Planet der Affen

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    18. 3. 20164  WIENER JOURNAL 

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    5. 2. 201618. 3. 2016  WIENER JOURNAL   5

    Die lieben Verwandten

    Wiener Journal

    18. März 2016

    Das Magazin der 

    Hätte uns auch gut gefallen

     ALTERNATIVE TITELSEITE

    Foto: Daniel Zupanc

    ZITIERT 

    Seite 11

    „Die Orang-Utans

    sollte man nicht

    zu offensichtlich

    anstarren, sondern

    etwas anderes tun.

    Dann werden sieneugierig und

    kommen.“

    Stefanie Stenitzer

    Planetder Affen

    Der Mensch nahm vor sechs Millionen Jahren eine

    andere Entwicklung als der Rest der Primaten. Dennoch:

    Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, 98 Prozent derGenmasse sind gleich. Die Reise zum Planet der Affen

    führt von den Orang-Utans in Indonesien über die

    Gorillas im Kongo zu den Schimpansen in Ruanda.

    Ein Verwandtschaftsbesuch.

    Text & Fotos: Thomas Seifert

    D

    as  Klotok tuckert gemächlich den Fluss Se-konyer, der sich als schlammbraunes Banddurch den Dschungel Südkalimantans schlän-

    gelt, hinauf. Das Ziel der gemächlichen Reiseim Flussboot ist Camp Leakey, die im Jahr 1971 von derkanadischen Primatologin Biruté M. Galdikas gegründeteForschungsstation zur Beobachtung von Orang-Utans. Dasberuhigende Tuckern des Bootsmotors verhallt im Dschun-gel, die Zeit wird gedehnt und verschwindet hinter einemschläfrigen Schleier. Der Fahrwind macht die feuchte Hit-ze erträglich, immer wieder umflattern Schmetterlinge denknatternden Kahn, und wenn es Abend wird, dann steigertsich das Zirpen von zigtausenden Zikaden zu einem flir-renden Crescendo, und in den Bäumen tauchen die Kon-turen von Makaken und Proboscis-Affen auf.

     Am nächsten Morgen geht es weiter den Fluss hinauf undals das Klotok am Ziel ist, wartet Siswe bereits an der Anle-

    gestelle. Die 40 Jahre alte Orang-Utan-Dame ist die Chefinhier in Camp Leakey, im Film „Planet der Affen“ würdesie die Rolle einer übergewichtigen, dominanten, aber zu-gleich auch liebenswürdigen und gutmütigen Matrone spie-len. Siswe hockt auffordernd am Steg, sie will Respekt und

     Aufmerksamkeit – am besten ein Stück Obst von den Be-suchern. Mit Orang-Utan-Weibchen sollte man sich bessernicht anlegen: Sie haben die Kraft von fünf Männern,

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    sagt man. Siswe ist aber friedlich undgenießt sichtlich die Aufmerksamkeit,die ihr hier, am Steg von Camp Leakey,zuteil wird.Camp Leakey ist nach dem britisch-stämmigen Anthropologen Louis Lea-key benannt, der mit wichtigen Kno-chenfunden zum Nachweis beigetragenhatte, dass die Menschheit aus Afrikastammt. Sein Beitrag zur Primatolo-

    gie ist ein indirekter: Leakey hat 1960die britische Verhaltensforscherin JaneGoodall dazu motiviert, das Verhal-ten von Schimpansen zu studieren. DieUS-Zoologin Dian Fossey konnte 1966Leakey davon überzeugen, dass sie diegeeignete Person ist, Gorillas in Ruandazu studieren, 1968 kam Biruté M. Gal-dikas auf Leakey zu, um ihn um Hilfezu bitten, ihr bei der Erforschung derOrang-Utans zu helfen. Leakey hoffte,dass sich aus Verhaltensbeobachtungender Menschenaffen Rückschlüsse aufdas Verhalten der Vormenschen ziehen

    lassen. Gemeinsam mit der NationalGeographic Society ermöglichte Leakeyes, dass Biruté Galdikas auf Borneo eineForschungsstation einrichten konnte, umdas Verhalten frei lebender Orang-Utanszu studieren. Leakey hat vor allem Kol-leginnen ermutigt, Menschenaffen zuerforschen, weil er glaubte, dass Frauendie besseren Beobachter seien, die Arbeitim Feld besser ertragen würden und dieKonventionen einer von Männern domi-nierten Wissenschaft besser überwindenkönnten. Und mit Goodall, Fossey und

