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Polizei- und Ordnungsrecht Teil I Dr. Peter Becker

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Polizei- und Ordnungsrecht Teil I

Dr. Peter Becker

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Themenübersicht

I. Historische Entwicklung des Polizeibegriffs II. Ordnungs- und Polizeibehörden in M-V,

Behördenstruktur, Zuständigkeit III. Eingriffsbefugnisse und Handlungsformen,

Generalklausel IV. Der Gefahrenbegriff V. Adressat polizeilicher Maßnahmen – der Störer VI. Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen (Vollzug) VII. Übungsfälle

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Teil I Historische Entwicklung des Polizeibegriffs

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Entwicklung des Polizeibegriffs in Deutschland I 1. Mittelalter

Entstehung staatlicher Strukturen, Obrigkeitsstaat: „gute Polizey“ -> Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt“.

2. Absolutistischen Herrschaftsstaat

Polizei als Hoheitsrecht des absoluten Herrschers Auswärtige Angelegenheiten – Heer – Finanzen – Justiz - Polizei

Verbindliche Anordnung für das gesamte soziale Leben der Untertanen

-> Polizeistaat: keine Bindung an Verfassung, keine Rücksicht auf bürgerliche Rechte und Freiheiten, kein Rechtsschutz

3. Konstitutionelle Monarchie

Rechtswegestaat, Kreuzberg-Urteil des PrOVG (1882):

Polizei = Abwehr von Gefahren für bestimmte Schutzgüter =/= „Förderung des allgemeinen Wohls“

Trennung von Zuständigkeitsvorschriften und Ermächtigungsgrundlagen

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Entwicklung des Polizeibegriffs in Deutschland II

Ordnungsbehörden

formeller Polizeibegriff

Funktion der öffentlichen Verwaltung Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung

abzuwehren eingetretene Störungen zu beseitigen und zwar unabhängig davon, ob die Polizei im verwaltungs-organisatorischen Sinne handelt (Bau-, Feuer-, Gewerbepolizei usw.)

Umreißt die Grenzen der sachliche Zuständigkeit der Polizeibehörden. Alle Aufgaben, die der Polizei im organisatorischen Sinne zugewiesen sind (präventives und repressives [StPO] Handeln)

Nach dem 2. Weltkrieg: „Entpolizeilichung“ der Verwaltung

materieller Polizeibegriff

Polizeivollzugsdienst

Allgem. Ordnungsbehörden Sonderordnungsbehörden Insbesondere in den

Bereichen Gewerbe, Bau, Umwelt, Gesundheit

Repressiv: Hilfsbeamte der StAnw

Präventiv

Allgemeine Verfahrensgrundsätze des POR

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Teil II Ordnungs- und Polizeibehörden in M-V, Behördenstruktur, Zuständigkeit

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Organisationsmodell der Sicherheits- und Ordnungsbehörden

Mischsystem (z.B. BW)

Trennsystem (z.B. M-V)

Polizei-behörden

Ordnungs-behörden Polizei

Polizeivoll-zugsdienst Polizeivoll-

zugsdienst

Orts-, Kreis-und Landespolizei-

behörden

Orts- Kreis- und Landesordnungs-

behörden

Sonderordnungs-behörden

Sonderordnungs-behörden

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Behördenstruktur des SOG M-V

Trennsystem (§ 2 Abs. 1 SOG M-V)

Ordnungsbehörden § 3 Abs. 1 SOG

Ministerien (Landesordnungsbehörden)

Landräte /OB (Kreisordnungsbehörden)

Sonderordnungs- behörden

(Behörden, denen die Aufgabe der

Gefahrenabwehr durch besondere

Rechtsvorschrift übertragen ist)

Amtsvorsteher/ Bürgermeister/OB

(örtliche Ordnungsbehörden)

Fachministerien Ministerium für Inneres

und Sport

Polizei § 3 Abs. 1 SOG

Polizeivollzugsbeamte (§ 103 Abs. 2 Nr. 1) und Polizeibehörden

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Zuständigkeit von Ordnungsbehörden und Polizei Ordnungsbehörden Polizei

Sachlich (§ 4 SOG) Sachlich (§ 7 SOG)

