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255 umwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014 PEEK Einführung Der Wunsch der Patienten nach biologisch verträglichem, metallfreiem Zahnersatz in Verbindung mit den unermessli- chen Potenzialen der CAD/CAM-Fertigung treibt das zahntech- nische Handwerk und die Dentalindustrie voran, nach neuen prozesssicheren Verfahren und widerstandsfähigen Werkstoffen zu suchen. Wie die meisten ausgereiften Innovationen basiert die Entwicklung des teilkristallinen Hochleistungswerkstoffs Polyetheretherketon (PEEK) auf langjährigen wissenschaftlichen und klinischen Erfahrungen, auch über das Einsatzgebiet der Zahnmedizin hinaus (Abb. 1). Einsatzgebiete von PEEK Ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt, findet PEEK der- zeit aufgrund seiner herausragenden chemischen und physika- Polyetheretherketon (PEEK) – ein vielversprechender Werkstoff für die Zukunft Andreas Schwitalla, Tobias Spintig, Ilona Kallage, Ralf Wagner und Wolf-Dieter Müller Der subjektive Wunsch vieler Patienten nach metallfreien Restaurationen ist häufig wissen- schaftlich begründbar. Neben Allergien oder Überempfindlichkeiten gegenüber Metallen bzw. Legierungen tragen auch andere Materialeigenschaften, wie beispielsweise das Gewicht und Elastizitätsverhalten, maßgeblich zum Tragekomfort des entsprechenden Zahnersatzes bei. Deshalb stellt der Hochleistungswerkstoff Polyetheretherketon (PEEK) eine wertvolle Alternative zu konventionellen zahnärztlichen Werkstoffen dar. Nachdem es in den 1990er-Jahren von der Food and Drug Aministration (FDA) in den USA als Implantatmaterial zugelassen wurde und seit- dem vor allem in der Orthopädie und Traumatologie implantiert wird, hält es nun auch aufgrund seiner herausragenden Eigenschaften zunehmend in der Zahnmedizin Einzug. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, einen Überblick über die werkstoffkundlichen Eigenschaften von PEEK und dessen Anwendungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Zahnmedizin zu vermitteln. Schlüsselwörter: Polyetheretherketon (PEEK), Biomaterial, CAD/CAM, Finite Elemente Analyse (FEA), Zahnersatz. Abb. 1a (oben): Chemische Strukturformel von PEEK. In Anwesenheit von Diphenylsulfon und Kaliumcarbonat wird Peek durch Polykondensation von 4,4'-Difluorobenzophenon und Hydrochinon bei 320 °C hergestellt. Abb. 1b (unten): PEEK-Fräsronde mit Fräsarbeit (Foto: Juvora Ltd.).

Polyetheretherketon (PEEK) – ein vielversprechender ... aim of this article is to provide an overview of the material ... (Optima LT1, Mikrohybridkomposit ... E-Modul GPa 3–5

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255umwelt·medizin·gesellschaft | 27 | 4/2014

PEEK

Einführung

Der Wunsch der Patienten nach biologisch verträglichem, metallfreiem Zahnersatz in Verbindung mit den unermessli-chen Potenzialen der CAD/CAM-Fertigung treibt das zahntech-nische Handwerk und die Dentalindustrie voran, nach neuen prozesssicheren Verfahren und widerstandsfähigen Werkstoffen zu suchen. Wie die meisten ausgereiften Innovationen basiert die Entwicklung des teilkristallinen Hochleistungswerkstoffs Polyetheretherketon (PEEK) auf langjährigen wissenschaftlichen und klinischen Erfahrungen, auch über das Einsatzgebiet der Zahnmedizin hinaus (Abb. 1).