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    Galdikas sollte die Öffentlichkeit eineneue Art von Forscherinnen kennenler-nen, die ihre Wissenschaft nicht nur mitAkribie, sondern auch mit Leidenschaft

     vorantrieben.In einem Museumsraum in Camp Lea-key hängt die Titelseite einer schonetwas vergilbten Ausgabe des einfluss-reichen populärwissenschaftlichenMagazins „National Geographic“ vom

    Oktober 1975. Auf dem Foto ist die junge Biruté Galdikas in einer Wie-se zu sehen, ein Orang-Utan-Baby hatseine langen Arme um Galdikas Halsgeschlungen, die Primatologin hält dasBaby im Arm wie ihr eigenes Kind, ander zweiten Hand führt sie einen jungenOrang-Utan. Mit dieser Covergeschich-te wurde Galdikas in den Pantheon der

     Wissenschaft gehoben, eine Ehre, die vor ihr schon Goodall und Fossey zu-teil geworden war. Goodall, Fossey undGaldikas waren die idealen Heldinneneiner neuen Ära der Primatenforschung,

    sie beließen es nicht nur bei der küh-len zoologischen Empirie, sondern sie wollten auch die Persönlichkeit, denCharakter und die Gefühlswelt der Pri-maten, die sie studierten, kennenlernen.Die männlich dominierte Wissenschafthatte so etwas bis dahin als gefühlsduse-lige Anthropomorphie abgelehnt. Aberdie drei Forscherinnen bestanden darauf,dass Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans mit Gefühlswelt ausgestattete

     Wesen und keine seelenlosen For-schungsobjekte seien. Wenn man in die

    Augen von Orang-Utan-Dame Siswesieht, wie sie am Steg hockt und einenfreundlich und die anderen argwöhnischanblickt, dann kann man das gut verste-hen. Noch besser versteht man es, wennman tiefer in den Dschungel marschiertund auf einem der Pfade plötzlich aufeine Orang-Utan-Mutter trifft, die ganzstolz ihren Nachwuchs präsentiert oder

     wenn junge Orang-Utans die Besucher

    genauso neugierig beobachten, wie dieVertreter der Species Homo sapiens ihrenahen Verwandten Pongo pygmaeus.Doch auch die vergleichende Genomik,eine kühle, numerische Wissenschaft,

     weiß über die nahe Verwandtschaft zwi-schen Gorillas, Orang-Utans, Schim-pansen, Bonobos und Menschen: Diegenetische Differenz zwischen Menschund Orang-Utan beträgt 3,6 Prozent(bei Schimpansen 1,7 Prozent, bei Go-rillas 2,3 Prozent).Doch die Gensequenz-Analyse war1971, als Galdikas ihr Lager in Bor-

    neo aufgeschlagen hatte, noch unbe-kannt. Wo heute Holzstege und be-festigte Wege die Besucher durch denRegenwald führen, musste die Forsche-rin durch den Schlamm waten, der ihrmanchmal bis zu den Hüften reichte.Moskitos, Blutegel und Schlangen zum

     Trotz watete Galdikas damals hüfttiefdurch Wasser und Schlamm. Schlan-gen und Taranteln waren auch Galdikas'unerfreuliche Begleiter, wenn sie tage-lang den Orang-Utans auf der Fährte

     war. Die Orang-Utans waren über ihre

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    sind es auf der Insel Borneo. Doch derLebensraum für die Orang-Utans wird

