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Populäre Lieder um 1900 Im Umkreis von Theater, Operette, Revue und Varieté

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Populäre Lieder um 1900

Im Umkreis von Theater, Operette, Revue und Varieté

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Gliederung

1. Zwischen Walzer und Moderne

2. Der Komponist Paul Lincke

3. Der Schlager

4. Die Jahrhundertwende

5. Literatur

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1.Zwischen Walzer und Moderne

a) Der Wandel einer Gesellschaft

b) Amüsiertheater, Singspielhallen und Polka-Kneipen

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a) Der Wandel einer Gesellschaft

Die Wende zum 20. Jahrhundert markierte tiefe Einschnitte: Den Rahmen für die Entwicklungen in der Musik bildete vor allem die voll entfaltete Industriegesellschaft, wie sie um die Jahrhundertwende vorzufinden war. Die Lebensformen wurden „großstädtisch“: Die Lebensbedingungen glichen sich an, die Arbeitszeit und die Freizeit wurden konsequenten getrennt. Somit nahmen kulturelle Massenprozesse wie Sport, Spiel und Unterhaltung einen wichtigen Teil im Leben der Menschen ein und wurden immer wichtiger.Die Gesellschaft wandelte sich zur Massengesellschaft mit sich angleichenden Lebensbedingungen und Bedürfnissen.

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Der Wandel einer Gesellschaft

Durch die verdichteten Verhältnisse von Austausch, Verkehr und Kommunikation wurde die umfassende Ausbreitung des Populären in Musik und Kultur eingeleitet. Externe Einflüsse wurden geradezu begierig aufgenommen, um die relativ feststehenden kulturellen Verhältnisse gründlich aufzumischen.Anstelle der Funktionsbindung des Musizierens mit einem mehr oder weniger feststehenden Repertoire für jeden Anlass tritt nun jene unspezifische Funktion der „Unterhaltung“ in den Vordergrund.

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Der Wandel einer GesellschaftMusik wurde zum ständigen Begleiter des Alltags. In dem Maße, wie die Menschen in den städtischen Siedlungsräumen gleiche oder vergleichbare Bedingungen vorfanden, glichen sich auch ihre Bedürfnisse, Verhaltensmuster und Gewohnheiten an, eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Durchsetzung kommerzieller Organisationsformen des Musizierens.Im 18. Jahrhundert war die Herkunft der Menschen an ihren Liedern erkennbar, hatte jede Landschaft ihren eigenen Klang, der sich in Gattungsbezeichnungen wie Polonaise oder Rheinländer niederschlug. Jetzt tanzte man nach den selben Melodien und sang die selben Lieder.

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Der Wandel einer Gesellschaft

Der Ballsaal, die Unterhaltungsbühne, das Varieté, öffentliche Plätze und das gesamte Spektrum der gastronomischen Betriebe lieferten dieser Entwicklung die Infrastruktur.Die Ballhäuser lebten von der Heterogenität der gesellschaftlichen Klassen und Schichten. Die Bedürfnisse sorgten dafür, dass jedes Stück über seine ursprünglichen Adressaten hinauswuchs. Der Arrangeur (entstand als ein musikalisches Berufsbild) hatte nur die Aufgabe, bestehende Kompositionen absatzfördernd anzupassen, hinsichtlich der Besetzung und dem Schwierigkeitsgrad für die unterschiedlichsten Aufführungsorte und Situationen.

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Der Wandel einer Gesellschaft

Das Populäre war zum Ort geworden, an dem sich soziale und kulturelle Schichten und Traditionen stark miteinander verbanden. Dies wurde um so bereitwilliger angenommen, je problematischer im Umfeld der Massenprozesse der Vorgang der Individualisierung wurde.

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b) Amüsiertheater, Singspielhallen und Polka-Kneipen

In die „Amüsiertheater“ strömte das situierte Bürgertum und all diejenigen, die dazu gehören wollten, um sich sehen zu lassen und gesehen zu werden, sich zu amüsieren und dem alltäglichen Einerlei der häuslichen Abende hin und wieder ein stimulierendes Glanzlicht aufzusetzen. Denn „eine Premiere im Apollo-Theater, das war zu jener Zeit das größte gesellschaftliche Ereignis“ (Paul Lincke)Die Zeit ist als „Gründerjahre“ in die Geschichte eingegangen, es gab deshalb auch kein Mangel an Besuchern, die Unterhaltungstheater boomten. Sie wurden von Operetten, Possen und Burlesken bestimmt.

