5
Z. Rechtsmedizin 79, 63-67 (1977) Zeitseh~ift fiir P, © by Springer-Verlag 1977 Kasuistik - Casuistry Pl6tzlieher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbels~ulenmit~bildung P. Zink 1 , B. Hach 2 und A. Hillemacher 2 1 Institut fiir Rechtsmedizin 2 Nervenklinik mit Poliklinik der Universit~it Erlangen-Nfirnberg, Universit~itsstra~e 22, D-8520 Erlangen Sudden Unexpected Death in Rare Cervicooccipital Dysplasia Summary. 1. A case of sudden unexpected death due to rare cervicooccipital dysplasia is presented. 2. At postmortem examination of cases of sudden death without a definite cause of death the finding of a deformed base of the skull should suggest removal and mazeration of the upper cervical vertebral column for close scruting. Zusammenfassung. 1. Es wird fiber einen Fall von pl6tzlichem unerwarteten Tod infolge einer seltenen HWS-Mifibildung berichtet. 2. Bei SektionsfaUen mit pl6tzlichem Tod ohne sichere Todesursache sollten Ver- ~nderungen an der kn6chernen Schadelbasis Anlafi sein, die obere HWS zu entneh- men und mazeriert zu untersuchen. Key word. PlOtzlicher Tod, bei HWS-M~bildung Der pl6tzliche unerwartete Tod aus nattirlicher Ursache kann gelegentlich mit cervi- cooccipitalen Mit~bildungen in Zusammenhang stehen. LPoer solche Mifibildungen gibt es ein ausftihfliches klinisches Schrifttum, eine Literaturzusammenstellung findet sich bei Wild-Bodechtel. Von rechtsmedizinischer Seite hat Carnier einen einschl~igigen Kasus dargestellt. Wir kOnnen nun tiber einen Fall berichten, bei dem es infolge einer seltenen Anomalie der oberen Halswirbels~ule und der Schhdelbasis zum pl6tzlichen Tod gekommen ist. Kasuistik Ein 35-j/ihriger Tiirke wttrde wegen seit l~ingerer Zeit bestehender mat~ig spastischer Hemipaxese rechts, wogen urtregelm/~ig verteilter St6rungen sSmtlicher sensibler Qualit~iten und wegen cere- beUaxer Ausf'~lle in die Universit/itsnervenldinik aufgenommen. Aus dot Vorgeschichte ergab sich, daft bei dreimaligen auswL-,tigen station/iren Untersuchungen Diagnosen wie Enzephalomyelitis disseminata oder Wurzelreizsyndrom gesteUt worden waxen. Der nunmehr ge~iui~erte Verdaeht einer M~bildung der Halswirbel~ule wurde r6ntgenologiseh gesiehert. Nach den R6ntgenbildern, u.a.

Plötzlicher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbelsäulenmißbildung

  • Upload
    p-zink

  • View
    216

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Plötzlicher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbelsäulenmißbildung

Z. Rechtsmedizin 79, 63-67 (1977) Zeitseh~ift fiir P, © by Springer-Verlag 1977

K a s u i s t i k - C a s u i s t r y

Pl6tzlieher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbels~ulenmit~bildung

P. Zink 1 , B. Hach 2 und A. Hillemacher 2

1 Institut fiir Rechtsmedizin 2 Nervenklinik mit Poliklinik der Universit~it Erlangen-Nfirnberg, Universit~itsstra~e 22,

D-8520 Erlangen

Sudden Unexpected Death in Rare Cervicooccipital Dysplasia

Summary. 1. A case of sudden unexpected death due to rare cervicooccipital dysplasia is presented. 2. At postmortem examination of cases of sudden death without a definite cause of death the finding of a deformed base of the skull should suggest removal and mazeration of the upper cervical vertebral column for close scruting.