     Jahr für Jahr weniger, und so flüchten die Tiere in den Park.Eddiy Santoso, er stammt aus Jakarta,stemmt sich gegen die Brandrodung,die Kettensägen, die Minenunterneh-men, Teak-Holz-Händler und Palmöl-Plantagenbesitzer. Santoso, ein Mannmit dunklen Augen und dunklem Bart,einem sanften Lächeln und einer ru-higen Stimme glaubt, dass sanfter Tou-rismus und eine nachhaltige Land- undForstwirtschaft die Zukunft für Kali-mantan sind. Dafür kämpft die Umwelt-organisation Yankorin, für die er arbeitet.

     Yankorin sorgt dafür, dass die PolizeiUmweltsünder, die im Gebiet des Na-tionalparks Bäume fällen oder Planta-gen anlegen, verfolgt. Die Organisation

     versucht, der lokalen Bevölkerung den Wert der Naturschönheit des Parks zu vermitteln und den Tourismus zu för-

    dern. Doch Wilderer töten noch immerOrang-Utan-Mütter, um die Jungenan Zoos oder als Haustiere zu verkau-fen; und hunderte Kilometer nördlich

     von hier, im Herzen von Borneo, tötendie Angehörigen des Dayak-Stammesangeblich bis heute Orang-Utans, umsie zu essen. Man hat die verkohltenKnochen von Orang-Utans an der Sei-te frühmenschlicher Fossilien gefunden,

     was darauf hindeutet, dass Orang-Utansschon vor mehr als 30.000 Jahren aufdem Speisezettel der Menschen gestan-den sind. Eddy Santoso sagt, es sei Zeit,

    dass die Menschen Frieden schließenmit ihren Artverwandten und sie mit je-nem Respekt behandeln, den man seinenVorfahren schuldet. In der von Yayorinin der 200.000-Einwohnerstadt Pangka-lan Bun betriebenen Ecolodge können

     Touristen, die zu den Orang-Utans wol-len, übernachten, und sie können zumAbschied einen Baum pflanzen.An den Wänden der Flughafen-Halledes acht Kilometer südöstlich vom Zen-trum von Pangkalan Bun gelegenenFlughafens Iskandar wird der Wider-

    Der Tracker (links) führtdie Besucher im NyungweNationalpark (Ruanda) zu denSchimpansen.

    Verfolgerin damals auch nicht sonder-lich begeistert und versuchten, sie mitgezielten Würfen von Aststücken undExkrementen auf Distanz zu halten. InCamp Leakey kann man den Tieren nä-her kommen: Die meisten Orang-Utans,die dort leben, wurden von Menschenkonfisziert, die die Menschenaffen – il-legal – als Haustiere hielten. In CampLeakey werden sie wieder ausgewildert

    Gorilla imNationalparkKahuzi-Biéga.

    und an das Leben im Dschungel ge- wöhnt, bis sie auf Nimmerwiedersehenin der Wildnis verschwinden. Für vieleder ausgewilderten Orang-Utans bleibtder Urwald beängstigend, sie bleiben zeitihres Lebens in der Nähe des Camps.Vielleicht sind die zur Fütterungszeit aufHolzplattformen ausgelegten Bananenein Grund, in der Nähe des Camps im

     Tanjung-Puting-Nationalpark zu blei-ben, vielleicht ist es auch der Schutz, densie hier vor ihrem größten Feind genie-ßen: dem Mensch.Denn außerhalb des Nationalparks sinddie Waldbewohner nicht sicher: Übereine Million Hektar Wald – und damitder Lebensraum der Orang-Utans –

     werden jedes Jahr in Indonesien gerodet:Das ist so viel Fläche wie drei Tanjung-Puting-Nationalparks. Jedes Jahr. 6000Orang-Utans, so Santoso, leben im Nati-onalpark Tanjung Puting, mehr verträgtder Nationalpark auch nicht, 56.000

