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Für viele Analytiker, die vornehmlich in der klinischen Praxis arbeiten und Interes- se an Forschungsfragen haben, ist unsere analytische Forschungsliteratur reichlich unübersichtlich geworden. Da ist nicht nur das methodologische Wechselspiel konzeptueller und empirischer Aspekte jed- weder Forschung, sondern da sind auch die verschiedensten inhaltlichen Bereiche psy- choanalytischer Forschung: Psychothera- pieforschung mit Verlaufs- und Ergebnis- analysen, entwicklungspsychologische For- schung, historische oder etwa auch Kon- zeptforschung. Es liegen viele interessante Studien vor, die die unterschiedlichsten Themen mit verschiedenen Forschungs- paradigmen bearbeiten. Man kann auch sehr verschiedene Vorschläge finden, dieses Feld psychoanalytischer Forschung zu or- ganisieren, eine Menge von Klassifizierun- gen und Unterteilungen. So versteht es sich von selbst, dass ich nur versuchen kann, et- was Licht auf dieses unübersichtliche Feld zu werfen. Ich möchte dabei eine grund- sätzliche Perspektive einnehmen, eine epis- temologische nämlich. Solcherart Reflexio- nen sind von Zeit zu Zeit angezeigt, aber lei- der auch etwas trocken. André Green hat dies im Sinn, wenn er sagt: „Reflexion zu den Grundannahmen der divergenten Theorien ist nicht die allerliebste Beschäfti- gung von Psychoanalytikern“ (Green 2005, S. 629; Übers. d. Verf.). Ganz sicher nicht die „allerliebste Beschäftigung“ – aber be- dauerlicherweise lässt sich die Welt „Jen- seits des Lustprinzips“ nicht ignorieren . . . jedenfalls nicht auf Dauer. Ich möchte meine Überlegungen am Beispiel der Konzeptforschung vorstellen und mit einigen Bemerkungen zur Ent- wicklung dieses Forschungsbereichs be- ginnen, dabei unter anderem auf meinen eigenen Weg zur Konzeptforschung Bezug nehmen. Ich werde dabei kurz einige Ideen zu Wissenschaft und Forschung in der Psy- choanalyse entwickeln, um vor dem Hin- tergrund des analytischen Theoriepluralis- mus und der Debatte um den „common ground“ einen zweiten Pluralismus im Feld analytischer Forschung zu diskutieren – und mit einem Plädoyer für eine „konnek- tionistische“ Sicht enden. Einige Anmerkungen zur Entwicklung der Konzeptforschung Erstmals habe ich mich mit Konzeptfor- schung in den 80er Jahren beschäftigt, im Rahmen eines gleichnamigen Forschungs- projekts am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt, das Joseph Sandler initiiert hat- te. Allein das Label „Konzeptforschung“ rief damals bei analytischen Forschern ei- ne gewisse Skepsis hervor. Das Unbewuss- te konnte man erforschen, den Verlauf und Ergebnisse von Analysen, die kindli- che Entwicklung oder auch spezifische Forum der Psychoanalyse 3 · 2007 288 Forschungsforum Forum Psychoanal 2007 · 23:288–307 DOI 10.1007/s00451-007-0323-z © Springer Medizin Verlag GmbH 2007 Anna Ursula Dreher · Frankfurt am Main Pluralismus in Theorie und Forschung – was nun? 1 1 Dieser Text ist die überarbeitete Version des Vortrags „Beyond conceptual research“ anlässlich der Joseph Sand- ler Research Conference in London 2006: „In Celebration of the 150th Anniversary of Sigmund Freud’s Birth: The Current State of Psychoanalytic Research“ (Sektion Episte- mologie, Konzeptforschung und Psychoanalyse).

Pluralismus in Theorie und Forschung – was nun? 1

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Für viele Analytiker, die vornehmlich inder klinischen Praxis arbeiten und Interes-se an Forschungsfragen haben, ist unsereanalytische Forschungsliteratur reichlichunübersichtlich geworden. Da ist nichtnur das methodologische Wechselspielkonzeptueller und empirischer Aspekte jed-weder Forschung, sondern da sind auch dieverschiedensten inhaltlichen Bereiche psy-choanalytischer Forschung: Psychothera-pieforschung mit Verlaufs- und Ergebnis-analysen, entwicklungspsychologische For-schung, historische oder etwa auch Kon-zeptforschung. Es liegen viele interessanteStudien vor, die die unterschiedlichstenThemen mit verschiedenen Forschungs-paradigmen bearbeiten. Man kann auchsehr verschiedene Vorschläge finden, diesesFeld psychoanalytischer Forschung zu or-ganisieren, eine Menge von Klassifizierun-gen und Unterteilungen. So versteht es sichvon selbst, dass ich nur versuchen kann, et-was Licht auf dieses unübersichtliche Feldzu werfen. Ich möchte dabei eine grund-sätzliche Perspektive einnehmen, eine epis-temologische nämlich. Solcherart Reflexio-nen sind von Zeit zu Zeit angezeigt, aber lei-der auch etwas trocken. André Green hatdies im Sinn, wenn er sagt: „Reflexion zuden Grundannahmen der divergentenTheorien ist nicht die allerliebste Beschäfti-gung von Psychoanalytikern“ (Green 2005,S. 629; Übers. d. Verf.). Ganz sicher nichtdie „allerliebste Beschäftigung“ – aber be-dauerlicherweise lässt sich die Welt „Jen-seits des Lustprinzips“ nicht ignorieren . . .jedenfalls nicht auf Dauer.

Ich möchte meine Überlegungen amBeispiel der Konzeptforschung vorstellenund mit einigen Bemerkungen zur Ent-wicklung dieses Forschungsbereichs be-ginnen, dabei unter anderem auf meineneigenen Weg zur Konzeptforschung Bezugnehmen. Ich werde dabei kurz einige Ideenzu Wissenschaft und Forschung in der Psy-choanalyse entwickeln, um vor dem Hin-tergrund des analytischen Theoriepluralis-mus und der Debatte um den „commonground“ einen zweiten Pluralismus im Feldanalytischer Forschung zu diskutieren –und mit einem Plädoyer für eine „konnek-tionistische“ Sicht enden.

Einige Anmerkungen zur Entwicklungder Konzeptforschung

Erstmals habe ich mich mit Konzeptfor-schung in den 80er Jahren beschäftigt, imRahmen eines gleichnamigen Forschungs-projekts am Sigmund-Freud-Institut inFrankfurt, das Joseph Sandler initiiert hat-te. Allein das Label „Konzeptforschung“rief damals bei analytischen Forschern ei-ne gewisse Skepsis hervor. Das Unbewuss-te konnte man erforschen, den Verlaufund Ergebnisse von Analysen, die kindli-che Entwicklung oder auch spezifische

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Forum Psychoanal 2007 · 23:288–307DOI 10.1007/s00451-007-0323-z© Springer Medizin Verlag GmbH 2007

Anna Ursula Dreher · Frankfurt am Main

Pluralismus in Theorieund Forschung – was nun? 1

1 Dieser Text ist die überarbeitete Version des Vortrags„Beyond conceptual research“ anlässlich der Joseph Sand-ler Research Conference in London 2006: „In Celebrationof the 150th Anniversary of Sigmund Freud’s Birth: TheCurrent State of Psychoanalytic Research“ (Sektion Episte-mologie, Konzeptforschung und Psychoanalyse).

Krankheitsbilder – aber Konzepte? Wiesollte das gehen? Neben diesem für vielebefremdlichen Forschungsgegenstand lagunser Vorhaben auch quer zum damaligenZeitgeist: Im analytischen Forschungsfeldhatte seit den 70ern der neopositivistischeEmpirismus Raum gewonnen; nicht zufäl-lig von einem zunehmenden Medikozen-trismus begleitet (vgl. Jacoby 1985; Parinu. Parin-Matthèy 1986), bei dem Psycho-analyse oft verkürzt als eine von Medizi-nern und Psychologen praktizierte Formder Psychotherapie betrachtet wird undder beispielsweise wenig Probleme darinsieht, unsere Nosologie an das System derInternational Classification of Diseasesand Related Health Problems (ICD) anzu-passen.

So war es nicht überraschend, dass wirdamals mit unserem Projekt „Konzeptfor-schung“ oft auf ein Verständnis trafen,welches analytische Forschung generellmit analytischer Psychotherapieforschunggleichsetzte. Quantitativ-empirische Psy-chotherapieforscher wollten messbareAspekte der inneren und äußeren Welt mitobjektiven und reliablen Methoden unter-suchen – aber sie machten nicht die Ver-wendung analytischer Konzepte zu ihremexpliziten Thema. Auch Kliniker forschen,sie erforschen sich und ihre Patienten, dieanalytische Situation, etwa das Wirken un-bewusster Prozesse im Wechselspiel vonÜbertragung und Gegenübertragung, aberauch Kliniker machen gewöhnlich dieVerwendung von analytischen Konzeptennicht systematisch zu ihrem Thema. Un-sere Frankfurter Forschungsgruppe hin-gegen befand die Vielfalt, den Wandel undden unklaren und gelegentlich wider-sprüchlichen Gebrauch analytischer Kon-zepte einer methodisch fundierten Unter-suchung wert.

Was versteht man unter Konzeptforschung?

Mittlerweile ist der Begriff vielen vertraut,hat aber ein wenig jenes Schicksal erlitten,das wir auch von analytischen Konzeptenkennen: Verschiedene Autoren verwenden

ihn in unterschiedlicher Bedeutung. DerBegriff Konzeptforschung ist eigentlich ei-ne Abkürzung; ursprünglich bezeichnet erweniger die konzeptuellen Aspekte jedwe-der Forschung, sondern vielmehr� die systematische Untersuchung un-

terschiedlicher Verwendungen vonKonzepten in verschiedenen analyti-schen Kulturen,

� ebenso die Untersuchung des histori-schen Wandels der Bedeutung einesKonzepts über die Zeit,

� und er steht für den Versuch, Vor-schläge für einen vernünftigen, kli-nisch gehaltvollen Gebrauch zu for-mulieren (zur systematischen Einfüh-rung vgl. Dreher 2005).

Der Begriff Konzeptforschung ist mit demNamen von Joseph Sandler verbunden,der ihn in die analytische Literatur ein-führte. Die Entfaltung und die konstanteAusdifferenzierung unserer Konzepte wa-ren ein Fokus solch konzeptueller Studien,wie Sandler sie vorgeschlagen und dannselbst seit den 60er Jahren mit verschie-denen Kollegen durchgeführt hatte. Dasbegann mit seiner Arbeit in der „conceptgroup“ am Hampstead-Index (Anna-Freud-Centre, London), ging weiter mitder Frankfurter Forschungsgruppe bis hinzu den Arbeiten, die er gemeinsam mitAnne-Marie Sandler durchführte, zu „pastand present unconscious“ und zu den Ar-beiten über innere Objektbeziehungen(Sandler u. Sandler 1999).