Einsatzgebiete von PEEK

Ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt, findet PEEK der-zeit aufgrund seiner herausragenden chemischen und physika-

Polyetheretherketon (PEEK) – ein vielversprechender Werkstoff für die Zukunft andreas schwitalla, tobias spintig, Ilona Kallage, ralf Wagner und Wolf-Dieter müller

Der subjektive Wunsch vieler Patienten nach metallfreien restaurationen ist häufig wissen-schaftlich begründbar. neben allergien oder Überempfindlichkeiten gegenüber metallen bzw. legierungen tragen auch andere materialeigenschaften, wie beispielsweise das gewicht und Elastizitätsverhalten, maßgeblich zum tragekomfort des entsprechenden Zahnersatzes bei. Deshalb stellt der hochleistungswerkstoff Polyetheretherketon (PEEK) eine wertvolle alternative zu konventionellen zahnärztlichen Werkstoffen dar. nachdem es in den 1990er-Jahren von der food and Drug aministration (fDa) in den usa als Implantatmaterial zugelassen wurde und seit-dem vor allem in der ortho pädie und traumatologie implantiert wird, hält es nun auch aufgrund seiner herausragenden Eigenschaften zunehmend in der Zahnmedizin Einzug.Ziel des vorliegenden artikels ist es, einen Überblick über die werkstoffkundlichen Eigenschaften von PEEK und dessen anwendungsmöglichkeiten auf dem gebiet der Zahnmedizin zu vermitteln.

Schlüsselwörter: Polyetheretherketon (PEEK), Biomaterial, CAD/CAM, Finite Elemente Analyse (FEA), Zahnersatz.

Abb. 1a (oben): Chemische Strukturformel von PEEK. In Anwesenheit von Diphenylsulfon und Kaliumcarbonat wird Peek durch Polykondensation von 4,4'-Difluorobenzophenon und Hydrochinon bei 320 °C hergestellt. Abb. 1b (unten): PEEK-Fräsronde mit Fräsarbeit (Foto: Juvora Ltd.).

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lischen Eigenschaften (Abb. 2 und 3) in vielen Industriezweigen Anwendung, ob in Form von Zahnrädern, Gleitlagern, Buchsen, Leuchtfassungen oder Tennissaiten.

PEEK wurde 1981 patentiert und in den 1990er-Jahren durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) als Implantatmaterial zertifiziert. Momentan kommt in der Medizin PEEK vornehmlich auf den Gebieten der Ortho pädie (LIAO 1994, MAHARAJ & JAMISON 1993), Trauma tologie (CORVELLI et al. 1997, KELSEY et al. 1997) und Neuro chirurgie (ALIBHAI et al. 2013) als Implantatmaterial zum Einsatz. Für das Gebiet der Zahnmedizin wird auf dem Dentalmarkt ein einteiliges Implantatsystem auf PEEK-Basis aus dem französisch-sprachigen Raum angeboten, über dessen Langzeiterfolg bisher wenig bekannt ist (SisoMM® bvba, Hasselt, Belgien). Des Weiteren sind provisorische Abutments erhältlich, welche lediglich für 30 - 180 Tage im menschlichen Körper verbleiben dürfen.Aktuell wird zunehmend mehr permanenter, herausnehmbarer Zahnersatz auf PEEK-Basis via CAD/CAM bzw. via Spritzguss hergestellt. Hierbei ist das spanabtragende CAD/CAM-Verfahren zu bevorzugen, da es Spannungsfreiheit in den hergestellten Gerüsten gewährleisten kann.

Werkstoffkundliche Eigenschaften

PEEK Compounds PEEK ist mit verschiedenen Zusatzstoffen compoundierbar, wodurch seine Materialeigenschaften gezielt an die jeweiligen Anforderungen angepasst werden können (SKINNER 1988). Dementsprechend kann PEEK beispielsweise für lasttragende Implantate wie Osteosyntheseplatten und Hüftgelenkschäfte mit Kohlefasern verstärkt werden. Des Weiteren können dem Werkstoff verschiedene Pulver beigemischt werden, um beispielsweise seine Eigenfarbe aufzuhellen (TiO2), um eine höhere Röntgen-

abstract

Polyetheretherketone (PEEK) – a highly promising material of the future

Patients’ desire for metal-free restorations is often scientifical-ly justified. Besides allergies and hypersensitivities towards metals or alloys, other material properties, such as weight and elasticity significantly influence the wear comfort of a denture. Therefore, the high-performance biomaterial PEEK (polyetheretherketone) represents a valuable alternative to conventional dental materials. It has been approved by the FDA as implant material in the 1990s and has since then been implanted mainly in the fields of orthopedics and traumatolo-gy. Presently due to its outstanding properties it is also increa-singly used for dental applications.The aim of this article is to provide an overview of the material properties of PEEK and its application possibilities in the field of dentistry.