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Amüsiertheater, Singspielhallen und Polka-Kneipen

Auch Ausstattungsstücke, die mit Bezeichnungen wie „Feerie“ (Zauber- oder Märchenspiel mit großer Ausstattung) oder „Phantasie“ mit vielen Darstellern, Kostümen, Requisiten und technischen Effekten warben, wurden aufgeführt .

Zentraler Bestandteil solcher Aufführungen: satirisch-humorvolle Balladen, Rundgesänge die zum Mitsingen einladen, etc.

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Amüsiertheater, Singspielhallen und Polka-Kneipen

Die weniger begüterte Kundschaft strömte in die Singspielhallen oder Café chantants, wie sie nach Pariser Vorbild genannt wurden. Das waren um die Jahrhundertmitte aufgekommene Etablissements mit Alkoholausschank, die zu den Vorläufern des Varietés gehörten. Für Unterhaltung der Gäste sorgte eine Mischung aus Gesang, Tanz, Akrobatik, und Attraktionen.Berühmt waren hier z.B. die Tonhalle und das Walhalla in Berlin.

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Amüsiertheater, Singspielhallen und Polka-Kneipen

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Amüsiertheater, Singspielhallen und Polka-Kneipen

„Welchen Anklang die Café concerts bei unserem Volke gefunden haben, beweist der tägliche Zudrang zu diesen Etablissements. Die Tonhalle und die Walhalla sind jeden Abend von Tausenden besucht, ja selbst das Strickzeug der Familie ist in denselben thätig, während man sich in aller Gemüthsruhe etwas vorsingen oder auf dem Trapez vortanzen läßt auf die Gefahr hin, daß beim Anblick irgend eines salto mortale vor Schreck eine Masche falle.“ (in Wicke, 1998, S. 78)

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Amüsiertheater, Singspielhallen und Polka-Kneipen

Wem es dafür am nötigen Kleingeld fehlte, dem standen die Polka-Kneipen offen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts wie Pilze aus dem Boden geschossen kamen. Hier ging es aber nicht nur beim Polka-Tanzen hoch her, denn auch den Gesangseinlagen fehlte es nicht an Würze.„[…] Und die Begleitung war so prickelnd, die Lieder so picant, handelten so naiv vom ewig Zweideutigen, daß der Staatsanwalt mir heute verbietet, auch nur eine einzige Strophe davon hier zu citieren.“ (in Wicke, 1998, S. 78/79)

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2. Der Komponist Paul Lincke

a) Zur Person

b) Die Operette „Frau Luna“

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a) Zur Person Lebte von 1866 bis 1946Deutscher OperettenkomponistSein Vater konnte Geige spielen, half gelegentlich in kleinen Orchestern aus, deshalb erhielt Lincke schon mit 5 Jahren Geigenunterricht.Lernte nach der Schule noch Fagott, Trompete, Oboe, Bratsche, Pauke, Schlagzeug und Klavier.Schrieb mit 18 seinen ersten Marsch: „Gruß an Wittenberge“War ca. 2 Jahre in Paris und ließ sich 1899 endgültig in Berlin nieder. Er bestand die Prüfung zum Regimentsmusiker mit Auszeichnung, wurde aber wegen zu geringem Brustumfang nicht in den Militärdienst übernommen. Erfolge: Die Operette „Frau Luna“ (daraus sind einige Schlager sind entstanden: „Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe“, „Das ist die berliner Luft“). Die Operetten „Im Reiche des Indra“ und „Lysistrata“

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Zur Person

Paul Lincke wird als der „Vater der Berliner Operette“ bezeichnet und feierte nicht nur in seiner Geburts- und Heimatstadt, sondern weit über die Kommunal- und Landesgrenzen hinaus regelrechte Triumphe. Als Berlins populärster Komponist traf er genau den Nerv des Publikums aus den so genannten unteren Schichten. Zeitungsjungen und Kindermädchen pfiffen oder trällerten seine Melodien auf den Straßen und machten sie zu Ohrwürmern. Die „Berliner Luft“ wurde sogar zu einer Art Stadthymne und gehörte an vielen Plätzen und Veranstaltungen zum ständigen Repertoire.