Gefahrenabwehr (umfassend) Grundsätzlich ist örtliche Ordnungsbehörde sachlich zuständig (Abs. 2) Selbsteintrittsrecht der Kreis- und Landesordnungsbehörden (Abs. 3 und 4)

Gefahren feststellen und ermitteln Ordnungsbehörden unterrichten Unaufschiebbare Maßnahmen treffen Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) andere Vorbereitungen, um künftige Gefahren abwehren zu können

Örtlich (§ 5 SOG) Örtlich (§ 8 SOG)

Bezirksprinzip Abs. 1: „in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden“

Im gesamten Land Sonderregelungen für den Einsatz von Polizeivollzugsbeamten anderer Länder und Staaten in M-V oder umgekehrt.

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Wiederholungsfragen

1. In der Mecklenburger Straße in Schwerin (Fußgängerzone) spielt ein Musikant seit zwei Stunden vor einer Eisdiele das gleiche Lied. Der Betreiber ist genervt und ruft die Polizei an. Wer wird sich um dieses Problem kümmern?

2. Polizeivollzugsbeamte entdecken auf dem Gelände einer Autoreparaturwerkstatt durchgerostete Fässer, aus denen eine ölige Flüssigkeit austritt. Wer wird sich um dieses Problem kümmern?

3. Eine Katze ist in einem Abflussrohr gekrochen und steckt fest. Die Tierhalterin kann sie nicht befreien und ruft bei der Polizei an. Wer wird sich um dieses Problem kümmern?

4. Herr Müller will mit seinem Auto wegfahren. Die Garage ist jedoch durch ein anderes Auto zugeparkt, dessen Halter Herrn Müller nicht bekannt ist. Er ruft bei der Polizei an. Wer wird sich um dieses Problem kümmern?

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Teil III Eingriffsbefugnisse und Handlungsformen, Generalklausel

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Eingriffsbefugnisse der Ordnungs- und Polizeibehörden

Maßnahmen der Ordnungs- und Polizeibehörden

Aufgrund Spezialgesetzes:

Abwehr spezieller Gefahren

(vgl. 12 Abs. 2 SOG)

Standard-maßnahmen

§§ 25 – 67 SOG

Aufgrund Generalklausel §§ 12, 13 SOG

Falls nein

Falls nein

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Schutzgüter der Generalklausel (vgl. §§ 13, 16 SOG MV)

1. Öffentlichen Sicherheit Individualschutz

• Leben, Eigentum, private Rechte etc. mit Ausnahme derer des Störers Bsp. Obdachlosigkeit (Problem: Selbstgefährdung, Durchsetzung privater Ansprüche)

Schutz von Gemeinschaftsgütern • Staat und seine Einrichtungen (Funktionsfähigkeit des Staates) • Gesamtes geschriebenes Recht (StGB, OWiG, StVG etc., aber auch VO und

Satzungen )

2. Öffentliche Ordnung Ungeschriebene Regeln, deren Befolgung nach der jeweils herrschenden Betrachtungsweise als unerlässliche Voraussetzung für ein gedeihliches staatsbürgerliches Zusammenleben gilt. Aber: Es muss um die Allgemeinheit gehen Kritik: Mangelnde Bestimmtheit

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Handlungsformen zur Gefahrenabwehr

Gebots- und Verbotsverfügungen, § 16 SOG (belastender VA)

Ordnungsbehördliche Erlaubnis (begünstigender VA) • Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt

Verhalten ist generell erlaubt, aber von der Erfüllung von Bedingungen abhängig gemacht. Die Vornahme bedarf einer vorherigen Genehmigung (z.B. Gaststättenerlaubnis).

• Repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt

Verhalten ist generell verboten (weil zu gefährlich). Eine Befreiung wird nur ausnahmsweise erteilt (z.B. Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Waffen nach §§ 10 ff. WaffenG)

Realakte (schlicht-hoheitliche Maßnahmen)

Ordnungsbehördliche Verordnung, § 17 SOG (Abgrenzung zur Allgemeinverfügung, abstrakte Gefahr)

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Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 II 2 GG)

-> Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche ist grundsätzlich Sache der Zivilgerichte -> Ordnungsbehörden/Polizei unzuständig.