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    quelle zu nutzen. Um zu verhindern,dass die Gorillas sich zu sehr an Men-schen gewöhnen und damit bei einem Wiederaufflammen der Konflikte nochleichter zur Zielscheibe werden, lässt

    man Touristen nur zur Familie der Sil-berrücken Mpungwe und Chimanuka.Der Chimanuka-Clan besteht aus 36Gorillas, darunter 17 Weibchen und 18 Junge. Chimanuka hat vor einiger Zeitin einem harten Zweikampf seinen Ri- valen Mugaruka besiegt. Sein Haremund die Kinder Mugarukas sind seitherin den Chimanuka-Clan eingegliedert.Drei Dinge gibt es, um die Gorilla-Männchen kämpfen: Territorium, Nah-rung, Weibchen. Bei manchen männ-lichen Vertretern der Species Homosapiens soll es ähnlich sein. Wenn Touristen kommen, ignoriertChimanuka die Besucher so gut es geht.Manchmal, wenn sie ihm oder den Fa-milienmitgliedern zu nahe kommen,grunzt er leise oder wirft den Menscheneinen strengen Blick zu. Die Parkrangerachten darauf, dass die Menschen dieGorillas nicht zu sehr stören und Mund-schutz-Masken tragen – denn niemand

    spruch deutlich: links eine Werbeta-fel für Orang-Utan-Tourismus, rechtsein Plakat einer Teakholz-Firma. Dochman wird nicht beides haben können imSüden Borneos.

    Im Reich der Gorillas

    Schon beim Geldwechseln nach derLandung am Flughafen Kigali in Ruan-da ist klar, dass man im Reich der Goril-las gelandet ist. Denn auf der Vorderseitedes 5000-Francs-Scheins – die Farbeerinnert an den 10-Euro-Schein (die5000 Francs haben einen Gegenwert vonetwas weniger als sechs Euro) – ist einstattlicher Silberrücken zu sehen.Mit dem Geländewagen geht es vonKigali über die ruandesisch-kongole-sische Grenze nach Bukavu und vondort zur Ranger-Station des National-parks Kahuzi-Biéga. Gemeinsam mitden Trackern geht es dann über eine Teeplantage in den Urwald, einer der Tracker schlägt einen Pfad durch dieimmer dichter werdende Vegetation. Esgeht immer tiefer hinein in den Dschun-gel, der Pfad läuft bergauf, bergab durchimmer steileres Gelände. Und gerade,als die ersten Zweifel an der Sichtungder Gorillas aufkommen, entdecken die Tracker zuerst den Dung und dann dieNester der Chimanuka-Gorillafamilie.Nach ein paar Minuten, der Fährte der

    Gorillas folgend, sieht man ihn stolz aufeiner Lichtung sitzen: Chimanuka, denSilberrücken.Chimanuka ist ein Exemplar der Ost- Tieflandgorillas (Gorilla beringeigraueri), wie man sie noch im Kahuzi-Biéga-Park findet, und die eng mit denBerggorillas (Gorilla beringei beringei)– denen die Forscherin Dian Fossey inihrem Buch „Gorillas im Nebel“ einDenkmal gesetzt hat – verwandt sind. Tieflandgorillas sind größer und habenein längeres Gesicht als ihre Artver- wandten in den Bergen des Virunga-

    Nationalparks. Insgesamt gibt es imKahuzi-Biéga-Park nur mehr neunGorilla-Familien. Habituiert, das heißtan Menschen gewöhnt, sind allerdingsnur zwei. In die Nähe der anderen sie-ben lassen die Parkranger nur bei derParkverwaltung akkreditierte Forscher– zum Schutz der Gorilla-Population.Denn in diesem Teil des Kongo gab esimmer wieder Kämpfe zwischen Re-bellen und Regierungstruppen, und dieRebellen jagten die Gorillas, um sie inihren Dschungelbasen als Nahrungs-