Validität und Nützlichkeit analytischerKonzepte müssen sich in der klinischenPraxis zeigen. Sandler war der Überzeu-gung, dass die analytische Situation nichtnur der Ort der Bewährung ist, sondernauch der Ort, an dem Konzepte entstehenoder sich in ihren Bedeutungen wandelnkönnen. Diese Veränderungen vollziehensich zunächst meist schleichend und im-plizit. Die Frankfurter Forschungsgruppe(Sandler et al. 1987) hatte sich einen Setvon Methoden überlegt, um die Grenzezwischen „impliziter“ und „expliziter“Konzeptverwendung durch Analytiker,

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zwischen den explorativen, vorsichtig tas-tenden Versuchen in der analytischen Si-tuation und der „offiziellen“ Kommunika-tion von Konzeptverständnissen durchläs-siger zu machen. Nur durch Veröffentli-chung können neue Ideen explizit gemachtund nur durch Diskussion können dieseVorschläge kritisiert werden (vgl. dazuauch Canestri 2006).

Es war eine zentrale Absicht von SandlersForschungsarbeiten an Konzepten, solcher-art Konzeptualisierungsprozesse, wie siesich während der klinischen Arbeit vollzie-hen, fassbar zu machen und daraus resultie-rend Vorschläge für einen verbessertenKonzeptgebrauch auszuarbeiten. Und dieseArbeit wiederum – vor allem die gemein-same Forschungsarbeit in Frankfurt zurVerwendung des Konzepts „psychischesTrauma“ – wurde für mich später Praxisbei-spielund Ausgangspunkt, epistemologischeund methodologische Überlegungen zuRolle und Status eines solchen Konzeptfor-schungsprogramms vorzustellen (Dreher1998, 2000). Üblicherweise verwenden wirunsereanalytischen Konzeptewieselbstver-ständlich, wir sinduns sicher inunsererVer-wendung, Probleme bemerken wir in derRegel nicht, jedenfalls nicht, solange wir un-sere jeweilige analytische Kultur nicht ver-lassen. Konzepte sind unsere Kategorien,wenn wir unsere Gedanken und Erfahrun-gen sprachlich beschreiben, organisierenund kommunizieren. Und es erfordert eini-ge Anstrengung, einekritische und reflexiveHaltung einzunehmen, wenn unser eigenerKonzeptgebrauch auf den Prüfstand soll.Offenbar ein sehr menschliches Problem –auf welches auch einmal Lewis Carroll ange-spielt hat: „Wenn ich ein Wort gebrauche“,lässt Carroll Humpty Dumpty in ziemlichverächtlichem Ton zu Alice sagen „bedeutetes genau, was es nach meinem Belieben be-deuten soll – nicht mehr und nicht weniger.“„Die Frage ist“, kontert Alice, „ob Sie einWort so viele verschiedene Dinge bedeutenlassenkönnen.“ „Die Frage ist“, gibt HumptyDumpty zurück, „wer Herr im Haus ist – dasist alles“ (zit. nach Carroll 2002, S. 244; Ori-ginal 1872).

In der Tat, wenn jemand in seiner Kon-zeptverwendung kritisiert wird, kann diesunterschiedliche Affekte auslösen. Einigereagieren „in ziemlich verächtlichem Ton“,und meist stellt sich bald die Machtfrage:Wer hat das Deutungsmonopol über dieKonzepte? Wer ist Herr im Haus? Abernatürlich gibt es nicht nur „persönliche“,sondern auch einige andere Faktoren, dieKonzeptstudien erschweren, Faktoren wiedie Folgen der Einbettung der Psychoana-lyse in unterschiedliche Kulturen, in ver-schiedene medizinische und somit ökono-mische Systeme zahlreicher Länder usw.;epistemologisch gesprochen: die Folgender Einbettung unserer Konzepte in ver-schiedene Sprachspiele.

Zum Wandel von Konzepten

Konzepte verändern sich, das haben siemit wissenschaftlichen Theorien undWeltbildern gemeinsam. Freud begegneteden Veränderungen seiner Konzepte mitGelassenheit: „Der Fortschritt der Er-kenntnis duldet aber auch keine Starrheitder Definitionen . . . [es] erfahren auch diein Definitionen festgelegten ,Grundbegrif-fe‘ einen stetigen Inhaltswandel“ (Freud1915, S. 211). In der Geschichte der Psycho-analyse sind viele Theorien, Modelle undKonzepte unter Veränderungsdruck gera-ten, auch die „Grundbegriffe“. Aber: nichtalles Alte ist schlecht, und nicht alles Neueist gut. Green bezieht sich auf die Relevanzder „alten“ klassischen Literatur, wenn er– wohl etwas wehmütig – fragt: Warumwird Freud heute nicht mehr gelesen?Green hat natürlich recht, Freud sollte ge-lesen werden, sicher nicht aus Gründender Heldenverehrung, sondern weil bisheute Freuds Intentionen und auch Teileunserer psychoanalytischen Geschichte inunseren Konzepten erhalten sind – vor al-lem in unseren klinischen Konzepten. Da-raus resultiert ein wesentlicher Anspruchan unsere Forschung: eine kluge Balancezwischen Erhalt und Veränderung im„Fortschritt der Erkenntnis“ zu finden.

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Forum Psychoanal 2007 · 23:288–307DOI 10.1007/s00451-007-0323-z© Springer Medizin Verlag GmbH 2007

Anna Ursula Dreher

Pluralismus in Theorie und Forschung – was nun?

ZusammenfassungSeit langem ist in der analytischen Diskussionvom Pluralismus der Theorien die Rede. Die Au-torin stellt die These auf, dass es einen zweitenPluralismus zu beachten gilt, nämlich einen imFeld analytischer Forschung. Am Beispiel derKonzeptforschung beleuchtet sie diese beidenPluralismen mit Bezug auf die Green-Wallerstein-Debatte zum „common ground“ und mit Bezugauf Überlegungen zum wissenschaftlichen Statusder Psychoanalyse sowie zu einigen gängigenVerständnissen von analytischer Forschung. EineWissenschaft Psychoanalyse „zwischen Naturund Kultur“ (in Greens und Wallersteins Worten)müsste beidem, Natur und Kultur, nicht nur inihren theoretischen Konzepten, sondern auch inForschung und Methodologie Rechnung tragen.Dabei wäre es wünschenswert, beide Pluralis-men nicht nur zu beklagen, sondern beide als

Ressourcen bei der Suche nach besten Problem-lösungen positiv zu betrachten.

Die Autorin kritisiert die Idee eines unverän-derlichen Common ground inhaltlicher Positio-nen in der Psychoanalyse. Sie verweist auf FreudsWerk als historischen Ground und versteht FreudsMenschenbild und sein Erkenntnisinteresse alsmögliche gemeinsame Hintergrundfolie für einenkonstruktiven analytischen Diskurs – vor der einCommon ground immer wieder neu erarbeitetwerden müsste. Es werden die Voraussetzungenfür solche systematischen „kontroversen Diskus-sionen“ und für eine konnektionistische Sichtdiskutiert, die als brauchbare Alternative zumFundamentalismus oder zur resignativen Akzep-tanz eines Pluralismus der Beliebigkeit angese-hen wird.

Pluralism in theory and research – what now?

AbstractFor a long time now there has been an analyticdiscussion about the pluralism of theories. Theauthor puts forward the idea that there is asecond pluralism to consider, namely one in thefield of analytic research. With reference to con-ceptual research she focuses on these two plura-lisms by relating to the Green-Wallerstein debateon the common ground and by relating to re-flections on the scientific status of psychoana-lysis as well as on some current understandingsof analytic research. Psychoanalysis as a science“between nature and culture” (in the words ofGreen and Wallerstein) would have to takenature and culture into account, not only in itstheoretical concepts but also in research andmethodology. In doing so it would be favourable

not only to complain about the two pluralismsbut to understand both positively as resourcesfor the search for best problem solutions.

The author criticises the idea of an unchan-geable common ground in psychoanalysis. Shepoints to Freud’s work as historical ground; andunderstands Freud‘s image of man (Menschenbild)and his scientific interest (Erkenntnisinteresse) as apossible common foil for a constructive analyticdiscourse – a foil against which a common groundmust be worked out anew again and again. Theprerequisites for such systematic “controversialdiscussions” and for a connectionist view are dis-cussed, which is seen as a suitable alternative tofundamentalism or to a resigning acceptance ofan “anything goes” pluralism.

Zusammenfassung · Abstract

Thomas Kuhn (1962) hat eindrücklichgezeigt, wie Veränderungsprozesse in wis-senschaftlichen Theorien vor sich gehen,nicht nur linear, kontinuierlich, sondernoft in krisenhaften Sprüngen. Und er hatgezeigt, dass wissenschaftlicher Fortschrittsich nicht nur durch stete Akkumulationneuer Forschungsbefunde in Zeiten vonNormalwissenschaft vollzieht. Fortschrittkann auch durch Paradigmenwechsel, bei-spielsweise durch neue Methoden oderdurch einen Wandel in der wissenschaftli-chen Weltauffassung oder in Mentalitäteninitiiert werden: Prominente Beispiele fürsolche Prozesse des Wandels in den Hu-manwissenschaften sind die Bewegungenhin zur Kognitionswissenschaft, zur evolu-tionären Biologie oder zuletzt hin zu denNeurowissenschaften. Die Veränderungenvon Konzepten geschehen in durchaus ver-gleichbarer Weise. Im Augenblick könnenwir beispielsweise verfolgen, wie Begriffeaus der kognitiven Gedächtnisforschung,etwa „deklaratives und prozedurales Ge-dächtnis“ langsam auch in unsere analyti-schen Konzepte über Erinnerung und Un-bewusstes einfließen.

Einen wichtigen Befund aus Kuhns Ana-lysen will ich unterstreichen: Veränderun-gen in wissenschaftlichen Theorien – undnach meiner Überzeugung gilt dies auchfür Veränderungen in der Bedeutung vonKonzepten – basieren nicht nur auf wis-senschaftlichen Argumenten. Nicht zu ver-nachlässigen sind beispielsweise uns allenwohlbekannte Faktoren wie die Kämpfeum institutionelle Macht, um Prestige undDominanz oder einfach nur um For-schungsgelder. Ein anderes bekanntes Phä-nomen ist eine Art Revier-Denken, das Be-harren auf Konzeptauffassungen, wie siedurch idealisierte Autoritäten kodifiziertwurden. All diese Einflüsse auf die Bedeu-tung unserer Konzepte sind zuweilen opakund sicher schwierig zu erfassen; nichts-destotrotz bilden aber auch sie den Hinter-grund unterschiedlicher Konzeptverwen-dungen.