Zusammenfassung. 1. Es wird fiber einen Fall von pl6tzlichem unerwarteten Tod infolge einer seltenen HWS-Mifibildung berichtet. 2. Bei SektionsfaUen mit pl6tzlichem Tod ohne sichere Todesursache sollten Ver- ~nderungen an der kn6chernen Schadelbasis Anlafi sein, die obere HWS zu entneh- men und mazeriert zu untersuchen.

Key word. PlOtzlicher Tod, bei HWS-M~bildung

Der pl6tzliche unerwartete Tod aus nattirlicher Ursache kann gelegentlich mit cervi- cooccipitalen Mit~bildungen in Zusammenhang stehen. LPoer solche Mifibildungen gibt es ein ausftihfliches klinisches Schrifttum, eine Literaturzusammenstellung findet sich bei Wild-Bodechtel. Von rechtsmedizinischer Seite hat Carnier einen einschl~igigen Kasus dargestellt. Wir kOnnen nun tiber einen Fall berichten, bei dem es infolge einer seltenen Anomalie der oberen Halswirbels~ule und der Schhdelbasis zum pl6tzlichen Tod gekommen ist.

Kasuistik

Ein 35-j/ihriger Tiirke wttrde wegen seit l~ingerer Zeit bestehender mat~ig spastischer Hemipaxese rechts, wogen urtregelm/~ig verteilter St6rungen sSmtlicher sensibler Qualit~iten und wegen cere- beUaxer Ausf'~lle in die Universit/itsnervenldinik aufgenommen. Aus dot Vorgeschichte ergab sich, daft bei dreimaligen auswL-,tigen station/iren Untersuchungen Diagnosen wie Enzephalomyelitis disseminata oder Wurzelreizsyndrom gesteUt worden waxen. Der nunmehr ge~iui~erte Verdaeht einer M~bildung der Halswirbel~ule wurde r6ntgenologiseh gesiehert. Nach den R6ntgenbildern, u.a.

Page 2: Plötzlicher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbelsäulenmißbildung

64 P. Zink et al.

Abb. 1. Obere Halswirbets~ule und angrenzende Teile der occipitalen Basis yon ventral. Zwischen den Gelenk_fl~chen befinden sich als Abstandhalter Plastilinkugeln. Das Fehlen des Dens epistrophei ist zu erkennen.

Schichtaufnahmen der HWS, bestand eine basil~e Impression und Verdacht auf ein Os odontoi- deum. Die vordere Atlasspange und tier rechte Condylus occipitalis waren nicht erkennbar. Myelo- graphisch waren Kleinhirnanteite ins Foramen occipitate magnum vertagert (Arnold-Chiati-Syn- drom). Wb~hrend des zwei Monate dauernden klinischen Aufenthaltes kam es zu keiner wesentli- then Ver~inderung des Krankheitsbildes, bis der Patient pl6tzlich und unvermutet ohne klinisch erkennbare Todesursache verstarb.

Bei der Sektion, einen Tag nach dem Tod, fanden sich am Sch~idel des athletisch gebauten Mannes Zeiehen eines erhebtich erh~Shten intracranieUen Druckes, wie gespannte Dura, abgeflaeh- te Hirnwindungen, verstrichene Furchen und ein Druekkonus im Bereieh der Kleinhimmandeln. An dem 1.560 g sehweren Him waren keine Mi~bildungen zu erkennen, die Hirnkammena waren nicht erweitert. An tier kn6chernen Sch~delbasis war der Eingang zum Foramen occipitale magnum unsymmetrisch, wobei der reehte vordere Antei] im Sinne einer basil~ren Impression etwa einen halben Zentimeter nach innen vorsprang, dariiber hmaus waxen zurmehst Auff'~lligkeiten nieht zu erkennen.