Ausnahme: Aus Gründen der (rechtsstaatlichen) materiellen Gerechtigkeit besteht unter engen Voraussetzungen eine Zuständigkeit der Polizei (vgl. § 1 III SOG MV): 1. Glaubhaftmachung des Anspruches 2. Gerichtlicher Rechtsschutz (Arrest, einstweilige Verfügung) kann

rechtzeitig nicht erlangt werden 3. Ohne polizeiliche Hilfe besteht die Gefahr, dass die Durchsetzung des

Rechts wesentlich erschwert oder sogar vereitelt wird

Beachte:

Häufig Zuständigkeit der Polizei, eines anderen Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit Beispiel: Aufnahme eines Verkehrsunfall wegen Verletzung der Regeln von StVO/StGB

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Wiederholungsfragen 1. Wegen eines Brandes will die Feuerwehr Wasser aus einem Teich auf

einem privaten Grundstück entnehmen. Dabei wird der Rasen beschädigt werden. Rechtsgrundlage?

2. Durch den Brand gehen für Nachbargebäude erhebliche Gefahren aus. Die Bewohner sollen ggf. gegen ihren Willen evakuiert werden. Rechtsgrundlage?

3. Gegen einen Gastwirt wird Anzeige erstattet, weil er angeblich bereits verdorbene Lebensmittel verarbeitet. Zur Überprüfung dieses Verdachts sollen die Küche und die Lagerräume der Gaststätte durchsucht werden. Rechtsgrundlage?

4. A und B vergnügen sich in den Dünen direkt hinter dem Strand. Sie werden vom Polizeivollzugsdienst aufgegriffen und aufgefordert, ihr Liebesspiel zu beenden. Rechtsgrundlage?

5. A liegt mit seinem Vermieter wegen der Zahlung von Nebenkosten für die Wohnung im Streit. Während der Weihnachtsfeiertage stellt der Vermieter deshalb Heizung und Wasser für die Wohnung ab? A ruft die Polizei. Wird sie A helfen?

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Teil IV Der Gefahrenbegriff

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Gefahrenbegriff (§ 3 Abs. 3 SOG)

Gefahr

Eine Gefahr ist ein Zustand, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens (für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung) erwarten lässt:

Rechtsgutverletzung muss drohen (=/= bloßen Belästigungen, Unbequemlichkeiten, Geschmacklosigkeiten)

Hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts

Merke: Je bedeutsamer das Schutzgut ist, desto geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu stellen; ebenso ist die Intensität der Rechtsgutverletzung maßgeblich.

Störung

Gefahr hat sich bereits verwirklicht, d.h. der Schaden (für die öffentliche Sicherheit und Ordnung) ist bereits entstanden.

Die Beseitigung der Störung ist eine Form der Gefahrenabwehr, weil es um die Vorbeugung weiterer (permanenter) Gefahren geht.

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Gegenwärtige und erhebliche Gefahr (§ 3 Abs. 3) Eine gegenwärtige Gefahr ist:

eine Sachlage, bei der • das die öffentliche Sicherheit

oder Ordnung schädigende Ereignis bereits eingetreten ist (Störung) oder

• unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht

-> Zeitlicher Aspekt

Eine erhebliche Gefahr ist:

eine Gefahr für

• ein bedeutsames Rechtsgut, wie Leib, Leben oder

• Freiheit einer Person, wesentliche Sach- oder Vermögenswerte oder

• den Bestand des Staates

-> Bedeutung der Schutzgüter

Die Begriffe sind bedeutsam z.B. bei §§ 9 Abs. 1 Nr. 3; 33 Abs. 6; 34a Abs. 3; 59 Abs. 3 Nr. 3 u Abs. 4 ; 61 Abs. 1 Nr. 1; 71 Nr. 1; 80 Abs. 2 Nr. 1; 81 Abs. 1; 108 Abs. 2 u. 3; 109 Abs. 2; 111 Abs. 2;

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Besondere Gefahrenarten

Gefahrenverdacht

Objektiv liegt keine Gefahr vor; der objektive Beobachter hält das Vorliegen einer Gefahr nur für möglich. Gefahr im Sinne des POR,

-> Gefahrerforschungseingriff zulässig (sofern auch die weiteren Voraussetzungen vorliegen, insbesondere Verhältnismäßigkeit, Ermessen, Bedeutung des Rechtsguts)

Aber: Wegen des Untersuchungsgrundsatzes (§ 24 VwVfG) muss die Behörde nach h.M. die Gefahrerforschungsmaßnahmen selbst vornehmen (und ggf. die Kosten tragen).

