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1 Neue Politische Ökonomie: Die politischen Akteure I - Die Wähler Vorlesung an der Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg SS 2008 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München Pol. Ökonomie

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Neue Politische Ökonomie: Die politischen Akteure I - Die Wähler Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg SS 2008. Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München. Pol. Ökonomie. - PowerPoint PPT Presentation

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Neue Politische Ökonomie:

Die politischen Akteure I - Die Wähler

Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

SS 2008

Prof. Dr. Lars P. FeldRuprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen

(SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München

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Die politischen Akteure I -Die Wähler

Aufbau der Vorlesung

• Das Paradox des Wählens• Die marginale Wahlbeteiligung• Wählerverhalten• Expressives Wählen• Kleinkostenentscheidungen

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Das Paradox des Wählens I

• Wahl als Problem kollektiven Handelns– Massenwahlen werden fast nie durch eine

einzelne Stimme entschieden.

– Gruppen überreden ihre Mitglieder einen Kandidaten zu unterstützen.

– Jeder kann sich darauf berufen, dass die anderen den Kandidaten wählen.

– Der Kandidat gewinnt genau so sehr und so wenig, wenn ein Gruppenmitglied nicht wählt.

– Jeder hat einen Anreiz, zu Hause zu bleiben und nicht zur Wahl zu gehen.

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Das Paradox des Wählens II

• Das Downs‘sche instrumentelle Modell der Wahlbeteiligung– Ein rationaler Wähler geht dann und nur dann

zur Wahl, wenn er sich aus seiner Teilnahme an der Wahl einen Nettonutzen verspricht.

– Erwarteter Nutzen aus dem Nutzengewinn, B, den er dadurch erhält, dass die von ihm bevorzugte Partei oder Koalition die Wahl gewinnt.

– B wird gewichtet mit der Wahrscheinlichkeit, P, dass er durch seine Teilnahme die Wahl entscheidet.

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Das Paradox des Wählens III

• Das Downs‘sche instrumentelle Modell der Wahlbeteiligung– Diese Wahrscheinlichkeit, P, ist eine Funktion

der Knappheit des Wahlausgangs, CL.

– Die Kosten, C:• Zeitaufwand, um an der Wahl teilzunehmen.

• Informationskosten.

– Erwarteter Nettonutzen der Wahlteilnahme, R:

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CBPR

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Das Paradox des Wählens IV

• Das Downs‘sche instrumentelle Modell der Wahlbeteiligung– Ist dieser Nettonutzen größer als Null, so geht

ein individuell rationales Individuum zur Wahl

– Ansonsten übt es Wahlenthaltung.

– Annahme der Entscheidungshypothese: Wähler gehen davon aus, dass ihre Stimme die Wahl entscheiden könnte.

– Instrumentelles Modell, weil Wähler annahme-gemäß die Wahl als Mittel zur Durchsetzung einer bestimmten Politik ansehen.

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Das Paradox des Wählens V

• Das Downs‘sche instrumentelle Modell der Wahlbeteiligung– Bei Wahlen und Abstimmungen mit (poten-

tiell) großer Teilnehmerzahl ist die Wahr-scheinlichkeit, dass eine Stimme den Ausschlag gibt, sehr gering.

• Mueller (2003): Bei 100 Mio. Wählern ist die Wahrscheinlichkeit 0.006 %.

– Der erwartete Nutzen ist dann ebenfalls sehr gering.

– Verglichen damit sind die Kosten relativ hoch.

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Das Paradox des Wählens VI

• Das Downs‘sche instrumentelle Modell der Wahlbeteiligung– R ist in aller Regel negativ, so dass sich

niemand an der Wahl beteiligen dürfte.

– Wenn aber niemand zur Wahl geht, wird es für den einzelnen Wähler wieder rational, zur Wahl zu gehen, da man als einziger Wähler dann entscheidend für den Wahlausgang ist.

– Geringe positive Wahlbeteiligung (5 Prozent) ist plausibel.

– Das tatsächliche Wählerverhalten ist rational nicht erklärbar.