Page 3: Plötzlicher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbelsäulenmißbildung

P16tzlicher Tod bei Halswirbels~ulenmigbildung 65

Abb. 2. Atlas (oben) und Axis (unten) in der Ansicht von oben. Die ventrale Seite zeigt nach unten. Die Gelenkfl/ichen sind dunkel eingeF~bt. Neben der Asymmetrie ist die 3. Gelenkfl~iche und das Fehlen eines Dens epistrophei erkennbar

Wegen der klinischen Diagnose einer cervicooccipitalen Anomatie wurde die obere HWS mit dem angrenzenden Tell der occipitalen Basis entnommen.

Am mazerierten Pr~parat best~tigte sich der Befund einer hasil~en Impression. Zus~tzlich fanden wit einen hypoplastischen Condylus occipitalis rechts, eine Ver~ndemng tier kaudalen Ge- lenkfl~ichen des Atlas und der cranialen des Axis in Form und Gr6~e. Links war zwisghcn beiden Wirbeln zusiitzlich ein drittes Gelenk ausgebildet. Ein Dens war nicht vorhanden (Abb. 1 und 2). Der Spinalkanal war in der H6he des 1. und 2. Halswirbels triehterf6rmig eingeengt.

An den iibrigen Organen fanden sich bei der Sektion ein Blutstau der inneren Organe, in den Bronchien etwas Schleim, in der Milz eine alte Zyste mit derber Wand.

Histologisch bestanden Zeichen einer m~ig chronischen Bronchitis mit geringgradigen peri- bronehialen lnf'fltraten bei mittelgradiger Anthrakose. Am Gehirn fiel eine spongi6se Auflockerung der Rindenbezirke auf, an der Leber eine m~ige mitteltropfige Leberzellverfettung.

Page 4: Plötzlicher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbelsäulenmißbildung

66

Diskussion

P. Zink et al.

Basil/ire Impressionen sind h/iufig mit anderen Skelettmifibildungen verbunden wie ,~tlasassimilation, Manifestation eines Occipitalwirbels, Ausbildung eines Os odontoi- deum, Densaplasie (Bares).

Derartige cervicooccipitale Mit~bildungen sind in der Regel mit unterschiedlichen neurologischen Ausfallen verbunden (Bares, Dempwolf und Htilshoff, Loepp und Lo- renz), die klinischen Zeichen treten allerdings meist erst im 3. oder 4. Lebensjahrzehnt auf (Dieckmann, Hirschmann).

Auch in dem dargestellten Fall bestand neben einer basil/iren Impression eine er- hebliche Mifibildung der oberen Halswirbel~ule mit Ver/inderung der gelenkigen Ver- bindungen zwischen Hinterhaupt, Atlas und Axis bei Densaplasie. Die Wirbelk6rper waxen in der Form ver/indert und wiesen Asymmetrien auf. Angiographisch waren zus/itzlich eine Hypoplasie der linken und Aplasie der rechten Arteria vertebralis fest- gestellt worden. Eine derartige cervicooccipitale Mifibildung wurde unseres Wissens noch nicht beschrieben.

Klinisch zeigte der 35-j/ihrige Patient erhebliche St6rungen yon Seiten der Pyra- midenbahn (Hemiparese und Hemispastik, positiver Babinski), der Hinterstr/inge (St6- rung des Beriahrungsschmerzempfindens und Lagesinns) und des Kleinhirns (horizon- taler Einstellnystagmus, Intentionstremor, Dysdiadochokinese). Wie bei cervicoocci- pitalen Anomalien h/iufig waren auch bei diesem Patienten frilher mehrfach Fehl- diagnosen gestellt worden, so u.a. die klassische Fehldiagnose multiple Sklerose (Beyer, Dieckmann). Therapeutisch ist in solchen F/illen die Frage eines operativen Vorge- hens zu diskutieren (Seeger).

Wesentliche rechtsmedizinische Konsequenz erscheint uns, daft der Tod pl6tzlich und ohne klinische Vorboten eintrat. Die M6glichkeit eines dramatischen Verlaufes ist bei cervicooccipitalen Migbildungen bekannt, sie tritt geh/iuft im mittleren Lebens- alter auf (Dieckmann, Klausberger et al.).

