die unwiderruflichen Umrechnungskurse zwischen dem Euro und den Wahrungen der Mitgliedstaaten, die den Euro einflihrten, festgelegt. FUr die DM ergab sich dabei ein Umrechnungskurs von I Euro = 1,95583 DM. Die ECU entsprach im Ubrigen einem Euro. Am 1. Januar 1999 wurde der Euro zunachst als Buchgeld in den Teilnehmerlandem eingemhrt.

Nachdem die Europaische Zentralbank bereits im September 1998 ihren Be­richt "Die einheitliche Geldpolitik in Stufe 3 - Allgemeine Regelungen fUr die geldpolitischen Instrumente und Verfahren des ESZB" veroffentlicht hatte, konnte sie mit dem Start des Euro auf diese geldpolitischen Instrumente zur Steuerung des Euro-Wahrungsraurns zuruckgreifen.

Die Zeit zwischen 1999 und Ende des Jahres 2001 wurde benotigt, urn den Obergang auf die Verwendung des Euro als Bargeld zu bewerkstelligen. Es waren namlich flir die Einfiihrung des Euro im tiiglichen Leben der Menschen des Euro­Raurns nicht nur die Bargeldbestande zu produzieren, sondem auch eine Hille von Rechtsvorschriften anzupassen und zu andem. AuBerdem hat Griechenland seit Beginn des Jahres 2001 auch den Beitritt zum Eurosystem erreicht.

Seit 1. Januar 2002 ist der Euro als Bargeld in Fonn von Banknoten und Miinzen verfiigbar und gleichzeitig auch das einzige gesetzliche Zahlungsmittel im Euro-Raurn, der im Startjahr aus 12 Mitgliedslandem besteht.

Mit dem Untergang des EWS zum 1.1.1999 wurde daruber hinaus ein neuer Wechselkursmechanismus (WKM II) installiert, der die Wahrungen der Mit­gliedstaaten auBerhalb des Euro-Raums auffreiwilliger Basis an den Euro bindet.