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Das Paradox des Wählens VII

Jahr Gesamt West Ost1953 86.31957 87.81961 87.41965 85.91969 86.11972 90.81976 90.41980 87.61983 88.41987 83.11990 77.8 78.6 74.41994 78.0 79.4 72.21998 82.2 82.7 79.92002 79.1 80.6 72.8

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Das Paradox des Wählens VIII

• Der Konsumnutzen des Wählens nach Riker und Ordeshook (1968)– Wählen ist nicht instrumentell, sondern liefert

dem Wähler einen Nutzen ‚an sich‘.

– Konsumnutzen, D, des Wählens neben der investiven (instrumentellen) Komponente.

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CDBPR

– Konsumnutzen, weil der Wähler ein Gefühl der Befriedigung erhält, wenn er seinen ‚staats-bürgerlichen‘ Pflichten nachkommt.

CDR

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Das Paradox des Wählens IX

• Der Konsumnutzen des Wählens nach Riker und Ordeshook (1968)– Dieses Modell ist tautologisch, zumindest

trivial.

– Da C und D bei verschiedenen Wahlen gleichen Typs in der Regel gleich sind, lassen sich unterschiedliche Wahlbeteiligungen damit nicht erklären.

– D als einziger Anreiz, zur Wahl zu gehen, ist eine ‚soziologische‘ Größe, die nicht ohne weiteres mit individueller Rationalität vereinbar ist.

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Das Paradox des Wählens X

• Wahlkreise als Analyseebene– Die Wahrscheinlichkeit, den Wahlausgang zu

beeinflussen, ist in einzelnen Wahlkreisen größer als für eine ganze Gebietskörperschaft.

– Dies spielt in den USA, aber auch in Deutschland eine Rolle.

– Selbst wenn sich in einem Wahlkreis nur 1000 Wähler befinden, ist die Wahrscheinlichkeit immer noch nur marginal (1,8 Prozent).

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CDBPR j

n

jj

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Das Paradox des Wählens XI

• Wahlkreise als Analyseebene– Gegenargument: Wählen ist nicht vollkommen

geheim.

– Es kann sozialer Druck ausgeübt werden.

– Dies ist allerdings ein Argument für D und nicht für Pj oder Bj.

– Es gibt dadurch Kosten der Wahlenthaltung, die aber nichts mit dem Wahlergebnis zu tun haben.

– Auch ohne vollständige Geheimhaltung ist nicht überprüfbar, ob jemand tatsächlich gewählt hat

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Die marginale Wahlbeteiligung I

• Die Wahlbeteiligung ist bei ‚wichtigen‘ Wahlen höher.– Wegen größerem Pflichtgefühl?

• Die Kandidaten und Parteien betreiben einen höheren Aufwand, die Wähler zu mobilisieren, je knapper der erwartete Wahlausgang ist.– Senkung der Informationskosten

– Briefwahl, Wahltaxi usw.

– Dies gilt vor allem für den einzelnen Wahlkreis

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Die marginale Wahlbeteiligung II

• Die Nutzenkomponente D und die Kosten der Wahlbeteiligung C hängen von der erwarteten Knappheit des Wahlausgangs ab.

• Einfluss ist abhängig vom Wahlsystem:– Im Mehrheitswahlrecht gültiger als im

Verhältniswahlrecht.

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,0,0),),(( 21 DDBCLEDD

,0,0),),(( 21 CCBCLECC

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Die marginale Wahlbeteiligung III

Studie Stichprobe P B D C E Y

Riker und Ordeshook(1968)

4294 Quest.1952, 1956,1960

+ + +

Brody und Page (1973) 2500 Q1968

0 +

Silver (1973) 959 Q1960

0 +? +? - +

Ashenfelter und Kelley(1975)

1893 Q1960, 1972

0 + + - + +

Frohlich et al. (1978) 1067 Q1964

+ +? +? - ?

Parry et al. (1992) 1600 Q (UK)1984, 1985

+? +? - 0

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Tabelle 2: Survey Studien zum Test des Downs’schen Wahlmodells, Quelle: Mueller, 2003, S. 314.