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Zur Person

„Es erscheint wie ein Gegensatz: Trotz seiner Popularität gerade in den unteren Bevölkerungsschichten, die ihn liebevoll »Papa Lincke« nannten, legte der Komponist gesteigerten Wert auf sein Image als elegantester Dirigent Berlins. Er achtete peinlich auf eine vornehme Erscheinung, zeigte sich in der Öffentlichkeit mit elegantem Krückstock, im Smoking, mit Zylinder und in blitzenden Lackschuhen und sorgte sich um seinen korrekt hochgezwirbelten Schnurrbart.“ (Wolfgang Helfritsch)

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Zur Person

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Zur Person

Die Operetten Paul Lincke‘s vertreten in unübertroffener Weise den Typ der Berliner Operette, die sich von der wienerischen durch stärkere Berücksichtigung des Revue- und Possenhaften unterscheidet.

Er schuf einen speziellen Berliner Stil der Operette. Deren charakteristische Form ist der schnittige Gesangsmarsch, sie ist ungekünstelt im Rhythmus und häufig mit steter Wiederholung von Text und Melodie.

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Zur Person

Er hatte Gespür für eingängige, leicht nachsingbare Melodien, und schrieb seine Lieder in einem kessen Ton, was ihn weit über die Grenzen der Stadt hinaus populär machte.Er beherrschte alle gängigen Tanzformen wie Walzer, Rheinländer, Gavotte und Polka. Die nach dem 1. Weltkrieg aufkommenden Modetänze Tango und Foxtrott sagten ihm nichts, auch deshalb verstummte er wohl. Danach trat er als Komponist kaum mehr in Erscheinung.

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b) Die Operette „Frau Luna“

Eine Operette in zwei Akten, wurde uraufgeführt am 31. Dezember 1899, sollte seine beliebteste und bekannteste Operette werden und bleiben.

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Die Operette „Frau Luna“

„Eine Premiere im Apollo-Theater, das war zu jener Zeit das größte gesellschaftliche Ereignis. Es flimmerte in den Logen und im Parkett nur so von Décolletés, Brillanten, weißen Hemdbrüsten, Uniformen. Es war eine tolle Stimmung im Theater, noch bevor der Vorhang aufging. Dann kam ich, trat ans Dirigentenpult und hob den Taktstock. Aahs und Oohs, halb unterdrückte Ausrufe der Bewunderung gingen durch das Haus. Sowas hatte man noch nicht gesehen: Meine Hände steckten in schneeweißen Glacéhandschuhen! Man applaudierte schon, bevor überhaupt der erste Ton der Ouvertüre erklang.“ (Paul Lincke)

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Die Operette „Frau Luna“

Mit Frau Luna beginnt die Geschichte der eigentönigen Berliner Operette.

In seinem von Schwank- und Possenelementen durchsetzten, ja getragenen Singspiel hat Lincke erstmals jenen „Berliner Ton“ kräftig angeschlagen, der seitdem als charakteristische Nuance lange zum Wesen deutscher Schlagermusik gehörte.

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Die Operette „Frau Luna“

1899 war das Todesjahr von Johann Strauß und damit zugleich das Ende der von den Wiener Meistern bestimmten sog. Klassischen Epoche der Operette. Gleichzeitig war dies ein Zeitpunkt des Versiegens der unerschöpflich scheinenden Wiener Produktionsquelle. Somit stand der Weg zum großen Erfolg für ein Stück mit so ansprechender Musik wie „Frau Luna“ in jeder Hinsicht offen. Der Wert des Werkes liegt nicht in einer künstlerischen Form von bemerkenswertem Rang, sondern in den sehr einprägsamen, jedermann bekannten Melodien.

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Die Operette „Frau Luna“

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Die Operette „Frau Luna“

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Die Operette „Frau Luna“

Den Reim dieses Liedes konnte nichts in den Schatten stellen.Dieser Refrain hat den Begriff „Ohrwurm“ aufkommen lassen.Andere Stücke standen dem Stück in ihrer Wirkung kaum nach, waren aber nicht so langlebig.