-> nur Duldungs-VA

Anscheinsgefahr Objektiv liegt keine Gefahr vor; jeder objektive Beobachter würde jedoch bei ex ante-Betrachtung eine Gefahr annehmen. Gefahr im Sinne des POR.

-> Einschreiten zulässig

Putativgefahr (Scheingefahr) Es wird irrig eine Gefahr angenommen, obgleich ein objektive Beobachter bei ex ante-Betrachtung das Bestehen einer solche Gefahr verneint hätte. Keine Gefahr im Sinne des POR.

-> Maßnahme rechtswidrig

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Ordnungs- und Polizeipflichtigkeit bei Anscheinsgefahr und Gefahrenverdacht

Differenzierung (h.M.)

Primärebene (Verhaltens-/Zustandsverantwortlichkeit)

Rechtmäßigkeit des behördlichen Einschreitens

Sekundärebene Kostenerstattungsansprüche der Behörde Entschädigungsansprüche des Betroffenen

Wegen der Effektivität der Gefahrenabwehr ist eine ex ante-Betrachtung vorzunehmen Anscheins-/Gefahrenverdachtsstörer

Ex post-Betrachtung unter Berücksichtigung der Zurechenbarkeit der Anscheinsgefahr/des Gefahrenverdachts

Beispiel: Die Polizei lässt die Wohnungstür aufbrechen, weil in der Wohnung aufgrund von seltsamen Geräuschen eine hilflose Person vermutet wird, die die Tür nicht selbst öffnen kann. Es stellt sich heraus, dass diese von einem Rundfunkgerät stammten, das der Bewohner versehentlich nicht abgeschaltet hatte.

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Wiederholungsfragen 1. A gerät bei einer Trunkenheitsfahrt mit 1,8 prom. Alkohol in eine Polizeikontrolle. Darf

die Polizei den Fahrzeugschlüssel seines Fahrzeugs sicherstellen?

2. Die Umweltbehörde vermutet, dass sich auf dem Grundstück des A eine „Altlast“ befindet und möchte eine Bodenuntersuchung vornehmen.

Muss A dies dulden?

Wer hat die Kosten der Maßnahme zu tragen?

3. Aus einer Wohnung dringt seit Tagen ein merkwürdiger Geruch. Der Wohnungsinhaber schon länger nicht mehr gesehen wurden. Die Nachbarn rufen die Polizei, die die Wohnungstür durch einen Schlüsseldienst gewaltsam öffnen lässt. Es stellt sich heraus, dass der Geruch aus einem nicht verschlossenen Müllsack stammt.

War das Öffnen der Tür zulässig?

Wer trägt die Kosten für den Schlüsseldienst?

Hat der Wohnungsinhaber Ersatzansprüche gegen die Polizei, wenn die Wohnungstür beschädigt wurde?

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Teil V Adressat polizeilicher Maßnahmen – der Störer

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Störer und Ordnungs- und Polizeipflichtige (Verantwortliche)

Gefahr Verantwortlicher

Verhaltensstörer (§ 69 SOG

MV) Verursachung der Gefahr durch positives Tun Unterlassen, sofern ör Pflicht zur Gefahrenabwehr besteht. Maßgebliches Verhalten: • Eigenes Verhalten (§ 69 I SOG MV) • Fremdes Verhalten: • Der Aufsicht unterstehende Personen (§ 69 II SOG MV) • Verrichtungsgehilfen (§ 69 III SOG MV) ohne Exkulpationsmöglichkeit i.S.d. § 831 I2 BGB

Zustandsstörer Rechtliche und tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf eine Sache an • Eigentümer (§ 70 I SOG MV) • Inhaber der tatsächlichen Gewalt (§ 70 II SOG MV): Unmittelbarer Besitzer, Besitzdiener: • Eigentümers und des Inhabers tatsächlicher Gewalt haften parallel • Bei Herrschaftsausübung gegen den Willen des Eigentümers, § 70 Abs. 2 und 3 SOG

Nichtstörer (Notstandshaftung) • Person, die weder Verhaltens- noch Zustandsstörer ist • Verhaltens- und Zustandsstörer sind nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar • Gefahr kann nicht durch Behörde oder Beauftragten abgewendet • Keine Gefährdung des Nichtstörers

Zweckveranlasser

Ob des Einschreitens Gegen wen?