Key words: Polyetheretherketone (PEEK), Biomaterial, CAD/CAM, Finite Element Analysis, Dental Prosthesis.

Abb. 2: Materialvorzüge von PEEK.

Biokompatibel, lösungsmittelfrei bzw. unlöslich•

Keine Plaqueadherenz•

Isoelastisch zu natürlichen Hartgeweben, korrosionsfrei, da •metallfrei, somit keine Metallallergien

Kein Thermoloading bei Bestrahlung, beständig gegen •energiereiche Strahlung

Elektrisch und thermisch isolierend•

Hochbeständig gegenüber Verschleiß•

Minimale Wasseraufnahme (0,5 mg/cm• 3; PEEK Optima®, Invibio Ltd.)

Sehr leicht aufgrund niedriger Dichte (ISO 1183 1,32 g/cm• 3), dadurch hoher Tragekomfort

Thermisch hoch belastbar und damit herkömmlich sterili-•sierbar (ISO 11357 343 °C)

Röntgentransparent (verursacht keine Artefakte bei sämtli-•chen bildgebenden Verfahren)

Compoundierbar mit verschiedenen Zusätzen (TiO• 2, BaSO4, HAP, Fasern)

Verblendbar mit konventionellen Kompositen•

Verschiedene Verarbeitungsverfahren möglich (Spanabtrag, •Spritzguss, Laser-Sintern)

Abb. 3: Vergleich von PEEK mit konventionellen Dentalkunststoffen.

Eigenschaft Füllungskomposite Prothesen­ PEEK Mikrofüller­ / kunststoff (Optima LT1, Mikrohybridkomposit (PMMA) Invibio, (O´Brien 2002) (Welker Lancashire, 1996) UK)

Dichte g/cm3 ~1,3 1,18 1,29

Härte kg/mm² HK 22–36 / 50-60 HV 5 13-19

Wasseraufnahme 1,2–2,2 / 0,5-0,6 0,3-0,7 0,5mg/cm³

Druckfestigkeit 225–300 / 300-350 120 118MPa

Zugfestigkeit 25–35 / 35-60 24-49 100MPa

Biegefestigkeit 40-90 / 100-145 62-87 170MPa

E-Modul GPa 3–5 / 7-14 2,5-4 4

Polymerisations- 2–4 / 1,5-1,7 2-4 -schrumpfung %

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PEEK

opazität zu erreichen (BaSO4) oder die Knocheneinheilung von PEEK zu optimieren (Hydroxylapatit) (Invibio, Ltd., Thornton-Cleveleys, United Kingdom) (Abb. 4 und 5).

biegefestigkeit Voraussetzung für die Anwendung von Kunststoffen in der zahn-ärztlichen Praxis ist eine Mindestbiegefestigkeit von 65 MPa (DIN EN ISO 10477). Im Rahmen unserer Untersuchungen am Bereich Zahnärztliche Werkstoffkunde und Biomaterialforschung der Charité konnten wir zeigen, dass alle von uns getesteten PEEK-Sorten signifikant höhere Biegefestigkeitswerte erreichten (Abb. 6). Hierbei zeigten die ungefüllten PEEK-Varianten in den 3-Punkt-Biegestests die niedrigsten Festigkeitswerte von durchschnittlich ca. 170-180 MPa.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen konnten des Weiteren zeigen, dass mit den zur Verfügung stehenden PEEK-Compounds, die uns als Halbzeuge geliefert wurden, eine große Spannbreite hinsichtlich der E-Moduli im Vergleich mit konventionellen Werkstoffen abgedeckt werden kann, falls dies gewünscht sein sollte (Abb. 7).

ZellkulturtestsAuch haben wir verschiedene PEEK-Sorten in Form runder Plätt chen mit einem Durchmesser von 10 mm in vorläufigen Zell kulturtests untersucht. In einer Serie wurden PEEK-Sorten mit unterschiedlichen Füllstoffen (ein „Medical-Grade“ mit 10 % Titandioxid für den Einsatz von 30 Tagen im menschli-chen Körper; zwei „Industrial-Grades“, einerseits mit 30 % Glas-faser anteil und andererseits mit 30 % Kohlefaseranteil für den

PEEK

ungefüllt gefüllt

Fasern Pulver

endlos kurz

Kohlefasern

Kohlefasern

Glasfasern

Glasfasern ungeordnet geordnet

Hydroxylapatit Bariumsulfat Titandioxid

zur Veränderung der...