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Die marginale Wahlbeteiligung IV

Studie Stichprobe P B D C E Y

Matsusaka und Palda(1993)

2744 Quest.1979, 1980Kanada

0 + 0

Knack (1994) 4651 Q1984, 1986,1988 (US)

+ + +

Greene und Nicolaev(1999)

21000 Q1972 – 93(U.S.)

- + +

Thurner und Eymann(1975)

1400 Q1990

+

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Tabelle 2: Survey Studien zum Test des Downs’schen Wahlmodells, Quelle: Mueller, 2003, S. 314.

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Die marginale Wahlbeteiligung VStudie Stichprobe CL N E Y

Frühe Studien Daten der 70erund 80er Jahre(U.S. Staaten)

- mixed

Foster et al. Studien U.S. Staaten von1968 bis 1980

mixed mixed

Kirchgässner undSchimmelpfennig(1992)

248 Wahlkreise(D), 650 Wahl-kreise (UK), 1987

- -

Matsusaka (1993) 885 Referenden1912-90 (Kal.)

INS

Shachar und Nalebuff(1999)

50 Bundesstaaten,1948-88

- - + +

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Tabelle 2: Survey Studien zum Test des Downs’schenWahlmodells, Quelle: Mueller, 2003, S. 316f.

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Die marginale Wahlbeteiligung VI

• Feld und Kirchgässner (2001): Ergebnisse für die Bundestagswahlen 1990, 1994 und 1998.– Die erwartete Knappheit hat einen starken

signifikant positiven Einfluss auf die Höhe der Wahlbeteiligung in Westdeutschland in allen drei Wahlen.

– Knappheitsmaß: Stimmenanteile in den Wahlkreisen.

– In Ostdeutschland nur für 1998, aber mit negati-vem Vorzeichen in den Jahren 1990 und 1994.

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Wählerverhalten I

• Wähler verwenden ‚shortcuts‘ oder Daumenregeln kollektiv effizient.– Ideologie und Wahlkampfausgaben.

• Wähler wählen retrospektiv.– Sie evaluieren die Leistung einer Regierung,

Partei, Abgeordneten anhand der vergangenen Legislaturperiode.

– Popularitätsfunktionen (Feld und Kirchgässner, 1998): Offizielle, verdeckte Arbeitslosigkeit und Inflation haben einen Einfluss auf die Wiederwahlwahrscheinlichkeit.

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Wählerverhalten II

• Wähler entscheiden sich weniger auf Basis ihrer persönlichen finanziellen Situation.

• Sie orientieren sich vielmehr an einer Einschätzung, wie ein Land insgesamt mit einer Regierung gefahren ist.– Soziotrophisches Wählen dominiert

egotrophisches Wählen.

• Medien haben im allgemeinen einen geringen Einfluss auf das Wahlverhalten.

• Wetter, Öffnungszeit der Wahllokale usw.

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Expressives Wählen I

• Es bleibt das Problem, dass die absolute Höhe der Wahlbeteiligung nicht erklärt wird.

• Expressives Wählen als Lösungsmöglich-keit, die über den Konsumnutzen hinaus-geht.

• Der expressive Wert des Wählens liegt darin begründet, dass der Wähler relativ kostengünstig seine Präferenzen und Meinungen in der Wahl ausdrückt.

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Expressives Wählen II

• Beispiele:– Jubelszenen vor dem Fernseher oder im Stadion

bei Sportereignissen entspringen dem Bedürfnis, Gefühle auszudrücken.

– Wahl von Umverteilungsprogrammen.

– Die Wähler an der amerikanischen Westküste gehen häufig zur Präsidentschaftswahl, obwohl ihnen die Wahlergebnisse von der Ostküste bereits bekannt sind.

– Wähler wussten bei den Reagan-Wahlen, dass sie das Ergebnis sicher nicht mehr beeinflussen konnten.