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Hoheitsträger als Störer Grundsatz: Die Gefahrenabwehr ist eine Annex-Kompetenz jedes Verwaltungsträgers, sofern ein spezifischer Zusammenhang zwischen den Hoheitsaufgaben und der Störung bestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. 12. 1996 - 1 C 33. 94; dort wurde abwehrender Brandschutz für Bundeswehreinrichtung als Aufgabe städtischen Feuerwehr angesehen) Gegenbeispiel: Luftsicherheit im militärischen Bereich.

-> ausschließliche Kompetenz des Verwaltungsträgers zur Gefahrenabwehr -> Unzuständigkeit der Ordnungsbehörden.

Unzuständigkeit der Ordnungsbehörden bei:

Öffentlich-rechtlicher Organisationsform und öffentlich-rechtlicher Handlungsform

Öffentlich-rechtlicher Organisationsform und privatrechtlicher Handlungsform

Zuständigkeit der Ordnungsbehörden bei:

Fiskalischer Tätigkeit (Beschaffungsverwaltung, erwerbswirtschaftliche Betätigung)

Privatrechtlicher Organisationsform (Immissionen durch Stadtwerke-AG)

Die Eilzuständigkeit der Polizei bleibt von der Unzuständigkeit der Ordnungsbehörde unberührt (Absperrung der Absturzstelle bei Absturz eines Flugzeuges der Bundeswehr)

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Rechtsfolgen / Ermessensfehlerprüfung

1. Fehlerfreie Ermessensentscheidung bzgl. “ob” des Einschreitens (Entschließungsermessen)

2. Richtiger Adressat der Verfügung (Störerauswahl) a) Polizeipflichtigkeit mehrere Personen b) Falls ja, ermessensfehlerfreie Auswahl zw. mehreren Störern

3. Fehlerfreie Ermessensentscheidung bzgl. “wie” des Einschreitens (maßnahmenbezogenes Auswahlermessen) a) Ermessensnichtgebrauch/-ausfall (Vorsicht, kommt selten vor!) b) Ermessensüberschreitung (Anordnung einer nicht vorgesehenen

Rechtsfolge) c) Ermessensfehlgebrauch (Missachtung des Ermessenszwecks, insb.

Sachwidrigen Erwägungen)

4. Grundrechts- u. Verhältnismäßigkeitsprüfung der konkreten Polizeiverfügung

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Wiederholungsfragen 1. Wegen eines Waldbrandes wird Bauer B von der Ordnungsbehörde

aufgefordert, sein Saugfass samt Schlepper für den Löschwassertransport zur Verfügung zu stellen. Zulässig?

2. A ist bei einem polnischen Logistikunternehmen als Fahrer angestellt. gemietet. Bei einer Polizeikontrolle wird festgestellt, dass sein LKW einen Mangel aufweist, der die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs beeinträchtigt. A wird aufgegeben, den Mangel sofort beseitigen zu lassen, andernfalls würde der LKW sichergestellt. Zulässig?

3. Mit dem Wagen des A wurde eine Ölspur verursacht, die durch die Feuerwehr beseitigt wurde. A kann nachweisen, er an diesem Tag den Wagen nicht gefahren haben kann. Kann die Stadtverwaltung von A trotzdem Kostenersatz für diese Maßnahme verlangen?

4. A hat PKW von B gestohlen und als Fluchtfahrzeug für einen Bankraub genutzt. Nach der Flucht hat A den PKW zur Vernichtung von Spuren angezündet. Nachdem die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind, fordern die Ordnungsbehörden B auf, das Wrack ordnungsgemäß zu entsorgen. Zulässig?