...Eigenfarbe ...Röntgenopazität ...Biokompatibilität

1200

1000

800

600

400

200

0

Ungefüllt

n=10

Titandioxid 10

n=10

Bariumsu

lfat 2

0

n=5

Glasfase

rn 30

n=10

Kohlefasern

30

n=10

Kohlefasern

60

n=5

MPa

Abb. 4: Compoundierungsmöglichkeiten für PEEK.

Abb. 5: Eigenfarben verschiedener PEEK-Compounds.

Abb. 6: Biegefestigkeitswerte unterschiedlicher PEEK Compounds; verwende-te Zusatzstoffe von links nach rechts: keine („Ungefüllt“), 10 % Titandioxid-Pulver („Titan dioxid10“), 20 % Bariumsulfat-Pulver („Bariumsulfat20“), 30 % kurze Glasfasern („Glasfasern30“), 30 % kurze Kohlefasern („Kohlefasern30“) und 60 % geordnete Endlos-Kohlefasern („Kohlefasern60“) (SCHWITALLA et al. 2013).

Abb. 7: Dargestellt ist die Spannbreite der E-Moduli von verschiedenen PEEK-Compounds im Vergleich zu den E-Moduli natürlicher Hartgewebe und konventioneller zahnärztli-cher Werkstoffe.

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PEEK

Einsatz in Bereichen der Industrie) und polierten Oberflächen mit Mäusefibroblasten inkubiert und die Zellzahl nach 21 Tagen evaluiert. Die höchste Anzahl an Zellen wurde auf den Plättchen des Glasfaser-gefüllten PEEKs gefunden, die zweithöchste auf PEEK-Plättchen mit 30 % Kohlefaseranteil, und die niedrigste Zellzahl auf dem Titandioxid-gefüllten PEEK. Erstaunlicherweise generierten somit die Industrial-Grades, die nicht für den Einsatz im menschlichen Organismus zugelassen sind, die höchsten Zellzahlen. Diese Ergebnisse bedürfen sicherlich weitergehender Untersuchungen, belegen jedoch einmal mehr die ausgezeichne-te Biokompatibilität der untersuchten PEEK-Compounds (Abb. 8).

Bei allen Zellkulturtests stellt die Visualisierung von Zellen auf PEEK eine Herausforderung dar. Einerseits lassen dunkle PEEK-Compounds (z.B. Kohlefaser- und teilweise Glasfaser-gefülltes PEEK) eine herkömmliche Auflichtmikroskopie (IFM Alicona) nicht zu, was primär auf die Lichtreflexion des Füllstoffanteils zurückzu-führen ist (Abb. 9).

Andrerseits weist helles PEEK (z.B. ungefülltes PEEK, TiO2- und teilweise Glasfaser-gefülltes PEEK) eine extreme Autofluoreszenz auf. Mit typischen Fluoreszenzfarbstoffen (z.B. Fluorescein oder Rhodamin) sieht man grüne bzw. rote Zellen auf grünem bzw. rotem Hintergrund (Abb. 10).

Durch Einsatz spezieller Filter und Veränderungen der Anfärbetechniken kann man die Autofluoreszenz zwar reduzie-ren, jedoch nicht vollständig ausschließen. Daher bietet sich für

helle PEEK-Compounds die Verwendung langwelligerer Farbstoffe (z.B. Cy-5-NHS) an, wobei jedoch nicht der Zellkörper direkt, son-dern die extrazelluläre Matrix angefärbt wird (BECKER 2013). Je nach Farbe und Zusammensetzung des PEEK-Compounds muss, im Vorfeld des in-vitro-Versuchs, eine genaue Abklärung der Auswertungsparameter erfolgen.