Probleme der Verwendungsvielfalt –und ein Versuch zur Lösung

Die Unterschiede im Verständnis auchzentraler Konzepte werden in der analyti-schen Gemeinschaft nicht immer gleichbewertet: Einige beklagen das Babel derSprachen; andere tun dies nicht. Mancheerkennen ein kreatives evolutionäres Po-tenzial in der Vielfalt; andere sehen eineGefahr für die Konsistenz unserer Theorie.Es gibt gute Gründe für beide Standpunk-te. Dennoch überwiegen seit langem die,wie ich finde, berechtigten Klagen überdie semantische Unbestimmtheit unsererKonzepte und über ihre inkonsistente Ver-wendung. Diese Klagen machen uns unab-weisbar auf ein – aus wissenschaftlicherSicht – ernstes Problem bezüglich derKonzeptbedeutung aufmerksam, denn dieFrage bleibt: Wie können wir garantieren,dass wir uns alle auf die gleichen klini-schen Phänomene beziehen und das Glei-che meinen, wenn wir das gleiche Konzeptverwenden?

Der Gedanke, dass Konzeptforschungeinen konstruktiven Beitrag zur Lösungdieses Problems leisten und somit einenGewinn für die klinische und auch die wis-senschaftliche Arbeit einfahren könnte,wird in der zeitgenössischen Psychoana-lyse von vielen akzeptiert. Der Hampstead-Index und später die Frankfurter For-schungsgruppe hatten ursprünglich Sand-lers Begriff „Konzeptforschung“ („concep-tual research“) nur als Arbeitstitel benutzt.Im letzten Jahrzehnt hat sich das Labelnun aber doch etabliert. In diesem Sinneist „Konzeptforschung“ zwar ein historischgewachsener, aber natürlich kein geschütz-ter, kein patentierter Begriff – und wirdmittlerweile eben auch unterschiedlichverwendet: Die Verwendung bewegt sich ineiner Bandbreite von Konzeptreflexion bishin zu systematischer Konzeptforschung.

Das lässt es sinnvoll erscheinen, nocheinmal einen genaueren Blick auf die Ent-stehungsgeschichte der Konzeptforschungzu werfen. Was ist das Spezifische daran?Der Begriff „Konzeptforschung“ bezieht

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sich eigentlich auf eine besondere Art vonempirischen Phänomenen, nämlich aufden Gebrauch von Konzepten. Er be-schreibt Aktivitäten, die mit der systemati-schen Untersuchung analytischer Konzeptein ihrer klinischen und außerklinischenVerwendung verbunden sind. Dabei wirdangenommen, dass ein Konzept nicht fürsich allein in der Welt steht, sondern in ei-nem Verbund mit anderen Konzepten ineinem Konzeptfeld situiert ist und dass esnicht solipsistisch von einzelnen Analyti-kern, sondern von verschiedenen Mitglie-dern einer spezifischen wissenschaftlichenGemeinschaft benutzt wird. Deshalb müs-sen zuallererst empirische Fragen beant-wortet werden: Zusätzlich zur Frage, wieman selbst ein Konzept versteht und ver-wendet, bleibt zu klären, wie andere einKonzept verstehen und verwenden.

Folgerichtig schloss das Vorgehen unse-rer Frankfurter Forschungsgruppe – nebenden natürlich immer wichtigen Konzeptre-flexionen – eine Reihe weiterer metho-discher Schritte mit ein und orientiertesich an folgenden Überzeugungen:� Konzeptforschung – wie andere kom-

plexe Forschungsaktivitäten heutzu-tage – erfordert „teamwork“ von For-schern, die durch ein gemeinsamesForschungsinteresse verbunden sind;bestenfalls zeichnen sie sich durchverschiedene Perspektiven und diszip-linäre Herkünfte aus.

� Neben der Auswahl der interessieren-den Konzepte sind Überlegungen zurVerwenderstichprobe notwendig, der-art: Welche Konzeptverwender sindfür die Beantwortung der Forschungs-fragen, welche Analytiker, welche Ex-perten, wer aus den Nachbardiszipli-nen relevant?

� Sammlung und Auswertung der Datenbasieren auf einem Forschungsdesign,das präzise zu beschreiben hat, welcheDatenart durch die Anwendung wel-chen Typs von Methoden zu gewinnensind, von welchen Individuen, in wel-chem Zeitrahmen. Die FrankfurterForschungsgruppe – hier nur als pro-

grammatischer Prototyp zitiert – im-plementierte zur Untersuchung desTraumakonzepts neben einer systema-tischen Literaturanalyse semistruktu-rierte Interviews mit einer Anzahl vonTraumaexperten und die Methode derGruppendiskussion zur Auswertungder Daten. Natürlich können auch an-dere qualitative oder quantitative, phi-lologische oder hermeneutische Me-thoden Anwendung finden.

Es gibt Konzeptforschung nicht als stan-dardisiertes Verfahren, genau so wie esPsychotherapieforschung an sich oder dasExperiment an sich nicht gibt. Konzeptfor-schung ist somit nicht eine konkrete Me-thode, sondern ein Forschungsprogramm.In ihrem Vorgehen ist sie:� empirisch, indem sie den Bedeutungs-

raum und den tatsächlichen Gebraucheines Konzepts im interessierendenKontext erforscht und beschreibt;

� historisch-rekonstruktiv, indem siedie Entwicklung eines Konzepts inwichtigen Weichenstellungen nach-zeichnet;

� evaluativ, indem sie kritisch die erho-benen Daten diskutiert, aus analyti-scher Sicht unverzichtbare Bedeu-tungsaspekte eines Konzepts heraus-arbeitet und eventuell auch Vorschlägezu einem besseren Konzeptgebrauchvorlegt.

Es versteht sich von allein, dass dieseAspekte nur mit unterschiedlichen Metho-den zu erfassen sind, insofern ist Kon-zeptforschung stets multimethodal. Des-halb ist es meiner Meinung nach auch einzentrales Missverständnis in den gegenwär-tigen Diskussionen zum methodologischenStatus der Konzeptforschung, wenn sie mitqualitativer Forschung gleichgesetzt oderwenn sie von quantitativ-empirischer For-schung abgegrenzt wird. Es dürfte klar ge-worden sein, dass sich Konzeptforschung– so wie sie konzipiert wurde – sowohl qua-litativer als auch quantitativer Methodenbedienen kann. Methoden sind ein Mittel

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zum Zweck und die wichtigste Frage ist, obsie diesem Zweck dienlich sind. Andere For-schungsansätze mögen sich über ihre alszulässig erachteten Methoden definieren.Konzeptforschung definiert sich über ihrenGegenstand, den Konzeptgebrauch, undüber ihre Ziele, die Klärung der Bedeutungvon Konzepten.

Mögliche Elementeeines Konzeptforschungsprogramms

So mag etwa die erste Phase eines For-schungsprozesses mit solchen Methodenbefasst sein, die die logische Konsistenzvon Konzepten überprüfen; eine anderePhase mag mit einer objektiven und reli-ablen Messung des Konzeptgebrauchs mit-hilfe standardisierter Instrumente befasstsein. Nichtsdestotrotz – da ja die Arbeit anKonzepten im Wesentlichen mit dem Ge-brauch von Sprache und mit Bedeutungs-aspekten zu tun hat – sind natürlich dieAnalyse unserer analytischen Literatur,die Interpretation von Experteninterviewsoder die kritische Diskussion in einem For-schungsteam zentrale Aspekte; die Anwen-dung hermeneutischer Methoden somitauch, mit denen wir Analytiker ja recht ver-traut sind. Im Verlauf eines solchen For-schungsprozesses wird ein Konzept aus im-mer wieder neuen Blickwinkeln überprüft.Dabei dient sowohl das jeweilige individu-elle Vorwissen im Forschungsteam als Folieals auch die durch die Forschungsarbeitsystematisch aufgebaute gemeinsame Wis-sensbasis. Dieses Vorgehen dient demZweck, das relevante Bedeutungsfeld einesKonzepts nach und nach herauszuarbeiten.Ein solches „Durcharbeiten“ ist bestenfallsjene „progressive Spirale“, die im Kontextdes Hampstead-Indexes beschrieben wur-de. Dass strukturierte Reflexion und Dis-kussion in einem Forschungsteam zumProzedere eines analytischen Forschungs-prozesses gehören, ist klar. Allerdings istes nicht ganz so selbstverständlich, dassdie interpretativen und diskursiven Mo-mente systematisch angewandt und als ent-scheidend betrachtet werden. Aber ohne ei-

ne solche Kommunikation über die Regelndes Konzeptgebrauchs und ohne die Suchenach Konsens darüber, wäre das Ziel derKonzeptforschung, die Klärung der Bedeu-tung von Konzepten, nur schwerlich zu er-reichen.

In der Geschichte der Psychoanalysegab es eine ganze Reihe von Versuchen,Konzepte im Diskurs zu klären, die „con-cept study groups“ vornehmlich nordame-rikanischer analytischer Institute oder diePanel-Diskussionen zu einzelnen Konzep-ten, die mit der Idee verbunden sind, wi-dersprüchliche oder überholte Bedeutun-gen unserer Konzepte zu überwinden undunsere Konzepte fit für neue Entwicklun-gen zu machen. Konsens ist zwar das Ziel –zuweilen gelingt aber es nur, den Dissensschärfer herauszuarbeiten.