Bei der Sektion fanden sich Zeichen eines schweren Hirndrucks. Bei der beste- henden Verlagerung yon Kleinhirnanteilen ins Foramen occipitale magnum (Arnold- Chiari-Syndrom) ist der Hirndruck wohl durch eine ventilartige Einklemmung im Hin- terhauptsloch entstanden. Der Tod ist somit Folge der Migbildung.

Far den Obduzenten ergibt sich als Schlut~folgerung ftir die Bearbeitung yon pl6tz- lichen Todesfallen, dal~ an Unregelm/i$igkeiten der kn6chernen Sch/idelbasis gedacht werden mut~ und in solchen F~illen die obere Halswirbels/iule entnommen und mazer- iert werden sollte. Nur durch ein solches Vorgehen sind Skelettmit~bildungen in die- sem Bereich zu diagnostizieren. Eine genaue Untersuchung ist wichtig, da erfahrungs- gem/ig derartige Fehlbildungen klinisch h/iufig nicht erkannt werden.

Literatur

Bates, L.: Basilat Impression and the So-Called ,,Associated Anomales". Ettrop. Neurol. 13, 92 (1975)

Beyer, E.: Manifestation des Occipitalwirbels mit basaler Impression unter dem klinischen Bild einer multiplen Sklerose. Arch. Psychiat. Z. ges. Neurol. 188, 81 (1955)

Page 5: Plötzlicher unerwarteter Tod bei seltener Halswirbelsäulenmißbildung

P16tzlicher Tod bei Halswirbels/iulenm~bildung 67

Bodechtel, G.: Dffferentialdiagnose neurologischer Krankheitsbilder. 3. Auflage, Stuttgart: G. Thieme 1974

Carnier, S.: Ungew6hnliche Ursachen eines pl6tzlichen Todes aus nattirlicer Ursache. Beitr. geriehtl. Med. 31,307 (1973)

Dieckmann, H.: Friihdiagnose basilarer Impression und Atlasassimilation aus dem klinischen Er- scheinungsbild. Dtsch. Z. Nervenheilk. 174,525 (1956)

Dieckmann, H.: Neurologische Syndrome bei kn6chernen Fehlbildungen der cervico-occipitalen (Jbergangsregion. In: E. Trostdorf und H. St. Stender, Wirbels~iule und Nervensystem. Stutt- gart: G. Thieme 1970

Dempwoff, L., Hiilshoff, Th.: Beitrag zum Thema Anomalie der Occipitocervical-Region und neurologische Symptomatik. Nervenarzt 30, 351 (1959)

Hach, B., Hillemacher, A., Zink, P. : Die okzipito-zervikale Dysplasie (Klinik, R6ntgenbefunde und pathologisch-anatomisches Untersuchungsergebnis anhand eines seltenen Krankheitsfalles). Nervenarzt 47, (1976) im Druck

Hirschmann, J.: Die neurologische und konstitutionsbiologische Diagnose der basilaren Impression. Arch. Psychiat. Z. ges. Neurol. 198, 303 (t959)

Klausberger, E., Prosenz, P., Tschabitscher, H. : Zur Genese neurologischer St6rungen in der okzi- pito-zervikalen t)-bergangsregion. Fortschr. R6ntgenstr. 103, 432 (1969)

Loepp, W., Lorenz, R. : R6ntgendiagnostik des Sch~idels. Stuttgart: G. Thieme 1971 Seeger, W.: Ergebnisse neurochirurgischer Therapie bei occipitaler Dysplasie. In: E. Trostdorf und

H. St. Stender, Wirbels~iule und Nervensystem. Stuttgart: G. Thieme 1970 Wild, H.: Erkrankungen der Wirbels/iule und des Schadels als Ursache neurologischer Affektionen.

In: G. Bodechtel, Differentialdiagnose neurologischer Krankheitsbilder. 3. Auflage Stuttgart: G. Thieme 1974

Eingegangen am 30. Dezember 1975