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Teil VI. Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen (Vollzug)

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Verwaltungszwangsverfahren (Vollzug)

Mehraktiges Verfahren

Vollzug auf der Grundlage eines GrundVA als Vollstreckungstitel:

(Normalfall)

mehraktiges Verfahren

Anordnung der Maßnahme

Vollzug der Anordnung im Fall der Nichtbefolgung durch den Pflichtigen

Sofortmaßnahmen

Vorgehen ohne GrundVA als Vollstreckungstitel

(Ausnahmefall)

Sofortiger Vollzug § 81 SOG

Unmittelbare Ausführung § 70 a SOG

Standardmaßnahmen (in Teilen)

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• : •

Vollzugsmittel (zum Vollzug des GrundVAs)

Ggf. Standardmaßnahmen

1. Stufe: Zwangsgeld (vgl. § 88 SOG MV) bzw. Ersatzzwangshaft (vgl. § 91 SOG MV) Pflichtige wird durch Geldzahlung (10 - 50.000 EUR) zu einem Tun oder

Unterlassen angehalten. Bei Uneinbringlichkeit kann Zwangsgeld in Zwangshaft umgewandelt werden.

2. Stufe: Ersatzvornahme (vgl. § 89 SOG MV): Selbstvornahme der Handlung durch die Vollzugsbehörde oder Verwaltungshelfer

bzw. Fremdvornahme durch einen Beauftragten

3. Stufe: Unmittelbarer Zwang (vgl. §§ 90, 101 ff. SOG MV) Einsatz körperlicher Gewalt, bzw. Hilfsmittel oder zugelassen Waffen nur durch Vollzugsbeamte iSd. § 103 SOG, ggf. Vollzugshilfe durch die Polizei § 82a SOG

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Mehraktiges Vollzugsverfahren

GrundVA Regelung = Anordnung der Ordnungsmaßnahme bzw. polizeilichen Maßnahme

Androhung des Zwangsmittels § 87 Abs. 1 SOG (VA, Ermessen, idR. schriftlich)

GrundVA ist unanfechtbar oder Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 SOG)

Fristsetzung § 87 Abs. 2 SOG (idR. schriftlich)

Entbehrlich bei Ersatzvornahme und unmittelbarem Zwang falls Gefahr in Verzug (§ 80 Ab. 2 SOG)

Entbehrlich in den Fällen des § 80 Ab. 2 SOG und bei Sofortvollzug

Entbehrlich bei Duldung oder Unterlassung

Anwendung des Zwangsmittels (Realakt)

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Sofortmaßnahmen (ohne GrundVA) Unmittelbare Ausführung § 70 a SOG

(öffentlich-rechtliche GOA)

Kein GrundVA Verantwortlicher ist nicht oder

nicht rechtzeitig erreichbar

Maßnahme entspricht dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Verantwortlichen

Beispiel: Abschleppen eines parkenden Autos bei herannahendem Hochwasser

-> Benachrichtigung des Verantwortlichen

Sofortiger Vollzug §81

(Eilmaßnahme)

Kein GrundVA

Gegenwärtige Gefahr

Gefahr ist nicht anders abwehrbar

Maßnahme gegen Pflichtigen käme zu spät

Beispiel: Beseitigung einer von einem Auto verursachten Ölspur mit Gefahr für Motorradfahrer.

-> Ersatzvornahme oder unmittelbarer Zwang

-> Benachrichtigung des Verantwortlichen

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Wiederholungsfragen 1. A hat sein Auto in Schwerin im absoluten Halteverbot abgestellt. Der

Städtische Ordnungsdienst ordnet das Abschleppen des Autos an, nachdem eine Viertelstunde auf die Rückkehr von A gewartet wurde. Zurecht?

2. B ist an einem heißen Sommertag im Schlosspark-Center einkaufen und hat ihren Hund im Auto zurückgelassen. Der Hund jault wegen der Hitze fürchterlich. Nach einer Viertelstunde lässt die Polizei das Auto aufbrechen, um den Hund zu befreien. Zurecht?

3. C, der in Süddeutschland wohnt, hat an einem unbewohnten Haus in Schwerin ein Baugerüst anbringen lassen. Während der Nacht kommt es zu orkanartigen Sturmböen. Das Gerüst droht auf die Straße zu stürzten. Die Polizei lässt das Gerüst durch die Feuerwehr sichern. Zurecht?