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3. Der Schlager

a) Definition

b) Der Gassenhauer

c) Das Kabarett

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a) DefinitionBezeichnet seit etwa der Jahrhundertwende eine Form des populären Liedes. Der Begriff kam um die Mitte des 19. Jh. in der österreichischen Handelssprache für Verkaufserfolge auf den Konsumgütermärkten auf. Wenig später fand er sich auf Musikstücke übertragen.Herkunft: Begriff entstand bei der Aufführung der Posse „Drei Paar Schuhe“. Das Publikum summte die Melodie begeistert mit, der Komponist Gerardi hat gesagt: „Kinder, das hat eingeschlagen!“ und die Zeitung hat den Begriff „Schlager“ aufgenommen und verbreitet für etwas, das beim Publikum „eingeschlagen“ hat.Aber: Schon beim Strauß-Walzer findet sich die Bezeichnung als musikbezogener Erfolgsbegriff.Bis Ende des 19. Jahrhunderts wird der Begriff unspezifisch gebraucht (alles konnte Erfolg haben). Erst als Komponisten dazu übergingen, ihre Kompositionen an den einmal zu Erfolg gekommenen Stücken zu orientieren, und die Verleger begannen, ihre Produkte gleich von vornherein mit dem Erfolgsprädikat Schlager zu versehen, verwandelte sich der Erfolgsbegriff in eine musikalische Gattungsbezeichnung.

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b) Der GassenhauerDie Größen des Unterhaltungstheaters lieferten Vorbilder zum Kopieren und manchmal auch zum Verspotten. Somit reichten sie die soziale Stufenleiter nach unten. Waren sie dort angekommen hatten sich die Lieder als Schlager qualifiziert und begannen nun häufig ein Eigenleben zu führen. „Von der schnellen Popularität […] macht man sich keinen Begriff; es wurde Gemeingut, weil es volkstümlich empfunden war. Ein paar Tage nach seiner bejubelten Feuertaufe […] flatterte es durch Berlin, zog es ein […] in die Küchen und Gemüsekeller, es tönte von den Lippen der Schuljungen […] und die Leierkasten wimmerten es.“ (Felix Philippi)Dabei durchliefen die Lieder oft eine Wandlung und wurden weniger Salonfähig. Dem Volksmund war in dieser Hinsicht nichts heilig.

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Der Gassenhauer

So wurde aus:In diesen heil'gen HallenKennt man die Rache nicht,Und ist ein Mensch gefallen,Führt Liebe ihn zur Pflicht.Dann wandelt er an Freundes HandVergnügt und froh in's bess're Land.(Arie des Sarastro, Zauberflöte)Wenn der Mut in der Brust die Spannkraft übt und der Arm mit der Faust den Feind besiegt (Bayrische Polka)

In diesen lichten Hallen kennt man das Dursten nicht und ist ein Mensch gefallen so ist‘s der andern Pflicht, zu leiten ihn an sichrer Hand bis er sein heim‘sches Sofa fand.

Wenn der Mops mit der Wurscht über‘n Spucknapf springt und der Storch in der Luft den Mops verschlingt.

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Der Gassenhauer

Diese Lieder nannten sich Gassenhauer, sobald sie dem Volk auf der Zunge lagen, das dann respektlos mit ihnen anstellte, was immer der allgemeinen Stimmungslage entsprach. Zielscheibe waren besonders die patriotischen Lieder, mit der die Obrigkeit das Volk bei der Stange (im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich bei der Fahnenstange) zu halten versuchte. Grund: Bedürfnis, das Heimzuzahlen, was man aus Vernunftgründen ansonsten erduldete. Es war auch Form der sozialen Distanzhaltung zwischen oben und unten. Denn die großstädtisch werdende Lebensformen vergrößerten die Berührungszonen (zentrale Plätze, Verkehrsflächen, ..) Eine Struktur, die die sozialen Schichten zwangsläufig in Kontakt brachte.Um so wichtiger wurden diese kulturellen Abstandsmarkierungen, die den sozialen Ort absteckten, dem man sich zugehörig fühlte.