Empirische Phänomene beschreibenund benennen sich nicht selbst. Die Per-son, der Konzeptverwender ist stets imSpiel und damit die Abhängigkeit der Kon-zeptbedeutung von dem, der das Konzeptverwendet, von seiner Einbindung in his-torisch gewachsene und sozial geteilteSprachspiele. Durch die Fokussierung aufDiskurs und Konzeptverwender (Klinikeroder Forscher) wird deutlich, dass die Be-ziehung zwischen einem Konzept und denentsprechenden empirischen Phänome-nen, zwischen Sprache und Welt also, nichtnur als zweistellige Relation zu sehen ist.Vielmehr ist diese Beziehung – gemäß se-miotischer und pragmatischer Tradition –als eine trianguläre zu sehen: Es gibt dasKonzept, es gibt die Phänomene, auf wel-che das Konzept referiert, und es gibt den-jenigen, der das Konzept nach seinem Ver-ständnis verwendet. Konzeptbedeutungensind somit in verschiedene menschlicheLebensformen eingebettet und interagie-ren mit diesen. Wenn man dies angemes-sen in Betracht zieht, wird man sensibelfür den kontingenten Gebrauch von Kon-zepten (auch abhängig von Zeitgeist undMentalitäten) – was im Übrigen in unsererinternationalen Psychoanalyse ja ein nichtganz uninteressanter Aspekt ist, wenn wirüber unterschiedliche Kontinente und Kul-

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turen hinweg unsere analytischen Konzep-te verwenden. So können Konzeptstudien– um solche kulturellen Einbindungen zuberücksichtigen – zusätzlich etwa die Per-spektive der Kulturtheorie einnehmen, dieneben der klinischen und der metapsycho-logischen Theorie ja die dritte klassischeSäule in der Geschichte der psychoanalyti-schen Theorie ist.

So weit zu den Intentionen der Kon-zeptforschung. Wie immer diese Intentio-nen in Zukunft auch umgesetzt werdenmögen, es ist festzustellen, dass mittler-weile die Sensibilität für das beschriebeneProblemfeld gewachsen ist. Konzepte undihre Verwendung zu beforschen, wirdmehr und mehr als Qualitätssicherung be-griffen. Viele unserer Konzepte werden in-zwischen auch außeranalytisch verwendet;es gilt also umso mehr, die wesentlichenanalytischen Bedeutungsaspekte unsererKonzepte zu erhalten.

Aber wie sieht das analytische For-schungsfeld aus, in dem Konzeptforschungihre Position finden musste?

Einige Anmerkungenzu Psychoanalyse, Forschungund Wissenschaft

Was wird in der Psychoanalyseunter Forschung verstanden?

Nicht nur unsere analytischen, auch me-thodologische Konzepte können unter-schiedliche Bedeutungen für verschiedeneVerwender haben. Bekanntermaßen wird„Forschung“ in der Psychoanalyse mittler-weile recht unterschiedlich verstanden, zu-weilen als lockere Metapher, zuweilen alsmethodologisch ausgearbeitetes Pro-gramm, und es firmiert eine ganze Reihevon Aktivitäten unter dem Label. Bei-spielsweise gibt es an der einen Ecke die-ses weiten Feldes ein Verständnis von For-schung, das ausschließlich auf FreudsWerk gründet, an einer anderen Ecke einVerständnis von Forschung, welches sichan den Ideen des neopositivistischen Em-

pirismus oder am Kognitivismus oder –ganz aktuell – an den Neurowissenschaf-ten orientiert. Ein methodologisch beson-ders interessantes Spannungsfeld tut sichdabei zwischen der am individuellen Ein-zelfall orientierten ideographischen Sichtauf der einen Seite und der nomotheti-schen, an Stichproben und universellenGesetzen orientierten Sicht auf der ande-ren Seite auf – zwei Positionen im analyti-schen Forschungsfeld, die sich meistensrelativ unversöhnlich gegenüberstehen.

Für die einen stellt die Psychoanalyse –gemäß klassischer analytischer Überzeu-gung – allein durch den Vollzug ihrer Pra-xis schon eine bestimmte Art von For-schung dar: Wir Analytiker erforschen un-bewusste Prozesse unserer Patienten undbestenfalls auch unsere eigenen, und wirreflektieren über unsere Fälle und veröf-fentlichen diese Reflexionen in oft faszinie-renden Fallstudien. Generationen vonAnalytikern haben dieses Selbstverständ-nis geteilt, welches in Freuds „Junktim vonHeilen und Forschen“ (Freud 1927, S. 293)zum Ausdruck kommt. Jeden Analytiker –diesem Diktum gemäß – auch als Forscherzu bezeichnen, ist zwar ein gelegentlichschmeichelhaftes Selbstverständnis, es istaber auch ein im modernen Wissen-schaftsverständnis problematischer Ge-brauch des Begriffs Forschung.

Nicht ganz zu Unrecht wird dieses Ver-ständnis von Forschung heute zuweilen alsnaiv bezeichnet, baue es doch auf FreudsWissenschaftsverständnis aus dem 19. Jahr-hundert auf. Das Verständnis von For-schung, die Kriterien, denen wissenschaftli-che Forschung genügen sollte, haben sichseit Freuds Zeiten natürlich verändert. Soweisen Kritiker gewöhnlich auf eine Reihevon Defiziten dieser sogenannten Junktim-forschung hin: Neben der Gefahr lediglichselektiver oder verzerrter (in GrünbaumsWorten: „epistemisch kontaminierter“;Grünbaum 1988, S. 121) Berichte aus deranalytischen Situation wird etwa auf dasProblem hingewiesen, dass solcherart For-schung meist nur eine Ein-Personen-Unter-nehmung sei, dass sie schlecht replizierbare

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und nichtkritisierbare Ergebnisse pro-duziere und dass Befunde aufgrund unzu-reichender Informationen nicht immer re-konstruiert werden können. Die Auffas-sung, dass ein Forscher allein Hypothesengeneriert, seine Daten erhebt und interpre-tiert, somit also den gesamten Forschungs-prozess allein strukturiert, ist natürlichnur schwer mit den Überzeugungen der anden Standards der Intersubjektivität orien-tierten Forschungsverständnisse vereinbar.

Einem überzeugten Junktimforscherwiederum gelten jene modernen, am Em-pirismus orientierten Forschungsverständ-nisse als naiv und defizient; etwa weil derForschungsprozess meist fern der analyti-schen Situation stattfindet, zu fern somitvon der direkten subjektiven Erfahrung;weil – nur mithilfe hermeneutischer Me-thoden erschließbare – unbewusste Pro-zesse quantitativ erfasst oder gemessenwerden sollen und weil sogar dem Analyti-ker selbst oft keine privilegierte Rolle imForschungsprozess zukommt.

Nun ist in den letzten Jahrzehnten dieÜberzeugung gewachsen, dass die Psycho-analyse sich modernen Forschungsauffas-sungen nicht verschließen kann, wie siesich im 20. Jahrhundert in den Natur-, Hu-man- und Sozialwissenschaften entwickelthaben. Es wird mehr und mehr anerkannt,dass nicht allein der genuin analytischeForschungsweg, sondern auch jene For-schungspraxis für uns von Interesse seinkönnte – wie sie nicht nur etwa Empiris-mus und Kognitivismus, sondern auch diehermeneutischen Wissenschaften gene-riert haben. Dabei steht in den verschiede-nen Forschungsbereichen die Relevanz deranalytischen Praxis für die meisten vonuns nicht infrage: Die analytische Situati-on mit ihrer Betonung von Subjektivität,Interaktion, geteilter Erfahrung und unbe-wusster Prozesse bleibt das Kernstück,wichtige empirische Basis und auch we-sentlichster Ort der Bewährung. Diese Be-sonderheit setzt zweifellos die Rahmenbe-dingungen („constraints“) für die Über-nahme anderer Forschungstechnologien indie Psychoanalyse.

Fazit dieses kleinen Exkurses: Es gibtein vielschichtiges Verständnis von For-schung innerhalb der Psychoanalyse (vgl.dazu auch Leuzinger-Bohleber et al.2003 a) und wenn über Forschung gespro-chen wird, wird demgemäß das jeweiligeForschungsverständnis, die epistemologi-sche Perspektive also, immer mitthemati-siert. Deshalb wäre es wünschenswert,wenn Diskutanten dies auch anerkennenund öfter einmal ihr eigenes Verständnisvon Forschung explizieren würden – unddies wiederum ist zweifellos mit der Frageverbunden, was sie eigentlich als „wissen-schaftlich“ betrachten.

Denn, wer immer über Forschungspricht, bezieht sich – wenngleich zuweilenimplizit – auf die Wissenschaften, da sie essind, die heutzutage im Wesentlichen kodi-fizieren, wie Forschung funktioniert. Wennwir als Analytiker keine „splendid isola-tion“ suchen (was wir uns unter anderemwohl auch nicht leisten können, solangedie analytische Therapie als wissenschaft-lich anerkanntes Verfahren von den Kran-kenkassen finanziert wird), dann müssenwir uns zumindest mit aktuell diskutiertenKriterien für Forschung auseinandersetzen.Kritisch auseinandersetzen – denn natür-lich kann die Psychoanalyse ihr eigenesDenken und ihr eigenes Weltbild behauptenund auf der Basis ihrer sehr spezifischenModelle des Seelischen selbst Vorschlägemachen. Über den Tellerrand schauen, kannfruchtbar sein, und gelegentlich können jabeide Seiten lernen; ein Ansatz dieser Artim Bereich Psychotherapieforschung stelltsicher die multiperspektivisch angelegteKatamnesestudie der Deutschen Psycho-analytischen Vereinigung (DPV; Leuzinger-Bohleber et al. 2003 b) dar.

Wird Psychoanalyse als Wissenschaft angesehen?

Es erscheint angebracht, die Beziehungzwischen der Psychoanalyse und den Wis-senschaften kurz zu beleuchten – einewechselvolle Geschichte, nicht selten vonMomenten der Anerkennung, aber mehrnoch der Abwertung durchsetzt. Die Psy-

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choanalyse wurde und wird definitiv vonden etablierten Wissenschaften nicht sehrfreundlich behandelt; oft hat man ihrnicht einmal den Status „wissenschaftlich“zugestanden. Fragen zum Status sind aber,wie jeder weiß, keine trivialen Fragen, dasie über öffentliches Ansehen entscheiden,über die Zulassung zu staatlichen (medizi-nischen und sozialen) Institutionen oderetwa über universitäre Einbindung undForschungsgelder.