    Mitglied desChimanuka-Clansim NationalparkKahuzi-Biéga(Kongo)

    Borneo-Orang-Utans (Pongopygmaeus) in derForschungsstationCamp Leakey imNationalpark TanjungPuting (Indonesien)

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     will riskieren, dass Krankheiten auf diegefährdeten Artverwandten übertragen werden. Die Besuchszeit ist strikt limi-tiert: Nach einer Stunde bei den Gorillasist eigentlich Schluss, doch die Rangerzeigen sich meist großzügig, und es dür-fen, wenn die Besuchergruppe klein ist,auch mal zwei Stunden werden. WennChimanuka und die Mitglieder seinesClans genug Blätter zwischen die Zähnebekommen haben, zieht sich die Gruppein ein schattiges Nest zur Siesta zurück.

    Die einen widmen sich der Fellpflege,andere halten ein Verdauungsschläf-chen, die kleinsten suchen die Nähe ih-rer Mütter. Chimanuka liegt am Rückenund starrt in den Himmel.

    Im Land der tausend Hügel

    Der Weg zurück nach Ruanda führt überden Grenzübergang Ruzizi I, in den Ny-ungwe Nationalpark, der zahlreiche Pri-matenarten beheimatet. Die schwarz-

     weißen Colobusaffen etwa, aber diegrößte Attraktion im immergrünenBergwald sind die Schimpansen. Aufdem Weg zur Fußsafari begegnet mankurz nach Sonnenaufgang den Teepflü-ckerinnen, die die morgentaubehafteten

     jungen Blätter von den Teepflanzenreißen. Der Blick über die dampfenden

     Teeplantagen und die geschwungenenHorizontlinien ist atemberaubend. „Paysdes mille collines“ nennt man Ruanda,das Land der tausend Hügel.

    Birutė Galdikas: Schutzpatronin der Orang-Utans.

    Foto: afp/Suzanne Plunkett

    Dian Fossey: Hat den Gorillas ein Denkmal gesetzt.

    Foto: Corbis/Yann Arthus-Bertrand

    Jane Goodall:Erforscht seit 1960 Schimpansen.

    Foto: Jane Goodall Institut - Austria

    Orang-Utankommt aus dem

    Malaiischenund bedeutetWaldmensch:

    Orang: Mensch,(h)utan: Wald.

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     Wenn man zu sehr um Aufmerksamkeit heischt,

    funkt es meistens nicht. Wenn man gafft, schon

    gar nicht. Aber wie schmeißt man sich am besten

    an Orang-Utans im Tiergarten Schönbrunn heran? –

    Pflegerin Stefanie Stenitzer weiß Rat.

    Text: Thomas Seifert

    enn Nonja schlechteLaune hat, dann ist derGrund meist Vladimir.Vladimir ist das einzige

    Männchen im Orang-Utan-Gehege imZoo von Schönbrunn, und manchmalläßt Vladmir, wie sich das für das Alpha-Männchen gehört, den Macho heraus-hängen. Nonja ärgert sich dann, sie gehtnach vorne an die Panzerglasscheibe undlässt ihren Frust an den Kindern aus,

     wenn welche da sind. Nicht, weil NonjaKinder nicht gerne hätte, sondern weilKinder so schön erschrecken, kreischenund aufgeregt weglaufen, wenn Nonjaihre Zähne fletscht und gegen das Glasschlägt. Die Erwachsenen sind da viel

    cooler, es gibt weniger Reaktion und da-mit weniger Spaß für Nonja.Nonja ist eben eine Diva, sie kam am 21.April 1974 im Tiergarten Schönbrunn