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Der Gassenhauer

Eine der wichtigsten Funktionen, die das populäre Lied in Form von Gassenhauer, Küchen- oder Anekdotenlied zu erfüllen hatte, war zu wissen, wo man hingehört. Dies bedeutet vor allem, jenen sozialen Ort bezeichnen zu können, an dem nicht unbedingt Gleichgesinnte, aber emotional Gleichgestimmte zu finden waren. Somit zogen Lieder eine deutliche Grenze zwischen den Seelenverwandten und den Fremden. Was Mode nach außen leistete, leisteten die Lieder nach innen.Immer mehr wurden solche Lieder herausselektiert, die neutral genug waren, dass sie an den sozialen Ort angepasst werden konnten. (Klassisches Beispiel ist der Liebe-Triebe-Opus). Der Text gibt eine sachliche und neutrale Erzählerperspektive vor, die im sozialen Nirgendwo liegt. Er gibt aber den Ton nicht vor. Der gepflegte Operettenstil ist ebenso vorstellbar wie eine Übertreibung. Kann verschieden interpretiert werden.Deshalb war dieses Lied auch so populär, es eroberte die Etablissements auf allen Sprossen der sozialen Stufenleiter im Sturm.

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Der Gassenhauer

Solche Lieder wurden über Nacht zum Schlager (waren einprägsam, trafen eine Grundstimmung, besaßen einen hohen Darbietungswert, der Weitergabe und Verbreitung förderte).„Und wenn das Frühjahr kommt, dann schlagen sie aus, die Schlager. […] Erschrecklicher Weise hat der Berliner Gassenhauer heuer eine Frühgeburt zu verzeichnen: ‚Ist denn kein Stuhl da/Stuhl da Stuhl da/Für meine Hulda/Hulda, Hulda?‘ […] Bender sang das Hulda-Kouplet zuerst in einem intimen Künstlerverein. Er fand es selbst so ‚blöd‘, daß er sich zunächst damit nicht in die Öffentlichkeit hinauswagte. […] Wie bekannt, gewann die ‚Hulda‘ dermaßen die Huld des Publikums, daß sie bereits vor der Zeit als ausgewachsener Gassenhauer flügge geworden ist. […]“ (Berliner Morgenpost, 1891)

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Der Gassenhauer

Damit rückt das populäre Lied als Schlager ins Blickfeld der Öffentlichkeit, nachdem es lange Zeit im Schatten der Tanzmusik gestanden hatte. Zur öffentlichen Aufführung von Liedern brauchte es nämlich einer speziellen „Singspielkonzession“, die verhindern sollte, dass allzu freche Verse unkontrolliert Verbreitung fanden. Dies behinderte die Liedentwicklung erheblich.Ausschnitte: 1) Die Aufführung von Dramen, Lustspielen, Possen, Opern, Operetten, Sing- und Liederspielen, Tänzen und Balletts ist unzulässig.2) Die vortragenden Personen dürfen nur in bürgerlicher Kleidung auf der Bühne erscheinen.3) Koulissen, Vorhang und jede Art von Requisiten müssen von der Bühne fortbleiben. […] (Preußische Gewerbeordnung)Da die Erlaubnis für uneingeschränkte Gewerbefreiheit natürlich auch mit Kosten in Form von Abgaben verbunden war, lösten die Musiker das Problem auf ihre Weise: Kapellenleiter oder ein Bandmitglied übernahm die Funktion des Sängers. Die Veranstaltung blieb eine solche mit instrumentaler Tanzmusik.

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4. Die Jahrhundertwende

a) Das Kabarett

b) Der Begriff „Schlager“ setzt sich durch

c) Phonograph und Grammophon

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a) Das Kabarett

Nach der Jahrhundertwende erhielt das populäre Lied Beistand und Zuspruch von den Literaten. Sie entdeckten damals Couplet, Chanson und Schlager als eine Form der Dichtung, mit der sich Geld verdienen ließ. Es ging der Wunsch voraus „Das Repertoire jener Stätten, in denen ein großer Teil des Volkes seine Abende verbringt, sollte feiner, edler, hübscher werden, ohne dass dabei der Humor und die leichte Verständlichkeit Schaden leidet.“ Es war Absicht, „aus den rohen Sinnesreizen der modernen Ausstattungspossen eine seelisch feinere, geistig weitere, künstlerisch ernst zu nehmende Einheit zu entwickeln“ (in Wicke, 1998, S.87)