Von unserer Seite aus ist das Verhältniszu den etablierten Wissenschaften auchambivalent. Einige fragen sich gar, ob diePsychoanalyse überhaupt irgendeine Nähezu anderen Wissenschaften suchen sollte,ob sie nicht vielmehr eine eigene Wissen-schaft sei, eigenständig in allen wesentli-chen Aspekten – mit ihrem eigenen Gegen-stand: dem Unbewussten und entspre-chend dann mit ihren eigenen Forschungs-methoden, dieses Unbewusste zu verstehenund zu deuten. Einige empfehlen gar nochimmer, generell eine Distanz zu allen Wis-senschaften aufrechtzuerhalten. AndréGreen etwa hat vor einiger Zeit in der De-batte mit Robert Wallerstein über denCommon ground in der Psychoanalysepointiert formuliert: „Psychoanalyse ist inmeinen Augen weder eine Wissenschaftnoch ein Zweig der Hermeneutik. Sie ist ei-ne Praxis, die auf klinischem Denkengründet, das zu theoretischen Hypothesenführt“ (Green 2005, S. 632; Übers. d. Verf.).Diese Feststellung, dass Psychoanalyse ei-ne Praxis sei, die zur Theorie führt, beziehtsich auf Freuds Charakterisierung der Psy-choanalyse als eine Methode, eine Kur undeine Theorie. Was ja heißt, dass unsere Ar-beit nicht allein mit Wissenschaft zu tunhat oder mit der Umsetzung theoretischerEinsichten, sondern auch mit persön-lichem Wissen und Erfahrung, mit „hand-werklichen“ Fertigkeiten, mit gelerntenFähigkeiten, vielleicht sogar künstleri-schen, mit Intuition, Selbstreflexion undauch mit ethischen Überzeugungen.

Jedenfalls „führt die Praxis zur Theorie“– das hat die Psychoanalyse immer schonbeansprucht, eine Praxis und eine Theorie

zu sein, beispielsweise eine klinische odereine entwicklungspsychologische Theorie,und sie beanspruchte auch, ein Modell desSeelischen zu haben. Aber hier gibt es einProblem: Bezüglich des Verständnissesdessen, was Theorien, Modelle oder „theo-retische Hypothesen“ (Green 2005) sind,hat die Psychoanalyse mit Sicherheit nichtihr eigenes Definitionsmonopol. Was Hy-pothesen und Theorien sind, welcheStrukturen und welche Funktionen sie ha-ben, wie sie überprüft werden, wie sie sichändern, wie neue Theorien entstehen, wa-rum einige verschwinden – all das wird inden Wissenschaften und vor allem in derWissenschaftstheorie diskutiert.

All dies ist selbst auch Veränderung un-terworfen: Was als wissenschaftlich ange-sehen und somit jeweils als gute Forschunganerkannt wird, welche Theorien, welcheMethoden als die jeweils besten gelten, alldas ist kontingent. Jeder „turn“ im letztenJahrhundert hat diesbezüglich neue Über-zeugungssysteme geschaffen, der „beha-vioristic turn“ ebenso wie der „linguisticturn“, der „cognitive turn“ wie auch neuer-dings der „neuro turn“. Und jeder Turn hatzu Modifikationen in der Betrachtung derPhänomene geführt, die man für relevanthielt, und auch in der Bewertung der alszulässig erachteten Forschungsmethoden.Und natürlich hatten diese Modifikationenin den wissenschaftlichen Weltauffassun-gen immer auch einen Einfluss auf die Psy-choanalyse und haben unser Verständnisvon Wissenschaft und Forschung einge-färbt. So hat die Psychoanalyse sich imLaufe ihrer Geschichte wechselnden wis-senschaftlichen Positionen angenähertund hat versucht, deren jeweilige metho-dologische Überzeugungen für die eigenenBedürfnisse zu adaptieren. Wir kennen dieDiskussionen, dass Psychoanalyse – wennsie denn eine Wissenschaft sei – eher einehermeneutische ist, eine Wissenschaft desVerstehens und des Deutens oder dass diePsychoanalyse – wenn sie denn eine Wis-senschaft sei – doch eher eine neopositi-vistische ist, eine Wissenschaft der Erklä-rung und der Voraussage. Andere wiede-

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rum sehen die Psychoanalyse in der Näheder kognitiven Wissenschaften und ihrerGedächtnistheorien. Gegenwärtig sind füreinige die Bio- oder die Neurowissenschaf-ten die Leitwissenschaft geworden.

Definitiv eine abwechslungsreiche Dis-kussion in der Psychoanalyse zu den The-men Wissenschaft und Forschung! DieÜberzeugung, in welcher Relation die Psy-choanalyse zu den Wissenschaften steht,bestimmt wesentlich, welcher Art For-schung für die Psychoanalyse als die pas-sendste angesehen wird, als wichtig, rich-tig und nützlich. Aber welche Wissen-schaft, welche Logik der Forschung liefertzu welcher Zeit das beste Muster für diePsychoanalyse? Auf diese Frage geben ver-schiedene Stimmen unterschiedliche Ant-worten. Vielfalt gibt es also auch im ana-lytischen Forschungsfeld. Und das ist na-türlich ein Problem. Es ist zwar zunächstnicht falsch, unterschiedliche Überzeugun-gen zu haben. Die Frage ist nur, wie derenProtagonisten damit umgehen. Ob sie sichgegenseitig zuhören, ob sie die anderenPositionen zu verstehen suchen, oder obsie nur Interesse für die eigene Position ha-ben – das hat für einen möglichen Dialogja jeweils Konsequenzen.

Konzeptforschung im Kraftfeldzweier Pluralismen

Mittlerweile ist es uns in der Psychoanalysevertraut, dass vom Pluralismus unsererTheorien, vielleicht gar vom Pluralismusder klinischen Praxis gesprochen wird,und mittlerweile mag bei manchem alleinder Begriff Pluralismus schon ein gewissesUnbehagen auslösen, da er zuweilen nurdie Tatsache zu verbrämen scheint, dassdie verschiedenen analytischen Gemein-schaften einander nicht mehr so viel zu sa-gen haben. Gelegentlich werden andere alsdie eigenen Überzeugungen abgewertet,gelegentlich wird die bekannte „Anything-goes“-Haltung eingenommen.

„Pluralismus“ muss aber nicht nurnegative Konnotationen haben, sondern

kann auch im Sinne einer konstruktivenVielfalt verstanden werden, aus der einekonkurrierende, faire Suche nach den bes-ten Problemlösungen resultieren kann.Und in diesem Sinne würde ich jeden For-schungsansatz, wie hier den der Kon-zeptforschung, im Kraftfeld jener Vielfaltvon Überzeugungen sehen, von denen es –so meine These – eben zwei Arten gibt:1. Es gibt den allseits vertrauten Pluralis-

mus psychoanalytischer Theorien undSchulen, den ich hier der Einfachheithalber Theoriepluralismus nennenmöchte. Konzeptforschung bewegt sichstets im Labyrinth unterschiedlicherTheorien, der großen historisch ge-wachsenen Vielfalt analytischer Tradi-tionen, klassifizierbar nach geographi-schen oder kulturellen Aspekten oderüblicherweise nach den Namen jenerAutoritäten, denen jemand sich qua So-zialisation besonders verpflichtet fühlt.

2. Aber Konzeptforschung findet sichauch mit einer anderen Art von Plura-lismus konfrontiert, nämlich mit derVielfalt der Überzeugungen, welchenwissenschaftlichen Maximen psycho-analytische Forschung verpflichtet seinsoll. Diese Überzeugungen sind ge-wöhnlich mit der Präferenz für einewissenschaftstheoretische Position odereine Leitwissenschaft verknüpft, der diePsychoanalyse epistemologisch folgensollte. Diesen zweiten Pluralismus wer-de ich, ebenfalls der Einfachheit halber,als Forschungspluralismus bezeichnen.

Es wäre demnach nützlich, wenn man ei-nen Forschungsansatz diskutiert, seine Re-lationen zu diesen zwei Pluralismen zu be-denken. Natürlich wird die Sache dadurchnicht leichter, ist doch schon die Betrach-tung im Kontext des einen Pluralismusschwierig genug. Eine bedauerliche Folgedes Theoriepluralismus etwa beschreibtGreen: „Die Kleinianer lesen nur dieKleinianer, genauso wie die Lacanianernur die Lacanianer zitieren“ (Green 2005,S. 629; Übers. d. Verf.). Und auf dem Felddes Forschungspluralismus sind ähnliche

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Tendenzen zu beobachten: Empiristen nei-gen dazu, nur Empiristen zu zitieren,ebenso wie Junktimforscher sich oftmalsnur auf Junktimforscher beziehen. Manbleibt also gern unter sich. GeschlosseneZitierzirkel mögen die „rankings“ in derjeweiligen wissenschaftlichen Gemein-schaft erhöhen, erleichtern aber nicht un-bedingt die genannte „Suche nach der bes-ten Lösung“. Schade für jemanden, dervon der Notwendigkeit konstruktiver Dis-kurse überzeugt ist, aber offenbar unver-meidlich – und vielleicht ja auch nur mitunserem analytischen Handwerkszeugbesser zu verstehen.

Ich kann hier am Beispiel der Kon-zeptforschung nur die Fragen und dieProbleme im Spannungsfeld beider Plura-lismen beschreiben; endgültige Antwortenhabe ich nicht. Für den Anfang wäre es al-lein schon nützlich, wenn die unseligenAbqualifizierungen aufhören würden: je-manden mit anderer analytischer Theorie-tradition von vornherein als unanalytischund jemanden mit einem anderen For-schungsverständnis von vornherein als un-wissenschaftlich zu bezeichnen. Aber esgibt auch eine Frage, die in eine gute Rich-tung führt: In der Debatte um den Com-mon ground in der Psychoanalyse richteteWallerstein eine rhetorische Frage anGreen: „Wer entscheidet, was richtiges[truly] psychoanalytisches Denken ist?“(Wallerstein 2005 b, S. 636; Übers. d. Verf.).Ich möchte diese Frage im Hinblick aufden Forschungspluralismus paraphrasie-ren: „Wer entscheidet, was richtiges psy-choanalytisches Forschen ist?“

Theoriepluralismusund Forschungspluralismus –Debatten um den Common ground

Zwei Pluralismen – vielleicht kommt maneiner Antwort auf die Frage nach demrichtigen Forschen in der Psychoanalyseund nach dem Status einzelner For-schungsprogramme näher, wenn man dieSchwierigkeiten, die der Forschungsplura-

lismus aufwirft, vor dem Hintergrund dervertrauteren Diskussion über den Theorie-pluralismus genauer betrachtet. Ein pro-minentes aktuelleres Beispiel dieser Dis-kussion ist die bereits erwähnte Kontro-verse zwischen Green und Wallerstein umden Common ground.