Eigenschaften als zahnärztlicher Werkstoff

PEEK ist hervorragend polierbar und weist eine geringe Plaque-affinität auf. Auch aufgrund seiner knochenähnlichen Elasti zi täts-eigenschaften eignet sich das Material ideal für implantatgetra-genen Zahnersatz. Bei einer Biegefestigkeit von ca. 170 MPa und einem E-Modul von ca. 4 GPa ist das Risiko eines Materialbruchs minimal. Im Gegensatz zu steifen Materialien haben Zahntechniker beim Entwerfen des Zahnersatzes aus PEEK eine höhere Designfreiheit. Gerade bei komplexeren Fällen kann der Einsatz von steiferen Materialien wie Titan (E-Modul: 110 GPa) oder Zirkoniumdioxid (E-Modul: 210 GPa) im Rahmen des Kauvorgangs zu einer Überbelastung noch vorhandener Zähne und des Kieferknochens führen, da hierbei die eingeleiteten Kaukräfte direkt auf das benachbarte natür-liche Gewebe übertragen werden (BOUGHERARA et al. 2010). Dieses Phänomen kann beispielsweise eine Knochenresorption an Implantaten zur Folge haben (FROST 1992). Durch seine elastischeren Eigenschaften lässt sich PEEK daher leichter in den Organismus integrieren. Deshalb ist PEEK besonders für

Abb. 8: Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen von Mäusefibroblasten, die auf polierten Oberflächen unterschiedlicher PEEK-Sorten kultiviert und deren Anzahl über 21 Tagen gezählt wurde; Zellzahl nach 21 Tagen: 30% Glasfaser-PEEK > 30% Kohlefaser-PEEK ≥ TiO2-PEEK (SPINTIG et al. 2013).

Titandioxid (10%)

Glasfasern (30%)

Kohlefasern (30%) Glasfasern (30%)

Kohlefasern (30%)

Titandioxid (10%)

Abb. 9: Kohlefaser-gefülltes (dunkles) PEEK (a) Auflichtmikroskopie und (b) Fluor eszenz-mikroskopie (Fluorescein).

Abb. 10: TiO2-gefülltes (helles) PEEK (a) Fluorescein-Färbung (Zellen sind nur am Rand des Probekörpers erkennbar) und (b) modifizierte Fluorescein-Färbung.

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Patienten mit ausgeprägtem Bruxismus zu empfehlen. So kann beispiels weise durch die Verwendung von Osteosyntheseplatten auf PEEK-Basis - im Gegensatz zu steifen Osteosyntheseplatten aus Titan - der sogenannte „Stress-shielding“-Effekt vermieden werden, welcher dazu führt, dass die Knochendichte aufgrund der Belastungsabschirmung durch die Platte in diesem Bereich abnimmt (HUISKES et al. 1992, UHTHOFF et al. 2006).Übertragen auf die Zahnmedizin, hat PEEK auch hier als Basis für Zahnersatz die Eigenschaft, Verwindungen der Gerüste bes-ser kompensieren und stoßdämpfend gegen die eingeleiteten Kaukräfte wirken zu können, was langfristig eine knochenpro-tektive Wirkung nach sich zieht. Dies konnten wir anhand von Finite Elemente Analysen andeutungsweise bestätigen, die in Zusammenarbeit mit Herrn M. Eng. Mohamed Abou-Emara und Herrn Prof. Dr.-Ing. Justus Lackmann an der Beuth Hochschule für Technik Berlin simuliert wurden. Hierbei konnte der maximale Kontaktdruck am Knochen-Implantat-Interface eines Implantat-Systems aus Titan reduziert werden, indem dieses mit einer Krone aus PEEK statt Keramik versorgt wurde (Abb. 11).

PEEK ist chemisch inert und biokompatibel. Gleichzeitig hat es eine geringe Wärmeleitfähigkeit, leitet keine elektrischen Ströme und kann durch keine in der Mundhöhle vorkommen-de Substanz gelöst werden. Auch aufgrund seines geringen Gewichts, das einen positiven Tragekomfort bewirkt, und sei-ner Geschmacksneutralität im Gegensatz zu metallhaltigen Restaurationen wird PEEK, etwa als Basismaterial für Prothesen, von Patienten als besonders angenehm empfunden. Es sind keine Unverträglichkeiten gegenüber PEEK bekannt, sodass es ideal als alternativer Werkstoff für Patienten mit einem hohen Allergierisiko geeignet ist. Subjektiv erscheint die beige, bisweilen gräuliche bzw. weiße Eigenfarbe von PEEK – abhängig vom jewei-ligen Hersteller – gewöhnungsbedürftig; verglichen mit konven-tionellen Metallgussprothesen optisch jedoch diskreter. Die gräu-lichen bis beigefarbenen Prothesenelemente treten aufgrund von Schatteneffekten – gerade unter Einhaltung des klassischen Sprech-/Komfortabstands – eher in den Hintergrund. Deshalb ist weißes PEEK aufgrund seiner hervorstechenden Eigenfarbe nicht in jedem Fall indiziert.