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Das Kabarett1901 wurde sodann das erste deutsche Kabarett in Berlin eröffnet: „Buntes Theater“. Es waren Stätten literarisch-musikalischer Kleinkunst.Sie boten Literaten ein Betätigungsfeld und brachten Vortragskünstler von außerordentlichem Rang hervor. Das Kabarett erwies sich als unerschöpfliche Quelle von Liedern und die Produktion war kaum noch zu überschauen. Berlin besaß in seinen besten Zeiten während der Weimarer Republik mehr als 20 Kabaretts, in denen neben Liedern aller Art unzählige Formen der Kleinkunst aufgeführt wurden, von politischen Satiren bis hin zu obszönen Tanzvorführungen.Die Jahrhundertwende leitete eine Blütezeit des populären Liedes ein, die 30 Jahre anhielt. Kabaretts, Operette, Revue und Varieté kurbelten die Liedproduktion an.

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b) Der Begriff „Schlager“ setzt sich durch

Nach der Jahrhundertwende gab es immer häufiger Lieder, die nicht für ein bestimmtes Bühnenwerk geschrieben und im Zusammenhang einer Operette, … aufgeführt wurden, sondern die nur dazu bestimmt waren, erfolgreich zu sein.Aber auch aus Bühnenwerken wurden einzelne Lieder so populär, dass sie sich von ihrem ursprünglichen Kontext völlig ablösten. So wurde aus dem Erfolgsbegriff eine Sammelbezeichnung, die die verschiedenen Liedtypen (Operette, Chanson, Gassenhauer) zusammenfasste und dabei schon den Erfolg voraussetzte, der sich erst zu erweisen hätte.Nach dem ersten Weltkrieg erschien kein Notenalbum mehr, ohne den Begriff Schlager im Titel unterzubringen. („Neueste Tanzschlager“, „Schlager aus beliebten Operetten“, …)

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Der Begriff „Schlager“ setzt sich durch

Der Musiker Ralph Benatzky hat die Anforderungen an die Lieder, die von vornherein gleich Schlager sein wollten, in einem Katalog festgehalten (dieser wurde 1926 eröffnet). Darin wurde z.B. genannt:die absolute, vollkommen natürliche Übereinstimmung von Text und Musik,ein möglichst geringer Tonumfang und eine leicht singbare Tonlage,die richtige Länge oder Kürze des ganzen Opus, undder psychologisch richtige Moment des Erscheinens.Was nicht aufgeführt wurde aber nicht fehlen darf ist die Tanzbarkeit. Um erfolgreich werden zu können mussten die Lieder tanzbar sein.

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c) Phonograph und Grammophon

Die Lieder kursierten aber nicht nur auf dem Tanzboden. Durch den Phonographen war ein Medium hinzugekommen, das die Entwicklung des Schlagers wesentlich geprägt hat. 1877 präsentierte Thomas Alva Edison seine Sprechmaschine. 12 Jahre später erreichte die Erfindung Deutschland. 1887 erfand Emil Berliner, Edisons Erzrivale, das Grammophon, das anstelle des Zylinders einen plattenförmigen Tonträger hatte.

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Phonograph und Grammophon

Der Phonograph:Gerät zur mechanischen Aufzeichnung und Wiedergabe von Schallvorgängen. Er besteht aus einem Schalltrichter und einem Schreibstift, der auf eine stanniol- oder wachsbeschichtete Walze drückt. Dies hinterlässt je nach Schwingung auf der Walzenbeschichtung eine Furche unterschiedlicher Tiefe (Tiefenschrift, Edisonschrift). Die Wiedergabe erfolgt entsprechend.

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Phonograph und Grammophon

Das Grammophon: Gerät zur Aufzeichnung und Wiedergabe von Tönen. Als reines Abspielgerät war es der mechanische Vorläufer des Plattenspielers. Das Grammophon ist – im Gegensatz zum Phonographen – mit einer runden Platte ausgestattet, auf der die Töne mechanisch aufgezeichnet werden.