Die Green-Wallerstein-Debatte

Diese Debatte beginnen beide Akteure mitklaren Statements. Wallerstein ist optimis-tisch; er ist von einem Common groundüberzeugt, der alle Analytiker als Anhän-ger einer gemeinsamen psychoanalyti-schen Disziplin kennzeichnet (Wallerstein2005 a, S. 623). Green hingegen ist skep-tisch: „Freuds Monopol ist zu Ende“(Green 2005, S. 627; sämtliche Zitate ausdieser Debatte sind Übers d. Verf.). Greensieht die Common-ground-Idee sogar le-diglich als „einen politischen Akt“, als inseinen Augen untauglichen Versuch, in ei-ner internationalen analytischen Gemein-schaft „geographische und ideologischeGrenzen“ zu überwinden (Green 2005,S. 627). Eine unzureichende Verständi-gung innerhalb der Psychoanalyse konsta-tieren beide, und Wallerstein nennt als ei-nen wichtigen Grund dafür eine Sprach-barriere zwischen angelsächsischen undfranzösischen Autoren. Der Hinweis aufSprachbarrieren ist gewiss richtig. Seitgeraumer Zeit ist Englisch die wichtigsteSprache in der Psychoanalyse. Und werimmer aus spanisch-, italienisch-, fran-zösisch-, deutsch- oder anderssprachigenLändern international gehört werden will,muss in Englisch publizieren und sich so-mit an den jeweiligen Sprachbarrieren ab-arbeiten. Aber ist das wirklich nur eineSprachbarriere, worauf Wallerstein hierreferiert, also nur ein Problem von Sprach-kompetenz und Übersetzung? Selbst in-nerhalb einer Sprachgemeinschaft liegendie Dinge ja nicht so einfach; auch dorthaben wir es schon mit mehr als den übli-chen Sprachbarrieren zu tun. Schön illus-triert hat diesen Aspekt der britische

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Rock-Poet Sting in seinem Song: „I’m analien, I’m a legal alien, I’m an Englishmanin New York“.

Wie Green bemerkt, geht es nebenSprachbarrieren immer auch um geogra-phische und ideologische Grenzen und da-mit sozusagen um Kulturbarrieren – his-torisch gewachsene Unterschiede, basie-rend auf unterschiedlichen Mentalitätenund auf unterschiedlich gewachsenen Ver-ständnissen von Psychoanalyse und Wis-senschaft. Green beklagt – vielleicht etwasgekränkt – eine mögliche Folge dieser Bar-rieren, wenn er die Rezeption französi-scher Autoren in angelsächsischen Diskus-sionen beschreibt: „Französische Autorenwerden als Schönredner [smooth talkers]ohne Belang betrachtet“ (2005, S. 631). Ichvermute, Green spielt hier unter anderemauf die Überzeugungen mancher empiris-tisch orientierter Forscher an, für die nur„harte“, quantitative Daten Argumentesind, alles andere aber „weiches“ Geredeist.

Ich möchte zwei mir für die Frage nachdem richtigen Forschen grundlegend er-scheinende Aspekte dieser Debatte heraus-greifen.

Der erste betrifft die schon genannteStatusfrage: Ist die Psychoanalyse über-haupt eine Wissenschaft? Für Green, daswissen wir, ist die Psychoanalyse weder ei-ne Wissenschaft noch ein Zweig der Her-meneutik. Wallerstein hat andere Überzeu-gungen; für ihn ist die Psychoanalyse zwareine unabhängige Disziplin, basierend aufder Erforschung der Funktionsweise unbe-wusster mentaler Prozesse, aber mit Be-rührungspunkten zu Philosophie und Lin-guistik am einen Ende und kognitiver Psy-chologie und moderner Neurowissen-schaft am anderen Ende des Spektrums(Wallerstein 2005 b, S. 635). In diesemPunkt stimme ich Wallerstein zu. Denn derVerzicht auf den Anspruch, wissenschaft-lich zu sein, ist nicht nur mit unserer Ge-schichte unvereinbar, sondern würde auchdie Gefahr bergen, dass sich die Psycho-analyse aus allen wissenschaftlichen Dis-kursen verabschiedet – somit aus einem

wesentlichen Teil unserer gesellschaftli-chen Realität – und sich schlimmstenfallszu einer losen Ansammlung von funda-mentalistischen, sektenähnlichen Vereini-gungen fragmentiert. Und, wie gesagt, esstünde auch unsere Teilhabe an staatlichenGesundheitssystemen zur Disposition . . .

Der zweite Aspekt betrifft eine andereStatusfrage. Da Green in dieser Debatte jaso dezidiert der Psychoanalyse als Wissen-schaft widerspricht, kann man nicht ein-fach fragen: Welche Sorte Wissenschaft istdie Psychoanalyse denn nun, sondern manmuss fragen: Wo verortet man epistemolo-gisch die Psychoanalyse? Für Green stelltdie Psychoanalyse die Brücke zwischenNatur und Kultur dar (Green 2005, S. 632).Auch Wallerstein sieht dies ähnlich, dassnämlich die Psychoanalyse sich aus beidenQuellen speise, natürlichen und kulturel-len. Aber merkwürdigerweise schließt erdann die kulturellen Quellen aus seinerwissenschaftlichen Betrachtung aus. Fürihn kann die Wissenschaft („science“)nämlich nur einen Aspekt beforschen –Natur und natürliche Quellen („nature andnatural sources“; Wallerstein 2005 b,S. 637). Sciences sind im angelsächsischenVerständnis nur die Naturwissenschaften,alles andere sind „humanities“ oder „arts“.Natürlich hat Wallersteins Überzeugungdann Konsequenzen für die Art von For-schungsmethoden, die er für die angemes-senen hält.

Die Psychoanalyse zwischen „Natur und Kultur“– was folgt daraus?

Es macht eben einen großen Unterschied,ob man sich auf den Gebieten Epistemolo-gie und Forschung allein auf dem Bodender „natural world“ sieht, dann argumen-tiert man eher aus der Sicht eines Natur-wissenschaftlers und bevorzugt deren For-schungsmethoden (z. B. Experimente) undderen Forschungsziele (z. B. kausale Erklä-rungen) oder ob man die von Green ge-nannte Brückenfunktion zwischen Naturund Kultur ausfüllen möchte. Ich würde

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Greens Sicht zustimmen – mit der Ein-schränkung allerdings, dass ich die Psy-choanalyse als Wissenschaft sehe. Nurkann man sich dann nicht nur auf natur-wissenschaftliche Sprachspiele und For-schungsmaximen beschränken, sondernman muss beiden Seiten gerecht werden,auch kulturwissenschaftliche Sprachspieleund Forschungsmethoden einbeziehen,mit dem Ziel zu verstehen und Sinn zu re-konstruieren. Die Konzeptforschung pen-delt im Übrigen in der Verwendung ihrerMethoden zwischen beiden Methoden-klassen, die ja nicht disjunkt sind.

Dieser Kulturseite der Brücke gebühren-de Aufmerksamkeit zu schenken, bedeutet,in einer spezifischen Weise auf den Men-schen als Individuum zu fokussieren, so-mit auch auf Analytiker und Patient als in-teragierende Subjekte, mit ihrer je eigenenSubjektivität. Es bedeutet im Auge zu be-halten, dass ihre Erfahrungen in biogra-fische, kulturelle, gesellschaftliche und his-torische Kontexte eingewoben sind. Dabeiist unsere analytische Sprache – unsereTheoriesprache samt ihren Konzepten –seit Freud ein geeignetes Medium, die dop-pelte Verwobenheit des Menschen in Naturund Kultur zu erfassen und zu reflektieren.Wenn mithilfe der Konzeptforschung Kon-zepte und Konzeptfelder untersucht wer-den, dann ist übrigens diese doppelteFunktionalität analytischer Konzepte, diebiologische Natur des Menschen ebenso zuerfassen wie seine biografisch gewachseneIndividualität und Subjektivität, immerauch Thema.

Das Resümee aus diesem kurzen episte-mologischen Exkurs: Es spricht einigesdafür, die Psychoanalyse als ein wissen-schaftlich fundiertes Unternehmen auf-zufassen – da wäre man eher bei Waller-stein als bei Green. Und es spricht einigesdafür, die Psychoanalyse in der Brücken-funktion zwischen Natur und Kultur ernstzu nehmen – da wiederum wäre man mehrbei Green als bei Wallerstein. Was bedeuteteine solche Überzeugung (Wissenschaftzwischen Natur und Kultur) nun für dieFrage nach dem richtigen Forschen? Wer

entscheidet überhaupt in solchen Fragen?Einige hätten es gern, wenn eine Autoritätentscheidet, aber das hilft jenen wenig, dienicht an diese Autorität glauben. Wiekönnte man sich einer vernünftigen Ant-wort nähern? Dazu ist noch ein kleinerUmweg nützlich.

Common ground und spezifisches(Vor-)Verständnis: ein Beispiel

Ich denke, es ist klar geworden, dass diegewachsenen persönlichen Überzeugungs-systeme eine entscheidende Rolle bei Stel-lungnahmen zur Frage nach der richtigenForschung spielen. Wallerstein, Green, wiralle, die wir an diesen Debatten um Statusund Common ground teilhaben, kommennatürlich aus ganz unterschiedlichen wis-senschaftlichen Kulturen, von „specificgrounds“ sozusagen. Was es heißen kann,bereits in Studium und Ausbildung in einspezifisches Verständnis von Wissenschaftund dadurch letztlich auch in ein spezi-fisches Verständnis von Psychoanalyse hi-neinsozialisiert zu werden, möchte ich aneinem Beispiel illustrieren: an meinem.Ich wähle diese in wissenschaftlichen Kon-texten etwas ungewöhnliche Form der„Fallvignette“ (die schließlich auch in kei-nem analytischen Artikel fehlen sollte),weil ich einige jener zuweilen implizit blei-benden Vorannahmen benennen möchte,die (m)ein Verständnis von Forschung,(m)einen Specific ground, charakterisie-ren. Der Versuch einer Explikation der ei-genen wissenschaftlichen Weltsicht magdeutlicher machen, dass es bei Diskussio-nen um einen Common ground auch inder Psychoanalyse nützlich sein kann, die-se eigene Perspektive so weit wie möglichfür sich und vor allem aber auch für ande-re zu klären. Das könnte die Anerkennungerleichtern, dass bei wissenschaftlichenÜberzeugungen immer auch ein (sich stetsweiter entwickelnder) spezifischer Groundim Spiel ist.