Des Weiteren wird die Handhabung von klammergetrage-nen Prothesen als besonders komfortabel empfunden: Die Klammerarme sind ausreichend stabil und aufgrund ihrer her-vorragenden Elastizität kann selbst ein ungeübter oder körper-lich beeinträchtigter Patient mühelos seine Prothese entfernen. Nachträgliches Aktivieren von metallischen Klammerarmen, die ihre Haltefunktion verloren haben, wird hinfällig – ebenso die damit verbundenen Zahnarztbesuche. Sollte der unwahrscheinli-che Fall eintreten, dass eine Klammer aus PEEK gebrochen ist, so kann diese mithilfe des Ultraschall-Schweißens repariert werden. Der Klammerarm sollte weitgehend unterhalb des prothetischen Äquators positioniert werden, was aufgrund der elastischen Eigenschaften von PEEK gewährleistet wird. Gegebenenfalls kann in diesem Bereich eine diskrete Retentionsrille am Zahn ange-bracht werden, die die Haltefunktion verbessern kann. Deren Position wird idealerweise in Rücksprache mit dem zahntechni-schen Labor geplant.

VerarbeitungPEEK kann sowohl im Spritzgussprozess als auch mechanisch ver- und bearbeitet werden. Der Einsatz des Lasersinterns ist ebenfalls möglich, ebenso das oben erwähnte Ultraschallschweißen als Fügetechnik.Im Bereich der Zahnmedizin stellen das Spritzguss- und das CAD/CAM-Verfahren die gängigsten Herstellungsprozesse für indivi-duelle Konstruktionen dar. Im Rahmen des Spritzgussprozesses können Schwindungen am Werkstück entstehen, welche Spannungen und Verzüge innerhalb des Zahnersatzes nach sich ziehen. Diese Nachteile treten beim CAD/CAM-Verfahren nicht auf, da zur Herstellung des Zahnersatzes industriell extrudierte, homogene Fräsronden für die Fertigung per Spanabtrag heran-gezogen werden. Deshalb wird dieses Verfahren mehrheitlich bevorzugt.

Verbundfestigkeit zu VerblendkunststoffenMehrere neuere Arbeiten von Wagner et al., Schmidlin et al. und erst kürzlich auch von Rosen tritt et al. und Keul et al. konnten zeigen, dass ein suffizienter Verbund zwischen dem PEEK-Gerüst und dem entsprechenden Verblend komposit herge-stellt werden kann, welcher der von der ISO 10477 geforderten Mindestscherhaftfestigkeit von 5 MPa entspricht (KEUL et al. 2014, ROSENTRITT et al. 2014, SCHMIDLIN et al. 2010, WAGNER et al. 2012) (Abb. 12 und 13).

Unabhängig davon, ob compoundiertes Material oder ungefüll-tes PEEK zum Einsatz kommt, wird ein funktionell wie ästhetisch ansprechendes Ergebnis erzielt. Eine wichtige Rolle spielt bei der Verarbeitung offenbar die sorgfältige Kondensierung des Verblendkomposits auf das PEEK-Gerüst.

IndikationenAbhängig von der Materialzusammensetzung der momen-tan auf dem Markt verfügbaren PEEK-Rohlinge variieren deren Einsatzgebiete im zahntechnischen Bereich. Daher ist beispiels-weise neben dem beigen, ungefüllten PEEK auch weißes, mit Titandioxid-Pulver angereichertes PEEK erhältlich. Ungefülltes PEEK ist derzeit für definitiven, (bedingt) herausnehmbaren Zahn-ersatz wie Implantat-getragene Suprakonstruktionen, Teleskop-, Geschiebe- und Stegarbeiten zugelassen. Der per CAD/CAM-

Abb. 11: Finite Elemente Analyse (FEA) eines Implantatsystems aus Titan mit einer Keramikkrone einerseits („Variante 1“) und andererseits mit einer PEEK-Krone („Variante 2“); a) Schematische Darstellung der Krafteinleitung; b) Resultierende FEA-Bilder (hier: Variante 1 mit Darstellung der Von-Mises-Spannungen im Knochen); c) Ergebnisse der maximalen Kontaktdrücke aus der FEA.