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Phonograph und Grammophon

Die Schallplatte entwickelte sich in kürzester Zeit zu einem sehr großen Wirtschaftszweig. Mit der Steigerung der Schallplattenverkäufe stieg auch der Absatz der Grammophone. Zunächst hatte die Branche auf die exklusiven Käuferschichten der ernsten Genres gesetzt, doch bald entdeckte man, dass die meisten Platten von Gastwirten und tanzbegeisterten Musikliebhabern gekauft wurden.Die Erfindung war ein großer Schritt. Lieder waren bis dahin immer mit der Situation verbunden, in der sie gesungen wurden. Plötzlich kamen sie aus dem Nichts und direkt zum Bürger. Es war eine Sensation, Klänge zu hören, die man nicht sehen konnte! Bis dahin verkörperte Musik eine gemeinschaftliche Aktion, eine gesellschaftliche Veranstaltung, zu der man sich zusammenfand. Nun aber wurde Musik auch ohne Gemeinschaftlichkeit als Klang pur Verfügbar. Sie eroberte die ganz private Sphäre der Menschen und füllte sie auf eine Weise aus, zu der es die Gemeinsamkeit mit anderen bald nicht mehr brauchte.

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Phonograph und Grammophon

Für eine Übergangszeit waren die Aufnahmen Erinnerungsmaterial von Live-Erlebnissen, doch innerhalb weniger Jahre veränderte sich die Situation, sodass die meiste Musik die Menschen nur noch in einer Form erreichte, die sie nie aufgeführt gesehen hatten. Aus der gesellschaftlichen und geselligen Veranstaltung Musik war ein Konsumgut geworden, das in den gelebten Alltag an beliebiger Stelle eingebaut werden konnte. Je anpassungsfähiger die Lieder an die individuellen Wiedergabesituationen im privaten Alltag waren, umso erfolgreicher wurden sie.

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Phonograph und Grammophon

Die Komponisten und Interpreten passten sich den Gegebenheiten schnell an. Sie bemühten sich um Einprägsamkeit und verzichteten auf Vortragskomik etc, denn das ließ sich nicht aufnehmen. Und die Firmen beeilten sich, den Kundenwünschen noch zuvorzukommen. „Hat man einen interessanten Tanzschlager in Operette, Revue oder Tonfilm gehört, so kann man sicher sein, ihn morgen schon auf der Schallplatte zu finden, oft sogar schon am Tage seiner Premiere.“ (Wicke, 1998, S.101)Der Schlager hatte mit der Schallplatte eine ganz auf ihn zugeschnittene Existenzgrundlage erhalten.

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Anekdote

1912 landete Jean Gilbert den größten Hit in der Kaiser-Wilhelm-Zeit: „Puppchen“

Es war so bekannt dass man glaubte es sei die Deutsche Nationalhymne. Ein deutscher Diplomat wurde einmal im Ausland von der Kapelle mit diesem Lied begrüßt.

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5. LiteraturWicke, Peter: ››Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe‹‹. Schlager auf Schlager, in: Ders.: Von Mozart zu Madonna. Eine Kulturgeschichte der Popmusik, Leipzig 1998, S. 75-102Wicke, Peter: Schlager, in Finscher, Ludwig: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Sachteil), Kassel, Basel, London, New York, Prag, Stuttgart, Weimar 1994, Bd. 8, Sp. 1063-1070Ortkemper, Hubert: Lincke, Paul, in: Finscher, Ludwig: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (Personenteil), Kassel, Basel, London, New York, Prag, Stuttgart, Weimar 1999, Bd. 11, Sp. 136-139Ein Mitarbeiter: Lincke, Paul, in: Gurlitt, Wilibald: Rieman Musiklexikon (Personenteil), Mainz 1961, Bd. L-Z, S. 72-73Würz, Anton: Paul Lincke. Frau Luna, in: Ders.: Reclams Operettenführer, Stuttgart 1982, S. 120-123

Verwendete Internetseiten: http://de.wikipedia.org/wiki/Grammophonhttp://de.wikipedia.org/wiki/Phonographhttp://www.karadar.com/Librettos/wagner_lohengrin.htmhttp://www.karadar.com/Librettos/mozart_zauberfloete.htmlhttp://www.hahnenklee.de/ortsbeschreibung/paul_lincke.shtmlhttp://www.berlinonline.de/berlin-chronik/.html/art1899-1.htmlhttp://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt00/0004porb.htmhttp://www.schloss-britz.de/ausstellungen/berliner-operette/index.htm