In den meisten Ländern kommt mandurch eine zweistufige Ausbildung zur Psy-

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choanalyse. Viele haben zunächst ein aka-demisches Fach studiert, meist Medizinoder Psychologie. Als Psychologin bin ichwie viele meiner Generation von den Debat-ten in den Sozialwissenschaften geprägt,wie sie in den 70er Jahren in Deutschland– nach den Grundlagendebatten der späten60er – stattfanden. Dies mag implizieren,dass ich bis heute solche Forschungstradi-tionen schätze, die den Menschen in ihrenMenschenbildern auch als kulturelles undhistorisches Wesen und nicht nur als biolo-gisches System sehen. In meinem mittel-europäischen Verständnis ist Science, istWissenschaft eben nicht nur Naturwissen-schaft. In Deutschland – wie auch in ande-ren Ländern Kontinentaleuropas – habenviele Disziplinen einen gleichberechtigtenStatus als Wissenschaften: Natural sciences(ein wohl ungewöhnlicher Term für Angel-sachsen) ebensowie Human-, Sozialwissen-schaften oder Kultur- oder Sprachwissen-schaften. Freud wollte in seiner Idee einerpsychoanalytischen Universität übrigensauch den ganzen Kanon der damaligen mitdem Menschen befassten Wissenschaftenversammelt wissen.

Ich bin also in den Zeiten meiner psy-chologischen Ausbildung – wie andereauch – in ein eher breites, kein einseitigesVerständnis von Wissenschaft hinein-gewachsen. Zudem war der Empirismus inder akademischen Psychologie damalsnoch nicht so dominant; qualitative undinterpretative Methoden zur Erforschungder Psyche galten als ebenso zulässig wiequantitativ-empirische Methoden. Manmusste damals nicht experimentieren oderstatistische Hypothesen testen oder Com-putermodelle bauen, um als Wissenschaft-ler anerkannt zu werden. Von Anfang anwurde mir vermittelt, dass es zwei basaleEntitäten in der Psychologie gibt: Fakten,die vornehmlich mit naturwissenschaftli-chen Methoden erfassbar sind, und Bedeu-tungen, die vornehmlich mithilfe sprach-und kulturwissenschaftlicher Methodenerfassbar sind. So bin ich bis heute über-zeugt, dass wir in der Psychoanalyse undder psychoanalytischen Forschung dem

Zusammenspiel von beiden Rechnung tra-gen müssen. Menschen sind für mich Indi-viduen, die auch Bedeutungen verarbeitenund Bedeutungen generieren und sindeben nicht nur informationsverarbeitendeSysteme. Ich lernte des Weiteren durch den„ordinary language turn“, der eine strikteTrennung zwischen Wissenschaftsspracheund Alltagssprache aufhebt, dass Sprache,ihre Regeln und Strukturen sowie ihr viel-fältiger Gebrauch in Wissenschaft undPraxis Gegenstand eigenständiger wissen-schaftlicher Untersuchung sein können –für eine Redekur wie die Psychoanalyse ei-gentlich ein nützlicher Ansatz (und in derKonzeptforschung selbstverständlich).

Insgesamt also die Vermittlung einesmehrschichtigen Verständnisses von Wis-senschaft, weshalb ich Autoren, die der un-erschütterlichen Überzeugung sind, Wis-senschaft funktioniere nur auf die von ih-nen praktizierte Weise, insbesondere nurmithilfe ihrer Methoden, seitdem mit einergewissen Skepsis begegne. In wichtigenAspekten epistemologisch sozialisiert hatmich dann die in zentralen Grundannah-men am amerikanischen Pragmatismusorientierte Frankfurter Schule der Philoso-phie. „In wichtigen Aspekten“ meint bei-spielsweise deren Abkehr von einer Kor-respondenztheorie der Wahrheit und de-ren Präferenz einer Konsenstheorie derWahrheit. Vorübergehend wahr ist, woraufsich eine wissenschaftliche Gemeinschaftunter Austausch von vernünftigen Argu-menten – zu denen natürlich auch empiri-sche Befunde gehören – einigen kann. Undwahr ist, was eine wissenschaftliche Ge-meinschaft als nützlich und brauchbar fürdie Lösung der jeweiligen Probleme erach-tet. Es gibt nicht „die eine unveränderli-che“, die „ewige“ Wahrheit. In der Wissen-schaft gibt es immer nur den mühsamenWeg hin zu einer „besten Problemlösung“im Kontext einer historischen Situation.

Das habe ich nicht zuletzt auch durchPopper und Kuhn gelernt: Auch unsere ei-genen Überzeugungen, erst recht unsereeigenen Theorien und Hypothesen, kön-nen immer auch der Korrektur bedürfen

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oder sich als falsch erweisen. Was als si-chere Basis, was als gesicherter Bestanddes Wissens, was als Stand der Dinge gilt,bedarf beständiger „updates“. Vor allemmuss man versuchen, sich immer wiederneu zu verständigen. Wissenschaft kann ir-ren; nur Religionen versprechen heutzuta-ge noch absolute Gewissheiten. In einerWissenschaft suchen wir nicht nur nachEvidenz, um unsere Hypothesen zu stützen– sicher ein wichtiger Aspekt. In einer Wis-senschaft müssen wir auch die Kritik an-derer anerkennen, und wir müssen defini-tiv die Relativität der Überzeugungen un-serer eigenen wissenschaftlichen Bezugs-gruppe zur Kenntnis nehmen. Wie Wissen-schaft und Forschung hierbei mit gesell-schaftlichen, politischen und oft ökono-mischen Bedingungen interagieren, warnatürlich auch ein Schwerpunkt im Den-ken der Frankfurter Schule. Selbst Wissen-schaftler sind stets nur Kinder ihrer Zeit.

In meiner psychoanalytischen Ausbil-dung in den 80ern spielten die heute ver-trauten pluralistischen Labels zu Beginnkeine sonderlich große Rolle. Das war si-cher auch der spezifischen Situation inDeutschland geschuldet. Denn natürlichlitt die Psychoanalyse und litten ihre Insti-tutionen bei uns unter den Auswirkungendes Nationalsozialismus, die bis heute einzentrales Thema in der deutschen Psycho-analyse sind. Vornehmlich in der angel-sächsischen analytischen Welt hatten nachdem Zweiten Weltkrieg entscheidendeWeiterentwicklungen in Theorie und For-schung stattgefunden; nicht nur wir Ana-lytiker in Ausbildung versuchten, zunächsteinmal wieder den Anschluss an FreudsIdeen zu finden, und dann zunehmend erstzu diesen neueren Ansätzen. Zu den inter-nationalen Analytikern, die uns dabei un-terstützten, gehörte im Übrigen auch Jo-seph Sandler, der bis in die 80er regelmä-ßig nach Frankfurt kam.

Demgemäß habe ich, haben wir zu jenerZeit im Wesentlichen Freud gelesen, dannnach und nach erst alle mögliche analyti-sche Literatur, mit der Zeit die Ich-Psycho-logen und die Objektbeziehungstheoreti-

ker. Wir fanden Kohut gar nicht soschrecklich. Am Horizont tauchten auchvermehrt kleinianische Ansätze auf. Lacanlenkte unsere Aufmerksamkeit auf die Be-deutung der Sprache . . . . Ich habe erstlangsam die feinen Unterschiede und diezuweilen intimen Animositäten zwischenden miteinander konkurrierenden analyti-schen und wissenschaftlichen Schulenkennen gelernt, die sich mir hauptsächlichbei der systematischen Lektüre zur Revisi-on des Buches The Patient and the Analysteröffneten (Sandler et al. 1992). Green hatwohl zu recht auf manche „blutigen Duel-le“ verwiesen, auf Zorn und Bitterkeit insolchen Debatten über den „richtigen“,den „wahren“ Common ground in der Psy-choanalyse (Green 2005, S. 627).

Was heute wohl eine weniger entschei-dende Rolle spielt als zu Zeiten meineranalytischen Ausbildung, ist sicher auchder breite und öffentliche Dialog der Psy-choanalyse mit anderen Wissenschaftenwie der Philosophie, der Ethnologie oderauch den Literaturwissenschaften. Es wur-de uns ein lebhaftes Interesse entgegen-gebracht, das unserer Theorie galt, aberauch unserer interpretativen Methode, un-bewusste Aspekte des Seelischen zu verste-hen. Eines ist in der Tat merkwürdig: Aufder einen Seite ist in der Psychoanalyse dieDeutung, die Interpretation, eines unsererHauptwerkzeuge; und auch in der Bewer-tung empirischer Daten ist die Interpreta-tion der Ergebnisse eine anerkannte undkreative Aktivität eines Wissenschaftlers.Wenn aber heutzutage jemand im For-schungskontext sagt, er wende interpreta-tive oder hermeneutische Methoden zurGenerierung von Daten an, wird dies oftnicht als wissenschaftlich angesehen, weilsolche Methoden vermeintlich den Krite-rien der Objektivität nicht genügen. Inmeiner akademischen Sozialisation hatteninterpretative Methoden immer zum zuläs-sigen Methodenkanon gehört, als „rationa-le Rekonstruktion von Bedeutung“ – diedem erwähnten Zusammenspiel von Fak-ten und Bedeutung natürlich Rechnungtragen muss.

Forum der Psychoanalyse 3 · 2007 303

Von dem Hintergrund dieser spezi-fischen wissenschaftlichen Sozialisationschien mir später die Konzeptforschungaus drei Gründen von Interesse:� Sie versucht neues Wissen zu integrie-

ren, ob dies aus der Psychoanalyseoder aus Nachbardisziplinen kommt.

� Sie bewahrt durch ihren Bezug auf dieanalytische Situation und die analyti-sche Praxis Bodenhaftung – und hatkeine Vorbehalte gegen die Anwen-dung interpretativer Methoden.

� Und: Teamarbeit spielt in ihren Pro-jekten eine wesentliche Rolle, sei esauf der Suche nach Konsens, sei es zurPräzisierung von Dissens.

Ein Forschungsprogramm, welches dieUntersuchung des Wandels im Gebrauchunserer Konzepte zum Gegenstand hat,dabei die analytische Substanz unsererKonzepte möglichst erhalten will, zugleichdie Sicht unterschiedlicher Konzeptver-wender zu integrieren sucht und dabeistets die Validität und die Nützlichkeit un-serer Konzepte für unsere klinische Praxisim Auge hat – das hatte schon was. In die-sem Sinne verstandene Konzeptforschungkönnte dazu beitragen, das analytischeProfil unserer Konzepte und damit letzt-lich auch unserer Theorien zu schärfen. Sowäre im aktuellen Dialog mit Gedächtnis-forschern etwa das Konzeptfeld zu klären,das unser analytisches Konzept „unbe-wusst“ umgibt, und es wäre die spezifischeanalytische Konnotation von „dynamischunbewusst“ herauszuarbeiten, damitnicht, wie es vielfach geschieht, unbewusstmit implizit gleichgesetzt wird.