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Kleinkostenentscheidungen I

• Kirchgässner (1992, 1996)• Typ I:

Entscheidungen, bei denen die individuelle Entscheidung irrelevant für den Entscheidungsträger selbst und für andere ist, während die kollektive Entscheidung erhebliche Konsequenzen haben kann.– Wahlbeteiligung und Wahlentscheidung als

typische Beispiele

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Kleinkostenentscheidungen II

• Typ II: Die individuelle Entscheidung hat keine (direkten) Konsequenzen für den Entscheidungsträger selbst, wohl aber für andere Individuen.– Dies gilt für die richterliche Entscheidung.

• In beiden Fällen ist moralisches Verhalten der Individuen notwendig.

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Kleinkostenentscheidungen III

• Die Wähler wählen dann Parteien, von de-nen sie denken, sie sollten sie unterstützen.

• Häufig Parteien, die ihre soziale Herkunft reflektieren.

• ‚Weiche‘ Anreize, gemäß den eigenen Interessen zu wählen, auch wenn sie den Wahlausgang nicht beeinflussen können.

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Zusammenfassungen I

• Die individuelle Wahlbeteiligung lässt sich mit einem engen ökonomischen Ansatz nicht erklären.

• Irgendwelche Formen moralischen Verhaltens sind für diese Erklärung essentiell.

• Formen unterscheiden sich: Bürgerpflicht, expressives Wählen, Kleinkostenentschei-dungen.

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Zusammenfassungen II

• Die marginale Wahlbeteiligung lässt sich durch die erwartete Knappheit des Wahlausgangs erklären.

• Wähler nutzen Daumenregeln, um Informationskosten zu sparen.

• Sie wählen retrospektiv und soziotrophisch

• Sie reagieren auf andere Kosten (Wetter ...).

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Literatur I– Ashenfelter, O. and Kelley, S., Jr. (1975), “Determinants of Participation in Presidential

Elections,“ Journal of Law and Economics 18, pp. 695-733.– Brody, R. A. and Page, B. I. (1973), “Indifference, Alienation and Rational Decisions,“

Public Choice 15, pp. 1-17.– Feld, L. P. and Kirchgässner, G. (1998), Fiskalischer Föderalismus, WIST 27 (2), pp. 65 -

70.– Feld, L. P. and Kirchgässner, G. (2001), “Income Tax Competition at a State and Local

Level in Switzerland,“ Journal of Public Economics 31, pp. 181-213.– Frohlich, N. et al. (1978), “A Test of Downsian Voter Rationality: 1964 Presidential

Voting,“ American Political Science Review 72, pp. 178-97.– Greene und Nicolaev (1999)– Kirchgässner, G. (1996), “Bemerkungen zur Minimalmoral,“ Zeitschrift für Wirtschafts-

und Sozialwissenschaften 116 (2), pp. 223-51.– Kirchgässner, G. and Schimmelpfennig, J. (1992), “Closeness Counts If It Matters for

Electoral Victory: Some Empirical Results for the United Kingdom and the Federal Republic of Germany,“ Public Choice 73 (3), pp. 283-99.

Literatur

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Literatur II– Knack, S. (1994), “Does Rain Help the Republicans? Theory and Evidence on Turnout

and the Vote“, Public Choice 79 (1-2), pp. 187-209.– Matsusaka, J. G. and Palda, F. (1993), “The Downsian Voter Meets the Ecological

Fallacy,“ Public Choice 77 (4), pp. 855-7.– Matsusaka, J. G. (1993), “Election Closeness and Voter Turnout: Evidence from

California Ballot Propositions,“ Public Choice 76 (4), pp. 313-34.– Mueller, D.C. (2003), Public Choice III, Cambridge University Press, Cambridge. Parry

et al. (1992)– Riker, W. H. and Ordeshook, P. C. (1968), “A Theory of the Calculus of Voting,“

American Political Science Review 62, pp. 25-42.– Shachar, R. and Nalebuff, B. (1999), “Follow the leader: Theory and Evidence on

Political Participation,“ American Economic Review 89 (3), pp. 525-47.– Silver, M. (1973), “A Demand Analysis of Voting Costs and Voting Participation,“

Social Science Research 2, pp. 111-24.– Thurner, P. W. and Eymann, A. (1975)

Literatur