    Flirtmit den Orang-Utansim Tiergarten Schönbrunn

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    Die Park-Tracker haben die Schim-pansen schon in aller Früh ausgemachtund lotsen die Parkranger – die Tou-risten im Schlepptau – immer tiefer inden Urwald. Die Kronen der Baumrie-

    sen bilden bald ein geschlossenes Blät-terdach, dunkel und schattig. Man hörtdas aggressive, hysterische Kreischender Schimpansen schon von weitem: einrichtiges Affentheater. Zu sehen ist vonihnen: Null. Doch dann sieht man Be-

     wegung in den Ästen, und einmal kreuztein Vertreter der Art Pan troglodytes

    sogar seelenruhig den Pfad der Safari-Gruppe. 1900 haben nach Schätzungen

     von Primatologen noch über eine Mil-lion Schimpansen im Tropengürtel zwi-schen dem Senegal im Westen Afrikas

    und Uganda sowie Tansania im Ostengelebt, heute sind es vielleicht noch200.000. Die Forscherin Jane Goodall,die die Schimpansen in den 1960er Jah-ren in ihrer Forschungsstation in Gom-be in Tansania studierte, war von ihnenfasziniert: Sie entdeckte, dass Schim-pansen Werkzeuge gebrauchen, Zweige

    abbrechen und mit ihnen Termiten ausden Löchern ihrer Bauten angeln oderSteine als Hammer und Amboss ver-

     wenden, um Nüsse zu knacken. Heute wissen die Forscher, dass Schimpansen

     wie Menschen lokale Traditionen besit-zen, dass es kulturelle Unterschiede gibt.Schimpansen aus dem Gombe-Natio-nalpark in Tansania, so wie Goodall sieerforscht hat, töten leidige Parasiten,indem sie sie auf Blättern zerquetschen.Im Taï-Nationalpark im Südwesten derElfenbeinküste zerquetschen sie die lä-

    Sol: Das neugierigeNesthäkchen der Orang.erie.

    Nonja: Die malende Diva imPrimatenhaus.

    Vladimir: Das gutmütigeMännchen in Schönbrunn.

        F   o   t   o   s   :    D   a   n    i   e    l    Z   u   p   a   n   c

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    zur Welt, sie wurde als Malerin bekannt,als sie im Rahmen eines Beschäftigungs-programmes in den 90er Jahren zu Pinselund Farbe griff und 250 Gemälde an-fertigte. Für ein Bild wurden damals biszu 28.000 Schilling, umgerechnet rund2000 Euro, bezahlt. Stefanie Stenitzer,Pflegerin der Orang-Utans im Tiergar-ten Schönbrunn kennt Nonjas Marotten.„Wenn es ihr einmal nicht so gut geht,sucht sie den Kontakt zu uns. Mit Redenoder sie ein wenig Kraulen kann man ihrschon helfen“, sagt sie. Von den Orang-Utans hat eben jeder seinen eigenen Cha-rakter, sagt Stenitzer. Vladimir, das ein-zige Männchen, das noch den Schein des Alpha-Männchens aufrecht hält, Mota,

    sie ist schon eine alte Dame, die sich nurmehr wenig den Besuchern zeigt und die1996 in Schweden geborene Sol – sie istdie jüngste des Orang-Utan-Quartetts inSchönbrunn. Sie ist der Liebling der Be-sucher. Neugierig, quirlig und fast immerguter Laune.Sol war so etwas wie das Nesthäkchen. Als sie nach Wien kam, lief bei allenanderen das Kindchenschema-Pro-gramm ab: Vladimir hat sie als Ersatz- Tochter adoptier t, Nonja, die sonst zuausgewachsenen Weibchen „ein zwie-spältiges Verhältnis“ hatte, wie Stenit-

    zer sagt, ebenso. Sol konnte sich allesbei Nonja erlauben, ihr sogar das Essenaus dem Mund nehmen. Doch dieseZeiten sind vorbei, Sol muss ein we-nig vorsichtiger agieren, sie ist einfachdie Schwächere gegenüber Nonja. DieOrang-Utans im Zoo von Schönbrunnzu beobachten ist eben etwas anderesals die Zebras oder die Eisbären zu se-hen. Sie zeigen komplexes Verhalten,und manchmal scheint es, als wolledie Natur uns in der Gestalt unsererPrimaten-Zeitgenossen einen Spiegel