Genug zu meinem Fall – eine „Fall-vignette“ kann naturgemäß immer nur ei-nige wenige Aspekte beleuchten. Sie sollteauch nur illustrieren, von welchem spezi-fischen Ground aus und mit welchem wis-senschaftlichen Vorverständnis das For-schungsfeld in der Psychoanalyse betretenwerden kann. Sie sollte somit mein Argu-ment unterstreichen, dass – in Bezug aufunsere beiden Pluralismen – epistemologi-sche und methodologische Fragen diskur-

siv kaum erfolgreich zu behandeln sind,wenn man dem spezifischen und unter-schiedlichen wissenschaftlichen Hinter-grund der Diskutanten keinerlei Beach-tung schenkt.

Ein Plädoyer für Konnektionismus

Theoriepluralismus und Forschungsplura-lismus – was nun? Es bleibt die Antwortauf die Frage „Wer entscheidet, was richti-ges Denken bzw. Forschen in der Psycho-analyse ist?“ offen. Wer immer auf den Fel-dern Psychoanalyse und EpistemologieÜberzeugungen äußert, tut dies weder auseiner außerirdischen Position noch aus ei-ner einzig wahren, den anderen überlege-nen Position heraus. Neben dem resignati-ven Weg der oft beklagten postmodernenBeliebigkeit gibt es eigentlich nur zweiWege aus dem Dilemma. Man kann be-haupten, die eigene Überzeugung reprä-sentiere die Wahrheit. Dann hat man aufdie Frage „Wer entscheidet?“ zumindestfür sich selbst eine gute Antwort. Oderman sucht einen Weg der Annäherungund Verständigung mit jenen, die eine an-dere Sicht der Dinge haben. Dann wird dieSache komplizierter; nicht nur, dass es un-terschiedliche Stimmen gibt, es hat zudemoft den Anschein, dass diese meist eherunverbunden, zuweilen eher rival gegen-einander als miteinander arbeiten.

Es war im Übrigen auch ein ignorieren-des Nebeneinander – nämlich das von For-schern und Klinikern – was Sandler vorlangem einen Vorschlag für die Strukturder jährlichen Research Conference in Lon-don machen ließ: Analytische Forschersollten über ihre Arbeiten berichten; kli-nisch arbeitende Analytiker diese Arbeitaus ihrer Sicht mit Blick auf die klinischeRelevanz hin diskutieren. Und auch die an-dere Reihenfolge wäre natürlich denkbargewesen: Ein Kliniker stellt einen Fall vor,und ein analytischer Forscher diskutiertdiesen Fall aus seiner Forschungsperspek-tive. Und unter Umständen könnte dieseben auch ein Forscher aus einer anderen

Forum der Psychoanalyse 3 · 2007304

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Disziplin sein, wobei solch interdisziplinä-rer Wissensaustausch keine Einbahnstraßezu sein bräuchte.

Das Funktionieren von Ideen, die auf ei-nen aufeinander bezogenen kritischenDialog abheben, hängt generell von wichti-gen Voraussetzungen ab: von gegenseiti-gem Interesse und gegenseitiger Anerken-nung der spezifischen wissenschaftlichenÜberzeugungen, vom Verzicht auf Allein-vertretungsansprüche und von der Reflexi-on der Kontingenz der eigenen Position.Solche Voraussetzungen zu erfüllen,scheint der schwierigere Teil der Unterneh-mung zu sein. Ein daraus resultierender„herrschaftsfreier Diskurs“ mag als uto-pisch angesehen werden, und vielleicht ister es auch. Auf der anderen Seite kennenwir die Macht der Träume . . . . Und in derTat erleben wir aktuell doch auch einenwachsenden kritischen Diskurs in der in-ternationalen Debatte über unsere biswei-len kaum noch kompatiblen Verständnissevon Psychoanalyse. Warum nicht an einenähnlichen kritischen Diskurs in unseremForschungsfeld denken? Den Anderen zu-zuhören und sie zu respektieren, schließtja eine Verfolgung eigener Interessen nichtaus.

Vielleicht ist der Gedanke an einenCommon ground inzwischen generellWunschdenken, wirklich nur eine Illusion(wie Green es nennt), insbesondere auchder Gedanke, dieser Common groundbestünde in einer „allgemeinen Theorie“(die Wallerstein im Auge hat), und es wä-ren über diesen Weg einer vereinheitli-chenden Theorie die verschiedenen inter-nationalen analytischen Kulturen zu inte-grieren. Aber wenn man die Idee einesCommon ground für unverzichtbar hält,und selbst dann, wenn man ihn nur auspolitischen Gründen immer wieder be-schwören möchte, warum nicht einfach aufdie Ursprünge unserer Wissenschaft ver-weisen und auf Freuds Werk rekurrieren?Denn da sind sich ja wohl die allermeistenAnalytiker einig: Historisch gesehen, istFreuds Theorie jedenfalls unser Commonground. Und warum nicht diesen Ground,

die Anfänge unserer Wissenschaft als Refe-renzbasis im Auge behalten? Interessanter-weise haben Außenstehende wenig Proble-me, die einigende Kraft unserer analyti-schen Wurzeln zu sehen.

Freud hat in seinem klassischen Ver-ständnis von Wissenschaft und in seinerSorge um Anerkennung und Prestige derjungen Wissenschaft die Basis der Psycho-analyse in der Zustimmung zu zentraleninhaltlichen Aussagen verstanden. „DieAnnahme unbewusster seelischer Vorgän-ge, die Anerkennung der Lehre vom Wi-derstand und der Verdrängung, die Ein-schätzung der Sexualität und des Ödipus-Komplexes sind die Hauptinhalte der Psy-choanalyse und die Grundlagen ihrerTheorie, und wer sie nicht alle gutzuheißenvermag, sollte sich nicht zu den Psycho-analytikern zählen“ (Freud 1923, S. 223).So einfach war das mal. Zugleich warFreud – in all seinen Bemühungen, dieanalytische Gemeinschaft auf Linie zu hal-ten – Wissenschaftler genug zu betonen,dass seine Aussagen allesamt einem his-torischen Wandel unterworfen sind, aus-gedrückt etwa in seiner Überzeugung, dassder Fortschritt der Erkenntnis keine star-ren Definitionen dulde – bis hin zu seinerradikalen Vermutung, dass irgendwanndurch die Biologie „unser ganzer künstli-cher Bau von Hypothesen umgeblasen“werden könnte (Freud 1920, S. 65).

Wenn man aufhören würde, unter ei-nem Common ground einen Satz von un-veränderlichen inhaltlichen Überzeugun-gen oder Axiomen zu verstehen, als kleins-tem gemeinsamen Nenner aller Analytikersozusagen – dann könnte sich eine ganzandere Sicht eröffnen. Gerade Freuds Men-schenbild, sein Erkenntnisinteresse, seinanalytisch-forschender, kritisch-verste-hender und reflektierter Blick auf die Psy-che des Menschen – auf Natur und Kultur–, all dies könnte uns Analytikern bis heuteModell, bis heute beim Ringen um einenstets sich verändernden Common groundgemeinsam sein. Weder Konzepte nochTheorien noch epistemologische Überzeu-gungen sind statische Größen, und eigent-

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lich denke ich, kein Common ground sollteden Status eines ewig unveränderlichenGlaubensbekenntnisses haben; auch ermuss immer wieder neu diskutiert und er-arbeitet werden. Und zwar im Dialog, wiemühsam dies zuweilen auch sein mag. Undals Analytiker könnten wir zugleich auchgut verstehen, wie sehr die Komplexität ei-nes solchen Diskurses über unsere analyti-schen Denk- und Praxisformen dazu ein-lädt, sich einer solch mühsamen Arbeit zuentziehen, könnten analysieren, welcheFunktion die Illusion und der Wunschnach Einheitlichkeit dabei haben.

Die Idee, von einem gemeinsamen Men-schenbild und Erkenntnisinteresse geleitet,kontroverse Diskussionen um den Commonground auf beiden Feldern zu führen, demFeld der analytischen Theorien und demFeld der epistemologischen Zugangsweisenzur menschlichen Psyche, könnte zu einemdynamischeren Verständnis eines Commonground führen. Dabei ist der Term „kontro-verse Diskussionen“ durchaus in Analogiezu den britischen „controversial discus-sions“ gewählt, Diskussionen, die damalszwar nicht zu einer vereinheitlichten Theo-rie geführt haben, aber immerhin den Dis-sens präzise beschreiben halfen und bisheute zu einem (einigermaßen) tolerieren-den Miteinander geführt haben. Ein solcherWeg wäre sicher bescheidener als an einerallumfassenden Theorie zu arbeiten. Aberich denke, er ist auch realistischer und viel-leicht sogar auch libidinös zu besetzen: DieHoffnung auf eine einheitliche Theorie wäredurch die Hoffnung auf einen konstruktivenDiskurs um einen Common ground zu er-setzen.

Jedenfalls, denke ich, müssen wir unserebeiden international herrschenden Plura-lismen anerkennen und sie nicht „zelebrie-ren“ (wie Wallerstein 2005 kritisch an-merkt). Warum sie nicht als Zeichen vonVitalität verstehen? In einer Wissenschaftmuss Vielfalt, muss ein Pluralismus aller-dings Konturen haben, muss er klargelegtwerden, um seinen positiven AspektenRechnung tragen zu können, und es mussimmer wieder der Versuch gemacht wer-

den, Konvergenzen in der Vielfalt aufzuzei-gen. Konstruktive kontroverse Diskussio-nen würden das ermöglichen, Spaltungnicht, Gleichgültigkeit auch nicht. Deshalbmeine ich, muss die Devise sein: vom Plu-ralismus der Beliebigkeit zum Konnektio-nismus. Auch dieser Begriff ist mit Absichtgewählt, in Analogie zu seiner Verwendungin den Neurowissenschaften. Dort könnenkonnektionistische Modelle über dasmenschliche Gehirn deutlich machen, wiees trotz der Vielfalt der Instanzen undFunktionen zu einer ganzheitlichen Zu-sammenarbeit kommen kann. Ein syste-matisches, aufeinander bezogenes „net-working“ und systematische begleitendeepistemologische Reflexion sind unver-zichtbar, um günstige Bedingungen für ei-ne Qualitätssicherung in Wissenschaft undForschung herzustellen.

Wenn man diesen Weg von Kontroverseund Konnektionismus einschlagen würde,wäre es eines Tages auch leichter, auf dieFrage: „Wer entscheidet, was richtiges psy-choanalytisches Denken und Forschenist?“ eine Antwort zu geben: „Wir alle ent-scheiden – und von Zeit zu Zeit sieht unse-re Entscheidung vielleicht etwas andersaus!“

AnschriftDr. phil. Anna Ursula Dreher

Keplerstraße 3060318 Frankfurt am MainE-Mail: [email protected]

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