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PEEK

hergestellte Zahnersatz aus PEEK kann sowohl Zahn- als auch Implantat-getragen sein und gewährleistet eine rundum ästhe-tische und funktionelle Versorgung. Die Indikationserweiterung auf festsitzenden Zahnersatz, wie Kronen und Brücken, soll laut Hersteller demnächst erfolgen. In dieser Form und verblendet bietet PEEK dann aufgrund seiner hervorragenden Eigenschaften eine ideale metallfreie Alternative zu den konventionellen zahn-ärztlichen Werkstoffen. Ergebnisse von Langzeitstudien stehen diesbezüglich noch aus.

fazit

Der Hochleistungswerkstoff PEEK kommt aufgrund seiner über-zeugenden chemischen und physikalischen Eigenschaften seit langem in weiten Teilen der Industrie zur Anwendung. Seit längerer Zeit hält das Material wegen seiner mehrfach nachge-wiesenen Biokompatibilität als Implantatmaterial und seiner knochenähnlichen elastischen Eigenschaften auch Einzug in viele Bereiche der Medizin und Zahnmedizin, und wird zuneh-mend für Zahnersatz verarbeitet. Dem aktuellen Wissens- und Erfahrungsstand nach zeichnet sich für PEEK eine vielverspre-chende Zukunft auf dem zahnmedizinischen Sektor ab. Zwar gibt es noch Bedarf an weiterführenden wissenschaftlichen Untersuchungen, um Indikationserweiterungen für PEEK zu eva-luieren. Es ist aber bereits jetzt davon auszugehen, dass nicht nur die zunehmende Nachfrage nach biokompatiblen, metallfreien Werkstoffen, sondern auch die zunehmende Berücksichtigung umweltzahnmedizinischer Aspekte dazu beitragen werden, dass PEEK als zahnärztlicher Werkstoff weiter an Bedeutung gewinnt.

HerstellerBislang bekannte Hersteller eines FDA-zertifizierten PEEKs für den dauerhaften Verbleib im menschlichen Organismus sind Invibio Biomaterial Solutions Ltd. (PEEK-Optima), welche die Firma Juvora Ltd. ausgegliedert hat, um den Dentalmarkt mit PEEK-Blanks zu ver-sorgen, und die Evonik Industries AG (Vestakeep® PEEK i-Grades).

Abb. 12: Scherhaftfestigkeit des Verbunds eines konventionellen Verblendkomposits mit PEEK in Abhängigkeit von der Oberflächenrauheit entsprechend der Korngröße des ver-wendeten Strahlguts. Vor Auftragen des Verblendmaterials wurde die PEEK-Oberfläche per Sandstrahl konditioniert.

Abb. 13: Untersuchung der Verblendung im Rasterelektronenmikroskop.

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PEEK

Kontakt:

Dr. med. dent. Andreas Schwitalla (Korrespondenzanschrift)Bereich Biomaterialforschung und Zahnärztliche WerkstoffkundeAbteilung fur zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und FunktionslehreChariteCentrum 3 für Zahn-, Mund und KieferheilkundeCharite – Universitätsmedizin BerlinAssmannshauser Str. 4-6, 14197 BerlinTel: 030-450 562 224Fax: 030-450 562 [email protected]

ZA Tobias SpintigBereich Biomaterialforschung und Zahnärztliche WerkstoffkundeAbteilung fur zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und FunktionslehreChariteCentrum 3 für Zahn-, Mund und KieferheilkundeCharite – Universitätsmedizin BerlinAssmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlin

ZÄ Ilona KallageSchlüterstr. 52, 10629 Berlin

Dr. med. dent. Ralf WagnerRankestr. 31, 10789 Berlin

Prof.(UH) PD Dr. rer. nat. Wolf-Dieter MullerBereich Biomaterialforschung und Zahnärztliche WerkstoffkundeAbteilung fur zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und FunktionslehreChariteCentrum 3 für Zahn-, Mund und KieferheilkundeCharite – Universitätsmedizin BerlinAssmannshauser Str. 4-6, 14197 Berlin

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