     vorhalten und uns zuflüstern: „So ver-schieden, Mensch, bist du nicht.“ Was ja auch stimmen würde: „Sie sind anallem interessiert, neugierig von früh bisspät. Wir geben ihnen manchmal Werk-zeug, das wir auch benützen, dann sindsie ewig damit beschäftigt, die Anlagezu ‚säubern‘, wie wir das machen. Naja,das ist eher wie Dreck verteilen, was sieda machen, aber sie bemühen sich, zukopieren, was wir tun.“ Klingt wie einkleines Kind, das tun will, was Mamamacht. Primaten lernen eben durch Beo-bachten und Nachvollziehen der Hand-lungen anderer. Und daher sei es auchschwierig, die Orang-Utans bei Launezu halten, da sie ständig Input brauchen.

    „In gewisser Weise sind wir limitiert: Siedürfen sich nicht wehtun mit den Be-schäftigungen, die wir ihnen geben. Wirkönnten ihnen ja alles Mögliche geben,

    aber wenn sie sich dann mit den Werk-zeugen oder Spielsachen verletzen, dannist das nicht sehr zielführend. Sich daimmer wieder etwas Neues zu überlegen,

     was ihnen Spaß macht und ihnen aberauch nicht gefährlich wird, ist eine He-rausforderung“, sagt Stenitzer.

     Welchen Rat hat Stenitzer für die Besu-cher? Am besten ist, man nimmt sich Zeit,setzt sich einfach mit einem Buch vor dieGlasscheibe, sagt sie. Nicht zu offensicht-lich anstarren, nicht um Aufmerksamkeitheischen, das funktioniert meist nicht.

     Also eher ein sanfter Flirt und keine An-mache. Ein Buch lesen, die Haare pflegen,Hautcreme oder Lippenstift auftragen,malen, in der Tasche kramen und bunte,

    interessante Dinge hervorholen. „Dannkommen sie und schauen, was man damacht. Dann ist das Interesse geweckt,und man kann ihr Herz gewinnen.“

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    stigen Insekten oder Egel mit den Fin-gern am eigenen Unterarm, wie Forscherdes Max-Planck-Instituts für evolutio-näre Anthropologie in Leipzig heraus-gefunden haben. Dort beschäftigen sich

    die Wissenschafter mit der „Kultur derSchimpansen“ und erklären mit einemmenschlichen Vergleich, was sie da ei-gentlich erforschen: Chinesen essen mitStäbchen, Europäer mit Messer undGabel. Bei Schimpansen gebe es ähn-liche Unterschiede. Doch bevor man dieLebensweise der Schimpansen wirklich

    erforscht haben wird, sind die nächstenVerwandten des Menschen vielleichtausgerottet. Vor sechs Millionen Jahrenhat der Mensch eine andere evolutionäreEntwicklung genommen als die Men-

    schenaffen. Die Menschen sind hinausin die Savanne, haben den aufrechtenGang entwickelt, die Menschenaffenblieben im Wald zurück. Die sechste Welle des Massen-Aussterbens von Tieren und Pflanzen in der Geschichteunseres Planeten ist in vollem Gang, wieElizabeth Kolbert in ihrem Buch „Das

    sechste Sterben: Wie der Mensch Na-turgeschichte schreibt“ erzählt. Früher

     waren monumentale erdgeschichtlicheEreignisse die Ursache für das Arten-sterben, heute ist es der Mensch. Doch

    das vom Menschen verursachte Aus-sterben der Menschenaffen ist wie einGroßvater-Mord: Die Menschheit wür-de damit den Spiegel zerbrechen, in demder Mensch seine Vergangenheit als Tierbetrachten kann, das Band, das uns mitunserer naturgeschichtlichen Vergan-genheit verbindet, wäre zerschnitten.

    Pflegerin Stefanie Stenitzer. Foto: Thomas Seifert